Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    Lange bereiteten sich die Galloi, aber auch die vielen Anhänger der Großen Mutter in der Stadt auf diesen Tag vor: Der ganze Martius war geprägt von dem alljährlichen Festzyklus, in dem der Mythen um Kybele und ihren Geliebten Attis gedacht und sie nachvollzogen wurden: So fällten die Galloi einige Tage vor den Ludi eine Pinie und brachten diese als Symbol für den getöteten Attis in den Tempel, beklagten darauf seinen Tod bis zu dem legendären Dies sanguinis. An diesem Tag peitschten und ritzten sich die Galli und tanzten sich in Ekstase, um ihr Blut der Großen Mutter zu opfern. Die folgenden Tage feierten dann die Auferstehung des Geliebten der Kybele in den Hilaria, ehe zum Abschluss des Märzfestes das Kultbild der Göttin in feierlicher Prozession zum Bach Almo gefahren und dort gewaschen wurde.

    Noch immer wirkten die Resultate der Märzfestivitäten der Priesterschaft nach und nicht wenige der Kybele-Priester ließen neuerlich den Dies sanguinis aufleben, zweifelsohne um durch ihre spektakuläre Selbstkasteiung das Volk zu ergötzen und so die Spenden für ihren Kult in die Höhe zu treiben. Dem Flavius auf der Biga hinter ihnen und ihrem Kultbild hingegen erschien jene Lust am Leiden geradezu abstoßend, obschon selbstredend es ihm nicht war gestattet, angewidert den Blick abzuwenden, sodass er die weibischen, blutig gepeitschten Leiber beständig vor Augen hatte und letztlich verhoffte, bald ihre Destination zu erreichen.

    STASIMON


    Die Chorsänger hatten ihre "Wellen" bereits wieder verstaut und übernahmen aufs Neue die Überleitung zur nächsten Szene:


    "Der König war nun in den Fluten
    versunken dank des Helkos Plan.

    Vor Gram Symbanes' Herz musst' bluten,
    zumal Helkos ihm's lastet' an.


    Die Furcht den jungen Prinzen schreckte,

    dass Trauer, wie sie ihn befiel,
    zu Haus auch großen Zorn erweckte,

    für den er würde sein das Ziel.

    Die Angst, dem Vater gleich zu sterben,
    wenn man zu Haus die Missetat

    würde vernehmen von dem Erben,
    des' Tollheit sie verschuldet hatt':


    Sie wirkt' und macht' dem Jüngling Beine,

    sodass er floh, so weit er kam,
    bis er auf weiten Fluren stand alleine

    und einsam nährte seinen Gram.


    So Tag um Tag er lief stets weiter,
    erfüllt ganz voller Furcht und Scham,

    dieweil die Trauer als Begleiter
    ihn immer wieder trieb voran.


    Bis an der Erde Ende trieb's den Knaben,

    wo hauset weder Mensch noch Gott.
    Dort wollt' er keine Kraft mehr haben

    und nieder sank in seiner Not."


    III. SZENE: FINIS TERRAE


    Rennend betrat Symbanes erneut die Bühne und lief ein Stück, ehe er schnaufend innehielt und sich an einen Stein lehnte.

    "Nun eile ich seit Tagen schon

    vor jenen, die mit Straf' mir droh'n!

    Doch auch wenn man mich Mörder hasst -

    ich muss nun endlich halten Rast!"

    Mit diesen Worten ließ er sich auf den Stein fallen und legte sich schließlich ganz hin. Es dauerte nicht lange, ehe gleichmäßiges Schnarchen zu hören war.


    Da plötzlich erschien ein recht ungleiches Paar am Rand der Bühne: Der eine war groß, gehörnt und stand auf Ziegenbeinen - ein Satyr! Der andere war gerade halb so groß und nackt, doch bärtig - offensichtlich ein Zwerg, der mit seinen kurzen Beinen neben dem dicklichen Satyr vorwärts watschelte. Der Zwerg blieb schließlich stehen, gähnte und streckte sich genüsslich, sodass das ganze Publikum deutlich sehen konnte, dass er bis auf die Maske völlig nackt war.

    "Perdomas, Freund, was für ein Tag,

    den ich recht gut genießen mag!"

    Der angesprochene Satyr ließ einen lauten Furz vernehmen. Das Publikum lachte.

    "So sollten alle Tage sein:

    Genug im Bauch und Ruh' allein!"

    Die beiden zogen weiter, als sie plötzlich den schlafenden Jüngling auf dem Stein erblickten.


    Vor allem der Satyr Perdomas schien erstaunt zu sein, denn fragend deutete er auf den daliegenden Menschen und wandte sich an seinen kleinen Begleiter:

    "Timon, sag, was ist denn das?

    Kein Satyr ist's! D'rum nochmals: Was?"

    Der Angesprochene schüttelte wissend den Kopf:

    "S'ist kein Pygmäe, kein Satyr -

    es ist ein Mensch! Das sag ich dir!"

    "Ein Mensch ist hier am End' der Welt?

    Sowas wurd' mir ja nie erzählt!"

    Neugierig sah Perdomas hinunter auf den noch immer reglosen Symbanes und musterte ihn ausführlich, während der Zwerg die Arme vor der Brust verschränkte und das ganze beobachtete.


    Da plötzlich schlug Symbanes die Augen auf und mit einem Schrei wichen der Satyr und der Pygmäe zurück hinter einen Baum, der als Bühnendekoration aufgebaut war.

    "Wo bin ich? Und wer seid denn ihr?"

    fragte der Prinz und rappelte sich auf. Der Pygmäe schien kurz zu zögern, dann trat er lässig hinter dem Baum hervor und erklärte wie selbstverständlich:

    "Ganz klar: Das End' der Welt ist hier.

    Timon bin ich, Perdomas er-"


    Er deutete auf den Satyr, der nun auch zögerlich hervortrat.

    "Doch sag uns: Wo kommst du denn her?"

    Symbanes seufzte tief und antwortete mit Trauer in der Stimme.

    "Von einem Orte voll Unbill,

    wo man mich nicht gern haben will!

    Obwohl ich war ein Königssohn-"

    Ehe der Jüngling beginnen konnte zu erzählen, unterbrach ihn der Pygmäe, indem er mahnend die Hand hob und erklärte:

    "Ob Prinz, ob Gott - wen kümmert's schon?

    Wir lassen Herren Herren sein -

    bei uns gilt Lust und Glück allein!"

    Perdomas nickte eifrig.


    Dann sahen sich Timon und Perdomas kurz an, nickten sich zu und begannen mit einem vergnüglichen Wechselgesang:

    "Ganz schlicht 'Carpe diem' - diesen Spruch sag' ich gern!"
    "Ganz schlicht: 'Carpe diem' klingt stets als modern!"

