Beiträge von Nero Germanicus Ferox

    Ferox nickte ernst, als Cerretanus ihm seine Sicht erklärte. Machtspielchen, wie jene, zu welchen Seius Stilo neigte, hielt er ebenfalls für überflüssig, ja, schädlich. Er war froh, dass Furius Cerretanus nicht gleichgezogen hatte, sondern die Ruhe in Person blieb. Damit schien er dem Prätorianer den Wind aus den Segeln genommen zu haben - der schaute wieder lammfromm drein. Ferox suchte die Akten aus dem Archiv und breitete sie gemeinsam mit den beiden Akten, die sein Vorgesetzter schon hervorgeholt hatte, auf dem Tisch aus:


    Vernehmung des Gefangenen Didius Molliculus

    Vernehmung des Gefangenen Didius Molliculus II


    Einsatzbefehl I

    Einsatzbefehl II

    Ensatzbefehll III

    Einsatzbefehl IV

    Der hilfsbereite Sklave erlitt einen kleinen Anfall von Verzweiflung, weil der Herr seine Dienste verschmähte und die Toga am Fußende nun ein unansehnliches Knäuel bildete. Wahrscheinlich weinte er sich heute Abend in den Schlaf. Ferox erlaubte ihm daher großmütig, ihn mit Weintrauben zu füttern. Im Gegensatz zu seinem Verwandten ließ Ferox sich gern ein bisschen verwöhnen, wenn er zu Hause war. Der Dienst in der Castra war hart genug.


    "Bei der Verhandlung ging es um den Verdacht von Münschfälschung. Der Angeklagte, Kyriakos, hatte fünf Goldmünzen zur Überprüfung gebracht. Dann kam eines zum anderen. Der zuständige Vigintivir, Nero Aemilius Secundus, wollte für die Münzen keine Quittung ausstellen. Kyriakos verhielt sich daraufhin nicht eben klug und verschluckte aus Trotz die Münzen. Das provozierte den Vigintivir, harte Maßnahmen zu ergreifen, die nicht in jeder Hinsicht vom Gesetz abgedeckt werden."


    Da es sich hier um Inhalte handelte, die in einer öffentlichen Verhandlung besprochen worden waren, konnte Ferox frei darüber sprechen, ohne das Dienstgeheimnis zu verletzen. Er ließ sich eine Weintraube schmecken. Derweil schenkte der kleine Mundschenk Aculeo eine Mischung aus Wein und reichlich Wasser ein, froh, nicht ebenfalls für entbehrlich erklärt worden zu sein. Die Sklaven waren aber auch manchmal empfindlich.


    "Du kennst meine Meinung, ich bin ein Mann von Recht und Ordnung. Rom braucht Männer wie diesen Vigintivir, die auch mal hart durchgreifen. Dass der gute Aemilius dabei das Gesetz härter gebrochen hat als der Angeklagte", er grinste schief, "nun ja. Das hätte vielleicht nicht sein gemusst. Wir warten aktuell noch auf die Liste mit den Namen der Verdächtigen von ihm. Was sagst du zu dem Ganzen?"

    Ferox führte seinen Verwandten in die Principia, wo sie rasch das besagte Officium fanden. Die Castra Praetoria war sehr klar und logisch aufgebaut. "Hier sind wir. Warte kurz, ich melde dich im Vorzimmer an."


    Als der Procurator a cognitionibus von der kaiserlichen Kanzlei angekündigt wurde, musste dieser nicht lange im Vorzimmer warten. Nachdem der Tribun über den Gast informiert worden war und seinen aktuellen Arbeitsschritt beendet hatte, ließ er den Mann zu sich durch bitten.


    "Na dann, viel Erfolg!" Ferox schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Er würde vor der Tür warten, um den Gast anschließend wieder zurück zu geleiten.

    "Soso, die benötigst du also."


