Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    Die wohlwollenden Fragen des Manius Maior erzeugte bei Manius Minor eine gewisse Form des Pläsier, wurde er sich doch nun des Trugschlusses seines Vaters gewahr, der jene weiteren Sondierungen provoziert hatten. So ließ der Knabe ein glockenhelles Lachen erschallen, ehe er amüsiert antwortete
    "Nein, nein! Gaius ist mein Krokodil! Hast du das schon vergessen?"
    Zwar mochte der Knabe der Meinung sein, dass jedem Angehörigen der Familia Flavia Graccha sämtliche seiner Spielgefährten wohlbekannt und familiar waren, doch bestand durchaus eine durchaus nicht unterschätzbare Possibilität, dass Manius Maior aufgrund seiner Krankheit und seiner zahlreichen Verpflichtungen niemals in den Genuss gekommen war, seinen Sohn beim Spiel mit dem hölzernen Krokodil beobachtet zu haben, das der blinde Claudius Nerva dem jüngsten Flavier bereits kurz nach dessen Geburt zum Geschenk gemacht hatte.

    Ein Enthusiasmus divulgierte sich im Geiste des Manius Minor, als der Knabe, dessen Name ihm verlustig gegangen war, ihm auf der Stelle ein gemeinsames Spiel in Aussicht stellte. Doch dann erstarrte er vor Indignation: unbemerkt? Klettern?


    Selbstverständlich hatte der junge Flavius eine derartige Lösung niemals beabsichtigt! Vielmehr hatte er gedacht, seiner Mutter die Erlaubnis zur Entfernung abzuringen um dann in die Sänfte des Fremden zu steigen und in dessen Villa aufzubrechen. Dass jene Erwartung fernab jeglicher Realität lag, dass Flavianus Aquilius vielmehr weder über eine Sänfte, noch über eine Villa verfügte, war für den Knaben aus bestem Hause völlig inimaginabel. Ebenso jedoch auch, welche Haltung seine Mutter gegenüber einer derartigen Bitte einnehmen würde.
    In jenem Augenblick erfasste den Knaben jedoch eine erneute Welle der Insekurität, während er bedachtsam und stockend erwiderte
    "Fragen wir nicht Mama?"

    Die reflexhafte, schamhafte Reaktion seiner Mutter auf evozierte bei dem Knaben eine weitaus stärkere Insekurität, die sich geradezu in eine Konserniertheit modifizierte. Doch sein Vater schien diesen Gestus nicht zu imitieren. Vielmehr vermochte er durch das konnivente Lächeln, wie auch seine joviale Form des Repliks, ihn zu amortisieren.


    Dennoch entsagte er eines weiteren Kommentares und zollte der weiteren Frage seines Vaters Aufmerksamkeit, zumal sie seine vollständige Konzentration erforderte, obschon sein Tagesablauf von größter Similität geprägt war, weshalb er aufzuzählen begann, bedacht darauf, keinerlei Details auszulassen.
    "Aaalso...ich bin aufgestanden, ich habe mein Ientaculum eingenommen, dann hat Mama mit mir Lesen geübt, dann hat sie mir etwas vorgelesen, dann habe ich das Prandium eingenommen, dann...äh...habe ich gespielt. Bis jetzt. Mit Gaius."
    Die Bekanntheit der Titulatur seines hölzernen Spielgefährten legte er diesem Rapport zugrunde, was wohl eine gewisse Berechtigung nicht missen ließ, zumal das kleine Krokodil bereits seit der Geburt des jungen Flaviers zu seinen liebsten Spielzeug zu zählen war.

    Die in keinster Weise zielführenden Reflexionen des Knaben wurden jäh durchbrochen, als sein Vater das Wort an ihn richtete. Als er jene knappe, aber dennoch den Verhältnissen des Knaben angemessene Epistel erwähnte, bemächtigte sich ein Glanz der Augen Manius Minors, weniger der Scham denn des Stolzes ob seiner Tat. Obschon es ihm an Konfrontationen mit Kindern similen Alters mangelte, fühlte er, dass jenes Werk die Erwartungen an sein Alter erfüllt hatten, was auch die Worte des Manius Maior bestätigten.


    Dennoch evozierte die Äußerung im Geiste des Knaben eine gewisse Unschlüssigkeit ob der Tatsache, dass ihm keinerlei Assoziationen zum den Begriff "exzeptionell" geläufig waren, weshalb er in kindlicher Unschuld ersuchte, diesen Mangel innerhalb eines Wissensschatzes zu befrieden:
    "Was heißt 'exzeptionell', Papa?"
    Dennoch befiel ihm nach jener spontanen Äußerung eine gewisse Insekurität, da es ihm nicht möglich war zu erkennen, ob diese Frage dem Anlasse adäquat war oder er dadurch lediglich sein begrenztes Vokabular offenbarte, was die Missbilligung seiner Eltern hervorzurufen vermochte.

