Beiträge von Sextus Aurelius Lupus

    “Sextus“, verbesserte der Sklave höflich. “Sextus Aurelius Lupus. Und wenn du gestattest, können meine Männer den deinen auch behilflich sein“, bot er überdies an. Die Statue war wirklich nicht das leichteste Stück italischer Bildhauerkunst. In jedem Fall wurde die Kiste schonmal an die angewiesene Stelle geschleppt.


    Der Sklave wusste jetzt nicht so recht, ob der andere Auftrag Erfolg haben würde, schien der Ianitor doch nicht unbedingt bester Laune zu sein. Andererseits war sein Herr ganz sicher nicht bester Laune, wenn er seinen Auftrag nicht ausführte. Und zwar erfolgreich.
    “Darüber hinaus wäre es meinem Herrn eine große Freude, den ehrenwerten Potitus Vescularius Salinator zu einer Cena einzuladen in der nächsten Woche.“ Ein kurzer Augenblick Ruhe, um die Reaktion des Ianitors abzuschätzen, ehe er noch anfügte “Selbstverständlich ist auch eine Dame herzlich eingeladen, sofern dein Herr gerade eine mit seiner Gunst bedacht hat.“ Dass die Einladung auch auf eine Geliebte ausgeweitet wurde war in patrizischen Kreisen nicht unbedingt üblich, unterstrich aber hoffentlich den freundlichen Charakter eben jener und machte den Vescularier daher gewogen.

    Irgendwie fühlte Sextus sich leicht veralbert, und er hasste es, wenn ihn dieses Gefühl beschlich. Der Magistrat hier vor ihm sagte im Grunde gar nichts, was im Umkehrschluss nur heißen konnte, dass er nichts genaues sagen wollte. Was in weiterer Instanz bedeutete, dass er Sextus für entweder nicht vertrauenswürdig genug oder für nicht fähig genug hielt, eine Antwort zu finden. Was in jedem Fall einer Beleidigung gleichkam. Und das von einem jungen Milchbubi, dem noch nicht einmal Bart wuchs.
    Sextus Geduld nahm im Minutentakt ab.


    “Iulius, ich bin auf dem Weg, der nächste aurelische Senator zu werden, nicht der nächste aurelische Vilicus“, klärte Sextus ihn mit leichter Zunge und einem ebenso leichten Lächeln auf. “Und als solcher weiß ich natürlich nicht von sämtliche aurelischen Besitzungen und deren exakten Eigentümern, weshalb du verstehen wirst, dass ich erst Rücksprache halten werde.“ Sextus war Patrizier und nicht die Auskunft. Was für Vorstellungen Plebejer manchmal hatten wäre witzig gewesen, wenn es nicht auf diese Weise vorgetragen worden wäre.
    “Von der Nordwind kann ich es dir aufgrund eines Zufalls mit Sicherheit sagen. Doch ist die EigentümerIN derzeit in Trauer um ihren jüngst verstorbenen Ehemann, so dass du erst per tutela mit mir wirst vorlieb nehmen müssen, damit ich entscheiden kann, ob es wirklich notwendig sein wird, sie in ihrer Trauer zu stören.*“ Zwar hatte Sextus im Grunde genommen nicht die Vormundschaft über Prisca, da diese Ursus angetragen worden war. Allerdings saß der einen Viertagesritt entfernt in Mantua und nicht in Rom. Der gradnächste männliche Verwandte von Prisca wäre eigentlich Avianus gewesen. Jedoch hatte Sextus nicht vor, dass dem Iulier auf die Nase zu binden, und der konnte das auch gar nicht wissen. Da allerdings Prisca in jedem Fall eine Frau war und daher der Fürsprache durch einen Tutor bedurfte, der zumindest einwilligte, hoffte Sextus, dass der Iulier nun klug genug war, seine Geduld nicht weiter auf die Probe zu stellen. Wobei ein wenig verbale Nachhilfe in dieser Richtung sicher nicht schaden konnte. “Von daher wäre ich dir dankbar, wenn du dein Anliegen etwas weniger kryptisch verbalisieren würdest.“



    Sim-Off:

    *Da der Handlungsstrang noch nicht beendet ist, weiß ich auch gar nicht, wo Aurelia Prisca wohnen wird, so dass ich dich da auch gar nicht hinschicken könnte ;)

    Nicht einmal ein Muskel zuckte in Sextus Gesicht, als er die Kondolenz entgegennahm. Corvinus war nun wie lange tot? Damals war er noch auf dem Weg zum Vigintivir gewesen, das war noch vor seiner Hochzeit mit Nigrina gewesen. Und jetzt hatten die beiden einen Sohn, der nach Auskunft der Amme anfing, zu laufen. Kurzum, Corvinus war eine Ewigkeit tot. Und einen Aurelius Commodus kannte Sextus nicht einmal.
    “Nun, die Hafenverwaltung kann sich jederzeit an dieses Haus mit ihren Anliegen wenden. Sollten Entscheidungen vonnöten sein, wird denke ich das Familiensiegel durchaus ausreichend sein, um diese zu beglaubigen.“
    Wofür sollte die Hafenverwaltung bitte den Namen des Eigners wissen wollen, wenn sie schon den Gensnamen kannten? Für aktuelle Anliegen war ohnehin der Kapitän der Schiffe zu befragen und nicht der Eigner. Und für die paar wenigen Fälle, wo wohl doch der Eigner angesprochen werden musste – und Sextus konnte sich dazu keinen Fall vorstellen, wo das vonnöten sein sollte und nicht mit dem jeweiligen Kapitän geklärt werden konnte, oder zumindest der Kapitän seinerseits mit seinem Auftraggeber Kontakt aufnahm – würde wohl auch ein allgemein gehaltener Brief an die Gens ausreichen, so dass diese gegebenenfalls aus ihren Reihen dann den exakten Eigner ansprach.
    Kurzum: Sextus schluckte das Märchen von der Notwendigkeit eines Ansprechpartners für die Hafenverwaltung nicht. Das ging nun seit Jahren, ohne dass Ostia sich gemeldet hatte. Folglich musste es etwas neues geben, das die Lage geändert hatte. Wobei Sextus doch ein wenig wunderte, dass die Akten in Ostia scheinbar derart veraltet waren, dass dort noch seit Jahren verstorbene Männer als Eigner standen.