    "Es heißt: Die Sorgen bleiben dir immer fern!"
    "Keiner nimmt uns die

    Philosophie:

    ganz schlicht 'Carpe diem'!"

    Während die beiden sangen sprangen sie vergnügt um Symbanes, der ein wenig verdattert dastand und offensichtlich nicht recht wusste, wie ihm geschah.

    Der Pygmäe blieb schließlich vor ihm stehen und bot ihm die Hand.

    "Na komm, du Narr, schließ dich uns an -

    Wer nichts hat, nichts verlieren kann!"

    Zögerlich griff Symbanes zu.

    "Hurra! Als Freund ich grüß' nun dich!

    Doch sag: Wie heißt du eigentlich?"

    Der Satyr hakte sich auf der anderen Seite unter und gemeinsam zogen Timon und Perdomas Symbanes vorwärts und von der Bühne.

    Nichts gab es, was Menecrates ihm zu danken hatte, da doch seine Bemerkungen schlicht widergaben, wessen er Zeuge war geworden. Eher noch erachtete er es als sein Versäumnis, immediat nach seiner Quaestur und Erhebung in den Senatorenstand Rom den Rücken gekehrt und gemeinsam mit seiner Cornelia nach Ostia geflohen zu sein, anstatt sich um die Nachwehen seines Amtsjahres zu sorgen und womöglich direkt in jenen Tagen seinen Einfluss geltend gemacht zu haben, um dem Claudius Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.


    Hinsichtlich des Einwands des Senators konnte der jüngere Flavius lediglich seinem Vorredner zustimmen:

    "Selbstredend ist es die Intention der Res Gestae, die Leistungen einer Magistratur zu bewerten. Indessen erfolgt die Darstellung dieser Leistungen hier lediglich aus dem Mund dessen, dessen Leistungen zu bewerten sind. Meinem limitierten Wissen über das Abstimmungs- und Diskussionsverhalten gerade in derartigen Belangen gemäß gebricht es hier manchem unter uns an Wissen oder Zeit, intensiv jene Angaben und Beteuerungen zu prüfen. Mein Vorschlag eines Dossiers, respektive einer Begutachtung, zielte somit darauf ab, eine weitere, unabhängige Stimme zu der jeweiligen Magistratur zu instituieren, welche explizit beauftragt wird, eine qualifizierte Meinung über das Engagement wie die Leistungen des jeweiligen Amtsträgers in die Debatte einzuflechten. Gewiss ist dies für viele unter uns nicht notwendig, da sie Freunde und Patrone besitzen, welche allzu gerne für sie das Wort ergreifen. Wer jedoch noch wenig bekannt ist oder über... bescheidene Freunde verfügt-"

    Er stockte kurz, als er bemerkte, dass er womöglich insinuierte, dass Menecrates als hier erörtertes Exempel innerhalb des Senates isoliert wäre, obschon selbstredend dies durch sein Wahlergebnis zum Consulat in gewisser Weise konterkariert wurde.

    "...fühlt womöglich sich niemand berufen, eine qualifizierte Meinung abzugeben, zumal zweifelsohne viele von uns es als wichtiger erachten, sich mit Gesetzesvorlagen oder den Kandidaten für das nächste Jahr zu befassen als mit der individuellen Honorierung bereits abgelaufener Magistraturen, welche ohnehin keinerlei formellen Privilegien oder Einkünfte implizieren."

    "Am Ende wäre also eine zweite oder dritte Meinung zu der jeweiligen Magistratur - die abzugeben mir die Consuln als Leiter des Staatswesens wie erwähnt höchst adäquat erscheinen - ein guter Fingerzeig für die nicht involvierten Senatoren unter uns, bei der Abstimmung einer Auszeichnung zuzustimmen oder sie zu refutieren. Dass diese zuletzt nämlich über ein Votum des gesamten Senates erfolgen sollte, erscheint mir außer Zweifel zu stehen, da doch gerade das Votum der Vielen weitaus adäquater ist und jene Gefahren von Bestechung, persönlicher Missgunst und dergleichen leichter exkludiert als das Votum eines Einzelnen."

    Aufmerksam lauschte Manius Minor der Narration über den Rhetoren-Wettstreit, der in der Tat sich nach einem erquicklichen Stelldichein anhörte, wie er selbst es seit seinem Besuch in der Rhetorenschule des Quinctius Rhetor nicht mehr erlebt hatte, obschon er stets sich an einer erbaulichen Rede konnte ergötzen. Dass Ravilla daraus nicht nur Lust, sondern auch ernstliche Lehren hatte gezogen, war umso erfreulicher, zumal dies ja durchaus Relevanz für seine präfigurierte Karriere hatte.

    "In der Tat würde ich konsentieren, dass die emotionale Ansprache insonderheit bei der Plebs die vernünftige Einsicht an Bedeutung übertrifft. Dennoch würde ich nicht den Sophisten das Wort reden und behaupten, dass rhetorische Effekthascherei jeden Inhalt verdaulich macht, zumal stets nicht nur tumbe Narren, sondern auch kritische Geister in einem Auditorium zu erwarten sind. Das eine zu verfolgen und das andere nicht zu unterlassen, wäre somit meine Devise."

    Der Flavius präsentierte ein erfreutes Lächeln, da doch die Kunst der Beredsamkeit ihm ein geliebtes Sujet war.

    "Doch welche Strategie wähltest du denn? Und welcher Erfolg war dir beschieden?"

    Ein Wettstreit implizierte immerhin auch einen Sieger sowie einen Verlierer!

    372-f9b081ec.jpgDie Megalesia offerierten dem Volke der Tradition gemäß nicht nur Schauspiele, sondern auch Wagenrennen, welche in Rom sich seit jeher besonders großen Zuspruches erfreuten. Entsprechend hatte auch Manius Flavius Gracchus Minor für sein Aedilat es nicht unterlassen, jene höchst populären Spiele seinem Festtagesprogramm hinzuzufügen. Zwar hatte er diesen Teil des Programms zu großen Teilen seinem Tiro Fori Galeo Seius Ravilla überlassen, doch verlangte die Tradition selbstredend, dass dennoch er auch hier prominent als Editor der Spiele auftrat. Schon am ersten Tag der Ludi Megalenses hatte er die Pompa Circensis mit der Prozession der Galli zum Circus verbunden, sodass an diesem Tage die Präsentation der Aurigae ein wenig bescheidener denn üblich ausfallen konnte.


    Zunächst jedoch musste sich das Volk in dem gewaltigen Stadion versammeln, auf dessen Spina für die Zeit der Spiele das Kultbild der Magna Mater Idaea thronte, um dort gleichsam höchstpersönlich den Lustbarkeiten zu präsidieren, die so weite Teile des Volkes besonders faszinierten.

