Beiträge von Claudia Romana

    Die Claudia wurde erst aus ihren Überlegungen gerissen, als Morrigan wieder auftauchte. Siefixierte die Sklavin mit einem blick, den sie nur für Sklaven reserviert hielt. “Verdünnt“, antwortete sie, natürlich ohne ein Wort der Bitte oder des Dankes. Sie streckte nur erwartend die Hand aus, es für absolut selbstverständlich erachtend, dass die Sklavin ihren Wunsch erfüllen würde. Dazu war sie ja da. Und selbst wenn die Sklavin widerspenstig war – und das war sie, das wusste die Claudierin – so hatte sie ihr ohne Frage den Respekt vor ihrer Person mit der Peitsche eingebläut.
    In dieser Position fand Livineia Romana vor. Romana wandte ihren Kopf von der Sklavin ab, lächelte und ließ den Wein Wein sein. “Livineia!“, rief sie erfreut aus. “Schön, dich zu sehen!“ Natürlich wusste sie, bei wem es sich hier handelte. Ihre Nichte – der sie übrigens ziemlich dankbar war, dass sie sie nicht Tante Romana nannte. Denn das würde Romana wohl als Gruftspionin abstempeln, zumindest in der Claudierin drinnen, die, obwohl Vestalin, vor der Eitelkeit auch nicht komplett gefeit war. Romana mochte zwar älter sein als Livineia, aber das änderte nichts daran, dass sie sich noch jung fühlte, auch wenn man hie und da annehmen konnte, dass in ihr die Überzeugungen einer Fünfzigjährigen steckten.
    Um ehrlich zu sein, beneidete Romana ihre Nichte, so, wie sie vor ihr stand, um ihre Schönheit, die die Männer sicher reihenweise aus den Socken haute. Nicht, dass Romana hässlich war. Aber ihre Makel waren unübersehbar – sie war zu groß, hatte einen eher jungfräulich-kleinen Vorbau, und ihre dunkle Stimme klang eher nach Rauch als das zarte Vogelgezwitschere, welches Livineias Stimme evozierte. Zudem schminkte Romana sich nicht, niemals. Eine Vestalin durfte das nicht. Doch den Himmeln sei Dank gab es in Romanas Gesicht nichts Sonderliches, was man mit Patze überdecken musste. Aber was mit Livineia an ihr mithalten konnte, das waren ihre Haare, dessen war sich Romana ziemlich sicher. Und vielleicht die Augen.
    Livineia setzte sich neben Romana hin, ihre Hände haltend, und Romana lächelte, als sie die Frage hörte. “Ja, es ist schon elend lange her, nicht wahr? Mir geht es gut, danke. Meine Pflichten im Atrium Vestae erfüllen mich noch immer wie eh und je, und die Götter verschonen mich von Krankheiten und Kummer.“ Warum denn auch nicht? Eine bessere und ergebenere Dienerin als Romana mussten die Götter in ganz Rom erst einmal finden.
    Ihr Blick fiel auf die Zierade, welche Livineias Finger bedeckte. “Du hast ja schöne Ringe. Sie stehen dir gut“, bemerkte sie, die Begierde darauf, selber Schmuck zu tragen, in sich erstickend. “Wo ist eigentlich Quintus? Ich meine, dein Bruder?“ In der Gens Claudia gab es ja einige Quinti, zuerst einmal ihr Lieblingsvetter, dann dessen Bruder, dann ihr Neffe, ohne die Cognomina könnte man ganz schön durcheinander kommen!
    “Und, sag, wie ist es dir ergangen? Erzähl mir mal!“ Mit leuchtenden, erwartungsvollen Augen blickte Romana ihre Nichte an.

    Gerade wieder fand Romana in jenes innere Äquilibrium zurück, welches sie für ihre Verwandte bereit hielt, da kreuzte eine Sklavin auf, die sie noch gut im Gedächtnis hatte. Nein, Romana vergaß nie jemanden, der sie so schändlich beleidigt hatte wie die Perserin damals. “Morrigan“, machte sie anstelle einer Begrüßung. “Ich sehe, du hast dein Latein verbessert.“ Kein Wunder, es war ja schon einiges an Zeit vergangen. Sie blinzelte kurz überlegend, als die Sklavin ihr eine Palette von feinen Sachen anbot. “Nein, hat sich noch niemand. Und ja, kannst du. Sollst du sogar. Wein“, machte sie knapp als Antwort auf Morrigans Fragen, ohne ein Bitte dazuzusetzen. Das würde sie vielleicht bei anderen Sklaven machen. Aber nicht bei dieser Morrigan, welche sie damals zu einem Fleischklumpen gepeitscht hätte, hätte nicht Quintus in letzter Sekunde interveniert und Romana von ihrem Blutdurst abgehalten.

    Die Zeit verging schnell. Viel schneller, als sie es sich wünschte. Viel schneller, als es gut wäre. Romana war kein junges Ding mehr, sie spürte es. Die Erinnerungen an die Zeit, da sie noch 18, 19, 20 gewesen war, schienen immer weiter entfernt. Es würde wohl, bei der Schnelligkeit, mit der sich die Welt drehte, voller Festlichkeiten zu Ehren der Götter, in welchen Romana immer geübter und geschickter wurde, nicht mehr lange dauern, bis sie 30 war. Dreißig! Eine entsetzliche Zahl, die Romana nicht behagte, die aber noch in der Zukunft lag.


    Und schon jetzt war es so, dass sie die Tante zweier junger Hüpfer war. Tante Romana, das klang fürchterlich, befand sie. Die Kinder von Galeo und Musa... sie würde auch schon Kinder haben, hätte sie geheiratet. Tja. Hätte, wäre, wenn.


    Doch ihren Neffen und ihre Nichte zu besuchen war wohl unausweichlich. Schließlich hatte man als Tante Verpflichtungen, auch wenn die Verwandtschaftsverbindungen nur biologisch waren. Und es war ja schon so, dass sie Galeos Kinder wieder einmal sehen wollte.


    Die Kutsche, welche Romana als Vorbewegungsmittel immer mehr bevorzugte, denn wenn man schon Privilegien hatte, sollte man sie auch nutzen, blieb knarrend vor der Türe zur Villa Claudia stehen. Der griesgrämige Sharif, seines Zeichens Ianitor und missmutiger Sklave, ließ Romana durch, er kannte sie ja schon.


