Beiträge von VETURIA SERENA

    Serenas altes Ich griff das Stichwort Netzwerk auf. Wer ein Netzwerk errichtete, wollte Einfluss in verschiedenen Bereichen nehmen. Aus Zeitvertreib spann niemand ein Geflecht, sondern nur derjenige mit einem Plan. Das Ziel musste Änderungen bestehender Strukturen beinhalten, alles andere machte keinen Sinn. Serena nahm sich ein Stückchen Brot und kaute, während sie nachdachte. Zaghaft meldete sich das neue Ich.

    'Was willst du ändern? Du bist Augusta und bleibst es, solange Tiberius regiert. Um seine Macht zu stärken, benötigst du kein eigenes Netzwerk.' Dem stimmte sie zu. Es gab nichts zu bewirken, daher benötigte sie auch keine Klienten, und zum Stärken von Schützlingen fühlte sie sich nicht berufen.

    Sie blickte zu Tiberius und lächelte. "Danke, das hat mir geholfen."

    Auch seine nachfolgende Empfehlung half Serena. Er drängte sie nicht, empfahl den Blick nach vorn und benutzte umsichtige Worte. Allein das Wort 'behutsam' wirkte wie Balsam und gleichzeitig anspornend. Sie wiegte lächelnd den Kopf, was der Skepsis die Bedeutung raubte, denn Tiberius hatte sie längst überzeugt.

    "Dein Geburtstag bietet Pflicht und Freude zugleich. Mir scheint, er eignet sich wirklich gut als Anfang." Die ersten Klärungen seit dem Tod ihres Jungen lagen hinter ihr. Was früher wie nebenbei gelang, erschöpfte sie heute zusehends. Ein eigenes Anliegen verfolgte sie nicht mehr, aber sollte ihr Gatte weitere Angelegenheit zur Sprache bringen, würde sie zuhören.

    Serenas Blick hing wie gebannt auf dem Antlitz ihres Gatten. Sie hörte zu, verarbeitete, aber im Entschluss schwankte sie.

    'Siehst du!' Triumphierend meldete sich das alte Ich zu Wort. 'Ich habe dir gesagt, dass du nichts ändern musst!' Es schien Serena verlockend, den gewohnten Weg weiterzugehen. Tiberius lieferte sogar überzeugende Argumente, denn anscheinend stellten Klienten keine Neuerung dar.

    Das neue Ich gab sich nicht geschlagen. Mahnend wisperte es: 'Hast du denn schon wieder alles vergessen?' Serena zuckte zusammen. Wie sollte sie die Erlebnisse im Lararium vergessen? Sie hatte die Göttin gespürt, ohne sich selbst für verrückt zu halten. Hin und her gerissen beschloss sie, die Angelegenheit weiter auszuleuchten.

    "Du punktest mit Fakten, ich habe nur ein Gefühl." Nach dem Eingeständnis ihrer mageren Argumente fühlte sie sich nicht erleichtert, dabei müsste sie es sein, denn alles sprach für Tiberius' Ansicht. Stattdessen wuchsen Zweifel.

    "Wie sah es denn vor Divus Iulianus aus? Bei Ihm gab es doch die Senatorinnen." Insofern schien seine Regierungszeit wenig geeignet, um sie zum Vorbild zu nehmen. Nachfolgende Kaiser hielten es ähnlich bei den Klientinnen, sagte Severus, allerdings nicht mit den weiblichen Senatoren, was vielleicht einen Trend einläutete.

    Plötzlich fiel Serena ein, sie durfte gar nicht wanken, denn zu Beginn der Cena schloss sie den Pakt mit Iuno. Es galt, Tiberius zu gewinnen, und erst jetzt fühlte sie sich erleichtert.

    Eine beruhigende Erklärung, warum ein Christ ihre erste Klientin tötete, ohne dass Iuno richtete, fiel ihn nicht spontan ein. Sie würde darüber nachdenken müssen. Sie könnte auch die Vestalinnen besuchen, um deren Einschätzung zu erfragen.


    Als Severus auf ihre Frage, wie sie ihm gefiel, antwortete, schaltete Serena alle anderen Gedanken ab. Sie wollte nichts missverstehen und nichts überhören, denn sein Wunschbild musste in ihr Selbstbild passen. Sie lächelte, weil er ihr ein gutes Gefühl gab, trotz der vielen Fehler. Er bezeichnete sie als unkonventionell, was sich nicht schlimm anhörte. Wenn er sie nie als geschmacklos empfand, konnte sie ihn bisher auch nicht enttäuscht haben, so schlussfolgerte sie. Serenas Erleichterung folgten prompt neue Sorgen. Was, wenn ihm nur die alte Serena gefiel, nicht aber die neue?