    Da der Mann aber schon einmal hier war und Sextus nicht vorhatte, ihn jetzt mit diesen mickrigen Ausreden einfach wieder gehen zu lassen, fragte er im charmantesten Plauderton einfach weiter. “Gibt es denn momentan Anliegen, die nicht mit den Kapitänen besagter Schiffe geklärt werden konnten?“

    Sextus selbst nahm sich ebenfalls einen Becher verdünnten Weines von einem pflichtbewussten Sklaven, der sofort auch zu ihm geeilt war. Der Iulius erwiderte die Höflichkeitsfloskeln, während seine beiden Begleiter stumm wie die Fische blieben. Sextus nahm an, dass es irgendwelche Sklaven oder ähnliches waren und damit eine Wortmeldung von jenen in etwa so interessant und relevant wie Hundegekläffe wäre. Sehr schön, konnte er sich auf einen Gesprächspartner konzentrieren.


    “Nein, Iulius, keine Sorge. Für einen gewählten Magistraten der wichtigsten Hafenstadt der näheren Umgebung habe ich sicher Zeit. Setz dich doch“, bot er höflich einen Platz an einer bereitstehenden Sitzgruppe an.
    Er wartete, bis Dives Platz genommen hatte, und setzte sich zu ihm, nippte noch einmal an seinem Wein. “Doch sag, Iulius, was führt dich in die Villa Aurelia?“ Natürlich hatte man Sextus schon gesagt, was der Mann an der Porta gesagt hatte. Aber es war einfach höflicher, nachzufragen, und damit dem Mann die Gelegenheit zu geben, seinen vorbereiteten Text abzuspulen, anstatt ihn mit dem eigenen Kenntnisstand aus dem Konzept zu bringen. Und da Sextus es hier mit einem in seinen Augen beinahe-Peregrinus zu tun hatte (immerhin gehörte er nicht zum patrizischen Zweig seines Hauses, was schon seine Schuhe verrieten, und damit wohl zu den unzähligen Familien, die vor gerade mal zwei Jahrhunderten eingebürgert worden waren), beschloss er, ein besonderes Maß an höflichem Umgang an den Tag zu legen, um sein Gegenüber nicht zu überfordern. Je schneller das hier vonstatten ging, umso schneller wurde er den Mann immerhin wieder los. Und wer konnte schon wissen, ob der hier ihm nicht doch noch mal rudimentär nützlich werden würde?

    Es dauerte nicht lange, ehe Sextus ebenfalls im Tablinum erschien. Da er kein Quästor mehr war, sondern 'lediglich' Haruspex, hatte die Zeit, die er zuhause verbrachte, doch erheblich zugenommen. Ein Umstand, den er schleunigst zu ändern gedachte. Wer herumsaß, verschwendete Zeit.


    “Iulius“, grüßte Sextus freundlich den Mann schon beim eintreten. Nicht, dass er ihn kannte. Überhaupt kannte Sextus seines Wissens nach keinen einzigen Iulier. Sein Sklave war nur gut genug erzogen gewesen, ihm den Namen des Ankömmlings gleich mitzuteilen.
    “Willkommen in der Villa Aurelia. Wurdest du gut versorgt?“ erkundigte er sich noch als guter Gastgeber und übte sich ein wenig im Smalltalk.

    Das Blut tropfte langsam und zäh über seine Hände zu seinen Armen herunter, während Sextus die Leber betrachtete. Das warme Organ bildete einen starken Kontrast zu der so kalten und klaren Herbstluft, die sich geradzu schneidend über der Szenerie ausgebreitet hatte. Mantua hielt den Atem an, so fühlte es sich an. Und Sextus genoss das Gefühl der Macht in seinen Händen. Auch wenn sich diese in Form einer blutigen Schafsleber präsentierte, die zu deuten er nun versuchen musste.
    Und tatsächlich fand er Zeichen. Eine Kontur, ein Schimmer, auf der positiven Seite, der sich über mehrere der Häuser der Leber zog. Zunächst hatte Sextus es wegen des Blutes nicht bemerkt, aber je mehr abtropfte und so das dunkle, glänzende Organ freilag, umso deutlicher wurden die Kulturen, fast wie eine schwarze Umrandung um den Gold schimmernden Grund. Als sich das Bild schließlich mehr und mehr vervollständigte und Sextus meinte, einenPollice zu sehen. Einen in positiver Richtung gedrehten.
    Kurz richtete sich Sextus Blick von der Leber auf zu den sechzehn Himmelssphären über ihm. Hätte er eine weniger gute Selbstbeherrschung, hätte er wohl gegrinst. Die Götter hatten wirklich Sinn für Humor.


    Mit einer erhabenen Bewegung legte er das Organ auf eine Patera, die ihm von einem der Helfer gereicht wurde, und ließ das Organ weiter zu den Magistraten tragen, damit diese sich von dem gesehenen Zeichen überzeugen konnten. Im Grunde waren ja die Magistrate einer Stadt ohnehin dazu befugt, zumindest Auspizien durchzuführen und zu verkünden – wenngleich die Auguren und auch die Harusices das recht hatten, ihre gedeuteten Zeichen zu korrigieren. Und so setzte Sextus zumindest rudimentäres Wissen bei jenen voraus, und selbst wenn nicht, sollten sie einfach alles abnicken, was er sagte. Er hatte das letzte Wort.
    Langsam schritt er nach vorn, die Hände noch blutig und leicht seitlich erhoben. Sicherlich ein schauerliches Bild, das er abgab, aber es war genau das richtige. Es garantierte Aufmerksamkeit.
    “Die Götter haben ein Zeichen gesandt!“ Bis zum Abend hin würde er wohl heiser sein. Aber Sextus wollte gehört werden. “Viel haben sie von Mantua verlangt für die Verfehlungen, die begangen worden sind. Viel haben sie vernichtet, viel eingefordert, viel genommen. Aber ihr Zorn ist besänftigt worden, ihr Hunger gestillt.
    Das Alte ist vergangen, beendet durch divinitus, ein göttliches Zeichen in Form einer schrecklichen Seuche. Doch jetzt ist es vorbei. Mantua hat sich geändert, wurde geläutert. Ein neues saeculum für diese Stadt soll beginnen ab heute. Die Götter verheißen diesem neuen Zeitalter Glück und Zufriedenheit. Noch binnen eines Jahres wird wieder Leben in Mantua einkehren. Mantua wird zu altem Wohlstand und Reichtum wieder erblühen, und wenn es die Götter ehrt, zu nie geahntem Wachstum finden.
    Daher soll diese Feier zu Ehren der Götter begangen werden und das Neue feiern, dass sie uns schenken. Denn sie sind zufrieden und senden gute Vorzeichen.“

    Ja, er würde eindeutig heiser sein. Dennoch wollte er sich an der Reaktion des Volkes nun erst einmal berauschen, denn jetzt durften sie die Stille wieder durchbrechen.

