Autsch! Diese "tollen" Kutschen, von denen Dives eine von Ostia hierher genommen hatte und die sich auf der Via Ostiensis teils förmlich Wettrennen lieferten, waren doch recht fix... Aber Komfortabilität war für Dives dann doch etwas anderes! Die Fahrt war extrem holprig und wenig entspannend. Man stieg nicht mal eben in Ostia ein und dann beschwerdefrei in Roma wieder aus, nein. Dives' Allerwertester hatte ganz schön leiden müssen auf dem Weg hierher. Nach jedem Huckel und jeder Kuhle, ja jeder noch so kleinen Unebenheit des Untergrunds schlug ihm im nächsten Moment das Holzbrett, auf welchem er saß einmal kräftig hinten drauf. In Roma angekommen war er windelweich geprügelt. So zumindest fühlte er sich, der ohne Vater und mit sehr liebender Mutter aufgewachsen nie derartige Dresche erfahren musste.
Während sein Reisegepäck weiter zur Casa Iulia gebracht wurde, ließ sich der Iulier zentrumsnah "rausschmeißen" und begab sich aufs Forum. Bevor er bei seinen Verwandten auftauchte, hatte er noch ein paar Dinge zu erledigen. Er war schließlich krank gewesen und fühlte sich dem Tode nur knapp entronnen. Als er nicht mehr machen konnte, als im Bett liegend auf gute Ärzte zu vertrauen und auf baldige Besserung zu hoffen, war es an den Hausbediensteten gewesen für ihren Herrn zu opfern und zu beten. Das hatte offensichtlich geholfen, sodass es nun an Dives war, sich bei den Göttern entsprechend erkenntlich zu zeigen. Ein großes blutiges Opfer sollte es werden! Ja, genau. Denn was wäre wohl ein solches Opfer wert, wenn nicht das (eigene) Leben?
So schritt Dives von Stand zu Stand und kaufte unter anderem besten Falerner-Wein. Einige Dinge hatte er aus Ostia mitgebracht, aber der Wein wäre, wenn er einen solchen mitgebracht hätte, bei der Fahrweise der Kutsche wahrscheinlich eh schon längst nicht mehr in seinem Gefäß. Überhaupt: Wer mochte schon gut durchgeschüttelten Wein??
Dann ging es um das Opfertier. Ein schöner weißer Ochse sollte es sein. Der erste Viehhändler verkaufte nur Kleinvieh... Schafe und Ziegen. Dives ging weiter. Beim nächsten Stand war man spezialisiert auf rabenscharze Tiere, wunderschöne Tiere. Aber sie waren eben schwarz und folglich nicht geeignet, da Dives dem Apollo opfern wollte. Also auf zum nächsten Stand. Hier wurden gleich zwei weiße Ochsen angeboten und Dives betrachtete beide mit Argusaugen. Beide schienen auf dem ersten Blick rein und gut zu sein... bis er sie doch tatsächlich auch anfasste. Braune Ochsen, die lediglich gepudert waren! Nein, hier kaufte er bestimmt nicht ein! Dann endlich beim fünften oder sechsten Verkäufer fand er ein in seinen Augen wahres Prachtexemplar eines Ochsen! Er musste zwar etwas tiefer in den Geldbeutel fassen, doch sein Leben war ihm das allemal wert! Dafür wurde das Opfertier auch gleich fachmännisch geschmückt. Die infulae mit vittae waren inklusive, für die dorsule zahlte Dives nochmals einen kleinen Aufpreis, aber das machte den Kohl jetzt auch nicht mehr fett. So ging es dann auf zum Templum Apollinis Medici...