    370-50e3e664.jpgEin wenig Unbehagen verlieh Manius Minor das Stehen auf der Biga doch, als sie die ein oder andere steilere Passage vom Palatin hinabzogen, sodass er sich genötigt fühlte, immer wieder sein Gleichgewicht über den hektischen Griff an den Wagenrand wiederherzustellen, doch gelangten endlich sie hinab zum Forum, von wo aus die Prozession weiter ihren Lauf in Direktion des Forums nahm. Mit einiger Faszination beobachtete der Flavius, wie die Galli in der Tat reiche Spenden in ihren Schalen sammelten, obschon sie doch wie ihn Trance zum Spiel von Flöte und Tympanon tanzten, ihre Häupter schüttelten und Pirouetten drehten, als seien ihnen die Gaben wie auch die Blicke der Gläubigen gleich. Dies war in der Tat eine gänzlich differente Form des Kultes als die kontrollierten, trockenen Riten der Quiriten, in welchen selbst der Tanz der Salier eher einem militärischen Gleichschritt als einer freudigen Bekundung von Emotionen glich.


    Welche Form des Kultes die Unsterblichen indessen präferierten, vermochte Manius Minor nicht zu entscheiden, zumal hier die eine, dort die andere Form sich größter Popularität erfreute und selbst dieselben Gottheiten im Osten, im Norden und im Süden differente Formen von Opfern, Priesterschaften und Gebeten zu fordern schienen.


    Fortunablerweise war er jedoch nicht genötigt, hiesig einen Beschluss zu fassen, da doch hier in Rom jeglicher Schritt und jedes Wort im Cultus Deorum auf eine uralte Tradition zurückblickte, deren Einhaltung jene Sekurität bot, die den römischen Kult so beständig und zweifelsohne auch so nachhaltig erfolgreich machte.

    Obschon das Urteil eines gemeinen Miles über seine Entscheidungen kaum maßgeblich erschien, erfreute es den Aedil, dass jener augenscheinlich etwas vorlaute junge Mann seine Eingebung, die Pompa circensis mit der Prozession zu verbinden, guthieß, sodass sich seine Lippen zu einem Lächeln kräuselten.


    Die übrigen Erklärungen erschienen hingegen wenig bemerkenswert, da sie doch das darstellten, was der Flavius schlicht von anderen derartigen Veranstaltungen kannte und erwartete.

    "Die Zahl der gemeldeten Aurigae beläuft sich auf..."
    Er blickte fragend zu seinem Accensus, der in der Schar des Consilium saß und sogleich aufmerkte:

    "Acht, Aedilis!"
    Zufrieden schmunzelte Manius Minor und konsentierte:

    "Da hast du es! Und das Collegium der Galli umfasst..."

    Wieder blickte er in die Schar seiner Berater, welche indessen betreten zu Boden blickten.

    "Nun, dies vermag ich dir nicht exakt zu sagen, doch dürfte die genaue Zahl ohnehin nicht sonderlich erheblich sein, da sie doch üblicherweise eher in einer Art losem Schwarm um die Biga mit dem Kultbild der Magna Mater gleichsam schwirren und die Länge der Prozession eher von den übrigen Partizipanten, namentlich den Aurigae, den Korybanten, dem Opferpersonal sowie meiner Person als Spielgeber definiert wird. Alles in allem werden es wohl an die zehn Gespanne und mindestens hundert Beteiligte sein, nicht wahr?"

    Ein weiteres Mal blickte er fragend zu seinem Consilium, deren Glieder nun jedoch eifrig nickten.

    Als amtierender Magistrat war Flavius Gracchus Minor in der Sitzordnung des Senates ein wenig aufgerückt und konnte nun in der vordersten Reihe einen Sitzplatz einnehmen, anstatt wie als Quaestorius nahe der Tür, bisweilen mit, bisweilen ohne Ort zum Niedersetzen die Sitzungen verfolgen zu müssen. Der heutige Tagesordnungspunkt versprach überaus interessant zu werden, zumal Claudius Menecrates, seit kurzem wieder Praefectus Urbi, nicht eben häufig das Wort ergriff.


    Der Vorschlag, den der greise Claudius indessen unterbreitete, traf bei dem jüngeren Flavius auf ein gerüttelt Maß an Skepsis, die insonderheit seiner aristokratischen Sozialisation waren geschuldet: Immerhin erschien ihm Besitz - je größer und je länger tradiert, desto eher - als eine wesentliche Kondition, um zu sittlicher Reife und politischer Umsicht zu gelangen, da doch allzu oft sich zeigte, dass Emporkömmlinge, die kurzfristig oder gar erst im Laufe ihrer Karriere zu Vermögen waren gekommen, allzu leicht ihr Augenmerk lediglich auf ihren eigenen, vornehmlich ökonomischen Vorteil lenkten. Wer indessen seinen Besitz ererbt hatte, wer sich weder um sein täglich Brot, noch um den erforderlichen Census für den Senat zu sorgen hatte, der besaß jene Unabhängigkeit, die für politische Verantwortlichkeit unabdingbar erschien.


    Ehe jedoch er mit seinen Bedenken den Vorstoß seines ehemaligen Mentors und Freundes torpedierte, erwartete er zunächst das Votum seines Vaters, welches indessen durchaus ambivalent ausfiel, jedoch zumindest den Augenmerk auf eine Kränkung des Claudius lenkte, die auch Manius Minor (obschon er damalig noch nicht imstande war gewesen, sie zu vermeiden) gravierend erschien, sodass er doch sich genötigt fühlte, an dieser Stelle zu intervenieren und dies sogleich mit dem sachlichen Kontext der Debatte zu verbinden:

    "Wie der werte Consular Claudius bemerkte, hatte ich die Ehre und das Vergnügen, das exorbitanten Engagement von Herius Claudius Menecrates persönlich zu verfolgen und sogar daran zu partizipieren. Dass er, konträr zu mir, der ich doch eine weitaus bescheidenere Leistung zu vollbringen imstande war, bisherig nicht mit einer Auszeichnung versehen wurde, kann in meinen Augen lediglich ein verfahrensmäßiges Versäumnis sein, da doch kaum mir imaginabel erscheint, wie ein Consulat engagierter zu führen gewesen wäre."
    Explizit eine Neuabstimmung über jene inzwischen lange zurückliegende Magistratur anzustoßen, erschien ihm als damaliger Quaestor Consulum nicht adäquat, doch verspürte er doch die Neigung, dies zumindest nahezulegen, um womöglich einem geneigten Consular oder gar den Consuln selbst Gelegenheit zu geben, diese Frage nochmals aufzugreifen.

