Beiträge von Marcus Germanicus Pius

    Marcus nickte verstehend, täuschte auch einen eben solchen Blick vor, aber letztenendes verstand er nicht, wie Cimon so klug sein konnte, ihm anzusehen, was er werden wollte, wenn er groß war. Vielleicht gehörte ja das zu den Dingen, die ein Kind nicht verstehen musste. Das war Bias Spruch, der ziemlich vieles umfasste und Marcus Meinung nach nicht abzugrenzen war. Zuletzt hatte sie ihm das geantwortet, als er sie gefragt hatte, was das Wort Beischlaf bedeutete, das er zuvor irgendwo aufgeschnappt hatte.


    „Ich habe sie einmal getroffen, da hatte sie sich verlaufen und den Weg nicht mehr zu eurem Zuhause gewusst. Ich habe ihr geholfen“ erklärte er und ließ sich dann von den beiden Sklaven auf die eigenen zwei Beine stellen. Als nächstes ließ er sich seine Holzfiguren geben. Man sah den Knaben selten ohne einen der kleinen Soldaten, immer waren sie dabei und verwandelten jeden Platz im Handumdrehen in ein Schlachtfeld.


    Sie in den Händen haltend, linste er zu Calvena. Er war immer noch traurig, dass sie Valerian heiratete, auch wenn er ihn eigentlich mochte. Aus diesem Grunde hatte er den ganzen letzten Tag lang nicht mit ihr gesprochen. Auch jetzt sah er schmollend drein, während er sie stillschweigend betrachtete. Sie war ganz konzentriert auf das Opfer, das gerade gebracht wurde. Zu wem sollte er denn nun nachts gehen, wenn er schlecht geträumt hatte und nicht mehr einschlafen konnte? Wer würde ihm dann eine Geschichte erzählen?
    Sein Blick glitt traurig auf die Soldaten. Einer von ihnen sah ihm grimmig entgegen. Eigentlich hatten sie keine Gesichtsausdrücke, aber Marcus war es so, als wurde er finster angestarrt von dem einen. Und dann, plötzlich, grinste der Soldat ihm zu. Zweifelnd sah Marcus wieder auf. Sah kurz zu Calvena, dann zu Valerian, zu Sedulus und die Frau an seiner Seite – und dann verzog sich sein Mund auch zu einem Grinsen. Es war vielsagend – ein Glück konnte Bia es nicht sehen.


    Marcus lächelte Sabina an. Er wusste, dass sie ein wirklich schlaues Mädchen war. Sie konnte sich vieles leichter merken als er sich und das machte sie zu so etwas wie einer Musterschülerin. Das verband sie mit Calvena, befand Marcus. Es war eine gute Eigenschaft, die er mochte. Er freute sich über das Lob für seine Freundin.


    Dann sah er Cimon überrascht an, mit weit nach oben gezogenen Brauen. “Woher weißt du, dass ich ein Praetorianer werden möchte?“ fragte er den großen, dunklen Mann, und verriet ihm damit auch gleich, dass er Recht hatte mit seiner Annahme.
    Der Nubier war äußerst interessant. Nicht nur durch sein andersartiges Äußeres, sondern auch in der Art, wie er redete und dachte. Es war nichts Boshaftes, nichts Abwertendes an den Blicken des Kindes, das den kräftigen Mann genauestens maß. Er war schlicht und ergreifend neugierig und froh darüber, eine faszinierende Bekanntschaft zu machen, während alles um ihn herum ihn gerade etwas langweilte. Und das, obwohl sogar Blut floss… vielleicht war Marcus einfach noch nicht empfänglich für das Besondere an dem heiligen Vorgang. Oder es war die Tatsache, dass alle still waren und gebannt zusahen, die Marcus genau das Gegenteil davon tun lassen wollte.


