Beiträge von Claudia Romana

    Restituta neigte ihren Kopf kurz, nicht wie zur Verbeugung, sondern um mit einem Nicken anzudeuten, dass sie die Begrüßung gehört hatte. Unterdessen verlor sie aber nicht ihr Lächeln. Eine Fruendin von Romana, dachte sie, konnte ja nicht schlimm sein. Nicht aber, dass sie sich selber in die Konversation einmischte—von natur aus war sie zurückhaltend und ein wenig schüchtern, sodass sie sich auch brav im Hintergrund hielt.


    Romana hingegen war von der Präsenz her deutlich auffälliger, nicht nur, weil sie alleine durch ihre Größe alle anderen Vestalinnen überschattete. Ihren Freunden und Freundinnen zeigte sich die Vestalin, die andernorts auch durchaus eine überstrenge und fanatische Patrizierin sein konnte, von der Sonnenseite. Freilich war sie schon seit vielleicht 10 Jahren Vestalin, aber trotzdem musste sie sich selber gegenüber zugeben, dass der Gedanke, dass die Einigung mit Männern ihr verschlossen blieb, zwiespältige Gefühle in ihr auslöste. Einerseits gefiel ihr das Leben als Vestalin, und sie wusste, wäre sie nicht Vestalin geworden, wäre sie vielleicht als Heimchen bei irgendeinem alten patrizischen Senator gelandet. Andererseits... einmal einen Mann nahe bei sich spüren. Einmal... ach, sie sollte mit dem Nachdenken aufhören. Eine Claudia träumte nicht, eine Claudia stellte sich den Realitäten! Und die Realität war, dass sich eine solch passable und untadelige Römerin, wie Romana es zu sein anstrebte, sich den Gedanken an ein erfülltes Sexleben abschminken konnte. Egal, ob Vestalin oder nicht. Adel verpflichtete schließlich. Und ohnehin war Romana viel zu konservativ in ihrer Ausrichtung, reaktionär in ihren Gedanken, altmodisch in ihren Vorstellungen, als dass solche Gefühle sich bei ihr länger halten konnten als ein paar Sekunden, bevor sie von einer wahren Flutwelle an nüchterner Rationalität erstickt wurden. Die Rationalität sagte ihr, Vesta würde es ungerne sehen. Und sie sagte ihr, für so etwas würde sie sterben. Und dann gab es noch eine kleine hässliche Stimme in ihr, die ihr einflüsterte, sie sei ein viel zu großer Trampel, um einen mann zu finden, der je etwas an ihr finden würde.


    Wenn Axilla Romanas offenherzig getragenen Rassismus befremdlich fand, ließ sie es sich nicht anmerken, sondern lächelte nur, was Romana in ihren engstirnigen politisch-religiösen Ideen auch nur bestärkte. “Ganz genau, liebe Axilla, ganz genau. Unsere Vorfahren haben es absolut perfekt eingerichtet, dass dieses Fest heute gefeiert wird. Denn hast du jemals schon eine verregnete Lupercalia gesehen? Nein.“ Sie lächelte warmherzig. “Du warst noch niemals auf einer Lupercalia?“, fragte sie dann zusätzlich, denn so hatte sie Axillas Satz verstanden. “Merkwürdig. Feiern die keine Lupercalia in... ach ja, natürlich feiern die bei euch in Hispania keine Lupercalia. Es gibt ja keine Luperci in den Provinzen.“ Sie lachte, leicht peinlich berührt. “Nun, dann schau es dir an. Schau es dir gut an. Präge dir ein, wie wir in Rom Feste zu feiern verstehen.“


    Sie reckte ihren Hals, um zu sehen, wohin Axilla schaute. Kurz verzog Romana missbilligend ihre Lippen, als sie sah, wie die jungen Dinger da ganz unverschämt herumturtelten. Aber nun ja. “Heute ist ja die Lupercalia. Da dürfen sie das“, murmelte sie zu sich selber. “Unsere Vorfahren werden schon gewusst haben, wozu dies gut war...“ Sie blickte wieder zu Axilla, lächelte, und zuckte die Schultern. “Ich muss gestehen, das höchste und erhabenste Fest, welches man hier in Rom sieht, ist die Lupercalia nicht. Ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, die Vestalia ist äußerst interessant.“ Für verheiratete Frauen, natürlich.

    Romana kniff die Augen zusammen, als Morrigan es sich herausnahm, sie zu schulmeistern. Sie zu behandeln, als ob die mehr Ahnung vom Tuten und Blasen hätte als Romana, die zum einen älter und lebenserfahrener war als die persische Sklavin, und zum anderen, nun eine Sklavin war, während Romana die Herrin war. Wie schon Morrigan sagte, sie war Domina Romana. Sie dominierte, und ließ sich nicht Sachen sagen. Das Glück der Sklavin war, dass sie Romana gerade das Leben gerettet hatte, deshalb ließ Romana das heute durchgehen. Doch bevor sie den Wunsch negieren konnte—Mansuri, das würde ihr wohl passen—sprach der Soldat ein Machtwort, wofür Romana ihm durchaus dankbar war. Sie nickte dem Iunier zu. “Gut, machen wir es so“, sprach sie zu ihm und blinzelte verblüfft, als Morrigan sie anwimmerte. Laut und deutlich entgegnete sie: “Du hast doch gehört, was der Miles gesagt hat. Du wirst mit mir in das Atrium Vestae mitkommen.“ Woher glaubte denn die Perserin mit dem verdächtig keltisch klingenden Namen, dass sie mit den Soldaten mitkommen müsste?


    Sie wandte ihren Kopf wieder zu den Soldaten hin. “Also. Ich danke euch noch einmal sehr für euren Einsatz.“ Sie versuchte souverän zu klingen, auch wenn es noch immer recht deutlich war, dass sie geschockt war. Sie lächelte den beiden abermals zu, auch dem, dessen Dienste sie verschmäht hatte. Ja, sie hätte vielleicht angenommen, hätte es sich um eine längere Strecke gehandelt über uneinsichtbare Gassen, aber was sie musste, war, über das Forum Romanum zu gehen. “Ihr werdet verstehen, dass ich nach diesem Schreck ein wenig Ruhe brauche. Valete, und wir sehen uns morgen.“ Mit diesen Worten wandte sie sich ab und schritt davon, zum Atrium Vestae hin.

    Wie Romana es vorausgesagt hatte, verliefen die paar Schritte zum Atrium Vestae ohne besondere Vorkommnisse. Romana, mit der Sklavin im Schlepptau, hatte nie ein Problem damit, sich durch Menschenmassen zu winden, schließlich konnte sie sich durch ihre Amtskleidung ziemlich viel Respekt verschaffen. Die Menschen traten auf die seite, wenn sie eine Vestalin sahen. Die Claudia achtete nicht sonderlich auf die ganzen Leute. Sie waren ihr egal. Sie wollte nur durch. Möglichst rasch.