    Sein eindringlicher Blick ließ ihren Atem stocken. Ein kleines Mädchen war sie freilich nicht, nur aktuell verunsichert und auf der Suche nach Orientierung. Sie sah ein, dass sie nicht dauerhaft auf ihrem Zimmer bleiben konnte und die Öffentlichkeit mied. Respekt würde sie sich verschaffen können, daran zweifelte sie nicht, aber noch trug sie Trauer, noch fehlte ihr die Kraft. Ihr Blick folgte seiner Hand und sie sah aus dem Fenster. Das Capitolium erstrahlte im Sonnenlicht des Herbstes. In Gedanken sah sie die Ränge gefüllt, spürte die Luft vibrieren und hörte Getose. Rom pulste weiter, ungeachtet der Tatsache, dass das Leben um ihren kleinen Jungen zum Stillstand gekommen war. Ein Stillstand, der sie mit erfasste.

    Sie riss den Blick los und erforschte Tiberius' Augen, bevor sie eine Bitte äußerte.

    "Gib mir noch etwas Zeit zum trauern. Ich bin nicht so stark wie du." Insgeheim zweifelte sie, aus dem Tal der Trauer je herauszufinden, aber funktionieren musste sie.

    Die Kaiserin diktierte verschiedene Briefe, von denen einer bei der Villa Flavia abgegeben wurde.


    Magister Septemvirorum

    Templa Urbis

    Roma



    Der Magister wird gegrüßt


    Die Augusta lässt ausrichten, dass alle Fragen, die Opferungen zu den Dies Natalis des Kaisers betreffend, mit ihr erörtert werden sollen. Die besonderen Umstände in diesem Jahr erfordern eine Rücksprache zu den Abläufen.



    Im Auftrag der Augusta

    M. Maecilius Optatus


    Schreiber


    Die Kaiserin diktierte verschiedene Briefe, von denen einer bei der Villa Flavia abgegeben wurde.


    Magistrer Arvales Frates

    Templa Urbis

    Roma



    Der Magister wird gegrüßt


    Die Augusta lässt ausrichten, dass alle Fragen, die Feierlichkeiten den Dies Natalis des Kaisers betreffend, mit ihr erörtert werden sollen. Die besonderen Umstände in diesem Jahr erfordern eine Rücksprache zu den Abläufen.



    Im Auftrag der Augusta

    M. Maecilius Optatus


    Schreiber


    Die Kaiserin diktierte verschiedene Briefe, von denen einer bei der Villa Flavia abgegeben wurde.


    Pontifex pro Magistro

    Manius Flavius Gracchus

    Villa Flavia Felix

    Roma



    M. Flavius Gracchus wird gegrüßt


    Die Augusta lässt ausrichten, dass alle Fragen, die Feierlichkeiten den Dies Natalis des Kaisers betreffend, mit ihr erörtert werden sollen. Die besonderen Umstände in diesem Jahr erfordern eine Rücksprache zu den Abläufen.



    Im Auftrag der Augusta

    M. Maecilius Optatus

    Schreiber


    Sim-Off:

    Wann immer du Zeit hast und wie immer du es regeln möchtest (per Brief, per PN oder Audienz), lass es mich wissen.

    Der Geburtstag des Kaisers findet dann statt, wenn die Vorbereitungen dafür abgeschlossen sind. :) Danach steht er allerdings als festes Datum im Kalender.

    Serena erwiderte das Lächeln und entspannte sich immer mehr. Der Vorschlag, sich die Abläufe der Prozession erklären zu lassen, milderte die Sorge, sie selbst könnte versagen. Die Aufgabe schien zu bewältigen zu sein und wenn ihr Gatte sich darüber freute, umso besser. Mitentscheiden zu können, was angesichts der Trauer unpassend wäre, stärkte sie. All das löste den Knoten im Magen und Serena bekam Appetit. Sie traute sich an ein Stück Fleisch, ließ es sich in mundgerechte Happen schneiden und hoffte, es möge im Mund weniger werden und nicht wie das Brot mehr. Erstmals schmeckten Speisen nicht mehr fad. Ihre Geschmacksnerven arbeiteten wieder.


    Sie kaute, als Severus die Botschaft vom Tod ihrer ersten Klientin überbrachte. Vor Schreck weiteten sich ihre Augen, sie wollte etwas erwidern und verschluckte sich beim Luftholen. Ein Sklave sprang herbei, nahm das Besteck ab und half der Kaiserin beim Aufrichten. Sitzend rang sie nach Luft. War das schon wieder ein Zeichen von Iuno? Durfte sie nicht liegen? Innerlich schüttelte sie den Kopf. Würde Iuno sie strafen wollen, dann zum einen nicht, wenn sie Klientinnen abstoßen wollte, und zum anderen ließe sie die Kaiserin dann viel länger am Hustenanfall leiden. Der aber legte sich.

    "Was?" Ihre Stimme klang piepsig. Noch immer mangelte es ihr an Luft und die Schocknachricht tat ihr übriges. Dass auch ihre Klientin mit dem Tod bestraft wurde, entsetzte sie. Auch wenn sie ahnte, dass Tiberius ihren Gedankengängen schwer folgen konnte, denn am Sterbebett ihres Sohnes hatte ihn Serenas' Bericht über die Erlebnisse im Lararium nicht bestürzt, öffnete sie sich erneut. "Die Götter bestrafen mich! Iuno hat mir nicht am Krankenbett unseres Sohnes geholfen und nun musste sogar eine meiner Klientinnen sterben."

