Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    Nicht allein die Lupanare waren der Obhut der Aedilen verblieben, auch die Garküchen agierten unter dem scharfen Auge jener traditionellen Magistrate, denen sonst Praefectus Urbi und weitere kaiserliche Beamte zahlreiche Obliegenheiten hatten geraubt. Auf einer seiner bisweilen persönlich durchgeführten Inspektionen führte der Weg des Aedilis Curulis daher auch in die Taberna zum lallenden Löwen, nicht wissend, dass hierbei es sich um die einstige Herberge seines Tiro fori handelte.


    Wie gewöhnlich war Manius Flavius Gracchus Minor nicht allein von Seius Ravilla, sondern ebenso von einer Schar an Apparitores begleitet, welche ohne zu klopfen durch die offen stehende Tür in den Gastraum traten. Der Flavius, angetan mit der Toga praetexta seines Amtes, blickte fragend um sich:

    "Wer ist der Inhaber dieses Etablissements?"

    STASIMON


    Wieder war der Chor an der Reihe, um das Geschehen zu kommentieren und der Technik Zeit für die Vorbereitung der finalen Szene zu verschaffen:


    "Des Vaters Wort traf schwer den Knaben:

    sein Schicksal er ergreifen sollt'!

    Konnt' weder Lust, noch Rast mehr haben,

    eh' er gen Heimat kommen wollt'.


    In seinem Ohr Muphases Worte

    hallten so laut wie Kriegsgeschrei,

    des Blutes Pflicht in ihm nun bohrte,

    dass er der wahre König sei.


    Dass seines Vaters Land verderbe

    Helkos als grässlicher Tyrann,

    mahnt' ihn, zu treten an sein Erbe,

    aufdass sein Volk er retten kann.


    So neuerlich ließ er sein Leben

    zurück mit jenen Freunden dort,

    statt nach der reinen Lust zu streben,

    zog nun sein Herz zum Thron fort.


    So musst' zum Vaterland er ziehen,

    das unter der Tyrannis litt.

    Dem Schicksal konnt' er nicht entfliehen,

    dass er um's Vaterland nun stritt."


    V. SZENE: ANTE REGE


    Die Mechanik des Theaters wendete die Kulissen und zeigte nun eine prächtig geschmückte Säulenhalle, die offenbar zu einem Königspalast gehörte. Über eine Falltür erhob sich aus dem Boden ein prächtiger Thron, auf dem Helkos, gekleidet in purpurnen Mantel, eine goldene Krone auf dem Haupt und umgürtet mit einem reich verzierten Schwert, saß. Das Orchester spielte leise festliche Musik, wie sie zu einem Thronsaal passte.


    Da plötzlich betrat Symbanes, ebenfalls mit einem Schwert umgürtet, die Bühne und schritt zügig auf den Thron zu. Die Musik verstummte. Helkos sah sich um und rief verärgert:

    "Sagt mir, wer dieser Fremde ist!"

    Dann blickte er genauer zu dem Jüngling, der sich nun direkt von seinem Thron aufbaute.

    "Bei Hades - du Symbanes bist!

    Wie kommt's, dass du so frech dich zeigst?"

    Er wartete einen Augenblick auf eine Antwort, doch Symbanes erwiderte nichts. Helkos machte eine wegwerfende Handbewegung.

    "'S ist besser für dich, wenn du schweigst!"


    Helkos lachte auf, doch Symbanes ergriff nun doch das Wort und erklärte mit kühler Stimme:

    "Ich zog durch meines Vater Land,

    das einst man reich und blühend fand!

    Doch nun ist dies' einst stolze Reich

    verarmt und öd und brach zugleich!"

    Drohend hob Symbanes den Zeigefinger und deutete anklagend auf seinen Onkel.

    "Ein Fluch ist deine Herrschaft hier -

    sie hat ein End': Das sag' ich dir!"


    Helkos schien wie vom Donner gerührt. Dann aber lachte er wieder und erhob sich langsam und umständlich. Mit der Hand wies hinunter zum Chor, der nun in leuchtende Gewänder gekleidet war und den Hofstaat repräsentierte. An sie gerichtet sprach er:

    "Er redet viel, der junge Mann,

    von dem ich auch berichten kann!

    D'rum hör', mein Volk, was ich nun sag':"

    Er legte die Hand theatralisch auf seine Brust.

    "-Ich meine den verfluchten Tag,

    an dem Muphases, der vor mir

    so gut und recht regierte hier,

    mitten im Leben ohne Not

    ganz unerwartet fand den Tod:"

    Wieder wandte sich der König an Symbanes und fragte mit triumphalem Unterton:

    "Erinnerst du dich noch an sie,

    die schicksalsvolle Jagdpartie?"

    Tatsächlich wirkte Symbanes plötzlich verunsichert und sank ein wenig zusammen. Nervös blickte er hinunter in die Menge des Chors.

    "Ich will erzählen, damit man

    Symbanes auch recht schätzen kann:

    Denn ohne diesen Knaben hier

    regiert' Muphasos noch statt mir!"


    Erschrockene Laute erklangen aus der Schar des Chors. Hilflos hob Symbanes die Hände zu einer beschwichtigenden Geste.

    "Ich will's erklären-" "Mörder, schweig'

    Bis ich dem Volk die Wahrheit zeig'!"

    fuhr Helkos dazwischen und hob mahnend den Zeigefinger. An den Chor gewandt setzte er nun an:

    "Der Prinz, Muphases und auch ich

    auf Jagdpartie befanden sich,

    als morgens dann der Königssohn

    schlich heimlich sich von uns davon!


    Er lief zum Fluss Bouphorbia,

    den zu durschwimmen ja sogar

    den Helden nie gelungen ist -

    bis auf Muphases, wie ihr wisst!


    Doch dieser Knab', von Hochmut voll,

    glaubt', dass dies Ruhm ihm bringen soll,

    wenn er allein den Fluss durschwimmt,

    der doch so viele Leben nimmt!"

    Die Worte riefen erstaunte Reaktionen des Hofstaats hervor, während Symbanes kleiner und kleiner zu werden schien. Genüsslich fuhr Helkos fort:

    "Ich mach' es kurz: Er sprang hinein,

    noch ehe wir ihn holten ein.

    Doch kam es, wie es kommen muss -

    der große Held versank im Fluss.


    Kläglich er nur um Hilfe rief,

    worauf der König eilends lief

    und aus der Vaterliebe schwer

    dem Sohne sprang gleich hinterher!"

    Helkos hielt wieder inne und hob bedeutungsvoll den Zeigefinger, seine Stimme klang beinahe triumphal:

    "Doch anders als beim letzten Mal

    wurd' dieses Bad katastrophal:

    Er packte noch den Knaben zwar,

    doch der zu große Last ihm war.