    Es dauerte nicht lange, bis sie an der Türe zum Atrium Vestae ankam. Eine verwunderte Minucia Milicha öffnete ihr. Romana schilderte ihrer alten Mitvestalin in knappen Worten, was vorgefallen war, nur um eine Welle Mitleid von der Alten zu empfangen. Romana wollte aber nicht viel davon wissen. Sie fühlte sich müde. Das einzige, was sie noch konnte, war, Parthenope heranzupfeifen, bevor sie sich in ihr Cubiculum begab.

    Romana blinzelte. Die Claudier waren ihre Familie? Sie betrachtete die Claudier wirklich als ihre Familie? Das fand Romana komisch. Und tief in sich drinnen spürte sie ein schlechtes Gewissen aufziehen dafür, dass sie die Sklavin immer so streng behandelt hatte. Andererseits—wenn sie die Zügel locker lassen hätte, wäre die Sklavin kaum darauf gedrillt gewesen, Romana zu retten—es wäre viel wahrscheinlicher gewesen, dass sie sich einfach zurückgelehnt hätte und das Spektakel aus der Ferne beobachtet hätte. Nun, sie wusste, die Wahrheit war wohl nur die Halbe. Morrigan fürchtete wohl viel eher, dass ihr Vater ihr die Haut lebendig vom Leibe ziehen würde, wenn seiner Tochter etwas in ihrer Gegenwart passiert wäre. Aber dennoch, Romana rang sich zu einem Lächeln durch. “Gut gemacht, Morrigan. Gut gemacht.“ Mehr sagte sie nicht, aber die Perserin musste wohl wissen, dass dies ein großes Lob von ihrer Seite aus ausdrückte.


    So langsam bekam Romana ihre Atmung wieder unter Kontrolle. So unkonditioniert war sie nicht, aber der Schock ließ auch nur langsam nach.


    Dann schaltete sich wieder der Soldat ein. “Die Sklavin sollte dabei sein?“ War denn die Aussage einer Sklavin denn wirklich zulässig? Aber, wie der Soldat sagte, sie schien viel gesehen zu haben, während die ganze Angelegenheit für Romana wie ein Schleier in ihrem Gedächtnis war. Sie hatte das Messer gesehen, ja, eindeutig. Aber nicht den Mann dahinter. Zu sehr war sie von der Waffe eingeschüchtert gewesen. Ja, auch eine Claudia konnte eingeschüchtert sein, wenn man versuchte, sie abzustechen. “Nie wieder ohne Liktor...“, murmelte sie leise zu sich selber.


    Sie nickte mehr als nur befriedigt, als die Männer den Christen wegzerrten. Sie war sich sicher, den Angreifer würden sie auch noch ermitteln. Schließlich war das ihre Pflicht!


    Sie winkte ab, als Morrigan anbot, eine Sänfte rufen zu lassen. “Nicht notwendig. Das Atrium Vestae ist nicht weit von hier. Und ich kann gehen. Keine Sorge. Ach ja. Du musst mit mir zum Atrium Vestae kommen. Die Soldaten wollen das.“ In ihren Gesichtszügen konnte man etwas Bedauerndes erkennen. “Parthenope wird sich deiner annehmen.“ Das sollte gut sein, solange die schusselige Griechin nicht aus Versehen Morrigan in den Backstubenofen warf oder versuchte, mit ihr die Blumen im Atrium zu gießen.


    Sie wandte sich an den Rangniedrigen der Soldaten. “Danke. Herzlichen Dank. Aber ich glaube nicht, dass es notwendig ist, uns zu begleiten. Wir schaffen en Weg zum Atrium schon alleine“, machte sie mit einem lauen Lächeln. Warum musste man sie behandeln, als wäre sie aus Zucker? Sie hatte einen Mordanschlag überlebt, jetzt würde sie auch den kurzen Weg nach Hause überstehen.

    Ja, das war wohl Romanas Moment. Normalerweise hätte sie das getan, was jede brave Vestalin in solch einer Situation getan hätte. Sie hätte sich zurückgelehnt und die Obervestalin reden lassen. Nun aber war die Situation eine gänzlich andere. Und zwar insofern, als dass die Obervestalin... hmm... indisponiert war. Aufgrund einer ziemlich üblen Verkühlung, die sie ihrer Stimme beraubt hatte. Schon seit Längerem hatte Romana die Vermutung, dass es mit Vestalis Maxima Pomponia begab ging. Dass sie gerade Romana ermächtigt hatte, in dieser Angelegenheit für sie zu sprechen, erstaunte die Vestalin, aber vermutlich lag der Sinn darin, dass es Romana sein würde, die die neue Vestalinnenschülerin bekommen würde.


    “Mitglieder des Collegium Pontificium, Pomponia Pia lässt sich entschuldigen, sie ist krank.“ Sie holte tief Luft. “Der Verlust von Calpurnia war wirklich ein schwerer Schlag.“ Sie überging—für sie wohl überraschend—taktvoll, dass Gracchus den Namen durcheinander gebracht hatte. “Wir haben dem Pontifex pro Magistro einen Brief geschrieben, doch er ist kurz darauf nach Syria aufgebrochen.“ Was so ein Pontifex auch immer in diesem grässlichen Land, voller exotischer Krankheiten, Läusen und widerwärtigen Kulten, das wohl auch nicht die Seleukiden zu kultivieren wussten, zu suchen hatte.


    Ob ein Mädchen an sie herangetragen wurde in letzter Zeit? Romana dachte nach. Da war ja diese Helvetia gewesen, doch diese schien aufgegeben zu haben. Letztendlich schüttelte sie ihren Kopf so energetisch, dass ihre Haare ringsum um sie geflogen wären, hätte sie nicht ihre traditionelle Haartracht getragen und ihre üppigen Locken zu den traditionellen Sex Crines aufgesteckt, wie immer, wenn etwas Kultisches passierte.


    “Nein. Da wir aber eine neue Vestalin brauchen, schlage ich vor, dass das Collegium Pontificium auf die traditionelle Art und Weise eine neue mittels des Losverfahrens auswählt“, machte sie.