    Die Claudierin war schon einige Zeit nicht mehr in der Villa gewesen, was sie sich abermals ins Gedächtnis rufen musste, als sie ins Atrium eintrat. Viele Jahre war es schon her, dass sie aus Clusium gekommen war, nur um ein Atrium zu erblicken voller vertrockneter und halb abgestorbener Pflanzen. Viel hatte sich geändert. Das Atrium war begrünt. Von den Rändern des Daches herab hingen blühende Ranken. Topfpflanzen zierten die Ecken des Atriums. Eine Büste von Kaiser Claudius war umkränzt von hübsc hen Kakteen. Romana, der Pflanzenfreundin, kam ein Lächeln, als sie sah, wie viel sich getan hatte.


    Ein Sklave versuchte unentdeckt sich vorbeizuschleichen. Doch nicht mit Romana, die sich abrupt zu ihm drehte und ihn am Ärmel erpackte, ihn zurückreißend. “Bursche! Geh und richte Claudia Livinea und Quintus Claudius Felix aus, dass ich sie hier im Atrium gerne sprechen möchte.“ Der Sklave katzbuckelte, eingeschüchtert vom strikten Blick der Vestalin. Ja, Romana konnte gut streng dreinschauen, aber auch nur, wenn sie mit Nichtrömern konfrontiert sah. Vor allem konnte sie, aus offensichtlichen Gründen, gut von oben herab schauen.


    “Na los, oder soll ich dir Beine machen?“, setzte sie hintennach, nicht mit scharfer Stimme, nicht einmal mit allzu bestimmter, als der Sklave nicht sofort spurte, was den Sklaven trotzdem durchaus dazu veranlasste, sofort loszueilen. Romana indessen hockte sich auf eine Liege, während der strenge Gesichtsausdruck, den sie vorher für den Sklaven aufgesetzt hatte, wieder schwand und einem erwartungsvollen Platz machte. Sie wusste kaum etwas über ihren Neffen und ihre Nichte, hoffte aber, dem Abhilfe zu verschaffen.

    Auch Romana war gekommen. Aber nicht zu ihrer biologischen Familie hatte sie sich hingesetzt, sondern zu den Vestalinnen in die kaiserliche Ehrenloge. Normalerweise hätte sie beim Wort Wagenrennen dankend abgewunken. Aber dieses Wagenrennen war etwas besonderes. Es war von ihrem Vater ausgerichtet. Sie musste dabei sein. Es führte kein Weg drum herum.


    Doch ihr Erscheinen war schon daher wert gewesen, als sie sah, wie ein junger Kerl ein Opfer vollzog. Das war doch Quintus Claudius Felix! Ihr Neffe! Als sie ihn sah, kein Bursche mehr, sondern schon ein Mann, kam sie sich plötzlich alt vor. Ein Gefühl, dass vielleicht nicht unberechtigt war – das Alter, mit dem man sich voller Stolz als blutjung bezeichnen konnte, das war für sie bereits vorbei. Leider. Leider, leider. Auch kam ihr das Gefühl, dass sie sich in letzter Zeit zu wenig um ihre Familie gekümmert hatte – hatte sie als Tante nicht auch gewissen Pflichten? Sie musste unbedingt einmal vorbeischauen in der Villa Claudia.


    So verschränkte sie ihre Arme und betrachtete in ihrer kaiserlich-logigen Isolation die blutige Tat zu Ehren der Götter.

    Romana hatte sich, wie sie es schon im Atrium Vestae angekündigt hatte, etwas Zeit gelassen, um die Blumen zu holen. Die Arbeit war ja nun doch leider etwas intensiv gewesen in letzter Zeit, doch nun hatte sie wieder die Zeit, um sich des vestalischen Gartens anzunehmen.


    Und so kam eines Tages vor der Villa Aurelia eine kleine Kutsche angerollt. Eine Kutsche in Rom zur Tageszeit, das war ausschließlich Angehörigen der kaiserlichen Familie vorbehalten. Und dazu gehörten ja auch die Vestalinnen. Die Kutsche kam zum Halt, und heraus begab sich Romana, die Tunika gerafft, damit jene nicht Flecken holte von dem Dreck, der auf der Straße sich angesammelt hatte. Die Claudia blickte sich vorsichtig um, als ob ihr etwas am Quirinal nicht geheuer wäre, dann begab sie sich zur Türe. Den Vortritt ließ sie aber ihrem Liktor.


    Und so war es an Manilius Mancinus, der noch immer nicht aus seinem Amt als Liktor weggekommen war, zur Türe hinzugehen und anzuklopfen, seine Brötchengeberin anzukündigen. Und als die Türe aufgemacht wurde, drückte er instinktiv seinen Rücken durch. “Salve. Die ehrwürdige Sacerdos Vestalis Claudia Romana wünscht sich mit Aurelia Prisca zum zwecke der Übergabe der Blumen des dahingeschiedenen Senatoren aurelius Corvinus... ähhh... zu unterhalten.“ Er war ziemlich stolz darauf, so einen verschachtelten Satz produziert zu haben, und grinste den Ianitor breit an.

    Sim-Off:

    Entschuldigung. Das habe ich übersehen.


    Romana lächelte dankbar. Sie glaubte zu spüren, dass Prisca sie nicht anlog, als sie ihr versicherte, dass sie nicht aufdringlich war. Sollte wohl gut sein; nichts hasste Romana so sehr wie die Unwahrheit. Vor allem die Unaufrichtigkeit gegenüber ihrer Person, auch wenn es nur aus reiner Höflichkeit geschah (was sich aber durchaus mit ihrer Meinung, man sollte sie mit Respekt behandeln, überschnitt und auch wiedersprach, doch war es so, dass respektvolle Kritik ihr zumeist nicht missfiel, ihm gegensatz zu blatanten und beleidigenden Ansagen) . Doch es war klar, nichts lag Prisca ferner. Natürlich, schließlich war ihr als Tochter eines guten Hauses der Respekt vor den weiß gewandeten Repräsentenzen der Göttin Vesta schon von früh an indoktriniert worden.