    Mochte es ihm zu Beginn noch äußerst fragwürdig erschienen sein, dass ihm die unidentifizierte Person in irgendeiner Weise bekannt sein sollte, war seine Gewissheit, kaum dass sein Vater seinen Kosenamen artikuliert hatte, über jedweden Zweifel erhaben: Hier stand er vor ihm! Obschon es Manius Minor geradezu bizarr erschien, dass sein eigener Vater, der ihm bereits seit sieben Jahren bekannt war, durch ein Übermaß an Gesichtsbehaarung entstellt war, trat er hinter seiner servilen Barriere hervor. In seinem infantilen, überaus begrenzten Geist begann erneut ein Widerstreit der Emotionen: Sollte er voller Elation seinem Vater um den Hals fallen, ihm von seinen zahlreichen Erlebnissen berichten? Sollte er seinem Unmut ob der langen Abwesenheit Ausdruck verleihen? Oder sollte er gar in schlichter Weise der Anweisung Folge leisten und sich auf die Kline begeben, um weiterer Dinge zu harren?
    Angesichts all dieser Alternativen entschloss er sich letzten Endes für ein überbrückendes, freundliches
    "Salve, Papa!"


    Anschließend begann er erneut zu reflektieren, welches Verhalten nun angemessen sein sollte, wobei letztendlich die intermediäre Lösung obsiegte und er die Kline seines Vaters umrundete und sich auf seiner eigenen inmitten seiner Eltern niederließ. Als er nun ein weiteres Mal in die Runde blickte, vermochte er es jedoch nicht, seinen Blick von dem faszinierenden Wuchs im Antlitz seines Vaters abzuwenden. Wie vermochte Derartiges geschehen? Bisher hatte er lediglich Alte wie Barbaren für eine derartige Entwicklung potent genug erachtet.

    Obschon es nicht der Gewohnheit des jungen Flavius entsprach und er es stets missbilligte, dass ein Sklave ihn während seines alltäglichen Spieles disturbierte, hatte er dem Ansinnen seiner Mutter stattgegeben und war eben jenem Teje gefolgt. Deplorablerweise hatte dieser jedoch keinerlei Angaben bezüglich des Anlasses der Ladung gemacht, sodass sich eine gewisse Unrast in dem Knaben verbreitet hatte, während er durch die Gänge der Villa gewandelt war. Selbstredend hatte er unterdessen auch versucht zu ersinnen, was das Motiv seiner Mutter sein konnte. Dennoch war er zu keinem Schluss gelangt, als die Tür zum Triclinium geöffnet wurde und Manius Minor seine Mutter an der Seite eines ihm unbekannt erscheinenden Fremden erblickte. Der Schauder seiner Xenophobie durchfuhr ihn während er gemessenen Schrittes näher trat, stets darauf achtend, dass er nicht ungebürlich wirken möge, da seine Mutter derartiges Verhalten nicht zu schätzen pflegte.


    Während er jedoch der Szenerie immer näher trat, begann eine gewisse Insekurität ob der Fremdheit des Mannes aufzukeimen, denn obschon Manius Minor sich sicher glaubte, keinen Mann dieser Statur mit einem derartig barbaresken Gesichtsschmuck zu kennen, erschien ihm dessen Gebahren in gewisser Weise familiär, als habe er dieses bereits wiederholt gesehen. Dennoch gelang es ihm nicht, seinen Vater zu entlarven, sondern fühlte sich ob all jener Eindrücke konsterniert, sodass er hinter der Tunica des ihn begleitenden Sklaven Schutz suchte und lediglich verstohlen in Richtung des Fremden spähte.

    In diesen Tagen stand ganz Rom wie in jedem Jahr im Banne der Ludi Romani, jener traditionsreichen Veranstaltung der Aediles Curules - eines Amtes, dessen Bekleidung durch seinen Vater auch dem jungen Flavius nicht entgangen war. In Anbetracht der Tatsache jedoch, dass jener seit geraumer Zeit der Stadt Rom fernblieb, verzichtete auch seine engste Familia darauf, diesen Spektakeln beizuwohnen, weshalb Manius Minor auch in diesen Tagen jener Tätigkeit nachging, die er gemeinhin jeden Tag auszuüben pflegte: Dem Spiel mit seinen zahllosen Spielgeräten.