    "Obschon Claudius' Fall uns indessen lehrt, dass eine Entscheidung des Senates nicht über jeden Zweifel erhaben ist, so gebe ich doch zu bedenken, dass es kaum wird möglich sein, objektive Kriterien für eine derart 'besonders engagierte Amtszeit' zu definieren, da ja allein bei den erwähnten niederen Magistraturen bereits eine Vielzahl an kaum zu vergleichenden Einzelämtern existiert, die zudem überaus stark von den jeweiligen Umständen, namentlich der Person der ihnen zugewiesenen höheren Magistrate, der politischen Herausforderungen etc. etc. dependieren. Insofern würde ich eher empfehlen, die Diskussion über derartige Auszeichnungen zu institutionalisieren, möglicherweise auch die amtierenden Consuln für alle übrigen Magistrate ihres Amtsjahres, den Princeps aber für die Consuln selbst, zu beauftragen, zur Präparation einer derartigen Abstimmung ein Dossier über die Amtsführung aller Magistrate anzufertigen, sodass dem Senat prompt vor Augen steht, welche Leistungen die Einzelne im vergangenen Jahr gezeigt hatten.


    Im Übrigen kann ich meinem Vater zustimmen, dass die Limitierung jener Auszeichnung auf die niedersten Ämter des Cursus Honorum inadäquat erscheint, ja ich eher dafür würde halten, zumindest das Vigintivirat, welches ja gleichsam eine Präparation auf die eigentlichen Ämter des Cursus repräsentiert, von einer derart umfassenden Honorierung zu exkludieren."
    Dies alles stand selbstredend unter der Conditio sine qua non, dass der Princeps überhaupt gewillt war, eine Verleihung von Grundstücken durch den Senat zu ermöglichen, sodass auch er erwartungsvoll sich der Sella Curulis des Aquilius Severus zuwandte.

    "In der Tat. Indessen möchte ich bemerken, dass diese Linie der Gens keinerlei verwandtschaftliche Relation zum Princeps Cornelius Palma besitzt. Obschon mein Vater, wie man weiß, durchaus zu den Unterstützern des verschiedenen Kaisers zählte."

    Die Rolle Manius Maiors im vergangenen Bürgerkrieg mochte im Einzelnen wenig rühmlich gewesen sein, doch bestand keinerlein Zweifel, dass die Flavia beim Staatsstreich des patrizischen Überwinders des Usurpators sekundiert hatte, weshalb sie auch unter der Tyrannis Salinators laboriert hatte.


    Hinsichtlich der Factiones vermochte der Aedil ebenfalls keine rechte Präferenz zu benennen:

    "Wir Flavii unterstützen nach Gusto verschiedene Factiones: Mein Onkel Furianus amtierte als Dominus Factionis der Purpurea, mein Onkel Aristides und mein Vetter Serenus präferierten die Russata. Ich selbst konnte mich nie gänzlich für einen Rennstall erwärmen, doch würde ich doch ebenfalls von einer gewissen Sympathie für die Russata sprechen."
    Er lächelte ein wenig versonnen, ehe er klarifizierte:

    "Ob der Factiones werden wir aber unter keinem Umstand in Streit geraten, vermute ich. Insofern sei dir freigestellt, ob und welche von ihnen du zu wählen gewillt bist."


    Die Bekanntschaften des Seius erschienen indessen eher limitiert, obschon durchaus interessant:

    "Ich meine mich zu entsinnen, den Namen Annaeus Vindex schon einmal gehört zu haben... welchem Tempel steht er denn vor? Womöglich erwähnte mein Vater ihn..."

    Dies zumindest erschien naheliegend bei einem Aedituus.

    "Doch sprich: Was für ein Rhetorenwettstreit war dies denn? Mir war gar nicht bekannt, dass du deine rhetorischen Qualitäten bereits publico unter Beweis stelltest!"

    Dass Manius Maior zumindest hinsichtlich seines Wohlbefindens keinerlei Minderungen registrierte, war eine selten gehörte, doch umso erfreulichere Novität, die Manius Minor ein wenig kalmierte, da dies ihm doch zumindest noch ein gewisses Maß an Zeit gewährte, den rechtmäßigen Übergang des flavischen Erbes sicherzustellen.


    Dass er indessen eines Tages für Aurelia Prisca würde Sorge zu tragen haben, erschien ihm gänzlich abwegig. Auch hinsichtlich des possierlichen Knaben, der zweifelsohne einst unter dem Einfluss seiner Mutter zu einem Konkurrenten würde heranwachsen, vermochte er sich nicht recht vorzustellen, wie er ihn schützte und hegte. Einzig hinsichtlich des Mädchens fühlte er sich nicht recht imstande, jene kategorische Ablehnung ihr entgegenzubringen, wie sie ihn unverdrossen anblickte und ihre kurzen Beinchen von der Kline baumeln ließ, zumal er sich beschwichtigte, dass seine Halbschwester nun ohnehin nicht um sein Erbe würde konkurrieren können und eine weitere Mitgift für eine geeignete Partie wohl kaum das familiäre Vermögen würden überlasten. Womöglich würde Minor ja Sorge tragen können, dass irgendein Aurelius diese Natternbrut zurücknahm und Quintus adoptierte, sollte Gracchus Maior einst das Zeitliche segnen.


    Um nicht nochmalig Stellung beziehen zu müssen, beschloss Minor das Thema zu wechseln:

    "Lasst uns den Abend nicht durch das Spintisieren über dein Ableben verdüstern."

    Jene Ankündigung schien auch Philonica zu erfreuen, denn sie lächelte und blickte nun fröhlicher in die Runde.

    "Werden die beiden denn noch von der Amme genährt? Meine Brüder und ich wurden alle von der gleichen Amme genährt und sie lebt noch immer im Haushalt meines Bruders!"
    Die Frage nach der Amme war nun nicht eben das favorisierte Sujet des jüngeren Flavius, zumal er nicht annahm, dass der ältere Flavius größere Freude daran würde hegen.

    "Ich bin sicher, dass Vater eher für die spätere Edukation wird Sorge tragen können als die aktuellen Fragen der Aufzucht. Da fällt mir ein: Ist der gute Artaxias noch wohlauf? Ich sah ihn gestern und heute gar nicht!"
    Artaxias war sein Paedagogus gewesen, welcher seit seiner frühesten Kindheit nicht allein als sein Hauslehrer, sondern ebenso als sein Erzieher hatte gewirkt, inzwischen aber hochbetagt war und da Minor zwar bis heute eine tiefe Verbundenheit zu ihm hegte, ihn dennoch jedoch wie einen Sklaven behandelte und entsprechend während seiner langen Absenz keinerlei Korrespondenz mit ihm hatte gepflegt, wusste er nicht recht, ob sein greiser Mentor inzwischen noch lebte, ob er gar nun seine Halbgeschwister umsorgte oder gar die Freiheit hatte erlangt.

