Beiträge von Claudia Romana

    Vestalin? Ja, Vestalin. Da. Auf der anderen Seite der Türe. Da saß eine. Gebeugt über die Schrift ihres Ahnen, oder besser gesagt, entfernten Verwandten Claudius, über Karthagao. Sie hatte diese Schrift schon gelesen, aber nun machte sie sich ein zweites Mal daran. Ein abscheuliches Volk waren die Punier doch! Nur gut, dass Cornelius Scipio Africanus sie für ihre schändliche Hybris bestrafte. Niemand widerstand Rom. Schon gar nicht ein minderwertiges Volk von kameltreibern irgendwo in der Wüste.


    Nein, bekannt für ihre Toleranz und Offenheit gegenüber fremden Kulturen war Romana auf keinen Fall. Sie verwendete ihre Liebesmüh lieber auf ihre eigene Religion, die Religio Romana, die, wie Romana manchma witzelte, nach ihr benannt sein musste – wobei natürlich nichts nach Romana benannt war und Romana selber nach ihrer geliebten Geburtsstadt, obwohl sie Clusium, wo sie ihre Kindheit verbrachte, bevor sie Vestalin wurde, durchaus als eine Heimat sah.


    Ein Klopfen erschallte. Romana legte den Karthagotext schnell weg – obwohl sie den Teil über Elefanten durchaus interessant fand. Die Tiere opferten zumindest nicht nach punischem Ritus, das konnte man ihnen durchaus zugute halten. Romana war mit ihrer religiösen Engstirnigkeit durchaus ein seltenes Tier in der toleranten und offenen römischen Religion, die gerne einmal Einflüsse von außen subsumierte. Aber die erzkonservative, religiös von hinten bis vorne ultraorthodoxe und wohl ein wenig superstitiöse Romana spielte da nicht mit. Was für die Ahnen nicht gut genug gewesen war, sollte auch den Römern von heute nicht anstehen.


    Romana erhob sich zu ihrer ganzen patrizisch-majestätischen Größe – ihre Riesigkeit, die viele Frauen entsetzlich an sich finden würden, mochte Romana an sich; sie würde als kleine Frau zwischen einer Menge an Leuten die absolute Klaustrophobie bekommen – und schritt zur Türe hin, sie mit einer einzigen energischen Bewegung aufmachend.


    Da draußen stand eine junge Frau. Brünett, wie Romana auch. Putzige Stubsnase. Normal groß. Vielleicht etwas jünger als 20. Romana hatte sie noch nie gesehen. Was wollte die denn hier? “Salve“, begrüßte die Vestalin die geklopft Habende mit einem freundlichen Lächeln. “Kann ich dir helfen?“

    “Äh, ja, salve“, fügte Romana hastig hinzu. Auch Verachtung – Hass war nicht das richtige Wort – sollte keine Patrizierin jemals daran hindern, höflich zu sein. Denn Adel, das war nicht nur ein Wort, welches mit der Geburt zu tun hatte. Ihre Mundwinkel zuckten enttäuscht herab, als Quintilius sagte, er sei nicht zurückstationiert worden. Nein, nur wegen eines Examens war er hier. “Oh.“ Als er plötzlich von einem Brief zu reden anfing, wurden ihre Augen begierig. Sie nahm ihn schnell an, mit einem hastigen “Danke“, während sie den Brief entrollte und ihn überflog – Romana hatte gelernt, schnell zu lesen, bestand doch ihr Leben aus viel Literatur.


    Ihr Blick traf wieder den des Quintiliers. Was sie vom Brief selber dachte, verriet sie Valerian nicht, weder durch ein Wort, noch einen Blick, noch durch Gestik. Nur etwas kommentierte sie. “Ihr Zustand, sagt sie? Was? Ist sie krank?“ Romana zählte schnell eins und eins zusammen in ihrem Kopf. “Oder soll das heißen, dass sie schwanger ist?“ Verwirrt blickte sie Valerian an. Niemand hatte ihr das bisher gesagt!


    Als Valerian dann damit anfing, dass er sich mit ihr aussprechen wollte, musste Romana an Calvena denken. Dass er ihren Mann zu ihr schickte, damit sie sich ein freundliches Verhältnis verschaffen konnten, das sah Calvena so unglaublich ähnlich. Ein fast schon verkrampftes Streben nach Harmonie. Ein gewaltiger Widerwille, in Konflikte verstrickt zu sein. Sie seufzte. “Aussprechen?“ Mit diesen ständigen Wiederholungen gewann sie sicher einmal einen Blumentopf. Tief holte sie Atem. “Wegen deines... Sohnes?“ Sie dehnte das Wort und verzog dabei ihre Lippen ein wenig. “Und deiner dir verlustig gegangenen Vaterfreuden? Die du mir gegenüber ableugnet hast auf der Hochzeit? Du weisst schon, nachdem ich dich explizit danach gefragt habe?“ Calvena stritt in ihrem Brief ab, dass Valerian ihr gegenüber gelogen hatte... aber Romana war sich sehr sicher ob dessen, was sie gehört hatte. Als einzige auf diesem Fest übrigens.

    Die Alte schaute den Soldaten misstrauisch an. Eine persönliche Nachricht für Claudia? In Milicha schwirrten kurz die abenteuerlichsten Gedanken herum, aber schlussendlich beschloss sie, dass Romana sicher keine Affäre angefangen hatte mit diesem Typen. Sie ließ sich ein wenig Zeit, bevor sie nickte.


    “Mache ich.“


    Und dann fiel mit einem Rums die Türe zu. Nun war Valerian dazu verurteilt, zu warten. Draußen vor der Türe. Es dauerte ein wenig. Dann tat sich die Türe wieder auf, und vorm Quintilier im Türrahmen offenbarte die hohe, adelige Gestalt der Claudierin.