    Zufällig kannte Ferox den Wortlaut des Befehls sehr genau, den der Prätorianer sich hier gerade nach seinem Willen zurechtzubiegen versuchte. Auch die Soldaten der Cohortes Praetoriae hatten sich an Regeln zu halten - besonders an die Regeln des Kaisers. Um nichts Geringeres handelte es sich bei besagtem Befehl, um den niedergeschriebenen Willen des Imperatur Caesar Augustus höchstselbst.


    "Ich werde mit meinem Vorgesetzten reden. Wenn du kurz warten würdest." Sprach's und verschwand. Mal sehen, ob nicht Optio Furius Cerretanus ein Wörtchen mit dem frechen Schwarzrock zu reden hatte ...

    Als er den Namen hörte, mit dem der Gast sich seinem Kameraden vorstellte, kam Ferox aus der Wachstube und übernahm.


    "Salve", grüßte Ferox in besonders höflichem Tonfall. Zum einen, weil ein Verwandter hier stand, zum anderen, weil dieser den schmalen Purpursaum der Ritterwürde trug und hier als Amtsträger vor der Porta stand. "Welchen unserer Präfekten wünschst du zu sprechen? Der Praefectus Urbi ist leider unpässlich. Ich könnte dich zu seiner Vertretung bringen, dem dienstältesten Tribun. Alternativ zum Praefectus Praetorio."


    In Anbetracht dessen, wer hier eine Audienz ersuchte, würde diese wahrscheinlich gewährt werden.

    In der Tat war hier bereits alles vorbereitet. Die Sklaven hatten rasch eine kalte Mahlzeit zusammengestellt. Neben Honigkeksen und frischem Obst gab es auch Oliven, Schinken, Käse und Brot. Kalter Braten stand ebenfalls bereit. Gerade stellte ein Sklave gekochte Eier dazu, schon halbiert und mit einer Haube aus Kräutercreme geschmückt. Die Sklaven halfen den Herrschaften dabei, sich gemütlich niederzulassen, indem sie sich um die Lage von deren Kleidung kümmerten und ihnen zum Essen ein sauberes Leinentuch um den Hals schlangen. Der Mundschenk, ein Sklavenjunge, der hier im Haus geboren war, fragte Germanicus Aculeo schüchtern, wie er seinen Wein wünsche.


    Als beide gemütlich lagen, begann Ferox, mit einem Stück Apfel in der Hand: "Von unserer weitverzweigten Verwandtschaft kenne ich nur wenige namentlich und von noch weniger Leuten das Gesicht. Paullus Germanicus Cerretanus ist Princeps Praetorii in Mogontiacum. Er versieht sein Amt im Dunstkreis des Legatus Augusti Pro Praetore höchstselbst." Was sicher nicht immer angenehm war, wenn man den Gerüchten bezüglich Launen des LAPP glauben durfte.


    Er aß einen Bissen vom Apfel, bevor er fortfuhr: "Dein Vetter Gaius Germanicus Varro ist ebenfalls in Mogontiacum, aber beim Militär. Ich habe mit beiden noch nie persönlich zu tun gehabt, aber man sagt, Varro sei aufgrund seiner Leistungen zur Ritterwürde gekommen." Von dergleichen Ehren war Ferox noch meilenweit entfernt, aber er war auch nicht sonderlich ehrgeizig und schon glücklich, wenn einfach alles seinen Lauf nahm.


    "Wie aber geht es dir? Macht der Dienst in der kaiserlichen Kanzlei dir noch Spaß oder greifst du nach anderen Sternen?"

    "Das lässt sich einrichten!" Ferox winkte eine Sklavin heran und wies sie an, das Triclinium für Aculeo und ihn vorzubereiten, weil der Verwandte hungrig war. Da die Sklaven der Germanicii es schon geahnt hatten, weil Heimkehrer meist einen gesunden Appetit mitbrachten, waren die ersten kalten Speisen bereits zusammengestellt und jemand hatte sich aufgemacht, einen guten Wein aus dem Keller zu holen.


