Beiträge von Lucius Petronius Crispus

    Lucius staunte nicht schlecht - er kannte zwar weder Paxos, noch Epirus irgendetwas, aber der Status des Enkels eines Senators dafür umso mehr! Dass er nicht einmal einen Patron hatte, aber ein Tirocinium Fori bei einem anderen Senator an Land gezogen hatte, der offensichtlich nicht aus seiner Familie stammte, war dabei umso beeindruckender (zumindest wenn es so ähnlich funktionierte wie in Mogontiacum).
    "Duccius - äh - Vala?"
    fragte er dann ein bisschen verwirrt nach - natürlich kannte er den Mann, aber er mochte ihn nicht sonderlich. Weniger wegen seiner Persönlichkeit als wegen seiner Zugehörigkeit zu den verfluchten Ducciern. Das aber wiederum offen zu äußern war - wie er wusste - sehr unklug, denn andere Menschen schätzten Offenheit nicht. Also sagte er
    "Äh, ja - ich hab' sogar bei ihm gewohnt. Bin mit der mogontinischen Gesandtschaft hierher gekommen, die Duccius - äh - ein bisschen unterstützt hat."
    Er ging davon aus, dass ein Tiro Fori über seinen Herrn wusste, was es mit dieser Gesandtschaft auf sich gehabt hatte...

    Hm, das klang schon etwas zugeknöpfter - schade eigentlich. Aber gut, er hatte es versucht...
    "Hm, Schade."
    antwortete er deshalb. Wenn Lepidus ihm keines besorgen konnte, dann musste natürlich der Landstrich des Alten herhalten. Etwas unbedacht gab es deshalb offen zu:
    "Mein Vater hat Landbesitz in Germania. Dann muss er mir das Land eben überschreiben."
    So war es ja sowieso geplant gewesen!

    Das klang gut - das würde Lucius auf jeden Fall Gelegenheit geben, etwas freigiebiger mit seinem Geld umzugehen. Und auch die andere Sache klang eigentlich ganz nett - wie man hörte, war Grundbesitz ein ziemlich umkämpftes Gut, sodass es oft schwierig war, selbst mit dem nötigen Geld an eines zu kommen!
    "Naja. Meinst du, du könntest mir eines beschaffen und mir den Preis quasi - äh - auslegen?"
    fragte er deshalb ein wenig nebulös. Aber wenn man es genau nahm, dann hatte der Kaiser das Stück Land in Germanien ja auch seinem Vater geschenkt und nicht ihm - auch wenn die Besitzurkunde momentan in seiner Kiste verschlossen in seiner Wohnung stand.

    Puh - das hatte ja schonmal geklappt! Aber die nächste unangenehme Frage folgte natürlich sofort - was sollte man darauf wieder antworten. Wenn er "schlecht" sagte, würde es so wirken, als kämen die Petronier sowieso nicht dafür infrage, in den Verwaltungsdienst aufzusteigen. Andererseits würde er vielleicht ein wenig Extra-Geld herausschlagen...
    "Äh, prinzipiell gut."
    sagte er deshalb schließlich. Dann kam ihm eine Idee:
    "Allerdings hat mein Vater mir ein bisschen - äh - wenig Geld dagelassen..."
    Das war nicht unbedingt wahr - der Alte hatte ihm so viel Geld dagelassen, wie er noch nie in seinem Leben besessen hatte! Aber gut, er musste ja auch monatlich eine Miete zahlen und sein Essen und so weiter. Vor allem hatte er aber auch die Besitzurkunde für das Grundstück in Germania hinterlassen, das für die Aufnahme in den Ritterstand erforderlich war...
    Aber so würde die Familie einerseits gut dastehen, andererseits würde sein Patron Anlass haben, sich nützlich zu machen... - und dass der Alte dabei etwas schäbig aussah, konnte dem jungen Petronier ja nur recht sein!

