Beiträge von DIVUS VALERIANUS

    Die Manen des Kaisers blickten noch immer wohlwollend auf die Urbs. Doch was sie sehen mussten, gefiel ihnen überhaupt nicht: Man hatte ihn hintergangen, hinterrücks ermordet, seine Familie in den Tod gerissen und seinen letzten Willen mit Füßen getreten.


    Als nun endlich eine aufrichtige Römerin sich an sie wandte, brannten sie nur darauf, den Sterblichen ein Zeichen zu senden. Klar und deutlich schrieben sie ihre Anweisungen in den Vitalia des Ferkels - obwohl sie gewöhnlich Ziegen bevorzugten. Dem ungewohnten Beschreibstoff war es wohl auch geschuldet, dass höchstens ein langjährig ausgebildeter Haruspex die Antwort auf die Frage herauslesen hätte können. Auf Axilla musste es dagegen wirken wie jedes blutige Organ, das man aus einem frischgeschlachteten Tier schnitt.

    Er sah seinen Sohn nicht allzu oft, das stimmte. Sein Gesundheitszustand und die Regierungsgeschäfte, obwohl die zum größten Teil delegiert wurden, ließen es nicht zu, daß Valerianus viel Zeit mit seinem Sohn verbringen konnte. Doch er ließ sich immer informieren, über Lehrer oder auch über seine Frau.


    "Das ist gut, mein Sohn. Lernen ist wichtig. Es bereitet dich auf die Politik vor, an der du dich eines Tages beteiligen sollst. Wie jeder gute Römer."


    Es waren Sprüche, die gleichen die jeder Sohn vom Vater hörte und die er ebenfalls von seinem Vater vernommen hatte. In ihrem Kern zwar richtig und wichtig, aber unglaublich abgedroschen.


    Valerianus ließ sich die Speisen geben, schickte dann die Sklaven weg und begann zu essen. Die Gesprächsthemen waren die üblichen. Das Wetter, die demnächst anstehenden Feiertage, die Bitte des Sohnes, ein Wagenrennen ansehen zu dürfen und dergleichen. Nichts an diesem Abendessen unterschied sich von den alltäglichen Abendessen anderer glücklicher römischer Familien.


    Mit einer Ausnahme: Am Ende lagen der Kaiser, seine Frau und der Sohn tot auf ihren Klinen.

    Müde. So fühlte sich Valerianus seit Tagen, ausgelöst durch einen Schwächeanfall. Die Schonung, die er sich selbst auferlegt hatte, mochte diese Müdigkeit jedoch nicht vertreiben. An diesem Morgen quälte er sich aus seinem Bett, denn es fand das Fest der Saturnalia statt, und die wollte er auf keinen Fall im Bett verbringen. Auch wenn er keine der öffentlichen Opfern oder gar ein rauschendes Fest mit viel Alkohol und Essen durchstehen konnte, zumindest mit seiner Familie wollte er eine gute Zeit verbringen. Der Tradition gemäß legte er nach dem Bad keine unbequeme Toga an, sondern hatte seine bequemste Kleidung an und auf dem Kopf natürlich den pilleus. Da er angeordnet hatte, aus Rücksicht auf seine Gesundheit keine Besuche vorzulassen, konnte er den Tag mit angenehmen Tätigkeiten verbringen: in Haus und Garten lustwandeln, etwas lesen, zwischendurch ein Nickerchen machen. Zum Abendessen fand Valerianus sich im Triclinium ein, flözte sich genüßlich auf die Kline und unter die Decke und erfreute sich an der Wärme des Kohlebeckens. Obwohl er sich müde fühlte - und das wie gesagt schon seit Tagen - fühlte er sich gut. Schon kurz nach seiner Ankunft trafen seine Frau und sein Sohn ein. Das Abendessen konnte nun beginnen.


    "Nun, Sohn, was hast du heute den ganzen Tag gemacht?"

    Wie zum Beginn des Gesprächs erwiderte Valerianus den militärischen Gruß auch wieder etwas nachlässig.


    "Keine weiteren Befehle. Wegtreten, Praefectus!"


    Fast konnte man meinen, es bereite ihm Freude, ein Gespräch wieder einmal auf diese Art und Weise beenden zu können. Aber der Eindruck mochte auch täuschen oder nur ein Zeichen der Erleichterung sein, das Gespräch überstanden zu haben.