    Ah, da ging die Tür auf. Der Sklave deutete eine leichte Verbeugung an – immerhin war ihm mehr als eindrücklich befohlen worden, ja höflich zu sein (im genauen Wortlaut fielen Begriffe wie „kastrieren“ und „Haut abziehen“). Also war er lieber auch sehr höflich.
    “Salve. Mein Herr, der ehemalige Quaestor urbanus Sextus Aurelius Lupus, möchte gern deinem Herrn, dem ehrenwerten Praefectus Urbi Vescularius, ein Geschenk machen. Es wäre ihm eine große Freude, wenn er es annehmen würde.“ Nicht gleich alles auf einmal runterrattern war der nächste ähnlich vorgetragene Befehl seiner Herrschaften gewesen.


    Die Sklaven hinter ihm öffneten leicht die Kiste, damit der Ianitor einen Blick auf das Geschenk werfen konnte. Darin befand sich – eine allen Göttern sei es gedankt unversehrte – Marmorstatue einer jungen Venus beim Abtrocknen nach dem Baden. Nicht anzüglich, aber doch aufreizend. So zumindest hoffte sein Herr, dass es beim Beschenkten ankam.

    Ausgerechnet ein Sklave antwortete auf seine Frage nach Prisca. Sextus hielt siene Augen weiterhin auf den Hausherrn und den Peregrinus gerichtet, während er dem Mann lauschte. Erneut war sie zusammengebrochen. Schlechtes Zeichen. Wenn Prisca eine allzu fragile Psyche hatte, wäre ihr Wiederverheiratungswert wohl gleich null. Zumal wiederholte Zusammenbrüche auch kein langes Leben prognostizierten. Dazu noch der Umstand, dass sie wohl eine Fehlgeburt gehabt hatte – hierbei vertraute er auf Nigrinas Informationen – was seine Cousine noch weiter von Ideal einer römischen Ehefrau entrückte: Genügsam, robust und vor allen Dingen: Fruchtbar.
    Ganz leicht runzelte sich besorgt seine Stirn. “Ich werde gleich zu ihr gehen und mir ihren Zustand ansehen“, meinte er leise, aber dennoch eindeutig nicht in Form einer Frage. Es war ein Beschluss, nicht mehr und nicht weniger.


    Er lauschte den Worten des Mannes. Peregrinus. Sextus hatte es sich denken können bei seinem Aussehen. Sohn von irgendwem im nirgendwo weit ab von Rom – denn da musste man sich nichts vormachen: Jenseits des Limes nannte sich jeder Schweinestallbesitzer gleich König und Fürst. Das hatte nichts gemein mit einer Herrscherdynastie, wie sie auch die Flavier gehabt hatten. Oder auch nur irgend eine Familie der Nobilitas oder der Patrizier. Kurz fragte er sich, ob er sich verhört hatte, als der Mann sich als zum Volk der Frisii zugehörig erklärte. Diese waren mehr oder weniger bekanntermaßen Feinde Roms – da glaubte Sextus doch seinem zweckverbündeten Duccier.
    Den Bericht fand er dann auch ein klein wenig geschönt. Ein Dachbalken hatte Piso erschlagen? Nun, egal was Eginhard da sagen mochte, das war schmerzhaft, waren die üblichen Dachbalken doch mit einer Stärke von wenigstens einem halben pes, viele sogar einen ganzen pes, gesegnet. Da sich der gemeine Dachbalken über die komplette Länge des Daches zog und so mehrere passus lang war, hatten die Dinger in etwa das Gewicht eines Pferdes. Das ganze multipliziert mit Winkel und Fallgeschwindigkeit... das war in jedem Fall schmerzhaft. Und die Tatsache, dass sie Piso an einem Stück hier hereingebracht hatten und nicht als matschigen Brei ließ darauf schließen, dass besagter Balken ihn wohl nur gestreift und niedergerissen, aber keinesfalls voll getroffen oder wie auch immer aufgespießt (zweigeteilt wäre in dem Fall wohl passender) hatte. Überhaupt wunderte sich Sextus kurz darüber, dass in der Subura eine Insula mit solchem Dach gebaut worden war und nicht einfach ein Regenablauf an die Attika gesetzt worden war, ohne Dach. Aber das waren wohl die Geheimnisse der Unterstadt.


    Allerdings kam er nicht weiter dazu, irgend etwas dazu zu sagen und zu denken. Seine Frau bewies einmal wieder ihr wankendes Gemüt. Im einen Moment noch war sie von Trauer überwältigt und abwesend, im nächsten Angriffslustig wie ein ausgehungerter Löwe. Und Eginhard war der Gefangene, der sich in der Arena nun den Krallen präsentierte.
    Sextus war bei weitem nicht verrückt genug, sich zwischen Nigrina und ihren Wutanfall zu stellen. Nein, sollte sie ihre Wut an dem Peregrinus abreagieren. Dann traf sie schon nicht ihn wegen einer Nichtigkeit, weshalb er sie an ihren Platz würde verweisen müssen, was Wochen des Schmollens ihrerseits nach sich ziehen würde. Sextus spielte lieber den galanten und ausnahmsweise einmal verständnisvollen Ehemann – wo er wohl auch den galanten und verständnisvollen Vetter ohnehin würde Mimen müssen. Also ließ er Nigrina hierbei einfach gewähren, in blindem Vertrauen darauf, dass der Peregrinus seinen Platz in der Gesellschaft schon kannte.