    So hat den Sohn mit letzter Kraft

    er noch zum Ufer hochgeschafft -

    doch schaffte er es selbst nicht mehr

    und sank zum Grund des Flusses schwer."

    Seine Stimme troff vor falscher Trauer, er schlug sich theatralisch an die Brust und senkte das Haupt. Dann aber deutete er wieder anklagend zu seinem Neffen:

    "So war's der Stolz des Knaben hier,

    der Bruder raubt' und König mir!

    Durch seine schwere Schuld allein

    müssen wir ohn' den Vater sein!

    D'rum greift ihn euch, ich klag' ihn an,

    sei's Aug' um Auge, Zahn um Zahn!"


    Mit diesen Worten riss Helkos sein Schwert aus der Scheide und griff Symbanes an. Dieser beeilte sich, ebenfalls sein Schwert zu ziehen und ein heftiger Kampf entbrannte. Voller Zorn trieb Helkos seinen Neffen über die Bühne, seine heftigen Bewegungen führten sogar dazu, sodass ihm die Krone vom Kopf fiel und scheppernd davonrollte. Symbanes musste zurückweichen und parierte notdürftig die mächtigen Hiebe. Der Chor und das Orchester intonierten dazu einen unverständlichen, aber dramatischen Gesang.


    Plötzlich stand Symbanes mit dem Rücken zur Kante der Bühne und auf einen weiteren Schlag seines Gegners verlor er das Gleichgewicht, ließ erschrocken das Schwert fallen und fiel ins Leere. Gerade noch gelang es ihm, sich mit den Armen an der Kante abzufangen, sodass er schließlich hilflos dort hing. Helkos lachte hysterisch auf.

    "Hab' ich dich! Ich hab's erreicht,

    dass der Sohn dem Vater gleicht!

    Einst blickt' Muphases, wie du hier,

    armselig aus der Flut zu mir!


    Wie leicht es war, ich stieß ihn weg

    und bracht' den König selbst zur Streck'.

    Einst tötet' ich den Vater schon -

    und heute töte ich den Sohn!"

    Mit diesen zunächst triumphierenden, dann immer hasserfüllteren Worten holte Helkos mit seinem Schwert aus, hielt jedoch inne, als Symbanes sich plötzlich hochzog und auf seine Arme stützte. Trotzig blickte der Prinz hinauf zu seinem Onkel.

    "Mörder! Ihr hört's aus seinem Mund:

    Mein Vater starb durch diesen Hund!

    Doch schwör' ich: Niemals wird es sein,

    dass du verlöschst die Linie mein!"

    Mit einem Satz bekam er ein Bein über die Kante und sprang auf, im Aufstehen sein Schwert wieder ergreifend. Noch ehe der sichtlich überraschte Helkos sich versah, nahm Symbanes den Kampf wieder auf.


    Nun war er derjenige, der kraftvolle Hiebe führte, während Helkos zurückwich. Und es dauerte nicht lange, da schlug ein besonders heftiger Hieb des Prinzen Helkos hinten überstürzen ließ, sodass er sein Schwert verlor und auf dem Rücken von seinem Neffen lag. Ängstlich hob er die Hände.

    "Symbanes, sei doch gnädig mir,

    so wie dein Vater war vor dir!"

    Der Jüngling ließ sein Schwert sinken und schüttelte den Kopf.

    "Welch' Keckheit, dass nach deiner Tat

    du wahrlich flehst bei mir um Gnad'!

    Und führst Muphases noch im Mund,

    des' Tod ja ist dein's Schicksals Grund!


    Kein Gott, kein König dem vergibt,

    der jenen tötet, der ihn liebt!

    Dem Brudermörder ist's g'nug Gnad',

    wenn er ein End' wie du nun hat!"

    Mit diesen Worten packte Symbanes sein Schwert mit beiden Händen und rammte es Helkos in die Brust. Dieser bäumte sich mit einem Schrei auf und eine kleine Blutfontäne schoss aus der Mundöffnung seiner Maske.


    Mit einem Ruck zog der Jüngling das Schwert wieder aus der nun zusammensackenden Leiche und wischte die Klinge an dem purpurnen Mantel des Toten ab. In diesem Augenblick eilte Nala, bisher im Chor verborgen, die Treppe zur Bühne hinauf.

    "Mein Herr, wir hörten Helkos' Wort

    von jenem grässlich' Brudermord!

    Wie froh bin ich, dass Helkos hat

    bezahlt für seine Missetat,

    dass nun sein Joch vorüber ist,

    weil du der wahre König bist!"

    Er eilte hinüber zu der Krone, die noch immer auf dem Boden lag, und brachte sie zurück zu dem noch immer schnaufenden Symbanes. Mit gravitätischer Geste setzte er sie dem Jüngling aufs Haupt.

    "Heil dir, gerecht nun herrsche hier,

    wie's einst dein Vater tat vor dir!"

    Mit diesen Worten ergriff Nala die Hand seines Herrn und reckte sie triumphierend nach oben. Applaus brandete auf.


    ~~~ finis ~~~

    Nachdenklich strich sich Manius Minor über das feiste Kinn, als Ravilla seine Haltung erläuterte. Panta rhei, wie bereits der weise Heraklit hatte bemerkt, war zweifelsohne ein stets gültiger Gemeinplatz, der doch gerade für die Politik war von größter Bedeutung!

    "Ich muss konzedieren, dass es gerade ob der Komplexität der Problemlagen einiges für sich hat, Schwerpunkte zu bilden und diese an den vordringlichsten und augenscheinlichsten Problemen der Plebs selbst auszurichten. Ich würde zwar, wäre ich dem Glücksspiel ein wenig holder, eine beachtliche Summe darauf wetten, dass weniger Seuchen oder Schmutz als der Hunger, respektive die Begierde nach dem Haben Menschen dazu treibt, illegale Aktivitäten zu verfolgen."

    Dies wie die Unerschöpflichkeit jener Begierde war es wohl auch, warum sich in allen Schichten und Klassen kriminelle Subjekte fanden, da letztlich nur die Tugend oder Ataraxie der Philosophen den Menschen gefeit machte, sich zu derartigen Verlockungen frei zu machen, was indessen gerade dem Pöbel bereits ob der fehlenden Bildung kaum zugänglich war.

    "Indessen gebe ich dir recht, dass man jene ungefilterten Wünsche und Klagen mit erfahrenen Köpfen erörtern muss. Denn eines ist gewiss: Werden wir fünfhundert oder tausend Annona-Marken mehr ausgeben, so werden trotzdem noch weitaus mehr Menschen nicht begünstigt sein als jene, die begünstigt sind. Alle Mäuler durch den Fiscus zu stopfen, wird hingegen empfindliche Kosten verursachen. Und hier, mein Freund, beginnt im Grunde das schnöde Handwerk der Politik: Nicht in den Visionen, sondern in den Kompromissen und Konflikten, um jene Visionen in die Realität zu bringen.

