Derartig angekündigt war Sextus seines Wissens nach noch nie. Er kam sich fast ein wenig vor wie eine besonders seltene Attraktion, wie irgendwelche wilden Tiere aus Persien, wenn sie im Circus vorgestellt wurden – ehe sie äußerst eindrucksvoll zu Tode gebracht wurden. Er hoffte zumindest, dass letzteres Schicksal ihm erspart bliebe.
Und so schritt er so würdevoll wie langsam nach vorne und gab dem Artorier noch mit einem rechtzeitigen Blick zu verstehen, dass ein Handschlag bei einer religiösen Zeremonie unangebracht war und die falschen Signale senden würde. Er war hier in einer ernsten Angelegenheit und nicht als komödiantischer Unterhalter der Massen. Oder gut, im Grunde war er ein Unterhalter, allerdings auf wissenschaftlicher und religiöser Basis. Ein Handschlag war in jedem Fall unangebracht, aber für so etwas gab es die nonverbale Kommunikation mit einem leichten Kopfschütteln und einem strengen Blick, der weitergehende Peinlichkeiten verhindern sollte, so der Artorier die Hand rechtzeitig zurückzog und Sextus nicht in Verlegenheit brachte, die Geste ausschlagen zu müssen.
Er wartete einen Augenblick einfach nur stumm mit leicht erhobenen Armen, die Menge beobachtend und einfach abwartend, bis sie von ihm gebührend Notiz genommen hatten. Mit seinem langen Ledermantel und dem spitz zulaufenden Hut war er nicht wirklich schwer zu erkennen. Noch dazu in etruskischen Gefilden, die den Haruspices ohnehin noch weit mehr Ehrerbietung entgegenbrachten.
Erst dann, als ohnehin ein wenig Ruhe in die Menge einkehrte, erhob er seine Stimme, damit er auch in den hinteren Bereichen noch zu hören war. “Favete linguis!“ befahl er lauthals. Eine Aufforderung, die Klappe zu halten, ging schließlich jeder religiösen Handlung voraus, auch den Haruspizien.
Zwei Opferhelfer brachten das Schaf herbei, aus dessen Leber Sextus den göttlichen Willen an diesem Tag zu lesen gedachte. In den letzten Tagen hatte es ja bedauerlicher weise keinen Blitzeinschlag gegeben, den zu deuten er eindrucksvoller in Szene hätte setzen können. Das Schaf würde genügen.
“Wir rufen die Götter an, uns ihren Willen mitzuteilen! Ihr Göttlichen, denen höchste Verehrung zusteht, ihr Mächtigen und Ewigen! Leiht uns Sterblichen eure Gunst, Einblick auf eure Pläne für eure Stadt Mantua zu erhalten! Lasst uns wissen, ob ihr der Stadt Mantua wieder eure Gunst schenken wollt! Lasst uns wissen, ob Mantua genug gebüßt hat für seine Verfehlungen! Lasst uns wissen, welche Gaben ihr noch von Mantua verlangt!“
Ein Augenblick des Schweigens, der völligen Stille, ehe das Schaf nun herbeigeschafft wurde. Mit einem schnellen Schnitt war das Leben des Tieres beendet. Es war kein Opfer im römischen Sinn, nicht einem einzelnen Gott oder einer Wesenheit gewidmet, sondern ließ vielmehr sein Leben für alle Götter des etruskischen Pantheons, wurde lediglich zum Werkzeug, durch das die Götter ihren Willen kundtun konnten. Es waren hierbei keine weiteren Opferformeln oder Weiherituale vonnöten, die nicht schon an dem Tier durchgeführt worden waren.
Mit geschickten Bewegungen schnitt Sextus die Leber aus dem Leib und richtete sich wieder gut sichtbar für die Massen auf, das blutige Organ in Händen. Mit oft eingeübten Bewegungen hielt er es in der exakt vorbestimmten Position, ehe er begann, die Götter jeden einzelnen beim Namen zu nennen – bei ihren etruskischen. Jede der sechzehn Gottheiten hatte ihren Platz auf der Leber, wo sie ihren Willen kundtun konnte, durch gute oder schlechte Zeichen, oder eben durch das fehlen eben jener auf der schlechten, der westlichen Seite, das Ausbleiben ihrer Gunst – oder das Abwenden ihrer Missgunst.
Er begann bei Tin Cilensl, der wohl am ehesten Iuppiter Summanus entsprach, ging weiter über Tin Thufl, bei den Römern wohl Iuppiter Fidius, hinüber zu Nethuns (Neptun), weiter zu Uni (Iuno) und Mae (Maia). Es folgten Tecum, ein Herrschergott, und Lusa, eine Waldgöttin. Catha, Fufluns, Selvans, Letham, schließlich auch Alpan, wie Venus libitina eine Göttin der Toten, und Venus libentina eine Liebesgöttin, beides zugleich. Wobei sie auch als Lasa noch einmal benannt wurde. Die etruskischen Gottheiten waren eben nicht alle exakt übertragbar, wenn sie sich auch in vielem ähnelten. Auch Velchans (Vulcanus) und Laran (Mars) hatten ihren Platz auf der Leber, ebenso wie Cel (Ceres), Vetis (Veiovis) und Tvath, die wie Cel eine Göttin des Wachstums und der Fruchtbarkeit war. Kurzum alle Aspekte des Lebens und Sterbens, des Schwörens, Herrschens und Beherrscht Werdens, des Wachsens und Vergehens wurden einzeln angerufen und mit Formeln im besten Etruskisch beschworen, auf der Suche nach Zeichen eben jener göttlichen Wesen.