Arsinoe betrat Lucias Zimmer leise wie immer und konnte dadurch noch beobachten, wie ihre Herrin einen Brief wutentbrannt in die Ecke pfefferte. „Verdammte Axt!“, fluchte Lucia und stampfte frustriert auf. „Warum bei Hades Arsch denken alle sie müssten mir die Einzelheiten ersparen!?“ Sie warf ihre Hände in die Luft und gab ein entnervtes Geräusch von sich, da am besten mit „Wraaarg!“ beschrieben werden kann. „Diese miesen Sklaven zünden unsere Villa an, enthaupten irgendwen, machen sonst irgendwelche unaussprechlichen Dinge und kein Schwein verrät mir was genau passiert ist!“, knurrte sie in Richtung einer extrem bleichen Sekunda, die aber noch tapfer aufrecht auf ihrem Stuhl saß. „Was glauben die denn, wie ich hier reagieren soll?“, fuhr sie fort und sprach übertrieben dämlich betonend. „Oh, dann ist das wohl so. Ich werde mich dann weiter meinen Stickereien widmen und abwarten, ob“ Ab hier wurde ihr Ton wieder aggressiv. „irgendjemand die verdammte Güte hat mir mehr von dem Untergang meines einzigen Zuhause zu erzählen!“ Ohne ein passendes Ziel für ihre Wut stapfte Lucia in ihrem Zimmer auf und ab, wie ein ausgehungerter Löwe im viel zu kleinen Käfig. Sekunda schien etwas sagen zu wollen, schloss den Mund dann jedoch wieder und schüttelte traurig den Kopf. Wie Arsinoe bangte die alte Sklavin um ihre Freunde in der Villa, doch natürlich hatte keiner die Güte die Hausklaven in nur einem Wort zu erwähnen. Im Gegensatz zu ihrer Herrin konnten sie deshalb aber nicht so einen Aufstand machen.
„Vielleicht kann der Gast, der eben angekommen ist Licht ins Dunkle bringen“, schaltete sich Arsinoe ein. Lucia fuhr zu ihr herum und schnappte: „Was!? Arsinoe lächelte tapfer und sprach: „Eben ist ein gewissen Tiberius Merula angekommen. Er wünscht dich… weiter kam sie nicht. „Tiberius Merula?“, unterbrach Lucia und Arsinoe nickte nur. „Warum sagst du das nicht früher?! Bei den Göttern, er wird mehr wissen! Steht nicht so dumm herum! So kann ich ihm nicht unter die Augen treten!“ Lucia ließ sich unelegant auf ihren Hocker plumpsen und wedelte ungeduldig mit den Händen. „Arsinoe Haare, nichts außergewöhnliches, aber so können sie nicht bleiben! Sekunda… nein, bleib wo du bist und überwach was die Gänse hier tun. Flora, Gesicht. Mach dass ich nicht ganz so abgespannt aussehe, das reicht, aber beeil dich! Ich brauch noch ein Schultertuch und ordentliche Schuhe. Holt mir meine Perlen und bei Bachus gebt mir etwas zu trinken! Hop, hop, hop!“ Alle Sklaven die sich bis dato scheu im Hintergrund gehalten hatten stoben auseinander, nur um kurz darauf Lucia wie die Bienen ihre Königin zu umschwärmen.
In Rekordzeit war Lucia fertig. Ihre Haare waren zu einem schlichten Kranz geflochten, ihr Gesicht wirkte einigermaßen frisch und nicht, als ob sie sich seit zwei Tagen nur aufregte und kaum schlief. Doch wer genau hinsah konnte erkennen, wie abgespannt sie war. Sie trug ihre Perlenohrringe und die dazu passende Kette und hatte ein extravagantes Schultertuch zu ihrer eher schlichten Tunika umgelegt. Nie und nimmer hätte irgendjemand, der Lucia kannte erwartet, dass sie sich so schnell für einen Gast bereit machen konnte. Aber eigentlich war der Mann ja Familie, auch wenn Lucia dem Namen nicht wirklich ein Gesicht zuordnen konnte. Sie wusste, sie hatte einen Merula schon einmal getroffen, mehr jedoch nicht. Egal. Er war ein Verwandter, also konnte sie ihm schlichter gegenübertreten… vor allem unter diesen Umständen.
Lucia eilte die Treppe hinunter, was man sicher im Atrium hören konnte, und bremste erst kurz bevor man sie sehen konnte etwas ab, um ihrem Verwandten in zumindest beinahe angemessener Geschwindigkeit gegenüber zu treten. Mit zum Willkommen ausgebreiteten Armen ging sie auf ihren Verwandten zu und sprach dabei: „Merula! Was für eine Überraschung, aber der Zeitpunkt deines Besuches hätte nicht besser gewählt werden können!“ Sie hatte sichtlich Mühe die Regeln des Anstandes zu wahren, wollte es doch schier aus ihr herausplatzen was denn nun genau in Rom passiert war. Doch sie hielt sich zurück, noch… „Ich sehe, du bist schon mit Wein versorgt worden. Sehr schön. Lass uns ins Triclinium gehen, dort lässt es sich bequemer reden.“ Sie winkte einem Sklaven. „Bring Speisen und mehr Getränke.“ Ihre Nerven brauchten eindeutig etwas Stärkeres als verdünnten Wein.