    Ihre Gedanken irrten umher, während Tiberius die Frage nach dem Warum stellte. Serena wirkte fahrig, als sie die Arme um sich schlag. Sie zitterte. "Mit einer Frau, die Klientinnen hat, stimmt etwas nicht." Trotz leiser Stimme sprach sie entschieden. Sie war zu dieser Überzeugung gelangt und niemand konnte sie ihr ausreden. Die Todesnachricht bestärkte sie in dem Glauben, Unrechtes getan zu haben, als sie Klientinnen annahm und sogar mit ihnen prahlte.


    Sie musste überlegen, bevor sie fortfuhr. "Es gibt für mich nur zwei Möglichkeiten, Tiberius. Entweder ich folge unserem Sohn oder ich fange noch einmal von vorn an." Sie warf einen scheuen Blick zu ihm. "Ich dachte, ich probiere den Neuanfang. Ich möchte zurück auf den Stand, wo wir uns kennengelernt haben. Zu dieser Zeit habe ich mir am besten gefallen." Sie traute sich kaum weiterzusprechen, aber sie musste es wissen, weil seine Meinung das Zünglein an der Waage bedeutete. "Und dir? Wie habe ich dir am besten gefallen?"

    Der verzagte Gesichtsausdruck, mit dem Serena ihren Gatten betrachtete, löste sich im Verlauf seiner Antwort in Wohlgefallen auf und machte dem ersten größeren Lächeln Platz seit der Todesstunde ihres Sohnes. Erleichterung machte sich breit, die sie zügeln musste, um das Entweichen der Anspannung nicht durch einen Seufzer hörbar werden zu lassen.

    "Das heißt im Umkehrschluss: Wer mich nicht anspricht, hat alles im Griff." Sie sprach schnell, um die Aussage als Tatsache zu statuieren. Einschränkungen würde sie nur ungern hören. "Ich muss nichts weiter machen, als allen Bescheid zu geben, dass ich in diesem Jahr die Ansprechperson bin." Vor der Cena wäre ihr auch diese Verantwortung unsäglich groß erschienen, aber nachdem sie im Geiste bereits konsultiert wurde, um die Opfertiere auszusuchen, wirkte die Verantwortung als Ansprechpartner dagegen wie ein Pappenstiel.


    Ihre Gesichtsmuskeln verrichteten ungewohnte Arbeit, weil sie schon wieder lächelte. Versonnen griff sie nach einer Olive, hielt sie mit Daumen und Zeigefinger hoch und drehte sie zum Licht. Als dunkler Punkt inmitten eines Lichtkranzes strahlte sie Magisches aus, das selbst nach dem Verspeisen blieb. Lichtpunkte, gleich wohin Serena fortan blickte, gesellte sich zu ihr.

    War das ein Zeichen von Iuno? Wenn, dann konnte es kein schlechtes sein, dachte Serena bei sich.

    Als sie zu Severus sah, tanzten die Lichtpunkte bei jedem Zwinkern auch über dessen Gesicht. Der Zeitpunkt schien geeignet.

    "Ich würde mich auch über deine Hilfe freuen." Eingangs der Cena hatte sie mit Iuno in Gedanken einen Pakt geschlossen, bei dem sie ab sofort als Zeichen ihrer hohen Position eine Cena nur noch im Liegen verbrachte, sich dafür aber noch heute von einem inakzeptablen Teil ihrer Vergangenheit verabschiedete. Den inakzeptabelsten Punkt aus ihrer Sicht stellten die Klienten dar.

    "Ich habe zwei Klientinnen: Decima Messalina, eine Vestalin, und Tiberia Lucia, die Ehefrau von Consular Duccius Vala. Ich möchte mich von ihnen trennen. Hilfst du mir, Tiberius?"

    Die Aussage des Kaisers, er könnte ihre Hilfe sehr gut gebrauchen, richtete Serena innerlich auf. Ein paar Kleinigkeiten zu übernehmen und abzuwarten, wie sie sich dabei fühlte, versprach ein guter Plan zu sein. Sie nickte auch noch zustimmend, als ihr Gatte prophezeite, die Priester würden opfern und die Senatoren gratulieren wollen. Wahrscheinlich würden auch die vielen einfachen, aber gläubigen Römer eine Prozession erwarten und erhoffen. Als aber Severus auch noch in die Kerbe der eigentlichen Organisatoren schlug und von Freude und Entlastung sprach, wenn sich Serena engagierte, öffnete sie aus Verblüffung den Mund und hob die Brauen. Das war mehr, als sie sich zutraute. Selbst wenn sie sich ab sofort nicht mehr ihrem Kummer hingab, was nicht realistisch schien, würde die Zeit kaum ausreichen, um allein eine solch große und wichtige Feier zu
    organisieren. Zum Glück lenkten den Kaiser die Speisen ab, daher wusste sie nicht zu sagen, ob er ihren Schreck bemerkt hatte. Als sie zu ihm blickte, wirkte sie verzagt.