    Daher möchte ich nun umgekehrt fragen: An welchen Stellen würdest du denn Gelder einsparen, um neue Segnungen für die Plebs zu finanzieren?"
    Der Flavius freute sich ein wenig, jene in seinen Augen durchaus schwierige Frage ersonnen zu haben, welche seinen Tiro womöglich ein wenig von dem Idealismus des Nachwuchs-Politikers zum Realismus des praktizierenden Staatsmannes würde führen.

    RUNDE I


    Aufmerksam lauschte der Flavius den Ansagen der Kommentatoren über die Qualitäten der heute antretenden Aurigae, welche erfreulicherweise zur Crème de la crème der römischen Rennställe zählten, was wiederum den Editor beehrte, aber auch die Jubel- und Schmährufe der Plebs, die ihre Stars ebenso feierte wie in früheren Zeiten Triumphatoren. Dann aber verschwanden die Gespanne in den Startboxen und dem Volke wurde die Zeit ein wenig durch fliegende Händler vertrieben, welche Erfrischungen und kleine Köstlichkeiten offerierten. Auch der Aedil sowie sein Tiro fori, welcher heute das Regiment führte, hatten einige Nüsslein präparieren lassen, sodass Minor zunächst ein wenig naschte und dann nach einem weiteren Schluck Weines endlich an die Brüstung der Loge trat, von wo aus die tausenden Zuschauer ihn und das weiße Seidentuch, welches er zückte, sehen konnten.


    Die Fanfaren erschollen und gespannte Stille legte sich über jenen gewaltigen Hexenkessel, der recht leicht erkennbar in verschiedene Felder war unterteilt, die jeweils die Anhänger einer bestimmten Factio favorisierten: hier grün, dort weiß, dort wiederum rot und in der entfernten Kurve auch das gelb-güldene Schimmern der Aurata. Wohl niemals in seinem Leben, selbst nicht bei der Einweihung des Ulpianum, bei welcher er in jungen Jahren die Elogie auf Prudentius Commodus hatte gehalten, war derart gespannte Appetenz auf ihm gelegen, hatten tausende Augenpaare sich ihm zugewandt und jede seiner Regungen verfolgt. Ein Wirbel der Pauken setzte ein, als er sichtbar wurde und gravitätisch das Tüchlein ausstreckte und mit spitzen Fingern über die Brüstung hielt. Dann endlich öffnete er die Hand und ein Windbausch erfasste das Tuch, trug er fort in Richtung Aurata, wirbelte es scheinbar endlos lange durch die Lüfte und trieb es doch unaufhaltsam gen Erde, sodass die Ruhe der Menge fast unerträglich in die Länge wurde gezogen.


    Minor kniff die Augen zusammen, um den weißen Stoff weiter zu fixieren, doch vermochte er nicht recht zu sagen, wie weit es noch vom Boden war entfernt, sodass erst das neuerliche Ertönen der Fanfaren kündete, dass es die Erde endlich hatte touchiert. Mit einem Knall wurden die Tore der Startboxen hinabgeschleudert und das Rennen nahm seinen Lauf!

    Umsichtig nahm der Aedil die Patera entgegen und mühte sich, nicht durch Zittern oder eine Unachtsamkeit jenen Wein zu vergießen, den Ravilla ihm in die flache Schale goss. Erst danach und unter Intonation eines Weihegebetes ergoss er den Rebensaft über das Kalb, welches augenscheinlich trefflich war mit Kräutern betäubt worden, sodass er geduldig und ohne Widerstand das kühle Nass auf seinem Haupte akzeptierte.


    Darauf folgte das Opfergebet, welches nun endlich die Große Mutter selbst adressierte:

    "O Magna Mater vom Berge Ida,

    Kybele, Tochter des Meon und Mutter der Quiriten!

    Schon der göttliche Aeneas verehrte dich im fernen Troja und genoss dafür deinen Schutz!

    In höchster Not eiltest du unserem Volk zu Hilfe und kamst vom fernen Pessinus nach Rom, um uns Mutter und Schirmerin zu werden!

    Seither beschirmst du unsere Stadt mit deiner Gnade.

    Wie alle Jahre feiern wir heute den Tag deiner Ankunft in unserer Mitte mit gerechten Gaben, mit Lustbarkeiten und Festen!

    Nimm an unser Opfer zu deiner Ehre und gewähre uns dafür weiter deinen Schutz vor allen Feinden, vor Pest und Gefahr!

    Beschirme das Volk der Quiriten wie du es seit deiner Ankunft in unserer Mitte getan hast!"
    Mit ausgebreiteten Armen intonierte der Flavius das Gebet, welches ein Quindecimvir ihm einsagte, ehe mit einer Wendung nach rechts er sich neuerlich seinem Opferhelfer zuwandte, der nun ihm das Moretum darzureichen hatte.

    Minor war nicht allein ob seiner kritischen Gefühle, sondern ebenso aufgrund seiner Fehlsicht weniger empfänglich für das unschuldige Minenspiel seiner Halbgeschwister, weshalb lediglich er zweifelnd zu dem Knaben blickte, als Manius Maior dessen starkes Temperament thematisierte. Vortrefflich erinnerte er sich, seinen bereits damals betagt ihm erscheinenden Paedagogus bisweilen zur Weißglut getrieben zu haben, obschon er retrospektive er sich als recht braves und folgsames Kind erachtete. Einen Rotzlöffel, welcher womöglich absichtlich seinem einstigen Protektoren Kummer bereitete, würde jener wohl tatsächlich nicht verkraften, zumal Minor mitnichten verhoffte, dass jener verdiente Diener des Hauses Flavia auf seine alten Tage noch mit derartigen Lasten sollte beschwert werden.

    "Womöglich könnte Artaxias mir auch als Scriba personalis oder dergleichen zu Hand gehen, wenn ich nun nach einem Amt strebe. Seine umfassende Bildung und Stilistik würde mir sicherlich auch jenseits der Kinderstube zum Nutzen gereichen."
    , offerierte er daher eine alternative Verwendung für seinen greisen Ziehvater.


    Es dauerte nicht lange, ehe den Kindern das Mahl fad wurde und sie drängten, zu ihrem Spiel zurückzukehren. Auch Philonica erbat sich endlich, sich zu retirieren, sodass die Gesellschaft bald sich auflöste und jeder seinem Tagewerk wieder nachging.