    Alles andere hätte den jungen Petronier auch gewundert. Aber zum Glück musste er sich nicht weiter über den Überfluss des Patriziers unterhalten, denn der erinnerte ihn nur daran, dass er selbst in einer Insula am anderen Ende der Stadt wohnte und jeden Tag zu Fuß hierher marschieren musste, bevor auch nur die Sonne aufging.


    Da war es doch erfreulicher, über seine Zukunft zu sprechen - oder auch nicht. Denn der Tiberier sprach natürlich genau den Punkt an, den Lucius selbst auch schon als Schwachpunkt entdeckt hatte. Er klappte den Mund auf und zu - was sollte er sagen? Zugeben, dass er hier versagt hatte? Oder vielleicht doch die Wahrheit ein bisschen... zurechtbiegen?
    "Ich - äh - hab' etwas gesagt, ja."
    log er schließlich. Andererseits - was, wenn Lepidus sich informierte? Würde sein Patron dann nicht wütend werden? Er errötete leicht, ehe er sich entschied, seine Aussage ein wenig zu revidieren:
    "Also naja - äh - ich war aber nicht der einzige, viele von uns haben was gesagt auf der Audienz."
    Das würde erklären, dass der Kaiser sich vielleicht doch nicht erinnerte - ebensowenig wie alle anderen, die dabei gewesen waren. Denn immerhin waren dort zahlreiche Gesandtschaften gewesen und außer an den Alten, der viel gesagt hatte, und den Duccier, der wichtig genug war, würde man sich wahrscheinlicherweise kaum überhaupt an jemanden erinnern... ganz zu schweigen von Namen...

    Sperrig? Lucius fand das Thema geradezu entspannend - allerdings wusste er natürlich, dass das nicht jeder so sah. Unwillkürlich rieb er sich die Wange, wo er sich nicht nur eine Ohrfeige wegen seiner angeblich sinnlosen Zeitverschwendung eingefangen hatte...


    "Ich - äh..."
    antwortete er dann, ehe er inne hielt. Wer war der Mann vor ihm? Und was ging es ihn an, was er hier machte? Naja, er war ein Lehrer für Architektur und er fragte nach einer Beschäftigung - daraus war abzuleiten, dass er ihm wohl eine solche anbieten wollte. Falls diese Hypothese richtig war, war es dann auch logisch, dass er zuerst etwas mehr über ihn erfahren wollte...


    Das wiederum schmeichelte dem jungen Petronier aber - wenn er bedachte, wie seine bisherigen Lehrer ihn behandelt hatten. Die würden dumm aus der Wäsche gucken, wenn er hier in Rom einen Lehrauftrag bekam, während sie am äußersten Rande des Imperiums die Blagen irgendwelcher Lokalmatadoren unterrichten mussten! Also holte er gleich etwas weiter aus:
    "Ich bin Lucius Petronius Crispus, Mogontiacum, Germania Superior. Oder jetzt Roma. Ich will in den Ritterstand aufsteigen und bin ein Kleint des Lucius Tiberius Lepidus. Momentan habe ich keine feste Beschäftigung. Aber ich hab' mich schon viel mit Geometrie und so befasst - vor allem mit Euklids Elementen."
    Dass er das entsprechende Buch seinem Lehrer gestohlen hatte, verschwieg er aber lieber...

    Architektur - das klang ja tatsächlich ganz interessant! Zwar hasste Lucius alle Lehrer, die er bisher gehabt hatte, aber dass ein Architekt auch etwas von Geometrie verstehen musste, klang doch irgendwie logisch und Xanthippus hatte er ja auch immer gern zugehört, wenn dieser über Mathematik gesprochen hatte. Genaugenommen hatte der junge Petronier sogar schonmal darüber nachgedacht, sich mit Architektur zu befassen - gerade während ihrer Reise durch die römischen Coloniae mit ihren schön regelmäßigen Straßen und Plätzen.