    In Romana drinnen schwirrten die Gefühle herum. Und die Überlegungen, warum Valerian hier war. Das Wunschdenken war natürlich, dass der Kaiser ihren Brief erhört hatte und Valerian wieder hier war, und dass Calvena auch bald wieder hier sein würde. So starrte die Claudia erst einmal auf den Quintilier, wohl ein wenig unhöflich, während sie in ihrem Hirn einen Satz zusammenbastelte.


    “Quintilius? Was machst du denn hier?“ Sie vergaß sogar den Gruß, denn noch immer war ihre Überraschung groß. “Hat man dich nach Rom zurückstationiert?“ Oh, wenn es das nur wäre.

    Die Claudierin war bemüht, keine Skepsis zu zeigen, als Serrana sprach. Eingebildet? Höh? Der Drang, sich am Kopf zu kratzen, war enorm, und nur der Gedanke, dass Serrana jetzt wirklich ihre Hilfe brauchte, und keine Verständnislosigkeit, hielt sie davon ab. “Ah“, war also das Einzige, was Romana aus sich herausbrachte. Was sollte sie auch sonst sagen? “Es... ähm... es ist passiert. Du hast mein Wort.“ Und wieder musste sich Romana zu etwas zwingen, nämlich dazu, nicht bestätigend zu nicken, denn ihres Erachtens sah das enorm doof aus. Und doof wollte Romana nicht erscheinen. Sie wollte eine seriöse Dame von Welt sein. Wie sicher auch Serrana, nur, dass die grenzenlose Naivität der Kleinen ihr im Weg stand.


    “Es macht ja nichts. Er wird nichts davon erfahren. Und alles wird gut werden.“ Sicher. Na klar. Eh. Aber Romana schien es opportun, erst einmal Eierkuchen für Serrana zu backen. Alles wird gut, mach dir keine Sorgen, diese Worte hatten schon oft Wunder gewirkt. Der Placeboeffekt.


    Sie nickte. Ein Tag würde ausreichen, das hoffte Romana auch. Als Serrana ihr etwas zum Trinken anbot, wehrte sie ab. “Nein, danke! Das ist sehr lieb von dir, aber ich sollte jetzt wirklich wieder zurück... es ist schon zu spät.“ War es schon der spätere Abend gewesen, dass Romana zu Serrana gekommen war, war es nun finstere Nacht. Romana sollte ins Bett, um morgen früh aus den Federn zu kommen.


    “Wir treffen uns übermorgen in der Früh vorm Tempel des Sol. Wenn dir etwas dazwischen kommt, schickst du einfach einen Boten zum Atrium Vestae. Gibt es sonst noch was, was du brauchst? Sonst werde ich mich wohl zurückziehen.“

    Romana blickte Durus sehr, sehr ernst an. Er wollte wissen, was sie dachte? Gut, dann sagte sie es. Denn sie glaubte, dass Durus sie ernst nahm – was selbst für eine Vestalin nicht selbstverständlich war, da Frau in einer von Männern dominierten Welt.


    “Ich will vorausschicken, dass ich spekuliere. Aber irgendwie nehme ich das ganze nicht ab. Was die Aurelier gesagt haben. Natürlich sind sie daran interessiert, dass ihr Ruf keinen Schaden nimmt. Wir sind also vor zwei Optionen gestellt, die wir examinieren können. Die eine Variante: die Aurelier sprechen die Wahrheit. Unglaublicherweise sind alle Zeugen, Sklaven, umgekommen, haben sich umgebracht oder sind sonstwie ums Leben gekommen. Auch die Aurelier wissen von nichts. Alles Wissen ist vernichtet, wie durch die Hand der Götter. Die andere Variante: die Aurelier haben dabei nachgeholfen. Was erscheint dir die simplere Erklärung?“ Sie blinzelte mit ihren Augen, als ob sie ein Fremdobjekt daraus kraft ihrer Lieder entfernen wollte.


    “Denn meistens ist die einfachere Erklärung mit dem einfacheren Aufbau die richtige“, hypothetisierte sie erklärend. “Ich würde wohl sagen, als Erklärung für das dubiose Fehlen von Informationen ist menschliches Intervenieren doch recht einleuchtend.“ Sie fixierte abermals Durus mit einem nachdenklichen Blick aus ihren braunen Augen. Sie war schon ein wenig gespannt darauf, ob er ihr beipflichtete oder widersprach.


    Minucia Milicha


    Wohl fühlte auch Milicha sich nicht. Ihr Zipperlein machte der alten Frau schwer zu schaffen. Was sie auch tat, half nicht. Die Schmerzen waren unerträglich. So lag die Alte meistens nur noch auf ihren Liegen herum und meckerte. Die meisten Vestalinnen mieden sie. Nur die junge Claudia kam hie und da. Denn die Lange hatte schon lange erkannt, dass sich in der Kapsel einer harten, bitteren alten Frau ein guter Mensch verbarg, Und zudem ein Füllhorn des Wissens, Wissen, welches von Generation zu Generation immer mehr verloren ging.


    Die Alte ächzte, als es klopfte, und stand äußerst umständlich auf. Sie bahnte sich einen Weg zur Türe und machte auf. Draußen stand ein Mann, der Gürtel war soldatisch gebunden. Sie kniff die Augen zusammen, um ihn besser sehen zu können.


    “Ja? Was liegt an?“


    Ihre knarrige, schartige Stimme klang fast wie eine quietschende Tür.

    Schlug die Waage auch bei ihr dergestalt aus, dass sie sich eher freute, Lupus zu sehen, als ihren Dienst zu verrichten? Freude an ihrer Arbeit war bei der Claudia kein Lippenbekenntnis. Sie war wirklich mit großem Enthusiasmus bei ihrer Arbeit, was auch immer dies beinhalten mochte. Wobei, die netten jungen Decemviri kennen zu lernen, war doch eine der erfreulichsten Aspekte ihres Berufes, ihrer Berufung, denn als nichts anderes sah Romana das, was sie tat. Sie kam nicht umhin, auf seinen kurzen, aber intensiven Blick ein Lächeln zu entgegnen.