    Für jenen bereits vorangeschrittenen Vormittag hatte der Knabe nun die Figur des Senators erwählt, deren fein elaborierte Toga ein Streifen saftigen Rotes zierte. Entsprechend seinen üblichen Gepflogenheiten repräsentierte jenes hölzerne Ebenbild innerhalb seines imaginären Kosmos seine eigene Personalität. Obschon dieses Abbild in einem inadäquaten Verhältnis zu seinem ebenso hölzernen wie auch heiß geliebten Krokodil stand, stellte dieses dennoch einen weiteren Akteur seines Spieles dar, weshalb er das Tier in der freien Hand hielt, während seine Rechte seine eigene Spielfigur fest umklammerte. In jenem arglosen, wie auch lieblichen Ton, dessen er sich im größten Teil sämtlicher Gespräche zu bedienen pflegte, sprach er nun stellvertretend für seinen hölzernen Alter Ego jenes Krokodil, dem er entsprechend seinem infantilen Usus einen Namen verliehen hatte:
    "Gaius, ich komme zu spät in den Senat! Trägst du mich rasch hin?"
    Obschon er üblicherweise den beweglichen Kiefer des Krokodils zu öffnen und zu schließen pflegte, wenn er für dieses Sätze formulierte, verzichtete er bei der Antwort hierauf, als ihm gewahr wurde, dass er für dieses Unterfangen Manius Minimus, den ligneenen Senator, auf den Teppich abzulegen hätte. Stattdessen entschloss er sich, die gesamte Figur im Takt zu den nun folgenden Worte zu bewegen
    "Na gut. Spring auf meinen Rücken!"
    In einem erneut der geringen Größe der Senatoren-Figur inadäquaten Maße hohen Schwung, der einen Sprung jenes Senatoren symbolisierte, stellte Manius Minor diesen nun auf den bereits leicht abgenutzten Rücken der Nil-Bestie und fixierte sie mit Hilfe seines Daumens und Zeigefingers der das Tier haltenden Hand. Dies wiederum ermöglichte es ihm, seine nun freigewordene Hand zur Fortbewegung auf dem wärmenden Teppich, den man in seinem Spielzimmer ausgebreitet hatte, zu verwenden. Nach kurzem Kriechen hatte er jedoch offenbar sein Ziel erreicht, denn erneut ließ er sich auf seinem Gesäß nieder und ließ Gaius seinem Passagier die Ankunft verkünden.
    "Schon da, Consul Minimus!"
    Obschon es dem Knaben durchaus bewusst war, dass die Consuln der Urbs Roma für gewöhnlich ihr Eintreffen im Senat auf dem Rücken eines gewaltigen Wildtieres vermieden und ihre Sicherheit weitaus häufiger durch eine Schar von Liktoren, Sklaven und Klienten sicherstellten, es darüber hinaus eine Impossibilität darstellte, dass die Consuln mit Verspätung eine Senatssitzung betraten, da sie letztere der Tradition entsprechend stets initiierten, hatte er diese Adaptionen vorgenommen um die Dramatik dieses Kasus zu erhöhen. So fuhr er unbeirrt damit fort, seinem Fortbewegungsmittel Anweisungen zu erteilen.
    "Warte hier bis ich fertig bin! Und erschreck die Kinder auf dem Forum nicht!"

    In unmittelbarer Nähe der Schlafstätte des jüngsten Flavius hatte dieser eine Räumlichkeit okkupiert, um diese zur Verwahrung seiner umfangreichen Kollektion durchaus differenter Spielgeräte zu nutzen, aber auch zur Praktik jener Tätigkeit, der Knaben seines Alters für gewöhnlich den größten Anteil der täglichen Zeit zueigneten: Dem Spiel.
    So wurde die rechte Seite des Raumes durch ein gewaltiges Regal dominiert, dessen einzelne Sektionen mit verschiedensten Gegenständen angefüllt war: Im unteren Bereich lagerten diverse Geräte, die sowohl für die inwendige Nutzung, als auch für die unter freiem Himmelszelt adäquat waren. So lagen an ihren zugewiesenen Stellen diverse lederne, gänzlich runde Pilae mit einer Füllung aus dem Federkleid einer Ganz, die Manius Minor bisweilen einem der Sklaven zuzuwerfen pflegte und ihn anschließend ihrerseits geworfen zurückerhielt, aber auch für Mannschaftsagone wie Ephedrismos, das Lakrates ihn gelehrt hatte, Verwendung fanden. Ebenso verfügte der Knabe auch über einen Follis, der dank seiner Permeabilität mehr einem gefüllten Ledersack als einem Sportgerät größter Beliebtheit aus zukünftigen Tagen glich.


    Die folgende Etage war den Holzfiguren vorbehalten, die dort in größter Diversität auf ihren Plätzen standen, saßen oder lagen. Unter ihnen befanden sich Werke wie eine getreuliche Darstellung eines römischen Senators, aber auch Soldaten, Gladiatoren, sowie Wesen, die hellenischen Mythen entsprungen zu sein schienen, aber auch Vertreter der regionalen und imperialen Fauna. Im Zentrum thronte darüber hinaus ein Exemplar, das seit frühester Kindheit zu den favorisierten Gegenständen des jungen Flavius zählte: Es handelte sich um ein Krokodil von der Größe zweier kindlicher Hände, dessen Leib deutlich zu erkennen gab, dass es vielmalige Nutzungen erlitten hatte, was möglicherweise darauf zurückzuführen war, dass sein Maul durch manuelle Betätigung geöffnet wie geschlossen werden konnte.


    Beherbergte eine weitere Etage auch vier linnene Puppen, sowie eine vollständige Centuria bemalter Holzfiguren, stellten das unzweifelhafte Prunkstück dieser Kollektion jene Gebilde dar, die auf einer kreuzförmigen Konstruktion in einer weiteren Ecke des Raumes präsentiert wurden: Darauf hing, gleich dem eines römischen Feldherrn in dessen Praetorium, ein schimmernder Muskelpanzer aus getriebenem Metall, obschon die Bronze im Gegensatz zu seinem Vorbild von minimaler Dicke, sowie deutlich minderer Größe war, sodass sie für einen Knaben im siebten Lebensjahr angenehm zu tragen war. Dieser wurde durch einen Helm ergänzt, ebenfalls von silbrigem Glanze und mit einem prächtigen Rosshaar-Busch besetzt. Um die Feldherrn-Ausrüstung des Knaben jedoch zu vervollständigen, hingen ebenso ein Gladius, das dessen übliche geringe Länge noch unterschritt, um der zierlichen Statur des jungen Flavius gerecht zu werden. Weitaus weniger augenfällig, jedoch ebenso dieser Montur zugehörig, lehnte zuletzt ein hölzerner Speer an der Wand, dessen Spitze jedoch durch eine lederne Hülle verborgen war, was zweifelsohne der Sekurität des Mitspielers dienen sollte.