    Doch was dann geschah, widersprach seiner Erwartung. Und mehr noch, es widersprach ihm und seiner Überzeugung. Es gab sehr, sehr, SEHR wenige Dinge, die Sextus dazu veranlassten, die Beherrschung zu verlieren. Im Grunde konnte man solche Gelegenheiten an einer Hand abzählen. Aber diese hier, die gehörte dazu. NIEMAND, erst recht nicht jemand, der nicht einmal Bürger war, vergriff sich an seiner Frau, weder handgreiflich noch im Ton.
    “Peregrinus!“ Sextus spie das Wort aus wie die Beleidigung, die es in seinen Augen darstellte. “Es ist mir gleichgültig, ob dein Vater der Besitzer des größten Misthaufens jenseits des Limes ist. Du bist hier in Rom, nicht im Barbaricum! Hier bist du ein rechtloses Nichts, das nur aufgrund der Großzügigkeit unseres Imperators auch nur einen Fuß auf kultivierten Boden setzen darf! Du hast keine freie stimme, du hast kein Anrecht auf Ämter, du bist wertloser als der Dreck, der sich in der Subura sammelt, aber dennoch Bürger Roms ist. Als Friese bist du bestenfalls noch Löwenfutter, nachdem sich eine römische Standarte tief in diesen abartigen Sumpf, den ihr Heimat nennt, gebohrt hat! Und es ist mir scheißegal, ob dein Lehrer dich ein paar hübsche Worte gelehrt hat oder nicht.
    Das da ist Flavia Nigrina, aus derselben Ahnenreihe wie Titus Flavius Vespasianus, Titus Flavius Vespasianus und Titus Flavius Domitianus. Kaiser Roms! Das ist meine Frau und die Schwester des verstorbenen Senator Roms, und du wirst ihr den ihr schuldigen Respekt erweisen, oder ich schwöre beim Stein des Iuppiter, ich werde mit deinem Blut mein Schlafzimmer streichen und mir aus deiner Haut einen Mantel machen, haben wir uns verstanden?“
    Und er klang bei keiner einzelnen Silbe auch nur annähernd so, als würde er sie nicht vollkommen ernst meinen.
    Sextus war nicht nur wütend, er hatte Mord im Blick. Er bemerkte noch nicht einmal, dass er Flavius Gracchus mit seinen Worten ins Wort gefallen war, was wohl ebenfalls eine grobe Unhöflichkeit gegen den Hausherrn war, dem es eigentlich oblag, im Sinne der Flavier zu sprechen. Doch Sextus hasste diesen peregrinen Emporkömmling im Moment zu sehr, um sich davon aufhalten zu lassen.

    Derartig angekündigt war Sextus seines Wissens nach noch nie. Er kam sich fast ein wenig vor wie eine besonders seltene Attraktion, wie irgendwelche wilden Tiere aus Persien, wenn sie im Circus vorgestellt wurden – ehe sie äußerst eindrucksvoll zu Tode gebracht wurden. Er hoffte zumindest, dass letzteres Schicksal ihm erspart bliebe.


    Und so schritt er so würdevoll wie langsam nach vorne und gab dem Artorier noch mit einem rechtzeitigen Blick zu verstehen, dass ein Handschlag bei einer religiösen Zeremonie unangebracht war und die falschen Signale senden würde. Er war hier in einer ernsten Angelegenheit und nicht als komödiantischer Unterhalter der Massen. Oder gut, im Grunde war er ein Unterhalter, allerdings auf wissenschaftlicher und religiöser Basis. Ein Handschlag war in jedem Fall unangebracht, aber für so etwas gab es die nonverbale Kommunikation mit einem leichten Kopfschütteln und einem strengen Blick, der weitergehende Peinlichkeiten verhindern sollte, so der Artorier die Hand rechtzeitig zurückzog und Sextus nicht in Verlegenheit brachte, die Geste ausschlagen zu müssen.


    Er wartete einen Augenblick einfach nur stumm mit leicht erhobenen Armen, die Menge beobachtend und einfach abwartend, bis sie von ihm gebührend Notiz genommen hatten. Mit seinem langen Ledermantel und dem spitz zulaufenden Hut war er nicht wirklich schwer zu erkennen. Noch dazu in etruskischen Gefilden, die den Haruspices ohnehin noch weit mehr Ehrerbietung entgegenbrachten.
    Erst dann, als ohnehin ein wenig Ruhe in die Menge einkehrte, erhob er seine Stimme, damit er auch in den hinteren Bereichen noch zu hören war. “Favete linguis!“ befahl er lauthals. Eine Aufforderung, die Klappe zu halten, ging schließlich jeder religiösen Handlung voraus, auch den Haruspizien.


    Zwei Opferhelfer brachten das Schaf herbei, aus dessen Leber Sextus den göttlichen Willen an diesem Tag zu lesen gedachte. In den letzten Tagen hatte es ja bedauerlicher weise keinen Blitzeinschlag gegeben, den zu deuten er eindrucksvoller in Szene hätte setzen können. Das Schaf würde genügen.
    “Wir rufen die Götter an, uns ihren Willen mitzuteilen! Ihr Göttlichen, denen höchste Verehrung zusteht, ihr Mächtigen und Ewigen! Leiht uns Sterblichen eure Gunst, Einblick auf eure Pläne für eure Stadt Mantua zu erhalten! Lasst uns wissen, ob ihr der Stadt Mantua wieder eure Gunst schenken wollt! Lasst uns wissen, ob Mantua genug gebüßt hat für seine Verfehlungen! Lasst uns wissen, welche Gaben ihr noch von Mantua verlangt!“