    Romana drehte sich herum, zum Soldaten hin, der Morrigan anging. Was machte der Typ? Ihre Sklavin genau ausfragen, was passiert war. Ihr Hintern schmerzte noch immer, ziemlich gewaltig sogar. Aber eines musste sie hier einwerfen gegenüber dem Mann von den Cohortes. “Wenn du mir zugehorcht hättest, hättest du nicht meine Sklavin dazu befragen müssen“, machte sie leicht schnippisch. Immerhin hatte er im Grunde Morrigan danach gefragt, was Romana schon gesagt hatte. Sie fand es merkwürdig, dass das ganze so unkoordiniert war, aber eigentlich war es ja auch nicht statthaft, sich bei denen, die vielleicht ihr Leben gerettet hatten, sich aufzuregen.
    Morrigan gab eine sehr detaillierte Beschreibung des Täters. Romana hätte das nicht gekonnt. Ihr war das ganze viel zu schnell gegangen. Ihr war leicht schwindlig. Das hier war ganz und gar keine gute Sache. Bei den Göttern, man hatte versucht, sie abzumurksen! Das war keine Kleinigkeit. Das war etwas, was sie anzuprangern hatte.
    Dankenswerterweise verband der seltsame Typ dann auch schon mit geschickten Bewegungen Morrigan, sodass sich die Claudia wieder dem Soldaten zuwenden wollte. “Christ sein... das ist ja... keine Straftat. So unglaublich es erscheint. Aber das Christentum predigen... unglaublich... dafür muss er bestraft werden... verdammtes Pack...“, knurrte sie zwischen ihren Zähnen hervor.
    Erst jetzt wurde ihre aufmerksamkeit auf Morrigan gelenkt. Die Arme sah sehr in Mitleidenschaft gezogen aus. Mit etwas erbärmlicher Stimme fragt sie, ob sie nach Hause könne. Romana schluckte und schüttelte den Kopf. “Nein... die Herren werden uns sicher noch einvernehmen wollen, fürchte ich...“, murmelte sie, fasste sie dann aber an ihre Schulter und beugte sich zu ihr. “Aber... danke... du hast mir wohl das Leben gerettet...“ Ihre Worte waren noch immer etwas gestammelt, den Schock hatte sie bislang nicht gut verdaut. “Aber... warum nur?“ Es war eine legitime Frage. Morrigan hatte doch genauso etwas gegen Romana, wie Romana etwas gegen Morrigan hatte. War es die Furcht, dafür bestraft zu werden, wenn sie ihre Herrin sterben ließ? Gut möglich. “Alles in Ordnung?“, stellte sie noch eine Frage, die hier nicht rhetorisch einwandfrei aufgehoben war, aber angesichts des Verbandes lag die Frage nah. Herrje, was, wenn die Sklavin hier verbluten würde? Sie wäre beileibe nicht die erste, die an einen Stich in den Arm zugrunde gehen würde. Das war schließlich eine extrem gefährliche Wunde.
    Der Soldat vor ihr stellte ihr eine Frage. Ihr Name. Ihr Name? Ach so. “Claudia Romana. Ich bin Sacerdos Vestalis“, stellte sie klar. “Ich schätze, ich muss mit euch mitkommen? Oder bekomme ich eine Vorladung? Oder werdet ihr mich am Atrium Vestae aufsuchen?“ Der Blick in ihren Augen machte deutlich, dass sie noch immer unter Schock stand, die Soldaten hätten sie widerstandslos mitzerren können.

    Nachdem der Händler sie mit einem servilen Satz und einer nicht minder servilen Geste pflichtschuldigst gehen lassen hatte—was hätte er auch sonst tun können?—und Romana aus seinem Laden getreten war, war ihr Zorn auf die Welt und die Situation hier allgemein so enorm, dass sie gar nicht bemerkte, dass die Menge um dem Christen herum gar nicht ihm zuhörte, weil sie es interessant fanden, wie jemand nur solchen Unsinn von sich geben konnte. Nein, sie horchten ihm offenbar zu, weil sie Freude daran fanden, ihn quatschen zu hören. Und sie waren durch seine Reden aufgehusst.


    Die Claudia verstärkte ihren Griff um den Kragen des Mannes. Der alte Mann stank so sehr nach... altem Mann. Es war widerlich. Romana rümpfte ihre Nase. Musste sie sich so etwas antun? Oh ja, musste sie! Als Vestalin war sie Sittenwächterin: sie konnte nicht zulassen, dass ein Christ Rom verseuchte mit seinen Ideen. Natürlich hatte sie schon im Vorhinein gewusst, was für ein Hypokrit der Christ war, was für ein niederes Wesen, und doch war Romana etwas erstaunt, wie schnell sich das Gesicht des Mannes mit der ledernen Haut wandelte. War, bis Romana herbeigeeilt war, die freundliche Fassade aufrecht gestanden, so zeigte sich nun das wahre Gesicht des Mannes, das reale Antlitz, die Fratze des Perversen.


    Du, sagte er, bist die Dienerin einer Götze. Einer Götze. Romana war baff. Sie löste nicht ihren Griff vom Mann los, aber ihre Kinnlade klappte runter. Morrigan sagte etwas. Die Claudia bekam es im schleier der Wut, der in ihr aufstieg, nur schemenhaft mit. Aber was sie mitbekam, war, dass sogar die Sklavin hier erbost war über die Worte des Alten. “Wie... kannst... du... es... waaaaagen...“, machte Romana zwischen Keucheinheiten, die ihre innere Erregung zum Ausdruck brachten. Eine Aufgebrachtheit, die sich nun manifestierte. Die Claudia ballte ihre rechte Hand, während die linke noch immer den Mann umfasst hielt, zu Faust. Holte aus. Und schmetterte sie mit voller Wucht in das Gesicht des Alten. Zähne, Knöchel, Lederhaut knackten. Romana sah kaum etwas, so gigantisch war ihr – in ihren Augen – gerechter Zorn.


    Sie blinzelte kurz. Der Schleier hob sich. Geräsuche drangen an ihr Ohr, die erbosten Rufe aufgebrachter Christianer. Der Alte war noch immer da. Er hing eher von ihrer linken Hand, als dass sie ihn hielt. Sein abstoßendes, hässliches Gesicht war blutverschmiert. Romana war schon von Natur aus kein Schwächling, und die grässlichen Worte des Heinis hatten ihre Stärke geradezu verdoppelt.


    Noch immer relativ verblüfft über die Wirkung, die ihr Faustschlag erbracht hatte, drangen ihr die Beschimpfungen zwar ans Ohr, doch sie kamen wie von einem anderen Planeten. Was sie nicht bemerkte, war der junge Mann in ärmlicher Kleidung, der so erbost war über Romanas Aktion – denn was war erniedrigender für einen religiösen Anführer, als von einer Frau verklopft zu werden? – dass er sich ihr näherte, mit einem Messer in der Hand. Erst das laute Nein der Perserin rüttelte sie wirklich wach. Sie fuhr herum, doch wäre es zu spät gewesen, wenn nicht... Morrigan gewesen wäre. Ein Rumsen fuhr durch ihren Körper, sie verlor die Balance, stürzte zurück, auf den harten Straßenboden, und landete schmerzhaft am Boden. Den noch immer benommen scheinenden Christenführer riss sie von seiner lächerlichen Kiste mit sich herab. Alles ging so schnell. So brutal. So blutig. Ein Krachen neben ihr. Schreie. Trappelnde Füße.


    Und dann sah sie Morrigans Gesicht über sich. Ging es ihr gut? Romana schluckte. Hustete kurz. Dann nickte sie leicht. Blut. Woher? Romanas Lippen zitterten, als sie ihren Mund aufmachte. “D...du... Morrigan... du blutest ja...“


    Und dann die Cohortes Urbanae. Zwei Soldaten. Was ist hier los, fragte einer, der andere schien sie eher für Morrigan zu interessieren. Sie ließ den Mann endlich los, schließlich kümmerten sich die Soldaten bereits um ihn. Die Götter seien gedankt, es waren Soldaten. Alles war ihn Ordnung.