    "Billig heb ich, Apoll, in deinem Namen ein Lied an;
    da ich den Ruhm der Helden der alten Zeiten entfalte,
    die in dem wohlgezimmerten Schiff, der palladischen Argo,
    durch die Mündung des Pontus und zwischen den schroffen Kyane
    durchgesetzet, das goldene Vlies von Kolchys zu holen.


    Pelias hatte sie abgefertigt, man hatt' ihm geweissagt,
    auf ihn wartet ein trauriges Schicksal, er würde das Leben
    durch den Verrat des Mannes verlieren, den er nur mit einem
    Schuhe gekleidet auf offener Straß' einhergehn sähe."

    rezitierte Artaxias mit sanfter Stimme, die auf akkurate Weise sämtliche Jamben und Spondeen auf die metrisch korrekte Weise betonte, den Ersten Gesang der Argonautika, jenes Werkes, das Manius Maior seinem Sohne zum Geschenk gemacht hatte. Dessen Urheberschaft entsprechend, wie auch der Zunge seiner Heimat folgend, bediente er sich dabei der hellenischen Sprache, die er stets bei der Konversation mit dem jungen Flavius anwendete, aufdass dieser auf natürliche Weise der Sprache Homers mächtig würde. Dass diese Vorgehensweise, die der zahlreicher aristokratischer Familien Roms glich, Erfolg zeigte, war dadurch erkennbar, dass der junge Flavius aufmerksam in seinem Lager lag und sich in der Lage sah, den Worten des Sklaven zu folgen.


    Obschon sich Apollonius von Rhodos in diesem Werk der Sprache der Poeten bediente, vermochte der Knabe den größeren Teil der folgenden Erläuterungen zu verstehen, was möglicherweise der Tatsache geschuldet war, dass auch sein Vater sich bisweilen in der alltäglichen Kommunikation einer derartigen Sprache bediente. So erschienen vor seinem geistigen Auge die Heroen jener Episode, darunter Orpheus, jener sagenhafte Sänger, von dem man ihm bereits berichtet hatte, die göttlichen Zwillinge Kastor und Polydeukes, den die Römer Pollux zu nennen pflegten, aber auch der mit bärengleicher Stärke gesegnete Herakles und Theseus, der König Thebens. Und obschon noch kein Bericht über weitere Argonauten an sein Ohr gedrungen waren, immaginierte er auch die Göttersöhne Philammon, Idas oder Mopsos, sowie verständlicherweise Iason, den Führer jener Expedition zum Raube des goldenen Vlieses.


    Doch kaum hatte der Sklave die wortreiche Deskription der Helden vollendet, musste Manius Minor angesichts der Beschwernisse des Tages und der fortgerückten Stunde vor seinem Bedürfnis nach Schlaf kapitulieren. Sanft glitt er hinab in das Reich des Morpheus, wo die Sage nun ihren eigenen Beginn nehmen würde, während Artaxias noch wenige weitere Verse las, ehe seine Insekurität, ob sein junger Herr lediglich in einen Zustand des Dösens hinabgesunken war, ablegte und verstummte.


    In der Bemühung, den Knaben nicht durch laute Geräusche zu wecken, verzichtete er darauf, die Rolle einzurollen, sondern bewahrte sie geöffnet, während er leise davonschlich und mit größter Vorsicht die Tür zum Cubiculum verschloss.

    Wie er es erwartet hatte, sprach seine Mutter ihm erneut ein Lob aus, das nicht nur eine intrinistische Belohnung in seinem Innern bedeutete, sondern zugleich auch ein visibles Anzeichen dessen in Form eines Leuchtens in seine Augen hervorrief, wie es wohl kaum durch jenes zu übertreffen sein würde, das seinem Vater vor Staunen und Freude geschehen würde, wenn er jenen Brief in Händen halten würde, denn in der Tat erfreute ihn ein Lob aus dem Munde seines Vaters, mit dem er weitaus weniger Kontakt pflegte als mit seiner Mutter, selbst wenn er in Rom weilte, weitaus stärker, was wohl an dessen Seltenheitswert lag, der jedoch lediglich von der seltenen Möglichkeit seines Vaters zum Lob abhing.
    "Toll, dann bekommt er ihn ja bald!"
    Da es dem Knaben inzwischen wieder entfallen war, wohin sein Vater aufgebrochen war, besaß jedoch nicht im Entferntesten die Möglichkeit, diese Dauer abzuschätzen, wobei er sie wohl selbst mit jener dies nicht vermocht hätte, da er selbst zu keinem Zeitpunkt auch nur eine vergleichbare Strecke zurückgelegt hatte, beziehungsweise durch sein infantiles Verständnis der Zeit auch der entwicklungszyklischen Voraussetzungen entbehrte.