    "So ist es und so soll es sein und wir dürfen unser Vertrauen in die Götter nicht verlieren. Sie werden ein klares Zeichen senden, wenn der Tag gekommen ist."


    Weiter wollte Valerianus nicht über das Thema sprechen und zu seinem Glück fragte der Praefectus Praetorio auch nach weiteren Befehlen. Trotzdem dauerte es erneut eine Weile, in der nur Valerianus' schwerer Atem zu hören war, bis er antwortete.


    "Achte auf das Militär. Salinator ist ein guter Verwalter, aber manchmal vergisst er die Soldaten. Ich wäre gerne selber bei den Truppen, aber es geht nicht. Es wird nicht viel zu tun sein, aber wenn, dann tue es gewissenhaft. Es gibt keine besseren Männer als Soldaten. Sie verdienen Respekt."

    Den Blick auf das Kultbild gerichtet, folgte Valerianus den Ausführungen des Pontifex. Dann ging sein Blick erst zu diesem zurück, dann zu der zukünftigen Vestalischen Jungfrau, dann wieder zurück zum Pontifex.


    "Ich danke dir und dem Collegium für die Bemühungen."


    Eine Weile ging sein Blick danach ins Leere und seinen Augen schienen sich fast zu schließen, als müsse er noch einmal memorieren, was man ihm zweifellos kurz zuvor als notwendige Schritte für die Captio vorgegeben hatte. Schließlich legte er seine Hand auf der Schulter der jungen Tiberia.


    "Tiberia Caerellia, vom Collegium Pontificium auserwählte Jungfau aus dem Geschlecht der Tiberia. Ich nehme dich hiermit auf in den heiligen Dienst der Göttin Vesta, der Hüterin des ewigen Herdfeuers. Ich unterstelle dich meiner Patria potestas und verpflichte dich zu Keuschheit für die Dauer deines Dienstes. Du wirst im Atrium Vestae wohnen und auf allen deinen Wegen von einem Liktor begleitet werden. Du darfst mich Vater nennen und die Gemeinschaft der Vestalinnen wird dir wie eine Familie sein. Dies ist der Wille Vestas."

    Eine ganze Weile hing Schweigen im Raum, während Valerianus über das Gesagte nachdachte oder auch nur Kraft sammelte für eine Antwort.


    "Nur wenige können sich vorstellen, wie es ist, wenn man weiß, dass man später Kaiser werden wird. Es verändert ein Leben. Und es verändert die Menschen um einen herum. Es ändert nicht das Schicksal, denn die Götter wissen weit mehr als wir. Selbst mir haben sie nicht alles offenbart, denn sonst wäre ich kaum hier. Was meinen Sohn betrifft werde ich nicht handeln ohne ein Zeichen der Götter."

    "Ein gesunder junger Mann in Rom statt eines kranken Mannes in Misenum?"


    Valerianus wusste nicht, ob der Präfekt dies gedacht hatte oder auch nur denken wollte, aber seine eigenen Gedanken konnten es nicht verdrängen. Er war nicht gerne krank und er war sich dieser Schwäche sehr bewusst.


    "Und ob ich nach Rom gehen kann, ist eine ganz andere Frage. Ich würde dort nicht mehr öffentlich auftreten können als ich es hier kann. Aber die Luft ist schlechter. Rom ist in guten Händen."

    Die Schnelligkeit, mit der der Präfekt auf ein besonders heikles Thema zu sprechen kam, war Valerianus einerseits Recht und andererseits zu grob. Recht war es ihm, weil er noch nie viele Worte gemacht hatte. Zu grob war es ihm, weil er nicht im geringsten darauf vorbereitet war. Also schwieg er erst einmal.


    "Würde ein solcher Schritt nicht bedeuten, dass ich jede Hoffnung auf eine Rückkehr nach Rom aufgebe?"

    Valerianus erwiderte den militärischen Gruß etwas nachlässig, aber durchaus kraftvoll. Zumindest die Kraft wollte er aufbringen, denn mit dem Militär kam er noch am ehesten klar und vermisste es am meisten.


    "Nimm' Platz. Die Tage, die ich mehr liegend als sitzend verbringe sind selten in letzter Zeit. Ich sollte dies wohl als gutes Zeichen sehen. Die Götter gestatteten mir gar, in der Stadt einen Tempel zu besuchen. Aber Rom ist in guten Händen. Man berichtet mir von wenigen Sorgen."