    Doch was sie dann von Prisca zu hören bekam, war schon durchaus weniger erfreulich. Romanas Mundwinkel froren daraufhin doch ein wenig ein. Prisca hatte sonst keine Ahnung? Nun ja. Vielleicht würde sie aus den anderen Aureliern etwas hervorkitzeln – auch wenn Romana das nicht wirklich annahm. Nein, sie wären ja schön blöd, würden sie ihre Klappe aufreißen. Das würde nicht passieren. Es würde nur die Spekulation bleiben. Wobei das etwas war, was Romana gut konnte. Spekulieren. Aber natürlich nicht nach außen. Sie nickte nur ernst. “Ja. Natürlich. Danke. Danke für deine bereitwilligen Antworten.“ Sie überlegte sich, hinzuzufügen, dass Prisca ihr sehr weitergeholfen habe, aber dies wäre eine Lüge gewesen. Prisca hatte nichts getan, um Romanas Unverständnis für die Wahnsinnstat des Aureliers und der Flavia aufzuklären.


    Gut, dass das Thema abgeschlossen war! Denn es war durchaus erfreulich, von anderem zu reden. Von Pflanzen! Romana liebte es, von der Flora zu reden, das heißt, von der Gartenflora. Sie lächelte der Aurelia zu, aber etwas verhalten, denn auch Romana wusste, dass es zu einem Anlass wie diesem nicht der geeignete Zeitpunkt war, daherzugrinsen wie ein Honigkuchenpferd über die Aussicht, Pflanzen zu bekommen. Seltene Blumen, wie Prisca gesagt hatte.


    “Herzlichen Dank, Prisca. Ich werde vorbeikommen, wenn ich Zeit habe. Es kann sein, dass es ein kleines bisschen dauern wird, aber vorbeikommen werde ich auf jeden Fall.“ Der gedanke dahinter war, dass Romana ein kleines bisschn Gras über ihren Besuch bei den Aureliern wachsen lassen wollte, bevor sie auf eigene Faust hin Erkundigungen bei den Aureliern unternahm.


    Sie hob abwehrend ihre Hände, als Prisca sich verabschuiedete. “Nein, nein, natürlich kann ich das verstehen!“ Konnte sie. Schließlich war Prisca nicht die Einzige, die noch Andersweitiges zu tun hatte. “Einen Architekten kenne ich leider nicht“, gab sie zu. “Aber ich wünsche dir viel Glück bei der Suche. Vale, meine Liebe, möge Vesta dich behüten.“ Sie lächelte die Jüngere warm an.

    Sim-Off:

    Keine Sorge! :D


    Romana schmunzelte. Die Kleine war wirklich entzückend, auf eine absolut positive Art und Weise. Spätestens jetzt beschloss Romana, sie zu mögen, und ihr innerlich eine erfolgreiche Aufnahme in die Schwesterschaft zu wünschen, obwohl sie eigentlich schon angetan gewesen war, als das Mädchen ihr gesagt hatte, sie habe sich aus freien Stücken dazu entschlossen, beizutreten.


    “Wenn dies so ist, dann habe ich keinen Zweifel daran, dass mein Vater der Kaiser deiner Bitte stattgeben wird.“ Sie sagte absichtlich „mein Vater der Kaiser“, um ihn von ihrem biologischen Vater, mit welchem sie sich noch immer eng verbunden fühlte, zu unterscheiden. “Und das hoffe ich, Helvetia.“ Ob es sich auf ihre Ankündigung, dass die Helvetia Vesta eine gute Dienerin sein würde, oder darauf, dass sie vermutete, dass sie bald als Vestalin hier erscheinen würde, bezog, verriet Romana nicht. Das Zwinkern entgegnete sie nur mit einem feinen Lächeln. Sie war keine Zwinkererin. Sie wusste das. Wenn sie zwinkerte, sah es aus, als hätte sie ein nervöses Trauma.


    “Ich danke dir vielmals, Helvetia. Der Segen Vestas sei über dir“, machte sie freundlich und lächelte, als sie Aviana frohen Mutes davon hopsen sah. Aviana erinnerte sie daran, wie sie früher gewesen war, vor 5 Jahren oder noch mehr. Die Idealistin, das naive Mädchen, welches sich in das heilige Leben vernarrt hatte, wie sich andere Mädchen in einen Burschen vom Nachbarshaus vernarrten. Die Claudia wünschte Aviana, dass sie Vestalin werden würde. Die nächste Vestalin würde ziemlich sicher Romana zur Ausbildung erhalten. Ihre erste Discipula. Und Romana hatte schon eine ganz gewisse Vorstellung davon, wie der Unterricht ablaufen sollte. Garantiert nicht, ohne dass die Claudia versuchen würde, jenen halsstarrig fanatischen Funken in ihr, den sie selber unter Verleugnung der wahren Tatsachen als einfache Frömmigkeit bezeichnete, und der ihrer Meinung nach mit Superstitio nur in den kranken degenerierten Hirnen von Christensympathisanten zu tun hatte, auf Aviana hinüberspringen zu lassen.

    “Danke“, ließ Romana sich entlocken. Die große Vestalin dachte ganz kurz nach, bevor sie ihren Entschluss hinzufügte. “Es wird nicht notwendig sein, dass du wartest. Ich werde den Brief in die Casa Quintilia einwerfen lassen“, machte sie mit ruhiger, für eine Frau sehr dunklen und sonoren Stimme. “In zwei Tagen wird er auf jeden Fall dort sein.“ Romana wusste noch immer nicht recht, was sie von jenem Offizier halten sollte – zu tief hatten sich schon Vorurteile in die Claudierin hineingegraben – aber sie wusste, er liebte Calvena wirklich. Und er respektierte sie wohl auch, und das war Romana in einer Beziehung auch wichtiger als Liebe. Ha, als ob sie jemals eine Beziehung gehabt hätte! Sie konnte nur aus der Position der Außenstehenden reden. Beziehungsweise denken.
    “Ist schon gut, wirklich“, beschwichtigte sie auf seine Beteuerungen, er stünde in ihrer Schuld. Ja, das mochte er wohl tun, denn seine Behandlung hatte Romana wirklich sehr gekränkt damals, und die stolze Patrizierin war keine, die so etwas schnell vergaß.
    “Also, ich werde dir dann meinen Brief zustellen... und, nun ja...“ Sie blickte den Quintilier aufmerksam an. Wenn er nichts noch hinzuzufügen hatte, dann war diese Konversation wohl getätigt.

