Livineia hielt sich in der Nähe ihres Bruders auf. Sie tat dies eigentlich meistens, sofern sie gemeinsam das Haus verließen. Er war immerhin ihr Bruder und somit gewissermaßen für sie verantwortlich; eine schicklichere Begleitung war kaum vorstellbar. Abgesehen davon war er einer ihrer beiden Lieblingsbrüder. Und der einzige, der ihr bis heute noch verblieben war. Das spielte zwar alles nicht wirklich eine Rolle, wenn man erklären wollte, weshalb sie an seiner Seite stand - aber es war dennoch erwähnenswert.
Der harte Fakt war wohl vor allem der, dass sie beide nicht verheiratet waren und somit kaum einen anderen, passenden Partner bei sich haben könnten. Dass er noch keine Frau hatte war eigentlich kein größeres Dilemma. Er war am Beginn seiner Karriere und würde ohne Weiteres eine passende Gemahlin finden. Livineia hingegen war... alt. Ja, irgendwie war sie tatsächlich ein wenig alt. Das konnte man allein schon daran bemessen, dass die jüngere Sassia sich einen passenden Gemahl geangelt hatte. Nicht, dass Livineia an dem ein Interesse hätte; pah. Niemals. Trotzdem war es ein wenig frustrierend. Gewiss mochte ihr anhaltender Stand damit zusammenhängen, dass sie häufig eher zurückgezogen lebte und viel auf Reisen war. Das Gemüt erheitern konnte diese Erklärung allerdings nicht.
"Ganz wie du meinst, mein Bruder." Die Antwort fiel recht unbegeistert und nüchtern aus. Sie wüsste nicht zu sagen, was an diesem Tag schön sein sollte. Die Sonne schien und irgendein Flavier feierte sich. Ließ sich feiern. Sie beide mussten in die überfüllten Straßen Roms hinaus. Ja, ein wirklich ganz entzückender Tag.
Ihr Blick ruhte kurz darauf auf Menecrates, der ein kurzes Stück vor ihnen schritt. Empfand sie eine gewisse Anspannung? Nun, vielleicht. Auch er würde kaum begeistert von ihrem Versagen sein. Aber es gab auch keine passende Partie. Keiner genügte ihren Ansprüchen und, auch wenn sie sich das niemals eingestehen würde, ja, sie würde es sich nicht einmal auch nur überlegen - vermutlich sah es von männlicher Seite her nicht besser aus. Sie war schwierig und wirkte oft unnahbar. Aber so war sie. Sie war keine warme, freundliche Persönlichkeit. Sie besaß eine große, familiäre Loyalität, einen scharfen Verstand und war wohl auch durchaus sehr ansehnlich - aber eben auch völlig empathielos. Der Tod ihres jüngeren Bruders vor einiger Zeit hatte ihre Wärme nicht gerade verstärkt.
Als Menecrates dann, fast als hätte er ihre Gedanken gelesen, versprach noch ein wenig auf sie Acht zu geben, hatte das fast etwas bösartig Ironisches an sich. Es war zum Heulen. Trotzdem lächelte sie ihren Großvater an und schaffte es, die Anstrengung aus ihrem Blick zu verbannen. Ja, vermutlich würden sie bis in alle Ewigkeit auf sie aufpassen müssen. Sie lebte wie eine Vestalin, nur ohne die Vorzüge.
Schweigend blieb sie hinter ihrem Großvater und an der Seite ihres großen Bruders Marcellus stehen und bekundete durch ein freundliches Lächeln, dass sie die Gratulation ihres Großvaters teilte. Freundlich und scheinbar interessiert behielt sie den Flavier im Blick.