Beiträge von Cnaeus Fabius Torquatus

    Als die Tiberia den Namen des schmächtigen Schreiberlings wissen wollte, senkte dieser leicht verlegen den Kopf. Ich deutete mit einer beiläufigen Geste in seine Richtung und erklärte: “Das ist Notarius Carpinatius, er begleitet mich für die Schreibarbeit.“ Natürlich trug ich als Procurator die Ergebnisse dieser Unterredung nicht selbst zusammen - ich war ja kein Sekretär! “Du sagst es, er war ein Soldat unseres geliebten Roms. Und allein das gereicht schon um anzunehmen, dass er sich um das Imperium verdient gemacht hat“, stellte ich nüchtern fest, ohne in irgendeiner Form emotional involviert zu sein. Für mich war Tiberius Verus nur ein gestaltloser Name, einer der vielen Soldaten, die zahlreich und tagtäglich ihr Leben verschmutzt und vernarbt im Schlamm der Schlacht ließen. Die besondere Ehre, von der die Soldaten immer sprachen, hatte ich nie empfunden. Für mich war es eher ein Zeichen von Dummheit, es als besonders erstrebenswert zu erachten, ein Leben lang im Dreck zu suhlen und irgendwann im Staub der Schlacht aufzugehen. Deswegen war für mich auch nie in Frage gekommen, über meinen notwendigen Dienst bei der Flotte hinaus ein Tribunat im Exercitus anzutreten. Mein Posten in der Kanzlei schien mir da weitaus erträglicher - vor allem da die Aussicht auf ein langes, luxuriöses Leben mit Einfluss und Bedeutung bestand. Tiberius Verus dagegen als Versinnbildlichung des gemeinen - obgleich auch privilegierten - Soldaten hatte sich für den Dreck entschieden und in der Konsequenz das erhalten, was er wohl Zeit seines Lebens als ehrenvoll erachtete. Dass sich nun überhaupt jemand, abgesehen von seiner engsten Familie, um sein Andenken scherte, war einzig dem Rang geschuldet, den der Tiberier innehatte.


    In der Folge legte die Tiberia das Verhalten offen, über das mir schon der Kaiser berichtet hatte. Sie wurde schnippischer, angriffslustiger und streifte um mich wie ein Löwe um seine Beute. Ich runzelte die Stirn, denn eine ernsthafte Bedrohung konnte ich in ihr nicht sehen. So wie ich es verstand, hatte sie weder einflussreiche Freunde noch Familie in der Stadt und das einzige, was ihr die Aufmerksamkeit des Kaisers zuteilwerden ließ, war ein vermeintliches Versprechen. In meinen Augen sollte die Tiberia also himmelhoch jauchzen, dass der Kaiser - im Gegensatz zu mir - solche Versprechen als verbindlich erachtete. Und ich war auch bereit, ihr das deutlich zu machen. “Ich bevorzuge die Bezeichnung Procurator“, entgegnete ich mit einem selbstgerechten Grinsen und nahm ihr den Weinbecher ab. „Archivar des Hofes“. Früher hätte ich ein solch respektloses Verhalten wohl mit einem Tobsuchtsanfall gestraft, jedoch hatte mir mein Amt und das Bewusstsein meiner Stellung eine gewisse Gelassenheit beschert. Hätte ich gewusst, dass vor mir die Tochter des Prätorianers stand, der mir dereinst Ärger in den Archiven beschert hatte, hätte ich wohl schnell eine hinreichende Erklärung für ihre aufsässige Gangart gehabt. “So wie ich das sehe, solltest du dich demütig zeigen, dass der Kaiser sich weitaus mehr darum bemüht pflichtbewusst und aufrichtig zu handeln, als mir es bei deinem Anliegen jemals in den Sinn käme. Dein Vater hat als Trecenarius ein Leben im Schatten gewählt und so wäre es in meinen Augen einzig konsequent, dass sein Name ebenso im Schatten verblasst. Der Kaiser hat dir jedoch aus reiner Großzügigkeit und Güte eine Möglichkeit der öffentlichen Trauer und des Gedenkens eröffnet - oder eben aus Pflichtbewusstsein“, sprach ich nun deutlicher. “Also lass uns bei den Fakten bleiben. Das einzige, was du vorzuweisen hast, ist ein Brief, der auf ein angebliches Versprechen verweist. Dein Name ist nur noch eine Erinnerung an glorreichere Tage und so wie mir zugetragen wurde, haben bisher auch keine Unterstützer oder Freunde für dein Anliegen den Weg zum Palatin gefunden.“ Ich sah mich kurz theatralisch in der verwaisten und heruntergekommenen Villa um. “Wenn du bereit bist, die Großzügigkeit des Kaisers wertzuschätzen, können wir uns nun über die Rahmenbedingungen des Begräbnisses unterhalten.“ Mit einem Schnipser deutete ich Carpinatius, die Tabula, die den Hof erreicht hatte, bereitzuhalten und trank dann einen tiefen Schluck Wein.