    “Deine Worte schmeicheln mir.“ Und dein Geschmack dir, wollte sie schon hinzusetzen, obwohl solche Koketterie ganz und gar nicht ihre Art war, und wohl aus diesem Grund ließ sie es bleiben. “Wenn wir beide auf solch wunderbare Art und Weise die Arbeit mit dem Vergnügen heute verbinden können, müssen die Götter wahrlich auf uns herablächeln“, spiegelte sie mit einem Lächeln. Ja, sie spiegelte natürlich. Sie fand es racht lustig, sich auf ihren Gesprächspartner und seinen Ausdrucksstil einzulassen. Natürlich sprach sie normal nicht so. Ebenso natürlich war es aber auch, dass Romana nicht nur eine und die selbe Masche auf Lager hatte. Sie war nicht nur durch die ausgezeichnete Ausbildung im Atrium Vestae, sondern auch schon durch die Bildung, die sie als Kind genießen durfte, eine gebildete Frau, die sich auch gewählt und ansprechend ausdrücken konnte. Auch wenn Romana, pragmatisch wie sie war, eine direkte und unzweideutige Ausdrucksweise zumeist vorzog. Aber sie spielte beim Spiel mit. Es hatte Witz, fand sie.


    Romana nahm die drei Tabulae entgegen und runzelte die Stirn kurz, als sie sie überflog. “Ah, die Mutii. Ein tragischer Fall.“ Romana las die Acta, und hatte gelesen darüber. Ja, das Leben konnte kurz und hart sein. Besonders, wenn man eine kränkliche Konstitution hatte. Und sich hier in Rom Feinde machte. Gleich zwei Octavier, ein Maior und Minor? Ganz vage erinnerte sie sich an einen Octavier, den sie einmal kennen gelernt hatte, ein Freund von Calvena. Macerinus oder so. Er hatte keinen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen.


    Sie wollte schon loszischen, da machte der Aurelier einen durchaus vernünftigen Vorschlag. Romana blickte kurz auf ihn, dann nickte sie. “Das ist eine gute Idee. Ich bin gleich wieder hier.“ Entgegen ihren Gewohnheiten schloss sie die Türe nicht, sondern ließ sie offen, das Vestibulum würde sie ohnehin nicht verlassen. Sie musste nur kurz aus dem Vestibulum heraustreten, bevor sie eine Mitvestalin fand, die schläfrige und anhängliche Lartia Restituta. Romana übergab Restituta die Dokumente und tuschelte ihr kurz eine Erklärung zu, der Aurelier würde sie nie hören, den Göttern sei Dank, denn sie machte der Lartier klar, sie wollte Informationen bezüglich der Causa Corvinus aus Lupus herauspressen.


    Restituta nickte und ging richtung Bibliothek ab, während Romana wieder auf die Porta zuschritt und dem Aurelier ein strahlendes Lächeln angedeihen ließ. “Fortuna war uns abermals hold, werter Aurelius. Nun, da eine Mitschwester sich bder Testamente annimmt... ich stehe dir zur Verfügung. Wie gefällt dir dein Vigintivirat denn?“ Romana war ehrlich daran interessiert. Wäre sie als Mann geboren, hätte sie diesen Pfad, den Cursus Honorum, ohne Zweifel beschritten... und sie war sich sicher, sie wäre ziemlich gut darin gewesen.

    Genau in dem Moment, da er "Salve Claudia" sagte, fiel bei der Addressatin der Groschen. Sie, die wirklich noch nicht vierzig war, kannte den Mann. Aurelius... sie war sich des Namens nicht ganz sicher, bevor sie sein Lächeln sah. Es hatte eine schwer in Worte zu fassende wölfische Qualität. Aurelius Lupus, ganz genau. Der junge, um hundert Ecken mit dem sich ins Elysium transferiert habenden Pontifex verwandte, Aurelier, der in der Villa Aurelia seine Fähigkeit, möglichst wenig in möglichst vielen Worten zu sagen, beeindruckend unter Beweis gestellt hatte. Ein geborener Politiker. Und, nun ja, Politiker war er schlussendlich nun auch, sie hatte es in der Acta gelesen.


    Romana wusste nicht, ob Lupus ihr damals in der Villa Aurelia die Wahrheit gesagt hatte oder nicht. Etwas in ihr sagte, dass durchaus die Wahrscheinlichkeit bestand, dass er sie angelogen hatte. Es musste nicht sein, aber trotzdem. Romana scheute nicht davor zurück, auf komplett unfundierten Vermutungen eine Verschwörungstheorie aufzubauen – daher hatte Vescularius Salinator von ihr bereits schon mehr als genug Fett abbekommen.


    Der Unterschied war hier allerdings – Lupus war Patrizier. Und wie hübsch er sprechen konnte! Romana entschloss sich, ihre Spekulierungen auf die Seite zu schieben. Wenn sein Lächeln, gemäß der Maxime Nomen est Omen, wölfisch war, dann wäre ihres wohl römisch – was auch immer das bedeuten möge. Vielleicht, ja, ein Lächeln, welches, kombiniert mit ihrem Blick, unbiegsamen Stolz ausdrückte, Adel auf jeden Fall, aber gleichzeitig mediterrane Herzlichkeit, wie auch Sittsamkeit und ein wenig Sprödigkeit, aber ganz vage, im Hintergrund, ein Hauch von Feuer und Emotion – einladend und warm; oder Hitze, an der sich ein Mann übelst verbrennen konnte? Das war die große Frage. Wenn so etwas ein römisches Lächeln war, dann lächelte Romana römisch.


    Der Aurelier wollte mit ihr konversieren? Das sollte ihr recht sein. Denn tatsächlich hoffte sie im Hinterkopf, ihm ein paar Informationen bezüglich Nemoralia herauspressen zu können. Aber die trotz ihrer fanatischen Frömmigkeit mit beiden Beinen am Boden stehende Romana machte sich keine Illusionen. Wiewohl die Ausdrucksweise des Aureliers sie ein bisschen verblüffte. Sprach so ein normaler Mensch? Romana sah sich dazu gezwungen, eine schnelle Antwort zu geben, hoffend, dass ihre Schlagfertigkeit sie nicht im Stich ließ.