    "Das ist viel Arbeit und viel Verantwortung, Tiberius." Sie schätzte flüchtig ab, ob Iuno etwas gegen ihr Wirken haben könnte, denn sie glaubte, jeder Fehltritt ihrerseits würde weiterhin bestraft werden, erwartete von dieser Seite aber keine Gefahr. Die Gefahr lauerte wo anders. Ihr Gatte würde sich über ihre Hilfe freuen und fast schien es, als könne sie ihn nur enttäuschen. Ihr ohnehin kleiner Appetit löste sich in Luft auf. Trotzdem griff sie zu einem gereichten Happen, um nicht nur zuzusehen.

    "Wird es reichen, die Priester zu erinnern, und sie werden dann selbstständig für die Ausrichtung der Feier sorgen?" Der Happen landete in ihrem Mund, wurde beim Kauen allerdings größer statt kleiner. Sie musste trinken, um ihn hinab würgen zu können. "Müssen alle Provinzverwalter erinnert werden? Weißt du, ob irgendjemand selbstständig an das Fest denkt?" Sie merkte, wie sie einerseits zweifelte und andererseits hoffte.

    Während Tiberius sein Befinden schilderte, betrachtete Serena sein Äußeres. Sie kannte ihn geordneter, gleichzeitig erklärte er, es ging ihm 'den Umständen entsprechend gut', was nicht schlecht klang. Bei ihr verhielt es sich genau umgekehrt. Sie bemühte sich um eine intakte Fassade, dabei ging es ihr miserabel. Sie scheute Kontakte und verweigerte Antworten. Gerade führte sie die erste Konversation seit vielen Tagen.


    Als Severus zu seinem Becher griff, läutete er den Beginn der Cena ein. Serena wollte Gleiches tun, musste sich aber zunächst festlegen, ob sie die Mahlzeit im Sitzen oder Liegen verbringen wollte. Der erste Tag, an dem sie nicht auf ihrem Zimmer aß, und schon fingen die Probleme an. Alles Bisherige stellte sie in Frage, weil sie mit ihren Entscheidungen viel zu oft danebenlag. Was würde wohl Iuno raten oder sehen wollen? Serena wusste, die Göttin half nicht, sie richtete nur, also fing sie zu überlegen an.

    Sie lebte nicht zu Zeiten der Republik und gehörte auch nicht den niederen Kreisen an, aber bedeutete dies automatisch, dass sie bei einer Cena liegen durfte? Sie musste für sich die Frage beantworten, ob liegende Frauen der Oberschicht einer neumodischen Strömung angehörten, oder ob sie dem Geist ihrer Zeit entsprachen. Serena blickte gequält, aber ihren Gatten wollte sie auch nicht fragen. Sie allein musste zukünftig die richtigen Wege finden und gehen. Sie wollte Iuno und ihrem Sohn zuliebe nie wieder neumodisch sein, aber hinter der Zeit zurückbleiben sollte eine Kaiserin ebenfalls nicht.


    Schließlich reifte ein Entschluss. Sie schlug Iuno in Gedanken einen Pakt vor, bei dem sie ab sofort als Zeichen ihrer hohen Position eine Cena nur noch im Liegen verbrachte, sich dafür aber noch heute von einem inakzeptablen Teil ihrer Vergangenheit verabschiedete. Zufrieden und mit sich im Reinen, legte sich Serena hin. Sie bemühte sich um eine anmutige Haltung. Gemütlich liegen konnte sie wo anders.


    Nachdem diese Sache geklärt war, widmete sie sich den Vorschlägen ihres Gatten.

    "Du bist in der Pflicht zu regieren, das treibt dich an. Für mich gibt es keinerlei Antrieb." Kaum ausgesprochen bemerkte sie den Irrtum. "Obwohl, das stimmt so nicht. Mir wurde nahegelegt, mich um deinen Geburtstag zu sorgen, weil es in diesem Jahr sonst kein anderer tut. Meinst du, sie machen diese Drohung wahr?" Sorge schwang mit, obwohl sich Serena gerne vor jedweder Organisation drücken und in ihrem Zimmer verkriechen würde. "Welche Form der Feier hältst du denn für angebracht?" Sie betrauerten immerhin den Tod ihres Sohnes.


    Die Worte, dass ihr Kleiner bei allem, was sie tat, nicht wieder lebendig werden würde, wollte sie nicht hören. Sie folgte Iunos Auftrag in der Hoffnung, dass es Iulianus dort, wo er jetzt war, gut gehen möge. Dafür musste sie Sorge tragen.

    Sie nippte erstmals an ihrem Getränk, gab den Becher aber sofort wieder ab. Der Appetit und Durst ließ zu wünschen übrig.