    Sie rappelte sich empor und wandte sich, irritiert blinzelnd, an den Soldaten, der offenbar der höher Rangierende schien. “Salve... Miles. Dieser Mann hier...“ Sie streckte anklagend ihren Arm und ihren Zeigefinger auf ihn aus. “Er hat Reden gehalten. Gegen unsere Götter. Für den Christianerkult. Verboten unter... *keuch*... unter Paragraph 3 des Decretum Chistianorum. Ich wollte ihn stoppen und ihn den Cohortes übergeben. Er hat Vesta beleidigt... *schnauf*... ich habe ihn geschlagen. Dann wollte ein Christ mich umbringen. Aber meine Sklavin hat ihn aufgehalten...“ Sie wandte ihren Kopf herum, zum Soldaten, der sich Morrigans annahm. Sie sah die Wunde am Arm. Wusste, am Arm waren Blutgefässe. Wichtige. Morrigan könnte verbluten. “Verbindet sie... bitte...“, bat Romana, noch immer keuchend. Sie konnte es nicht, sie war ja keine Wundärztin!

    Eigentlich war Romana ja ganz froh, dass die Rede nicht länger von Männern, die es mit anderen Männern trieben, war. Es war... keine gute Vorstellung. Überhaupt keine gute Vorstellung.


    Livineia schien sich enorm zu interessieren, was Cultus Deorum anging. Die Claudia grinste. Fast hätte sie schon Livineia gefragt, warum sie sich, wenn der Cultus Deorum sie so interessierte, nicht als Discipula einschrieb, bevor ihr etwas klar wurde. Natürlich konnte ihre Nichte nicht Aeditua werden oder so etwas in der Art. Für eine Patrizierin war es absolut unwürdig, sich in solche Aktivitäten einzubringen. Aber es gab noch immer Kultvereine, zum Beispiel den der Bona Dea.


    “Nun, ich beantworte dir deine Frage gerne, denn ich bin mir sicher, dass du nicht herumtratschst“, klarifizierte sie gleich einmal im Vorhinein ihre Erwartungen. “Also. Genaues weiß man nicht. Man weiß nur, dass es einen Frevel in Nemi bei der Nemoralia gab, der den Zorn der Götter so dermaßen entbrannte, dass sie eine brüllende Viehherde entsandten, die viele der Teilnehmer zertrampelte. Einen Frevel, der offenbar körperliche Unzucht beinhaltete. Wie es aussieht, wurde Flavia Celerina vergewaltigt. Oder sie trieb es mit einem Sklaven. Auf jeden Fall war der Sklave kurz später tot, ermordet, und die Flavia nahm sich in der Villa Tiberia ihr Leben, noch bevor sie vernommen werden konnte. Kurz darauf erstach sich auch ihr Mann, der Pontifex Aurelius Corvinus. Sehr ominös, das Ganze. Auf jeden Fall... es gab eine Ermittlung in der Angelegenheit. Tatsächlich war ich und Tiberius nur zwei von dreien, die untersuchten. Der Dritte war—rate mal—Flavius Gracchus, ein Verwandter der Flavia Celerina. Er untersuchte in Nemi. Wunder ob Wunder, dass er dort nichts fand, was seine Verwandte inkriminierte.“ Sie seufzte.

    Und es erschien doch noch ein Lächeln um ihren Mund, als Menecrates ihr versicherte, er sei stolz und freue sich schon darauf. Romana wusste nun nicht gänzlich, ob dies nicht nur eine Notlüge war, aber sie glaubte es nicht. Sie hatte viel von ihrem Vater, darunter auch die soldatische Neigung, Klartext zu reden, und glaubte nicht, dass ihr Vater nun jemand wäre, der ihr, um sie von der Realität abzublocken, einen Schleier um die Augen binden wollte. Er hatte das noch nie gemacht.


    “Dann... dann... pass auf, dass die Barbaren uns nicht überrollen. Ich bin stolz auf dich, Vater“, machte sie leise zu ihm. Dann atmete sie aus, löste ihre Verkrampfung und stellte sich dann demonstrativ neben ihn hin, seine linke Hand haltend. Schaut her, wollte diese Geste sagen, das hier ist mein Vater.


    In diesem Moment kam Lepidus herbei, Romana ließ ihren Vater los. “Salve, Quintus!“, machte sie, bevor ihr Vater ihn dann auch noch mit Aufgaben überschwemmte. Sollte recht sein, dachte sich Romana, die das Gefühl gehabt hatte, in letzter Zeit habe ihr Vetter ein wenig zur Faulheit geneigt. Aber nun schien er mit Feuereifer dabei zu sein, Aufgaben von ihrem Vater zu übernehmen. Nun fein.


    Die Sklaven um sich ignorierte sie nicht einmal, auch wenn sie noch so stark und nervtötend um sie herumirrten. Denn es gab eh andere Sachen, auf die sie blicken konnte.


    Zum Beispiel ihre Verwandten. In diesem Augenblick nämlich erschien ein weiterer von jenen – das war ja jemand, den sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte! “Iavolenus!“, rief Romana aus und trat einen Schritt vor – bei seiner Begrüßung hatte ihr Vetter sie wohl nicht bemerkt, wiewohl ein Nichtbemerken von Romana eher schwieriger war, aber unter den groß gewachsenen Claudiern mochte ihre Größe nicht so sich extrem abheben, wenn auch ihre weißen Gewänder dies tun mochten. "Salve! Dich habe ich ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.“ Aus welchem Loch er bloß hervorgekrochen war?

    Ich finde es ebenfalls wirklich, wirklich schön!


    Nur ein Einwand - bei den restlichen Provinzen gibt es noch immer eine Provinz Hispania. Ich weiß, es kann sein, dass sie nie wieder bespielt werden wird, aber es wäre doch eine nette Sache, wenn man Batica und Tarraconensis herausfriemeln könnte - unter "Provincia Hispania" gibt es nicht einmal 2 Seiten Threads. ;)

    Romana betrachtete den Händler genauer. Er war ein alter Mann. Nun, nicht alt, aber älter. Sein Kopf sah aus, als hätte es sein ganzes Leben lang auf ihn hinaufgeschifft, hoch vom Himmel herab. Sie folgte seinen Bewegungen, wie er mit Sorgfalt und langsam Figuren von einem Regal holte, und sie säuberlich auf einen Tisch vor ihr stellte. Dann nickte sie. Denn was sie sah, gefiel ihr. Auch wenn der Mann ein Grieche zu sein schien, denn er bezeichnete die Gottheiten mit ihren griechischen Namen. Romana blickte ihn forschend und inquisitorisch an. “Bei uns, Händler, heißen sie Iuppiter, Hercules, Venus und Iuno. Aber mir gefallen sie durchaus“, setzte sie nach ihrem ersten Satz, der durchaus ein wenig scharf gehalten war, noch versöhnlicher hinzu. Schließlich hatte er nur ordentliche Gottheiten präsentiert, unter dem Namen, mit dem die Griechen sie verehrten. Wären es andere Götter gewesen, wäre dem Händler die milde Behandlung sicher nicht zugestanden.


