Beiträge von Angus

    Es wäre ratsam gewesen, sich auszuruhen. Der sich zu Ende neigende Tag war lang und hart gewesen und der morgige würde um keinen Deut besser werden. Doch ich fürchtete den Schlaf. Wenn er kam, sich leise anschlich und dann den Träumen Nährboden gab, um zu wachsen, fand ich mich immer an dem gleichen schrecklichen Ort wieder. Dort wo alles geendet hatte. Nacht für Nacht durchlitt ich denselben Traum. Die immer wiederkehrende Abfolge von Bildern. Bilder, die sich tief in mein Gedächtnis gebrannt hatten und die ich wohl nie wieder los werden würde. Anfangs hatte ich es mit Wein versucht. Mit viel Wein, um mich zu betäuben. Doch schon bald musste ich feststellen, dass dies auch keine Lösung meiner Probleme war.
    Meine äußeren Wunden waren inzwischen alle verheilt , nur die in meinem Innern wollte nicht heilen. Eigentlich hatte ich keinen Sinn mehr in meinem Dasein gesehen. Es gab nichts mehr, wofür es sich lohnte, zu leben. Tagtäglich zu kämpfen, um die Aussicht, eines Tages wieder frei sein zu können. Nein, mein Schicksal war besiegelt, so glaubte ich fest. Nichts würde sich jemals wieder zum Guten wenden.


    Was also tun, um den Schlaf noch ein wenig hinauszuzögern? Von je her war ich ein Kind der Natur gewesen, das nur ungern in seinen vier Wänden eingesperrt blieb. Immer schon hatte es mich hinaus gezogen, zu den Wäldern meiner Heimat und dem Fluss, dessen Wasser durch das Moor ganz bräunlich gefärbt war. Das hatte ich am meisten vermisst. Doch das Geschehene wog schwerer als das Verlorene. Darum sah ich in dem Garten der Flavier einen kleinen Ersatz für jenes was in unerreichbare Ferne gerückt war.


    Meistens nach Sonnenuntergang schlich ich mich hinaus und genoss die Ruhe und die Einsamkeit. Dann schritt ich zwischen den Bäumen umher und atmete tief ein und aus. Gelegentlich legte ich mich auch ins Gras, um zu den Sternen hinauf zu blicken.
    Zu so später Stunde war ich immer ungestört. Kein Römer verirrte sich hierher. Dachte ich zumindest! An diesem Abend joch wurde ich eines Besseren belehrt.


    Gedankenverloren schlenderte ich umher, nichtsahnend dass nur wenige passus von mir entfernt es sich jemand gemütlich gemacht hatte und den Abend an der frischen Luft ausklingen lassen wollte. Ich streifte weiter an den Zweigen eines Busches vorbei, was zwangsläufig zu einem Rascheln führte. Dann aber hatte sich meine Tunika in einem Dorn jenes Busches verfangen. Da ich nicht riskieren wollte, den Stoff zu zerreißen, ging ich behutsam vor und übersah so die kleine Sitzgruppe, die leicht schräg von mir stand und die zu dieser ungewohnter Stunde besetzt war.

    Nachdem ich zu Ende gelesen hatte, rollte ich den Brief vorsichtig wieder zusammen. Dann sah ich zu dem Flavier hinüber. Er hatte doch tatsächlich ein Lächeln aufbringen können. Eine Tatsache, die recht selten geworden war. Der Brief seines Freundes hatte ihn zumindest zeitweise aus seinem Loch geholt und lockerte nun seine getrübte Stimmung etwas auf.
    Gleich darauf begann er eine Antwort zu verfassen. Zwar hatte ich keinen blassen Schimmer, was er schrieb, doch konnte ich es mir halbwegs zusammenreimen. Natürlich würde er sich um die Kleine kümmern, die hoffentlich nicht wirklich so hässlich war, wie man zunächst an Hand des Briefes vermuten konnte. Vielleicht half ihm das dann auch, über diese andere Frau hinwegzukommen.
    Scato, du Glücklicher! Für dich hält das Leben noch so Manches bereit, dachte ich bei mir. Nein, ich war nicht neidisch! Wieso hätte ich neidisch sein sollen? Ich kannte das Mädchen ja noch gar nicht. Am Ende war sie schlimmer, als die Pest!
    Den Brief zu schreiben, ging dem Flavier recht fix von der Hand. Er rollte den Papyrus zusammen und streckte mir die Rolle entgegen. Ich nahm sie und sagte brav: „Ja, Dominus“. Dann verschwand ich mit eiligen Schritten. Vielleicht ging der Brief ja heute noch raus...

    Inzwischen war einige Zeit vergangen. Ich hatte es zumindest wieder in Scatos Cubiculum zurück geschafft. Auch mein Äußeres sah nun wieder gepflegt aus, wenn man einmal von meiner leicht wild anmutenden Haarmähne absah, die Scato scheinbar so zu gefallen schien. In mir drinnen aber herrschte noch immer die gleiche Verlorenheit, die mich zu Morrigan getrieben hatte, um ihr zu sagen, dass es keine Zukunft mehr gab für uns. Niemand hier in der Villa wusste davon, wie ich mich fühlte. Denn darüber sprach ich nicht. Wahrscheinlich interessierte es auch niemand. Also behielt ich es für mich und daher nagte es an mir und würde mich eines Tages von Inneren heraus ganz aufgefressen haben.


    Bevor ich in Scatos Cubiculum eingetreten war, hatte ich, wie üblich, seine Post abgeholt. Dabei war mir gleich eine Schriftrolle aufgefallen, die schon eine längere Reise hinter sich haben musste. Allerdings dachte ich mir nichts dabei und legte sie, inzwischen im Cubiculum angekommen, dann mit der anderen Post auf Scatos Tisch ab. Danach tat ich das, was ich immer tat – dumm in der Ecke herumstehen, bis ich wieder gebraucht wurde. Immer, wenn ich dort stand begannen meine Gedanken wieder um das Erlebte zu kreisen und auch das, was ich erst kürzlich bei meinem Besuch bei Morrigan erlebt hatte. Aber ich sann auch über den Flavier nach. Eines war mir nämlich an Scato in der letzten Zeit aufgefallen. Er war nicht mehr wie sonst. Irgendetwas beschäftigte, nein bedrückte ihn. Er verließ sogar kaum noch das Haus und mied das Zusammentreffen mit anderen Leuten. Anfangs dachte ich noch, es läge an mir und meiner Unfähigkeit, ihn zu beschützen. Für ein zartes Gemüt wie ihn war das doch schon eine ziemlich harte Sache gewesen. Entführt und mit dem Tode bedroht zu werden. Das steckte nicht jeder so leicht weg. Und schon gar nicht, wenn der eigene Leibwächter einem dann auch noch im Stich ließ, weil er was Besseres zu tun hatte. Allerdings konnte es auch an dieser Frau liegen, die er sich vor der Nase hatte wegschnappen lassen. Aber dass er es so schwer nahm, hätte ich nicht geglaubt.