    “Die Wege der Götter sind wahrhaft unergründlich, werter Aurelius, und weise ist, was sie veranlassen. Wenn dieses Treffen von Fortuna veranlasst wurde – denn auch ich empfinde es als großes Glück – dann sollten wir ihren Entschluss durch eine Konversation auch honorieren, könnte ich mir doch kaum einen netteren Konversationspartner wünschen als dich.“ Romana ertappte sich dabei, dass sie sich wirklich dachte, ob ihre Antwort beim anderen gut ankam. Stark götterlastig war sie. Nun ja, wenn Lupus den Cursus Honorum beschritt, führte kein Weg am Cultus Deorum herum. Er hatte ohnehin schon etwas gesagt über Haruspizin... er schien sich darin auszukennen.


    Der Aurelier beichtete ihr den Anlass, aus welchem er hier war, und erntete dafür ein wiederholtes Lächeln. “Aurelius, gräme dich nicht, denn schließlich bist du für Rom unterwegs. Das ist eine Ehre, keine Bürde. Das erinnert mich daran, dass ich dir zu deinem Wahlergebnis gratulieren will. Ich habe in der Acta Diurna darüber gehört. Du musst wahrlich stolz auf dich sein.“ Natürlich hatte Romana das Blatt der Acta Diurna verschlungen, schließlich war im selben Artikel auch alles über den Wahlerfolg ihres Vaters gestanden.


    “Hast du denn Listen dabei?“, fügte Romana hinzu, denn wenn Lupus keine Liste mitgebracht hatte, dann konnte sie nicht groß helfen – es war stets eine empfindliche Sache, Männer ins Atrium Vestae zu lassen, und sie in die Bibliothek zu lassen, sodass sie dort selber die Testamente, die sie zu brauchen meinten, herauskramen konnte, das war absolut ausgeschlossen, fast so streng ausgeschlossen wie geschlechtlicher Verkehr!

    Romana war, nach dem ein wenig unbefriedigenden Besuch bei den Aureliern, ein bisschen überraschend noch bei den Tiberiern eingeladen worden, ein Offert, welches die Claudia gerne annahm. Es war schon das zweite Mal, dass sie zu den Tiberiern eingeladen wurde. Langsam wurde sie schon fast zur Hausfreundin.


    Im Gegensatz zu Durus, den Romana ob seiner physischen Eingeschränktheit ein wenig bemitleidete, wobei sie dies aber nicht nach außen zeigte – am Ende war der Mann beleidigt – schwang sich die noch junge Vestalin ohne Schwierigkeiten in ihre Kline, wo sie den Wienbecher annahm, den ihr ein Sklave reichte. Die Frage war einfach, und lud Romana dazu ein, ihr Herz auszuschütten. Also tat sie das auch.


    “Was für einen Eindruck ich hatte, Tiberius? Kaum einen“, gab sie zu und trank etwas von ihrem Wein. “Wie auch? Dieser Besuch war mehr oder minder sinnfrei. Wir haben nichts und wieder nichts gefunden. Es ist ja schon unglaublich bequem für die Aurelier, dass die wenigen Sklaven, die in Nemi gewesen waren, alle an einem Unfall verstorben sind.“ Sie seufzte. “Darf ich ganz ehrlich mit dir sein? So als Claudierin zu Tiberier, in der Abwesenheit von jeglichen Aureliern?“

    Türdienst. Romana mochte Türdienst zunehmend. Manche könnten nun sagen, dass es eine sehr weltliche Arbeit war für die unantastbaren Jungfrauen des Atrium Vestae. Und doch hatte es seinen Reiz, da es der Türwärterin erlaubt war, wenn sie nicht Leuten die Türe aufmachte – es passierte selten genug, dass jemand anklopfte – zu tun, was sie wollte, solange sie sich nicht von der Tür wegentfernte. Und Romana liebte es, zu lesen.


    Ihr griechisch, obwohl zunächst stockend und unflüssig, hatte sich durch die ausführliche Lektüre klassischer Schriften im Attischen sehr verbessert. Und nicht nur, dass der Türdienst auf diese Weise dazu betrug, dass Romana sich bildete, sie genoss es, zu lesen. Das Problem war nur, die Bibliothek der Vestalinnen war groß, aber nicht unerschöpflich. Romana war schon in jenem Stadium, wo sie begann, das, was sie schon gelesen hatte, nochmals zu lesen. Xenophons Abenteuer in Asien hatte sie gar schon viermal mitverfolgt, und langsam war sie schon imstande, die Zeilen auswendig zu rezitieren.


    Für diesen Türdienst hatte sie nun zu Claudius gegriffen, jenem Kaiser, der wohl ein wenig zu weit verwandt war mit den jetzigen Claudiern, um ihn als Vorfahren aufzuführen, was die Claudier häufig aber nicht davon abhielt, es trotzdem zu tun. Es war seine Schrift über die Karthager, und obwohl Romana die Schriftrolle des großen Kaisers und Autors schon lange kannte, erstaunte sie immer wieder, was Claudius über die Karthager sagte. Solche Barbaren! Nun, sie hatte ja schon einen Punier kennen gelernt, der diese Auffassung bestätigt hatte... Jahre war es schon her, aber Romana hatte es nicht vergessen, wie sie behandelt worden war. Sie hasste respektlose Behandlung wie sonst nichts.


    Gerade, als sie zur Beschreibung der Opfer an diesen Götzen Baal kam - igitt, kann man da nur sagen -, klopfte es. Die Claudia blickte zur Türe hin, schaffte es, nicht zu Seufzen, als sie die Rolle beiseite legte und aufstand, um sich zu ihrer vollen Größe zu erheben. Würdevoll schritt sie zur Porta hin und öffnete.


