STASIMON
Neuerlich oblag es dem Chor, die Handlung zu kommentieren und zugleich sie erzählend fortzuführen, um das Publikum für die folgende Szene zu präparieren, wobei sie diesmal dasselbe Metrum, doch eine heiterere Melodie anstimmten:
"Des Timon Red' verwirrt' den Knaben,
den einst man Ernst und Demut lehrt'.
Doch bald schon war er doch zu haben
für's Leben leicht und unbeschwert.
Satyr und Zwerg lebten ein Leben
ganz ohne Furcht vor Mensch und Gott:
für sie sollt's reine Lust nur geben,
Demut und Ernst traf nur ihr Spott.
Ganz anders als am Königshofe
lebten sie in den Tag hinein,
sang'n lustig manches Liedes Strophe
und wollten frei von Sorge sein.
Symbanes nun gefiel's zu lassen
Schuld, Trauer, Sorge einerlei
allein die Lust nur zu umfassen,
aufdass er schlicht ein Mensch nun.
So schloss er an sich dem Pygmäen
und auch dem Satyr Perdomas.
D'rauf sah man nun zu dritt sie gehen
und treiben fröhlich ihren Spaß.
Quer durch das einsam' Land sie zogen
und nährten sich von Frucht und Gras.
So rasch die Jahr' und Tag' verflogen
und Symbanes, was war, vergaß.
Er dachte nicht mehr an den Vater,
sein Land, an Ehrgeiz oder Leid,
nahm sich die Freunde als Berater
und floh vor der Vergangenheit
Er wuchs heran zum reifen Manne,
doch lebte sorglos wie ein Kind.
Vollbrachte seine Lebensspanne,
als ob ihm sei kein Ziel bestimmt.
Sang mit dem Timon manche Weise
und scherzte mit dem Perdomas
Nahm Frücht' und Blätter sich zur Speise
und fühlte nicht, als fehlt' ihm was."
IV. SZENE: REDITUS PRAETERITORUM
Symbanes, Timon und Perdomas betraten nun wieder die Bühne, die noch immer den dichten Wald der vorherigen Szene zeigte. Während der Zwerg und der Satyr unverändert waren, trug Symbanes nun einen Bart wie sein Vater. Sichtlich gemütlich schlenderten sie durch die Orchestra.
In der Mitte der Bühne angekommen ließen sie sich schließlich auf dem Stein nieder, auf dem Symbanes schon zuvor gerastet hatte.
"Was für ein Tag, o Perdomas,
an dem man fröhlich liegt im Gras!"
erklärte der Jüngling und streckte gähnend die Arme von sich.
Perdomas beugte sich vor und furzte herzlich. Die anderen beiden gaben sofort Geräusche des Ekels von sich und hielten sich die Nase zu.
"Wenn man nur Geist und Leib entspannt,
geht’s gleich viel leichter von der Hand!"
Perdomas kicherte.
Da plötzlich flog ein Pfeil quer über die Bühne und blieb mit einem dumpfen Schlag in einem Baum stecken. Die drei erstarrten, dann mit einem Schrei sprangen Timon und Perdomas auf und verbargen sich hinter dem Stein, während Symbanes aufsprang und verwirrt um sich blickte. Sein Blick verharrte schließlich an einer Stelle an der Seite der Bühne, wo nun ein weiterer Darsteller mit einem Bogen sichtbar wurde. Symbanes stieß einen Schrei aus und rannte auf ihn zu, der Schütze wandte sich vom Publikum ab und lief davon. Die beiden lieferten sich ein Katz- und Mausspiel quer über die Bühne und wieder zurück, dann endlich mit einem beherzten Sprung bekam Symbanes den Angreifer zu fassen und warf ihn zu Boden.
Auf ihm liegend rief er triumphierend:
"Hab' ich dich, Mörder, wie mir scheint!"
Mit einem Ruck riss er den Schützen herum, sodass dieser seinen Kopf heben und endlich seine den Zuschauern nicht unbekannte Maske zeigen zeigen konnte:
"O Nala, du mein alter Freund!"
Mit diesen Worten ließ er von dem Schützen ab, der sich nun aufsetzte und ebenfalls wie erstarrt Symbanes anblickte, um dann ans Publikum gewandt zu fragen:
"Symbanes lebt? Wie kann das sein?"
Er wandte den Blick wieder zu seinem Überwinder:
"Ich weint' um dich, o Herre mein!"
Unvermittelt fiel er Symbanes um den Hals und dieser erwiderte die Umarmung.
Der freudige Moment des Wiedersehens wurde unterbrochen durch die spitze Stimme des Pygmäen, der nun gemeinsam mit Perdomas hinter dem Stein vorblickte:
"Der Mörder herzt den Retter hier?
Was geht da vor? Auf, sagt es mir!"
Symbanes löste sich aus der Umarmung und blickte hinüber zu seinen Freunden:
"Nala hier einst mein Sklave war,
er dient' mir wie ein Freund fürwahr!
Ich freue mich, dass ich ihn seh'!"
Perdomas schüttelte ungläubig den Kopf:
"Des Jägers Freund bist du? O weh!"
Doch Symbanes blickte nun direkt wieder Nala an und schien die Bedenken der anderen beiden Wesen kaum zu beachten:
"Sag, was führt dich zum Erdenrand?"
"Die Not, die peinigt unser Land!
