Der Kaiser sah endlich eine Diskussion in Gang kommen. Aber leider ging diese in eine Richtung, die ihm so nicht passte. Vielleicht hätte er doch einfach das Consilium Ulpianum entscheiden lassen sollen.
Nachdem Menecrates nochmals seine Position bekräftigt hatte, hob er mahnend die Hand. "Ich habe mir den Bericht von Praefectus Decimus, den ich seit geraumer Zeit wieder in seinen Amt habe, natürlich angehört." Er blickte in die Augen derjenigen, die unter Salinator in den Senat aufgestiegen waren. "Ich schätze ihn als treuen Soldaten und engagierten Beschützer des Staates und meiner Familie, weshalb ich ihn eben auch wieder zum wichtigsten Kommandeur des Exercitus Romanus gemacht habe, was ich im übrigen nicht bereut habe." Er machte eine kurze Pause, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen. "Dennoch bekleidete er dieses Amt erstmals erstmals unter Vescularius Salinator und wird deshalb von manchen als sein Günstling und Parteigänger betrachtet. Allein deshalb werden seine Ermittlungen von manchen als politisch vorbelastet betrachtet und ihre Ergebnisse angezweifelt." Er sah zu den Parteigängern Palmas. "Der Mord an Valerianus ist ein sehr verworrener Fall und es wird kaum möglich sein, ihn zweifelsfrei aufzuklären, denn die Zeugen sind weitgehend Sklaven, deren Aussagen fraglich sind, oder unmittelbar Betroffene, die mit ihren Angaben ihre Interessen verfolgten. Am Ende halte ich die Interpretation der ermittelten Fakten für so offen, dass ich mir kein Urteil erlauben möchte." Er legte wieder eine kleine Pause ein, um dann noch einmal klar zu machen: "Ich könnte die beiden, Cornelius Palma nicht verurteilen. Ebensowenig könnte ich sie aber schlicht freisprechen." Und vor allem konnte er sich nicht leisten, mit einem solchen Urteil eine der alten Parteien vor den Kopf zu stoßen.
Er sah ihn beide Lager und legte die Stirn in Falten. "Wie schon gesagt geht es mir nicht darum, Schuldige zu finden oder ein Tribunal einzurichten, um über die Zeit des Bürgerkriegs und der Jahre davor zu richten. Alle Kräfte dieser Jahre haben ehrenvolle Ziele zu verwirklichen versucht, alle haben das Blut guter Römer vergossen. Auch wenn die physischen Wunden nicht mehr bluten, sind die geistigen noch immer kaum vernarbt und drohen, bei zu starker Belastung erneut aufzureißen. Dies würde erneut zu Unfrieden führen, den zu begraben ich vor Jahren angetreten bin." Er strich sich durch den Bart.
"Diese Debatte dreht sich um das Ulpianum, das unseren Kindern die großen Römer vor Augen stellen soll, die Helden unserer Zeit. Das ist der Grund, warum die Klausel mit dem Vorstrafenregister in den Richtlinien steht. In diesem Sinne sollten wir sie auch bewerten. Die zentrale Frage, um die es hier also gehen muss, ist nicht: Haben Tiberius Durus und Vinicius Lucianus von der Ermordung Valerianus' gewusst oder etwas damit zu tun gehabt? Sondern die Frage ist: Erachtet ihr sie für geeignet, den kommenden Generationen als Vorbilder zu dienen?
Was die Grundlagen für ein solches Werturteil sind, mag für jeden unterschiedlich sein: der eine wird in dubio pro reo entscheiden, der andere allein den Zweifel an der Integrität für einen hinreichenden Grund, eine Person auszuschließen. Beide Positionen sind legitim, denn wir stehen hier nicht vor Gericht und einen Beweis, der über jede Anfechtung erhaben ist, wird es heute wie damals nicht geben." Die Überwachungskamera und die DNA-Analyse war ja noch nicht erfunden.
Er strich sich noch einmal durch den Bart. Vielleicht sollte er einfach abstimmen lassen. Inhaltlich schien es sich ja tendenziell im Kreis zu drehen.