    Ich registrierte ihn erst wieder, als er nach der Schriftrolle gegriffen hatte, die mir zuvor schon aufgefallen war. Offenbar löste sie bei ihm so etwas wie Freude aus. Und ehe ich mich versah, hielt er sie mir vor die Nase und verlangte von mir, den Brief laut und deutlich vorzulesen.
    Auch das noch, dachte ich. Inzwischen klappte es ja ganz gut mit dem Vorlesen. Jedenfalls wenn die Schrift nicht zu krakelig war und keine schwierigen Wörter oder Namen meine Zeilen kreuzten.
    Ich nahm also die Rolle, brach das Siegel und öffnete die Rolle. Nach einem kurzen Räusperer konnte es los gehen:
    „Manius Claudius.Maecenas“ Wer war das denn? Musste man den kennen? „Villa rustica Claudiana Eleusis Achaia Ad Caius Flavius Scato Villa Flavia Felix Roma Italia Salve Caius, mein geschätzter Freund!” ,las ich ohne Punkt und Komma weiter. Aha, ein Freund also! Aus Achaia, wo immer das auch liegen mochte. Kurz sah ich zu ihm auf, um seine Reaktion zu sehen. Dann las ich weiter.
    „Wie lange ist es her, seit wir zuletzt voneinander gehört haben? Ich für meinen Teil denke gerne an die schöne Zeit unserer gemeinsamen Studien in Athen zurück. Im Nachhinein übertreibe ich sicherlich nicht, wenn ich behaupte, diese Zeit war die schönste, in meinem bisherigen Leben. Tagsüber widmeten wir uns den Schriften der Philosophen und abends und abends dem Wein, Weib und Gesang.“ Sieh an sieh an! Weib Wein und Gesang! So hatte ich ihn gar nicht eingeschätzt.
    Nun begann ich doch etwas langsamer und vor allen Dingen betonter zu lesen. Schließlich war das ja scheinbar doch ein ganz „netter“ und vor allen Dingen ein interessanter Brief, der dieser Maecenas geschrieben hatte.
    „Letztendlich aber müssen wir in die Zukunft schauen. Wie mir zu Ohren gekommen ist, hast du bereits erfolgreich begonnen, den Cursus Honorum zu beschreiten. Ich indes werde aber wohl meine Karrierepläne in Rom vorerst hinten anstellen müssen. Unglücklicherweise haben die Götter meinen Vater vor einigen Monaten ganz unerwartet zu sich genommen. Auf einen Schlag war es vorbei, mit dem süßen Lotterleben. Seitdem lastet nun die Aufgabe auf meinen Schultern, mich um unsere Ländereien und unser Anwesen in Athen zu kümmern.“ Oha, es war jemand gestorben. Mein Beileid! Nun, wie ich diesen Maecenas so einschätzte, war er all die Jahre vorrangig mal „Sohn“ gewesen. Und jetzt, da Papi tot war, ging ihm der Arsch auf Grundeis. Willkommen im Leben, konnte ich ihm da nur zurufen!
    „Dennoch gibt es auch Gutes zu berichten. Stell dir vor, in wenigen Monaten schon werde ich endlich in den Hafen der Ehe einlaufen! Meine Zukünftige, Sempronia, entstammt einem traditionsbewussten Zweig der Gens, die sich bereits vor zwei Generationen in Athen niedergelassen hat. Ihre Mutter ist…. oh, das "ist" ist durchgestrichen! …war um drei oder vier Ecken mit dem verblichenen Prinzeps verwandt! Mit ihr habe ich einen wahren Glücksgriff gemacht. Erinnerst du dich noch an die üppige Statue der Aphrodite im Park nahe der Agora? Dann kannst du dir auch ungefähr das Aussehen meiner Braut vorstellen. Noch vor der Olivenernte wollen wir uns das Jawort geben. Wie du siehst bin ich schon voll in meiner neuen Rolle als „Bauer“ aufgegangen.“ Soso, eine Frau hatte er auch schon, naja fast. Die Umschreibung ihrer Kurven trieb mir dann doch ein Grinsen ins Gesicht. Ich kannte zwar diese Statue nicht, konnte mir aber lebhaft vorstellen, wie sie ausschaute.
    „Wie steht es mit dir, guter Freund? Bist du schon in festen Händen? Einem so ansehnlichen jungen Mann, der mit deinen Qualitäten ausstaffiert ist, laufen die Frauen Roms sicherlich scharenweise hinterher.“ Ja sicher! Schön wär´s.
    „Für meine Schwester wird es nun auch langsam Zeit, sich zu binden. Auf dem Totenbett meines Vaters habe ich versprochen, einen geeigneten Gatten aus einem traditionsgebunden und standesgemäßen Haus für sie zu finden.“ Aha, eine Schwester gab es also auch noch!
    „Du erinnerst dich doch sicher noch an meine Schwester Agrippina? Jenes kleine nervige Gör, das uns ständig beim Lernen störte und dich jedes Mal angehimmelt hat, wenn du uns besucht hast. Inzwischen ist aus dem hässlichen… also äh, das war jetzt auch durchgestrichen… das "hässlich" meine ich. ….Entlein ein schöner prächtiger Schwan geworden. Süße sechzehn ist sie nun, also in einem perfekten Alter, endlich vermählt zu werden. Unsere Stiefmutter, der es selbst all die Jahre verwehrt geblieben ist, eigene Kinder zu gebären, war und ist uns eine aufopferungsvolle Mutter. Unter ihren Fittichen hat sich Agrippina zu einer gebildeten, tugendhaften und sittsamen Frau entwickelt. Du würdest sie kaum wiedererkennen.“ Wie hieß die kleine Kröte? Agrippina? Das klang wie eine gefährliche ansteckende Krankheit Auf jeden Fall wollte er sie an den Mann bringen, das war klar.
    „In Kürze schon werde ich sie, in Begleitung eines Klienten meines Vaters, zu unseren Verwandten nach Rom senden. Leider kann ich sie nicht selbst begleiten, da mir die Arbeit hier über den Kopf wächst. Solange ich keinen fähigen Verwalter für die Latifundien gefunden habe, wird sich daran so schnell auch nichts ändern. Maevius Tullinus, eben jener Klient, wird sich in meinem Auftrag nach einer guten Partie für sie umsehen und mich auf dem Laufenden halten.“ Ach du liebes bisschen, uns blieb auch nichts erspart!
    „Da sie in Rom niemanden kennt und ihr selbst die dortigen Familienmitglieder fremd sind, möchte ich dich bitten, hin und wieder ein Auge auf sie zu haben. In einer Zeit, da die Rechte unseres Standes immer weiter beschnitten werden, müssen wir Patrizier zusammenstehen und uns gegenseitig unterstützen. Außerdem wird sich Agrippina wahnsinnig freuen, dich wiederzusehen. Sie ist eh schon ganz aus dem Häuschen, endlich nach Rom reisen zu dürfen. Nun, du weißt ja, wie Frauen so sind...“ Aber es sollte noch schlimmer kommen, wie es schien. Wetten, zum Schluss konnte ich mich noch mit der kleinen Kröte herumärgern! Sechzehnjährige waren nicht zu unterschätzen! Erst recht nicht wenn sie römische Patrizierinnen waren.
    „In diesem Sinne würde ich mich freuen, bald von dir zu hören. Vielleicht schaffe ich es auch irgendwann einmal nach Rom. Dann können wir gemeinsam in den Erinnerungen guter alter Zeiten schwelgen. Mögen die Unsterblichen dich stets begleiten! Herzlichst Manius Claudius Maecenas.“ Wenn das keine Neuigkeiten waren!