    Dies jedoch vermochte ihn nicht zu inkommodieren, zumal sein Interesse bereits wieder von dem Brief auf das Spiel abgeglitten war, was er auch nun nach einer derartigen Leistung als adäquat und legitim betrachtete, sodass er mit erstaunlicher Geschwindigkeit von seinem Hocker sprang und mit der größten Geschwindigkeit, die ihm mit seiner kindlichen Anatomie möglich war, auf das Haus zustürmte, wo er sein Spielmaterial vermutete, das er zu verwenden gedachte.
    Unterdessen beschloss er jedoch zugleich, seine Mutter über sein Vorhaben zu unterrichten, sodass er zurückrief
    "Ich geh' Spielen! Bis später!"

    Die Wirkung, die seine Vertrautheit mit den Ludi hervorrief, schien weiterhin aufs höchste frappierend auf sein Gegenüber zu wirken, sodass die Freude des jungen Flavius an Berichten über jene Impressionen in keinster Weise verebbte. Aufgrund seiner mangelnden Erfahrung mit Floskeln der alltäglichen Welt außerhalb der schützenden Mauern der Villa Flavia kommentierte er jedoch sämtliche Aufforderungs- und Fragesätze, deren Inspiration wohl in Teilen lediglich rhetorischer Natur waren. So bestätigte er die Nachfrage mit einem knappen, aber dennoch seriösen
    "Ja!",
    ging jedoch ebenfalls auf die einräumende Bemerkung betreffs der mütterlichen Ablehnung ein, ehe er auf die Siegerprämie der todesmutigen Kämpfer zu sprechen kam, die ihm jedoch im Gegensatz zu jener Spannung der Kämpfe lediglich bruchstückhaft in Erinnerung war.
    "Ja, kann ich deiner Mama gern sagen. Und der hat...glaube ich...einen Palmzweig gekriegt. Und Geld."
    Angesichts jener Anstrengung, die es erforderte, sämtliche Quisquilien der Veranstaltung zu memorieren, kniff er das linke Auge zusammen, während sich sein Blick für einen Augenblick etwa in jene Richtung verlor, in der wohl der Olymp der Götter lag.


    Die Okkasion der folgenden Bemerkung hatte Manius Minor jedoch zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen, sodass sie ihn völlig bestürzte. Die Muskeln seines Unterkiefers schienen unvermittelt zu erschlaffen, sodass sein Mund sich zu öffnen begann, während sein Blick von Ungläubigkeit geprägt war. Niemals in seinem Leben war er einem Knaben begegnet, der in similem Alter gewesen war, noch viel weniger jedoch war es zu einer persönlichen Einladung eines solchen gekommen! Zwei Emotionen schienen in seinem Geist zu widerstreiten: Seine Xenophobie befahl ihm, jene Offerte auszuschlagen, warnte ihn vor negativen Folgen gegenüber seiner Mutter oder Ammen, die stets bestrebt waren, ihn in Sicherheit zu wissen, warnte ebenso vor den Unwägbarkeiten des Lebens außerhalb jener Mauern, die ihn, sein Leben, seine Familie wie auch seinen gesamten Kosmos schützten und verteidigten. Doch in ebenso starkem Maße meldete sich die in ihm verborgene, infantile Neugierde zu Wort, ein ungekannter Wissensdurst, der darauf brannte, die vertraute Welt zu verlassen, gleich einem Aeneas oder Ulixes in fremde Territorien auszubrechen, adventuröse Erlebnisse zu erfahren und damit seinen eigenen Kosmos zu erweitern.
    So vergingen einige Sekunden, in denen es für den unbedarften Betrachter wirken mochte, als habe der Knabe eine Larve oder gar einen Lemuren erblickt, dann jedoch wandelten sich seine Züge binnen eines Augenblickes: Der Mund schloss sich, seine Mundwinkel zogen sich, wie von unsichtbaren Fäden gezogen, nach oben und ein Glänzen bemächtigte sich seiner Augen, ehe es aus ihm herausschoss wie ein Wasserfall, der von dem Nest eines Bibers aufgestaut worden war und sich nun die Bahn brach:
    "Ja, sehr gern! Wann darf ich denn kommen?"
    Die Neugierde hatte obsiegt, hatte jegliche Einwände hinweggewischt, selbst jene berechtigte Befürchtung, dass die Exploration Roms das Missfallen seiner Mutter würde hervorrufen.

    Eine gewisse Mäßigung seiner deplorablen Lage trat auf das wärmende Lächeln der Mutter ein, die sich steigerte, als sie die Diagnose des Knaben auch explizit bestätigte. Dennoch erschien ihm der folgende Hinweis geradezu pythisch. Was mochte die Anzahl seines Vaters an Söhnen mit seinem Schreiben verbinden? Für einen Augenblick richtete er seinen Blick auf die Tabula zurück, dann jedoch fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
    "Ah, mein Name, Mama!"
    Beseelt durch seinen Erfolg bei der Lösung dieses Rätsels ergriff er, ohne eine Bestätigung seiner Mutter zu erwarten, den Stylus und begann, seinen Namen - oder vielmehr den Kosenamen, mit dem sein Vater ihn stets zu titulieren pflegte, an das Ende des Briefes zu setzen, zumal er ohnehin in der Schreibung dieses Namens besonders firm war und keinerlei Hilfe dafür bedurfte.