    Es hatte Lartia Restituta Tüwache. Wie immer konnte die Lartierin kaum ihre Augen aufhalten, als sie die Türe aufmachte und den Forderungen des Mannes in der Türe folgte.


    Und wie schon richtig erraten, ließ sich Romana Zeit. Eine Sklavin hatte Restituta losgeschickt, um ihre Mitvestalin und Freundin finden zu lassen. Dies war leicht, Romana lag in ihrem Zimmer herum und genoss die Ruhe und das süße Nichtstun, welches sich nun in Wohlgefallen auflöste. Lucius Claudius Brutus war da, er war zum Atrium Vestae gekommen. Die Claudia seufzte, tief und lange.


    Romana riss die Türe auf, nachdem sie aus ihrer Liege aufgesprungen war, nur, um eine Überraschung zu erleben. Ihr Bruder. Mit... Bart. Die Vestalin legte alles daran, um ihre Stirn nicht in Runzeln zu legen.


    “Salve, Lucius, mein lieber Bruder. Dass ich dich mal sehe“, machte sie. Das letzte Mal, dass sie ihn gesehen hatte, waren sie in Unfrieden geschieden. Und nun war er hier. Samt Anhang, den sie nicht einmal eines Blickes würdigte. Sie wollte noch hinzufügen, dass sie zu wissen wünschte, was er von ihr jetzt schon wieder wollte. Doch das ließ sie sein. Brutus, das erschien ihr als ziemlich sicher, würde selber schon mit dem herausrücken, was ihn zu Romana trieb.

    Selbstverständlich war in der Versammlung der Pontifices in Sachen Nemoralia auch Romana zugegen. Zu sagen hatte sie nichts, denn Durus übernahm die Rolle des Sprechers. Nein, zu sagen hatte sie nicht mehr als das, was Durus schon sagte, und da ihr auch nichts einfiel, was sie beitragen konnte, ließ sie es sein. Vielmehr hörte sie nur dem zu, was Gracchus zu sagen hatte.


    Romana hatte sich von Haus aus vorgenommen, die Erkenntnisse des Flavius Gracchus mit einer Prise Vorsicht zu genießen. Wie sie sich ins Gedächtnis rufen musste, ohne den geringsten Zweifel, handelte es sich hier um einen Verwandten der Toten. Wenn Gracchus etwas gefunden hatte, das Celerina inkriminierte, würde er es wohl verschweigen. Sie dachte zurück an ihr Gespräch mit Durus, in welchem sie sich gegenseitig gestanden hatten, dass sie, in der selben Situation, auch vertuscht hätten wie die Weltmeister, gäbe es eine Weltmeisterschaft darin.


    In dubio pro reo also, im Zweifel für den Angeklagten. Irgendwie hatte Romana schon gespürt, dass es darauf hinauslaufen würde. Wenn sie nun etwas Besseres in der Hand hätte als all die rund um sie, hätte sie nun ihre Stimme erhoben. Aber so sehr Romana auch es liebte, Spekulationen anzustellen, was sie sich dachte, sollte sie lieber für sich behalten.


    Ein Haruspex wurde nun einberufen – wie Romana feststellte, der nette junge Herr von den Vigintiviri. Sie konnte sich ein Lächeln nicht verbeißen. Lupus in Aktion zu sehen, das wäre mal was, in Aktion wie ihr Urgroßvater großmütterlicherseits, der zu den Gründungsmitgliedern des Collegium der Haruspices gehört hatte.


    Sie lehnte sich zurück, um das Spektakel besser beschauen zu können.

    Romanas Einstellung zur Haruspizin war weitaus komplizierter, verworrener und ambiguöser, als es sich Tiberius Durus in seinem Leben und seinen kühnsten Träumen nur vorstellen könnte. Die Claudia musste sich seit dem Desaster in der Casa Iunia immer beherrschen, um sich nicht komplett von der Peinlichkeit übermannen zu lassen, wenn das Thema auf dieses Ritual kam.


    Ein Schmunzeln zierte aber ihre Lippen, als Durus extra aufstand, um ihr galant aus der Liege zu helfen. Sie ergriff die Hand des alten Tiberiers und erhob sich. “Du bist ein wahrer Kavalier, Tiberius Durus. Wir werden uns bald wieder auf der Contio sehen.“ Romana schenkte dem Pontifex ein verschmitztes Lächeln, bevor sie die Villa Tiberia verließ, um wieder im Atrium Vestae ihrem manchmal knochenharten Beruf wieder nachzukommen.

    Romana riss ihre Augen kurz auf, dann verbiss sie sich mit aller Macht ein Prusten. Ein mildes und sanft tadelndes Lächeln jedoch erschien noch immer auf ihrem Gesicht. “Eine interessante Betrachtungsweise“, meinte sie. Romana mochte Gedichte, zumindest, wenn sie vernünftig waren. Wenn sie römisch waren, oder zumindest römischen Geist ausdrückten. Sie betrachtete mit fasziniertem Befremden, wie manche sich an exotischen, esoterischen und barbarischen gedichten aus dem Osten ergötzten. Dann fügte der Aurelier aber noch etwas dazu, was auch wirklich den Vogel abschoss. Der heuchelnde Dichter. Romana lachte erheitert. “Vielleicht bist du dann wirklich kein Dichter, Aurelius Lupus, aber den Witz eines guten Dichters hast du auf jeden Fall“, erwiderte sie fröhlich, was jetzt vielleicht Lupus nicht in die Schublade eines echten Kerls einordnete... aber nun gut, witzig und echter Kerl schlossen sich ja auch nicht aus. Ebensowenig natürlich wie echter Kerl und sexuelle Nötigung, was Romana ganz und gar nicht befürwortete. Auch nicht tief in ihrem Inneren. Dazu war sie, obwohl ohne Scheue vor dem Thema, doch zu spröde. Und die Aussicht, lebendig begraben zu werden, war keine sehr nette. Sogar noch unnetter als die Aussicht, Romanas heißgeliebte Vesta zu verärgern. Ein leichter, flockiger Flirt zwischen Tür und Angel mit einem solch netten jungen Kerl wie diesem, der ging aber immer. Dadurch würde die Claudierin gewiss nicht ihren Rang als reine und unberührte Jungfrau verlieren. Einmal nicht technisch.