    Ein Augenblick des Schweigens, der völligen Stille, ehe das Schaf nun herbeigeschafft wurde. Mit einem schnellen Schnitt war das Leben des Tieres beendet. Es war kein Opfer im römischen Sinn, nicht einem einzelnen Gott oder einer Wesenheit gewidmet, sondern ließ vielmehr sein Leben für alle Götter des etruskischen Pantheons, wurde lediglich zum Werkzeug, durch das die Götter ihren Willen kundtun konnten. Es waren hierbei keine weiteren Opferformeln oder Weiherituale vonnöten, die nicht schon an dem Tier durchgeführt worden waren.
    Mit geschickten Bewegungen schnitt Sextus die Leber aus dem Leib und richtete sich wieder gut sichtbar für die Massen auf, das blutige Organ in Händen. Mit oft eingeübten Bewegungen hielt er es in der exakt vorbestimmten Position, ehe er begann, die Götter jeden einzelnen beim Namen zu nennen – bei ihren etruskischen. Jede der sechzehn Gottheiten hatte ihren Platz auf der Leber, wo sie ihren Willen kundtun konnte, durch gute oder schlechte Zeichen, oder eben durch das fehlen eben jener auf der schlechten, der westlichen Seite, das Ausbleiben ihrer Gunst – oder das Abwenden ihrer Missgunst.
    Er begann bei Tin Cilensl, der wohl am ehesten Iuppiter Summanus entsprach, ging weiter über Tin Thufl, bei den Römern wohl Iuppiter Fidius, hinüber zu Nethuns (Neptun), weiter zu Uni (Iuno) und Mae (Maia). Es folgten Tecum, ein Herrschergott, und Lusa, eine Waldgöttin. Catha, Fufluns, Selvans, Letham, schließlich auch Alpan, wie Venus libitina eine Göttin der Toten, und Venus libentina eine Liebesgöttin, beides zugleich. Wobei sie auch als Lasa noch einmal benannt wurde. Die etruskischen Gottheiten waren eben nicht alle exakt übertragbar, wenn sie sich auch in vielem ähnelten. Auch Velchans (Vulcanus) und Laran (Mars) hatten ihren Platz auf der Leber, ebenso wie Cel (Ceres), Vetis (Veiovis) und Tvath, die wie Cel eine Göttin des Wachstums und der Fruchtbarkeit war. Kurzum alle Aspekte des Lebens und Sterbens, des Schwörens, Herrschens und Beherrscht Werdens, des Wachsens und Vergehens wurden einzeln angerufen und mit Formeln im besten Etruskisch beschworen, auf der Suche nach Zeichen eben jener göttlichen Wesen.

    Gerade wollten sie eine Kleinigkeit zu Mittag zu sich nehmen, als ein Sklave einen Boten aus der Villa Flavia angekündigt hatte. Sextus hatte sich schon gefragt, was es geben konnte, dass es für nötig befunden worden war, ihn und seine Frau (vermutlich vornehmlich seine Frau und lediglich in zweiter Instanz ihn) jetzt zu stören und nicht zu warten, bis sie wenigstens mit dem Essen fertig waren. Als der Bote dann damit rausrückte, hätte der Aurelier unter weniger selbstbeherrschten Umständen auch mit den Augen gerollt. Irgendwie überraschte es ihn weniger, dass sein Lieblingsschwager für diese Störung verantwortlich war, wenngleich die Nachricht ernst klang.


    Nigrina wollte sofort zur flavischen Villa, und so begleitete er sie natürlich. So abwesend, wie ihre Gestik und Mimik sich präsentierte, versuchte er gar nicht erst, sie aus ihren Gedanken zu reißen. Sie würde es ihm kaum loben, im Gegenteil wohl eher einen ihrer üblichen Wutanfälle bekommen. Also schwieg er, ließ sich in der Sänfte hinüber zur Villa Flavia schaukeln und betrat hinter seiner Frau das Atrium.
    Die Bahre mit dem darauf liegenden Flavier war nicht wirklich zu übersehen. Allerdings war sein Zustand dann doch etwas außergewöhnlicher. Seine Weise Toga war nicht nur dreckstarrend und blutbesudelt, sondern hatte auch ein paar vom Schneider so nicht vorgesehene Risse und Löcher vorzuweisen. Auch Piso selbst gab nicht unbedingt das ab, was man eine schöne Leiche nannte. Er sah aus, als wäre er erschlagen worden – wörtlich. Was auch immer geschehen war, es war schmerzhaft gewesen.


    Flaccus kam ebenso herein und tat es Nigrina gleich, sank an der Kline nieder und wirkte abwesend. Gracchus unterdessen kam gerade scheinbar zu sich, gestützt von seinem Sklaven, und verlangte nach einer Erklärung, bekam stattdessen aber zunächst einmal Kondolenz.
    “Die Schicksalsgöttinnen sind wahrhaft grausam an diesem Tag“, meinte Sextus mit der gebührenden Gravitas zu diesem Ereignis. Und wahrlich waren sie grausam, fand Sextus, brachten sie ihn doch um ein besonderes Vergnügen. Er wollte seinen Schwager nur zu gern selbst umbringen nach all den kindischen Schmähungen, die dieses Kind im Körper eines Erwachsenen ihm angedeihen hatte lassen, einzig aus dem Grund, dass ihm die Ehre seiner Familie nicht so gleichgültig war wie dem Flavier, der nur seine Gelüste an Prisca stillen hatte wollen. Hörte er da ein Stimmchen in seinem Inneren echoen? Wollte ihn selber umbringen. Selber. Umbringen. Selbst. Umbringen.
    Nein. Wäre auch albern gewesen.
    Sextus Gedanken kreisten viel eher um die Folgen, die sich daraus ergaben. Leider hatte er keine Ahnung, ob Piso seine Schwester wohl entsprechend in seinem Testament bedacht hatte, so dass dieser Umstand trotz aller Ärgerlichkeit – man denke nur an den nun verfallenen Gefallen, den der Tote ihm noch schuldete! - noch positiv sein könnte. Doch vermutlich hatte er das meiste davon seiner Frau angedeihen lassen, in die er ja ach so sehr verliebt war, nach eigenen Worten. Sextus würde es herausbekommen. Sofern der Flavier ein Testament hatte, würde es in den nächsten Tagen den Sitten gemäß im Kreise seiner Familie verlesen werden.