Des Helkos eisern' Herrschaft quält
das Reich und wer nur Land bestellt,
muss leisten harte Sklavenfron
das Land verarmt seit Jahren schon!
D'rum flieht, wer nur kann retten sich -
der Hunger trieb hierher nun mich!"
Die Erzählung betrübte Symbanes ganz offensichtlich und er fragte sogleich:
"Helkos ist König? Was geschah?"
"Der Tag am Fluss Bouphorbia:
Wir jagten doch an ödem Ort,
da schlichst des Nachts du still dich fort.
Als wir erwachten, Helkos sprach
von deinem großen Ungemach:
dass wollt'st allein du durch den Fluss,
der jeden doch ertränken muss.
Darauf Muphases Helkos nahm
und zu dir zu dem Flusse kam.
Der König sprang dir hinterher,
doch rettet' letztlich keinen mehr:
Vater und Sohn ertranken dort
und Helkos ging allein nun fort -
das immerhin gelobte er..."
Nalas Rede wurde langsamer und nachdenklich und schließlich legte er seine Hand auf Symbanes' Schulter.
"Wie's scheint, war'n seine Worte leer!"
Noch einmal klopfte er seinem alten Herrn auf die Schulter.
"Du lebst! Nun unser König sei!
Rett' uns vor Helkos' Tyrannei!"
Timon begann plötzlich spitz zu lachen.
"Symbanes König? Welch' ein Witz!
Besser auf unserm Thron er sitz'!"
Perdomas stimmte ein:
"Wir alle sind die Kön'ge hier!
Carpe diem - das sag' ich dir!"
Verwirrt blickte Symbanes von einem zum anderen.
"Nala, die beiden haben Recht:
Als König wär' ich viel zu schlecht!
Vergangenheit vergangen ist!"
Nala packte den zaudernden Jüngling plötzlich und rief flehend:
"Unsinn! Ich weiß noch, wer du bist!"
Symbanes zögerte, doch griff dann nach den Händen seines früheren Sklaven und schob sie sanft beiseite:
"Hier bin ich gleicher unter Gleichen-"
Nala schien es kaum glauben zu können: Er rang um Fassung und trat nervös von einem Bein aufs andere
"Dies' Narretei kann dir nicht reichen!"
Doch Symbanes schüttelte traurig den Kopf. Fast flehend erklärte er:
"Nichts zieht mich in mein Land zurück!"
Nala blieb stehen und sah seinen ehemaligen Herrn lange schweigend an.
"Dann bist du tot - ich wünsch' dir Glück!"
Damit wandte er sich um, hob seinen Bogen auf und lief davon.
Der Satyr und der Pygmäe sahen ihm hinterher. Schließlich erklärte Timon höhnisch:
"Was für ein Narr! Kommt, gehen wir!"
Doch Symbanes schien noch immer bedrückt. Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Geht ihr ruhig schon - ich bleib' noch hier!"
Timon zuckte mit den Schultern und watschelte dann, gefolgt von Perdomas, in die andere Richtung davon, in die Nala gegangen war.
Symbanes sank zurück auf den Stein und stützte seinen Kopf nachdenklich auf. Schließlich schüttelte er den Kopf.
"Welch' Possenspiel! Was sollt' ich tun?
Bin weder Prinz, noch König nun!"
In diesem Augenblick schlugen die Musiker alle Pauken und Fanfaren ertönten. Unter diesen lauten Tönen schwebte, an einem Seil befestigt, eine Person über den Rand der Scena und ließ sich auf ihr nieder. Der Schauspieler trug ein glänzendes Gewand und auch die Maske schien vergoldet. Die Züge und auch der Bart glichen jedoch dem des Muphases aus der ersten Szene. Das Publikum klatschte, die Musik verstummte.
"Mein Sohn, du hast vergessen mich!"
rief der verstorbene König auf die Bühne hinab. Erschrocken erwiderte Symbanes:
"O Nein, das niemals wollte ich!"
"Du hast vergessen, wer du bist,
und was deine Bestimmung ist!"
"Was soll ich tun? -" "-Das weißt du schon!
Folg' deinem Herz und sei mein Sohn!"
Wieder ertönten die Fanfaren und Pauken und der Besucher aus der Götterwelt erhob sich, von einem Kran angehoben, in die Lüfte, um hinter dem Bühnenhaus zu verschwinden.
Zurück blieb Symbanes, der dem entschwundenen Vater nachsah. In diesem Augenblick tauchten Timon und Perdomas wieder am Rand der Bühne auf.
"Symbanes, Freund, wo bleibst du nur?"
rief der Zwerg und Perdomas ergänzte aufgeregt:
"Wir fanden eines Rehlein Spur!"
Doch Symbanes schüttelte nur den Kopf.
"Dies' Leben ist mein Schicksal nicht
wahr ist es, was mein Vater spricht!"
Timon legte ungläubig den Kopf schief.
"Dein Vater doch verstorben ist!"
"Freilich, auch wenn du ihn vermisst!"
ergänzte der Satyr.
"O nein, mein Vater sprach zu mir
gerad' an diesem Orte hier!
Erinnert' an mein Schicksal mich -
es ruft und zieht gar fürchterlich!"
Mit diesen Worten eilte Symbanes davon und hinterließ einen ratlosen Pygmäen und einen ebenso ratlosen Satyr.