    Zu den Gracchen gab es nun wahrlich nichts mehr zu sagen, wieso auch? Ebenso wie das Thema der Mutier war auch dieses abgeschlossen. Romana würde da nichts tun können. Den Lemuren der Toten Opfer darzubringen, und Mörder jedweder Art zu investigieren, war alleine die Sache der Mutier. Und nicht ihre. Ihre würde es sein, würde ein Claudier unter ungeklärten Umständen ums Leben kommen. Oder aber eine Vestalin.


    Und kaum war sie wieder zurück, warf Lupus ihr noch mehr Komplimente entgegen. Romana konnte sich selber gegenüber nicht verleugnen, dass ihr diese Komplimente gefielen. Auch wenn der Satz, der sich auf die Schönheit von ihr als Kind bezog, etwas anrüchig klang. Ein bisschen zu viel Liebe für ein Kind... der Gedanke war viel zu grauenvoll, als dass sie ihn weiterspinnen wollte. Nun ja. Lupus wusste ja nicht, dass sie dank Spezialdispenses des Kaisers mit 14 eingetreten war. Und somit schon durchaus nahe an der Geschlechtsreife dran gewesen war. Der Gedanke ließ sie die Worte des Aurelius innerlich abtun. Und wenn dieser das nicht getan hätte, hätte es sein Zwinkern getan. Die Patrizierin kicherte leise und enthüllte mit ihrem Lächeln ihr intaktes Gebiss. “Ich denke, am Besten bedanke ich mich dafür, indem ich dich nicht bei der Obervestalin verpetze“, entgegnete Romana launig.


    Er sinnierte über ihren Stand, weder verheiratet, noch zur Heirat fähig. Ja, eine andere Gruppe von Menschen, die in jenem verharren mussten, die gab es wohl auf der Erde nicht noch einmal. “Nun, es würde mir frei stehen, den Orden zu verlassen. Das wäre in, hmm, fast 24 Jahren.“ So lange würde der Gute wohl kaum Geduld haben. Wenn er nicht eh schon lange verheiratet war. “So unerreichbar bin ich also nicht. Du musst nur warten. Und mich überzeugen können, den Orden zu verlassen, was aber unwahrscheinlich sein wird. Doch wenn ich einmal die 40 überschritten habe, frage ich mich, ob du meine Schönheit noch immer so hübsch preisen wirst wie nun.“ Hier kam wohl wieder die direkte und unumwundene Art der Claudierin durch.


    “Aber ja, mein eigener Entschluss war es. Ein Entschluss, zu dem ich ohne das Mitwirken meiner Eltern gekommen bin. Und ich bin glücklich darüber, ihn gefällt zu haben“, legte sie dem Aurelier dar.

    “Helvetia Aviana“, wiederholte Romana den Namen zu sich selber. Sie würde ihn sich einprägen, und zwar sorgsam. Wie den Namen aller, die sich freiwillig dem Kult der Göttin anschließen wollten. Denn bei ihnen war schon die Orthodoxie, der rechte Glauben, da. Wenn auch die Orthopraxie, das rechte Handeln, erst in der Vestalinnenschule erlernt werden musste.


    “Helvetius Geminus... nein, leider nicht“, gab sie bedauernd zu. Der Helvetier sagte ihr nichts. Schließlich war er schon lange Zeit im öffentlichen leben nicht mehr aktiv gewesen. Romana kannte die Senatoren im Cultus Deorum, und die sonstigen wichtigen Gestalten, Consulare und dergleichen, von denen man in der Acta Diurna las... doch Helvetius Geminus... nein.


    “17“, echote sie abermals. “Siebzehn. Das bedeutet, dass du 7 Jahre über dem Alter bist, in welchem Vestalinnen normalerweise aufgenommen werden. Das muss nicht unbedingt ein Hindernis sein. Ich selber wurde mit 14 Jahren aufgenommen. Der Pontifex Maximus kann Dispense vergeben in der Hinsicht. Und ich habe schon davon gehört, dass eine Vestalin mit 16 Jahren aufgenommen wurde. Du stehst übrigens wegen dieses vakanten Platzes im Wettstreit mit einer anderen Siebzehnjährigen, nur wenn du es wissen willst, einer Aurelia namens Narcissa.“ Sie lächelte. “Aber mit einem Senator als Vater hast du durchaus schon gute Karten. Wie man bei mir sehen kann. Mein Vater ist der amtierende kurulische Ädil Claudius Menecrates.“, informierte sie die Helvetierin.


    Sie lächelte abermals vage. “Also bist du auch nicht in Rom aufgewachsen.“ Sie dachte kurz an ihre Kindheit in Etrurien zurück. “Solange du im römsichen Reich geboren wurdest, dürfte dies kein Problem darstellen.“


    Auf ihre Frage hin überlegte Romana, und zwar gut. “Hmm, was wird er noch wissen wollen? Er wird die Einverständniserklärung deines Vaters verlangen. Zudem wurde ich persönlich einmal dazu angehalten, dem Kaiser höchstselbst einen Brief zu schreiben." Ein Motivationsschreiben. Damit der Kaiser sich auch sicher sein konnte, keinen Fehler zu machen, wenn er die Helvetia zu den Vestalinnen ließ.


    “Ein vielbeschäftigter Mann ist er. Aber für Vestalinnenanwärterinnen wird er sicher Zeit haben. Er is auf den ersten Blick etwas einschüchternd, aber doch ein hervorragender Mann, ein Römer der alten Schule. Sei dir versichert, sich in seiner Gesellschaft aufzuhalten ist sehr angenehm“, machte sie für den Stellvertreter ihres Titularvaters Werbung. “Du musst also keine Angst haben. Wenn deine Überzeugung die rechte ist, wird die Göttin dich leiten!“ Aus ihren Augen blitzte kurz etwas, wie ein Funken, wie ein entbrennendes Licht, bevor dieses wieder schwand und dem gewohnten Gesamteindruck der großen Claudierin Platz machte.