    ~~~ finis ~~~

    Analyse und Auswertung - hier sprach zweifelsohne ein Philosoph aus dem jungen Seius, wie Manius Minor anerkennend notifizierte. Indessen implizierte jene theoretisch höchst kohärente Vorgehensweise einen Pferdefuß:

    "Eine Befragung in den Elendsvierteln? Was erwartest du, dass du dort wirst erfahren?"
    , warf der Aedil daher kritisch ein.

    "Selbstredend kann man dies tun, doch reicht zumeist der Horizont der Plebs kaum hin, die eigene Situation umfassend zu erfassen oder gar adäquate Mittel zur Lösung aus ihrer Misere zu erdenken, da sie sonst ja zweifelsohne nicht in dieser würden verharren!"

    Als Aristokrat vermochte der Flavius selbstredend nicht different zu denken:

    "Sie werden mehr Getreidespenden, günstigeren Wohnraum, mehr Spiele und höhere Löhne fordern, wie ich vermute. Doch ob jene Wünsche tatsächlich genügen würden, wage ich zu bezweifeln. Eben deshalb ist es ja gute Tradition in unserer Res Publica, dass nicht alle, sondern die besten Männer die Geschicke des Staatswesens lenken."

    Die Agitation der alexandrinischen Demokratie zumindest, die zweifelsohne auf ähnlichen optimistischen Überlegungen beruhte, hatte Minor nicht sonderlich erquickt, zumal auch dort der Pöbel ja diesem oder jenem Demagogen nachlief, anstatt selbst darüber nachzusinnen, was das beste für ihre eigene Situation mochte sein.

    "Insofern ist es durchaus recht, kluge Menschen mit einer Innensicht zu befragen, doch wirst du jene, wie ich vermeine, weniger in den Elendsvierteln finden als in den Hallen des Senates, in der kaiserlichen Administration und an anderen exaltierten Positionen, wo sich die Erfahrenen und Gebildeten innerhalb unseres Staatswesens zu versammeln pflegen. Ob diese dir dann tatsächlich ein leichtes Konzept werden verraten können, um die Probleme der Armut, der Seuchen und dergleichen zu beheben, wage ich ebenfalls zu bezweifeln, da doch sonst zweifelsohne bereits unsere Väter oder deren Väter, welche an Klugheit uns nicht nachstanden, sie bereits zur Anwendung hätten gebracht, sodass wir nunmehr auf einer Insel der Seligen würden leben. Dennoch hast du selbstredend Recht: Wir sollten nicht schlicht uns mit dem Erschröcklichen abfinden, sondern beständig daran arbeiten, das Leiden zumindest relativ zu mindern."

    Obschon Manius Minor die Organisation jenes großen Rennens nahezu gänzlich in die Hände seines Tiro fori hatte gelegt, der abseits der Kontaktaufnahme mit den Factiones nahezu sämtliche administrativen Fragen jener Darbietung hatte geklärt, begonnen bei der Kontaktaufnahme mit dem Verwaltungspersonal des Circus bis zur Sorge für die Lizensierung der Speisenverkäufer auf den Rängen, so war doch offiziell Manius Flavius Gracchus Minor als Aedilis Curulis der Editor auch jenes Spieltages, weshalb selbstredend er neuerlich in der purpurnen Triumphatoren-Aufmachung erschien, in der er sich bereits an die vergangenen Tagen hatte präsentiert. So saß er in der zentralen Loge direkt unterhalb jener Position, von der aus der Princeps die Spiele zu verfolgen pflegte und die direkt über die Domus Augustana war zu betreten.


    Ein wenig fühlte sich Minor an diesem Morgen erleichtert, da nun endlich der letzte der Tage der Ludi Megalenses war gekommen und da nun all jene Darbietungen, für die er selbst Sorge hatte getragen, abgearbeitet waren, konnte er doch ein wenig Muse aufbringen, jenen Schlussakkord unter der Ägide seines Tiro schlicht zu genießen und im Stillen seine Favoriten anzufeuern.

    Über die Inkohärenz seiner Worte, wegen der Erreichung bestimmter Ziele in die Politik gehen zu wollen, ohne jene Ziele benennen zu können, ging der Flavius hinweg, nicht ohne ein wenig Amusement darüber zu empfinden, dass nicht selten doch junge, aufstrebende Emporkömmlinge den etablierten Kreisen des Senates allzu gerne vorwarfen, ohne jedwede Ideale oder Anliegen und schlicht um der Macht willen hohe Ämter zu bekleiden, was indessen ein wohlfeiler Gemeinplatz war, dem etwas entgegenzusetzen doch nicht wenigen jener Spötter schwer fiel.


    Immerhin war Ravilla doch imstande, eine konkrete Initiative zu benennen, von deren Kontexten man in der Tat in letzter Zeit häufiger hörte und welche dem jüngeren Gracchen nicht uninteressant erschien, da er doch selbst in die Anfänge jener Debatte involviert war gewesen, als er als Quaestor dem Consul Claudius hatte assistiert.

    "Nun, so du mich fragst, erscheint mir jene Thematik überaus relevant, da doch der Sklavenaufstand und vieles mehr zeigen, dass hier eine Problematik besteht, die der Lösung harrt. Indessen stehe ich zugleich recht ratlos vor den Verworrenheiten jener Umstände, welche die Plebs in deplorabler Lage und ihre Gewaltbereitschaft hoch halten. Zweifelsohne könnten mehr Sicherheitskräfte hier für bessere Ordnung sorgen, doch frage ich mich hier wie bei den von dir insinuierten Wohltaten für das Volk, ob hier nicht derartige finanzielle Aufwände zu leisten wären, um einen nachhaltigen Erfolg zu erreichen, dass unser Imperium nur schwerlich sie wird aufbringen können oder wollen. Oder welche Maßnahmen hast du konkret im Sinn?"

    Der durchdringende Blick seines Gegenübers entging dem Flavius, da Kyriakos bereits so nahe ihm war getreten, dass seine Hypermetropie dessen Antlitz vor seinen Augen verschwimmen ließ und er somit nicht recht vermochte zu erwägen, wohin oder wen der Besitzer jenes Etablissements betrachtete.


    Mitleidigt inspizierte er hingegen die verkohlten Überreste des einst zweifelsohne stattlichen Betriebes, als Kyriakos auf das Augenscheinliche verwies und sie hereinbat.

    "Nun, es ist jedem selbst überlassen, wie und in welcher Ordnung er sein Haus hält. Und zweifelsohne werden es dir deine Kunden nachsehen, nach all jenen Strapazen, welche dich augenscheinlich trafen."

    , bemerkte freundlich er hinsichtlich der Exkulpationen. Kaum war er eingetreten, blickte er voll Vorwitz um sich in der Hoffnung, einige erotische Zeichnungen oder dergleichen als Restanten des Brandes noch auffinden zu können, da er sich doch fragte, ob die Haltungen und Positionen bei der Vereinigung von Mann und Mann in ihren Varianten von jenen mit einer Frau variierten.