    Draußen stand ein Mann. Recht groß war er, durchaus ein stattliches Mannsbild. Er war noch relativ jung, und Patrizier, was Romana sofort an den Sandalen erkannte. Er erschien durchaus sympathisch, auch wenn Romana, wenn man sie fragen würde, nicht sagen könnte, warum. Vielleicht wegen seiner markanten Gesichtsformen; Romana gefiel es, wenn ein Mann nicht daher kam wie ein effeminiertes orientalisches Milchbubi – auch wenn es ihr niemals einfallen würde, eine Liaison mit einem Mann einzugehen (und auch nicht mit einer Frau, nur um das festzuhalten). Sie schenkte dem Patrizier ihr schönstes Willkommenslächeln.


    “Salve. Kann ich dir helfen?“

    Zitat

    Original von Iunia Serrana


    Romana hielt inne. “Habe ich rote Kuh gesagt? Ich meinte natürlich einen roten Ochsen. Sol ist ja männlich.“ Schon wieder ein Fettnäpfchen, Romana könnte sich selber verprügeln, wie sie es sonst vor allem mit ihren Sklavinnen zu tun pflegte. Diese Sache rieb sie wirklich auf, sie sollte besser ins Bett gehen, denn es war wirklich schon spät. Zumindest hatte der Regen aufgehört.


    “Ja, gut, dann mache das so. Das klingt alles sehr gut. Weihrauch auch und...“ Sie hielt inne. Sedulus wusste nichts davon? Romana konnte nicht umhin, sich kurz nach verbliebenen Gefühlen abzutasten. Doch da war nichts mehr. Die Liebe, die sie zum Germanicer zu verspüren glauben hatte, die war weg. Abgestorben. Erstickt. Den Göttern sei Dank.


    “Er weiß also nichts davon... nicht einmal deinem Mann hast du etwas davon erzählt?“ Romana blickte Serrana an, bevor sie abwinkte. Nun ja, immerhin war ihr Versagen so nicht an sein Ohr gedrungen. “Wie dem auch sei, wenn du nicht willst, dass er es erfährt... aber ich meine, was soll das? Ein Ehemann hat für seine Ehefrau da zu sein. Und gerade ein Senator sollte Verständnis für religiöse Riten haben. Schließlich durchdringt das Religiöse notwendigerweise das Leben eines Senators!“ Romana hielt sich innerlich das Bild ihres Vaters vor – was für ein tadelloser, vorbildlicher Senator er war! “Nun ja. Ich werde ihm nichts davon erzählen, wenn du nicht willst.“ Sie atmete kurz ein.


    “Dann besorge alles, was wir benötigen, und wir treffen uns dann übermorgen vorm Tempel des Sol. Somit hast du einen Tag, anzuschaffen, was du brauchst“, schlug sie vor.

    Mit dem selben distanzierten Blick, den sie schon während der ganzen Zeremonie gepflegt hatte, schritt Romana in der Prozession einher, nur um sich ein Schmunzeln zu leisten, als der Zug am Palatin halt machte, damit dort den Göttern, die einst Kaiser gewesen waren, geopfert wurde. Die Gebete kamen hintereinander, und sie nickte befürwortend, als das Gebet für Claudius kam, der Mann, der gerne einmal von den Claudiern als Ahn bezeichnet wurde, auch wenn die komplexen Familienbeziehungen diesen Begriff etwas dehnen würden. Und gerne schützte auch der Claudier vor, nicht mit Caligula und Nero verwandt zu sein, obwohl jene eng verwandt mit Claudius waren... doch Claudia Romana verleugnete auch diese Kaiser nicht. Nero hatte immerhin mal etwas gegen diese Christenbrut, die Romana so hasste wie sonst nichts auf dieser Welt, unternommen!


    Ihre Augen lagen aufmerksam auf den Opfernden. Ein paar kannte sie, ein paar nicht. Durus kannte sie natürlich. Und auch seinen Adoptivsohn Ahala hatte sie schon kennen gelernt. Und da, da war auch der eine Flavier, ein Spinner, so glaubte Romana, aber Septemvir, was seine Reputation in ihren Augen halbwegs rettete. Nun, wie dem auch sei – denn nun floss Blut. Blut zu Ehren der Götter. Romana war kein zimperliches Frauenzimmer, es freute sie, dass der Lebenssaft für die Götter floss, und die Beziehungen zwischen den Menschen und den Göttern stärkte. Ach, wie sie diese Rituale liebte!


    Der Zug ging dann weiter. Unwillkürlich wanderte ihr Blick zum Tempel der Vesta, als sie daran vorbeizogen, und richtete sich wieder nach vorne, als die den Kapitol erreichten. Mittlerweile schwitzte auch Romana unter ihrer Vestalinnentracht – sie würde einiges geben, um zumindest die Palla ablegen zu können. Aber es war nun einmal die Tracht der Vestalinnen. So hieß es, Zähne zubeißen und durch. Für den Kaiser, ihren „Vater“ (auch wenn sie in ihrem Herzen niemand anderen als Claudius Menecrates je als wahren Vater akzeptieren würde, sie war viel zu sehr Claudierin dafür), würde sie das sicher noch tun können!

    Romana schüttelte auf Priscas Frage hin nur sachte den Kopf. “Prisca, es ist unmöglich, dies zu tun, bevor wir nicht Erkundigungen bezüglich des Frevels an den Göttern eingeholt haben.“ Sie blickte Prisca eindringlich an – Romana, von Natur aus eigentlich eine sehr gelassene Frau, wurde leidenschaftlich, wenn es um das ging, was ihr heilig war, also in erster Linie die Religion. “Wir würden nicht wissen, was wir opfern sollen, wie dieses Opfer auszusehen hätte, und welche Gebete zu sprechen wären.“ Sie atmete durch. “Zu jenem Zeitpunkt Überlegungen anzustellen, wäre sinnlos und voreilig. Wir müssen erst wissen, was genau zu sühnen ist. Aber habe keine Sorgen, wir werden uns beeilen, sodass die Pax Deorum so bald wie möglich wieder im Lot ist.“ Sie faltete kontemplativ ihre Hände zusammen und klöpfelte mit ihren verschränkten Händen sanft auf die Lige, auf welcher sie sich befand. “Eben deshalb ist es so fürchterlich wichtig, dass wir die Wahrheit herausfinden.“ Sie nickte bedeutungsschwanger. Ihr schoss kurz der Gedanke durch den Kopf, dass sie nachfragen könnte, ob Prisca etwas wüsste. Nun gut, warum nicht? “Prisca, wenn dir etwas zu der Sache einfällt... irgendeine Information, ein Hinweis, ein Wissensschnipsel... ich will beileibe nicht aufdringlich sein, glaube mir das.“ Zu ihrer Versicherung, dass dies nicht der Fall war, gesellte sich ein offenes Lächeln. “Aber du weißt ja jetzt nun, wie wichtig die Aufdeckung der Wahrheit ist.“