    Logischerweise war es also sinnvoll, nett zu dem Kerl zu sein und etwas mehr über ihn zu erfahren - vielleicht war er eines Tages sein Lehrer?
    "Ich - äh - interessiere mich einfach so dafür. Privat quasi."
    sagte er deshalb etwas unsicher - die Frage hatte diese Option ja genaugenommen gar nicht freigestellt, was darauf schließen ließ, dass ein privates Interesse wohl ziemlich ungewöhnlich war.
    "Mein Lehrer hat uns das früher ein bisschen beigebracht."
    fügte er deshalb erklärend an. Glücklicherweise wusste er ja über das Geschimpfe von Caius, dass Geometrie eigentlich nicht zum klassischen Lehrkanon einer Elementarschule gehörte.

    Der junge Mann, der offensichtlich zu den wichtigeren Persönlichkeiten gehörte (denn wer trug sonst mitten im Alltag eine Toga?), schien sich gut auszukennen - aus dem Umstand, dass er um den Ort der Geometrie-Literatur wusste, ließ sich eigentlich nur eines ableiten: Er war der Bibliothekar oder selbst ein Liebhaber der Geometrie!
    "Ja, war noch nie da."
    antwortete er deshalb nicht unfreundlich, denn Leute, die ebenfalls Logik und Mathematik mochten, waren ihm sympathisch. Aber das war natürlich noch zu verifizieren:
    "Befasst du dich auch mit Geometrie?"

    Die Zeremonie war ebenso langweilig wie in Mogontiacum - viel sinnloses Getue, umständliche Formulierungen und fragwürdige Riten. Wenn Lucius ein Gott gewesen wäre, hätte er diesen Haufen wohl eher ausgelacht, als sich für dieses schwülstige Gebrabbel zu interessieren. Abgesehen davon leuchtete ihm noch immer nicht so recht ein, wieso die Götter eigentlich ausgerechnet die ungenießbaren Teile des Opfertiers mochten...


    Naja, immerhin lief alles glatt und so fiel auch der junge Petronier in den Applaus ein - zumal der Alte ihm einen mahnenden Blick gab. Als dann der Name des Kaisers skandiert wurde, war er zuerst ein bisschen verwirrt - war das üblich hier in Rom? Aber nachdem sein Vater auch mitbrüllte, fiel auch Lucius nach einigem Zögern mit ein - immerhin wollte er ja auch etwas von diesem Palma, da konnte man ihm auch ein bisschen Loyalität zeigen...
    "PALMA - PALMA - PALMA!"

    Nachdem der Alte endgültig weg war, konnte Lucius sich endlich dem zuwenden, was ihm wirklich Spaß machte - der Geometrie! Und wie er inzwischen erfahren hatte, gab es hier in Rom sogar eine richtige Institution für die Wissenschaft - auch für die Nicht-Pseudo-Wissenschaften wie Juristerei und Rhetorik! Da er außerdem sonst recht wenig zu tun hatte, beschloss er, einmal dort vorbeizusehen - so langsam wurden Euklids Elemente, die er damals von Xanthippus gestohlen hatte, ja auch langweilig...


    So stolperte er nach einigem Umsehen in den Lesesaal der Bibliothek. Mit großen Augen betrachtete er die Buchregale und bremste unwillkürlich den Schritt. Nach einigem Um-Sich-Blicken stellte er allerdings fest, dass er unmöglich selbstständig das Gesuchte finden würde. Also beschloss er schließlich, jemanden anzusprechen:
    "Wo finde ich denn hier Geometrie?"

    Nachdem der Tiberier nicht sofort antwortete, war Lucius gleich ein wenig verunsichert. Er hatte noch nie an einer Salutatio teilgenommen - zumindest nie auf dieser Seite - und hatte somit keine Ahnung, was zulässig war und was nicht. Also versuchte er es vorsichtig wie mit einem normalen Gespräch - eines von den langweiligen, die man führen musste, wenn der Alte hinsah...
    "Und - äh - selbst?"

    Während Lucius hatte warten müssen, war sein Hass auf die Klientenschar mehr und mehr gewachsen - im Gegensatz zu ihm würden die meisten hier sicherlich niemals auch nur auf irgendetwas wichtiges von ihrem Patron hoffen können! Und so war er schon ein kleines bisschen genervt, bis er zu dem ziemlich entspannt wirkenden Tiberier kam.