    Der Groll des Flaviers über die Christianer und ihre vermeintlichen Machenschaften war in seinen Worten unüberhörbar. Der Vergleich mit einem Schimmelpilzbefall ließ gar den Schluss zu, dass er die Christianer auf die sittlich tiefste Ebene stellte und ein entschiedenes Handeln seinem Gusto nach eher früher als später geboten war. Ich strich mir nachdenklich über mein Kinn, die Chance witternd, unser gerade noch etwas loses Bündnis mit einem wohlwollenden Akt der Unterstützung auf eine verbindlichere Stufe zu hieven. "Wenn zahllose Indizien auf eine solch zerstörungswütige und gemeinschädliche Bedrohung hinweisen, sollte der Kaiser sicher auch dahingehend sensibilisiert werden", sprach ich zunächst schleierhaft, wurde aber im selben Moment konkreter: "Eine Gelegenheit dazu mag sich wohl in einer vertraulichen Runde der stadtrömischen Entscheidungsträger ergeben, deren Organisation der Kaiser in meine Hände gelegt hat. Der Kaiser möchte gerade im Lichte des jüngst ermordeten Vigintivirs die Maßnahmen gegen die Kriminalität in den Straßen Roms erörtern", weihte ich den Consular und Pontifex ein. "Deine Einschätzung hinsichtlich der Involvierung der Christianer als allseits geschätzter Senator und Vertreter des Collegiums wäre dem Kaiser sicherlich von großem Wert. Ich würde dich daher gerne auf die Liste der Teilnehmer setzen, so du dies wünschst", erklärte ich sodann mit einem vertrauensvollen Lächeln. Genauso wie ich meinen Feinden gegenüber unerbittlich war, konnte ich meinen politischen Freunden gegenüber äußerst loyal und großzügig sein - und Consular Flavius Gracchus wollte ich zu meinen Freunden zählen. Darob war ich auch gewillt, ihn im Rahmen meiner Möglichkeiten in ein Gremium einzuführen, wo Meinungen und Beschlüsse, verglichen zum sperrigen Senat, etwas unbürokratischer ausgetauscht und gefasst werden konnten - und dies selbst im Hinblick darauf, dass die Verfolgung dieser merkwürdigen Sekte mir nicht wichtiger war als die Verfolgung jedes anderen Verbrechens, das sich auf den Straßen Roms ereignete.