    Als der Knabe Cimons Aufgabe erfuhr, lächelte er bewundernd und erfreut. “Ich glaube, keine wäre für deine Aufgabe besser geeignet, als du es bist.“ Es klang anerkennend und aufrichtig, war aber durch das Lächeln von jener kindlichen Selbstverständlichkeit gezeichnet, die die Erwachsenen häufig milde beschmunzelten. “Oh, dann kennst du bestimmt Vilja.“

    Marcus hörte Cimon aufmerksam zu und blickte dabei fasziniert auf seine Lippen, die weitaus größer waren als die Lippen der Römer. Dann ließ er den Arm zufrieden wieder sinken und entschied, dass von Cimon keine Gefahr ausging und er ihn ab jetzt mögen würde, immerhin hätte er Bia auch auf den Arm genommen, wenn er nur noch einen dritten Arm gehabt hätte.


    Munter blickte Marcus erneut zu den Opferungen, empfand diese aber allmählich als langweilig. Viel zu ruhig ging es dabei zu, alle waren konzentriert, keiner lachte. Sedulus machte sogar ein sehr ernstes Gesicht.
    Also wandte Marcus seinen Kopf zu Sabina, die frech mit einem Baum in der Luft baumelte. Bei ihrem Anblick fing er an so etwas wie einen Plan auszuhecken. Schritt 1 war Bia wieder abzuhängen. Über die weiteren Schritte musste er sich erst noch ein paar Gedanken machen.


    Dann sah er wieder zu Cimon und schielte nur ganz kurz zu Bia. “Bist du ein Gladiator?“ fragte er dann rundheraus, aber mit gesenkter Stimme.

    Marcus beobachtete die Schlachtung genau, sah dann aber den dunklen Mann an, der Sabina und ihn hochgehoben hatte. Er musterte ihn seitlich. So einen starken, großen Mann hatte er noch nie zuvor gesehen. Er faszinierte und ängstigte ihn zugleich, auch wenn der Mann offenbar darum bemüht war, keinen Grund zur Sorge zu lassen. Marcus legte den Kopf etwas schräg.


    "Cimon? Das ist aber ein seltsamer Name. Wo kommst du denn her? Und warum ist deine Haut so dunkel und deine Augen so schwarz?" fragte der Knabe neugierig, aber nach wie vor mit argwöhnischem Blick. Dann lächelte er ihn vorsichtig an, da er nicht wusste, ob die vielen Fragen den Mann vielleicht wütend machen würden. Er war sich sicher, dass er Cimon nicht in Rage erleben wollte. Um dem sicherheitshalber vorzubeugen, hob er einen Arm und schob den kostbaren Stoff bis zu seiner Schulter zurück. Dann spannte er die Muskeln an und blickte stolz und ernst in das Gesicht Cimons. Die kleinen Muskeln wölbten sich ein wenig. "Ich mache jeden Tag Kraftübungen."


    Die Frau, die hinter Cimon auftauchte, lenkte Marcus Aufmerksamkeit dann schnell von Cimon weg. Bia hatte sie gefunden. Innerlich war der Knabe darüber erschüttert, weil er sich so später erneut davon schleichen musste. Aber äußerlich schien er froh wie ein Kind, das einen vertrauten Menschen wieder sah. "Cimon ist bestimmt stark genug um dich auch noch hochzuheben, Bia!" Laut fing Marcus an zu kichern.

    Marcus fand das alles ganz schön spannend. So viele fremde Gesichter und alle schienen recht freundlich zu sein. Vom Arm seines Bruders aus hatte er einen wunderbaren Blick, dennoch fürchtete er, dass man ihn für ein kleines Kind hielt, wenn er es länger zu ließ. Deshalb zappelte er und schrumpfte bald darauf wieder auf seine tatsächliche Körpergröße. "Natürlich darfst du mitkommen! Aber du willst doch nicht auch in meinem Bett schlafen?" fragte Marcus seinen Bruder, der natürlich nicht noch mitten in der Nacht nach Ostia zurückkehren sollte. Das war natürlich gar keine Frage.
    Die Frau stellte sich vor. Sie wirkte ganz nett. Aber Marcus kam gar nicht dazu, sich noch irgendwie mit ihr auseinander zu setzen.