    Romana nickte langsam. “Ja“, machte sie nur, an Calvena denkend, in ihrem fernen Germanien. Wo die Wölfe in der Nacht heulten. Wo die Germanen ihren grausamen Göttern ihre Kinder opferten. Wo es kalt war, bitter kalt. “Ich werde ihr einen Brief schreiben. Noch bevor du weggehst. Damit du ihn mitnehmen kannst“, ging sie auf seinen Wink mit dem Zaunpfahl ein. Somit würde sie zumindest einen Boten haben, der unter Garantie zu Calvena zurückkehren würde – und einen Boten, der das gratis machte. Für sie. Nein, nciht für sie, sondern für seine Frau.


    Die Claudia unterdrückte ein Grinsen, dass in ihr aufkommen wollte wegen des Schmalzes, den Quintilius hier von sich gab. Sie war eine wahre Freundin... nun, es war doch nett, dies zu hören! Romana entschloss sich, nicht zu antworten, sondern nur fein, aristokratisch und ein klein wenig distanziert zu lächeln und den Kopf ganz kurz zu neigen, keineswegs unterwürfig, vielmehr anerkennend.


    Sie runzelte ihre Stirn kurz, dann winkte die Claudia ab. “Das ist sehr nett von dir, aber glaube mir, ich brauche nichts von dir, ich habe keinen Wunsch. Bis auf eine einzige Sache... das du Calvena gut behandelst.“ Ernst blickte sie auf ihn. Nun gut. Es stand nichts mehr zwischen ihnen, wie es aussah. Marhabal war noch immer unmöglich, aber sein Problem. Sein Problem alleine. Und Calvenas Problem. Aber dieses Problem hatte sie sich ausgesucht. Sie musste Calvena für diese Tat ja nicht vor Freude in einer Umarmung aus weichem weißem Stoff erdrücken. “Aber da ich weiß, dass du dies ohnehin tun wirst, brauche ich auch diesen Wunsch nicht zu äußern.“ Sie rang sich doch noch ein Lächeln ab.

    “Die Haruspizin?“ Sie blickte Durus an bei ihrem versuch, sich nciht anzumerken zu lassen, dass sie nicht erschauderte. Die Haruspizin, damit verband sie noch immer ihr Versagen. Sie würde die Finger davon lassen in Zukunft, zumindest von der tiefer gehenden. Trotzdem war ihr Vertrauen in die Haruspizin an sich unerschüttert. Allerdings konnte sich sich dennoch etwas Zweifel nicht verkneifen.


    “Die Haruspizin?“, wiederholte sie sich. “Jene wird doch sicherlich kaum mehr erreichen können als die Offenbarung einiger Omen. Nun, vielleicht hilft uns dies aber weiter. In den Händen eines fähigen Haruspex... ja. Es erscheint mir logisch.“ Sie nickte. Vielleicht war das die Lösung. Und wenn es nicht die perfekte Lösung war, war es eine guter Ansatz, um Frieden mit den Göttern zu schließen. Denn sogar Romana, die hie und da eigenwillige Ansichten in sich drinnen pflegte, würde nicht vorschlagen, dass man die schmierigen kleinen Geheimnisse in der Villa Aurelia aus den Aureliern rausfoltern sollte.


    “Ich gebe dir recht. Alleine schon, weil ich gespannt bin, was das Ergebnis sein könnte, bin ich dafür, dass wir das machen sollten.“ Sie hätte gelächelt, wäre ihr die Angelegenheit nicht eine Spur zu ernst vorgekommen. So blieb ihr nur das Seufzen. “Dann wäre das geklärt... oder?“ Romana blickte den Pontifex ein wenig müde an.

    Sim-Off:

    Ups, Verspätung: tut mir Leid! :(


    Romana blickte ernst drein. “Du hättest es auch getan?“ Kurz nahm ihr Gesicht fast eine gewisse vestalische Strenge an, bevor sich dies verlor. “Du hast ja recht. Ich vermutlich auch. Ich meine, falls so etwas in der Art passiert wäre.“ Nicht, dass Romana je vorhatte, eine Gattin zu nehmen.


    Was Durus nun sagte, war durchaus eine verlockende Variante. Einfach die Villa Aurelia auf den Kopf stellen! Aber Durus hatte wohl recht. “Wenn die Aurelier etwas haben, werden sie es spätestens jetzt auf die Seite geschafft haben. Es wird nichts bringen, du hast recht, außer Antagonismus zu schüren.“ Sie seufzte. “Was also sollen wir dem Collegium Pontificium sagen? Mit dem Wenigen, was wir haben, ernsten wir ja fast schon Hohn und Spott.“ Die Claudia war etwas unglücklich mit der Lage, daraus konnte sie keinen Hehl machen. “Und wenn Flavius Gracchus in Nemi nichts findet – und sicherlich wird er das nicht tun, bei Celerina handelte es sich ja um eine Verwandte von ihm – dann werden wir mit komplett leeren Händen dastehen.“ Nochmals ein Seufzen. “Wie sollen wir denn beginnen, eine vernünftige Sühnehandlung zu beginnen, wenn wir keinen Plan haben, was in Nemi vorgefallen ist?“ Romana quälte der Gedanke, dass jetzt die Pax Deorum unwiderherstellbar wäre, ehrlich, vor allem, da sie sich immer irgendwie eingebildet hatte, einen besonders guten Draht zu den Göttern zu haben.

    Romana hielt inne und musste sich gegenüber zugeben, dass Valerian damit Recht haben musste. “Ja, das wird stimmen. Ihr Brief muss verloren gegangen sein. Obwohl... dieser Brief hier ist eine direkte Antwort auf mein letztes Schreiben... sie muss mir den Brief schon vor einiger Zeit geschickt haben... ach ihr Götter, jetzt denkt sie vermutlich, was ich für eine Kuh bin, dass ich ihr nicht antworte...“ Sie seufzte. “Auf jeden Fall, das muss so sein.“ Es war wohl ein wenig dumm gewesen von ihr, anzunehmen, dass Calvena sowas vergessen würde. Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er ihr gegenüber beteuerte, dass Calvena sie liebte wie eine Schwester. Es war schön, so etwas zu hören. Oder sagte er ihr das nur, weil er nicht wollte, dass Romana Calvena böse war? Aber das Gefühl von schwesterlicher Liebe war so schön, dass sich Romana erst einmal innerlich darin sonnte.