    Die Tiere gefielen Romana auch. Besonders der Minotaurus, auch wenn das wohl strikt gesehen kein Tier war... oder doch? Bei der Frage schwamm die Claudia; sie beschloss innerlich, sich nicht mehr darob Sorgen zu machen. “Sehr schön. Wieviel würde alles zusammen kosten? Hast du einen Mengenrabatt?“, fragte sie. Dass sie um den Preis feilschen würde, war eh klar; aber sie wollte sich schon einmal eine Basis zur Verhandlung verschaffen.


    Kurz drehte sie sich um, um nach Morrigan zu schauen... aber was sie sah, war, dass die Perserin verschwunden war. Na warte, dachte sie sich, während ihre Augenbrauen zusammenfuhren auf ihrer Stirn, dir werde ich beibringen, dich unerlaubt zu entfernen, du dummes Gör. “Verzeih mir, ich bin gleich wieder hier“, nuschelte sie zum Händler, der noch immer mit den Elfenbeinstatuetten am Tisch stand, und duckte ihren Kopf, um unter den Stand hinweg herauszukommen und auf unbedeckter Fläche ihren Kopf zu erheben.


    Da hörte sie es. Jesus, der Sohn unseres einen Gottes.


    Romana hätte man in ihr Gesicht hinein eine Watsche geben können. Man hätte ihr gegenüber eine sexuell anzügliche Bemerkung machen können. Man hätte sich vor ihren Augen auf die Unzucht verlegen können. Nichts davon hätte wohl Romana so dermaßen in Rage gebracht, wie diese Worte zu hören. Diese hassenswerten, elenden, miesen Worte, darauf angelegt, Rom zu zerstören. Aus seinem Innersten hervor.


    Siw wusste, hier geschah ein despektables, grässliches und beschämendes Verbrechen. Denn wie hieß es im Decretum Christianorum? Christen war es verboten, öffentlich zu predigen. Der alte Mann, den sie hier sah, der Christianer, der scherte sich nicht um diese gesetze. Er brach sie. Wenn sie es wollte, konnte Romana laut brüllen, auch wenn es meistens nicht Not tat—hier war dies aber der Fall.


    “Cohortes Urbanae! Cohortes Urbanae! Ein Christ! Nehmt ihn fest!”


    Die Stimme musste übers ganze Forum erklingen, und während noch das Echo ihrer Stimme von den Wänden widerhallte, drehte sich Romana mit einem unheimlichen und hasserfüllten Glanz in ihren Augen zu der Gruppe von Menschen hin, die sich um den Christen versammelt hatten. Es war unglaublich. Sie hochten ihm zu. Sie horchten dem Christen zu. Und niemand tat was dagegen. Es brauchte erst eine Vestalin dazu.


    So riesig war ihr Hass, so enorm ihr Wille, diese Abartigkeit zu unterbinden, dass sie gar nicht mehr an Morrigan dachte. Die Perserin war aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Ebenso wie ihre bedachtheit auf Komposition und Ehrwürdigkeit. Das war ihr nicht möglich, der Ärger setzte ihr Scheuklappen auf.


    Sie schritt zum Prediger hin, durch die kleine Gruppe hindurch, dabei einen Zuhörer auf die Seite bugsierend. Er ekelte sie an. Sein Gesicht sah aus, als hätte er ein Stück Leder darüber gezogen. Er war alt. Er war hässlich. Er war ein Fall für die Löwen im Zirkus.


    Beherzt trat Romana auf die Kiste hinauf. Das morsche Holz, aus dem sie gearbeitet war, knarrte bedenklich, als sie mit Wucht hinauftrat mit ihrem rechten Fuß, doch es gab nicht nach. Dennoch hatte sie nun einen Stand, um zu tun, was ihr Begehr war. Sie erpackte den Mann am Krgen und versuchte ihn mit all ihrer Kraft von der Kiste zu ziehen. Sie war eine durchaus kräftige junge Frau, er war ein alter, verhutzelter Mann, Romana glaubte nicht, dass er ihr etwas entgegenzusetzen hatte, schwaches und starkes Geschlecht hin oder her. “Dein Spiel ist hier vorbei!“, brüllte sie ihn an und beherrschte sich sehr, dass sie ihm nicht ins Gesicht spuckte.


    Sie blickte kurz nach links und schaute erbost die Leute an. “Weg mit euch, aber sofort, sonst sorge ich dafür, dass ihr so endet, wie dieser hier enden wird. Und Morrigan, komm her, aber fluggs!“

    Romana hatte den Eilbrief erlangt. Die alte Minucia Milicha hatte ihn vom Briefschlitz aufgeklaubt und ihn durch eine Sklavin an Romana, die in der Bücherei studierte, zustellen lassen. Als die Claudierin unwillig ihre Lektüre unterbrach, um sich von dem Mädchen den Brief überreichen zu lassen, ahnte sie noch nicht, dass in ein paar Sekunden, nachdem sie mit schnellen und geübten Bewegungen den Brief entfaltet haben würde, ihr Unterkiefer sich fast antimagnetisch vom Oberkiefer trennen würde und somit die Vestalin aussehen würde wie ein Vollidiot, so mit ihrem offenen Mund.


    Germanien. Ausgerechnet Germanien. Ein Land des Schreckens, des Grausens, voll mit barbarischem Abschaum. Die Claudia zögerte keine Sekunde, erhob sich, rannte die Stiege hinab und mobilisierte ihre Kutsche. Natürlich war es so, dass niemand, und zwar wirklich niemand durch Rom am Tag mit einer Kutsche rattern durfte – nur in der Nacht war dies möglich. Doch beim Kaiser und seiner Familie war dies eine Ausnahme. Und diese Familie inkludierte auch die Vestalinnen, auch wenn Romana ihren biologischem Vater weitaus näher stand als ihrem spirituell-titularem Vater, dem Kaiser, den sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte.


    Und jetzt musste Ersterer gehen! Geradwegs nach Germania! Romana saß in ihrer Kutsche, als diese durch die Straßen Roms bretterte, wie auf Nadeln, sprang auf, als die Kutsche zu stehen kam, und war beim aussteigen so unvorsichtig, dass sie sich am oberen Kutschentürrahmen den Kopf anhaute. Ein verbissener Fluch war zu hören, als sie sich an ihrem Kopf rieb, bevor sie in nicht recht vestalisch-damenhaft-aristokratischer Art und Weise durch die Porta hetzte.