    Sabina ergriff dann seine Hand und zog ihn durch die Menschen. Marcus kicherte vergnügt, weil er dabei natürlich mehr oder weniger blind und daher ab und an gegen einen Gast lief. Als sie bei einem dunklen Menschen anlangten, hatte er ganz verstrubbelte Haare, war aber quick lebendig. Er sah an dem Mann hinauf. Was für ein Hühne!
    Sabina ließ sich von ihm hochheben. Marcus betrachtete ihn skeptisch, aber da Sabina nix zustieß, nickte er. "Du darfst mich hochheben!" erlaubte er dem Sklaven voller Hochmut, strahlte ihn dann jedoch gleich wieder an.


    Oben angekommen beugte er sich kurz zu Sabina. "Ich passe auf dich auf, du brauchst keine Angst bekommen." Da war der Knabe wohl vorsichtiger als das junge Mädchen. "Was passiert denn jetzt?" fragte er dann neugierig und richtete seinen Blick auf die Brautleute.

    Marcus schlang die Arme um Paullus und strahlte ihn fröhlich an. "Mir geht es ganz gut, und dir? Stell dir vor, wir dürfen bleiben, bis das Fest zuende ist!" Das war doch erwähnenswert! Immerhin ging so ein Fest bis spät in die Nacht. Grinsend aber wortlos bemerkte Marcus, dass die Bedingung 'wenn ihr artig seid" gut auszusparen war und sich die Angelegenheit dadurch nur noch besser anhörte.


    Er nickte dann Vitale zu, verzog den Mund aber ein wenig. "Sich umzusehen ist ganz schön schwer bei so vielen Menschen. Aber ich habe ganz viele haarige Beine sehen können! Haben die sich alle hierher verirrt oder sind das alles Gäste?" Naja, mit nun 7 Jahren durfte man noch naiv sein. Ein bisschen zumindest.


    Dann sah er eine junge, fremde und zugleich hübsche Frau an, die ihn und Paullus verwundert ansah. Er lächelte. "Salve! Ich bin Marcus Germanicus Pius" lautete die logische Antwort. Er konnte ja nicht ahnen, dass die Tiberia sich fragte, in welchem verwandschaftlichen Verhältnis der Knabe zu Paullus stand. "Und wer bist du?" fragte er aufgeschlossen und ohne scheu.


    Dann sah er zu Sabina, verzog verständnislos das Gesicht. "Ach so." Da sie sich gleich wieder weg wandte, ging Marcus erst einmal nicht näher auf das komische Mädchengehabe ein. Sie würden später sicher noch Zeit haben, zu quatschen.

    Auch klein Marcus war herausgeputzt für das Fast, oder besser gesagt die Feste, die heute stattfinden sollten. Es war das erste Mal, dass er auf einem familiären Fest dieser Größe dabei war. So konnte ihn das alles im ersten Augenblick auch ruhig etwas befremden. Marcus stand mitten unter den eintrudelnden Gästen und sah sich um. Irgendwie hatte er den Anschluss zu der Familie verloren, mit der er hergekommen war. Er war umzingelt von wirren Stimmen und leckren Gerüchen. Wie anstrengend und… spannend!


    Mit kugelrunden Augen sah er sich um, dann roch er an einem Blumengesteck. Jaja, ganz unschuldig. Schließlich entdeckte er Aculeo und war heilfroh unter den vielen fremden Gesichtern ein vertrautes gefunden zu haben, und dann auch noch das seines Bruders. Hüpftend brachte er sich zu ihm und den Leuten, die gerade um ihn herum standen. Wie er erkennen konnte, waren auch Sabina und Vitale dabei. Wie toll!


    “Paullus!“ rief Marcus erfreut und war gern geneigt, seinen Bruder vor Wiedersehensfreude umzustürmen, doch dafür war hier eindeutig zu viel los und Bias strenge Worte wirkten auch noch nach… Also lehnte Marcus sich nur an den großen Germanicus und sah Sabina an. “Du siehst ja komisch aus. Hast du Fieber?“ Dann sah er zu Vitale und grüßte ihn höflich. “Salve, Vitale.“ Die anderen grinste Marcus nur neugierig an.