    "Wir können uns schon mal langsam in Richtung Triclinium bewegen. Wenn wir ankommen, wird dort schon alles vorbereitet sein." Er setzte an, loszuschlendern und im Gehen weiterzuplaudern. "Unser Hausstand ist ruhig, Aculeo. Die meisten unserer Verwandten hat es in die Provinz verschlagen."


    Sie erreichten das Triclinium.

    An seinem heutigen freien Tag hatte Ferox der Casa Germanica einen Besuch abgestattet. Das tat er regelmäßig, denn er war gern hier und genoss den kurzen Ausflug ins zivile Leben. Meist blieb er nur eine Stunde, selten einen freien Tag, so wie heute. Mit Büchern, gutem Essen und dem Wunsch nach Ruhe hatte er sich nach einem ausgiebigem Bad in seinem Zimmer verschanzt. Was ihren Hang zu innerer Einkehr und Literatur betraf, waren viele Germanicii sich ähnlich.


    Ein Sklave klopfte vorsichtig und informierte Ferox, dass man unten seinen Namen rief, denn Paullus Germanicus Aculeo war heimgekehrt. Rasch legte Ferox sein Buch beiseite, heute nicht Miles Germanicus Ferox, sondern einfach nur Ferox, der Mann, der sein Haus und seine Familie vermisst hatte. So kam er auch nur in weicher Haustunika mit einem locker sitzenden Gürtel und leichten Sandalen zu Aculeo.


    Ferox begrüßte seinen Verwandten mit einem Lächeln. "Ah, Aculeo. Salve und willkommen zu Hause. Gutes Wetter hast du mitgebracht. Schön, dass wir uns heute einmal erwischen. Ansonsten verpassen wir uns leider zu oft." Er meinte, einen Anflug von Schwermut im Gesicht des Verwandten zu sehen, wollte aber warten, ob dieser von selbst darüber sprechen würde.

    Ferox starrte ausdruckslos auf seine Tabula, während er sich Notizen machte. Als klar wurde, dass der Vigintivir Aemilius samt seiner Münzmeisterei involviert war, legte er die Stirn in Falten, unterbrach den Mann jedoch nicht. Wie es aussah, zog die Angelegenheit größere Kreise. Nachdem Python geendet hatte, lehnte Ferox sich zurück. Sein Gegenüber wirkte glaubwürdig verstört. Bei den Cohortes Urbanae war das Lupanar Ganymed eine bekannte Adresse und Ferox hatte schon das eine oder andere Mal dienstlich mit diesen Lupos zu tun gehabt. Einige von ihnen waren für die Cohortes Urbanae kein unbeschriebenes Blatt, doch Python und Evenor galten bislang als unauffällig. Wie sollte man nun verfahren?


    "Bitte warte einen Moment."


    Ferox musste seinen Vorgesetzten befragen. Nach geraumer Zeit kam er wieder. Man hielt es für unnötig, den so gut wie blinden Python festzusetzen. In die Entscheidung spielte hinein, dass Ferox ihm die Schilderung des Unfalls glaubte, aber auch, dass Python ohnehin nicht fliehen konnte. Sofern sich eine Anklage ergab, konnte man seiner ohne Probleme habhaft werden. Der momentan von Christen überfüllte Carcer musste nicht unnötig belastet werden.


    Ferox nahm wieder Platz. "Im Moment habe ich keine weiteren Fragen. Aber ich möchte mir den Unfallort gern einmal ansehen. Fühlst du dich imstande, mich jetzt dorthin zu führen?"

    Ferox war damit betraut worden, das Archiv der Fallakten zu sortieren. Inzwischen war er gut vorangekommen und die Arbeiten waren weitestgehend abgeschlossen. Heute aber musste er einen Kameraden von den Cohortes Praetoriae versorgen, der ihm mit einem Anliegen angekündigt worden war. Innerlich stöhnte Ferox gequält auf, als er sah, dass es sich um Sisenna Seius Stilo handelte. Dem zwielichtigen Optio traute er noch weniger über den Weg als den meisten anderen Prätorianern, die er kannte. Insbesondere, weil er immer so arschfreundlich tat, was Ferox ihm nicht abkaufte. Es gab keine freundlichen Prätorianer.