    "Im Übrigen kann ich nur raten, den guten Quintus eines Tages auf die Rhetorenschule des Quinctius Rhetor zu schicken, soweit er bis dahin noch praktiziert!"

    "Dem Volk gefällt, was es sieht und hört, verehrter Aedil! Mit diesen Spielen manifestiert sich der Name Manius Flavius Gracchus Minor in unauslöschlicher Partizipation ihrer Gedanken. Die Emotionen sind's, welche dies bewirken! Man muss die Menschen an den Herzen packen, um sie mit sich zu reißen!"

    Die emphatische Anteilnahme des Seius amüsierte den Flavius, weshalb ein mildes Lächeln ihm echappierte, während der den frenetischen Jubel des Jünglings verfolgte. In allem erschien Ravilla geradezu exaggeriert, ob dies nun seinen Enthusiasmus in seinen Pflichten oder wie heute beim Betrachten der Künste betraf, seine Aufmachung bis hin zur häufigen Verwendung güldenen Staubes auf seinem Antlitz oder dem Duft, welchen er beständig zu verbreiten pflegte. Alles in allem war er, similär zu den Galli der derzeitigen Festtage, eine Reminiszenz an die alexandrinischen Jahre Minors, da er doch ganz augenscheinlich ein Sohn des Orients war, demgegenüber selbst die bisweilen prunkvollen Flavii in ihrem traditionalen Auftreten und ihrer Gravitas und Dignitas geradezu bescheiden wirkten.


    "Da magst du Recht haben, mein lieber Ravilla. Doch sind die Herzen des Volkes wankelmütig, wie uns die Geschichte lehrt!"

    STASIMON


    Während Symbanes noch am Feuer saß, begann der Chor mit dem nächsten Zwischengesang, deren Zeit die übrigen Schauspieler nutzten, um sich von der Bühne zu machen.


    "Der Jüngling saß nun still am Feuer

    und hielt allein die erste Wacht.

    Bedachte lang das Abenteuer,

    das einst sein Vater hatt' vollbracht.


    Doch in Symbanes triumphierte

    der Wunsch s' dem Vater gleich zu tun.

    So stand er auf und losmarschierte

    zum Flusse Bouphorbia nun."


    Der Symbanes-Darsteller erhob sich nun tatsächlich und sprang schließlich eilig von der Bühne.


    "Er wusste nicht, dass er erfüllte

    damit des Helkos bösen Plan,

    der Muphasos die Falle stellte

    aufdass den Thron er selbst bekam."


    "Kaum war der Jüngling weggegangen

    weckt' Helkos den Muphasos auf

    berichtet' von des Prinz Verlangen,

    facht' an des Königs Sorg' darauf.


    Muphasos' Furcht war rasch entzündet,

    dass Symbanes ertrinken sollt'

    wenn nicht, wie Helkos nun verkündet

    wenn man ihn nicht gleich hindern wollt'.


    Am Morgen also eilt' der König

    mit Helkos zum Bouphorbia.

    Symbanes war voraus nur wenig

    und doch am Fluss als erster da."


    II. SZENE: AM FLUSS BOUPHORBIA


    Für die zweite Szene schwenkten die Sänger des Chores blaue Stoffbahnen hin und her, um den Eindruck des reißenden Stromes Bouphorbia zu erwecken, dazu boten die Musiker durch wildes Flötenspiel ein musikalisches Abbild der rauschenden Fluten. Durch einen Hintereingang der Scena kam nun Symbanes an die Kante der Bühne und blickte hinunter in die Orchestra, wo ihm die Fluten des Flusses entgegenflogen.

    "Bouphorbia, welch' gewalt'ger Fluss!

    Am Ufer doch ich schaudern muss!"

    Zögernd lief er an der Kante der Bühne ein Stück weiter, blieb dann wieder stehen:

    "Doch was gelang dem Vater schon,

    das sollt' auch schaffen leicht sein Sohn!"

    Mit diesen Worten warf er seinen Bogen beiseite und stürzte sich, die Arme voraus, in die Fluten. Sofort scharten sich die Chorsänger, die die "Wellen" schwenkten, um ihn und einer setzte ihn auf die Schultern, sodass es wirkte, als schwimme er auf den Fluten. So bewegte er sich ein wenig auf und ab, noch immer untermalt von der Kakophonie der Flöten.


    Da plötzlich trat Muphases, gefolgt von Helkos, auf die Bühne. Hoch erhoben stand er da und blickte um sich, bis er seinen Sohn im Fluss erblickte und seine mit goldenen Armreifen geschmückte Hand in die Richtung streckte.

    "Symbanes, Sohn, was tust du hier?

    Bei Zeus, das Herz bleibt stehen mir!"

    Überstürzt rannte er zur Bühnenkante, dem "Ufer" des Flusses. Symbanes streckte die Hand in seine Richtung, doch die Fluten trugen ihn weg von seinem Vater. Klagend und japsend rief er:

    "Vater, die Flut - fort trägt sie mich!"

    "Halt aus, mein Sohn, ich rette dich!"

    gab Muphases zurück, warf ebenfalls seinen Mantel ab und stürzte sich ebenfalls in den Fluss, wo weitere Chorsänger ihn wie seinen Sohn aufnahmen. Helkos trat inzwischen langsam schlendernd ans Ufer, von wo aus er beobachtete, die der König sich mühevoll in Richtung seines Sohnes arbeitete, während beide weiter von den wilden "Wellen" umspielt wurden. Das Flötenspiel wurde dramatischer, schwoll an, während Symbanes immer ängstlicher zu werden schien und wild mit den Armen fuchtelte. Kraftlos klagte er:

    "O weh, mir's nun der Kraft gebricht!"

    Quälend langsam arbeitete Muphases sich zu ihm vor, doch kurz bevor er ihn erreicht hatte, versank Symbanes in den Fluten.

    "Symbanes, nein! Verlass mich nicht!"

    rief der König und verdoppelte seine Anstrengungen, sodass er doch zu der Stelle gelangte, wo sein Sohn gerade untergegangen war. Auch er verschwand im Reigen der "Wellentücher" und die Flöten verstummten plötzlich. Einige Sekunden schien alles erstarrt zu sein.


    Mit einem Beckenschlag setzten die Flöten jedoch wieder ein und die Köpfe von Muphases und Symbanes stießen plötzlich wieder hervor. Offenbar hatte der König seinen Sohn herausgezogen und hielt ihn nun, während er mit dem freien Arm ans Ufer zu kommen versuchte. In Panik brüllte er:

    "Helkos, der Bogen - hilf uns schnell!"