    Bia hielt sich im Hinterund, solange Marcus sich anständig benahm. Sie war neugierig darauf, wie der Knabe mit den ihm fremden Menschen umging und wollte ihm die Möglichkeit lassen, die Dinge auf seine Art zu lösen, solange er sich in einem gewissen Rahmen bewegte.


    Marcus kam sich ungemein groß vor. Endlich konnte er mal jemandem helfen. Er ahmte unbewusst Sedulus nach, stand stolz erhobenen Hauptes und dachte an die Lektion, die Laevina ihm kürzlich erst beigebracht hatte. Als sie das Wort gehören aussprach, betrachtete der Knabe die Frau nun doch einmal von oben bis unten und stellte dabei fest: “Du bist eine Sklavin. Wo ist deine Heimat?“ Er dachte kurz nach, musterte sie, und entschied sich etwas über sich preiszugeben, um ihr zu zeigen, dass sie ihm vertrauen konnte. “Ich bin nicht in Rom geboren. Sondern in Pisae.“


    Schließlich nickte er und an Stelle des beherrschten Gesichtsausdruckes trat ein freudiges zahnlückiges Strahlen. “Natürlich kenne ich die Villa Aurelia! Du musst nicht mehr traurig sein, ich kann dich zurück bringen, denn ich habe schon ein paar mal mit meiner Freundin Sabina ganz nah bei euch gespielt!“ Dann wandte er sich an Bia. “Ich möchte sie nach Hause bringen. Darf ich?“ Die Kinderfrau nickte sanftmütig und ergeben, wusste sie schließlich, dass eine anders geartete Antwort den Knaben in einen mittelschweren Tobsuchtanfall gestürzt hätte. “Wie heißt du?“ fragte er die Sklavin sodann und ging los, wahrlich wie ein großer Römer.

    Marcus betrachtete die junge Frau, die ihm eröffnete, dass sie sich verlaufen hatte. Da wurde der Blick des gut gekleideten Knaben ernst. Es war noch gar nicht so lange her, da man ihm eingebläut hatte, dass Rom zu groß und gefährlich war, um sich ohne kundige Begleitung all zu weit von den bekannten Gefilden zu entfernen. “Das ist nicht gut. Du solltest dich nicht so weit von deinem zu Hause entfernen, es ist gefährlich. Es gibt Menschen, die habgierig sind und die dich an böse Menschen verkaufen könnten.“ Sedulus‘ Worte hatten ganz offensichtlich ihren Weg in das Gedächtnis des Kindes gefunden. Dieses zuckte nun aber doch sehr ungerührt mit den Schultern, straffte seine Haltung und sah die Frau freundlich an. “Wo ist denn dein zu Hause?“

    Sein Hausarrest war endlich vorbei und so kam es vor, dass man Marcus auch mal wieder auf den Straßen Roms erblickte. Nie alleine natürlich, das hatte er sich gemerkt. Heute sah man ihn in Begleitung Bias durch die Straßen spazieren. Der junge Germanicus hatte so lange genörgelt, bis sie seinem Flehen klein bei gegeben hatte.
    Ganz ohne Ziel, aber mit der Auflage, dass er ihr immer zuzuhören hatte, wenn sie ihm etwas über eines der Gebäude zu erzählen wusste, waren sie also zu einem Spaziergang durch die Straßen Roms aufgebrochen.


    Schließlich hatte sich des Kindes‘ Durst nach Menschen, Farben und Geschehnissen gelegt. Sie hatten vieles gesehen und er das Gefühl zurück gewonnen, ein Teil dieser bunten, lauten Welt zu sein und nicht nur ein Zuschauer, der den sicheren Schoß der Casa nicht verlassen durfte. Sein Weltbild war wieder gerade gerückt – niemand hatte ihm etwas Böses getan. Er war einfach nur ein kleiner Junge gewesen, der keine große Aufmerksamkeit bekam. Eben nichts Besonderes. Ein rettendes Gefühl für Marcus.