    Ferox grüßte höflich, doch nicht übermäßig devot. Er legte die Faust auf das Herz und fragte mit ernstem Gesicht: "Wobei kann ich dir behilflich sein?"

    << Stadttor der Via Appia


    Python wurde vom Stadttor in die Castra Praetoria geleitet. Da er blind war, durfte er sich am Arm des Capsarius einhaken, der ihn vorsichtig führte. Er geleitete ihn in den Befragungsraum, wo es trotz der sommerlichen Hitze angenehm kühl war. Man bot ihm auch etwas Wasser an und hieß ihn dann zu warten, bis jemand für ihn Zeit hätte. Nach einer geraumen Zeit fand sich Ferox ein. Er war bereits darüber informiert worden, dass der Mann, den er befragen sollte, blind und schwerhörig war. So sprach er besonders langsam, laut und deutlich.


    "Salve, ich bin Miles Nero Germanicus Ferox. Zunächst benötige ich deinen Namen, Stand und Beruf. Dann bitte ich dich, mir zu schildern, was sich heute zugetragen hat."


    Sein Griffel schwebte abwartend über der Tabula, um alles aufzuzeichnen.

    Die Urbaner nahmen dem Mann den Leichnam ab und trugen ihn in den Krankenraum. Entgegen aller Hoffnungen untersuchte ein Capsarius den reglosen Körper, um festzustellen, ob er tatsächlich das Reich der Lebenden verlassen hatte. Leider bestätigte sich, dass hier nichts mehr zu machen war, denn die Halswirbelsäule war vollständig gebrochen. Eine blutende Platzwunde am Kopf und einige kleine Schürfwunden an den Gelenken ließen einen schweren Sturz vermuten. So wurde der Abtransport geregelt.


    Für zwei Tage würde man den Toten bei den Cohortes Urbanae lagern, falls sich doch noch Hinweise auf ein Verbrechen ergaben oder jemand Anspruch auf den Leichnam erhob. Wäre dies nicht der Fall, würde sich einer der Bestattungsvereine des Toten annehmen und nichts als ein Eintrag in die Akten an ihn erinnern.


    Python aber wurde in die Castra Praetoria geleitet.

    Ramnus glaubte nicht daran, denn wie hoch war die Wahrscheinlichkeit dafür? Dennoch bequemte er sich, einen näheren Blick auf das zu werfen, was der vernarbte Mann da schleppte. "Den Medicus kannst du dir sparen", sagte er ruhiger und sanfter als man es sonst von ihm kannte. Er winkte seine Kameraden heran, um dem Unglücklichen seine traurige Last abzunehmen. Ein Senator oder dergleichen war es zum Glück nicht. Der wäre auch kaum mutterseelenallein vor der Stadtmauer herumgeschlendert. Auf den ersten Blick konnte Ramnus keine Hinweise auf einen gewaltsamen Tod erkennen, aber er war kein Fachmann.


    "Nimm es nicht schwer. In einer Stadt wie Rom sterben täglich hunderte Leute, vielleicht sogar tausende. Auch bei jungen Leuten bleibt manchmal einfach das Herz stehen, besonders bei einer Hitze wie dieser. Wir kümmern uns um alles Weitere. Es gibt öffentliche Bestattungsvereine. Falls sich niemand melden sollte, der diesen Toten sucht, wird er trotzdem ein angemessenes Begräbnis erhalten. Wir nehmen noch deine Personalien auf und bitten um eine kurze Beschreibung, wo du den Toten gefunden hast, und dann kannst du gehen." Er blickte zu Pullus. "Übernimmst du?"