    Zielstrebigen Schrittes folgte ich dem alten Sklaven durch atrium und tablinum in den hinteren Bereich der Villa, wo ein großflächiger und prächtig inszenierterhortus die Altehrwürdigkeit und den Einfluss der einst so mächtigen Gens Tiberia zum Ausdruck brachte, während die bröckelnden Fassaden gleichzeitig einen Blick auf die Wirklichkeit darboten. Im Schlepptau folgte mir der schmächtige Notarius Carpinatius, der verstohlen nach links und rechts blickte, als wolle er wie ein gemeiner Straßengauner potentielles Diebesgut ausfindig machen - was mir natürlich verborgen blieb, spielte sich dies doch alles hinter mir ab. Hätte ich es gesehen, hätte ich ihn wohl tadelnd darauf hingewiesen, dass es hier nichts mehr zu holen gab - die Villa war wie ausgestorben und schon alleine das streitige Verhalten der Tochter des Tiberius Verus im Hinblick auf die Geltendmachung ihres Erbes ließ erahnen, wie schlecht es um die edle Patrizierbrut bestellt war. Eigentlich hatte ich nichts gegen Patrizier per se - mein jüngst arrangiertes Bündnis mit Flavius Gracchus war dafür sicher ein ausreichender Beleg - allerdings war von mir auch kein Mitgefühl und Bedauern zu erwarten. Falsche Entscheidungen führten zu oftmals bitteren Konsequenzen und ich fühlte im Angesicht der in der Villa Tiberia verbildlichten Niederlage Genugtuung, noch auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen. Inmitten des hortus bot sich mir dann eine weitere Illustration des Gegensatzes von Vergangenheit und Gegenwart: Zwischen Rosen, Sträuchern und sanierungsbedürftigen Innenwänden fand ich eine junge Frau vor, deren wohlerzogene Haltung sie eindeutig als Hausherrin entlarvte. Unter anderen Umständen wäre dieses beinahe groteske Bild geeignet gewesen, mich zu amüsieren und dies auch offen kund zu tun, doch ich wahrte, nicht aus Respekt oder Ehrfurcht gegenüber den Tiberiern, sondern vielmehr meines kaiserlichen Auftrags wegen, die höfische Maske des Anstands. "Tiberia Stella, Tochter des verdienten Trecenarius Tiberius Verus, es ist mir eine Ehre", begrüßte ich die Hausherrin in eben jener höfischen Manier und positionierte mich unmittelbar vor ihr und ihrer Bank. "Ich bin Cnaeus Fabius Torquatus, Procurator a memoria des Augustus." Ich schenkte ihr ein vertrauensvolles Lächeln und fixierte sie, um vielleicht schon jetzt einen Blick hinter ihre aristokratische Fassade zu erhaschen. Gleichwohl hatte ich mich darauf eingestellt, dass ich es nicht mit einer verzogenen Göre, sondern mit einer ernstzunehmenden jungen Dame zu tun hatte, die sich ihrer Ausstrahlung sicher bewusst war und darob mit Hartnäckigkeit und wohl auch mit einer gewissen Listigkeit bearbeitet werden musste.

    "So ist es", entgegnete ich dem Kaiser ebenfalls lächelnd auf die Nachfrage hin. Da der Jüngling noch immer und bis auf weiteres gemäß den Gepflogenheiten unter meiner Schirmherrschaft stand, war natürlich auch ich es, der das Wort ergriff - und sollte der Kaiser ihn nicht direkt ansprechen, würde dies auch bis auf weiteres für die folgende Vorstellung gelten. Ohne große Umschweife kam ich wie gewohnt auf das Thema der Zusammenkunft zu sprechen. "Wie dir vielleicht noch in Erinnerung ist...", begann ich, denn selbstverständlich war dies nicht. Der Kaiser war vielbeschäftigt und genau das war ja überhaupt die Daseinsberechtigung für mich als a memoria . "...ist der cursus honorum für ihn in meinen Augen der weitaus besser geeignete Weg, um der res publica zu dienen. Titus ist redegewandt..." - so er denn redete, fügte ich in Gedanken hinzu - "...und hat am Museion eine außergewöhnliche Bildung erfahren. Er hat zudem ein Talent für die Juristerei; zweifellos fehlt es ihm noch an politischem Instinkt, jedoch konnte ich Consular Flavius akquirieren, ihn im Rahmen eines tirocinium fori auch dahingehend vorzubereiten und zu unterrichten", erklärte ich ohne seine - auch altersbedingten - Schwächen zu verbergen. Ein Kandidat, der bereits alles konnte, war wohl eine Illusion und ohnehin lag mir meiner Überzeugung von der Sache wegen nichts daran, dem Kaiser vermeintliche Perfektion vorzugaukeln.

    Wie vom Princeps gewünscht, begleitete mich an einem anderen Morgen mein Sohn Titus Torquatus zur morgendlichen Besprechung. Nach dem positiven Gespräch mit Consular Flavius war ich guter Dinge, dass mein Erbe alsbald den cursus honorum beschreiten konnte. Gleichwohl musste dafür noch eine Hürde genommen werden, die unter normalen Umständen sicherlich beachtlich war, bei deren Beseitigung uns trotz unserer ritterlichen Tradition aber womöglich meine Nähe zum Kaiser sowie die potentielle Fürsprache meiner senatorischen Bekanntschaften unterstützend zur Seite standen. Obschon der Anlass also ein außergewöhnlicher und keine allmorgendliche Besprechung war, beließ ich es heute bei der gewohnten legeren Kleidung in Form einer blauen Tunika, da ich ausnahmsweise nicht mich selbst in den Vordergrund zu rücken beabsichtigte. Im Gegensatz zu sonst sollte mich der Kaiser zudem auch nicht schon liegend auf einer Kline vorfinden, sondern zusammen mit meinem Sohn stehend in Erwartung seiner Ankunft.