    "Wie viele Knaben arbeiten in deinem Etablissement? Gibt es irgendwelche Krankheiten, die unter ihnen grassieren? Und kannst du die Bescheinigungen präsentieren, dass für sie alle die fällige Steuer entrichtet wurde?"
    , stellte er dann jene Fragen, welche seine Berater ihm im Vorfeld als relevant erklärt hatten.

    Der Aedil verfolgte die Interaktion Ravillas mit den beiden Milites und registrierte erstaunt, dass augenscheinlich der zweite, noch unscheinbarere der beiden in familiärer Relation zu seinem Tiro fori stand. Hatte er dafürgehalten, dass die Sprösslinge eines Tempelfürstenhauses nicht eben sich dazu herabließen, bei den Cohortes Urbanae als Milites gregarii ihren Dienst zu verrichten, stellte er sich für den Hauch eines Augenschlages die Frage, ob die Familie des Seius doch nicht ganz so aristokratisch-exklusiv war, wie er vermeinte.


    Indessen beschloss er, nicht böses zu vermuten, wo die Fakten sich seiner Kenntnis entzogen, weshalb neuerlich er ein diesmalig überraschtes Lächeln präsentierte und fragte:

    "Dies ist dein Neffe?"
    Der Miles wirkte nicht wesentlich jünger als Ravilla, obschon der Flavius selbstredend nicht mit den schärfsten Augen war gesegnet und Scato bereits in einer Distanz sich vor der Sella curulis befand, in welcher die visuellen Kapazitäten des Magistraten bereits limitiert waren.

    Das Opfer


    372-f9b081ec.jpgMagna Mater Idaea war eine ursprünglich phrygische Gottheit, die ursprünglich eher in einer Art Mysterienkult Verehrung hatte gefunden, deren Restanten die Priesterschaft der Galli noch heute pflegte. Für den Staatskult indessen hatte man ihre Verehrung den römischen Traditionen angepasst, sodass an dieser nicht die beschnittenen Priester in Frauenkleidern, die noch beim Voropfer am Tempel der Götting zu Beginn der Prozession ihre Rolle hatten zu spielen gehabt, sondern der römische Magistrat als Repräsentant des Populus Romanus Quiritum die Gaben hatte darzubringen. Obschon bereits seit vielen Jahrhunderten dieser Kult in jener Form wurde vollzogen, oblag es noch immer den Quindecimviri Sacris Faciundis, diesen zu beaufsichtigen, was seinen Niederschlag in dem Umstande fand, dass sie gleich den Pontifices bei den traditionell-römischen Gottheiten als Opferhelfer fungierten, die Gebete vorsprachen oder einzelne Gaben oder Utensilien anreichten.


    Der Aedilis Curulis hingegen hatte lediglich an seinem Platze zu stehen und jene Vorgaben zu befolgen, die die Priesterschaft ihm vorgab. Zunächst galt es, die kultische Reinheit zu erlangen, wozu man ihm eine Schale mit Wasser darreichte, in welcher er sich die Hände wusch. Unterdessen erklang lautstark der Ruf

    "Favete linguis!"

    , und ein Qundecimvir besprengte die Anwesenden ebenfalls mit Wasser, um sie ebenso wie den Opferherrn zu purgieren. Die Massen, welche oben auf den Rängen des Circus das Schauspiel verfolgten, entgingen hingegen einer Reinigung, da sie doch augenscheinlich hinreichend Distanz zu den Akten an der Spina hatten und es ohnehin eines Einsatzes der Vigiles hätte bedurft, um sie alle mit Wasser besprengen zu können.


    Nun erst war die Weihe des Opfertieres an der Reihe. An dieser Stelle hatte Minor beschlossen, seinen Tiro fori als Opferhelfer zu engagieren, sodass dieser verhoffentlich nun ihm eine Patera reichte und diese mit Wein füllte.

    Ein wenig fühlte sich Manius Minor wie ein König, als sein Tiro fori ihn mit dem Laub des Siegesbaumes bekrönte, obschon dies selbstredend eine routinierte Aktivität während eines Opfers im Graecus ritus war. Die Nähe der beiden Männer gestattete es dem Flavius zwar nicht, sich im Detail an Ravillas kunstvoll geschminktem Gesicht zu ergötzen, doch schmeckte er doch den nicht eben dezenten Duft des Jünglings, der ganz konträr zu dem stets geschmackvoll und niemals nicht standesgemäß, doch für gewöhnlich eher dezent-klassisch gekleideten Aedil, dazu neigte, eher ein bisschen zu dick als zu dünn aufzutragen.


    "Dann wollen wir beginnen!"

    , murmelte er dem Seius zu und schenkte ihm ein lächeln, ehe er sich mit gravitätischer Miene dem Kultbild zuwandte.

    Der Aedil nickte saturiert, als der Miles die Prinzipien der urbanischen Sicherheitsmaßnahmen resümmierte, die augenscheinlich seinen eigenen Intentionen entsprachen. Angenehm überrascht, dass die Befragung bereits ihr Ende hatten gefunden, lächelte er schlussendlich aufs Neue.

    "Vortrefflich! Mein Mitarbeiter Seius Ravilla wird euch alle weiteren Informationen hinsichtlich der Abläufe zukommen lassen, um euer Sicherheits-Konzept entsprechend anpassen zu können!"
    Er blickte zu dem Genannten, der wie gewöhnlich auf der Bank seines Consiliums zu seiner Rechten bereitsaß, neue Obliegenheiten zugewiesen zu bekommen oder seinen Magistrat durch Bemerkungen oder Informationen zu unterstützen.

    Minor schmunzelte, als Ravilla seine Emotionalität thematisierte, welche doch kaum einem Menschen mochte entgehen, der auch nur für eine Stunde mit ihm in einem Raum sich aufhielt. Indessen enthielt er sich eines Kommentares, sondern lauschte den weiteren Ausführungen über jenen augenscheinlich kurzweiligen Wettstreit, der ihm deplorablerweise war entgangen und deren Resümee die vortreffliche Bildung und das nicht geringe Talent seines Tiro fori untermauerten.

    "Ausgezeichnet! Auch ich präferiere den Gebrauch bildhafter Mittel wie Metaphern, jedoch muss ich dir auch beipflichten, dass die Aurea mediocritas auch in der Rhetorik geraten ist: Weder sollte man sich zu stark eines Mittels bedienen, noch das Auditorium durch allzu ausschweifende Monologe langweilen. In der Kürze liegt bisweilen durchaus die Würze."
    , resümierte er seine Perspektive auf die Rhetorik und brachte zugleich jenes Sujet zum Abschluss.