    Helkos, der noch immer an der gleichen Stelle verharrte, wo er ans Ufer getreten war, schien langsam aus einer Starre zu erwachen. Dann lief er herbei und streckte den Bogen in Richtung Muphases.

    "Mein König, ich bin gleich zur Stell'!"

    Muphases gelang es, den Bogen zu ergreifen und zog. Mit beiden Händen hielt Helkos dagegen, doch der König zitterte:

    "Ich halt's nicht, erst Symbanes fang!"

    Ächzend schob der König Symbanes nach vorn und hängte ihn über den Bogen, mit dem Helkos sie beide hielt. Mit einem weiteren Stoß fiel der leblose Prinz aufs Ufer.

    In diesem Moment richtete sich Helkos auf.

    "Heil dir, mein König - lebe lang!"

    rief er und ließ den Bogen los. Sofort wurde Muphases fortgerissen und verschwand in der Flut aus Chorsängern, "Flut-Tüchern". Die Musik schwoll noch einmal an, doch das laute Lachen von Helkos übertönte die Instrumente mit ihrem tragischen Klang.

    Erst nach einer Weile schwoll der Klang ab und verlief in einer leisen, traurigen Melodie.


    Da ertönte plötzlich ein Husten. Langsam regte sich Symbanes und Helkos trat auf ihn zu. Als der Prinz endlich den Kopf hob, blieb sein Onkel stehen und sah auf ihn hinab. Langsam schüttelte er den Kopf.

    "Symbanes, was hast du getan?"

    Der Jüngling brach wieder zusammen und hustete.

    "Ich weiß es nicht, sieh mich doch an!

    Mein Vater eilt' zur Hilfe mir,

    als ich droht' zu ertrinken hier!"

    Er sah auf und blickte um sich. Fragend blickte er schließlich zu Helkos hinauf:

    "Wo ist er nun? Los, sag es mir!"

    Ungerührt und kalt antwortete dieser:

    "Tot! Er ertrank nur wegen dir!"

    "Mein Vater tot? Das kann nicht sein!"

    Mühevoll setzte Symbanes sich auf, weiter zu seinem Onkel aufblickend.

    "O doch! Und schuld bist du allein!"

    Symbanes stürzte zurück.

    "Ihr Götter, o was soll ich tun?

    "Nur eines: Du musst fliehen nun!"

    Helkos strich sich genüsslich durch den schwarzen, ungepflegten Bart. Dann setzte er zur Erklärung an:

    "Denn wenn der ganze Hof erfährt,

    dass er nur starb, weil du begehrt

    zu sein Held, das wär' kein Glück!

    Verschwind - und komm nie mehr zurück!"


    Langsam, dann immer schneller erhob sich Symbanes. Noch einmal blickte er auf den Strom, der nun fast ruhig dahinzufließen schien, dann wieder zu seinem Onkel. Dieser zeigte jedoch keine Regung.

    Noch einen Augenblick zögerte der Prinz, dann wandte er sich um und rannte davon.

    Der Flavius genoss den Jubel des Volkes, obschon er wusste, dass dieser weniger seiner individuellen Leistung als dem Rahmen galt, in welchen er eben, indifferent, ob er diesen extraordinär gut oder lediglich dürftig füllte, gebunden war und zu dem die Finanzierung derartiger Schauspiele zählte.

    "Siehst du, Ravilla: Leicht ist's, dem Volke zu gefallen."

    , bemerkte er an seinen Tiro fori gewandt, ehe bereits das Spiel seinen Lauf nahm. Der Prolog bereits sagte ihm durchaus zu und mit anerkennendem Nicken bedachte er den Autoren neben sich, als die exotischen Namen bereits in gedanklich in ferne Gestade entführten und vor seinem inneren Auge orientalische Figuren ließen erstehen, wie er sie während seines Studienaufenthaltes in Alexandria bisweilen hatte angetroffen. Insonderheit selbstredend erschien ihm Symbanes als eine attraktive identifikatorische Offerte, da doch jene Erfahrung, beständig im Schatten des eigenen Vaters zu stehen und den Wunsch zu hegen, die eigenen Qualitäten zu beweisen, jedem jungen Aristokraten wohlvertraut waren, sodass voller Vorwitz er erwartete, welche Jagdgeschichte nun sie würde erwarten.


    Obschon die Jagd nicht eben zu seinen favorisierten Metiers zählte, war er doch genötigt zurückzudenken an den eigenen juvenilen Überschwang, der erst in Alexandreia im Sog der Epikureer war verdampft und heute sich als inverse Furcht präsentierte, den hohen Ansprüchen der eigenen Geburt nicht genügen zu können. Als daher der verschlagene Helkos den Weg bahnte, welchen die Handlung zweifelsohne würde nehmen, minderte sich die Identifikation Minors mit den augenscheinlichen Heroen der Darbietung wieder ein wenig.

    I. SZENE: JAGDPARTIE


    Über eine Hebebühne erschienen aus dem Boden heraus die vier Schauspieler, die um ein Feuer saßen. Sie alle trugen die typischen Theatermasken, kurze Mäntel und die typische Jagdkleidung römischer Aristokraten.


    Einer von ihnen, etwas kleiner als die anderen und mit einem leicht dümmlichen, bartlosen Gesicht, begann:

    "Muphases, Herr, nur staunen kann

    ich: Was bist du ein Jägersmann!

    bedenk' ich deines Bogen Schuss

    der jeden Eber fällen muss!"

    Der angesprochene trug eine Maske mit einem reifen, sorgsam gepflegten Bart und einem goldenen Diadem im Haar - offensichtlich der König!

    "O Nala, schmeichle mir doch nicht -

    ihr wisst, es ist die Übung schlicht!

    Mein Sohn, schau nicht so düster drein:

    Du wirst ein Schütz' wie ich einst sein!"

    Aufmunternd tätschelte Muphases seinem Sohn, dessen Maske den Zügen denen des Vaters glich, doch bartlos war. Dieser seufzte vernehmlich, dann erwiderte er verdrießlich:

    "Ja, ja, ich soll geduldig sein

    und an dem steten Üben freu'n...

    Ich wünscht', schon wär' er da, der Tag,

    da ich an Kraft dir gleich sein mag!"


    "Du wirst einst stärker sein als ich,

    doch heute nicht - gedulde dich!

    Doch geht's nicht schneller, wenn man wacht.

    D'rum geh' ich schlafen, gute Nacht!"

    Muphases erhob sich und holte aus dem Gepäck eine Decke hervor. Dann legte er sich ein wenig abseits schlafen. Auch Nala gähnte herzlich und bereitete sich in einiger Entfernung eine Schlafstätte.