    Auch ich selbst war wohl nach Meinung der alteingesessenen Nobilität ein homo novus, sodass die bloße Begrifflichkeit für mich nicht negativ behaftet war. Dies zumindest, solange es um mein Emporkommen und nicht das von Fremden aus fernen Provinzen ging. "Sehr schön. Es war mutig, dass du heute den Weg zu mir gefunden hast und ich bin mir sicher, dass wir von dieser neuerlichen Bekanntschaft beiderseitig profitieren können, Furius", entgegnete ich ebenso ehrlich lächelnd. "Nun gut, dann bist du entlassen. Mein Büro steht dir von nun an immer offen", verabschiedete ich den jungen Primicerius und leerte anschließend zufrieden meinen Becher.

    Ein kaiserlicher Auftrag führte mich an einem milden Herbsttag zur Villa Tiberia, um die Beerdigung des Trecenarius Tiberius Verus zu erörtern. Natürlich hatte der Kaiser mir auch unmissverständlich deutlich gemacht, dass ich nicht nur als Organisator hier war, sondern vielmehr der renitenten Tochter auf den Zahn fühlen sollte. Allein die Schilderungen hatten ausgereicht um mir deutlich zu machen, dass ich das Mädchen nicht unterschätzen durfte. In der Audienz war es gar so weit gekommen, dass der Kaiser sie in die Schranken hatte weisen müssen. Zweifellos bedurfte es einer beträchtlichen Hartnäckigkeit, um den sonst stets besonnenen Aquilius Severus derart zu provozieren - und dafür hatte Tiberia Stella meinen Respekt. Deswegen lag es mir auch fern, sie auf ihr junges Alter zu reduzieren.


    Entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten ließ ich mich an diesem Tage nicht von Sänftenträgern durch die verwinkelten und stinkigen Gassen Roms chauffieren, sondern zeigte Volksnähe und bewegte mich zu Fuße zur Villa Tiberia. Ich wusste, dass die Villa dem Sklavenaufstand zum Opfer gefallen und in der Folge wiedererrichtet worden war. Genauso erinnerte ich mich an die glorreichen Tage der Gens unter der Führung des Senators Tiberius Durus. Allerdings wusste ich auch, dass der Einfluss der altehrwürdigen Familie mittlerweile beinahe lächerlich gering war und die junge Stelle somit auch keine gewichtigen Argumente - oder besser gesagt Fürsprecher - auf ihrer Seite hatte.


    An der Villa Tiberia angekommen, trat Carpinatius - ein schmächtiger Notarius, den ich für die Schreibarbeit rekrutiert hatte - an die Porta und kündigte die Delegation vom Palatin an. "Salve, Procurator a memoria Cnaeus Fabius Torquatus im Auftrag des Augustus, um Tiberia Stella zu sprechen", legte Carpinatius offen.

    Das Wort "Spezialauftrag" aus dem Munde des Kaisers ließen meine Augen heller leuchten, war es doch eine weitere Möglichkeit, mich in ein gutes Licht für die Nachfolgefrage in der Abteilung des a libellis zu rücken. Umso erfreulicher war, dass mich dieser in das Haus einer altehrwürdigen Gens führte, zu der ich bisher keinerlei Beziehungen pflegte. Die Schilderungen des Kaisers ließen erahnen, dass die junge Tiberia ein feuriges Wesen hatte und es sicher eine Herausforderung werden konnte, sie und ihre Absichten zu durchblicken. Dennoch entgegnete ich siegessicher: "Natürlich, ich kümmere mich um die Tiberia." Weitere Erklärungen waren für mich nicht nötig, sodass ich mich alsbald zur Tochter des verschiedenen Trecenarius begeben wollte.