    "Doch was meinst du damit, nicht den Weg der Politik beschreiten zu wollen, sondern konkrete und gute Ziele anzustreben? Ist es nicht eben das, was die Politik ausmacht?"

    Die Bemerkung erschien ihm doch als eine Kritik des Senates und damit auch indirekt seiner Person, selbst wenn er sich nicht sonderlich gekränkt, sondern eher provoziert fühlte, eine Lanze für seine Zunft zu brechen.

    "Und welche Ziele sind es denn, die du zu verwirklichen anstrebst?"

    Obschon es lediglich sich um eine Routine-Aufgabe handelte, trug der Aedilis Curulis seine Toga praetexta, dazu seine gewöhnliche, elegante Aufmachung, die seinem fülligen Körperbau schmeichelte. In der Tat hatte er seit seinem letzten Opium-Entzug vor seiner Rückkehr nach Rom wieder einiges an Gewicht gewonnen, was indessen von den weiten Stoffbahnen seiner Tunica mit den breiten Streifen des Ordo Senatorius ein wenig kaschiert wurde, zumal die langen Ärmel in dieser kühlen Jahreszeit aus seine nicht eben schlanken Arme verbargen. Die sorgsam gezupften Augenbrauen und das umsichtig gelegte Haupthaar standen dem Knaben nicht nach, welcher so nonchalant auf derart hohen Besuch reagiert.


    Folglich trat einer der zahlreichen Begleiter des Flavius vor, packte Evenor am Arm und riss ihn hoch.

    "Zolle dem ehrenwerten Aedil ein wenig mehr Respekt, Bursche!"

    , fuhr der grobschlächtige Viator den Knaben an, dessen Aufmachung wieder einmal Manius Minor an seine eigenen Tage im Kreise der Myrmidonen erinnerte und im übrigen anzeigte, dass jenes Lupanar womöglich eine Präferenz zu hellenische Praktiken bediente, was durch Aufmachung wie Geschlecht der weiteren augenscheinlich hier beschäftigten Lustknaben konfirmiert wurde. Obschon er selbst während seiner Ausschweifungen in Alexandreia mit diversen Varianten des Liebesaktes hatte experimentiert, so hatte er doch erkennen müssen, respektive dürfen, dass seine Neigung doch indubitabel dem weiblichen Geschlecht galt und lediglich er zu besonders weibisch auftretenden Knaben er eine gewisse Lust hin mochte entwickeln.


    Erst als Kyriakos erschien, der seiner Tracht zufolge ebenfalls womöglich dem praktizierenden Personal war zuzurechnen, durch sein bestimmtes Auftreten jedoch sich als Vorgesetzter jener Schar offenbarte, trat der Aedil indessen vor und ergriff selbst das Wort, auf eine Selbstpräsentation verzichtend, da er doch sich als offiziöser Amtsträger der Res publica als hinreichend prominent erachtete:

    "Ich suche den Herrn dieses Etablissements. Einen gewissen..."
    Er blickte fragend zu seinem Scriba, welcher eine Liste gezückt hatte:

    "Kyriakos. Das hier ist das Ganymed, Aedilis."

    Wie stets war Minor dankbar, derart beflissenes Personal sein eigen nennen zu können und er lächelte zufrieden, die Schelte des Viators, der noch immer den unglücklichen Knaben gepackt hielt, ignorierend.

    "Es handelt sich um eine Routine-Kontrolle des Lupanars."
    Selbstredend gaben die Milites und Viatores bereits Acht, dass nicht rasch bei ihrem Eintreffen der Besitzer versuchte, illegal und an der Steuer vorbei arbeitende Sklaven verschwinden zu lassen oder anderweitige Rechtswidrigkeiten wie den Einsatz von Kindern allzu offensichtlich zu vertuschen.

    Dem Aedil oblag es neben der Aufsicht über Märkte, Tempel, Bauten und Spiele, welche im Laufe des vergangenen Jahrhunderts zunehmend kaiserlichen Institutionen wie dem Praefectus Urbi, den Procuratores und Curatores zugefallen waren, auch die Lupanare und Garküchen zu kontrollieren und da jene Etablissements augenscheinlich sich eines hinreichend mäßigen Ansehens erfreuten, hatten die kaiserlichen Beamten jene Pflicht ausnahmsweise nicht von der alten republikanischen Magistratur entfremdet. Manius Flavius Gracchus Minor war von jener Obliegenheit ebenfalls nicht sonderlich angetan, dennoch verlangte von ihm sein Pflichtgefühl, auch an dieser Stelle hie und dort bisweilen in persona seines Amtes zu walten.


    Einem Zufall war es somit geschuldet, dass das Lupanar Ganymed für einen jener Kontrollgänge war erkoren worden, aufdass der Aedilis Curulis als Repräsentant der Staatsgewalt überprüfte, ob das Lupanar jenen durch das Recht gesteckten Restriktionen entsprach und (was womöglich das Wichtigste war) ob hier nicht mehr als die registrierte Zahl an Lupae und Lustknaben ihre Dienste offerierten und getreulich ihre Steuer zahlten.


    So erschien der Flavius mit seiner gewöhnlichen Entourage an Apparitores, Milites der Cohortes Urbanae und einer Schar an Sklaven und dienstbaren Geistern, um seinem Wort im Falle des Widersetzens Nachdruck zu verleihen, und einer von ihnen kündigte den hohen Herrn an, nachdem achtlos er die Türe hatte aufgestoßen:

    "Der ehrenwerte Aedilis Curulis Manius Flavius Gracchus Minor!"

    Mit einigem Wohlwollen registrierte der Aedilis Curulis, dass die Replik des Miles überaus kundig ausfiel und Aspekte inkludierte, welche er gewiss nicht von selbst hätte erwogen. Selbst wenn es ihm ein wenig despektierlich erschien, die ehrenwerte Priesterschaft der Großen Mutter mit unmündigen Kindern zu vergleichen, so war es doch indubitabel, dass die in Trance gepeitschten Galloi nicht eben die kontrolliertesten aller Kultisten waren.

    "Mir wäre sehr daran gelegen, dass die Prozession würdevoll geschieht und dass die Sicherheitskräfte diskret Präsenz zeigen, um die Freudigkeit des Anlasses nicht durch finsteres Auftreten getrübt wird. Dennoch soll selbstredend alles unternommen werden, um die Sicherheit der Spiele zu gewährleisten."

    Was dies in concreto bedeutete, wusste jener Miles zweifelsohne besser als der Flavius, zumal jene Fragen letzteren nicht ernstlich bekümmerten, da es doch schlicht Aufgabe des Praefectus Urbi und nicht seiner Wenigkeit war, dafür Sorge zu tragen.