    Sie horchte aufmerksam der Aurelierin zu. Vielleicht war nur sie das, aber irgendetwas sagte ihr, dass Prisca sich fragte, was es mit den Blumen auf sich hatte. Romana verwunderte sich ganz kurz über Priscas Schmunzeln, bevor sie anfing zu reden. “Hmm... natürlich frage ich mich, wie ich zu der Ehre komme. Aber ich könnte mir eine Erklärung dazu liefern. Damals, als ich zur Sacerdos Vestalis wurde, überwachten Flavius Gracchus und auch dein Onkel meine Prüfung. Anschließend inspizierten sie das Atrium Vestae, und ich zeigte ihnen alle Teile des Gebäudes – natürlich auch den Innenhof. Dort befindet sich eine ausgedehnte Rasenfläche, in welcher sich Beete befinden, vorläufig um die Statuen der ehemaligen Obervestalinnen herum. Ich bin dafür verantwortlich, dass diese Beete gepflegt werden. Und als ich den beiden Pontifices den Innenhof zeigte, schien Aurelius Corvinus äußerst angetan von den Blumenbeet im Atrium Vestae. Von daher kann ich mich vorstellen, dass er seine Blumen dem Atrium Vestae überlassen hat. Weil ihm die Blumenbeete so gefallen haben, und er sich gedacht hat, seine Orchideen und Rosen würden gut dazu passen. Und offensichtlich hat er auch geglaubt, es gibt niemanden in Rom nach seinem Tod, der besser auf seine Blumen acht geben könnte als... nun ja... mich. Sonst hätte er sie wohl nicht mir überlassen...“ Sie hoffte, das hörte sich plausibel an.


    “Auf jeden Fall kann ich dir sagen, dass ich es als große Ehre empfinde. Darf ich vielleicht in nächster Zeit in die Villa Aurelia kommen, um die Blumen abzuholen?“ Dies würde ihr am Praktischsten erscheinen – und außerdem würde sie so einen neuen Teil Roms kennen lernen, namentlich die Villa Aurelia – denn im gegensatz zum Esquilin kannte sie die Gegend um den Quirinal gar nicht gut. Sie dachte kurz nach. “Am Besten würden sie erst dann ausgegraben werden, wenn ich da bin, denn die Pflanzen könnten unter dem Entzug der Erde leiden“, schlug sie vor.

    Romana nickte zu Avianus mit einem unverbindlichen Lächeln hin, um ihre Wertschätzung zu zeigen, dass er zumindest vorgab, sich zu freuen. Seine Auskunft auf ihre Frage hin war dann aber doch etwas... mager. Er bestritt von vorne hinein, dass Corvinus irgendetwas hinterlassen haben könnte. Doch sie musste nur kurz warten, da schaltete sich Lupus ein und berichtigte. Es hatte also etwas gegeben. Einen Brief für Prisca. Gerade an Prisca! Romana blinzelte, wie immer, wenn sie erstaunt war, konnte ihre instinktiven Lidbewegungen innert Sekunden wieder in den Griff bekommen. Prisca hatte einen Brief bekommen. Hatte sie ihr etwas davon erzählt, als sie bei Romana im Atrium Vestae gewesen war? Sie wusste es gar nicht mehr. Hatte sie es vergessen? Nun gut, allfällig könnte sie nachfragen. So schwieg sie nur. Sie verstand allzu gut, dass es nicht schicklich war, das Thema weiter zu verfolgen. Auch wenn ihr die Aurelier nicht gerade kooperativ erschienen. Flavia Celerina hatte nicht geschrieben, nun gut, Romana hatte selber nicht damit gerechnet. Es war ein Stohhalm der Hoffnung gewesen, an den sie sich geklammert hatte.


    Das Gespräch drehte sich nun um irgendeinen Sklaven. Ungerührt machte sie in ihrem Hirn einen Haken, als Ursus verkündete, der Grieche in Frage sei tot. Die Claudierin war keine Sklavenfreundin, sah aber ihren Nutzen. Das einzige, was schade war, war die Tatsache, dass der Sklave sein Wissen ins Grab genommen hatte. Also war offensichtlich dieser Cleomedes der einzige gewesen, der Celerina als Custos begleitet hatte. Nun gut.


    Die Aurelier beredeten noch kurz, wie sie den Zorn der Götter stillen könnten, und Romana versetzte es tief in ihrem Inneren einen kleinen Stich, als sie Haruspizin hörte. Das Wort beschwörte ihr Versagen damals hervor. Nicht daran denken, befahl sie sich innerlich, bevor sie, genauso wortlos, wie sie den Ausführungen der Aurelier zugehorcht hatte, sich in Bewegung setzte, hin zum Arbeitszimmer des Aurelius Corvinus, welches Durus unbedingt sehen wollte. Vielleicht sah auch Durus, dass die einzige wirkliche Hoffnung, noch etwas über den Tod der Flavierin zu erfahren, war, etwas schriftliches von einem der beiden Toten zu bekommen.


    Avianus bot bereitwillig an, dass Durus und Romana sich umsehen konnten, während Ursus sich aufstellte, fast wie ein bissiger Wachhund, damit die beiden vom Collegium Pontificium auch wirklich nur das anfassen würden, was ihm genehm war. Romana reckte ihren Hals, wodurch sie noch etwas größer erschien als ohnehin schon, und ließ ihren Blick über das Officium wandern. Es sah aufgeräumt aus – fast nichts war im Raum. Wie überaus praktisch für die Aurelier!


