Restituta neigte ihren Kopf kurz, nicht wie zur Verbeugung, sondern um mit einem Nicken anzudeuten, dass sie die Begrüßung gehört hatte. Unterdessen verlor sie aber nicht ihr Lächeln. Eine Fruendin von Romana, dachte sie, konnte ja nicht schlimm sein. Nicht aber, dass sie sich selber in die Konversation einmischte—von natur aus war sie zurückhaltend und ein wenig schüchtern, sodass sie sich auch brav im Hintergrund hielt.
Romana hingegen war von der Präsenz her deutlich auffälliger, nicht nur, weil sie alleine durch ihre Größe alle anderen Vestalinnen überschattete. Ihren Freunden und Freundinnen zeigte sich die Vestalin, die andernorts auch durchaus eine überstrenge und fanatische Patrizierin sein konnte, von der Sonnenseite. Freilich war sie schon seit vielleicht 10 Jahren Vestalin, aber trotzdem musste sie sich selber gegenüber zugeben, dass der Gedanke, dass die Einigung mit Männern ihr verschlossen blieb, zwiespältige Gefühle in ihr auslöste. Einerseits gefiel ihr das Leben als Vestalin, und sie wusste, wäre sie nicht Vestalin geworden, wäre sie vielleicht als Heimchen bei irgendeinem alten patrizischen Senator gelandet. Andererseits... einmal einen Mann nahe bei sich spüren. Einmal... ach, sie sollte mit dem Nachdenken aufhören. Eine Claudia träumte nicht, eine Claudia stellte sich den Realitäten! Und die Realität war, dass sich eine solch passable und untadelige Römerin, wie Romana es zu sein anstrebte, sich den Gedanken an ein erfülltes Sexleben abschminken konnte. Egal, ob Vestalin oder nicht. Adel verpflichtete schließlich. Und ohnehin war Romana viel zu konservativ in ihrer Ausrichtung, reaktionär in ihren Gedanken, altmodisch in ihren Vorstellungen, als dass solche Gefühle sich bei ihr länger halten konnten als ein paar Sekunden, bevor sie von einer wahren Flutwelle an nüchterner Rationalität erstickt wurden. Die Rationalität sagte ihr, Vesta würde es ungerne sehen. Und sie sagte ihr, für so etwas würde sie sterben. Und dann gab es noch eine kleine hässliche Stimme in ihr, die ihr einflüsterte, sie sei ein viel zu großer Trampel, um einen mann zu finden, der je etwas an ihr finden würde.
Wenn Axilla Romanas offenherzig getragenen Rassismus befremdlich fand, ließ sie es sich nicht anmerken, sondern lächelte nur, was Romana in ihren engstirnigen politisch-religiösen Ideen auch nur bestärkte. “Ganz genau, liebe Axilla, ganz genau. Unsere Vorfahren haben es absolut perfekt eingerichtet, dass dieses Fest heute gefeiert wird. Denn hast du jemals schon eine verregnete Lupercalia gesehen? Nein.“ Sie lächelte warmherzig. “Du warst noch niemals auf einer Lupercalia?“, fragte sie dann zusätzlich, denn so hatte sie Axillas Satz verstanden. “Merkwürdig. Feiern die keine Lupercalia in... ach ja, natürlich feiern die bei euch in Hispania keine Lupercalia. Es gibt ja keine Luperci in den Provinzen.“ Sie lachte, leicht peinlich berührt. “Nun, dann schau es dir an. Schau es dir gut an. Präge dir ein, wie wir in Rom Feste zu feiern verstehen.“
Sie reckte ihren Hals, um zu sehen, wohin Axilla schaute. Kurz verzog Romana missbilligend ihre Lippen, als sie sah, wie die jungen Dinger da ganz unverschämt herumturtelten. Aber nun ja. “Heute ist ja die Lupercalia. Da dürfen sie das“, murmelte sie zu sich selber. “Unsere Vorfahren werden schon gewusst haben, wozu dies gut war...“ Sie blickte wieder zu Axilla, lächelte, und zuckte die Schultern. “Ich muss gestehen, das höchste und erhabenste Fest, welches man hier in Rom sieht, ist die Lupercalia nicht. Ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, die Vestalia ist äußerst interessant.“ Für verheiratete Frauen, natürlich.