Dort angekommen - und auf dem Weg noch ein paar tibicines "angeheuert" - wurde der Ochse auf dem Tempelvorplatz festgemacht, während Dives seine Füße entkleidete. Mit zwei als Opferhelfer dienlichen Sklaven, die auch die gleich benötigten Opfergaben trugen, ging es anschließend die Stufen des alten, wennauch mehrfach renovierten Tempels hinauf. Schon seit etwa 540 Jahren existierte dieser Bau - geweiht übrigens durch einen Iulier (mit dem Dives allerdings wohl kaum verwandt sein dürfte) -, ein Altar für Apollo existierte gar noch länger hier. Beim Treppensteigen merkte Dives wieder ganz deutlich die Schmerzen in seinem Gesäß, die seine eilige Anreise verursacht hatte. Drum nahm er sich die Zeit, sich erst noch einmal kurz umzudrehen und den Ausblick kurz auf sich wirken zu lassen, bevor er seine Schritte durch die Vorhalle zum Eingang ins Tempelinnere lenkte. Dort reinigte er sich zunächst symbolisch, indem er seine Hände in einer Schale Wasser wusch und dabei sprach:
"Möge dieses Wasser alle Unreinheit von meinem Körper waschen wie das Verwandeln von Blei in Gold. Reinige den Verstand. Reinige das Fleisch. Reinige den Geist. So ist es."
Dann bedeckte Dives sein Haupt mit einem Teil seiner toga und trat ehrfürchtig an den Opferaltar. Er ließ sich den Weihrauch lautlos in einer acerra reichen und nachdem er ihn in die entsprechende Feuerstelle gestreut hatte, bereitete sich binnen kurzer Zeit der Wohlgeruch im ganzen Tempelinneren aus. Dives rief mit nach oben zeigenden Handflächen den Gott Ianus an, wie es zu Beginn eines Opfers Ritus war, um die Verbindung von sich zu den Göttern herzustellen.
"Ianus, Gott des Wandels, der du gleichsam am Anfang und Ende aller Dinge stehst!
Gott der Götter, der du wachst über die himmlischen Tore! Gott des Übergangs!
Ich, Marcus Iulius Dives, Sohn des Caius Iulius Constantius, möchte dir diesen Weihrauch zum Geschenk machen!
Bitte nimm dies Opfer an und lass mich damit ein gutes Gebet sprechen!"
Abschließend wandte er sich nach rechts, womit dieses Gebet beendet war.
Nun, da sich der benebelnde Dampf so wunderbar verteilt hatte, war Dives davon überzeugt, dass Ianus das Weihrauch-Opfer angenommen hatte und eine Verbindung zu Apollo herstellen würde. Somit konnte jetzt das eigentliche Voropfer folgen. Dives lies sich die entsprechenden Opfergaben reichen, was abermals geräuschlos von Statten ging. Dann nahm er die Gaben und streckte sie einzeln dem Gott entgegen, sodass jener auch genau sehen konnte, was geopfert werden sollte.
Anschließend legte er die Gaben am Altar ab: verschiedene Blumen und Kräuter, darunter auch einige Lorbeerzweige, und den teuer erstandenen Falerner-Wein, der in eine entsprechende Öffnung gegossen wurde.
Nun folgte das erste Gebet zu Apollo. Wieder streckte Dives beide Hände mit nach oben zeigenden Handflächen in die Höhe und sprach:
"Mächtiger Apollo Medicus, Gott strahlender Schönheit, Sohn des großen Iuppiter Optimus Maximus!
Oberster Orakelgott, Unerbittlicher, der alle Wunden heilen kann!
Ich, Marcus Iulius Dives, Sohn des Caius Iulius Constantius, möchte dir mit diesen Opfergaben meine tiefe Ergebenheit und Dankbarkeit zeigen!
Im Besonderen möchte ich dir dafür danken, dass du die Gebete der Meinen erhört hast und mir auf den Weg der Genesung verhalfst!"
Um dieses Dankesgebet an Apollo zu beenden, wandte Dives sich nun traditionsgemäß zur rechten Seite um und noch immer war der Ort erfüllt von anmutiger Ruhe und ehrfürchtiger Stille, was durch nichts und niemanden gestört wurde.