    Eine Sklavin kam herein. Gehörte die nicht Prisca? Sie kam Sextus entfernt bekannt vor, was aber nichts heißen musste. Er schenkte Sklaven allgemein kaum mehr Beachtung als den Zimmerpflanzen – und er war bei weitem kein so großer Pflanzenliebhaber wie Marcus Corvinus es gewesen war. Dennoch kam sie ihm bekannt vor.
    Was ihn aber weniger irritierte als die Tatsache, dass diese Sklavin den Eindruck, den Sextus bislang vom flavischen Hausstand hatte, gehörig umdrehte. Tatschte sie da so gänzlich ungefragt einfach Flavius Flaccus an? Es war ihm ja im Grunde egal, ob Flaccus eine Sklavin vögelte, und sogar, ob er für jene Gefühle hegte oder diese eben für ihn. Allerdings fand er es doch etwas würdelos, dass er sein Betthäschen offensichtlich nicht gut genug unterwiesen hatte, die dignitas eines Toten zu ehren. Noch dazu eines Verwandten von ihm. Und stattdessen hier in dieser Szene sich derartig aufführte.
    Nach der Art und Weise, wie Nigrina ihre Sklaven behandelte – in seinen Augen nämlich durchaus standesgemäß, wenngleich manchmal etwas verschleißend, doch nie ungebührlich – hatte er darauf geschlossen, dass alle Flavier einen ähnlich hohen Wert auf Standesunterschiede legten. Offensichtlich nicht.


    Er riss sich von der verstörenden Szene los und widmete sich stattdessen den Männern, die Piso offenbar hergebracht haben. Und der Person, die hier noch fehlte, und um deren Wohlergehen sich zu sorgen sich für ihn durchaus ziemte. “Wo ist Prisca?“ erkundigte er sich bei niemandem bestimmten.

    Es war einer der sonnigeren Herbsttage, als einige aurelische Sklaven mit einem etwas größeren Kasten vor der Casa Vescularia Halt machten. Einfacher wäre es selbstverständlich gewesen, hätten sie die Lieferung mit einem Wagen herbringen können, nur durften selbige nur nachts fahren. Und wenn Sextus Aurelius Lupus vor etwas keinen Respekt hatte, dann war es vor dem nötigen Arbeitsaufwand, den seine Sklaven mit einer Sache haben würden.


    Und so also klopfte der vornehmste von ihnen an die Tür der Privatresidenz des Praefectus Urbi, um den Auftrag seines Herrn so gewissenhaft wie möglich auszuführen, während seine Kameraden besagte Kiste vorsichtig herunterließen und aufstellten – und zu sämtlichen Göttern beteten, dass nichts beim Transport kaputt gegangen war.

    Sextus blieb während der Wartezeit einfach stehen. Hinsetzen hielt er für eine ausgesprochen blöde Idee, konnte er nicht garantieren, den Platz ebenso elegant wieder zu verlassen, wie er ihn einnahm. Abgesehen davon war er in den letzten Tagen lange genug gesessen, da tat etwas stehen durchaus nicht schlecht.
    Die Torwache also ging, ebenso der cornicularius, wenngleich beide in unterschiedliche Richtungen. Und kurze Zeit später gingen ein Tribun und ein Schreibtischtäter aus dem Officium seines Vetters, um ihm so Platz zu machen.


    Sextus hatte in der Zwischenzeit weitestgehend aufgehört, zu tropfen, allerdings wurde ihm so allmählich kalt. Es wurde wirklich Zeit, die nassen Sachen gegen trockene einzutauschen, bestenfalls nach einem heißen Bad und einer Massage einer zuvorkommenden Sklavin. Wobei Sextus sich nicht einmal sicher war, ob Ursus so etwas besaß. Der Mann war dahingehend etwas verweichlicht und – die Götter allein wussten warum – seiner Frau vermutlich treu ergeben. Daher würde Sextus notgedrungen auch nur mit trockener Kleidung und einem heißen Bad vorlieb nehmen und die Sklavin im Laufe der nächsten Tage gegen eine der überlebenden Stadtschönheiten eintauschen. Die waren einem Haruspex und Patrizier sicher zugetan – wenn sie dumm genug waren. Sextus hatte ein Naturtalent im Aufspüren solcher Frauen.


    Jetzt aber galt es erst einmal, seinen Vetter zu begrüßen. Also schritt er so aufrecht und flüssig wie möglich nach einem kleinen Nicken an den cornicularius in das Officium.

    Reichlich nervös, der Kleine. Sextus betrachtete interessiert das Wechselspiel der Emotionen im Gesicht seines Gegenübers, als dieser sich für seine Rede bereit machte und bei aller Verwirrung und allem Zeitdruck noch die Gelegenheit fand, sich nach dem Schaf zu erkundigen, das für die Haruspizien benötigt wurde.
    “Das Schaf ist hervorragend geeignet, um aus ihm zu lesen. Viel besser als große Wildschweine, wenn auch nicht so hervorragend wie kleine Hunde“, versuchte er sich an einem Scherz, war sich aber nicht sicher, ob der Artorier diesen verstand, als dieser auf die bereitete Bühne stieg und seine Rede vor der versammelten Menge zu halten.


    Dafür, dass der Mann aussah, als würde er jeden Moment aus seinen Caligae kippen, hielt er sich dann bei seiner Rede doch aufrecht. Blablabla, alles war schrecklich, blablabla, Heldenmut, blablabla, die Legio ist toll. Das typische Politikergefasel, um die Menge zu beschwichtigen. Wenn der Mann jetzt noch hinbekam, wie ein Kerl aufzutreten und nicht wie ein verschrecktes Kaninchen, konnte noch ein Politiker aus ihm werden. Aber konnte ja nicht jeder von seinem Lehrer zur vollendeten Rhetorik geprügelt werden.
    Sextus unterdessen widmete sich in Gedanken schonmal seinem Auftritt. Wenn der Beifall des Publikums verklungen war, wäre er wohl an der Reihe, sein eigenes Blablabla zur Beschwichtigung der Menge beizutragen. Und er hoffte, irgendwas halbwegs positiv Interpretierbares auf der Leber des Schafes vorzufinden. Immerhin gab es 16 Wesenheiten, die ihren Willen oder Unwillen durch die verschiedensten Zeichen kundtun wollten. Da musste sich doch irgend etwas finden. Krieg, Liebe, Schicksal, alles war vertreten, und zur Not konnte er auch relativ frei deuten. Nur ein kleiner Anhaltspunkt wäre doch nett, da ihm so überhaupt gar nichts angetragen worden war, auf das er hinweisen hätte sollen. Nunja, es würde sich zeigen, wie gut sein Lehrer ihn wirklich unterrichtet hatte.

