Was für ein Tag! Es war nämlich keiner, wie jeder andere. Kein bloßes Spazieren durch die Gärten. Kein Treffen mit irgendwelchen Frauen, denen man rein aus Langeweile eine gewisse Freundschaft beteuert, um seine Zeit auszugestalten. Keine Anlässe auf denen sie sich besonders überfreundlich und interessiert die Reden irgendwelcher Politker anhören und brav nicken musste. Nicht, dass ihr diese Sachen nicht hin und wieder Spaß machten - je nach Laune versteht sich -, aber heute war ein besonderer Tag. Eine Hinrichtung! Lange hatte sie ein derartiges Schauspiel nicht mehr gesehen. Zuletzt war sie bei einigen Disziplinarmaßnahmen von Soldaten der Legio I dabei gewesen, als sie bei ihrem Cousin im Castellum in Mantua gelebt hatte. Aber das konnte man ja überhaupt nicht mit einer öffentlichen Hinrichtung vergleichen, hatten die Disziplinarmaßnahmen doch nie nur ansatzweise den Grad einer Dezimierung erreicht. Natürlich konnte man sich hier in Rom die Spiele ansehen, aber jene waren doch nun wirklich langweilig geworden. Keiner der feinen Senatoren hatte in der letzten Zeit besonderes ausrichten lassen, was über den gewöhnlichen Usus hinausging.
Auf dem Forum Boarium war es brechend voll, Lentidia war natürlich nicht die einzige Schaulustige. Vor allem der Pöbel war interessiert am Blut der Männer. Bei einer Hinrichtung konnten sie doch für ein paar Stunden ihre alltäglichen Lasten vergessen.
Die Aurelia trat ohne familiären Anhang, wie in letzter Zeit häufig - ihr wurde momentan einfach kein Riegel vor irgendetwas geschoben, alle waren beschäftigt, so konnte sie mehr oder minder tun und lassen was sie wollte -, und betrat daher mit ihrem den Umständen entsprechend aufgestocktem Sklavengefolge das Forum. Den drei kräftigeren Sklaven voran Alexandrinus und ganz nah bei ihr Mila. "Schau Mila, all diese Menschen wollen dabei sein, wie diese Verbrecher ihre Häupter verlieren. Ha!" meinte sie vergnügt zu ihrer Sklavin. Ihre Vorfreude auf dieses Ereignis war objektiv betrachtet als junge Frau hohen Standes ziemlich erschreckend und zeigte wieder einmal, dass sie völlig fern ab von der Realität stand. Für sie war dieses Spektakel reinste Belustigung, was es natürlich für viele auch höher gestellte Persönlichkeiten war, welche allerdings das ganze noch irgendwie reflektieren konnten und in einer distanzierten Betrachtungsweise bewerten konnten.
Während sie sich relativ am Rand des Geschehens, aber so, das sie noch alles sehen konnte, postierte, ihre Sklaven hatten ihr den nötigen Freiraum verschafft, welcher allerdings hinsichtlich des Spektakels kleiner ausfiel als bei einem gewöhnlichen Rundgang durch die Märkte der Stadt, ließ sie sich etwas Wein einschenken und erwartete freudig den Beginn des Spektakels. Dass der Magistrat der Bruder ihrer Freundin Lucia war und diese vermutlich auch hier sein würde, merkte sie beides nicht.
Während die Hinrichtung vorbereitet wurde und die Menge erwartungshungrig das ein oder andere Alltägliche murmelte, hörte sie ganz aus der Nähe ihren Namen.
"Aurelia!" verwundert sah sie in die Richtung, aus der sie gerufen wurde. Schließlich stand der noch unbekannte Mann mittleren Alters vor Alexandrinus und einem der anderen beiden Hünen, die heute für ihre Sicherheit sorgten. "Aurelia! Wie schön dich zu sehen! Erkennst du mich nicht?" fragte er schon fast skeptisch, immerhin wurde ihm der Weg in dominanter Weise versperrt. Irritiert überlegte Lentidia, wer das wohl sein konnte. "Wenn ich ehrlich bin, nein, verzeih mir." blockte sie den Mann ab und sah wieder in Richtung Carnifex. Allerdings ließ der Mann nicht locker. "Ich bin es! Darius Darma! Ich war ein Klient eures Vaters. Zuletzt haben wir uns an seinem letzten Geburtstag gesehen!" Auch jetzt fiel ihr nicht wirklich ein, wer das sein konnte, aber sie tat einfach mal so, als wüsste sie es. Ihr Vater hatte viele Klienten gehabt und sie wusste immerhin, dass diese oft bei ihnen auf irgendwelchen Feierlichkeiten waren. Außerdem schien sich der Beginn der Hinrichtung noch hinzuziehen. "Aber Darus, natürlich!" natürlich konnte sie sich wieder einmal den Namen des Mannes nicht merken. Dieser schien ihr das aber trotz seines irritierten Blickes nicht übel zu nehmen. Sie wies ihre Sklaven an, den Mann in ihre 'Schutzblase' zu lassen. "Ich danke dir.. und ich hatte schon gedacht, du würdest scherzen, mich nicht mehr zu kennen, hahaha!" begrüßte er die junge Frau, welche einfach mal mitspielte, "Aber Darus, wie könnte ich das vergessen! Wart ihr doch einer der liebsten Klienten meines Vaters.." Ah! Es ging los! Die Menge verstummte langsam und der Magistrat war kurz davor, das Spektakel zu eröffnen. "Jetzt geht es los!" bekundete die Aurelia freudig und klatschte zwei Mal mit den flachen Händen aufeinander, ihr Lächeln bestätigte dabei noch einmal, wie schräg ihre Haltung hier eigentlich war.