    Ich wollte gerade gehen, da spürte ich plötzlich ihre Hand auf meiner Schulter, die mich zurückhalten wollte. Noch einmal wandte ich mich zu Morrigan um. Warum tat sie das nur? Um meine Qualen noch unnötig zu verlängern? Doch dann sagte sie etwas, was mich dann doch stutzig machte. Hatte ich dieses kleine Detail vorhin überhört? Weil ich in meiner eigenen Trauer schier ertrunken wäre?
    „Was? Was sagst du da? Was meinst du damit? Wieso würdest du sonst schon unter den Toten weilen? Was ist passiert, Morrigan?“ Das waren verdammt viele Fragen auf einen Schlag. Aber im Augenblick verstand ich gar nichts mehr. Außer dass sie durch irgendetwas oder irgendwen bedroht worden war. Der „alte“ Angus, der noch irgendwo tief in mir zu schlummern schien, erwachte kurzzeitig, um „seine“ Morrigan zu beschützen.
    Die Worte, die sie dann sagte, trugen nicht wirklich zur Aufklärung bei. Doch eins war jetzt ganz gewisst: Irgendetwas Schreckliches musste seit meinem letzten Besuch hier geschehen sein. Meine Hände begannen sich zu Fäusten zu ballen. „Bist du überfallen worden? Oder hat dich einer deiner „Kunden“ bedroht? Sag mir seinen Namen und ich schlag ihn zu Brei!“ Oder hatte es damit zu tun, dass sie ja eine entflohene Sklavin war? Doch dass schloss ich einfach aus, denn dann wäre sie mit Sicherheit nicht mehr hier, geschweige denn noch am Leben.
    Nein, ich konnte jetzt nicht gehen. Noch nicht! Sanft schob ich sie zurück in das Zimmer und schloss die Tür. Ich nahm sie wieder behutsam in meine Arme. „Bitte, erzähl mir, was passiert ist?“

    Sie plötzlich doch wieder so nah bei mir zu haben, gefiel mir. Es war wie das vertraute Gefühl, das ich einst hatte, wenn ich auf dem Weg zu ihr war. Damals, als man mir noch Freigänge zugestanden hatte oder ich mir noch Freiheiten herausnehmen konnte, ohne dafür gleich bestraft zu werden. Das gleiche Gefühl, wenn ich dann bei ihr war, sie umarmte und liebkoste, den Duft ihres Haares einsog und mit ihr gemeinsam Zukunftspläne machte. Für einen winzigen Augenblick war jenes Gefühl wieder präsent. Doch unglücklicherweise hatte ich es nicht festhalten können, denn es zerplatzte, wie eine Seifenblase.


    Morigans Tränen begannen langsam zu versiegen. Endlich schaffte sie es wieder, sich zu artikulieren ohne von ihrer Trauer überwältigt zu werden. Wieder sah ich in diese tiefen schwarzen Augen, in die ich mich vor langer Zeit schon verliebt hatte und in denen ich am liebsten ertrunken wäre. Noch immer waren sie so voller Kummer. Kummer, den zweifellos ich verursacht hatte. Ich hatte ja keine Ahnung, was in der Zwischenzeit geschehen war. Dass die Claudier sie entdeckt und gefoltert hatten. Es lag wohl an meinem Tunnelblick, nur mein eigenes Leiden zu sehen. Was war ich doch für ein Narr!


    Ihre Stimme klang belegt, was angesichts der Tränen, die sie vergossen hatte, nichts Ungewöhnliches war. Doch was sie dann sagte, schien mir den Boden unter den Füßen wegzureißen. „Aber…“ Mir fehlten die Worte! Wie konnte sie nur so etwas behaupten? Ich hatte nicht mehr das Recht, mein Schicksal selbst zu bestimmen. Das taten andere! Und ihr Götter, ich hatte mich auch nicht dafür entschieden, sie nicht mehr sehen zu wollen. Ich??!! Nein, hier ging gerade etwas mächtig schief. Hatte sie denn nicht verstanden, was ich ihr versucht hatte, zu erklären? Oder war es einfach die Enttäuschung darüber, in mir nicht den gefunden zu haben, den sie sich gewünscht hatte?
    Nein, sie wollte mich nicht mehr hier bei sich haben, was ich durchaus verstehen konnte. Sie schickte mich weg und ich ließ es geschehen. Schweigsam und betrübt darüber, auch sie noch verloren zu haben, ging ich zur Tür. Sie bedankte sich noch einmal bei mir. Wofür eigentlich?
    „Du brauchst mir nicht zu danken, Morrigan. Alles was ich tat, was ich für dich empfand und noch empfinde, tat ich weil es aus meinem Herzen kam. Meine Liebe zu dir war echt und das wird sie auch immer bleiben. Auch wenn du mich nun wegschickst. Es tut mir leid, dass ich dich so enttäuscht habe.“ Dann ging ich zur Tür, öffnete sie und schritt hinaus.

    Nach meiner schroffen Zurückweisung war es nur allzu verständlich gewesen, dass sie nun nicht mit meiner Berührung gerechnet hatte. Doch ich ließ sie nicht los. Wenigstens diesmal wollte ich sie nicht noch einmal fallen lassen. Wider erwarten, war sie mir als einzige doch noch geblieben. Der einzige Mensch, den ich jetzt noch hatte. Sie war bereit gewesen, mir ihr Ohr zu leihen. Sie wäre sogar so weit gegangen, sich mir hinzugeben, nur um den Verlust, den ich erlitten hatte, zu mildern.
    In diesem Moment hielt ich sie ganz fest. Endlich trafen sich unsere Blicke wieder. In aller Stille rannen nun ihre Tränen an ihren Wangen herab, vor lauter Verzweiflung. So unendlich traurig hatte ich sie noch nie erlebt. Endlich wurde mir wieder bewusst, dass nicht nur ich es war, der schlimme Verletzungen davon getragen hatte. Auch sie litt unsagbare Qualen, deren Ursprung für mich noch im Verborgenen lag. Doch ganz gleich, was es war, ich war nun hier - und auch wenn es das letzte Mal sein sollte - um sie zu trösten, so wie sie mich zu trösten versucht hatte.
    Ihre Frage nach dem Wie, hatte für mich keinerlei Bedeutung gehabt. Dies lag nicht in meiner Hand, denn mein Leben gehörte ja schließlich nicht mehr mir. Diese Frage zu beantworten, oblag anderen.
    „Duch die Hand der Götter,“ entgegnete ich ihr, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt . „Ich werde dieses Leben solange ertragen, bis es ihnen gefällt, es zu beenden.“

    Endlich begriff sie, was geschehen war. Nun machte mein Handeln und meine Worte für sie einen Sinn. Diese Erkenntnis aber schien sie sehr mitzunehmen. Morrigan sank auf die Knie. Sie war fassungslos. Dabei hatte sie noch nicht einmal die ganze Geschichte gehört.
    Ich für meinen Teil wandte meinen Blick von ihr ab, damit sie meine Tränen nicht sah. Wieder spürte ich diese tiefe Leere in mir, die mich einfach nur überwältigen wollte. Irgendetwas musste ich nun tun. Irgendwas! Nur was? Plötzlich begann Morrigan in diesem seltsamen Ton mit mir zu sprechen. Es begann mich buchstäblich zu frösteln, als sie mich auf das kleine Holzkästchen hinwies. Mein Blick fiel sofort darauf. Ich näherte mich dem Tischchen und griff nach dem Kästchen. Es fühlte sich so leicht an. Vorsichtig öffnete ich es und eine gläserne Phiole kam zum Vorschein, deren flüssiger Inhalt mit einem Korken unter Verschluss gehalten wurde. Sogleich folgte Morrigans Erklärung. Sie wollte mir dieses Gift geben, damit ich mit meiner Freu wieder vereint sein könnte. Doch es mit diesem Gift zu beenden stand für mich außer Frage. Deshalb verschloss ich das Kästchen wieder und legte es beiseite.
    „Das ist sehr großmütig von dir, Morrigan. Aber so werde ich nicht abtreten. Gift zu nehmen ist etwas für Weichlinge. Ein Römer mag sich vielleicht so töten. Ich aber nicht.“ Dann ging ich auf sie zu und sank ebenso vor ihr auf die Knie. Vorsichtig legte ich meinen Arm um sie. Meine andere Hand strich ihr übers Haar.