    [FONT=john handy LET,Staccato222 BT,comic sans ms]SALVE PAPA,
    WIE GEHT ES DIR? STREITEN SICH DIE LEUTE BEI DIR NOCH? RATE WAS ICH SCHON KANN!
    ICH HABE SCHON VIEL GELERNT. GLAPHYRA HAT MIR DIE GESCHICHTE VON UL I X ES ERZÄHLT. ABER ICH HABE AUCH ZEIT ZUM SPIELEN. ICH HABE NÄMLICH DEN TEMPEL VON IUPPITER AUF DEM KAPITOL GEBAUT. NUR DIE STATUE HABE ICH NICHT RICHTIG ABBILDEN KÖNNEN WEIL ICH KEINE SITZENDE FIGUR HABE DIE AUSSIEHT WIE IUPPITER. ICH HABE AUSSERDEM EIN HOLZPFERD BEKOMMEN.
    DANKE AUF FÜR DEIN GESCHENK. ES GEFÄLLT MIR SEHR. HAST DU ES NUN ERRATEN? ICH HABE SCHREIBEN GELERNT UND DIESE ZEILEN SELBST VERFASST.
    MÖGEN DIE GÖTTER IMMER ÜBER DICH WACHEN.


    MINIMUS
    [/FONT]


    Kaum hatte er das abschließende Wort im Wachs gebannt, betrachtete er erneut mit leuchtenden Augen seine Mutter, bereit, durch eine Belobigung seine Schreibfähigkeit und Gelehrsamkeit attestiert zu bekommen.
    "So, ist es jetzt gut?"
    fragte er, wobei der Stolz, der ihn durchfuhr, auch in seiner Stimme mitschwang und von der endgültigen Satisfaktion des Knaben zeugte.

    Als seine Mutter die Tabula mit ihren sanften Händen, die ihm von zahlreichen Liebkosungen bekannt waren, ergriff, hob er seinen Blick erneut auf ihr Antlitz. Ihre Satisfaktion bot ihm eine Konfirmation seiner eigenen Gefühlsregungen, dennoch verspürte er erneut eine gewisse Unrast, als sein Blick ihre Augen fixierte, die die Zeilen überflogen, doch offenbare keine weitere orthographischen Fehltritte zu entdecken vermochten.


    Dennoch schien die Epistel noch immer einen Makel zu besitzen, den sie ihm jedoch nicht enthüllte, sondern erneut seine eigenen Geisteskräfte zu beanspruchen gedachte, sodass der Knabe sich erneut aufzuschwingen hatte und noch einmal sein Scriptum inspizierte, ohne jedoch einen Fehler zu erkennen. Voller Verwirrung blickte er von seinem Werk auf und zu seiner Mutter, dann wandte er sich wieder der Tabula zu, erneut jedoch ohne einen Lapsus zu entdecken, sodass er ein weiteres Mal aufblickte und seine Mutter bar jeden Verständnisses anblickte und mit höchst insekurem Timbre fragte
    "Das...ist doch alles richtig! Oder nicht?"

    Ein weiteres Diktat blieb aus, doch dank einer glücklichen Fügung, die zweifelsohne einzig der wankelmütigen Fortuna zu danken war, gelang es dem Knaben in der Tat, beide Sätze vollständig zu memorieren und dem Wachs zu übereignen. Nur am Rande notierte er unterdessen das Schlucken seiner Mutter, das jedoch nicht als Äußerung der Befangenheit, sondern als banale Körperreaktion auf übermäßige Speichelbildung betrachtet wurde, wobei Manius Minor nicht weiter nach der Ursache für diese Erscheinung forschte. Als er geendet hatte, entdeckte er selbstständig erneut einen verdrehten Buchstaben, den er aber rasch auslöschte und auf korrekte Art und Weise ersetzte, was ihm dank eines kontrollierenden Blickes auf die bisherigen Worte gelang.


    Als seine Mutter weiteren Ambitionen zu eruieren gedachte, schüttelte der Knabe rasch sein Haupt, sodass sein Haar, das entsprechend dem Gustus Claudias stets nur wenig gekürzt wurde, aber dennoch in höchstem Maße gepflegt wirkte, durch die Zentrifugalkräfte herumgeschleudert wurde. Dies währte jedoch nur für einen kurzen Moment, als Manius Minor feststellte, dass diese Frage rein rhetorischer Natur gewesen war und offenbar niemals eine Antwort erwartet hatte. Stattdessen offerierte sie vielmehr sogar eine weitaus wohlklingendere Alternative zu seinem schlichten Gruß, den der junge Flavius vermutlich niemals hätte ersinnen können, ihm aber dennoch sofort als absolut opportun erschien. So vermied er erneut eine weitere Debatte betreffs dieser Frage, sondern fuhr mit seinen Mühen fort, die zwar erneut keinerlei kalligraphische Qualitäten besaßen, dennoch aber zumindest den Regeln der Orthographie gehorchten und durchaus legibel waren.
    "Fertig!"
    rief er schließlich aus, als er den Satz vollendet hatte und den Stylus beiseite legte. Ihn überkam eine große Satisfaktion ob seiner großen Leistung, aber es erschien ihm auch gleich einem immerströmenden Labsal, endlich diese schwere Aufgabe beendet zu haben, sodass er voller Erleichterung aufatmete und die Tabula mit einer vorsichtigen Geste gen Claudia schob, während sein Antlitz gleich einem Spiegel beide Emotionen offenbarte.