    Das lange Gehen hatte sich bezahlt gemacht. Marcus war nun ein ruhiger Begleiter; kein unruhiges Nervenbündel, das stets von einem Rand des Weges zum anderen hüpfte, und das stets mit irgendwem zu kollidieren drohte. Nein, nun lief er gesittet und achtsam, wenn auch manchmal etwas gedankenverloren.


    Sie wie jetzt. Plötzlich stand er vor einem Hindernis, zu dem er hinauf sah. Er blickte geradewegs in das verzweifelte Gesicht einer jungen Frau mit blondem Haar. Ihrer Kleidung schenkt er keine Beachtung. Der Dreikäsehoch, aufgeschlossen wie er war, zeigte ein Lächeln. “Salve! Warum stehst du denn hier so rum?“

    In der Tat war die Anleitung nun doch etwas zu ausufernd für den kleinen Jungen. Er konnte nur erahnen, was Laevina ihm beibringen wollte – und selbst das war eine große Anstrengung, die dem Knabe ein großes Maß an Konzentration abverlangte. Beinahe mehr, als er in seinen jungen Jahren leisten konnte. Doch er hatte den Sinn und Zweck der Lektion erkannt und Interesse daran gefunden. Schließlich war er ein kluger Kopf und hatte stets ein gewisses Ziel vor Augen – häufig sogar ganz bewusst. Entweder wollte er bewirken keine Hausaufgaben zu bekommen, oder einem Anstrich zu entgehen, oder eine Schuld abzuwälzen, oder Süßigkeiten zu bekommen… Die Liste ließ sich unendlich fortsetzen.


    Er nickte um zu zeigen, dass er zu hörte. Aber man sah ihm nun schon an, dass er allmählich Schwierigkeiten hatte zu folgen. Laevina hatte sich herabgebeugt, sodass Marcus ihrem faltigen Gesicht so nahe war, wie noch nie zuvor. Es wirkte irgendwie angsteinflößend und dann wiederum befand er, dass an der alten Frau rein gar nichts Furchterregendes war. Sie war einfach nur alt. Und die Falten um ihren Mund sahen aus wie mit Kohle aufgemalte dünne Striche, und dieser Gedanke wiederum hatte sogar etwas Erheiterndes. “Was ist denn eine Methode?“ fragte er. Das Wort war in seinem Gedächtnis hängen geblieben, warum auch immer. Er kannte es nicht, aber er fand es nur schon vom Klang her interessant. Den Rest ihrer Worte ließ er erst einmal auf sich wirken.

    Jaja, so stolz konnte man über fehlende Zähne sein. Marcus jedenfalls fand es klasse mit den Zahnlücken. In den letzten Tagen hatte man ihn unentwegt durch sie hindurch pfeifen hören. Auch jetzt fing er damit an, aber dann grinste er über Sabinas Wackelzahn und flüsterte ihr ins Ohr: “Du musst um einen Stein einen Faden binden und das andere Ende um den Zahn. Und dann wirfst du den Stein so weit es geht weg und schwupp, ist der Zahn draußen!“


    Gleich darauf war das Gespenst zurück und Marcus balgte sich mit ihm kurz auf dem Bett. Dann wurden die Kinder von Bia angetrieben sich fertig zu machen. Marcus schnappte sich kurzerhand das Laken, warf es sich über und gluckste voller Freude. “Guck mal, Sabina! Jetzt sind wir zwei Gespenster. Buuuuuuh!“ Dann rannte er hinaus, griff im Vorbeilaufen eine bereitgelegte Tunika und eine kleine Toga und stürmte ins Balneum, wo er zum Verdrieß der übrigen Anwohner des Hauses eine morgendliche Sintflut zu inszenieren pflegte, während der er sich wusch. Warum mit einer kleinen Schüssel Wasser Vorlieb nehmen, wenn es jede Menge Sklaven gab, die einem eimerweise warmes Wasser herbeibrachten, mit dem man so schön herum planschen konnte?