    Wir schwiegen uns eine ganze Weile an. Ich hoffte, sie würde mich nun fortschicken. Doch sie rief niemanden, der mich zur Tür begleiten konnte. Offensichtlich wollte sie das selbst erledigen. Deshalb ging ich wortlos mit ihr mit, als sie meine Hand ergriff und mich mit sich zog. Recht schnell merkte ich aber, dass es nicht die Tür zur Straße hinaus war, wohin sie mich führen wollte. Doch sie ließ mir keine Wahl. Ich folgte ihr die Treppe hinauf. Ich wusste, dort oben lag ihr privater Raum, in dem ich manch schöne Stunde mit ihr verbracht hatte. Damals, als mein altes Leben noch nicht aus den Fugen geraten war.


    Sie schloss die Tür hinter mir und ehe ich etwas einwenden konnte, legte sie mir einen Finger auf meine Lippen. Ich wusste sofort, was das zu bedeuten hatte, denn ich kannte nur zu gut ihre Verführungskünste. Unter normalen Umständen hätte ich mich ihr auch nur zu gern hingegeben. Doch als sie mir leise zuflüsterte, sie wolle meine Aislin sein und sie mich kurz darauf küsste, drehte sich mir der Magen um. Tu das nicht, wollte ihr zurufen. Sie aber hatte mich fest in ihren Fängen. Zu meinem Bestürzen stellte ich fest, dass mein Körper durchaus im Stande gewesen wäre, ihren süßen Lockungen zu folgen. Das hier war schlimmste Tortur von allen, die selbst Rhascus nicht hätte besser vollführen können.
    Angewidert stieß ich sie schließlich von mir weg. „Hör auf damit! Aislin ist tot, hörst du? Sie ist tot!“


    Ich wich noch weiter von ihr zurück, bis ich schließlich mit meinem Rücken die Wand des Raumes streifte. Das passte doch! Mit dem Rücken zur Wand! Ich versuchte, wieder meine Gedanken zu ordnen. „Sie war gar nicht tot,“ begann ich nach einiger Zeit, wieder mit ruhiger Stimme, zu erzählen. „Sie hat damals überlebt und machte sich auf den Weg, mich wieder zu finden. Wäre sie doch nur nicht in diese verfluchte Stadt gekommen!“ Das Schicksal war so grausam zu ihnen gewesen.

    Sie wies mich nicht ab. Nein, sie ließ es geschehen und versuchte sogar, mich zu trösten. Mit ihrer Nähe und mit ihren Worten. Für einen Moment glaubte ich sogar, meine Frau in Händen halten zu können. „Aislin,“ hauchte ich voller Verzweiflung, während sie nach einem Fünkchen Hoffnung suchte, wo es keine mehr gab. Denn ich wusste es besser. Meine Hoffnung, mein Licht, mein Hafen war vor meinen Augen gestorben. Doch das Schlimmste, das Unverzeihlichste war, dass ich die Schuld dafür trug. Vieles hätte ich ertragen können. Doch nicht das!


    Ich zuckte plötzlich zusammen, als ihre Hände zu einer der Stellen auf meinem Rücken vordrangen, die noch nicht ganz verheilt waren. Dieser kurze Schmerz erinnerte mich wieder daran, weswegen ich eigentlich hier war. Du elender Jammerlappen, hör endlich auf zu schniefen und sein ein Mann!
    Vorsichtig löste ich mich von ihr. Sie hatte mir so viel Trost schenken wollen. Trost, den ich nicht verdiente. „Meine Hoffnung ist tot, mein Licht erloschen. Und ich … ich bin dafür verantwortlich.“, entgegnete ich ihr und versuchte dabei nicht weiter voller Selbstmitleid zu schluchzen.
    „Glaub mir, Morrigan, ich bin allein. Alle, die auf mich hofften, ließ ich im Stich. Deine Freundschaft habe ich nicht verdient. Für alle wäre es besser gewesen, wenn ich diesen einen verdammten Tag nicht überlebt hätte.“ Dann schwieg ich wieder. Meine Augen musterten sie. Natürlich hatte sie keine Ahnung, wovon ich sprach. Sie glaubte wohl immer noch, ich sei das Opfer der Willkür meines Dominus geworden. Doch das war ich nicht! Die Strafe des Flaviers war gerechtfertigt gewesen und sie dauerte noch immer an, denn ich war noch am Leben. Mein Herz schlug noch und auch mein Blut lief durch meine Adern. Doch die Hoffnung war mir genommen worden. Es gab nichts mehr, woran ich mich festklammern konnte. Es gab kein Grund mehr, wofür es sich lohnte zu kämpfen.

    Ihr Blick traf mich, wie ein Stich direkt ins Herz. Eine Träne schien sich selbständig gemacht zu haben, denn sie rann so einsam und verloren über ihre Wange herab. Sie schwieg einfach. Kein Jammern, kein Bitten oder Flehen, obwohl ich ihr, mit dem was ich soeben gesagt hatte, so viel Schmerz zugefügt hatte. Lieber kurz und schmerzlos hatte ich mir zuvor noch gesagt. Doch wie hatte ich in meiner Einfältigkeit glauben können, dass es schmerzlos werden könnte? Wie ich sie so vor mir stehen sah, so unglücklich, so enttäuscht, hätte ich sie am liebsten an mich geschmiegt und ihr zugeflüstert, dass alles wieder gut werden würde. Doch das wäre eine Lüge gewesen. Nichts würde je wieder gut werden! Niemals wieder!


    Ihre leise Stimme brachte schließlich eine Antwort hervor, die mir noch mehr zusetzte. Ich versuchte ruhig zu bleiben, obwohl es mich innerlich zerreißen wollte. Doch wenn ich mich nun erweichen ließ, dann machte ich alles nur noch schlimmer. Nicht nur für mich, auch für sie. Ein sauberer Schnitt – das war es. So hatte ich es beenden wollen.

    Morrigan warf mich nicht hinaus. Noch nicht. Stattdessen kam sie auf mich zu. Ihre Hand berührte plötzlich meine Wange. Schlag zu, ich habe es verdient! Doch sie schlug nicht zu. Liebevoll strich sie mit kurz über die Wange. Ihre sanften Worte führten schließlich dazu, dass mir alles zu entgleisen drohte. Mein Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze und meine Augen wurden feucht. Schluchzend legte ich meine Hände um ihre Arme und drückte sie fest an mich. Der Duft ihres dunklen Haares drang in meine Nase. Es hätte wieder wie früher werden können. „Sie haben mir alles genommen. Alles!“, brachte ich schluchzend heraus.