    "Hm", grübelte ich und strich mir dabei über's Kinn. "Wir müssen diese provinziellen Bittsteller mit fraglichen Manieren nicht wichtiger machen, als sie sind. Aber behalte diesen Seius Ravilla und die Entwicklungen im Auge. Ich überlasse es dir, ob du weitere Schritte unternimmst", eröffnete ich dem Furier. Wenngleich der direkte Weg zum Kaiser unüblich war, war der Seius doch gänzlich unbedeutend. Allerdings war es sicher vernünftig, die weiteren Entwicklungen durch meinen neuen Spitzel beobachten zu lassen. "Ein guter Tropfen von Aenaria", entgegnete ich. "Sonst noch etwas?" Vielleicht hatte der Furier ja noch weitere Informationen oder Anliegen.

    Ich sank wieder in meinen Stuhl und umspielte mit den Fingern meinen Weinbecher, während der Furier mir über einen gewissen Seius Ravilla und dessen Audienz beim Kaiser berichtete. "Interessant", entgegnete ich zunächst nachdenklich. Ich hatte beobachtet, dass der Kaiser in letzter Zeit nicht nur häufiger zu persönlichen Treffen lud, sondern vor allem auch unbedeutende und in Rom gänzlich unbekannte Namen zu sich zitierte. Ob dies schon ein Zeichen war, dass der alte Axius seinen Dienst nicht mehr gehörig zu leisten im Stande war? Ich hoffte es. "Ein Seius also, der keine Freunde in der Stadt hat und in einer Taverna nächtigt", stellte ich mit abfälligem Ton fest. "Weißt du mehr über ihn? Was bei Iunos Titten macht einen Mann aus einer halbtoten Familie so interessant, dass der Augustus sich überhaupt mit ihm beschäftigt?" Erst dieser zwielichtige Tigellinus mit seinem östlichen Gehabe und nun ein Seius, der in einer Taverna hauste - irgendetwas lag hier doch in der Luft.

    "Nun gut", gab ich mich nach einem Moment der Stille zufrieden und sprang dann von meinem Sitz auf, um nach einem zweiten Weinbecher aus meiner Vitrine zu greifen und dem Furier ebenso einen Schluck Falerner zu servieren. Die bloße Behauptung von Loyalität war natürlich das eine, aber ich würde dem Knaben Möglichkeiten geben, sie auch unter Beweis zu stellen. "Ich habe gerne einen Überblick über die Arbeit der Kanzlei - deswegen würde ich mich freuen, über die Vorgänge in der Abteilung des ab epistulis etwas...genauer unterrichtet zu werden. Genauso über alles andere, was dir auf und um den Palatin auffällig erscheint. Aktivitäten, Gerüchte...et cetera. Im Gegenzug werde ich dafür sorgen, dass du aus der Vielzahl von biederen Aktensortierern positiv herausstichst", bot ich dem Furier, nun auf seiner Seite des Tisches stehend, an. Sodann blickte ich grinsend nach unten zu meinem sitzenden Gast und streckte ihm meinen Weinbecher zum Anstoßen entgegen. "Einverstanden?"

    Vom Mord an Iulius Caesoninus hatte ich natürlich gehört, maß ihm aber bisher keine besondere Bedeutung bei. Für mich war er zunächst nur ein Magistrat, der sich wohl Feinde im gemeinen Volk gemacht und darob von diesem aufgezerrt worden war. Dass mich mein Gespräch mit Consular Flavius wenige Tage später auf gewisse andere Bedrohungen aufmerksam machen würde, konnte ich an diesem Morgen nicht wissen. "Natürlich, mein Kaiser. Ich werde mich umhören und eine Sitzung zu dieser Thematik vorbereiten sowie dir rechtzeitig ankündigen", entgegnete ich. Wenn der Augustus nichts mehr zu ergänzen hatte, war diese morgentliche Besprechung beendet, sodass ich mich zurückzog und mich meiner neuerlichen Verantwortung widmete.