    Immerhin besaß er den Anstand, ihn nicht wie die anderen herumstehen zu lassen - was den jungen Petronier natürlich besonders auszeichnete! Also nahm er Platz und richtete umständlich die Falten seiner Toga.
    "Gut!"
    antwortete er dann auf die Frage seines Patrons - mehr mechanisch als überlegt, denn so hatte man es ihm eingetrichtert. Dass er in Wirklichkeit noch ziemlich müde war und außerdem bei der ganzen Warterei ein bisschen durstig geworden war, verschwieg er lieber - der Alte hatte ihm klar gemacht, dass wichtige Leute sich nicht wirklich für die Befindlichkeiten ihrer Gesprächspartner interessierten!

    Zitat

    Original von Sergia Fausta
    Aber ich war ja keine Göttin, sondern stand als Römerin hier auf dem Forum nur neben diesem Petronius. Der war zwar vielleicht ein kleines bisschen überdurchschnittlich schön, als Provinzler jedoch bestimmt nicht superreich und fiel damit sicherlich nicht in die Gesellschaft derer, von denen ich zuvor noch gedanklich gesprochen hatte: Den Schönen und Reichen. "Weißt du was? Vergiss es einfach.", meinte ich dann eingeschnappt mich von diesem Kerl abwendend. Er verstand mich ja eh nur nicht. Stattdessen tauchten da nun die Magistrate (meinen Verlobten sah ich allerdings noch nicht in dieser Menge) und kurz darauf auch der Kaiser höchst selbst auf. Ich erkannte: Anscheinend wurde es zur Mode, dass mann Bärte trug.. und dafür sogar auf sein Haupthaar verzichtete. Scheußlich, diese Entwicklung! Ich wollte schließelich einen römischen Kaiser auf dem römischen Thron und keinen griechischen Kaiser oder gar einen barbarischen! Nein, mit diesem Trend konnte ich mich nicht nur nicht anfreunden, ich stand ihm sogar ganz und gar ablehnend gegenüber![/FONT]


    Lucius wusste auch nicht so recht, warum die aufdringliche Dame jetzt so schlagartig das Interesse verloren hatte - wahrscheinlich hatte er wieder einmal gegen irgendeine Konvention verstoßen, die verbot zu sagen was man dachte. Theater - das war aber auch wirklich eine komische Metapher für die Welt... immerhin zeichnete sich Theater ja geradezu dadurch aus, dass es im Gegensatz zur Realität voller unlogischer Wendungen und überhaupt völlig fiktiv war! Außerdem intervenierte der Deus ex machina ja dort sprichwörtlich ständig - was das also mit der Wirklichkeit zu tun hatte, wo die Götter sich ja eben dadurch auszeichneten, dass sie eben nicht eingriffen und damit logisch auf ihre eigene Nichtexistenz schließen ließen, verstand er nun wirklich nicht...

    Sim-Off:

    Nicht persönlich nehmen - die ID ist darauf angelegt, ein bisschen vor den Kopf zu stoßen ;)


    Aber das musste er ja zum Glück auch nicht, denn die Schnepfe hatte sich schon umgewandt um nach den Magistraten zu gaffen, die soeben auftraten. Auch der junge Petronier ging deshalb wieder einen Schritt auf seinen Alten zu und reckte ebenfalls den Hals - immerhin hatte er noch nie in seinem Leben einen richtigen echten Consul gesehen! Und wenn er das so betrachtete, dann musste er doch neidlos feststellen, dass die Magistrate in Rom hier schon wirklich etwas anderes waren als ihr billiger Abklatsch in Mogontiacum: Die Reihen von Liktoren, die voluminösen Togae Praetextae, das Brimborium - und mittendrin auch noch der glatzköpfige Kaiser mit seinem ganzen Hofstaat, der Lucius schon auf dem Palatin beeindruckt hatte - das war schon etwas! Und da würde er eines Tages dazu gehören, ganz sicher!