    Ich konnte nicht sagen, was mich mehr schmerzte, ihre abweisende Haltung oder der Sarkasmus, mit dem sie ihre letzten Worte gewählt hatte. Morrigan war nicht mehr die, die ich gekannt und geliebt hatte. Ebenso wenig war ich noch der, den sie geglaubt hatte, zu kennen.


    Ich war ihr gefolgt. Diesmal führte sie mich nicht in einen der schön dekorierten Räume, in denen sie einst ihre Kunden empfing. Es war ihr Arbeitszimmer, dessen Nüchternheit dem ganzen noch etwas an Schärfe verlieh. Damit machte sie mir nun endgültig klar, dass ich in Zukunft hier nicht mehr willkommen war. Aber dies stellte für mich kein größeres Problem dar, denn ich wusste, dass es für mich kein nächstes Mal geben würde. Nie mehr.


    Vor einem Tisch kam sie zum Stehen. Eilig schob sie einige Schriftrollen und Tabulae zur Seite. Auf der frei gewordenen Fläche platzierte sie zwei Becher und füllte sie mit Wein. Sie wartete erst gar nicht darauf, bis ich nach dem Becher greifen und ihr zuprosten konnte, sondern nahm sofort einen großen Schluck. Ich indessen ließ den Wein Wein sein und wollte mich lieber auf das Wesentliche konzentrieren. Ich wusste, was der Wein bei mir bewirkte. Er hatte sich als verlässlicher Seelentröster erwiesen. Doch ich kannte inzwischen auch seine Kehrseite.


    Sie wartete darauf, endlich eine Erklärung zu bekommen. Ich konnte es spüren. Und genau deshalb schien ein Kloß in meiner Kehle zu stecken, der es mir unmöglich machte auch nur irgendeinen Ton herauszubringen. Nun griff ich doch zum Becher und trank, bis er leer war. Der Wein schien mir endlich ein wenig meines Mutes zurückzugeben.
    „Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass es für uns keine Zukunft geben wird.“ Diesen Satz ließ ich erst einmal stehen. Wenn sie mich nun hinauswarf, dann konnte ich das gut verstehen. Vorbei war es mit unseren Zukunftsträumen. Mein Rabenmädchen – Morrigan, sie hatte etwas besseres verdient.

    Zunächst kam ich mir etwas verloren vor. Völlig fehl am Platz. Die beiden sprachen weiter miteinander in dieser seltsamen Sprache. Vielleicht war dies eine Geheimsprache, wie sie zu weil unter kindlichen Geschwistern üblich war. Doch die beiden waren zwar noch jung aber doch sicher schon erwachsen.


    Letztendlich war es wohl mein Aufzug, der durchaus als Verbrechen am Auge gelten konnte und der Scatos Aufmerksamkeit auf mich lenkte. Wenig später taten meine Ausdünstungen ein Übriges, um mich damit auch bei seinem jüngeren Bruder bemerkbar zu machen.


    Wie immer entgegnete mir Scato mit seiner überheblichen Arroganz. Kein gutes Haar wollte er an mir lassen, obwohl ich doch nichts unrechtes getan hatte. Natürlich hatte ich bei den Pferden geschlafen. War nicht so seine Order gewesen? Mir schien, er litt an Amnesie. Hatte er seine eigenen Anordnungen vergessen? Oder war es nur, weil nun sein Bruder zugegen war und er mich deshalb in einem schlechten Licht darstellen wollte.


    Ich ließ seine Ergüsse über mich ergehen und noch mehr, ich ging sogar ganz demütig auf das Gesagte ein. „Ja, das habe ich, Dominus,“ antwortete ich mit gesengtem Blick. Die Narben auf meinem Rücken waren zwar bereits fast ganz verheilt. Die Narben auf meiner Seele aber waren noch immer frisch, wie am ersten Tag.
    Wie ein Dolchstoß in meinen Rücken wirkten dann die Kommentare des Neuankömmlings, auch wenn er in einem kleinen Nebensatz erwähnte, dass ich es war, der sich seiner in der Nacht angenommen hatte. Unbeeindruckt davon wandte ich mich nicht von Scato ab, sondern verharrte vor ihm und wartete auf noch mehr Beschimpfungen und Tadel.


    „Bitte verzeih mir, hätte ich früher erfahren, dass du mich zu sehen wünschst, hätte ich mich vorher noch gereinigt,“ fuhr ich im gleichen Ton fort.
    Schließlich wechselte er wieder in dieses Kauderwelsch, welches wohl nur sein eigener Bruder verstehen konnte. Dexters Frage allerdings hätte ich nur allzu gut beantworten können. Ich tat es aber nicht, um mir nicht noch mehr Ärger einzuhandeln.

    Sie ist wieder hier, hatte der Türsteher gesagt. War sie denn weg gewesen, fragte ich mich daraufhin selbst. Anscheinend war sie das. Und sie empfing keine Kunden mehr. Das machte mich dann doch etwas neugierig. Wieso empfing sie keine Kunden mehr? Vielleicht hatte sie es nicht mehr nötig. Vielleicht war irgendein reicher Kerl vorbei gekommen und hatte sie da rausgeholt. Doch eigentlich wusste ich genau, dass es so nicht gewesen sein konnte, denn so etwas passierte nicht im richtigen Leben. Das echte Leben sah anders aus.


    Ich hätte nicht herkommen sollen. Das war mir jetzt klar. Es war besser, wenn ich jetzt ging, denn ich wollte mich mit keiner anderen begnügen. Eigentlich hatte ich sie doch nur kurz sehen wollen… um ihr zu sagen, dass alles anders gekommen war. Dass es keine Zukunft mehr für „uns“ gab. Dass es vorbei war.
    Unentschlossen blieb ich noch einen Augenblick vor dem breitschultrigen Kerl stehen, der mich seinerseits mit ein paar auffordernden Blicken musterte. Er musste sonst was von mir denken, weshalb ich nicht endlich zu Potte kam und mich zu den netten hübschen Damen im Atrium gesellte. „Na, was ist jetzt?“, fragte er mich ungeduldig. Ich jedoch versuchte seinen Blicken auszuweichen und schaute in Richtung Atrium, um sie vielleicht dort zu erhaschen. Aber sie war nicht dort. Allerdings schien eines der anderen Mädchen schnellen Schrittes das Atrium zu verlassen. Ich konnte aber nicht erkennen, wer es war. Schließlich wandte ich mich wieder dem Türsteher zu. „Ich… eigentlich wollte ich nur… ich wollte nur mit ihr reden. Mehr nicht.“ Meine Stimme hatte schon etwas Weinerliches an sich, was allerdings mein Gegenüber nicht besonders beeindruckte. Es trug nur zu seiner Belustigung bei. Dennoch hatte er sich soweit im Griff, um nicht lauthals loszulachen und mich hinauszuwerfen. „Tja, Freundchen… wie gesagt, sie empfängt niemanden mehr. Auch nicht zum Reden. Also, ich schlage dir vor, du suchst dir eine Andere aus oder du schiebst ab.“ Der Mann hatte wieder eine ernst dreinschauende Mine eingenommen und gab mir mit einigen Gesten zu verstehen, dass seine Geduld bald ihr Ende erreicht hatte.
    Diesmal widersprach ich nicht mehr. Ich sah ein, wie dumm es gewesen war, eingetreten zu sein. Ich nickte nur und schickte mich an, wieder zu gehen, als ich langsam nahende Schritte vernahm, die mich dann doch dazu anhielten, noch einem Moment zu warten.
    Plötzlich tauchte sie vor mir auf. Langsam, müde, traurig. Das war nicht die, dich ich gekannt hatte. Sie war irgendwie anders. In ihr gab es keine Freude mehr. Ihr Temperament, das mir so imponiert hatte, war verschwunden.
    „Morrigan!“ Ich versuchte zu lächeln, was mir allerdings schwer fiel, denn bei ihren Anblick wusste ich, dass es weder ihr noch mir gut ergangen war, während all der Zeit, in der wir uns nicht gesehen hatten. Ihre letzte Bemerkung aber war wie einer von Rhascus' Peitschenhieben, der sich tief in die Haut meines Rückens schnitt. „Morrigan, ich… Es tut mir so leid. Kann ich mit dir reden?“