    Valerianus bedachte das Mädchen mit einem gütigem Lächeln oder zumindest dem, was er dafür hielt. Er konnte sich denken, dass sie wohl diejenige war, die heute für den Dienst bei den Sacerdotes Vestales gewonnen werden sollte. Aber er wartete lieber die Erklärung und Vorstellung durch den Pontifex ab.


    "Dies ist die zukünftige vestalische Jungfrau, Pontifex?"

    Es verging doch noch eine erhebliche Zeitspanne, bis der Beamte wieder erschien und den Praefectus Praetorio weitgehend wortlos durch mehrere Räume führte, bis ein Zimmer erreicht war, von dem mehrere große Fensteröffnungen den Blick freigaben auf das Meer. Am Ende des Raumes saß Valerianus, hinreichend präpariert, um seinen neuen Gardepräfekten zu empfangen.


    "Sei gegrüßt, Praefectus!"

    Auf den Straßen war das Geräusch von Füßen und Hufen zu hören. Dem Klang nach waren es nicht wenige, die dort unterwegs waren. Allzu schnell bewegten sie sich nicht und ihr Weg führte zum Tempel der Trias. Auf dem Vorplatz angekommen, verstummte das Geräusch der Schritte für eine Weile, dann setzte es sich wesentlich leiser noch einmal fort. Es erschien: Valerianus, der Kaiser!


    Bekleidet im Gewand des Pontifex Maximus und gestützt auf einen Stock schob er sich langsam die Stufen hinauf, bis er die Cella erreichte. Er blieb einen Augenblick stehen, dann ging er weiter. Kaum gebeugt, nicht zitternd, aber langsam. Das Licht gab nicht zu erkennen, ob er blass war und die Kleidung verbarg die Konturen seines Körpers. Schließlich erreichte er die anwesenden Wartenden.


    "Seid gegrüßt, im Angesicht der göttlichen Trias!"

    Der Brief des Senators Decimus Livianus war keineswegs ignoriert wurden, doch die Kanzleibeamten in Misenum hatten lange gezögert, wie sie nun mit ihm verfahren sollten. Normalerweise hätte man dieserlei Anliegen ohne zu Zögern an den Procurator a cognitionibus weiterleiten, aber da nun eben ein solcher ehemaliger Amtsträger in den Fall verwickelt war und der Absender des Briefes zudem Inhaber eines Imperiums war, erschien den Beamten dieses triviale Vorgehen als zu heikel. Den Fall ohne kaiserliche Stellungnahme beziehungsweise ohne Stellungnahme der Kanzlei an den Praefectus Urbi weiterzuleiten, verbot sich ebenso. Und schließlich bestand noch immer das ärztliche Verbot, den Kaiser mit zu ausgiebigen Diskussionen zu belasten, wie es hier zweifellos nötig wäre. Kurzum, keiner traute sich, sich ordentlich um den Brief zu kümmern. Bis ihn dann schließlich doch einer zum Kaiser trug und ihn wohl dosiert mit den Fakten vertraut machte.


    Valerianus bemühte sich, der Sache zu folgen, schon weil Decimus Livianus seinen Vater im Krieg begleitet hatte und deswegen ein anständiger Mann sein musste. Die rechtliche Beurteilung lag aber doch außerhalb dessen, mit dem er sich intensiv befassen wollte.


    "Man wird ein Rechtsgutachten benötigen. Eines, von einem unabhängigen Juristen. Lässt sich sowas einrichten?"


    Es schien, als rezitiere er eine Lektion, die er als junger Mann in der Grundausbildung zum juristisch bewanderten Bürger bekommen hatte. Der Beamte nickte zur Antwort, denn Juristen gab es in Rom genug.

    Auch wenn Valerianus sich ehrlich an der Anteilnahme und den Treueversicherungen seiner Priesterschaft im Allgemeinen und dieses vor ihm stehenden Exemplars im Besonderen erfreute, ermüdete ihn das Gespräch nun doch zusehends. Sein Kopf sank ganz langsam nach unten, während seine Augäpfel sich in die entgegengesetzte Richtung drehten. Aber nur für einen kurzen Augenblick, dann holte sich Valerianus selbst mit einem kleinen Ruck wieder ins Diesseits zurück.