    Minuten, die wartend verbracht wurden, zogen sich in die Länge, obwohl sie keinesfalls mehr Zeitvolumen bargen als aktiv verbrachte. Die erste Minute saß die Kaiserin reglos, die nächste betrachtete sie ihre Finger. Sie strich über die Nägel, musterte deren Form und legte die Hände wieder ab. Die dritte Minute kaute sie auf ihrer Unterlippe, während in der vierten das Herz zu klopfen begann. Um sich abzulenken, schloss sie die Augen und sog absichtlich den Duft der Blüten ein, dem sie sich zuvor verschlossen hatte. Als sich die Schwere ihres Gemütes für Momente lichtete, schreckte sie zusammen. Ihrem kleinen Jungen war es nicht vergönnt, sich besser zu fühlen, also durfte sie das ebenfalls nicht. Ein Zusammenhang, dem sie momentan nicht entfliehen konnte.

    Schritte drangen an ihr Ohr und sie lauschte. Ohne Zweifel traf Severus ein. Sie freute sich, ihn zu sehen, aber fürchtete sich auch davor. Die Nervosität stieg, weil sie nicht wusste, was sie erwartete. Sie würde ihr ganzes bisheriges Leben hinterfragen und umkrempeln müssen, wusste aber nicht einzuschätzen, ob sie in ihrer Ehe auch so viele Fehler gemacht hatte.


    Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als der Kaiser den Raum betrat. Serena empfing den Kuss und hörte die Zustimmung für ihr gemeinsames Essen. Sie bekam keine Zeit, sich ihrer Erleichterung bewusst zu werden, versuchte sich aber in einem Lächeln und hoffte, dass Severus es als solches identifizieren konnte. Sein ernster Blick verunsicherte sie nicht, denn er passte zur gestellten Frage. Auch Serena wurde wieder ernst. Ein tiefer Atemzug entfuhr ihr unwillkürlich, bevor sie antworten konnte.


    "An guten Tagen suche ich nach Halt. An den schlechten..." Sie brach ab, weil die Worte fehlten. "Es fällt mir oft schwer aufzustehen." Sie lag dann apathisch im Bett und brütete vor sich hin. Viel mehr, als über sich selbst zu berichten, wünschte sie Kenntnis über sein Befinden.

    "Und wie geht es dir?" Ihre Stimme klang zart.

    Es gehörte nicht zu Serenas Aufgaben, den Geburtstag ihres Gatten zu organisieren, zumal ein kaiserlicher Geburtstag zuweilen größere Ausmaße annahm, aber in diesem Jahr schienen sich die Organisatoren darin einig zu sein, die Augusta mittels Beschäftigung aus der Lethargie zu reißen. Sie ließen sie wissen, dass niemand sonst einen Finger rührte und es bei ihr lag, ob der Genius des Kaisers an diesem Tag geehrt wurde.

    Serena ließ sich Tage Zeit, in denen sie apathisch lag und darüber nachgrübelte, wann der geeignetste Zeitpunkt für eine solch ungewöhnliche Klärung wäre, zumal sie seit dem Todestag ihres Jungen jedem Kontakt aus dem Weg gegangen war. Sie verwarf den Gedanken an ein Gespräch im abgeschirmten Schlafraum. Stattdessen wählte sie ein gemeinsames Essen. Gäste wollte sie nicht sehen und konnte sie auch nicht gebrauchen, also vergingen weitere Tage.


    Heute gegen Ende des Tages gab es weder einen offiziellen Termin noch eine private Verpflichtung für den Kaiser. Der Zeitpunkt schien günstig, also fand sie keine Ausflüchte mehr. Während ihre Frisur noch einmal gerichtet wurde, sann sie über die Hintermänner dieses Komplotts nach. Sie gestattete es sich nicht, deren gute Absichten zu erkennen, weil sie dann eingestehen müsste, dass die "Verschwörer" geschickt handelten. Die Kaiserin benötigte Zwang, um wieder auf die Beine zu kommen. Der Boden unter ihren Füßen wankte noch zu sehr.


    Sie wollte die drapierten Blumen beim Betreten des Raumes nicht sehen, aber ihre Nase vermeldete sie. Die liebliche Seite des Lebens schob sie kontinuierlich fort. Die bereitstehenden Sklaven ignorierend, nahm sie Platz, richtete unnötigerweise ihre Tunika und wartete auf den Kaiser.

    Während zwei junge Sklaven aus Unsicherheit nicht wussten, wie sie reagieren sollten, trat Eubulus an die Kaiserin heran. Er ging davon aus, auch wenn sie seit Tagen nicht sprach, dass ihre Ohren funktionierten.

    "Domina, in Kürze hat der Kaiser Geburtstag. Ich benötige Anweisungen für die Vorbereitungen. In welcher Form soll sein Genius geschmückt werden?" Als er keine Antwort bekam, versuchte er es mit einer Provokation. "Oder soll die Feier in diesem Jahr ausfallen?"

    Anfänglich hörte Serena kaum zu, denn das Beklemmungsgefühl hatte sich in Erstickungsangst gesteigert. Erst die letzte Frage riss sie aus dem Muskelkrampf.