    Kaum später war der Knabe auch schon wieder pfeifenderweise zurück. Das Laken hatte er natürlich im Balneum liegen lassen. Seine Haare waren Nass und standen in alle Richtungen ab, aber immerhin seine Kleider saßen richtig herum. Nun zog er noch seine Schuhe an. Immer noch pfiff er.

    Aber einem anderen wehzutun konnte doch auch lustig sein. Naja, zumindest, wenn man es nicht übertrieb. Marcus grinste, denn auch die Idee mit den essbaren Nüssen war ganz gut. Nicht so gut wie seine, wie er fand, aber auch nicht ganz schlecht. Er erwiderte nichts, bevor auch Calvena sich zu Valerians Vorschlag geäußert hatte. Sein Gesicht verzerrte sich bei ihrem Einwand. “Iiiih, pfui! Doch keine Küsse!“


    Dann sah er wieder Valerian an. Sein Blick wirkte zweifelnd “Müssen wir denn unbedingt das mit den Lieblingsdingen spielen?“

    Wie witzig! dachte Marcus bei sich, als er die skeptischen Blicke sah und bald darauf direkt in Valerians Gesicht sehen konnte. Der große Mann war in die Hocke gegangen und wirkte gespannt und misstrauisch zugleich. Der Kindermund zitterte kurz, dann wurde er wieder ernst.


    Ein kurzer Moment nur verging. Sehr kurz war er, wenn man bedachte, welchen Kampf der kleine Junge innerlich mit sich auszufechten hatte. Er mochte Valerian, da er ihn auf den Exerzierplatz mitgenommen hatte, freundlich war, sich darauf eingelassen hätte für ihn zu lügen. Weil er ihm gesagt hatte, wie er üben konnte und ihm versprochen hatte, ein Holzschwert zu fertigen. Und er war lustig gewesen und hatte sich Zeit für ihn genommen. Nicht wie ein kleines Kind, sondern wie ein Erwachsener hatte Marcus sich während dem Gespräch gefühlt.
    Allerdings wollte Valerian Calvena rauben. Seine Calvena. Naja, wahrscheinlich wirklich nicht seine, aber er mochte sie wirklich gerne und wollte sie lieber selbst zur Freundin haben. Er konnte sich gar nicht vorstellen, wie die Casa ohne sie sein würde. Letzenendes wollte Calvena das sogar auch und es war auch schon beschlossen worden, noch bevor Marcus nach Rom gekommen war.


    Ein Schlamassel. Ein Durcheinander der Gefühle. Und der Verantwortliche für all das stand direkt vor ihm, Aug in Aug. Konnte er ihn nun leiden oder nicht?


    Wieder zuckte der Kindermund. Er öffnete sich etwas, aber heraus kam noch nichts. Wahrscheinlich dachten Calvena und Valerian schon daran, den Arzt zu rufen.


    Vielleicht konnte er die Entscheidung pro oder contra Valerian ja noch vertagen. Es drängte ja jetzt niemand dazu, sich tatsächlich zu entscheiden. Das war ein gutes Argument. Ja, so konnte er das machen.


    Schließlich wanderte ein Mundwinkel nach oben und der Kindermund verzog sich zu einem Grinsen, das zwei wunderschöne Zahnlücken entblößte. Es wirkte absolut gar nicht boshaft. Dann kam eine Kinderhand nach oben und klopfte Valerian einmal auf den Kopf - nicht sonderlich fest, aber auch nicht gerade leicht. "Meinst du so eine Nuss?" Das Grinsen wurde noch breiter.

    Er lächelte und hopste davon, offensichtlich in Höchstlaune.


    Mit Bezugspersonen war das bei Marcus so eine Sache… Gerade mit den weiblichen. Er hatte ein großes Defizit, was das anbelangte. Seine Mutter starb früh und aufgrund des Lebensstiles, dem er wegen den beruflichen Pflichten seines Bruders unterworfen war, hatte er selten näheren Kontakt zu Frauen gehabt. In Rom jetzt hatte er gar einige. Da waren Bia und Calvena. Erstere übernahm mehr so die Funktion der strengen Mutter. Calvena war anders. Streng konnte sie auch sein, aber sie zeigte viel mehr Wärme.