    [FONT=john handy LET,Staccato222 BT,comic sans ms]SALVE PAPA,
    WIE GEHT ES DIR? STREITEN SICH DIE LEUTE BEI DIR NOCH? RATE WAS ICH SCHON KANN!
    ICH HABE SCHON VIEL GELERNT. GLAPHYRA HAT MIR DIE GESCHICHTE VON UL I X ES ERZÄHLT. ABER ICH HABE AUCH ZEIT ZUM SPIELEN. ICH HABE NÄMLICH DEN TEMPEL VON IUPPITER AUF DEM KAPITOL GEBAUT. NUR DIE STATUE HABE ICH NICHT RICHTIG ABBILDEN KÖNNEN WEIL ICH KEINE SITZENDE FIGUR HABE DIE AUSSIEHT WIE IUPPITER. ICH HABE AUSSERDEM EIN HOLZPFERD BEKOMMEN.
    DANKE AUF FÜR DEIN GESCHENK. ES GEFÄLLT MIR SEHR. HAST DU ES NUN ERRATEN? ICH HABE SCHREIBEN GELERNT UND DIESE ZEILEN SELBST VERFASST.
    MÖGEN DIE GÖTTER IMMER ÜBER DICH WACHEN.



    [/FONT]

    Ein wenig erstaunt ob der Tatsache, dass selbst seine Mutter Fehler zu machen pflegte, beschloss er sich ihren Rat ins Herz zu schreiben und für kommende Zeiten stets seine gesamte Konzentration auf diese Form der Arbeit zu bannen, zumindest während ihrer Ausführung. Doch trotz dieser kleinen kleinen Unzulänglichkeit konnte er selbstverständlich keine adäquatere oder suffizientere Auflösung seines Spannungsbogens erdenken, zumal seine Motivation betreffs des Verfassens von Briefen mit der Zeit merklich sank, sodass er schlicht erwiderte
    "Nein, nehmen wir das!"
    und ehe seine Mutter ihren Vorschlag erneut überdenken konnte, den Stylus wieder ins Wachs drückte und das ersten beiden der Worte darin auf vergängliche Weise verewigte. Dann jedoch blickte er auf, um das Diktat seiner Mutter zu erwarten, da es bereits seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, die gehörten Worte in Buchstaben zu transferieren.

    Auch diesmal entging dem Knaben nicht die Konfusion, die seine Mutter drückte, doch wie so oft schlussfolgerte er daraus falsch, denn er interpretierte dieses negative Gefühl als Tadel gegen seine Fähigkeit, was ihm jedoch in gewisser weise als Ungerechtigkeit erschien, obschon zugleich leise Zweifel aufkamen, ob er nicht doch den gewöhnlichen Ansprüchen seiner edlen Familie in zu geringem Maße nachkam. Doch er verschwieg jegliche Äußerungen dies betreffend, sondern blickte seine Mutter unschuldig an, wobei jedoch er jedoch ein kleines Maß an Enttäuschung nicht verbergen konnte. Dann jedoch replizierte er rasch.
    "Hm, normalerweise einfach mit 'Vale, Papa'"
    Jener Gruß entsprach in seiner strikten Schlichtheit auch seiner Anrede, doch wäre vermutlich jegliche weitere Ausschmückung im phonetischen Nutzen dispensabel und gänzlich unpraktikabel. Ob dieser Gruß jedoch auch für einen Brief adäquat war, wusste der Knabe selbstverständlich ebensowenig wie er wusste, welche Alternative sich bot.


    Bei seiner Lektüre war ihm jedoch noch eine weitere Problematik aufgefallen, der seine Mutter offenbar keine Beachtung geschenkt hatte - oder die vielmehr ihr lediglich entfallen sein musste.
    "Aber wir müssen erst noch schreiben, dass ich schreiben kann, Mama!"
    warf er daher in unbeherrschter, dennoch besorgt ermahnender Weise ein.

    In diesem Fall verzichtete Manius Minor darauf, selbst eventuelle Fehltritte auszumerzen, sondern richtete seine Aufmerksamkeit lediglich auf das Antlitz seiner Mutter, sodass er deren Überraschung sofort identifizierte und sich nun doch seiner Schrift zuwandte, ohne einen Stein des Anstoßes zu finden, was ihm jedoch kurz darauf eröffnet wurde.
    "Achso!"
    kommentierte er daher die Korrektur und schenkte seiner Mutter ein leicht verschämtes Lächeln. Dann ergriff er rasch den Stylus und begann, das fehlerhafte Wort zu eradieren, nur um im Anschluss die korrekte Form seiner Mutter an selbigen Ort zu kopieren. In diesem Fall beschloss er, dass sein Fehler ihm nicht zur Schande gereichen konnte, zumal seine Mutter eingeräumt hatte, dass der Fehler auf ihrer Seite gelegen hatte.