    Ganz plötzlich hatte ich vor der unscheinbaren Insula gestanden. Über der Eingangstür waren rote Mosaiksteinchen angebracht, aus denen bei genauem Hinsehen der Name ersichtlich wurde, der mir nur allzu gut vertraut war. Eigentlich hatte ich mich wieder auf den Rückweg machen wollen, nachdem ich zuvor einige Schreiben in der Stadt ausgetragen hatte. Doch nun war ich hier und es kam mir vor, als hätte mich eine höhere Macht hierher gelotst.
    Mir kam es eine Ewigkeit vor, seit meinem letzten Besuch. Damals war ich noch ein anderer. Ein Mann voller Pläne, Ideen und Wünsche. Nun war ich nur noch ein Schatten meiner Selbst. Meine Pläne hatten sich in Luft aufgelöst, ebenso meine Ideen und meine Wünsche waren vor meinen Augen gestorben. Was also sollte ich hier?
    Es wäre sicher besser gewesen, wenn ich sofort weiter meines Weges gegangen wäre. Jedoch zögerte ich. Meine Gedanken führten mich zu einer längst vergangene Zeit. Zu den Saturnalien… nicht diese Saturnalien. Die Saturnalien im Jahr zuvor. Mein Rabenmädchen mit dem schicksalhaften Namen. Sie hatte mir gleich von Anfang an gefallen. Mit ihr hätte ich mir eine neue Zukunft vorstellen können. Ein gemeinsames Leben mit ihr, hoch oben im Norden, dort wo sich kein Römer freiwillig hin traute. Doch dann war alles anders gekommen. Nun war so viel Zeit vergangen. Sie hatte mich wahrscheinlich längst vergessen. Ihre Träume hatte sie mit einem Anderen verwirklicht. Und falls nicht, dann hatte sie sich alleine auf und davon gemacht.


    Ich hätte einfach weitergehen sollen, doch dann öffnete sich, wie von Geisterhand, die Tür. Erst geschah nichts, niemand kam heraus und auch ich machte keine Anstalten, einzutreten. Dann, nach etlichen Herzschlägen, kam ein breitschultriger Kerl zum Vorschein, der dazu abgestellt worden war, die Tür zu bewachen und der mich nun etwas abschätzig anstarrte. „Was ist? Kommst du jetzt rein, oder was?!“ Erst zögerte ich noch. Dann trat ich ein. „Ist Morrigan noch hier?“ hörte ich mich fragen.

    This is the end, beautiful friend
    This is the end, my only friend, the end
    Of our elaborate plans, the end
    Of everything that stands, the end
    No safety or surprise, the end
    I'll never look into your eyes
    Again


    Can you picture what will be
    So limitless and free
    Desperately in need
    Of some stranger's hand
    In a desperate land
    Lost in a Roman wilderness of pain
    And all the children are insane
    All the children are insane
    Waiting for the summer rain


    Jim Morrison


    Planlos schlich ich durch die Gassen Roms. Weit abseits des Weges, den ich eigentlich hätte einschlagen sollen. Zuvor hatte ich meine letzten Münzen in eine Kanne mit billigem Wein in einer noch billigeren Taberna investiert.
    Immer weiter wagte ich mich in verwinkelte Gassen vor. Vielleicht weil sich mein bereits leicht benebelter Geist noch immer der Hoffnung hingab, sie könne dort plötzlich wieder auftauchen. Damit ich eine zweite Chance hätte, um es diesmal besser zu machen. Doch stattdessen traf ich höchstens auf alte gebückte Weiber, die von der Arbeit ganz krumm geworden waren und nun vor mir ihren Eimer mit schmutzigem Wasser auskippten oder zahnlose Alte, in deren runzligen Gesichtern das Leben Geschichten geschrieben hatten oder zwielichtige verbrauchte Gestalten, von billigem Fusel gezeichnet, die den Eindruck machten, sie könnten dir für einen Becher Wein jeden Moment ein Messer zwischen die Rippen stoßen.
    Es war eine wahrlich üble und trostlose Gegend, in die ich mich verirrt hatte. Die Gestade der Gescheiterten. Dort, wo jene angespült worden waren, die nichts zuwege gebracht hatten, in ihrem Leben und nun darin gefangen waren. Die, die irgendwann die falsche Abbiegung genommen hatten und nun fest saßen, weil es für sie hier kein Zurück mehr gab.


    „Was glotzt du so?“, bellte mich ein hagerer Kerl an, der wie aus dem Nichts vor mir aufgetaucht war und widerlich nach Unrat stank. In meiner Einfältigkeit versuchte ich mich zu rechtfertigen, denn eigentlich hatte ich doch gar nicht geglotzt. Ich wollte doch nur von hier weg. Endlich weg… egal wohin… einfach nur weg.


    Eine alte Frau mit zerzausten Haaren kam auf mich zu und lächelte mich an. So als kenne sie mich schon ewig. Man hatte meinen können, sie erwartete mich bereits. Und ich fühlte ich mich seltsam zu ihr hingezogen, als wäre sie keine Unbekannte für mich. So vertraut war sie für mich, auch wenn ich sie zuvor noch nie gesehen hatte.
    Sie griff nach meiner Hand und zog mich mit ihr. Bereitwillig ließ ich mich führen, wo immer sie mich auch hinbringen wollte, ich folgte ihr, ohne auch nur für einen Moment ihr Ziel in Frage zu stellen. Ein wohltuendes Gefühl von Frieden breitete sich in ihrer Gegenwart in mir aus. Ich glaubte, sie endlich doch noch gefunden zu haben. Nun, da sie mich bei der Hand genommen hatte, fürchtete ich kein Unheil mehr.