    Dafür rutschte Helkos ein wenig näher an Symbanes heran. Seine Maske zierte eine hässliche Narbe, die sein verschlagenes Gesicht längs durchzog. Der Königssohn sprach seinen Onkel mit unüberhörbarer Frustration an:

    "Mein Onkel Helkos, höre mich -

    ich hör' nur stets: Gedulde dich!

    Ich bin nicht mehr ein Knäbelein -

    ich will jetzt gleich der König sein!"

    Helkos nickte und sah verstohlen hinüber zu dem schlafenden Muphases, ehe er mit betont mitleidiger Stimme antwortete:

    "Ich weiß, voll welchem Drang du bist,

    der auf die Prob' begierig ist!

    Muphases einst war jung wie du

    und hörte nicht den Alten zu!

    Er wagte Heldenstück' sogar

    und schwamm durch den Bouphorbia!"

    Symbanes blickte seinen Onkel fragend an:

    "Bouphorbia? Das hört' ich schon..."

    "Gewiss, der breite, reißend' Strom,

    der nah von hier durchzieht das Land

    und vor dem mancher hilflos stand.

    Obwohl es ihm verboten war

    errang Muphases Ruhm so gar!"

    Helkos hielt plötzlich inne und ergriff Symbanes' Schultern mit beiden Händen.

    "Versprich jedoch, dass du bleibst hier

    und schaffst nicht auch Gefahr so dir!

    Ich wär' untröstlich, solltest du

    's ihm gleichtun und dir stößt 'was zu!"

    Der Jüngling wusste offenbar nicht, was er sagen sollte, doch Helkos schien zufrieden, denn er ließ ab und machte sich ebenfalls daran, sein Nachtlager vorzubereiten.

    "Geduld' dich, wie Muphases spricht -

    wach' du zuerst und träume nicht!"


    Mit einem Gähnen legte Helkos sich nieder und ließ den jungen Prinzen zurück, der nun allein zwischen den schlafenden Jagdkameraden saß.

    PROLOG


    Der Applaus legte sich bald wieder (war doch eine Steigerung vonnöten, um später den eigentlichen Akteuren des heutigen Tages ihre Anerkennung zu erweisen) und nicht lange darauf erschollen auf ein Zeichen Fanfaren und gespannte Stille trat ein.


    Dann begannen die Chorsänger, welche sich in der Orchestra bereits aufgestellt hatten, mit dem gesungenen Prolog:


    "Quiriten, hört nun die Geschichte

    aus des Muphases Königreich,

    aufdass einjeder selbst nun richte

    über die Mär, die folget gleich:


    Muphases hatte einen Erben:

    Symbanes, sein geliebter Sohn,

    der sollt regieren, wenn er sterben

    würd', und erhalten seinen Thron.


    Doch wollt’ der Jüngling nicht gern warten,

    und strebte stets nach Ehr' und Ruhm

    wollt' wie sein Vater Heldentaten

    vollbringen und noch größ'res tun.


    Des Königs Bruder unterdessen,

    mit Namen Helkos ward genannt

    war gleichsam auf den Thron versessen,

    doch hob nie offen seine Hand.


    So ging der König einst zum Jagen

    nahm mit den Bruder und den Sohn,

    auch einen Sklaven, um die Beut‘ zu tragen:

    Nala, Symbanes‘ Freund seit langem schon.


    Der Tag, er eilte gleich den Hirschen,

    auf die mit Bogen und mit Pfeil

    die Männer zielten nach dem Pirschen,

    und wetteiferten darum derweil.


    Muphases war wie stets der beste,

    dem beinah' jeder Schuss gelang.

    Symbanes trotz des Eifers blieb der letzte,

    auch Helkos blieb zurück solang.


    Des Abends Lager nun sie hielten

    an einem recht einsamen Ort.

    Ein wohlig Feuer dann sie schürten

    und brieten ihre Beute dort."

    Als Editor jener Spiele kam der Aedilis Curulis selbstredend ein wenig später als das übrige Auditorium, sodass das Volk ihren Euergeten sah und ihm durch seinen Applaus Dank für die kostenfreien Lustbarkeiten zollen konnten. An seiner Seite durften auch sein Tiro fori sowie weitere Familiaren die beste Loge seitlich der Cavea Platz nehmen und auch Irenaeus Meccius, der Poet, war geladen worden.


    "Nun, Meccius, ich bin voller Erwartung!"

    , erklärte Minor vergnügt, da in der Tat dieser Spieltag innerhalb der ganzen Megalesia der liebste war, bereiteten doch Wagenrennen ihm nur limitierte Freude, während die Magie der Sprache seit jeher ihn in seinen Bann zog.

    "Ich hoffe, Iakobus Ioannes Princeps ist nicht zu aufgeregt. Er hatte gerade ziemliches Lampenfieber!"

    , erwiderte der Dichter und lächelte ein wenig insekur, da augenscheinlich auch ihn die Perspektive der Uraufführung seines Stückes nicht eben in behagliche Ruhe versetzte. Der Flavius nickte mit seinerseits mildem Lächeln, da der auch als Pantomimus bekannte Darsteller bekannt war und seine Furcht unmittelbar vor dem Auftritt in ganz Rom bekannt.

    Seit altersher gehörten zu den Ludi Megalenses nicht nur die äußerst populären Wagenrennen, sondern ebenso musische Darbietungen, die vielfach Bezüge zu den Mythen der Götter hatten, gelegentlich jedoch auch gänzlich profane Sujets bedienten und sich gemeinhin ebenfalls größter Beliebtheit erfreuten. Zahlreiche Autoren, darunter etwa der noch immer bekannte Maccius Plautus, hatten in diesen Tagen somit die Uraufführungen ihrer Stücke erlebt, weshalb die Connoisseure der römischen Theaterszene jenem Datum mit besonderer Inbrunst entgegenfieberten.


    Der diesjährig zuständige Aedilis Curulis Manius Flavius Gracchus Minor selbstredend hatte ebenfalls sich um eine Schauspieltruppe mit einigem Renomée bemüht, welche am dritten Tag der Spiele, die traditionell dem Schauspiel waren gewidmet, ein neues Stück würden debütieren. Der Autor des Stückes war ein aufstrebender Poet namens Irenaeus Meccius, welcher bereits im vergangenen Jahr einige namhafte Darbietungen hatte verantwortet, sodass der Flavius ihn gern unter Vertrag hatte genommen, um seine neueste Schöpfung dem Publikum zu präsentieren, die, wie die allseits verbreiteten Aufschriften an Häuserwänden und auf Tafeln bekannt gaben, einen überaus verheißungsvollen Titel eignete:

    LUDI MEGALENSES
    AEDILIS CURULIS M' FLAVII GRACCHI MINORIS


    COMPARANT


    REX LEONUM


    COMOEDIA

    IRENAEI MECCII
    IN THEATRO POMPEIO


    Als am Morgen des Tages die ersten Zuschauer in das benannte Theater strömten, lag dieses noch recht leer da: Das Bühnenbild des Theaters zeigte sanfte, karge Hügel, die auf die Leinwände zwischen den Säulen gemalt waren und gut zu der sonstigen Leere des Pulpitum passten, wo die Schauspieler gleich spielen würden. In der Orchestra hingegen hatte der Chor bereits seinen Platz eingenommen und den trällernden Stimmen hier und da war zu vernehmen, dass mancher noch seine Stimme ölte, um sodann eine imposante Darbietung geben zu können.