    "Mach ich." Pullus blickte den vernarbten Mann an. Es gab zu wenig Leute, die halfen, wenn sie eine hilflose Person im Grase liegen sahen. So tat es ihm etwas leid, dass Ramnus so grob reagiert hatte, auch wenn er im Grunde recht hatte. So sagte er bewusst freundlich: "Es dauert nicht lange. Komm." Er gab den Weg in die Wachstube vor.

    Ferox war nicht am Tor, da er sich zu jener Zeit in der Castra Praetoria dem Archiv der Fallakten widmete. Dafür schoben Ramnus und Pullus gerade mit ihren übrigen Kameraden Wachdienst. Als jemand, der einen schlaffen Körper trug, um Hilfe schrie, hob Ramnus zunächst nur müde eine Braue. Kranke Zivilisten zu versorgen fiel nun wirklich nicht in ihren Aufgabenbereich. Trotzdem bequemte er sich ein paar Schritte nach vorn, um sich dem schreienden Mann zu widmen.


    "Salve. Der nächste Medicus ist gleich die Straße runter und dann links." Er fand nicht, dass die um Hilfe rufende Gestalt so aussah, als könne sie sich die Dienste eines Arztes leisten, aber er vertrat die Auffassung, dass an dieser Stelle seine Pflichten als Soldat endeten - auch, wenn der schlaffe Patient der Kleidung nach wohl ein römischer Bürger war. Man konnte sich schließlich nicht um alles Elend der Welt kümmern, selbst wenn Ramnus gewollt hätte. Er hatte seine Befehle, wie er zufrieden feststellte.

    Ferox und Tarpa hatten inzwischen entschieden, sich aufzuteilen. Ferox saß hinter Kyriakos, um diesen im Blick zu behalten, während Tarpa neben dem Eingang stand, um Fluchtversuchen vorzubeugen. Beide folgten aufmerksam dem Geschehen. Als die Sprache auf die Rolle der Cohortes Urbanae kam, blickten die beiden anwesenden Urbaner jedoch nur mit ausdruckslosen Fischgesichtern vor sich hin. Sie waren es gewohnt, im Dienst keinerlei Regung zu zeigen, die auf ihr Inneres schließen ließ. Das diente dem Schutz ihrer Persönlichkeit vor den Eindrücken, denen sie täglich ausgesetzt waren, aber trug auch dazu bei, dass ihre Gegner die nächste Handlung der Urbaner nicht ahnen konnten. Wären Ferox und Tarpa unter sich gewesen, hätten sie sich nun beim Thema Durchsuchung gegenseitig fragend angesehen. So aber warteten sie nur regungslos, bis jemand das Wort an sie persönlich richten würde, um den Fluss der Verhandlung nicht zu unterbrechen, denn die Fragen waren trotz des Blickes des Advokaten in ihre Richtung in erster Linie an den Kläger gerichtet.

    Von der Castra Urbana zur Basilica Ulpia war es ein gewisser Fußmarsch. Man hörte im Saal bald das typische Geklapper der genagelten Sohlen der Caligae und das Klimpern der Soldatengürtel, das auf nahendes Militär hinwies. Kurz darauf traten Ferox und Tarpa mit Kyriakos in ihrer Mitte ein. Ferox ließ den Blick gewohnheitsmäßig beim Eintreten durch den gesamten Raum schweifen. Vorn wartete schon der Praetor peregrinus. Der Kläger war mit seinem Gefolge nicht zu übersehen. Und da war, den Göttern sei Dank, auch der Advokat. Ferox grüßte ein ziviles "Salvete" in die Runde, da außer ihm und Tarpa keine Militärs anwesend waren. Der Gruß geschah mit gedämpfter Stimme, da Aulus Iunius Tacitus gerade mit dem Prätor im Gespräch war.