    Beim Namen Iulius Dives wurde ich hellhörig, zu dem ich bisherig noch keinerlei Beziehung pflegte, der sich aber in den letzten Jahren unzweifelhaft einen Namen in Rom gemacht hatte. "Interessant", stellte ich fest und nahm einen großen Schluck Falerner. "Auch ich bin einst aufgebrochen, ohne mich im Lichte eines Anverwandten baden zu können, wie es in Rom schon Tradition ist. Und sieh wo ich nun stehe", entgegnete ich zufrieden grinsend, ohne falsche Bescheidenheit zu zeigen. Zum ersten Mal wandte ich meinen Kopf nun vollständig zum jungen Furier, dessen harmonische Gesichtszüge zwar auf den ersten Blick etwas verletzlich wirkten, womöglich aber auch einen harten inneren Kern verbargen, den es zweifelsfrei bedurfte, um das steinige Pflaster Roms zu beschreiten. "Dies wäre aber ohne Unterstützer und Fürsprecher nicht möglich gewesen. Und so wie ich dereinst unterstützt wurde, bin ich jetzt ebenso bereit, jungen aufstrebenden Männern unter die Arme zu greifen. Loyalen Männern", betonte ich und blickte meinem Gegenüber dabei tief in die Augen. "Bist du loyal, Furius?", hinterfragte ich eindringlich, fest davon ausgehend, dass ihn nicht nur die reine Höflichkeit, sondern auch der Wunsch nach besonderer Förderung im Meer der zahllosen unsichtbaren Kanzleibeamten in mein Büro getrieben hatte.

    Als der flavische Senator mein metaphorisches Bild weiterzeichnete, kniff ich die Augen etwas angestrengter zusammen und verdeutlichte ihm mit einem Nicken beiläufig meine Zustimmung zur Gefahrenprävention, wurde aber noch hellhöriger, als sich sein Ärger - und dieser war unüberhörbar vorhanden - über die Christianer entlud. Salbungsvoll sprach der Consular über den pax deorum und die ernsthafte Bedrohung, die die Christianer für Volk und Imperator darstellten. "Die Christianer...eine gefährliche Brut, zweifelsohne", stimmte ich zunächst, wenngleich auch weniger emotional, in die Tirade mit ein. Der pax deorum war nämlich gewiss etwas, was mich weitaus weniger beschäftigte als den Consular. Der Flavier hatte sich als Pontifex den Göttern in besonderer Weise verpflichtet und entstammte zudem einer alten und traditionsreichen Blutlinie. Ich selbst dagegen war schon immer ein - gelinde gesagt - Skeptiker gewesen, was den Cultus anging. Ich hatte während meiner Zeit auf See und in Alexandria Männer, Frauen und Kinder krank werden, leiden und sterben gesehen, gleichsam hatte ich erlebt, wie Tagelöhner an einem Abend eine Insula erspielt hatten - allerdings hatte ich nie ernstlich einen Zusammenhang mit dem Fluch oder Segen der Götter herstellen können. Dies schon deshalb nicht, weil die Ägypter einen anderen Götterkult pflegten als wir und so auch die Christianer wiederum zu ihrem Gott beteten. Waren die Christianer nun verflucht und verdammt? Offensichtlich nicht, wenn sie noch die Kraft zu Sabotageakten und Anschlägen aufbringen konnten. Titus dagegen war schon immer götterfürchtig gewesen und sicher war dies einer der zahlreichen Gründe, warum wir uns so fremd waren. Nichtsdestotrotz war ich dazu in der Lage, die Sichtweise des Consulars zu teilen, wenn es dem gemeinsamen Zweck diente - denn ein gemeinsames Feindbild schweißte bekanntlich zusammen. "Nun, der Augustus steht den Christianern zweifellos äußerst kritisch gegenüber, denn wie könnte er einer Sekte seinen Wohlwohlen schenken, die ihn und unseren Staatskult offen ablehnt oder gar gewaltsam bekämpft", stellte ich zunächst fest. "Sicher misst er aber dieser Bedrohung nicht die gleiche Vehemenz bei wie du, Consular. Noch nicht", sprach ich vieldeutig und mit funkelnden Augen. "Gewiss könnte ich bewirken, dass die Verfolgung der Sekte etwas mehr in den Fokus seiner Bemühungen rückt. Du sprichst von Mordanschlägen - kann denn ein bestimmter Mordanschlag den Christianern zweifellos zugeordnet werden?", hinterfragte ich sodann, ohne mich skeptisch zu zeigen. Wenn dies nicht der Fall war, konnte man ihnen einen solchen auch genauso gut anhängen, um eine härtere Verfolgung zu rechtfertigen. Gleichwohl wollte ich ergründen, ob der flavische Groll genereller oder spezifischer Natur war.