    "Ich werde in Gedanke bei euch sein. Aber ich möchte dich nicht länger von den Vorbereitungen und von deiner Arbeit fernhalten. Ich danke noch einmal für deinen Fleiss. Vale."

    "Für eure Gebete danke ich euch."


    Mehr gab es von Seiten Valerianus' kaum dazu zu sagen. Auch selber betete er jeden Tag zu den Göttern und seinen eigenen Geburtstag würde er zweifellos gerne unter Soldaten mit einer Parade feiern. Allein sein Körper würde ihm verbieten, zu diesem Zweck zumindest die Classis aufzusuchen oder auch nur eine Parade im Garten der Landvilla abzunehmen.


    "Dann grüße bitte auch deine priesterlichen Kollegen von mir, wenn du nach Rom zurück kehrst."

    Zitat

    Original von Aulus Flavius Piso
    “In Rom erfreust du dich noch großer Popularität“, versicherte er, der wirklich noch nie eine direkte Hasstirade gegen den Kaiser gehört hatte (wohl aber gegen Vescularius), dem Monarchen. “Die Masse wäre äußerst begeistert, würdest du zurückkehren.“ Bevor Salinator ein zweiter Seianus werden würde.
    “Aber es freut mich zu hören, dass es deinem Sohn gut geht. Wann gedenkst du, ihn zum Caesar zu ernennen?“, forschte Piso ein bisschen weiter.


    Tatsächlich hatte Valerianus noch nicht seinen kompletten Humor verloren, was angesichts seines körperlichen Zustandes auch ihm selbst immer wieder als eine beachtliche Leistung erschien. Eine ordentliche Portion Sarkasmus ließ sich jedoch nicht verleugnen, ebensowenig wie die Tatsache, dass der Körper durch das bemüht aufrechte Sitzen und konzentrierte Zuhören auch nach diesem kurzen Gespräch schon wieder zu ermüden begann.


    "Ich wäre kaum minder begeistert, wenn ich nach Rom zurückkehren könnte. Nur scheinen die Götter meinen Körper wohl nicht gerne auf diesem Weg zu sehen."


    Zu der weiteren Frage nach seinem Sohn äußerte er sich nicht. Solche Dinge würde er sich nicht jetzt ausgerechnet mit einem Quaestor erörtern.

    Die Antworten des Flaviers nahm Valerianus zur Kenntnis, ging aber nicht weiter darauf ein. Dazu hätte er auch bei besserer Gesundheit sein müssen, um eine eloquente und schlagfertige Antwort auf sie zu finden. Zumal ihm ohnehin nicht viel daran gelegen war, immer das letzte Wort haben zu müssen. Die nächsten Ausführungen brachte er dann jedoch mit der ungewöhnlichen Wahl der Bekleidung in Zusammenhang und nickte verständnisvoll.


    "Ich kann gut verstehen, das der Tod eines Menschen eine wichtige Unterbrechung der Arbeit eines anderen sein kann. Umso beeindruckender, dass du deine Aufgabe trotzdem zu Ende führen konntest."


    Seine eigene Arbeit als Kommandeur war schließlich auch durch den Tod seines Vaters unterbrochen worden. Und er konnte sie nicht wieder aufnahmen, sondern musste stattdessen an dessen Stelle Kaiser werden.


    "Meinem Sohn geht es besser als mir. Er wird seinem Vater eines Tages ein stärkerer Nachfolger sein als ich es meinem Vater bin."

    "Selbstverständlich. Du darfst immer davon ausgehen, dass Salinator seine Anweisungen mit meinem Einverständnis erteilt. Er ist ein guter und zuverlässiger Mann. Sonst wäre er nicht mein Stellvertreter."


    Immerhin hatte Valerianus ja auch noch den eigenen Bruder zur Auswahl. Aber er schien von seiner jetzigen Wahl überzeugt zu sein. Dass der Quaestor dann auch noch vermelden konnte, die Arbeiten schon weit voran getrieben zu haben, bestärkte den positiven Eindruck, dass Salinator genau dem richtigen Mann die richtige Anweisung gegeben hatte.


    "Das ist sehr erfreulich, dass du die Arbeit schon fast abschließen konntest. Du musst sehr tüchtig gearbeitet haben!"


    Zumindest aus der Sicht von Valerianus, der die trockene Verwaltungsarbeit nie geschätzt hatte und schon damals im Illyricum gerne an Salinator und seine Leute abgeschoben hatte.