    "In jedem Falle können wir euch eine Liste aller Teilnehmer der Prozession und eine extensive Beschreibung des Programms der Ludi zukommen lassen, sobald sie feststehen."

    STASIMON


    Neuerlich oblag es dem Chor, die Handlung zu kommentieren und zugleich sie erzählend fortzuführen, um das Publikum für die folgende Szene zu präparieren, wobei sie diesmal dasselbe Metrum, doch eine heiterere Melodie anstimmten:


    "Des Timon Red' verwirrt' den Knaben,

    den einst man Ernst und Demut lehrt'.

    Doch bald schon war er doch zu haben

    für's Leben leicht und unbeschwert.


    Satyr und Zwerg lebten ein Leben

    ganz ohne Furcht vor Mensch und Gott:

    für sie sollt's reine Lust nur geben,

    Demut und Ernst traf nur ihr Spott.


    Ganz anders als am Königshofe

    lebten sie in den Tag hinein,

    sang'n lustig manches Liedes Strophe

    und wollten frei von Sorge sein.


    Symbanes nun gefiel's zu lassen

    Schuld, Trauer, Sorge einerlei

    allein die Lust nur zu umfassen,

    aufdass er schlicht ein Mensch nun.


    So schloss er an sich dem Pygmäen

    und auch dem Satyr Perdomas.

    D'rauf sah man nun zu dritt sie gehen

    und treiben fröhlich ihren Spaß.


    Quer durch das einsam' Land sie zogen

    und nährten sich von Frucht und Gras.

    So rasch die Jahr' und Tag' verflogen

    und Symbanes, was war, vergaß.


    Er dachte nicht mehr an den Vater,

    sein Land, an Ehrgeiz oder Leid,

    nahm sich die Freunde als Berater

    und floh vor der Vergangenheit


    Er wuchs heran zum reifen Manne,

    doch lebte sorglos wie ein Kind.

    Vollbrachte seine Lebensspanne,

    als ob ihm sei kein Ziel bestimmt.


    Sang mit dem Timon manche Weise

    und scherzte mit dem Perdomas

    Nahm Frücht' und Blätter sich zur Speise

    und fühlte nicht, als fehlt' ihm was."


    IV. SZENE: REDITUS PRAETERITORUM


    Symbanes, Timon und Perdomas betraten nun wieder die Bühne, die noch immer den dichten Wald der vorherigen Szene zeigte. Während der Zwerg und der Satyr unverändert waren, trug Symbanes nun einen Bart wie sein Vater. Sichtlich gemütlich schlenderten sie durch die Orchestra.


    In der Mitte der Bühne angekommen ließen sie sich schließlich auf dem Stein nieder, auf dem Symbanes schon zuvor gerastet hatte.

    "Was für ein Tag, o Perdomas,

    an dem man fröhlich liegt im Gras!"

    erklärte der Jüngling und streckte gähnend die Arme von sich.

    Perdomas beugte sich vor und furzte herzlich. Die anderen beiden gaben sofort Geräusche des Ekels von sich und hielten sich die Nase zu.

    "Wenn man nur Geist und Leib entspannt,

    geht’s gleich viel leichter von der Hand!"

    Perdomas kicherte.


    Da plötzlich flog ein Pfeil quer über die Bühne und blieb mit einem dumpfen Schlag in einem Baum stecken. Die drei erstarrten, dann mit einem Schrei sprangen Timon und Perdomas auf und verbargen sich hinter dem Stein, während Symbanes aufsprang und verwirrt um sich blickte. Sein Blick verharrte schließlich an einer Stelle an der Seite der Bühne, wo nun ein weiterer Darsteller mit einem Bogen sichtbar wurde. Symbanes stieß einen Schrei aus und rannte auf ihn zu, der Schütze wandte sich vom Publikum ab und lief davon. Die beiden lieferten sich ein Katz- und Mausspiel quer über die Bühne und wieder zurück, dann endlich mit einem beherzten Sprung bekam Symbanes den Angreifer zu fassen und warf ihn zu Boden.

    Auf ihm liegend rief er triumphierend:

    "Hab' ich dich, Mörder, wie mir scheint!"

    Mit einem Ruck riss er den Schützen herum, sodass dieser seinen Kopf heben und endlich seine den Zuschauern nicht unbekannte Maske zeigen zeigen konnte:

    "O Nala, du mein alter Freund!"

    Mit diesen Worten ließ er von dem Schützen ab, der sich nun aufsetzte und ebenfalls wie erstarrt Symbanes anblickte, um dann ans Publikum gewandt zu fragen:

    "Symbanes lebt? Wie kann das sein?"

    Er wandte den Blick wieder zu seinem Überwinder:

    "Ich weint' um dich, o Herre mein!"

    Unvermittelt fiel er Symbanes um den Hals und dieser erwiderte die Umarmung.


    Der freudige Moment des Wiedersehens wurde unterbrochen durch die spitze Stimme des Pygmäen, der nun gemeinsam mit Perdomas hinter dem Stein vorblickte:

    "Der Mörder herzt den Retter hier?

    Was geht da vor? Auf, sagt es mir!"

    Symbanes löste sich aus der Umarmung und blickte hinüber zu seinen Freunden:

    "Nala hier einst mein Sklave war,

    er dient' mir wie ein Freund fürwahr!

    Ich freue mich, dass ich ihn seh'!"

    Perdomas schüttelte ungläubig den Kopf:

    "Des Jägers Freund bist du? O weh!"


    Doch Symbanes blickte nun direkt wieder Nala an und schien die Bedenken der anderen beiden Wesen kaum zu beachten:

    "Sag, was führt dich zum Erdenrand?"

    "Die Not, die peinigt unser Land!

    Des Helkos eisern' Herrschaft quält

    das Reich und wer nur Land bestellt,


    muss leisten harte Sklavenfron

    das Land verarmt seit Jahren schon!

    D'rum flieht, wer nur kann retten sich -

    der Hunger trieb hierher nun mich!"

    Die Erzählung betrübte Symbanes ganz offensichtlich und er fragte sogleich:

    "Helkos ist König? Was geschah?"

    "Der Tag am Fluss Bouphorbia:

    Wir jagten doch an ödem Ort,

    da schlichst des Nachts du still dich fort.

    Als wir erwachten, Helkos sprach

    von deinem großen Ungemach:

    dass wollt'st allein du durch den Fluss,

    der jeden doch ertränken muss.

    Darauf Muphases Helkos nahm

    und zu dir zu dem Flusse kam.

    Der König sprang dir hinterher,

    doch rettet' letztlich keinen mehr:

    Vater und Sohn ertranken dort

    und Helkos ging allein nun fort -

    das immerhin gelobte er..."