    Und im Atrium ankam, ein Atrium, das vor Hektik fast überquoll. In die Hektik fügte sich Romana nahtlos ein, als sie rapide ihren Kopf in der Gegend herumschweifen ließ. Er war hier, hatte wohl schon seine Reisevorbereitungen getroffen. Vielleicht war es in der Zeit zwischen dem Absenden des Briefes und Romanas Ankunft ihm schon gelungen, sich beim Senat abzumelden und andere Briefe zu schreiben.


    “Vater!“, rief sie laut und ungeniert durchs Atrium, stieß einen herumstehenden Sklaven zur Seite und stürzte sich auf ihren alten Herrn, ihm mit einer festen Umarmung bedenkend und rasant keuchend. “Oh, Vater... Vati... warum Germanien. Warum ausgerechnet Germanien! Das... ich...“ Ihr fehlten die Worte. Als sie sich von ihrem Vater ein wenig löste und Menecrates ihr ins Gesicht blicken konnte, würde er wohl erkennen, dass es in Romanas Augen verräterisch aufblinkte. Romana war unglücklich mit der ganzen Sache. Gerade Germanien! Sie hatte Schreckliches gehört. Sie hatte gehört von Kannibalen. Von Kopfjägern. Von animalischen Gebärden und Bräuchen. Von der Absenz jedweder Sitten und Götter in diesem verruchten Land.


    Gleichzeitig wusste Romana auch – ihr Vater war Soldat, von Grunde auf. Legat zu sein war eine enorme Ehre für ihn. Um so mehr, dass er es nun unternehmen könnte, die Grenzen Roms gegen die barbarischen Horden zu schützen. Sie war ja stolz auf ihn, dass er geschafft hatte, was wohl jeder Soldat sich im Leben wünschte – eine Legion anzuführen. Und doch... ach... es war einfach so plötzlich bekommen. Sie atmete tief ein.


    “Sag mir, Vati, dass du dich wohl bei der Sache fühlst“, machte sie. Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. “Sag mir... sag mir, bitte, dass du zufrieden bist mit dem Marschbefehl...“ Es würde ihr das Herz brechen, müsste sie sich von ihrem Vater verabschieden, im Wissen, dass er unglücklich mit dem Befehl aus vescularischer (denn wes sonst?) Hand war.

    Wie IHR meint? Romana blickte sich kurz um, aber neimand stand neben ihr. Höh? Nun, Morrigans Latein war wohl nicht perfekt. Als Perserin war sie eh von Haus aus meschugge, das hing mit ihrer ethnischen Abstammung zusammen. Romana war sich ziemlich sicher, dass dies so beschaffen war.


    Gegenwind kam auf, er blies Romana ins Gesicht, blies zum Christianer hin, blies seine Worte weg, in die Ferne, weg von der Claudierin, hinaus in eine andere Richtung. Das Resultat war, dass Romana nichts von den Worten des Mannes mitbekam, zu sehr war sie konzentriert auf die Elfenbeinschnitzereien.


    Sie ließ ihre Augen über die Schnitzereien streichen, fand aber spontan nichts, was sie ansprach. Dankenswerterweise war ja ein Händler da; ob er kompetent war, war nicht ersichtlich, aber Romana hoffte es einfach mal.


    “Ich suche nach Statuetten von Göttern. Hast du so etwas im Angebot?“, fragte sie ihn. “Mich würden auch Figuren von Tieren interessieren.“ Sie war ja schon gespannt, ob der Händler etwas Vernünftiges hatte oder ob Morrigan sich einen Fehltritt geleistet hatte. Wieder mal.

    Nein, als eine Umarmung war die Geste durchaus nicht gedacht, sondern vielmehr als Begrüßung – auf eine seltsame Art und Weise war dies eine quintessentiell vestalische Begrüßungsgeste, Romana hatte sie irgendwie von ihrer früheren Mentorin und noch immer fast Mutterfigurgleichen Papiria Occia übernommen. Gleichsam hätte sich Romana auch einer Umarmung nicht widersetzt. Das Problem aber war – dies war die Öffentlichkeit. Romana, als Vestalin, Patrizierin aus altem Geschlecht und eine Frau, die im Ruf stand, erzkonservativ-traditionelle Tugenden hochzuhalten, hatte durchaus eine Reputation zu verlieren, wenn sie in der Öffentlichkeit sich allzu körperlichen Emotionalitäten hingab. Natürlich waren dies Argumente, die auf kalter Logik aufgebaut waren, und über den Haufen geworfen sehen sich konnten, wenn Romana Anlass dazu hatte, sich von ihrem patrizischen Temperament reiten zu lassen. Doch die Tatsache, dass hier noch eine Vestalin war, stellte einen Faktor dar, der die Vernunft obsiegen ließ. Trotzdem, die ehrliche und tiefe Freude konnte man Romana ansehen.


    Endlich mal eine vernünftige Frau von Schrot und Korn (wie sie, so dachte sich Romana), und nicht nur die immer wieder selben Gesichter, denen man im Atrium Vestae über den Weg stolperte.


    Romana, die mit ihren wallenden weißen Gewändern tatsächlich nicht unbedingt knisternde Erotik versprühte, fühlte sich bemüssigt, auf die Frage zur Lupercalia zu antworten. Sie setzte schon zu einer Antwort an, da wurde sie von Axilla unterbrochen, und sie kam auch danach nicht mehr dazu, noch etwas zu dieser Sache zu sagen.


    Denn jetzt musste sie lachen, herzhaft und in einer hellen Stimmlage, die sich sehr deutlich von ihrem üblichen Alt unterschied. “Deckung! Du kannst dich ja zwischen mich und Restituta stellen, und wir hüllen dich dann ein... ach ja, Verzeihung. Das hier, Restituta, ist Iunia Axilla, eine“ Wie sollte sie sie nennen? Eine alte Bekannte? Eine Gesinnungsgleiche? Eine Kumpelin? Eine Freundin? “Freundin von mir. Axilla, das ist Lartia Restituta, eine meiner Mitvestalinnen.“ Restituta lächelte der Iunierin zu. “Es freut mich sehr“, machte die Lartierin, ebenfalls aus altem römischem Adel, und wie Romana hatte sie etruskische Wurzeln, die aber bei ihr, die in Rom geboren und aufgewachsen war, weniger ausgeprägt waren als bei Romana, die sich aufgrund ihrer Kindheit in Clusium durchaus als Etrurierin empfand, zumindest zu einem gewissen Ausmaß – dies war auch der Grund, warum ihre manchmal stattfindenden xenophoben Meckereien niemals Etrurien betrafen.


    “Aber gut, dass du ihm entkommen bist – Lustmolche gibt es so viele auf der Welt, doch gut, dass es noch anständige Frauen gibt, die solchen Leuten etwas gegenübersetzen.“ Denn dass Axilla eine anständige Frau war, das stand außer Frage für Romana. Sie hob sich wohltuend von den Schicksen ab, die sich an jeden heranschmissen.