    Für die beiden Urbaner war es die erste Gerichtsverhandlung. In einer idealen Welt hätte er eine ausführliche Instruktion von seinem Vorgesetzten erhalten, doch in der Realität kamen oft Zeitnot oder unsaubere Arbeitsweise dazwischen. Er vermutete, dass der Angeklagte in der Nähe des Advokaten sitzen musste, damit sie sich absprechen konnten, und schickte Kyriakos zu ihm. Sollte das nicht im Sinne der Ordnung sein, würde der Prätor das schon korrigieren. Die Urbaner würden sich irgendwo dahinter postieren. Ferox rechnete allerdings nicht damit, eingreifen zu müssen.

    Die Zellentür öffnete sich und ein Streifen Licht fiel in die graue Dämmerung der Zelle. "Es ist Zeit."


    Kyriakos war in der kurzen Zeit seiner Haft anständig behandelt worden, da er tadellos kooperiert hatte. Natürlich kam ihm auch entgegen, dass man ihn hier kannte. So musste er nicht hungrig vor dem Prätor sprechen. Anstelle des Gefangenenkittels durfte er eine gegürtete Tunika und saubere Sandalen tragen, die man ihm lieh. Zuvor hatte er die Gelegenheit erhalten, sich zu waschen, zu rasieren und zu frisieren.


    Heute hatte Ferox Tarpa dabei. Zu zweit würden sie den Gefangenen zur Anhörung begleiten.

    So wurden die Urbaniciani nicht jeden Tag begrüßt. Ferox fand, an so viel Höflichkeit könnten sich so manche Leute ein Beispiel nehmen. "Salve, die Milites Sentius Asper und Germanicus Ferox von den Cohortes Urbanae", grüßte er. Mit Asper hatte er bewusst einen freundlich aussehenden Kameraden mitgenommen, so dass sie beide zumindest nicht bedrohlicher wirkten, als ihr bloßer Beruf von Natur aus implizierte. Ferox hob die Schriftrolle. "In diesem Brief an Aulus Iunius Tacitus ist die dringende Bitte eines unserer Gefangenen um Rechtsbeistand enthalten. Wir bitten darum, dass der Advokat dieses Schreiben schnellstmöglich liest, da uns die Zeit in diesem Fall mit sehr großen Schritten davon rennt. Wenn er es sich einrichten kann, das Mandat anzunehmen, käme das nicht nur dem Gefangenen, sondern auch uns sehr entgegen."


    Mehr durfte er nicht sagen, doch sicher genügte es für den erfahrenen Advokaten, um zu schlussfolgern, dass der Gefangene für die Cohortes Urbanae irgendeine Form von Wert besaß, sei es durch Verwandtschaft, Klüngelwirtschaft oder dienstliche Verstrickungen. Entscheiden aber musste Aulus Iunus Tacitus selbst. Sollte er ablehnen, wie es sein gutes Recht war, würden selbstverständlich keinerlei Nachteile für ihn entstehen. Es war eine Bitte, nicht mehr und nicht weniger.


    Ferox reichte dem Mann vor ihm den Brief.



    De

    Kyriakos

    Carcer der Cohortes Urbanae



    Ad

    Advocatus

    Aulus Iunius Tacitus



    DRINGEND: Bitte um Rechtsbeistand



    Hochverehrter Advocatus Aulus Iunius Tacitus,


    hier schreibt Kyriakos von Sparta, der im Vertrauen auf das römische Rechtssystem in große Not geriet. Aus bitterer Haft heraus ersuche ich deinen Rechtsbeistand, um arge Unbill für mich abzuwenden.


    Da der Termin zur Anhörung vor dem Praetor peregrinus schon morgen zur vierten Stunde anberaumt ist, vergib mir, dass ich dir im Folgenden bereits den vollen Umfang meiner Situation darlege, denn eine weitere Gelegenheit zur Konversation werde ich nicht erhalten.