    Sie lachte leise. “Quintilius, ich kann dir nur Glück wünschen. Ich habe keine Ahnung, was sich unser Kaiser dabei gedacht hat, als er diesen Mann eingesetzt hat. Und er ist offenbar auch fest entschlossen, Vescularius an dieser Stelle zu behandeln.“ Ah ja, gemeinsame Feinde. “Und das habe ich gerne gemacht. Für Calvena“, setzte sie hinzu, zur Vermeidung aller Zweifel.


    Und dann kam der große Knaller – eine Entschuldigung. Eine Entschuldigung von Quintilius Valerian? Dem selbstgefälligen Quintilier? Romana starrte ihn eine Sekunde an, dann entschloss sie sich, das zu mögen. An sich hatte Quintilius ihr gegenüber nichts Unentschuldbares getan. Aber sein Lügengerüst, das nun zusammenfiel wie ein Kartenhaus, das ließ Romana unbeeindruckt. Aber – er entschuldigte sich. Na also. War das so schwer gewesen? War das solch eine diffizile Geburt gewesen? Sie ließ ein sanftes Lächeln zeigen. “Ich nehme an“, machte sie. “Es ehrt dich, von Entschädigung zu sprechen, aber das muss ich ablehnen, trotzdem, danke.“ Vielleicht war dieser Valerian doch kein so fürchterlicher Typ. Was so eine Entschuldigung doch so alles ausmachen konnte.

    Hui, das war ja eine ganz Verschüchterte. Sah Romana wirklich so gefährlich aus? Oder war es einfach in der Natur des Mädchens vor ihr, so verfangen gegenüber Fremden zu sein? Sie wusste es nicht. Die von Natur aus couragierte Romana, der nichts und niemand auf der Welt so schnell einen Schreck einjagen konnte, fand es hie und da schwierig sich in schreckhafte Geister hereinzusetzen. Nun gut, Serrana war das auch, und Romana war eine gute Freundin von ihr, die Ausnahme mochte die Regel bestätigen.


    Sie behielt ihr Lächeln bei, als die Kleine sie respektvoll zurückgrüßte, dann aber mit etwas kam, womit Romana kaum gerechnet hatte. In ihr Lächeln mischte sich eine Portion Ungläubigkeit, und während ihre Gesichtszüge das Lächeln verloren, musterte sie Aviana.


    “Vestalin werden?“, echote sie, als hätte sie nicht recht verstanden. Die vor ihr war doch schon eindeutig zu alt. Wobei, Romana hatte es auch geschafft. Damals aber war sie 14 gewesen, was nicht so weit über dem vorgeschriebenen Alter lag. Und Aurelia Narcissa schien scheinends auch gute Chancen zu haben aufgenommen zu werden, obwohl schon 17.


    Romana konnte sich gegenüber nicht verleugnen, dass sie höchst erfreut war, eine Anwärterin auf das Amt einer Vestalin zu finden, auch wenn sie zumindest eine der normalen Voraussetzungen nicht erfüllte. Also beschloss sie, freundlich und hilfsbereit zu sein. Sie war damals an die alte und grantige Minucia Milicha gekommen, ziemlich unvorbereitet, und damals war sie ziemlich verunsichert gewesen. So was sollte künftigen Anwärterinnen erspart bleiben! “Das ist ein sehr lobenswertes Ziel! Was ich dir vorschlagen würde zu diesen Zweck, ist, dich an Tiberius Durus zu wenden. Er ist der Pontifex pro Magistro und lebt am Esquilin, die Villa Tiberia ist kaum zu verfehlen. Sag ihm, du willst Vestalin werden, und Claudia Romana von den Vestalinnen schickt dich – Claudia Romana, das bin ich. Allerdings brauchst du erst noch die Einverständniserklärung deines Vaters. Ich nehme an, jener lebt noch? Und, wie ist dein Name, nur, dass ich es weiß?“ Damit war ihr Wortschwall aber noch nicht vorbei, denn sie beugte sich etwas nach vorne. “Und sag mir... wie alt bist du eigentlich?“ Ab einem gewissen Alter konnten Vestalinnen einfach nicht mehr aufgenommen werden!

    Romana hob ihre beiden Augenbrauen. “Schwanger, und ich bin die Letzte, die das erfährt?“, war das erste, woran sie denken konnte, um es zu sagen. Ein wenig undiplomatisch. Aber sie fand es ziemlich komisch, dass Calvena diese Nachricht ihr zunächst verschwieg, um ihr dann zu sagen, wie ihr Zustand war. Sie hatte es wohl vergessen, Romana das zu sagen. Wobei das jetzt nicht wirklich etwas sein sollte, was man einer besten Freundin verabsäumen sollte mitzuteilen. Oder hatte Romana das Konzept einer reundin in den falschen Hals gekriegt?


    “Aber, nun, das freut mich wirklich für sie!“, machte sie, und zwar ehrlich. “Ich werde der Iuno Opfer bringen und für eine erfolgreiche Niederkunft beten.“ Iuno war zwar nicht „ihre“ Göttin, aber nichts und niemand konnte Romana, eine Vestalin und freie Bürgerin Roms, davon abhalten, jeder Gottheit zu opfern, der sie opfern wollte.


    “Und ja, ich kann es mir vorstellen“, zeigte die große Vestalin doch noch ein bisschen Empathie. “Sag... ist es dir eigentlich in Rom möglich, irgendetwas zu tun für deine Rückstationierung nach Rom?“ Wenn Romana Valerian in irgendeiner Weise Erfolg wünschte, dann nur wegen Calvena. Nur wegen ihr.