    Die Frage von vorhin hörte sie dann plötzlich, sah sich wieder mit ihr konfrontiert. Die Antwort war klar. “Nun, diese Frage ist leicht zu beantworten. Ich mag die Lupercalia. Es ist einfach eine so urrömische Feier, dass es... nun, dass es eine Wonne ist. Frei von orientalischem Unfug, der sich hier in Rom breit macht. Unbelastet von Kulten, die sich gegen Rom richten, unbefleckt von modernem Schwachsinn.“ In ihren Augen glühte es auf. Wenn die Augen die Spiegel der Seele waren, war Romanas Seele entflammt. Und das war sie auch; die Bewahrung der alten Religio Romana (nicht zuletzt ihre Namensvetterin) war ihr ein Herzensanliegen. Doch die Fackel des Fanatismus währte nicht lange, wie ein verbrennendes Hölzchen erlosch es wieder, als Romana wieder in ihr inneres Äquilibrium zurückfand. Ihr fiel was ein. Axillas Mann war ja gestorben! Hatte sie damals ein Kondolenzkärtchen geschickt? Mist, es fiel ihr gar nicht mehr ein, ob sie das nicht verschludert hatte. Sie beschloss, es nicht zu erwähnen, und doch musste für einen Augenblick ein banger Ausdruck in ihr Gesicht getreten sein, der klar im Kontrast zu Romanas eben noch lodernden Emotionen stand.


    [SIZE=7]EDIT: Tippfehler[/SIZE]

    Zitat

    Original von Phaeneas
    Mansuri?! Willst du dir das wirklich nicht noch mal überlegen? Eine solch lebendige, eigenständige Frau und Sklavin hätte dem IR gut getan.


    Ich kann mich dem nur anschließen! Bleib doch hier, Mansuri, das bekommen wir sicherlich geregelt! ;)

    Sim-Off:

    Ahhh… sorry… mein Fehler. :D


    Was scherte sich Romana eigentlich darum, was die Sklavin tat und wie sie es tat? Schon bereute sie es, ihre Frage gestellt zu haben, und nickte nur gedankenabwesend, als die Sklavin ihr antwortete. Aus der Antwort konnte sie zumindest keine explizite Frechheiten hervorhören, was bei Morrigan schon ein großer Schritt in die richtige Richtung war, und so beließ sie es dabei, nichts zu sagen. Das mochte Lob genug sein für die dreckige Orientalin, diese Sau aus der Wüste.


    “Keine Fälschungen, sagst du“, machte Romana, als sie beim Laden ankamen, und musterte die Elfenbeinwerke. “Ich werde dich beim Wort halten.“ Sie trat näher an den Laden heran, und ihre Miene wechselte von einer missmutigen zu einer herzlichen, mit einem netten Lächeln, als sie den Händler sah. Dies lag weniger daran, dass sie eine falsche Schlange war, sondern hatte einfach damit zu tun, dass sie keinen Streit mit dem Händler hatte, im Gegensatz zu Morrigan, der die stolze, starrhalsige Patrizierin diese Sache damals am Markt nicht und nicht verzeihen konnte. Und die zudem aus einem Winkel der Welt kam, den Romana erbittert verachtete.


    "Salve, guter Mann. Du verkaufst Elfenbeinschnitzwaren?", fragte sie freundlich den Händler.


    [SIZE=7]Wieso greift diese Fettschreibung bloß nicht? Grummel...[/SIZE]

    Lartia Restituta


    ”Ah. Das sind ganz besonders Hübsche”, machte Restituta mit einem Lächeln um ihre Lippen. Romana blickte sie eingedenk des entblössten männlichen Fleisches vor ihr scheel an. “Restituta, jetzt mach mal halblang! Wir sind Vestalinnen und keine...“ Die Lartierin unterbrach sie hastig. “Ich meine die Opfertiere. Wovon denkst du, dass ich rede?“ Restituta lachte daraufhin, und zögerlich, aber doch, stimmte auch Romana mit ein. Es war kein großartiger Witz, aber immerhin eine leichte Auflockerung der Atmosphäre. Natürlich konnte man sich stundenlang Gedanken machen über den Tod und die Schnelligkeit des Dahinscheidens, aber Romana hatte schon Härteres überlebt als der Tod eines Kindes, zu dem sie persönlich keinen allzu großen Bezug gehabt hatte. Nein, der Tod einer echten Schwester, einer biologischen schwester, hätte sie härter getroffen. Hatte sie härter getroffen, denn Romana hatte schon zwei Schwestern, die von dannen geschieden waren.


    Doch bevor Romana noch länger daran denken konnte, begannen die Opfer. Die Opfer, die die Claudierin sehr, sehr interessant fand. Wie immer. Sie reckte ihren Kopf ein wenig, um mehr davon erhaschen zu können. Das Fest des Lupercus war ein solch quintessentiell römisches Fest, eine solch in die römische Religion eingeritzte Tradition, noch aus den Zeiten, da Roms Gedeih und Verderb von der Hirtenzucht abhing, dass Romana es naturgemäß liebte. Es bezeugte, dass den Römern doch noch etwas an der alten Religion lag – nicht nur an jenen lächerlichen, abstrusen Kulten, die aus Griechenland importiert worden waren. Oder, noch schlimmer, aus dem fernen Osten. Mit Magna Mater musste sie sich als Vestalin arrangieren, auch wenn sie den Kult absurd fand. Nun ja, er war notwendig. Ganz im Gegensatz aber zum Kult eines Mithras oder Serapis oder Ahura Mazda. Oder, am Schlimmsten, der Kult dieses Christus... schon allein der Gedanke daran konnte sie auf Hundertachtzig bringen. Nicht daran denken, befahl sie sich, sich stattdessen auf das Kultspektakel fokussierend.


    Roter Hund. Eigentlich ein putziges Tier. Aber sterben, das musste er, gnadenlos und unerbittlich. Romana gefiel es, das Blut rinnen zu sehen zur Ehre des Gottes, dessen Ehrentag es heute war. Auch wenn Romana, als erfahrene Opferherrin, das Tier vorher bis zur Besinnungslosigkeit mit diversen Rauschkräutern vollgepumpt hätte, damit ja nichts schiefgehen konnte. Aber gut, es ging auch so nichts schief.