So ging Dives mit einem zufriedenen Gesicht nach diesem Voropfer wieder nach draußen, auf dass das Hauptopfer - anders ausgedrückt: der blutige Teil des Opfers - folgen mochte. Dort angekommen fungierten seine beiden Opferhelfer, die ihn auch ins Innere des Tempels begleitet hatten, als Herolde, die jeweils ein paar Mal mit 'Favete linguis!' Ruhe herzustellen versuchten. Tatsächlich wurde es in Tempelnähe aber kaum ruhiger, da zwar der Einzelne leiser sein mochte, jedoch von hier und dort Neugierige und Gaffer angezogen wurden. So ertönten wenig später die tibiae der engagierten Musiker und Dives hoffte inständig, dass die Melodien dem Beschützer der Sänger und Musiker, der ja obendrein mit seiner Kithara selbst kein Unbekannter unter jenen Künstlern war, gefallen würden. Währenddessen wurde Dives erneut eine Schüssel Wasser gereicht, in welcher er seine Hände zur symbolischen Reinigung zu waschen hatte, bevor er sie mit einem weißen Tuch, dem mallium latum, abtrocknete.
Dann trat er neben den strahlend weißen Ochsen, dessen vergoldete Hörner im Licht der Sonne gar wunderbar funkelten, erhob seine Hände mit zum Himmel zeigenden Handflächen und sprach:
"Mächtiger Apollo Medicus, Gott strahlender Schönheit, Sohn des großen Iuppiter Optimus Maximus!
Oberster Orakelgott, Unerbittlicher, der alle Wunden heilen kann!
Ich, Marcus Iulius Dives, Sohn des Caius Iulius Constantius, möchte dir nochmals danken für deine Güte, denn ohne dich würde ich heute wohl nicht mehr hier stehen können!
Daher möchte ich dir nun diesen mit Argusaugen ausgesuchten schneeweißen Ochsen zum Geschenk machen!
Und damit möchte ich dich auch bitten, meine Krankheiten und Wunden auch zukünftig zu heilen!
Dann verspreche ich dir, dir auch in Zukunft gut und reichlich zu opfern! Do ut des."
Mit einer Wendung nach rechts symbolisierte Dives, dass er sein Gebet gesprochen hatte und sogleich wurde damit begonnen, das Opfertier abzuschmücken und mit mola salsa zu bestreichen. Dives bekam seinerseits das Opfermesser gereicht, mit welchem er nun langsam dem Tier scheinbar von Kopf bis Schwanz strich. Bei genauerer Betrachtung würde man sehen, dass er die Klinge knapp über dem weißen Fell hielt. Das schöne Puder (denn natürlich war auch das beste weiße Opfertier noch nachgepudert) sollte ja hierdurch nicht abgestrichen werden.
Dann übergab Dives das Opfermesser dem cultrarius, woraufhin der victimarius mit dem Hammer in der Hand ihm die Frage der Fragen stellte: "Agone?" - "Age!", antwortete Dives mit fester Stimme.
ZACK! - ZACK!
So fand erst der Hammer in perfektem Bogen den Weg auf den Kopf des Ochsen, bevor im Augenblick danach aus einer Halsschlagader zwei halbe wurden. Kraftlos, lautlos und irgendwie ganz unspektakulär sackte das Tier in sich zusammen. Ob es wohl wusste, dass ihm sein Ende bevor stand? Sofort eilten einige Opferdiener herbei, um ein Teil des Blutes in paterae aufzufangen. Dennoch bildete sich innerhalb von nur wenigen Wimpernschlägen eine große Blutlache, die schonmal als gutes Omen gedeutet werden konnte.
Nachdem das Rind ausgeblutet war, wurde der Bauchraum vorsichtig geöffnet, die Eingeweide entnommen und in einzelne paterae gelegt. Die Eingeweideschau könnte beginnen. Dives war gespannt, ob der Gott der Schönheit, des Lichtes und Glanzes sein Opfer angenommen hatte...