    "Was? Nein!" Immerhin gab es zurzeit für Serena nichts Erstrebenswerteres, als dass wenigstens ihr Gatte noch möglichst viele Wiederholungen des Festtages erleben durfte. Sie stand gebeugt und keuchte weiter, aber ihre Gedanken kreisten nicht mehr ausschließlich um die Opferung vor Tagen.

    Da die Feierlichkeiten zu Ehren des kaiserlichen Genius ebenfalls mit einem unblutigen Opfer begannen, lenkte Eubulus die Aufmerksamkeit der Augusta auf andere Teilbereich der Planung. "Werden denn reichsweite Feierlichkeiten stattfinden?" Wieder blieb eine Antwort aus, aber es lag nicht an der generell gepflegten Wortlosigkeit der Kaiserin und ebenso wenig an ihrem Zustand, sondern sie wusste es nicht. Während sie überlegte, verlangsamte sich ihr Japsen.

    "Wer kümmert sich um die Klärung?"

    Serena hob unwissend die Schultern. "Woher soll ich das wissen? Wer hat sich denn sonst darum gekümmert?" Ihre Aufmerksamkeit lag nun beim Thema, auch wenn Nachdenken schwerfiel. Ihr Brustkorb hob sich noch immer schneller als üblich, daher redete Eubulus weiter.

    "Wenn es wieder Bankette, Paraden oder Spiele geben soll, müssen wir umgehend mit der Organisation anfangen. Oder findet in diesem Jahr nur etwas im kleinen Rahmen statt?" Immerhin gab es den Trauerfall.

    Serena wusste es nicht, versuchte sich aber zu erinnern. Dadurch entschleunigte sich ihre Atmung. "Wir benötigen dringend Informationen darüber, wie viele Gäste geladen sind, denn danach richtet sich der Umfang von Geburtstagskuchen samt Festessen." Der Kuchen wurde abends gereicht, so hielt man es in der Vergangenheit.

    "Ja, ja, ich kümmere mich bei Gelegenheit." Die Kaiserin begann, sich zu ärgern. Sie atmete wieder unverkrampft und achtete nicht auf das Lararium, vor dem sie stand.

    "Bei Gelegenheit wird nicht ausreichen. Wie sieht es aus mit einem Geschenk?" Eubulus blickte ernst, dann fing er an zu grinsen.

    "Ich werde dich auspeitschen lassen." Auch die Kaiserin blickte ernst, dann atmete sie resigniert aus, weil sie Eubulus durchschaute. Ablenken, beschäftigen, nerven lautete seine Devise und sie ging auf.

    "Gern geschehen." Seine Stimme wirkte sanft. Nach einem langen Blickkontakt drehte er sich um und ging.

    Serena atmete einmal durch. Für den späten Nachmittag plante sie ein Gespräch mit Severus. Das erste nach jenem furchtbaren Tag. Es blieb abzuwarten, ob sie das Vorhaben umsetzte oder es vertagte. Noch immer plagten sie Schuldgefühle, obwohl ihr Severus keine Vorwürfe machte. Helfen konnte er ihr trotzdem nicht. Sie musste die erdrückenden Gefühle aus eigener Kraft ablegen.

    Zwei Tage verbrachte Serena auf ihrem Zimmer, in denen sie wenig schlief, ab und zu etwas trank und mehrfach den Versuch aufgab, etwas Essbares runterzuwürgen. Einer Puppe gleich ließ sie das Waschen und Ankleiden über sich ergehen. Zuweilen kam es ihr vor, als würde sie neben sich stehen, die fahle Hülle ihrer selbst sehen, entkommen den grausamen Gedanken und gerettet in einen Zustand ohne Sorgen, der leider nur flüchtig anhielt, bevor die Wirklichkeit sie wieder zu Boden drückte.


    In ihrer Welt schien keine Sonne mehr, ungeachtet der tatsächlichen Wetterlage. Die gleichen Ängste, die ihr nachts den Brustkorb zudrückten, raubten ihr tagsüber die Kraft. Sie sah sich außerstande zu trauern, weil sie den Verlust verdrängte, um wenigstens zu funktionieren. Die Muskeln, die ansonsten ein Lächeln bewirkten, schienen abhanden gekommen zu sein. Sie wollte nicht lächeln, aber vor allem konnte sie es nicht. Ihr Gesicht fühlte sich an wie ein Stein.

    Die sie umgebenden Sklaven sortierte sie aus. Sobald ein Wort auf den erlittenen Verlust hinwies, hob sie abwehrend die Hände und nahm Reißaus. Sie wollte nicht mit der Tatsache konfrontiert werden, weil ihre Ressourcen nicht zum Standhalten reichten. Ob ihre Stimme noch funktionierte, wusste niemand zu sagen. Sie verständigte sich mittels Gesten und pflegte zu schweigen.


