Als die Tiberia den Namen des schmächtigen Schreiberlings wissen wollte, senkte dieser leicht verlegen den Kopf. Ich deutete mit einer beiläufigen Geste in seine Richtung und erklärte: “Das ist Notarius Carpinatius, er begleitet mich für die Schreibarbeit.“ Natürlich trug ich als Procurator die Ergebnisse dieser Unterredung nicht selbst zusammen - ich war ja kein Sekretär! “Du sagst es, er war ein Soldat unseres geliebten Roms. Und allein das gereicht schon um anzunehmen, dass er sich um das Imperium verdient gemacht hat“, stellte ich nüchtern fest, ohne in irgendeiner Form emotional involviert zu sein. Für mich war Tiberius Verus nur ein gestaltloser Name, einer der vielen Soldaten, die zahlreich und tagtäglich ihr Leben verschmutzt und vernarbt im Schlamm der Schlacht ließen. Die besondere Ehre, von der die Soldaten immer sprachen, hatte ich nie empfunden. Für mich war es eher ein Zeichen von Dummheit, es als besonders erstrebenswert zu erachten, ein Leben lang im Dreck zu suhlen und irgendwann im Staub der Schlacht aufzugehen. Deswegen war für mich auch nie in Frage gekommen, über meinen notwendigen Dienst bei der Flotte hinaus ein Tribunat im Exercitus anzutreten. Mein Posten in der Kanzlei schien mir da weitaus erträglicher - vor allem da die Aussicht auf ein langes, luxuriöses Leben mit Einfluss und Bedeutung bestand. Tiberius Verus dagegen als Versinnbildlichung des gemeinen - obgleich auch privilegierten - Soldaten hatte sich für den Dreck entschieden und in der Konsequenz das erhalten, was er wohl Zeit seines Lebens als ehrenvoll erachtete. Dass sich nun überhaupt jemand, abgesehen von seiner engsten Familie, um sein Andenken scherte, war einzig dem Rang geschuldet, den der Tiberier innehatte.
In der Folge legte die Tiberia das Verhalten offen, über das mir schon der Kaiser berichtet hatte. Sie wurde schnippischer, angriffslustiger und streifte um mich wie ein Löwe um seine Beute. Ich runzelte die Stirn, denn eine ernsthafte Bedrohung konnte ich in ihr nicht sehen. So wie ich es verstand, hatte sie weder einflussreiche Freunde noch Familie in der Stadt und das einzige, was ihr die Aufmerksamkeit des Kaisers zuteilwerden ließ, war ein vermeintliches Versprechen. In meinen Augen sollte die Tiberia also himmelhoch jauchzen, dass der Kaiser - im Gegensatz zu mir - solche Versprechen als verbindlich erachtete. Und ich war auch bereit, ihr das deutlich zu machen. “Ich bevorzuge die Bezeichnung Procurator“, entgegnete ich mit einem selbstgerechten Grinsen und nahm ihr den Weinbecher ab. „Archivar des Hofes“. Früher hätte ich ein solch respektloses Verhalten wohl mit einem Tobsuchtsanfall gestraft, jedoch hatte mir mein Amt und das Bewusstsein meiner Stellung eine gewisse Gelassenheit beschert. Hätte ich gewusst, dass vor mir die Tochter des Prätorianers stand, der mir dereinst Ärger in den Archiven beschert hatte, hätte ich wohl schnell eine hinreichende Erklärung für ihre aufsässige Gangart gehabt. “So wie ich das sehe, solltest du dich demütig zeigen, dass der Kaiser sich weitaus mehr darum bemüht pflichtbewusst und aufrichtig zu handeln, als mir es bei deinem Anliegen jemals in den Sinn käme. Dein Vater hat als Trecenarius ein Leben im Schatten gewählt und so wäre es in meinen Augen einzig konsequent, dass sein Name ebenso im Schatten verblasst. Der Kaiser hat dir jedoch aus reiner Großzügigkeit und Güte eine Möglichkeit der öffentlichen Trauer und des Gedenkens eröffnet - oder eben aus Pflichtbewusstsein“, sprach ich nun deutlicher. “Also lass uns bei den Fakten bleiben. Das einzige, was du vorzuweisen hast, ist ein Brief, der auf ein angebliches Versprechen verweist. Dein Name ist nur noch eine Erinnerung an glorreichere Tage und so wie mir zugetragen wurde, haben bisher auch keine Unterstützer oder Freunde für dein Anliegen den Weg zum Palatin gefunden.“ Ich sah mich kurz theatralisch in der verwaisten und heruntergekommenen Villa um. “Wenn du bereit bist, die Großzügigkeit des Kaisers wertzuschätzen, können wir uns nun über die Rahmenbedingungen des Begräbnisses unterhalten.“ Mit einem Schnipser deutete ich Carpinatius, die Tabula, die den Hof erreicht hatte, bereitzuhalten und trank dann einen tiefen Schluck Wein.