    Nalas Rede wurde langsamer und nachdenklich und schließlich legte er seine Hand auf Symbanes' Schulter.

    "Wie's scheint, war'n seine Worte leer!"

    Noch einmal klopfte er seinem alten Herrn auf die Schulter.

    "Du lebst! Nun unser König sei!

    Rett' uns vor Helkos' Tyrannei!"

    Timon begann plötzlich spitz zu lachen.

    "Symbanes König? Welch' ein Witz!

    Besser auf unserm Thron er sitz'!"

    Perdomas stimmte ein:

    "Wir alle sind die Kön'ge hier!

    Carpe diem - das sag' ich dir!"


    Verwirrt blickte Symbanes von einem zum anderen.

    "Nala, die beiden haben Recht:

    Als König wär' ich viel zu schlecht!

    Vergangenheit vergangen ist!"

    Nala packte den zaudernden Jüngling plötzlich und rief flehend:

    "Unsinn! Ich weiß noch, wer du bist!"

    Symbanes zögerte, doch griff dann nach den Händen seines früheren Sklaven und schob sie sanft beiseite:

    "Hier bin ich gleicher unter Gleichen-"


    Nala schien es kaum glauben zu können: Er rang um Fassung und trat nervös von einem Bein aufs andere

    "Dies' Narretei kann dir nicht reichen!"


    Doch Symbanes schüttelte traurig den Kopf. Fast flehend erklärte er:

    "Nichts zieht mich in mein Land zurück!"

    Nala blieb stehen und sah seinen ehemaligen Herrn lange schweigend an.

    "Dann bist du tot - ich wünsch' dir Glück!"

    Damit wandte er sich um, hob seinen Bogen auf und lief davon.


    Der Satyr und der Pygmäe sahen ihm hinterher. Schließlich erklärte Timon höhnisch:

    "Was für ein Narr! Kommt, gehen wir!"

    Doch Symbanes schien noch immer bedrückt. Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

    "Geht ihr ruhig schon - ich bleib' noch hier!"

    Timon zuckte mit den Schultern und watschelte dann, gefolgt von Perdomas, in die andere Richtung davon, in die Nala gegangen war.


    Symbanes sank zurück auf den Stein und stützte seinen Kopf nachdenklich auf. Schließlich schüttelte er den Kopf.

    "Welch' Possenspiel! Was sollt' ich tun?

    Bin weder Prinz, noch König nun!"


    In diesem Augenblick schlugen die Musiker alle Pauken und Fanfaren ertönten. Unter diesen lauten Tönen schwebte, an einem Seil befestigt, eine Person über den Rand der Scena und ließ sich auf ihr nieder. Der Schauspieler trug ein glänzendes Gewand und auch die Maske schien vergoldet. Die Züge und auch der Bart glichen jedoch dem des Muphases aus der ersten Szene. Das Publikum klatschte, die Musik verstummte.

    "Mein Sohn, du hast vergessen mich!"

    rief der verstorbene König auf die Bühne hinab. Erschrocken erwiderte Symbanes:

    "O Nein, das niemals wollte ich!"

    "Du hast vergessen, wer du bist,

    und was deine Bestimmung ist!"

    "Was soll ich tun? -" "-Das weißt du schon!


    Folg' deinem Herz und sei mein Sohn!"

    Wieder ertönten die Fanfaren und Pauken und der Besucher aus der Götterwelt erhob sich, von einem Kran angehoben, in die Lüfte, um hinter dem Bühnenhaus zu verschwinden.


    Zurück blieb Symbanes, der dem entschwundenen Vater nachsah. In diesem Augenblick tauchten Timon und Perdomas wieder am Rand der Bühne auf.

    "Symbanes, Freund, wo bleibst du nur?"

    rief der Zwerg und Perdomas ergänzte aufgeregt:

    "Wir fanden eines Rehlein Spur!"

    Doch Symbanes schüttelte nur den Kopf.

    "Dies' Leben ist mein Schicksal nicht

    wahr ist es, was mein Vater spricht!"

    Timon legte ungläubig den Kopf schief.

    "Dein Vater doch verstorben ist!"

    "Freilich, auch wenn du ihn vermisst!"

    ergänzte der Satyr.

    "O nein, mein Vater sprach zu mir

    gerad' an diesem Orte hier!

    Erinnert' an mein Schicksal mich -

    es ruft und zieht gar fürchterlich!"

    Mit diesen Worten eilte Symbanes davon und hinterließ einen ratlosen Pygmäen und einen ebenso ratlosen Satyr.

    Ankunft im Circus Maximus


    Der Zug schob sich vom Palatium hinab über das Forum, ehe es final wieder am Fuße des Ausgangshügels angekommen war und endlich in jene wohl größte aller Rennbahnen des Imperiums einbog. Gleich einer Pompa circensis vollführte die Prozessionen eine Ehrenrunde durch den Circus Maximus, sodass gleichsam die Aurigae der Factiones Gelegenheit hatten, ein letztes Mal vor dem großen Rennen am letzten Tage der Spiele ihre Fahrbahn zu erkunden.


    Für den Auftakt der Spiele indessen hatte man den Circus und insonderheit die Spina, jene Schranke inmitten der Fahrbahn, reich dekoriert: Die drei Metae als Wendemarken an beiden Enden der Barriere waren mit Girlanden umrankt, insonderheit jedoch hatte man die vergoldete Statue der auf einem Löwen reitenden Kybele poliert und ihrerseits mit grünen Ranken umkränzt. Davor war der unterirdisch verdeckte Altar hervorgeholt wurden, um dort jenes Opfer zu vollziehen, das die Spiele offiziell initiierte.


    Während so das Volk bereits auf die Ränge strömte, um der Kulthandlung beizuwohnen, vollendeten Korybanten, Galli, Aurigae und zuletzt Manius Minor und seine Opferhelfer die Ehrenrunde und nahmen schlussendlich vor dem Altar der Magna Mater Aufstellung. Achtsam hoben die Galli die originäre Statue mit dem schwarzen Stein vom Berge Ida von dem belöwten Wagen und platzierten sie auf dem Altar. Unterdessen entstieg auch der flavische Aedilis Curulis seiner Biga und ließ sich die purpurne Toga richten, in welcher er sogleich sich wie ein römischer Feldherr fühlte.


    Da es bei der Großen Mutter sich um einen orientalischen Kult handelte, welcher der Aufsicht der Quindecimviri unterstand, hatten zunächst sämtliche Beteiligte sich mit Lorbeer zu bekränzen. Ravilla war die Ehre beschieden worden, den Editor der Spiele mit dem Siegeslaub zu bekrönen, sobald er selbst sich den Kranz aufs Haupt gesetzt hatte.