Während der Magistrat seine Reden schwang, hielt Darius eine Art Small-Talk mit Lentidia. Wie es so ging, wie das Leben in Rom denn sei, ob sie gut versorgt war. Sein sorgenvoller Ton war schon fast väterlich, er schien ihrem Vater wohl sehr nahe gestanden zu haben. Als der Tiberier letztendlich seine finalen Worte vor dem Akt der Hinrichtung sprach, verstummte der Mann neben Lentidia plötzlich. "Was erzählt dieser Mensch denn da!" platzte es schon fast aus ihm heraus, wobei er allerdings noch versuchte möglichst leise zu reden. "Jetzt benutzt dieser Schwachkopf von Magistrat schon eine gewöhnliche Hinrichtung als Anlass, anderen Senatoren und dabei vor allem den Consulen (!) ans.." Bein zu pissen, wollte er sagen, aber vor Lentidia hielt er sich mit diesen Kraftausdrücken zurück. Die Aurelia merkte überhaupt gar nicht, was Darius da erzählte, viel zu fasziniert war sie von den Peitschenhieben gewesen und dem Schwert, welches der Carnifex seit kurzem in der Hand hielt. Völlig fasziniert von der blanken Brutalität konnte sie ihre Augen nicht von der Szenerie ablassen. Darius hingegen lamentierte weiter "Der Kaiser ist tot und die Senatoren haben nichts weiter zu tun als gegeneinander zu hetzen? Das ist doch eine Farce! Haben sie nichts besseres zu tun, als sich selbstvergessen in der Vergangenheit zu suhlen anstatt die aktuelle Situation als Chance zu nutzen, gemeinsam die Gegenwart mitzugestalten? Er erdreistet sich öffentlich den Namen zweier Consuln in den Schmutz zu ziehen und ihnen den Krieg zu erklären, in dem er eine an den Haaren herbeigezogene und rein zufällige Ähnlichkeit zu den Namen dieser unbedeutenden und schändlichen Verbrecher plakatiert? Oh Götter.. steht uns bei. Das letzte was wir jetzt brauchen und wollen ist ein zerrütteter Senat.. was mag daraus folgen? Attentate? Morde? Ein neuer Bürgerkrieg? Was ist mit Rom? Haben etwa alle den Verstand verloren und vergessen, worum es hier eigentlich geht!?" Dabei gestikulierte er wild herum, was Lentidia allmählich anfing zu nerven. Am liebsten hätte er noch mehr auf die Patrizier geschimpft, aber das konnte er in ihrer Anwesenheit wohl kaum tun.
Zum Glück war jetzt der Moment gekommen, indem der erste seinen Kopf verlieren musste. Worüber Darius sich nicht mehr amüsieren konnte, war für die Aurelia die reinste Augenweide. Der Carnifex holte aus und schlug zu. Die Menge war still und wurde von einem fürchterlichen Schrei gebrochen, das Blut spritzte in alle Richtungen, das Schwert war wohl nicht scharf genug gewesen. Erschrocken hielt sich Lentidia die Hand vor den Mund, ihr dem Staunen geschuldeter o-förmiger Mund darunter wandelte sich nach nur wenigen Momenten in ein begeistertes Lächeln. Die Atmosphäre spitzte sich langsam zu, man konnte die Anspannung spüren. Nachdem die erste Hinrichtung vorbei war, setzte der Magistrat erneut an und rief erneut den Namen Duccianus aus, der zweite Mann, der heute seinen Tod finden sollte. Als der Name gefallen war, fing Darius wieder da an wo er aufgehört hatte und sprach das aus, was vermutlich viele Bürger Roms dachten. Da fiel Lentidia auf, dass Lucias Mann ja nun eben dieser Consul Duccius war, gegen den dieser Tiberier da hetzte! Sie war sich sicher, dass ihre Freundin hier war. Ihr eigener Bruder hetzte öffentlich gegen ihren Mann? Wie.. witzig war das denn? Das würde für einiges an Klatsch und Tratsch in den höheren Kreisen Roms sorgen, da war sie sich sicher! Sie würde ihre Freundin unbedingt in den nächsten Tagen besuchen müssen! Die Aurelia brannte nur darauf zu erfahren, welche Unstimmigkeiten es da zwischen Lucia und ihrem Bruder gab und inwiefern der Consul Duccius darin involviert war.
"Entschuldige mich, Aurelia." riss Darius die junge Frau aus ihren Gedanken. "Ich kann mir das nicht länger mit ansehen und vor allen nicht mehr mit anhören, was dieser Tiberius da von sich gibt. Wir können nur hoffen, dass sich die Wogen glätten und alle zur Vernunft kommen, ansonsten sehe ich schwarz für Roms Zukunft. Es freut mich dennoch dich getroffen zu haben Aurelia, grüße deine Mutter von mir. Vale!" mit diesen Worten verabschiedete sich und verschwand in der Menge. "Wie? Ach du musst schon gehen? Die Freude war ganz auf meiner Seite Dasus!" erwiderte sie aufgesetzt freundlich, aber eigentlich völlig desinteressiert. Sie brannte einfach zu sehr drauf zu sehen, wie das Spektakel weiterging..