    Der Miles war augenscheinlich nicht verlegen, was den Aedil erstaunte, da doch ein derartiges Missverständnis bei einem derart potenten Gegenüber nicht wenigen gestandenen Quiriten die Schamesröte ins Gesicht hätte getrieben. Indessen sprach es letztlich für die Gelassenheit sowie das Selbstbewusstsein des Purgitius, was der Flavius durchaus anzuerkennen genötigt war.

    "Nun, wie euch zweifelsohne bekannt ist, finden die Ludi alljährlich vom Tage vor den Nonen des Aprilis bis zum vierten Tag vor den Iden des Aprilis statt und folgen einem uralten Ablauf, welchen zu disturbieren ich nicht geneigt bin: Am ersten Tage werden die Galli in festlichem Umzug vom Palatin aus das Kultbild der Magna Mater auf einem Wagen in den Circus Maximus transferieren, wo ein öffentliches Opfer stattfindet. Am dritten Tage gedenke ich Theaterdarbietungen im Theatrum Pompeium abzuhalten, am letzten Tage indessen Wagenrennen unter den Augen der Kybele im Circus Maximus. Eine Besonderheit mag sein, dass ich bereits am ersten Tage die Pompa circensis in den kultischen Umzug integrieren möchte, sodass womöglich einige Rennsport-Freunde mehr als üblich den Gesängen der Priesterschaft lauschen werden."

    Diese Variante hatte er ersonnen, da er doch erfahren hatte, dass gerade die rein religiösen Umzüge sich vielfach schwindender Beliebtheit erfreute, sodass die Aurigae der Factiones hier eine zusätzliche Attraktion boten.

    "Welche weiteren Details wären für eure Präparationen erforderlich?"

    Für Manius Minor war der Auftakt der Ludi Megalenses ein großer Tag. Obschon er bereits als Quaestor an den Spielen seines Mentors Menecrates als Mit-Editor war aufgetreten und gar mit ihm an der Pompa circensis hatte partizipiert, so war es doch different, wenn die Ludi unter den eigenen Auspicia stattfanden, zumal die hiesigen nicht allein mit vergnüglichen Rennen, die sein Tiro fori Seius Ravilla trefflich hatte präpariert, sondern ebenso mit kultischen Akten waren verbunden. Früh am Morgen also hatte er die Tunica palmata sowie die purpurne Toga picta angelegt, die vor ihm bereits zahlreiche flavische Triumphatoren und noch weitaus mehr Editoren der städtischen Spiele aus seinem Geschlecht hatten getragen, und war mit seiner Entourage hinaufgestiegen zum Palatin, auf welchem der heute einzig legitime Triumphator zu residieren pflegte, der aber zugleich die Heimstätte der Großen Mutter war, zu deren Ehren die heutigen Spiele wurden vollzogen.


    Obschon er präpariert war gewiesen, war der Flavius beim Anblick der Galli erstarrt, erweckten sie doch Reminiszenzen an seine alexandrinische Zeit, wo derart orientalische Kulte weitaus verbreiteter waren gewesen als in der Urbs, selbst wenn er diesen nur in recht beschränktem Maße hatte gefrönt. Mit Scham bedeckte ihn vielmehr die Aufmachung der Priester in ihren weibischen Kleidern, mit ihren langen Haaren und jenem betont unmannhaftem Habitus, da doch sie ihm gleichsam als Spiegelbild seiner eigenen Vergangenheit im Kreise der Myrmidonen erschienen, die einst similär zu den Galli, doch aus konträren Gründen, ihre standesgemäßen Gewänder gegen Frauenkleider hatten getauscht und all das hinter sich gelassen hatten, was für einen wohlanständigen Aristokraten, sei es hellenischer oder quiritischer Provenzienz, geraten erschien. Fortunablerweise waren sie damalig im Rausche des Opium zumindest nicht auf den Gedanken gekommen, sich selbst zu entmannen, obschon ihm dies retrospektive nicht gänzlich abwegig erschien, dass er sich zu einem derart abstrusen Handeln hätte entschlossen.


    Immerhin tröstete Minor der Umstand, dass dieses Spektakel nicht aus Vergessenheit der Unsterblichen (wie seine infantilen Einlassungen damals), sondern konträr aus Pietas erfolgten, sodass es ihm gelang, sich fürderhin auf das Voropfer der Galli und Quindecimiviri sowie den Abmarsch zu konzentrieren. Sodann stieg auch er auf seine Biga und reihte sich hinter das Kultbild der Großen Mutter ein, sodass beständig ihm deren silberne Mauerkrone vor Augen blieb, während sie den geschwungenen Weg vom Palatin hinab zum Forum antraten, auf dem die Knechte waren bisweilen genötigt, die Pferde (respektive Löwen) zu bremsen, um nicht in unwürdiger Velozität den nobelsten der römischen Hügel herunterzurasen.

    Dem Flavius echappierte ein vergnügtes Lachen, als der Miles sich nach seinem Verbleib erkundigte, da doch so augenscheinlich er die gesuchte Person war, wie nicht allein sein extravagantes Sitzmöbel, auf dem zu sitzen den curulischen Magistraten sowie diversen kaiserlichen Amtsträgern vorbehalten war, sondern ebenso seine Position inmitten der Exedra der Basilica und umgeben von einer Schar an dienstbaren Geistern recht deutlich anzeigte.

    "Ich bin es höchstselbst. Meinen Scriba würde ich kaum auf der Sella Curulis Platz nehmen lassen."

    , erklärte er daher mit sichtlichem Amusement und deutete auf seine Brust. Da der Sprechende, dem augenscheinlich sämtliche Insignien seines hohen Amtes waren entgangen, in der dritten Person von einem Miles Purgitius sprach, hielt Minor dafür, dass es sich bei dem schweigenden Miles um jenen Purgitius handelte, sodass er sich diesem zuwandte.

    "Nun, Miles Purgitius: Ich danke euch, dass ihr gekommen seid, um mit mir die offenen Fragen zu erörtern. Wie umfangreich nimmt sich der Klärungsbedarf denn eurerseits aus?"

    Je nach dem würde er dies rasch in persona klären oder an einen seiner Berater delegieren.