    Vor ihm wurden einige andere Herren in Toga eingereiht, die sogar noch ein bisschen wohlhabender aussahen als Lucius in seinem nigelnagelneuen Exemplar. Und wie der junge Petronier mit großer Zufriedenheit feststellte, stand er trotzdem noch vor dem Großteil derjenigen, deren Togen eher nach Lumpen aussahen und die wohl zu derjenigen Klientelschaft zählten, die für die feinen Aristokraten nur schmückendes Beiwerk waren. Wieder eine Sache, die er für völlig irrational hielt - was nützten diese Schmarotzer, denen man ständig Geld oder Essen zusteckte, die aber noch nicht einmal wählen durften?

    Sim-Off:

    * Erinner!

    Zitat

    Original von Sergia Fausta
    [FONT=verdana]Oh man! Ehrlich jetzt?!? Ich musste mich echt zusammenreißen, um nicht gleich wieder herablassend zu fragen, ob dieser kleine Provinzling in seinem Leben überhaupt schon mal in einem Theater gewesen war. Ich atmete tief. "Naja, wie meine ich das? Die Götter sitzen, zum Beispiel auf dem Olymp, wie in der Kaiserloge eines Theaters. Und von da schauen sie uns dabei zu, wahrscheinlich belustigt, denn ich weiß, ich wäre belustigt, wie wir unseres lebenslanges Stück mal mehr und mal weniger elegant auf die Bühne bringen." So einfach war das. Das hieß, ich sollte vielleicht noch hinzufügen: "Das Ganze ist wie so eine Art Improvisationstheater." Denn es war ja allgemeinhin bekannt, dass selbst Götter keine Gedanken lesen konnten. Daraus folgte, dass auch sie keinen direkten Zugang zum Beispiel in meine Gedanken hatten. Und das wiederum hieß, dass sie mich nicht lenkten und leiteten (und keine Autoren oder ähnliches waren). Meine Gedanken würden es ja merken...


    Theater war für Lucius reine Zeitverschwendung. Zwar besaß Mogontiacum das größte Theater nördlich der Alpen und der junge Petronier war auch schon oft dorthin geschleppt worden - aber so richtig verstanden hatte er es nie. Höchstens das Gossentheater, bei dem eine "Schauspielerin" irgendein Stück aufführte, bei dem am Ende alle nackt waren - aber das war dann aus anderen Gründen interessant. Dass die Götter große Theaterfreunde waren, war ihm deshalb nie in den Sinn gekommen. Und es schien ihm auch relativ unlogisch - der junge Petronier interessierte sich nicht einmal wirklich für das Privatleben von Armin, und der war so etwas wie ein Freund! Noch viel langweiliger war aber der höhepunktlose Alltag irgendwelcher Fremder, die sich mit Irrationalitäten wie Liebe oder Religion herumärgerten! Ein Theaterstück, bei dem alle Menschen der Welt mitspielten, war dazu aber nicht nur langweilig, sondern auch unmöglich zu verfolgen! Und überhaupt, wie sollte man die gesamte Welt auf einer Bühne sehen? Da müssten die Götter ja hunderte Meilen in der Luft schweben, um die ganze Welt zu beobachten!
    "Klingt langweilig."
    antwortete er deshalb auf das verstohlene Flüstern der ketzerischen Präfektin.

    Erst als Fausta nachfragte, erkannte Lucius, was er da gesagt hatte - denn er wusste natürlich sehr gut, dass solche Ansichten absolut verboten waren. Viel zu oft hatte er sich schon vor seinem Vater verplappert und dafür Ohrfeigen oder schlimmeres kassiert. Erschrocken hielt er die Hand vor den Mund - aber da plapperte die Dame auch schon weiter.