    Heute fochten Pflicht und Rückzugswunsch einen erbitterten Kampf miteinander aus. Minutenlang stand sie vor der eigenen Zimmertür, unschlüssig darin, wem sie nachgeben sollte: sich aus dem Leben zurückziehen, einen Schritt hinein wagen oder einfach auf der Stelle verharren. Es kostete sie Überwindung, in den Gang zu treten. Sie schloss die Augen, um nicht die Tür des Unglückszimmers zu sehen, als sie vorbei in Richtung Lararium ging. Nur wenige Schritte trennten sie vor besagtem Raum, als sie stoppte. In Erinnerung an die Erlebnisse vor Tagen mutierte die ansonsten flache Atmung zu tiefen Zügen, die in ein Hyperventilieren mündeten, bevor sie sich schleppend umwandte. Sie wollte zurück auf ihr Zimmer rennen, aber die Atmung ließ es nicht zu. Sie suchte eine Wand als Halt, japste nach Luft und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Angst bemächtigte sich ihrer.

    Als Serena erwachte, benebelte Opium ihren Geist. Trotz hoher Dosis brach die Erkenntnis über sie herein, dass der Alptraum ihres Lebens keinem Traum entsprang. Unmittelbar erfolgte die Erinnerung an das letzte Ausatmen ihres Jungen, das niederschmetternde Urteil des Medicus und ihr Zusammenbruch. Einem Einschlag gleich knallte das Unabänderliche auf sie nieder. Sie trudelte durch einen imaginären kreisrunden Raum ohne Halt und ohne Boden. So oft sie die Arme Halt suchend ausstreckte, sie rutschte ab und stürzte weiter. Angst grassierte in ihr. Nicht um ihr Leben, denn das verlor jeden Sinn. Sie wusste nicht, wie sie den Verlust ertragen sollte.

    Das Entsetzen in ihr besaß ein solches Ausmaß, dass es sie daran hinderte zu weinen. Auch Teile ihres Körpers schienen gelähmt. Die Lunge arbeitete kaum, weil ihr die erlittene Erschütterung den Brustkorb zusammenpresste. Sie gab niemandem Antworten und verweigerte das Essen. Einzig die Notdurft zwang sie, das Bett zu verlassen, aber das Zimmer verließ sie nie.

    Sie schleppte sich zurück ins Bett, rollte sich zusammen und starrte mit aufgerissenen Augen ins Leere.

    Sie hörte vom Medicus das, was sie ohnehin wusste; er war unfähig. Beim letzten Satz zuckte sie allerdings zusammen, weil er die Verantwortung an die Götter abtrat. Jene hatten doch schon längst die Hände nach ihrem Jungen ausgestreckt und der Medicus sollte helfen, dass sie ihn nicht bekamen. Da ihr Kopf schmerzte und die Gedanken zäh wie Harz flossen, fehlte ihr eine passende Antwort darauf. Zum Überlegen blieb ohnehin keine Zeit, denn sie hörte ein Geräusch aus zarter Kehle. Ihr Kopf ruckte herum, während ihr Herz vor Freude sprang. Jede Bewegung, jeder stärkere Atemzug seitens ihres Jungen leitete bisher die Wachphasen ein. Sie beugte sich zu ihm, löste eine Hand und legte sie an seine Wange.

    Zärtlich flüsterte sie: "Da bist du ja, mein Kleiner." Eine weitere Reaktion nach dem Atemgeräusch blieb jedoch aus. Spannung stellte sich weder im Körper noch der umschlossenen Hand ein.


    Serena hatte noch nie einen Menschen sterben sehen. Sie wusste nicht, dass letzte Atemzüge in einem kräftigen Ausatmen endeten, oft begleitet von einem letzten Strecken. Seele und Geist verließen in jenem Moment den Körper. Der Mensch und auch ein Tier hauchte sein Leben aus.


    Verständnislos musterte Serena ihr Kind. Es fühlte sich warm an, außerdem hatte es sich eben noch bemerkbar gemacht. Sie ahnte zwar, dass irgendetwas nicht stimmte, kämpfte aber gegen die erschlagenden Gedanken an, weil sie diese nicht verkraften könnte. So sehr sie sich wehrte, wieder drückte ihr aufsteigende Panik die Luft ab. Ihre Augen weiteten sich, während das Herz raste.

    Ihre Stimme klang dünn, ängstlich, nahezu panisch. "Was hat er?"

    Als sie Platz nahm, fehlte ihr die Vorstellung, wie lange sie auf den Medicus würde warten müssen, denn sie hatte ihn vor der Ankunft des Kaisers nicht im Zimmer bemerkt. Entsprechend überrascht, wandte sie den Kopf, als er umgehend zur Tür hereintrat. Zum Glück für sie, zum Unglück für den Arzt, wirkte der Kraftschub noch in ihr, den ihr Gatte durch seine Anwesenheit bewirkte. Ironie benutzte sie nur in grenzwertigen Situationen als Ausdrucksform. Sie befand sich in einer und legte los.