    Während seine Mutter bereits darüber nachdachte, wie die Epistel nun zu beenden war, betrachtete der Knabe noch einmal sein Werk und versuchte es zu dechiffrieren, wobei er die Worte mit leiser Stimme vor sich hersagte.

    Schweigend verfolgte der Knabe, wie seine Mutter zum Zwecke der Korrektur das zwischenzeitliche Produkt seiner Bemühungen kontrollierte. Auch er selbst hielt seinen Blick auf die Tafel gebannt in der Hoffnung, Fehltritte vor seiner Mutter zu entdecken und selbstständig verbessern zu können. Doch offenbar lag nichts Derartiges vor, denn schon fuhr Claudia mit dem Diktat fort.


    So ergriff er erneut den Stylus und beeilte sich, die Worte seiner Mutter in die Gestalt von Strichen und Bögen zu bringen, wobei er eines weiteren Problems seines Alphabetisierungsgrades gewahr wurde: Wie nur mochte der Name jenes hellenischen Helden aussehen, schrieb man ihn aus? Für einen Augenblick stockte sein Stylus, dann beschloss er, das Wagnis einzugehen und ihn in der Weise zu buchstabieren, wie es seine Phonetik vorgab, was letztendlich in einen adventuröse Verstoß gegen jegliche Orthographie mündete, denn anstatt das Wort 'Ulixes' zu schreiben, erschien es ihm angemessen, ein derartig exotisches Wort mit den Lettern 'U', 'L', 'Y' (wobei ihn ein gewisser Stolz durchströmte, dass er einen derartigen Vokal bereits beherrschte), 'C', 'S', 'E' und erneut ein 'S', bei dem er erneut stockte und sich dann nach einem kurzen, kontrollierenden Blick auf das bisher Geschriebene entschloss, ihm die richtige Schlangenform zu geben. Den übrigen Text hingegen vollendete er fehlerlos, sah man erneut von gewissen Varianzen in Breite und Höhe einzelner Lettern ab und brachte man ausreichend Geduld auf, um die häufigen Unterbrechungen für kurze Reflexionen über Orthographie oder Buchstabenformen zu erwarten.


    Als er schließlich geendet hatte, legte er den Stylus beiseite und blickte seine Mutter voller Stolz an. Er vermochte sich nicht zu erinnern, jemals einen derartig langen Text geschrieben zu haben!

    Mit einer kurzen und knappen Neigung seines Hauptes deutete der Knabe seine Bereitschaft zum Beginn an, was Claudia jedoch nicht erst erwartete, sondern unverzüglich mit dem Diktat bekannt. Manius Minor setzte den Stylus auf das Wachs, das ob der Wärme bereits eine gewisse Viskosität entwickelt hatte, und begann in geschwungenen Kursiven die erste Sentenz einzuritzen.


    Als seine Mutter jedoch kurz darauf seine Griffelhaltung monierte, erkannte er rasch seinen Fehler und korrigierte ihn, indem er den Mittelfinger unter den Stylus verbannte. Dann führte er das Diktat fort, wobei ihn die Konzentration in einem derartig hohen Maße ergriff, dass sich die Spitze seiner Zunge langsam zwischen seinen leicht geöffneten Lippen hervorschob, während sie stets den Kontakt sowohl zur obigen, als auch zur unteren Lippe wahrte.


    Und wahrhaftig wirkte das Ergebnis seiner Bemühungen passabel: Obschon er notorisch dazu neigte, dem 'T' einen tendenziell zu kurzen vertikalen Strich zuzuweisen und sein 'A' eine Disposition zu übermäßiger Breite besaß, vermochte auch einer Person, der der Stil des Knaben nicht familiar war, die vollendeten Sätze zu entziffern.

    Das Stutzen des Gegenübers hinterließ im Geiste des jungen Flaviers ein Gefühl von Relevanz und Superiorität, da er im Gegensatz zum bisherigen Verlauf der Konversation nun einen Vorsprung an Erfahrung besaß.
    "Doch, eine hat sogar gewonnen!"
    Obschon dem Knaben der Name der Dame entfallen war, konnte er noch immer ihr Antlitz memorieren. Ebenso waren ihm manche Sagen von den horriblen Kreaturen bekannt, die Amazonen genannt wurden, sodass es ihm bereits jener Zeitpunkt vor einem Jahr nicht als besonders frappierend in Erinnerung war.
    "Ja, Mama war sogar dabei. Und es ist gar nicht gefährlich, die Gladiatoren sind ja ganz weit weg und nur der Sieger kommt hoch und bekommt dann etwas geschenkt. Aber die sind schon gruselig! Manche waren ganz voller Blut!"
    Damals wie heute war ihm jedoch die Bedeutung des Lebenssaftes für den Organismus unbekannt gewesen, abgesehen davon hatte sich dieser Anblick kaum von dem Sklaven divergiert, der vor dem Lararium die blutigen Opfer zu ermorden pflegte, die den Laren und Penaten als Gaben dargebracht wurden. Um die Wirkung seiner Worte jedoch in dramatischerem Licht erscheinen zu lassen, riss der Knabe während dem letzten Satz seine Augen für einen Augenblick bedeutungsvoll auf.