    Was sie aber sagte, verwirrte den jungen Mann nur noch mehr - der Alte hatte ihm eingeschärft, dass es gefährlich war, solche Ansichten zu äußern - oder auch nur zu haben. Und nun gestand ihm eine wildfremde Frau im Staatsdienst mitten auf dem Forum Romanum, dass sie den ganzen Quatsch nicht glaubte - und das an einem Feiertag! Das war absolut unlogisch - war das vielleicht eine Falle? Wer wusste schon, ob es in Rom nicht sogar verboten war, solche blasphemischen Dinge zu äußern! Vielleicht war sie ja eine dieser Spitzel, die es hier angeblich überall gab! Dazu kam noch, dass er die Analogie nicht so richtig verstand - ein Theaterstück? Welche Rolle hatten dabei die Götter? Die der Schauspieler? Oder waren die Menschen die Schauspieler und die Götter die Autoren des Stücks? Das war wohl die logischste Analogie, aber wieso funkte man dann den Schauspielern dazwischen und nicht dem Autoren? Und selbst wenn, dann bedeutete diese Analogie ja doch, dass die Götter alles lenkten und wohl zum Guten wendeten. Das war aber etwas, was er so nicht bestätigen konnte - dass er einen brutalen, engstirnigen Vater hatte, wäre definitiv eine üble Laune der Götter! Oder wenn man an die vielen Menschen dachte, die starben oder sonstiges Leid erlebten? Nach einigem Überlegen blieb ihm schließlich nur eine rationale Reaktion:
    "Ich - äh... Wie meinst du das jetzt?"

    Tatsächlich zeigte Lucius keine Reaktion mehr - stattdessen wartete er irgendwie auf eine Eingebung, die ihm einen logischen Weg zeigen konnte, wie er die Schuld seines Vaters beweisen konnte. Wäre er abergläubisch gewesen, hätte er den abschließenden Ratschlag wohl auch für einen Wink der Götter gehalten, dass hier der sprach, der selbst im Tonhaus saß... Aber so musste er bei der Berührung an der Wange nur an zahlreiche andere Berührungen dort denken, die weitaus schmerzhafter gewesen waren. Ob seine Mutter auch zuerst eine Ohrfeige bekommen hatte? Die Ohrfeigen des Alten waren berüchtigt - zumindest in der Domus Petronia - gut möglich, dass seine Mutter, die ja nicht unbedingt ein Schwergewicht gewesen war, von ihrer Wucht gegen den Herd geschleudert worden war!


    Wie sich dies beweisen ließ, blieb dem jungen Petronier aber verborgen - und so stierte er weiter vor sich hin, schüttelte ferngesteuert Hände und murmelte
    "Vale - Vale - Vale"
    bis sämtliche Decurionen an ihm vorbeidefiliert waren. Als die Decurionen sich dann aufmachten, fixierte er wieder seinen Vater, als würde er sich durch irgendeine bestimmte Geste verraten. Zweimal trafen sich sogar ihre Blicke, als der Alte verstohlen zurückschaute - oder war es schuldbewusst? Vielleicht hatte er ja auch gerade im Moment an sein Verbrechen gedacht... - auch die Wahrscheinlichkeit hierfür natürlich ziemlich gegen Null ging...


    Als die Gesandten dann um die Ecke verschwunden waren, tippte Armin ihn an.
    "Wie sieht's aus, Lucius? Geh'n wir einen Saufen?"
    "Ne, keine Lust. Ich glaub', ich muss mich doch 'mal mit der Juristerei befassen..."
    gab er zurück. Sein Sklave sah ihn an, als wäre er verrückt geworden - Lucius hasste die Rechtswissenschaft für ihre Unpräzision und den unendlich großen Laberfaktor! Aber jetzt war sie wohl die einzige Möglichkeit, eine bewährte Strategie zu finden, wie er das Verbrechen seines Vater aufdecken konnte!


    Die Feierstimmung war jedenfalls ruiniert und am Ende des Tages musste Armin schließlich wieder einmal allein losziehen...

