Mithrenes
"Eine links, zwei rechts, einmal mitten durch, dann rauf, zwei fallen lassen und wieder unten durch...", säuselte Mithrenes das alt bekannte Stichmuster vor sich hin, dass er so viele Male von seinem damaligen Meister eingetrichtert bekam bis er es nicht mehr hören konnte. Immer und immer wieder. Und passte er nicht richtig auf, verwechselte einen Schritt oder zögerte er auch nur zu lange, dann: 'ZACK!' Setzte es was mit dem Stock - direkt auf die Finger. Wodurch die Weiterarbeit danach noch mehr schmerzte. Anfangs schrie der Knabe noch auf, wenn er wiedermal das Opfer einer solchen Attacke wurde, doch bedeutete dies bloß noch mehr Prügel. Weshalb er sich zwangsläufig schnell antrainierte nicht mehr aufgrund der Schmerzen aufzuschreien. "Eine links, zwei rechts, einmal mitten durch..." Auch wenn es noch nicht allzu lange her war, dass der junge Mithrenes diese Tortur erleiden musste, dachte er bereits ohne Greuel an seinen alten Lehrmeister zurück. "...rauf, zwei fallen lassen and back to the roots...", verfiel der griechische Junge vor lauter Träumerei wieder in seine Heimatsprache zurück. Beinahe könnte man sagen, dass diese monotone Abfolge von Stichen ihn auf irgendeine verzerrte Art und Weise belustigte. Ab und zu, erzählten sich die anderen Sklaven, solle man ihn sogar bei der Arbeit verstohlen kichern hören. Möglicherweise hatte diese Art der Ausbildung doch zu sehr an seinem Nervenkostüm gezehrt, als man auf den ersten Blick vermuten würde.
Plötzlich hörte er Stimmen aus dem Verkaufsraum, legte seine Arbeit zur Seite und stand auf. Er durchquerte seine Werkstatt und schob sich an dem schweren Vorhang vorbei, der den Verkaufsraum von der Werkstatt trennte und einigermaßen Blick- und Lichtdicht abschottete. Etwas zögerlich stand er da und bemerkte, wie sich gleich drei Gestalten innerhalb des Ladens breitmachten und eher beiläufig die Aulage zu beobachten schienen. Doch moment, da war noch jemand. Als sich einer der breitschultrigen Kolosse zur Seite bewegte, fiel Mithrenes Blick auf eine äußerst hübsche, braunhaarige Römerin, die hier wohl das Kommando haben musste, denn es erschien keiner der Anwesenden so hoheitlich wie, eben sie.
Mithrenes trat einige Schritte auf sie zu und sprach sie an.
"Salve Domina! Willkommen im bescheidenen Vestitor Romanus!", sagte er und machte einmal, in seiner zumeist übereifrigen Art, den Diener vor der werten Herrin. Kaum blickte er wieder auf, plauderte die zukünftige Braut auch gleich schon drauf los.
Mithrenes lauschte bedächtig ihren Worten und beobachtete sie dabei eingehend, während die Sergia ihr baldiges Brautkleid beschrieb. Dann winkte sie einen ihrer glorreichen Drei herbei, der die Arme voll mit perfekt weißen Stofflagen hatte. "Eine wahrhaft grandiose Arbeit.", lobte Mithrenes die Qualität des Stoffes, während er mit beiden Händen diesen befühlte und die Webkunst der hohen Dame sichtlich anerkannte. "Du möchtest also eine Tunica recta, die für ewig in Erinnerung bleibt? Hast du da bereits eine gewisse Vorstellung? Oder vielleicht so manches Detail, dass du unbedingt verarbeitet haben willst?", fragte er dann die Domina in seiner freundlichen Art, vielleicht hatte sie ja bereits eigene Ideen, die für sie genügend Stil besaßen und so überzeugen konnten.
SKLAVE - CAIUS DECIMUS DEXTER