    Sie fühlte sich beobachtet und wandte sich nach links, von wo aus Durus sie anblickte. Grübelnd wurde ihr Gesichtsausdruck. Sie hatte Fragen, ja. Aber diese Fragen würden wohl nicht sehr gut ankommen bei den Aureliern. Und auch wenn eine Vestalin es sich leisten konnte, unbequem zu sein, schließlich bot ihre Ordenszugehörigkeit ihr einen gewissen Schutz – es wäre keine gute Idee, die Aurelier implizit des Lügens zu beschuldigen.


    So atmete sie nur aus. “Von mir aus gibt es zum Arbeitszimmer keine Fragen. Mir bleibt nur noch, euch zu fragen, ob es sonst noch etwas gibt, was ihr uns erzählen könnt. Selbst der kleinste Hinweis wäre wichtig.“ Wobei es illusionistisch wäre, sich Hoffnungen zu machen, irgendetwas herauszubekommen aus denen.

    Die Claudierin zögerte eine Sekunde. Kein Lamm? Nun gut, Schafe waren Romanas Lieblingsopfer. Man musste keine Decke rauflegen. Aber das blieb der Opferherrin überlassen. Romana wollte jetzt auch nicht über einen möglichen Fall von Superstitio in Serranas Fall denken. Was Superstitio anging, konnte Romana sich ruhig selber an die Nase fassen!


    “Ziegenbock. Gut. Das klingt gut. Wobei, Sol steht mit dem Feuer in Verbindung, schließlich hat die Sonne mit Feuer zu tun. Daher sollte man ihm ein rotes Tier opfern. Vielleicht einen roten... hmm... eine rote Kuh? Gibt es sowas?“, überlegte sie.


    Was die unblutigen Gaben anging, nickte Romana zustimmend. “Unblutige Gaben, ich würde sagen, das Übliche. Früchte sieht der Gott sicher gerne. Weihrauch auch. Blumen vielleicht auch. Und Münzen. Und Statuetten. Was du willst“, offerierte sie Serrana eine Palette an Auswahl.

    Gerade, als Romana ihre Frage gestellt hatte und sich darauf einstellte, von Ursus oder aber von Avianus eine Antwort zu bekommen, da ertönte eine Stimme von einer Richtung, aus der sie keine Stimme vermutet hätte. Auch wenn sie seine Grußlosigkeit etwas daneben fand. Sicherlich, es ergab einen dramatischen Effekt, dass er einfach so aus dem Hintergrund auftrat. Aber Romana wollte mal nicht so sein und lächelte freundlich, als der Mann sich vorstellte. Groß, muskulös, braune Haare wie sie auch. Keiner, den sie jemals gesehen hatte. Aber möglicherweise jemand, von dem sie noch hören würde. Schließlich war dieser Mann noch jung. Und konnte noch viel erreichen. Denn sie glaubte nicht, dass in einer bedeutenderen Patriziergens jungen Männern erlaubt wäre, vor sich hinzuvegetieren ohne Karriere.


    “Claudia Romana ist mein Name“, antwortete sie, ohne ohne auf ihre Höflichkeit zu vergessen. “Sehr erfreut.“ Dass sie Sacerdos Vestalis war, konnte man wohl daran sehen, dass sie hier war – denn wer würde schon einer Vestalinnenschülerin erlauben, hier, an einer solchen Inquisitio, teilzunehmen?


    Romana horchte zu. Natürlich war sie nicht so unbeherrscht, dass Misstrauen ihr Gesicht umwölkte – nein, hübsch und artig dreinzuschauen war etwas, was man bei den Vestalinnen lernte, sogar, wenn man eine solch miserable Schauspielerin war wie Romana. Aber trotzdem. Was Lupus, wie der Mann hieß, sagte, konnte man zusammenfassen wie folgt: alle Sklaven sind wie durch ein Wunder gefälliger- und bequemerweise aus ihren Latschen gekippt. Plopp, und weg waren sie. Äußerst angenehm für die Aurelier. Vielleicht war da nachgeholfen worden?


    Lupus begann dann jedoch von Lucretia zu reden und traf damit auf eine zwiespältige Saite in Romana. Einerseits würde man sich schwer tun, eine konservativere und altmodischere Frau in ihrem Alter in ganz Rom zu finden als sie; Romana konnte aus ihrer claudischen Haut nicht heraus. Andererseits – Romana war eine Frau. Woran sie jeden Monat schmerzhaft erinnert wurde. Sie hatte ein Interesse an ihrem Überleben. Sie hatte ein Interesse daran, nicht komplett an den Rand marginalisiert zu werden. Somit gab das reichlich inneres Konfliktpotential, da ein Teil von ihr Lucretias Verhalten eindeutig befürwortete, ein anderer sich jedoch vor so etwas graute. Am Besten, sie kommentierte das gar nicht.


    “Aha...“, brachte sie hervor und nickte langsam und schwermütig. Sie blickte kurz auf die Wachstafels, und überlegte, ließ es dann aber sein. Was Wachstafeln überhaupt für ein Beweis sein sollte, wusste sie nicht recht. Jeder konnte alles Mögliche auf eine Wachstafel schmieren. Romana wollte dabei keinem Aurelier was unterstellen. Aber als Mitglied einer Inquisitio Pontificium hatte man sich kritisch denkend zu geben.


    “Gab es vielleicht en Abschiedsschreiben? Von Flavia Celerina oder von Aurelius Corvinus? An irgendwen innnerhalb oder ausserhalb der Gens?“, schloss sie sich der Fragerei des Tiberiers an.