    Zunächst hatte ich es für einen schlechten Scherz gehalten, als man mir sagte, Scato hätte nach mir verlangt. Allerdings in Anbetracht der Ereignisse der letzten Nacht, konnte dies durchaus nicht ganz abwegig sein.
    Nachdem ich völlig verkatert am Morgen erwacht war, erschien mir das nächtliche Eintreffen von Scatos Bruder wie ein seltsames Hirngespinst. Eine Einbildung nur, so hatte ich zunächst geglaubt, die aufgrund eines zügellosen Alkoholgenusses realistische Züge angenommen hatte. Doch als mir später am Morgen dann auch noch Moloch, der vierte Träger jenes Namens, grinsend über den Weg gelaufen war, wusste ich, dass alles echt gewesen war, was als Fiktion abgetan hatte.


    Kotzelend war mir, als ich mich draußen im Hof an meine Arbeit gemach hatte. Die frische Luft hatte mich um Stunden wieder zurückgeworfen. Daraufhin hatte ich meinen Kopf in eine mit Wasser gefüllte Regentonne gesteckt, um richtig wach zu werden und das üble Gefühl loszuwerden. Trotz dieser kleinen Katzenwäsche aber, gelang es mir nicht, einen klaren Gedanken zu fassen. Dann waren da noch diese Ausdünstungen, die auf einen übermäßigen Alkoholpegel hinwiesen, und die sogar mir auffielen. Jedem, dem ich begegnete, verzog angewidert den Mund, sobald er die Witterung aufnahm. Der Sklave allerdings, der sich aus Scatos Umfeld zu mir begeben hatte, versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Er gab mir lediglich den guten Tipp, den Flavier nicht allzu lange warten zu lassen, wenn ich es mir nicht ganz mit ihm verscherzen wollte. Also ließ ich alles liegen und begab mich an die Stätte meines ehemaligen Wirkungskreises.
    Irgendwie war das schon komisch. In den schmuddeligen Klamotten, die ich am Leib trug, wollte ich so gar nicht hierher passen. Mal ganz abgesehen vom „Odeur“, das ich versprühte. „Dominus,“ sagte ich vorsichtig und mit gedämpfter Lautstärke, als ich das Atrium betrat. Da war er bereits, Scatos Bruder, dem ich im Laufe der Nacht doch noch zu einem Schlafplatz verholfen hatte und unterhielt sich nun in einer seltsamen Sprache mit seinem Bruder, von der ich kein einziges Wort verstand.

    Die Sklavin plapperte in einem fort. So viel hatte schon lange niemand mehr mit mir geredet. Und die unbeschwerte Leichtigkeit, mit der sie das tat, wirkte doch sehr befremdlich auf mich. Dann ihr musternder Blick, mit dem sie mich ansah. Wären wir uns zu einer anderen Zeit begegnet, dann hätte mir ihr Interesse an meiner Statur sicher geschmeichelt. Doch inzwischen war ich dafür scheinbar zu abgestumpft, ja sogar gänzlich leidenschaftslos geworden. Ein verblasstes Abbild meines Selbst eben. Alle, die sich mit mir eingelassen hatten, hatten es am Ende bereut.


    „Davor? Davor diente ich niemandem. Ich war frei.“ Wahrscheinlich hatte ich es mir nun eh bei ihr verscherzt. Die Sklaven, die aus der flavischen Zucht stammten, blickten für gewöhnlich mit einer gerümpften Nase auf alle herab, die nicht wie sie von Anfang an ein Leben in Gefangenschaft gelebt hatten. Und sie würde da bestimmt nicht die Ausnahme sein.
    „Ja, ich bin… ich war Leibwächter.“ Ich hatte mich gerade noch so korrigieren können. Es war noch so ungewohnt für mich, nicht mehr die gute Stellung inne zu haben, die ich einst hatte. Wahrscheinlich würde sich mir sowieso niemand mehr freiwillig anvertrauen. Nicht nachdem, was passiert war…
    Tanit plapperte indes fröhlich weiter. Je nachdem, wie lange sie hier blieb, würde ihr diese Unbeschwertheit schon noch vergehen, dachte ich für mich. Sie begann, nun auch ein wenig von sich und Moloch preiszugeben, was ich allerdings lediglich mit einem „Mhm“ oder „Aha“ quittierte. Ich fürchtete, dass sie später in der Culina, wenn wir „unter uns“ waren, kaum noch zu halten sein würde.


    Kaum hatten wir das Cubiculum betreten, begann Tanit damit, das Fenster zu öffnen. Die frische kalte Nachtluft drang ein und vertrieb jegliche Müdigkeit in mir. Mit einem prüfenden Blick testete die Sklaven schließlich die Matratze, während ich ein Kissen und eine Schlafdecke aus einer Truhe nahm. Ihr Urteil fiel nicht gerade positiv aus. Mir schwante bereits, dass ich mich nun auch noch auf die Suche nach einer weniger „dekadenten“ Matratze machen konnte. Mein Versuch, sie davon abzubringen, scheiterte bereits, nachdem ich nur „Aber..“ gesagt hatte. Sie begann das sperrige Ding auf den Boden zu zerren und ich half ich natürlich, auch wenn mir dies widerstrebte. Selbst jetzt noch plapperte sie munter weiter und fragte mich so ganz nebenbei nach dem Bewohnern dieser Villa. Unwillkürlich fiel mein Blick wieder auf die Matratze, die nun zu meinen Füßen lag. Viel zu dekadent und verweichlichend, wäre wohl durchaus eine zutreffende Antwort gewesen. Doch dafür kannte ich Tanit nicht gut genug. Keinesfalls wollte ich ihr eine Möglichkeit bieten, um mich später bei Scato oder ihrem Herrn anschwärzen zu können.
    „Die Herrschaften… naja, die meisten von ihnen sind streng. Aber wenn du ihnen keinen Anlass zur Klage gibst, dann wirst du sicher auch keine Probleme mit ihnen bekommen.“

    Unglücklicherweise hatte ja die Information über die Identität des jungen Herrn einen weiten Bogen um mich herum gemacht. Doch das konnte die fremde Sklavin natürlich nicht wissen. Die drei waren schließlich noch in dem Glauben, ich sei im Auftrag meines Herrn unterwegs. Deshalb wirkte die Antwort der Sklavin vielleicht etwas forsch auf mich. Dennoch gelangte ich so zur Erkenntnis, dass es also auch noch einen weiteren Bruder gab, den Scato vorweisen konnte. „Ach, tatsächlich!“, erwiderte ich überrascht. „Das ist aber…“