    Er begann von der Hochzeit zu sprechen, und Romana zermarterteaus einem Gefühl des Gerechtigkeitssinnes ihr Gehirn nach jener Begebenheit, und aufrichtigerweise musste sie gestehen, dass es so gewesen war, wie Valerian es geschildert hatte. “Nun, du hast recht. Glaube mir, ich hätte nachgehackt. Aber meine Frage habe ich als beantwortet gesehen. Du hast zwar nicht explizit gesagt, dass du ihn nicht adoptiert hast. Aber, Quintilius, du hast es impliziert. Das musst du selber dir eingestehen.“


    Sie verbiss es sich, ihre Lippen zu verziehen, als er von Marhabal dem Prächtigen sprach. Streng, wie eine Lehrmeisterin, schaute sie auf Valerian. “Dein prachtvoller Mensch hat meine Gens als Bettler diffamiert und sich komplett unmöglich aufgeführt, als ich ihn einmal als Gärtner anheuern wollte. Ich habe nichts dagegen im Prinzip, dass er dein Fast-Adoptivsohn ist. Du als Mann alleine kannst den übelsten Pöbel adoptieren. Ich habe aber etwas dagegen, dass er der Adoptivsohn des Mannes war, der mit Calvena verheiratet ist. Der Gedanke, dass Calvena darunter leiden muss, dass sie die Stiefmutter eines solchen Kerls sein muss... er dreht mir den Magen um.“ Das klang stark patronisierend gegenüber ihrer Freundin, aber Romana gefiel sich in der Rolle der Ersatzmami, obwohl der Altersunterschied quasi nonexistent war. “Und ich habe etwas dagegen, dass mir verschwiegen wurde, dass du ihn adoptiert hast. Wobei, das wäre vermutlich auch eher Calvenas Aufgabe gewesen. Trotzdem. Und, nebenbei, du weisst sicher, dass ein Patron für seine Klienten verantwortlich ist.“ Sie blickte ihn wartend an. Wartend auf etwas ganz Bestimmtes, was sogar die stolze Patrizierin schon aus sich gegenüber Valerian herausgewürgt hatte, was sie aber noch von ihm vermisste. Eine Entschuldigung.

    “...“


    Romana war keine Frau, die für Komplimente unempfänglich war. Vor allem, da sie für eine Vestalin Seltenheitswert hatten. Schließlich wussten die Männer, mussten einfach wissen, dass Vestalinnen absolut unerreichbar waren. Romana war für einen oberflächlichen Flirt schon zu haben, aber Aufdringlichkeit hasste sie. Das hier war aber keine Aufdringlichkeit. Das war Poesie in ihren Ohren. Eigentlich hatte Romana das noch niemand gesagt. Duccius Vala hatte ihr schönes Gesicht kommentiert, und ja, die Claudia ahnte wohl, dass zumindest ihr Gesicht halbwegs ansehbar war. Aber so etwas entgegengehaucht zu bekommen... denn ja, Romana empfand sich durchaus als Frau. Jede 4 Wochen wurde sie schmerzhaft daran erinnert, dass sie eine Frau war. Und eine Frau, die sauer war, wenn man ihre Schönheit (glaubhaft) preiste, musste man durchaus ernsthaft suchen. Und tja, ihr verschlug es nun zwei oder drei Sekunden lang die Sprache.


    “Oh...“, brachte sie hervor. Schnell, was Schlagfertiges musste her. “Das hast du schön gesagt, Aurelius Lupus“, machte sie, sich an einem kecken Grinsen versuchend. Nun, Romana war keine Frau, die auf Knopfdruck immer die passenden Lächler aus dem Ärmel schütteln konnte, und schon gar keine, die so manche Frau für Männer im Repertoire zu haben schien. “Ich danke dir für deine netten Worte! Wie poetisch! Hast du dich jemals schon in der Dichtkunst versucht?“ Romana hatte mal ein Gedicht schreiben wollen, war aber nicht über „Die Katze sitzt auf der Matratze“ herausgekommen. Sie war keine Künstlernatur, und wohl auch nicht über alle Maßen kreativ – sonst wäre sie mit dieser Situation auch sicherlich geschickter umgegangen.


    Sie nickte gedankenverloren, als die Sprache auf die Mutii kam. “Oder an die Gracchi“, entgegnete sie knapp. Die Gracchen, die umgebracht worden waren, weil sie diversen Leuten auf den Fuß gestiegen waren. Auch wenn ein bisschen mehr Zeit zwischen dem Tod der Gracchen lag als die durchaus verdächtige Schnelligkeit, mit der die Mutier gestorben waren. Vielleicht würde Romana ja einmal, wenn sie die Muße hatte, etwas machen, was sie wirklich gerne machte – auf unfundierten Mutmaßungen eine Verschwörungstheorie basteln.


    Nachdem sie zurückgekommen war, wurde der Gesprächsfaden wieder aufgenommen. Er schien ganz kurz zu überlegen, bevor er ihre Frage nicht beantwortete und mit einer Gegenfrage beantwortete. Romana unterdrückte ein Stirnrunzeln. Sie mochte es nicht, wenn man ihre Fragen umging. Es implizierte irgendwie, dass man sie nicht recht ernst nahm. Und wenn Romana eines von Herzen hasste, außer die Christen natürlich, dann war es, nicht ernst genommen zu werden. Vescularius Salinator hatte sich in ihr eine unversöhnliche Feindin geschaffen, als er sie behandelt hatte wie ein kleines Kind statt wie eine Vestalin.


    Sie lächelte über sein erneuertes Kompliment. “Nun, ich denke, als ich hierher kam, war ich noch zu jung, um das klassische Lustobjekt der werten Männlichkeit zu sein.“ Wozu sie jetzt offenbar mutiert war, obwohl Romana keine Ahnung hatte, wie das passieren hatte können. Was den Männern normalerweise an ihr auffiel, war nicht ihre von Lupus so exultant bejubelte Schönheit, sondern ihre Größe. Sie musste kurz an den griechischen Tänzer denken, dem sie anscheinend gefallen hatte – nun ja, ansonsten sah es an schmachtenden Verehrern bei Romana extrem dürftig aus.


    “Wie dem auch sei. Ich selber habe mich entschlossen, hierher zu kommen, ins Atrium Vestae.“ Mit der Geschichte mit der Erscheiung der Vesta hielt sie sich bedeckt, es wusste kaum jemand davon – schließlich war sie fest davon überzeugt, wenn sie herumerzählt, dass sie als 14-Jährige eine Erscheiung der Vesta gehabt hatte, dann würde man sie zur Irren erklären. Und damit hatte sie vielleicht gar nicht einmal so unrecht. Es hing ihr eh schon der Ruf einer Superstitiosa nach, wie man hie und da hörte.