    Die Claudierin lächelte knapp und unverbindlich, als Ursus Avianus ihr vorstellte. “Es freut mich sehr, dich kennen zu lernen, Senator Aurelius Avianus“, sprach sie mit freundlichem Tonfall, und blickte sich kurz nach hinten um, als Durus wieder zu reden begann. Ihr Lictor Mancinus und ihre Scriba Personalis Parthenope waren hier, ansonsten gehörte der Rest zu Durus. Romana brauchte einen solchen Anhang nicht. Geschwind wandte sie ihren Kopf wieder der Konversation zu.


    “Alle ihre Sklaven?“, fragte Romana verduzt. “Aber... ich meine, Flavia Celerina muss doch Duzende von Sklaven gehabt haben. Haben sich alle umgebracht?“ Die Claudierin konnte sich das schwerlich vorstellen. Und der selbe Gedanke wie Durus kam ihr. Hatten die Aurelier alle Zeugen beseitigt? Diese Angelegenheit war zutiefst unkoscher. Mehr fragte sie aber jetzt nicht, schließlich war Durus am Wort. Und neben dem Pontifex pro Magistro stand sie, die einfache Vestalin, wohl eher im Rang einer Aushelferin.

    Romana lächelte betont gelöst. Sie freute sich innerlich, dass Serrana sich zumindest in der Hinsicht sicher war. Auch in Romana entstand kurz der Drang, Serrana zu umarmen, ihr Trost zu spenden, aber sie wollte Serrana nicht patronisieren, einmal nicht jetzt, wo sie gerade im Begriff war, sich ein kleines bisschen in Richtung Reife zu entwickeln.


    Ganz innerlich fragte sich Romana stattdessen, was Serrana so gemacht haben mochte. Die strenge Erziehung von Laevina, die zweifelsohne stattgefunden hatte, denn so gut konnte Romana ihre Mitmenschen auch noch einschätzen, vielleicht? Romana dachte kurz daran, wie sie aufwuchs. Nicht bei ihren Eltern, denn obwohl in Rom geboren, wuchs sie in Clusium auf, bei ihren Großeltern, wobei Romana sich schon von einem frühen Alter an um die beiden alten Patrizier kümmern hatte müssen. Die Verantwortung, die auf Romanas Schultern gelegen hatte, hatte sie zu einer unabhängigen und auf dem Boden der Wirklichkeit stehenden Frau gemacht. Serrana jedoch... Romana konnte sich irgendwie schon, ganz vage, einerseits die bedingungslose Knute, andererseits die absolute Bevormundung vorstellen. Wobei sie Laevina nichts unterstellen wollte, auch nicht innerlich.


    Die nächste Frage lenkte aber von ihren Gedanken ab. “Ich denke, wir sollten ihnen in der Reihenfolge opfern, wie sie mir ihre Ablehnung zu verstehen gegeben haben. Also Sol zuerst“, tat sie ihre Überlegung kund. Und natürlich müssen alle Opfergaben bekommen, die auf sie zugeschnitten sind, gleiche Opfergaben wären wohl fehl am Platz“[/b], theoretisierte sie.

    Romana konnte nicht viel mehr tun, als kryptisch zu lächeln und zu erwidern: “Ich hoffe, wir werden aus all diesen Gerüchten die Wahrheit herausdestillieren können.“ Das Wort „hoffe“ konnte hier durchaus unterstrichen werden, denn schließlich gab es keine Garantie. Denn auch wenn sich Romana nicht für so ätzend dumm befand, dass ihr selbst die offensichtlichsten Tatbestände entgehen würden, manches Wissen war wohl im Getrampel der Hufe zu Nemi rettungslos untergegangen. Nemi. Romana wäre dort gerne mit Gracchus hingereist, um Privatdetektivin zu spielen – diese Rolle würde der Claudierin durchaus gefallen. Aber Durus hatte natürlich recht. Eine Vestalin hatte in Rom zu bleiben. Eine Vestalin hatte sich nicht auf irgendwelche Reisen weiß der Kuckuck wohin zu begeben. Eine Vestalin hatte Obligationen, die sie nicht aus einem fadenscheinigen Grund liegen lassen durfte. Und an sich sollte sie schon froh sein, als Frau zu einer solchen Inquisitio durchgelassen zu werden. Romana, die Inquisitorin, das hatte schon etwas. Aber sie sollte wohl nicht ihren eigenen privaten Ruhm bedenken, wenn so Schreckliches vorgefallen war – für das Collegium Pontificorum und die Gens der jungen Frau, die nun ihr Gegenüber war.


    Romanas Nachfrage nach Blümchen überging Prisca gekonnt, sodass Romana sicherlich noch bis ans Ende ihres Lebens, sich ihre brünetten Locken raufend, nach der Rätsels Lösung ringen würde. Aber auch nur würde, denn das Thema war schnell vergessen angesichts dessen, was Prisca nun sagte.


    “Nein, das wusste ich nicht“, gab sie ehrlich zu und musterte Prisca, als ob sie in deren Gesicht eine Antwort auf die Frage, was das alles sollte, finden könnte. Das musste sie aber nicht, denn Prisca rückte auch sogleich damit heraus, was sie auf dem Herzen hatte.


    Romanas erste Reaktion war, verwundert mit ihrem Kopf etwas zurück zu rücken. “Wie?“, fragte sie konfus. “Ich... ich soll seine wertvollsten Blumen bekommen?“ Selten und wertvoll, klang es in ihrem Kopf nach. Sie sollte diese Blumen auch wirklich kriegen? Nun ja, sicher nicht sie selber. Sondern das Atrium Vestae. Aber Romana würde sie einsetzen müssen, schließlich war sie hier die Oberstgärtnerin, und handhabte das nicht nur als reines Titularamt!


    “Das ist wirklich wunderschön...ich weiß zwar nicht, welche Blumen das sind, aber ich bin mir sicher, sie werden hervorragend in das Atrium passen!“, freute sich Romana und verbiss sich die Ansage, dass sie das wirklich aufmerksam vom Aurelier fand. Das wäre leicht fehl am Platze, aber leider nicht das erste Mal, dass Romana ins Fettnäpfchen steigen würde. Nun ja, Gefahr gebannt.