    Irgendwie war das alles zu viel. Zu laut, zu wackelig… zu laut. Marcus sah Sabina an und hatte so seine Mühe, ihre Begeisterung nachzuempfinden. Erneut gähnte er, dann wurde ihm die Decke weggerissen und Sabina verschwand, nur um gleich darauf wie ein kleines Gespenst wieder ins Zimmer zu kommen.


    Es zeigte sich ein müdes Lächeln auf dem Knabengesicht, das aber verschwand, als jemand Sabina in sein Cubiculum folgte. Sein Bruder schlenderte herein, grüßte Bia und Sabina und dann startete Paullus den Versuch, den reichlich knittrig dreinschauend Morgenmuffel aus den Federn zu bewgen.


    Dieser wusste immer noch nicht recht, was er von diesem Morgen halten sollte. Sabina drehte durch, das war nichts Neues, aber heute fiel es dem Knaben besonders auf. Bia war so früh schon am Morgen leicht genervt, aber sie hatte sogar daran gedacht Marcus‘ Soldaten einzupacken. Und Paullus…. Paullus war da, so früh am Morgen, nachdem er ihn so lange nicht mehr gesehen hatte. Zwei ganze Wochen!


    Eigentlich konnte das ja nur ein grandioser Tag werden. Mit einem Mal wurden Marcus‘ Lebensgeister endlich wach und er grinste Sabina an, wobei er zwei vorwitzige Zahnlücken entblößte. “Verkleide dich noch einmal als Gespenst!“ forderte er sie auf und stand kichernd auf, um sich vor seinen Bruder zu stellen. “Schau mal!“ sagte er und zeigte seine Zahnlücken voller Stolz gleich noch einmal.

    Mit gerunzelter Stirn sah Marcus von Valerian zu Calvena und wieder zurück. So, wie sie ihn ansahen, hatten sie gerade ganz und gar nicht damit gerechnet gestört zu werden. Und sie redeten über Geheimnisse. So, wie sie sich angesehen hatten, ging es bestimmt um etwas Ekliges. Sowas wie Küssen, ein Junge ein Mädchen. Pfui.


    Marcus Blick blieb an Valeria hängen, die das Retten der Situation Valerian überließ, was dieser auch sogleich versuchte. Er schlug vor ein Spiel zu spielen. Marcus sah ihn mit großen, prüfenden Augen an. Ein paar Sekunden verstrichen, in denen er rein gar nichts sagte. Wahrscheinlich ratterte es in seinem kleinen Köpfchen – oder er wollte die beiden, die etwas ertappt wirken, tatsächlich etwas schmoren lassen und seinen kleinen Sieg, sie gestört zu haben, auskosten.


    Dann kniff er kurz ein Auge zu und hob eine Hand ungefähr auf Kopfhöhe. Kinderkopfhöhe. Die Hand formte eine lockere Faust, dann schnellte der kleine Zeigefinger hervor und lockte Valerian herunter.

    Die Idee konnte Marcus ja nur toll finden. “Au ja! Du gehst Baden und ich geh in die Küche und warte dann im Triclinium auf dich.“ Er strahlte, dann wurde sein Gesicht gar noch heller. “Vorher, also bevor ich ins Triclinium gehe, ziehe ich mich um, wasche mich und vielleicht ist ja Sabina schon wach. Aber ich glaube nicht.“ Er grinste. Dann stand er da, mitten im Zimmer, und dachte kurz nach. Vena hatte sich ein Kleid herausgenommen. Marcus lächelte sie kurz wie ein Unschuldslämmchen an (sodass man nur Panik bekommen konnte, was er jetzt schon wieder ausheckte). Dann ging er auf Vena zu, langsam, etwas unschlüssig, aber dann doch sehr entschlossen. Er schlang die Arme um ihre Mitte und sah nach einem Moment in ihr Gesicht. “Du bist ein netter Mensch, ich hab dich lieb.“