    **************************************************



    Ich brachte am heutigen Tage einem jungen Vigintivir, dem Tresvir monetalis Nero Aemilius Secundus, im Vertrauen auf das römische Recht fünf Goldmünzen zur Überprüfung. Mir war daran gelegen, untersuchen zu lassen, ob es sich womöglich um Falschgeld handelte, denn ich betreibe ein Geschäft, das Lupanar Ganymed, und wünsche keinen Konflikt mit dem Gesetz. Ich hatte die Aurei aus zweifelhafter Quelle erhalten.


    Als ich in der Münzprägeanstalt vor der Herausgabe jedoch um eine Quittung für die fünf Münzen bat, nahm das Unheil seinen Lauf. Mit sofortiger Wirkung verwandelte ich mich vom Zeugen in einen Angeklagten. Warum, das wissen die Götter allein. Meiner Kleider, meiner Sandalen und meines Geldes wurde ich beraubt, gleichsam jedweder Würde. Man hängte mich kopfüber auf und misshandelte mich, verabreichte mir ein Gift und drohte, mich aufzuschneiden.


    Unter dieser Behandlung war es mir nicht länger möglich, eine Herausgabe der Münzen ohne Erhalt einer Quittung zu verweigern. Da sich bei der folgenden Überprüfung vermutlich einige der Münzen tatsächlich als Falschgeld offenbarten, brachte der Vigintivir mich nach Abschluss dieser Quälerei vor die Sella curulis des Praetor urbanus. Aemilius Secundus wählte diesen Magistrat, obgleich dieser, wie ich dem Gespräch entnahm, für Cives zuständig sei und ich als Peregrinus dem Rechte nach dem Praetor peregrinus zugeteilt werden müsse. Mutmaßlich entschied er so, weil er Günstling des Praetor urbanus ist, wenn die Aussage seines Mitarbeiters stimmt, denn jener höhnte in diesem Sinne ob meiner Machtlosigkeit, sollte ich das Wort vor dem Prätor zu erheben wagen.


    Darüber hinaus kündigte der Tresvir monetalis an, von nun an sei der Besitz von Falschgeld eine Straftat. Aemilius Secundus versuchte weiterhin zu verhindern, dass mir ein Advokat beiseitegestellt würde. Dies sind zwei Dinge, die mir besondere Sorge bereiteten, sind sie doch geeignet, jeden Glauben an die Unität von Rechtswesen und Gerechtigkeit zu zerschlagen.


    Doch beraumte der Scriba des Praetor urbanus ein Anhörung vor dem Praetor peregrinus an und verordnete, mich in die Obhut der Cohortes urbanae zu überstellen und mir einen Advocatus zur Seite zu stellen.


    So ungeheuerlich dies alles klingen mag, ich schwöre bei dem Namen von Herakles, von dem die Könige Spartas abstammen, und bei den göttlichen Zwillingen Castor und Pollux, Söhne der Königin Leda von Sparta: Jedes Wort entspricht der Wahrheit. Für meine Aussagen gibt es zahlreiche Zeugen, von den Mitarbeitern der Münzprägeanstalt an begonnen, auch wenn sie kaum gegen ihren Herrn aussagen werden, bis hin zum Scriba des Praetor urbanus, der an jenem Tage wahre Größe bewies.


    Und so begab es sich, dass ich in die Gefangenschaft der Cohortes urbanae geriet. Im Carcer empfahl ein Soldat mir deinen Namen und ich bitte dich sehr, dich meines Falls anzunehmen. Ich versichere, dass ich in der Lage bin, dir ein angemessenes Honorar zu entrichten.



    **************************************************



    Ich verbleibe in der Hoffnung auf einen positiven Entscheid, denn du bist in der Tat meine letzte Hoffnung.


    So bitte ich innig um dein Erscheinen morgen zur vierten Stunde vor dem Praetor peregrinus.


    Hochachtungsvoll

    Kryriakos



    PS: Für den Fall, dass du die Aussage meiner Mitarbeiter benötigst, lege ich dir die Adresse meines Lupanars bei. Der Ansprechpartner ist Pollux.


    Lupanar Ganymed

    Clivus Suburanus

    IV. Regio

    Roma