    Lucius konnte sich gar nicht erinnern, wann er zum letzten Mal in so guter Stimmung erwacht war wie heute - den vielleicht letzten Tag in seinem Leben, an dem er sich dem Alten unterordnen musste! Denn selbst für den Fall, dass er jemals wieder in dieses zugige Loch Mogontiacum zurückkehren würde - er würde es mindestens so lange hinauszögern, bis er ein Eques von angemessenem Rang war, sodass sein Vater gezwungen sein würde, zu ihm aufzublicken! Und bis dahin würde er tun und lassen können, was er wollte - ohne jemals wieder öffentliche Demütigungen, Ohrfeigen oder Strafen fürchten zu müssen! Endlich würde er wirklich sein eigener Herr sein!
    Zugegebenermaßen war er noch immer davon abhängig, dass der Alte ihn finanzierte - denn auf Handarbeit hatte er eigentlich keine Lust! Aber das Praktische war, dass der Karriereweg, den Crispus für ihn ausgewählt hatte, dies sowieso ausschloss! Und solange er nichts so gravierendes anstellte, dass die Kunde davon durch das halbe Imperium ging, würde der Alte zahlen - er wollte ja, dass sein Söhnchen es zu einem angesehenen Eques brachte, der dann richtig absahnte!


    Die logische Konsequenz war, dass dies der erste Tag seines richtigen Lebens sein würde, den er angemessen feiern würde - sobald die Gesandtschaft verschwunden war. Vorher musste aber noch ein Pflichtprogramm absolviert werden - Armin hatte ihm so lange erzählt, dass er ein bisschen Trauer heucheln musste, bis Lucius seinen Metallbecher nach ihm geworfen hatte. Also stand er jetzt parat - absurderweise an der Seite des von ihm verachteten Ducciers und des finanzstarken Acciers, der so doof war, eine Riesengesandtschaft für lau bei sich wohnen zu lassen.


    Als die Geschenke verteilt wurden, blickte er teilnahmslos geradeaus - als Vala seine Amphore bekam, musste er sich aber doch ein schadenfrohes Grinsen verkneifen. Er wusste natürlich, wo der Met herkam - und hielt es für absolut irrational, dass wirklich jemand die Mühe auf sich nahm, einen Honigwein durch das gesamte Imperium zu transportieren. Bienen gab es hier auch und der römische Honigwein namens Mulsum schmeckte doch wohl um Welten besser (zumindest in dem ungeübten Gaumen des jungen Petroniers). Es gab also überhaupt keinen Grund, den Wein aus Germanien hierher zu transportieren. Die logische Konsequenz war, dass der Händler seinen Vater aller Wahrscheinlichkeit angelogen hatte. Naja, sollte der Alte ruhig zahlen - nur schade, dass er das Geld diesem duccischen Aufsteiger in den Arsch schob, anstatt es für Lucius' Erbe zu sparen.


    Als sein Vater dann direkt vor ihm stand, wusste Lucius erst nicht so recht, was er tun sollte, um den traurigen Blick des Alten zumindest einigermaßen angemessen zu erwidern. Armin hatte vorgeschlagen, an etwas trauriges zu denken: Spontan kam ihm eine der zahlreichen Male in den Sinn, bei denen sein Vater ihn windelweich geprügelt hatte - aber das rief eher Hass und Trotz hervor als Trauer. Dann tauchte plötzlich der röchelnde Caius vor seinem inneren Auge auf - der Tod eines Menschen machte viele traurig, nicht aber den jungen Petronier! Dann endlich kam eine Erinnerung, die ihn wirklich traurig machte: Sie waren noch klein gewesen, Armin und er. Nackt hatten sie im Innenhof gespielt und sich Kränze aus Efeu gebastelt. Und dann hatten sie den Alten gesehen, mit seiner blutüberströmten Mutter im Arm. Der Moment war nur sehr kurz gewesen, dann hatte Gunda die Tür zugeschoben, aber das Bild hatte sich ihm unvergesslich eingeprägt und machte ihn wirklich - naja, traurig eben! Seitdem war nichts mehr wie zuvor gewesen - der Alte hatte sie noch weitaus mehr gequält als zuvor und niemand war mehr da gewesen, dem der Junge sich hätte anvertrauen können!