    Restituta neben ihr seufzte, als den Kerlen die Felle angelegt wurden. Romana stieß sie in die Seite. Ein protestierendes Maunzen bekam sie als Antwort. Ja, dachte sich Romana, mecker du nur, das ändert nichts daran, dass du zumindest in den nächsten 2 Dekaden nie näher an einen nackten Mann herankommen wirst wie zur Lupercalia! Sie trat einen Schritt zur seite und zerrte Restituta hinter sich her. Wieder wollte ihre Mitvestalin protestieren, Romana aber redete hinein. “Willst du schwanger werden? Fruchtbarkeit ist wirklich das Wenigste, was wir brauchen“, mahnte sie. Restituta gab Romana einen vorwurfsvollen Blick. “Solange ich mir keinen Typen ins Bett hole, nützt mir auch die größte Fruchtbarkeit nichts! Komm einmal vom Teppich, Frau Oberlehrerin! Mich rumzerren wie eine Sklavin... also echt...“ Die Claudia hob beschwichtigend ihre Hände. “Ist ja gut, tut mir Leid!“ “Ach, schon in Ordnung. Ich weiß ja, dass du es nicht so meinst...“ Restituta und Romana blickten sich ein paar Sekunden mit einem verkrampften Grinsen an, da bemerkte die Claudierin etwas in ihren Augenwinkeln. Die kannte sie doch. Das war doch... ihr Augenmerk löste sich von Restituta, und wanderte hin zur kleinen Plebejerin, die auf sie zukam. Ja, es war schon einige Zeit her gewesen, doch Axilla hatte sich überhaupt nicht verändert, einmal äußerlich nicht, während sich zumindest Romana um einiges älter vorkam als damals, wie sie und die Iunia durch den Viehmarkt gewandelt waren. Nun ja, sie war in der Zwischenzeit vollwertige Vestapriesterin geworden... und Axilla, wenn ihr durch die Acta Diurna gespeistes Gedächtnis sie nicht im Stich ließ, Witwe. Herrje, soviel Zeit. Sie verging wie im Fluge.


    “Axilla! Du hier? Wir haben ja schon seit Ewigkeiten nicht mehr voneinander gehört! Es freut mich wirklich, dich mal wieder zu sehen!“ In einer erfreuten Geste breitete sie die Arme aus.

    Au weia, schade! Ich habe mich schon auf dich als Vestalin gefreut... aber auf jeden Fall, mach's gut, und viel Spaß beim Studium und im sonstigen RL. ;)

    An
    Iunia Serrana
    Villa der Tiberia Septima
    Mantua
    Italia


    Serrana, geliebte Freundin,


    ich kann kaum beschreiben, wie groß meine Freude über deinen Brief ist. Ich habe die ganze Zeit gewusst, dass du es schaffen wirt, und dein Schreiben beweist, dass meine Überzeugung die rechte gewesen ist. Dass du gleich Zwillinge bekommen hast, erfreut mich umso mehr – Sedulus muss stolz sein auf dich!


    [strike]Du musst mir alles erzählen, und zwar[/strike] Bitte, verzeihe mir meine unziemliche Neugierde, doch ich kann sie kaum zurückhalten angesichts dieser frohen Botschaft. Wie heißen deine beiden Kinder denn? Wann werdet ihr wieder nach Rom zurückkehren, sodass ich sie sehen kann? Wenn sie nach ihrer Mutter geraten, müssen es wahrlich hübsche Kinder sein.


    Um der Wahrheit Genüge zu tun, muss ich dir gestehen, dass ich bisher noch nichts von einer Seuche in Mantua gehört habe. Ich hoffe, sie war nicht allzu schlimm. Immerhin habt ihr es, wie es erscheint, geschafft, ihr zu entkommen. Gelobt seien die Götter dafür!


    Mein Nichtwissen muss ich abermals eingestehen in der Angelegenheit betreffs der Zwillingsgeburt. Auf deine Frage, ob deine Kinder ein Segen Dianas sind, muss ich ehrlich antworten, dass ich es nicht weiß. Natürlich ist die Rate der Geburten von Zwillingen erstaunlich in letzter Zeit, doch ich weiß keine Antwort auf die Frage, ob dies mit einer göttlichen Intervention zusammenhängt. Ich erachte es als möglich, dass die Fälle der Zwillingsgeburten nichts miteinander zu tun haben und einfach nur Zufall sind.


    In deinem Fall halte ich es aber für möglich, dass deine Zwillingsgeburt eine Belohnung der Götter war für die Art und Weise, wie du ihnen stets treu gedient hast. Doch dies, liebe Freundin, sind nur Spekulierungen, baue nicht auf die Überlegungen einer Frau, die keine Ahnung von der Materie hat – siehst du, Kindergeburten sind jetzt nicht unbedingt meine Welt.


    Mein Ratschlag wäre, dass du dir nicht sonderlich viele Sorgen machst. Investiere deine Energien in deine Kinder, und ehre die Götter in der Art und Weise, in der du sie schon vorher geehrt hast, dann kannst du nicht viel falsch machen.


    Ich habe nun doch noch eine Frage. Wird es dir als zweifache Mutter noch möglich sein, deinen Aufgaben als Aeditua nachzugehen? So sehr es mich persönlich freuen würde, wenn du wieder einsteigen würdest, so serkenne ich auch, dass dies illusorisch sein könnte; sicherlich willst du dich nun eher um deine Kinder und deine Pflichten als Matrone kümmern als um Tempelverwaltung.


    Da es mir schwer fällt, meine Freude auf deine Antwort zu verhehlen, kann ich hier nur meiner hoffnung Ausdruck verleihen, dass du mir bald zurückschreibst; falls nicht, verstehe ich natürlich, wie schon oben erwähnt, dass du nun an komplett anderes zu denken hast.


    Bitte, richte an Septima, Sedulus, und sonst noch alle, die bei dir sind, einen schönen Gruß aus.


    Mögen die Götter ihre Hände über dich halten, und vergiss nicht, bei mir reinzuschauen, wenn du wieder in Rom bist!


    In Liebe und Freundschaft,


    [Blockierte Grafik: http://img237.imageshack.us/img237/125/unterschriftcr.png]

    Sie gehorchte auf Romanas Anweisungen, und das mochte Romana. Es gab im Grunde zwei Arten, um Sklaven hörig zu machen, um sich Respekt zu verschaffen. Die erste war Freundschaft. Aber Romana war keine Freundin von Kuschelkursen gegenüber Leuten, die sie als minderwertig ansah. Insgeheim glaubte sie auch nicht, dass es funktionierte, denn Freundlichkeit gegenüber Sklven machte diese, so war sie sich sicher, frech und auf die Dauer hin aufsässig. Und was Romana nicht brauchte, waren vorwitzige Sklaven. Die zweite war Furcht. Und Romana war gut darin, den Sklaven Furcht einzujagen (auch, weil sie die Angewohnheit hatte, ungehorsame Sklaven in die Unterwerfung zu prügeln). Wohl kaum eine ihrer Freundinnen wusste, wie die Claudia mit den Sklaven, die ihr unterstanden, umsprang. Und das war auch gut so, denn sie würde von diesen sentimentalen Gemütern wohl entsetzte Blicke dafür ernten. Also hielt sich Romana wohlweißlich damit zurück, bestrebt, nicht in der Öffentlichkeit sich zu Rageausbrüchen und jähzornigen Aktionen ergehen zu lassen.


    Ihre Methode wirkte. Sie stellte dies bei den meisten Sklaven, die ihr unterkamen, fest. Morrigan widersprach nicht, und deutete einen besseren Laden heraus. Romana nickte. “Fein“, machte sie und steuerte in die Richtung, die Morrigan deutete. “Kennst du den Laden schon, oder kannst du das aus der Weite ersehen?“, fragte sie die Perserin, jetzt doch neugierig.