    Ich hielt den Vorstoß des Kaisers für eine ausgezeichnete Idee, war dies doch gleichsam für mich eine Möglichkeit, mein persönliches Netzwerk auszubauen und mich sichtbarer zu machen. Im Kreise der Reichsten und Einflussreichsten fühlte ich mich immerhin am Wohlsten und als Organisator und Protokollant dieser Treffen war mir der Zugang zu allerlei Informationen gewährt. Meine Antwort gab ich trotz meiner innerlichen Ekstase etwas nüchterner zum Besten: "Hm, ich denke das ist eine hervorragende Möglichkeit, in das Staatsgebilde hineinzuhorchen und die Belange der Senatoren und Amtsträger für uns sichtbar zu machen. Darüber hinaus fühlt sich der ein oder andere sicher auch wertgeschätzt, wenn du ihn bei bestimmten Themen in Expertenrunden integrierst." Dass der Kaiser mir ordentliche Kontakte in den Senat bescheinigte, schmeichelte mir. Vielleicht war ich zuletzt im Hinblick auf meine Stellung doch zu kritisch gewesen. Mit Consular Purgitius hatte ich mit Sicherheit einen angesehenen Fürsprecher. Und vielleicht gesellte sich auch bald Consular Flavius als Verbindung hinzu, den ich als Lehrmeister meines Sohnes auserkoren hatte. "Selbstredend stehe ich dir als Organisator dieser Treffen zur Verfügung." Damit konnte ich dem alten Axier sicher eins auswischen. "Hast du bereits ein bestimmtes Thema im Blick, das eines solchen Zusammentreffens bedürfte? Oder soll ich mich selbst etwas bei den Amtsträgern und Senatoren umhören?"

    Dass der Furier von Aurelius Tigellinus, des Kaisers ehemaligen und nun geächteten Günstling ins Amt gehievt wurde, hätte ich vielleicht unter großer Anstrengung all meiner geistigen Kräfte erahnen können, kam mir jedoch - leicht benebelt durch die Wirkungen des Falerners und auch deswegen, weil ich den Aurelier ob seiner kaum bedeutenden Amtszeit schon wieder aus meinem Gedächtnis gestrichen hatte - nicht in den Sinn. Deswegen bemühte ich mich auch weiter mit Nachfragen, mir ein Bild des neuen Primicerius zu machen. "Hast du Familie oder Unterstützer hier in Rom? Leute, die man kennt?", erkundigte ich mich geradewegs. Von einem Furier aus Parthenope bei Neapolis erwartete ich dies nicht, ein unbeschriebenes Blatt war in diesem Fall für mich aber ohnehin zweckdienlicher.

    Der Störenfried entpuppte sich als Furier - und da ich keine Furier in nennenswerten Positionen kannte, war mein Interesse an seiner Person zunächst nicht geweckt. Gleichwohl winkte ich ihn doch näher in mein Officium herein und deutete auf den Besucherplatz gegenüber meines Tisches. Zum einen hatte er mit seiner achtungsvollen Begrüßung mein Ego gestreichelt und zum anderen hatte ich keinen Spitzel mehr in der Abteilung des ab epistulis, nachdem mir mein letzter Vertrauensmann abhanden gekommen war. Vielleicht war ja der Furier dafür geeignet, sodass sich dieses Kennenlernen beiderseitig lohnte. "Aha", bemerkte ich zunächst wenig beeindruckt. "Furius also? Erzähl mir mehr über dich. Seit wann bist du hier und woher kommst du?" Während ich den Primicerius im Augenwinkel argwöhnisch musterte, schenkte ich mir zur Gesprächsunterstützung einen Falerner nach.

    Ich nickte zufrieden. "Das lässt sich arrangieren." Obgleich ich viele Eigenschaften, die ich zu meinen Stärken zählte, bisher bei Titus vergeblich gesucht hatte, so war ich mir doch sicher, dass er auch ein Treffen mit dem Princeps bewältigen konnte. Ich war also guter Dinge, dass ich auch diese Angelegenheit in die richtige Bahnen gelenkt hatte. Nachdem das Thema Titus abgehakt war trug ich noch Einzelheiten zu den anderen Namen auf der Liste vor und schloss meinen morgentlichen Rapport wie immer mit der Rückfrage nach kaiserlichen Anliegen. "Gibt es von deiner Seite heute noch Themen, um die ich mich kümmern soll?"