    Langsam hatte Sextus sein Pferd hinter dem Legionär hertrotten lassen, einen gemächlichen Schritt nach dem anderen. Er hatte es nicht besonders eilig damit, anzukommen, selbst wenn das ein Ende der Reise bedeutet hatte. Zwischen dem Jetzt und dem Dann stand nämlich noch eine kleine Übung in Demut, von der Sextus ohnehin nicht allzu viel zu besitzen schien: Das Absitzen.


    Selbiges gestaltete sich nämlich nicht als so einfach, wie der Aurelier das gerne hätte. Wie begab man sich würdevoll von einem Pferd herunter, wenn jeder einzelne Muskelstrang sich anfühlte, als bestünde er aus Beton? Wundem Beton. Nun, Sextus versuchte es auf die harte Tour, biss die Zähne zusammen, schwang sein Bein über den Hörnersattel und ließ sich, einen unschönen Fluch unterdrückend, heruntergleiten. Die Lichtblitze vor den Augen ignorierend folgte er dann dem Legionär, der dankenswerterweise schon etwas vorausgegangen war, so un-o-beinig wie irgend möglich, sich der Blicke aller Anwesenden durchaus bewusst. Aber sich die Blöße zu geben und zuzugeben, dass die Reise vor allen Dingen schmerzhaft gewesen war, kam überhaupt nicht in Frage.
    Und so störte es Sextus nicht halb so sehr wie üblicherweise, dass er warten musste, bis der Mann im Vorzimmer seines Vetters entschieden hatte, dass Sextus zu eben jenem vorgelassen werden sollte. Im Moment hatte er, was Fortbewegung anging, alle Zeit der Welt.

    Das war sein Stichwort. Sextus hatte sich Zeit genommen, möglichst interessiert zu wirken, während er das Schaf begutachtete. Letztlich war es genauso wie jedes andere seiner Art: Vier Füße, Kopf, Rumpf und jede Menge Wolle, die das ganze zusammenkleisterte. Und ordentlich unter Drogen gesetzt, so dass es gleich keine Spirenzchen veranstalten würde, wenn es sein Leben ließ. Aber man musste ja wenigstens den Eindruck erwecken, man interessiere sich für das Vieh und würde schon nach äußerlichen Zeichen göttlichen Willens suchen. Immerhin gab es da auch das ein oder andere, was als gutes oder schlechtes Zeichen galt. Wobei die schlechten wie lautes Blöken, zerren und sich wehren oder urinieren und koten durch die rechtzeitige Gabe eines gekonnten Mixes aus Abführmitteln und einschläfernden Drogen ausgeschaltet werden konnten (und normalerweise auch wurden).


    So aber erschien Sextus nur auf sein Stichwort hin im Zentrum der Aufmerksamkeit, bei ihm zwei Helfer mit besagtem Schaf, das sogar die Güte besaß, vor seinem Ableben einmal kurz den Kopf zu senken, fast, als würde es nicken und damit seinem Tod zustimmen. Schnell war es von den beiden Helfern mit einem Schnitt in die Kehle zu Tode gebracht und mit fachmännischen Bewegungen schnitt Sextus die Leber aus dem getöteten Tier. Er hob das Organ an, drehte es in seinen Händen in die nach den Libri haruspicini vorgeschriebene Richtung und fing an, es eingehend zu studieren. Jedes der sechzehn etruskischen Häuser der Götter, die genau abgegrenzt auf der Leber sich wiederfinden sollten, wurde einzeln untersucht und dabei jede der Gottheiten mit einem leisen, ja ehrfüchtigen Flüstern beim Namen genannt. Rechtsherum, beginnend bei Tin Cilensl, der wohl am ehesten Iuppiter Summanus entsprechen mochte, führte so der Weg von Sextus Fingern immer weiter, über die glückverheißenden Stellen, zu jenen Unglück verheißenden, 'östlichen' Seiten der Leber, beständig murmelnd, untersuchend, fühlend, bisweilen innehaltend und nachdenklich die Stirn runzelnd, bis er schließlich das gesamte Organ eingehend betrachtet hatte.


    Kurzum, er tat alles, um möglichst überzeugend eine genaue Untersuchung vorzuspielen und dabei so ernsthaft wie geheimnisumrankt zu wirken, wie man das von einem Haruspex auch erwarten konnte. Schließlich war er fertig, und er reichte die Leber auf der Patera wieder an seine Helfer weiter. Mit noch blutverschmierten Händen begann er also, die erwarteten Zeichen zu deuten.
    “Die Götter segnen diese Verbindung und verheißen ihr Glück. Kein Einspruch ist zu lesen, und keine Ablehnung für diese Tat an diesem Tag. Sie wird den Gentes Decima und Terentia zu Ruhm und Ehre gereichen. Sie wird mit Nachkommen gesegnet sein, die zu großen Taten berufen sein werden und so den Namen ihrer Vorfahren beider Gentes ehren werden. Die Götter verheißen dieser Ehe eine lange Dauer des Wohlstandes und der Zufriedenheit.“
    Das sollte wohl in etwa das sein, was die Decima sich bei ihrem kleinen Gespräch gewünscht hatte. Viel positiver konnte Sextus sich wohl kaum im Rahmen einer religiösen Handlung äußern.
    Nachdem also diese Formalität geregelt war, zog Sextus sich auch wieder zurück, um sich die Hände zu waschen. Und um zumindest die Mütze, die sein Amt verriet, vorerst einmal abzunehmen.

    Sein Kreuz, seine feuchte Kleidung und nicht zuletzt seine geschundene Sitzmuskulatur brüllten nach dem Privathaus mit seinen Bädern, Sklaven und sonstigen Annehmlichkeiten. Sein Stolz und seine Stellung aber verlangten nach anderem.
    “Dann bring mich zur principia und melde mich an. Es ist unnötig, ihn aus seinen Amtsgeschäften zu reißen, nur damit er mich privat empfängt.“ Sextus zweifelte zwar nicht daran, dass man sich doch in Richtung des Privathauses nach der Begrüßung begeben würde, aber die Schwäche einzugestehen und direkt dort auf Ursus zu warten kam überhaupt nicht in Frage.