    Eigentlich hätte das an dieser Stelle noch ein richtig schöner Abend werden können. Doch ich hatte die Rechnung ohne den Römer gemacht. Eben noch hatte er eigentlich einen recht netten Eindruck auf mich gemacht, einfach aus seiner Bescheidenheit heraus. Doch nun fuhr er mich scharf von der Seite an und machte mir unmissverständlich klar, wer hier Herr und wer Sklave war.
    „Äh ja, natürlich! Verzeih mir Dominus.“ Verdammt nochmal, was sollte ich den jetzt machen? Gib ihm irgendein Bett. Es wird sich schon ein leeres Cubiculum finden, sagte mir meine innere Stimme. Ob es ein Segen war, dass sich die Sklavin ganz spontan anbot, mir zu helfen, sollte sich noch herausstellen. Ich für meinen Teil hatte gar keine Chance, sie davon abzuhalten. Sie folgte mir einfach.
    Als wir durch die halbdunklen Gänge schlichen, die lediglich mit meiner schummrigen Öllampe beleuchtet wurden, begann sie mich auszufragen. Mir war schon klar, dass sie das nicht tat, weil sie einfach Smalltalk halten wollte. Spätestens nachdem sie erwähnte, dass sie das Produkt flavischer Sklavenzucht war, war ich mir sicher, dass ihre Fragen nur der Informationsbeschaffung dienen konnten.
    „Ich? Ich bin schon seit fast zwei Jahren hier.“ Zwei Jahre waren natürlich nur ein Klacks im Verlgeich zu lebenslang. „Mein Name ist Angus und ich stamme aus Britannien.“
    Endlich waren wir in dem Flügel der Villa angelangt, in dem sich die Cubicula befanden. Jetzt musste ich nur noch ein freies finden. „Hier lang! Wir müssten gleich da sein! – Moloch? So lautet der Name deines „Kolegen“?“ Naja, irgendwie passte ja der Name. „Äh, natürlich. Später könnt ihr mit mir ja in die Culina kommen. Danach zeige ich euch auch, wo ihr schlafen könnt.“
    Ich kam vor einer Tür zum Stehen, von der ich überzeugt war, dass sich hinter ihr niemand in seinen Träumen wog. Ganz vorsichtig öffnete ich sie und trat vorsichtig ein. Treffer! Der Raum war noch jungfräulich. Puh!
    Nachdem eine weitere Öllampe entzündet war, tauchten ein paar Möbelstücke und ein Bett aus der Dunkelheit auf.

    „Klar vertrag ich das!“, rief ich großmäulig. Der Met schien heute in Strömen zu fließen und so etwas musste man unbedingt ausnutzen! Ein Zustand, an den ich nicht mehr so recht gewöhnt war. Früher hatten mir drei vier Becher davon nichts abhaben können. Doch seitdem war viel Zeit vergangen. Zu viel Zeit, wie ich schon bald merken sollte. Spätestens nach dem dritten Becher sollten meine Glieder eine seltsame Schwere annehmen und auch meine Fähigkeit, klar zu denken begann ein wenig zu leiden. Doch diese Signale, die mein Körper angesichts der ungewohnten Alkoholmenge auszusenden begann, wollte ich nicht wahr haben. Ich verdrängte sie und hoffte darauf, meine alte Kondition wieder zu finden, indem ich einfach nur noch mehr trank.
    Nichtsdestotrotz genoss ich die Gesellschaft des Germanen. Er war wie ein Bruder oder ein guter Freund, den ich schon ewig kannte. Mit ihm zu trinken und zu lachen hatte etwas Unbeschwertes. Etwas war ich schon lange für verloren gehalten hatte. Doch hier in dieser Taverne hatte ich es wieder gefunden. Zumindest für kurze Zeit. Erst als er den Gesang angesprochen hatte und ich in meiner Unbeschwertheit meine Frau Aislin ins Spiel gebracht hatte, nicht daran denkend, dass sie ja tot war, schien die Schwermut wieder Besitz von mir ergreifen zu wollen.
    Dem Germanen hatte ich nichts vormachen können, er bemerkte sofort, dass sich ganz plötzlich mit mir etwas verändert hatte. „Meine Frau sagte immer, wenn ich singe, jaulen die Hunde… meine Frau… sie ist tot.“ Die letzten Worte kamen wie ferngesteuert aus mir heraus. Schnell griff ich nach meinem Becher, um den schlechten Geschmack in meinem Mund hinunterzuspülen. Der Met half, den Schmerz zu betäuben.

    Kaum hatte ich mich über die drei Leiber hinübergebeugt und mit einer wohltemperierten Stimme zu ihnen gesprochen, begannen sie sich auch schon zu regen. Noch schläfrig öffnete der Fremde die Augen und blinzelte mir entgegen, während die junge Frau mit einem Mal hellwach wirkte und sofort das Wort ergriff. Eingeschüchtert von so viel Resolutheit wich ich etwas zurück und richtete mich wieder gerade auf. Fast schon vorwurfsvoll gab sie mir auf, was ihr Herr alles sofort benötige. Auch die beiden flavischen Sklaven, die zur Bewachung dekorativ in der Ecke standen, bekamen ihr Fett weg. Ja, die Kleine hatte wirklich Feuer unterm Hintern. Unter anderen Voraussetzungen hätte mir das auch sehr imponiert und ich hätte ihr gegenüber meinen Charme spielen lassen. Stattdessen überforderte sie mich regelrecht und ich bereute es bereits, aus meinem Versteck herausgetreten zu sein.


    „Ja… ja sicher... äh…“ Schließlich meldete sich auch noch der Hüne, der sich zur Rechten seines Herrn befand und pflichtete der herben Schönheit bei. Nein, Verbrecher waren sie wohl nicht. Auch wenn der junge Mann, den die beiden bewachten, nicht unbedingt dem Idealbild eines vornehmen Römers entsprach. Dafür sahen alle drei einfach zu abgerissen und schmutzig aus. Eine Bewachung aber war bestimmt nicht nötig.
    „Jungs, ihr könnt euch zurückziehen. Ich bin ja jetzt da.“ Die beiden custodes schauten sich nur wortlos einander an und dachten sich wohl ihren Teil, dann schlappten sie gemächlich davon.


    Zu guter Letzt rief nun der unbekannte Flavier seinen beiden Sklaven zur Raison. Seine Ansprüche waren wesentlich bescheidener, als die seiner Sklavin. So verlangter er nur nach einem Bett und sonst nichts. Alles andere konnte seiner Ansicht nach bis morgen warten.
    „Ein Bett… ja, natürlich ein Bett. Dar ich eine Frage stellen, Dominus? Im welcher Beziehung stehst du eigentlich zu meinem Herrn Scato?“ Natürlich hatte ich keine Ahnung, ob der Fremde bereits erwartet worden war. Eher wohl nicht! Dann war sicherlich auch noch keine Cubiculum bezugsbereit gemacht worden. Also wohin mit dem Fremden? „Ich äh… ich kümmere mich drum. Äh… kann ich dir in der Zwischenzeit vielleicht etwas bringen… ein kleiner Imbiss und vielleicht etwas Wein? In der Küche gibt es bestimmt noch etwas.“ Vielleicht traf ich unterwegs doch noch einen anderen Sklaven, der mir zur Hand gehen konnte und der wusste, wo der junge Flavius unterzubringen sei. Wer hätte es gedacht, dass diese Nacht noch eine echte Herausforderung werden sollte?
    Verständlicherweise erkundigte sich der Fremde nach einer Weile bei mir, was zur Zeit in der Stadt vor sich ging und warum man ihm zwei custodes auf den Hals gehetzt hatte. Da war er bei mir natürlich an den Richtigen geraten. Eine genaue Auskunft konnte ich ihm nicht geben. Nachdem ich kläglich versagt hatte, Scato zu schützen, hatte ich nicht mehr die Villa verlassen. Von der herrschenden Staatskrise hatte ich nur vom Hörensagen etwas mitbekommen. Mich beschäftigte mehr meine eigene Krise, die mich in ungeahnte Tiefen hinab gerissen hatte und die mich einfach nicht mehr loslassen wollte. Meine Wunden waren zwar inzwischen wieder geheilt. Nur Narben zeugten noch von dem, was geschehen war.Doch in mir drinnen herrschte ein heilloses Chaos.
    „Ich… ich weiß nicht, Dominus. Ich habe keine Ahnung,“ gab ich etwas verunsichert zu.