    Während er ein wenig steif von seinem Vater geherzt wurde, passierte all das noch einmal Revue, bis sich eine Vermutung die Bahn brach, mit der er so gar nicht gerechnet hatte: Was, wenn seine Mutter gar nicht gestürzt war, wie alle ihm immer erzählt hatten? Der Alte war ein Choleriker, das hatte er gewusst, bevor er das Wort "Choleriker" gekannt hatte - war es nicht möglich, dass man Mama den Schädel eingeschlagen hatte?
    Dieser Gedanke mischte nun doch ein wenig Zorn in die Trauer - er musste das herausfinden! Mechanisch ließ er sich das Sagum umlegen, das er wahrscheinlich bei der nächstbesten Gelegenheit in den Tiber werfen würde - was war ein wertloses Stück Stoff auch für ein Abschiedsgeschenk? Das hatte ja einen Gegenwert von... - wann sollte er denn dieses abgehalfterte Ding tragen? Auf den Partys der feinen Gesellschaft Roms? Oder im Militärlager zwischen den Purpurumhängen der anderen Offiziere? Er war doch kein Miles Gregarius, sondern würde Stabsoffizier werden!
    Diese Gedanken würden ihm aber erst später durch den Kopf gehen, denn jetzt war er ganz von seiner neuen Hypothese gefangen - hatte sein Vater seine Mutter umgebracht? Und wie ließ sich so ein Verbrechen nachweisen, mehr als zehn Jahre, nachdem es begangen worden war?
    "Vale."
    antwortete er abwesend. Er blickte in das Gesicht seines Vaters, das den verlogensten Ausdruck zeigte, den ein herzloser Drillmeister, wie er es wirklich war, überhaupt zeigen konnte. Und auch wieder nicht, denn dieser Gefühlsausdruck entlarvte ihn ja doch auch irgendwie als Schwächling! Hatte er - wie so oft - mit Mama gestritten und sich nicht argumentativ durchsetzen können? Hatte Lucius selbst vielleicht Glück gehabt, dass er nicht auch mit einer klaffenden Wunde am Schädel in den Armen seines Peinigers gestorben war?

    Natürlich ahnte Lucius nicht im geringsten, was Faustas Interesse an ihm geweckt hatte - genaugenommen war er eigentlich gar nicht davon ausgegangen, dass sie überhaupt Interesse an ihm hatte. Aber nun schien sie ihm mit aller Gewalt ein Gespräch aufdrängen zu wollen - leider wieder einmal mit den völlig falschen Mitteln. Denn wenn es etwas gab, was den jungen Petronier noch weniger interessierte als Religion, dann war das Mode! Dorso und Gannascus? Calavius Paulus? Diese Namen hatte er noch nie gehört (in Mogontiacum waren die Stars der stadtrömischen Modeszene ja sowieso kaum bekannt - wer importierte schon Togen?)!


    Und so wusste er überhaupt nicht, was er jetzt wieder sagen sollte - dass seine Toga ein No-Name-Produkt war? Dass ihm diese Namen nichts sagten? Nein, daraus würde die Schnepfe sicherlich ableiten, dass er genau der Bauerntrampel war, für den sie ihn hielt! Einen Moment überlegte er und bewegte lautlos die Lippen, dann sagte er
    "Die Toga is' von - äh"
    Leider hatte er überhaupt keine Ahnung, wie der Schuppen geheißen hatte, in den der Alte ihn geschleppt hatte. Es war jedenfalls auf den Mercati Traiani gewesen...
    "Caius - äh - Rufus!"
    kombinierte er schließlich wahllos die zwei ersten Namen, die ihm in den Sinn kamen (es waren zwei Klassenkameraden gewesen, von denen er einen bereits umgebracht hatte - eine Sache, die er auch für die hübsch Schlampe vor sich in Erwägung zog...).


    Als sie dann scheinbar ein bisschen verschwörerisch wurde und vom eigentlich Grund ihres Zusammenkommens sprach, ließ der junge Petronier sich schließlich zu einer gefährlich wahren Aussage hinreißen:
    "Und das will ich dir auch geraten haben - ich lass' mich von diesem Concordia-Quatsch nämlich nich' einlulln!"