    Der zweite Soldat übernahm die Schelte, die Sextus persönlich vermutlich etwas harscher noch formuliert hätte. Aber er war zu müde, sich darüber ernsthafte Gedanken zu machen. Selbige kreisten viel eher um ein warmes Bad, eine wärmere Frau und weit fort von Regen, Kälte, Schmutz oder diesen stinkenden Viechern, die als Reittier zu nutzen er gezwungen war. Daher war er auch durchaus angetan von den paar kleinen Worten, die ihm zumindest einem warmen Bad und trockener Kleidung deutlich näher brachten. Fehlte nur noch eines:
    “Wenn du mir noch mitteilen könntest, wo lang ich passieren muss und wer mich anmeldet...?“ Sextus war noch nie in einem Castell und hatte nicht vor, öfter eines zu besuchen, so dass er keine Ahnung hatte, wo genau sein Vetter sich aufzuhalten pflegte.

    Das einzig wirklich positive an dieser Reise nach Mantua war es, dass ihm als Haruspex hier oben in einer etruskischen Stadt die Ehrerbietung aller Orten zu Teil wurde, die er seiner bescheidenen Meinung nach auch verdient hatte. Sextus brauchte keine Liktoren oder ähnlichen Schnickschnack, die Leute sahen seine Amtstracht und machten ihm Platz. Einige riefen ihm zu, fragten ihn beinahe ehrfürchtig, ob er einen Moment Zeit für sie erübrigen könne, da sie Fragen an die Götter hätten, von persönlicher, geschäftlicher oder gar politischer Natur. Und Sextus genoss diese Aufmerksamkeit, auch wenn er sich durchweg bescheiden gab und nur hier und da einmal huldvoll nickte, insgesamt aber alle Anfragen auf ein ungenau beziffertes 'später' verschob. Dennoch war das ein Zustand, der dem von ihm erstrebten doch sehr nahe kam. Das hier war Macht. Sextus liebte Macht. Und er würde auch alles daran setzen, seine persönliche Macht möglichst effizient zu nutzen und auszubauen.


    Doch zunächst einmal hieß es, dieses Ereignis zu bestreiten, und das so aufrecht, wie es erwartet wurde. Im Gegensatz zu üblichem Brimborium wünschte der Stadtrat wohl allen Ernstes, dass göttliche Zeichen gelesen wurden, und nicht nur die Verkündigung einer sorglosen Zukunft für den aufgebrachten Plebs. Letzteres wäre weit lukrativer für Sextus gewesen, doch erübrigten sich Verhandlungen hierüber aus der Erkenntnis über die wahre Beschaffenheit seiner Auftraggeber vorzeitig. Da konnte man wohl nichts machen, sofern man sich nicht selbst in Misskredit bringen wollte.



    Und so also machte er sich in voller Amtstracht auf den Weg zu Magistrat Artorius, um an seiner Seite die Festlichkeiten zu eröffnen. Das Tier für seine Arbeit stand ebenfalls schon bereit, ein prächtiges Schaf, groß und gesund. War zu hoffen, dass es eine ebenso prächtige Leber hatte, um daraus lesen zu können, und günstigstenfalls gute Zeichen, um die Feierlaune der Stadt entsprechend zu heben. Es wäre ärgerlich, gleich zu Beginn den Zorn der Götter zu verkünden – wobei Sextus da wohl trotz des unverständlichen Wahrheitsbedürfnisses der Stadt eher zu einer volksbeschwichtigenden Beschönigung tendieren würde, und hinterher die Herren Magistraten aufklären. Oder auch nicht. Das konnte er sich zeitnah überlegen.
    Zeitlich naheliegender war die Begrüßung des Magistraten. “Artorius“, grüßte er ihn knapp und gesellte sich zu ihm. “Ich freue mich schon auf deine Eröffnungsrede. Und das Volk scheint ebenfalls schon gespannt der kommenden Ereignisse zu harren.“

    Es gab Momente, in denen war Sextus näher dran, die Beherrschung zu verlieren, als an anderen. Dieser grade war ein solcher. Es war zwar nicht Nacht – so verrückt war Sextus nicht, bei Dunkelheit auf einer bei Tageslicht schon schlechten Straße zu reisen – und es war auch ansonsten nicht unheimlich, doch einer der Wächter schien dennoch gerade erst aufgewacht zu sein. Und ganz offensichtlich befand er sich auch noch im Halbschlaf, oder hatte einmal zu oft einen Schlag auf den Helm bekommen.
    Er hatte nicht übel Lust, dem Mann mit einem kalten 'Immernoch derselbe wie vor fünf Minuten mit demselben Anliegen' zu antworten, beschränkte sich dann aber doch darauf, die Frage zu ignorieren und statt dessen auf weitere Antwort des anderen Wächters zu warten, ob er nun endlich durchgelassen würde, oder ob sie ihn mit weiteren Formalia und sich wiederholenden Fragen hier im Nieselregen aufhalten wollten.

    Natürlich hatte er die Reise von 320 Meilen nur auf sich genommen, um bei erstbester Gelegenheit im Castellum der Legio hier ein Gemetzel anzurichten... Sextus blickte den Wachsoldat vor sich nur einen Moment lang resignierend an. Das Wetter und die schlechte Gesellschaft und nicht zuletzt die Schmerzen durch den Ritt an sich drückten doch erheblich auf seine Stimmung, allerdings war es weder hilfreich noch angebracht, hier einen Streit, der letztendlich auf einer Laune begründet war, vom Zaum zu brechen.


    “Ihr wartet draußen“, wies er seine Begleitung reichlich tonlos an, ehe er dem Miles von sich aus das Kurzschwert an seinem Sattel und den Pugio an seinem Gürtel überreichte. Natürlich trug er bei einer derart langen Reise auch Waffen bei sich! Jeder Mann wäre verrückt, sich da nur auf die Stärke der mitgeführten Wachen zu verlassen.
    Allerdings stieg er nicht von seinem Pferd ab – etwas, das er solang als möglich ob der Ungelenkigkeit seiner selbst hinauszuzögern gedachte – und sah den Legionär wieder an. “Das sind alle Waffen, die ich bei mir führe.“ Er öffnete noch einmal den ohnehin durch das beständige Herbstwetter reichlich durchnässten Mantel, so dass die Legionäre sich von seinen Worten überzeugen konnten. Sofern sie nun nicht eine heimliche Klinge irgendwo an seinem Rücken festgebunden vermuteten, hoffte er, dass damit die Untersuchung überstanden war, ohne dass er sich von dem Gaul hier herunterquälen musste.