    "Wie vorteilhaft für dich, hier zu sein, wenn der Kaiser eintrifft! Gestern hattest du ja reichlich wo anders zu tun, statt dich durchgängig um unseren Jungen zu kümmern." Serena spürte, wie der Unmut weitere Stärke in ihr mobilisierte.

    "Wann wacht mein Sohn wieder auf? Über das Fieber müssen wir nicht sprechen. Es wurde behandelt und ist nicht mehr da! Danach wolltest du herausfinden, was der Grund für das Fieber ist und ihn behandeln!" Ihr Blick vereinte Vorwurf, Angst und Forderung. "Was fehlt ihm also und wie sieht deine Behandlung aus?!"


    Die Kaiserin erwartete eine präzise Auskunft darüber, was sie tun konnte, damit ihr Junge überlebt. Sie wollte kämpfen und sie würde kämpfen, wusste nur nicht, wo und wie. Ihr Blick fixierte den Medicus, aber sie stand weder auf noch ließ sie die Hand ihres Jungen los. Vielleicht spürte er die Wärme seiner Mutter und brauchte sie. Sollte der Arzt untersuchen wollen, würde sie bereitwillig Platz machen, aber viel an Kompetenz traute sie ihm nicht mehr zu.

    Mit vielem hatte sie gerechnet, aber nicht mit einem Lächeln. Seine Zuversicht, ihr Junge würde es schaffen, sprang wie ein Funke Hoffnung auf sie über.

    Seit gestern in der Frühe hörte sie ausschließlich vernichtende Urteile und sah nur in besorgte Gesichter. Keiner sprach ihr Mut zu, als sie mit ansehen musste, wie die Phasen der Bewusstlosigkeit immer länger wurden. Nicht zuletzt zermürbte sie die Erinnerung an die Opferung, die sie in keiner Sekunde losließ. Als wäre dem nicht genug, lagen zweiunddreißig Stunden ohne Schlaf und Essen hinter ihr, dafür angefüllt mit einem Auf und Ab der Gefühle. Nie erlebte sie eine größere emotionale Tortur. Immer dann, wenn der Kleine zu sich kam, sprang sie auf. Sie redete mit ihm und hielt seine Hand, während er gefüttert wurde. Immer wieder hoffte sie, er blieb für immer wach, doch dann entschwand er wieder. Dieses Mal währte die Bewusstlosigkeit so lange wie nie zuvor. Serena war mit ihren Nerven am Ende. Um nicht von Panik und Verzweiflung übermannt zu werden, flüchtete sie sich in einen der Welt entrückten Zustand. Der Kaiser riss sie mit seinem Eintreffen dort heraus. Nun bot er Halt, als einziger.

    Von Herzen wünschte sie, er möge Recht behalten, aber als ihr Blick seiner Hand folgte, sah sie die bleiche Haut und die blutleeren Lippen ihres kleinen Jungen, und obwohl sie sich wehrte, erlosch der Hoffnungsfunke wieder.

    Die nachfolgenden Worte trafen sie. Flüchtig bekamen ihre Augen einen wacheren Ausdruck, der ihre Verwunderung über die Tonart zeigte. Serena schätzte solche Umgangsform nicht, das wusste ihr Mann, doch im nächsten Moment räumte sie ein, dass Absicht dahinterstehen konnte, um sie zu aktivieren, weil ihre Kräfte schwanden. Dass er mit keinem Wort auf ihre Selbstvorwürfe einging, kam nicht in ihrem Bewusstsein an.

    "Stärkung kann er nur erhalten, wenn er zu sich kommt." Sie wollte sich nicht verteidigen und tat es doch. Sie wollte aus diesem Alptraum aufwachen, aber es misslang, weil der Angsttraum der Wirklichkeit entsprach.

    Was auch immer sie antrieb, sie setzte einen Fuß vor den anderen und funktionierte. Bei der Amme angekommen, sprach sie mit leiser Stimme. "Ich will den Medicus hier haben, sofort!"

    Anschließend schlich, teils taumelte sie zurück zum Bett ihres Kindes, wählte die gegenüberliegende Seite und setzte sich an den Rand. Ihr Herz verriet, dass ihr Junge heute wohl nicht mehr zu sich kam. Ihre Hand umfasste seine, die gänzlich ohne Körperspannung war. Mit der zweiten Hand strich sie die kleinen Finger in jene Haltung, die sie einnehmen würden, wenn er zufassen würde. So verharrte sie, bis der Medicus kam.

    Die Amme trat weiter zurück, als das Kaiserpaar ein vertrauliches Gespräch begann. Sie wies die Sklaven an, sich möglichst unauffällig zurückzuziehen. Für das Kind konnte im Augenblick nichts getan werden und womöglich nie wieder. Vor der Tür sorgte ein Posten dafür, dass niemand ungebeten in das Zimmer platze.


    Ruhe breitete sich aus, keine friedliche. Sie wirkte auf Serena bleiern, denn ihr fiel es nicht leicht, zu ihren Fehltritten zu stehen. Längst hatte sie noch nicht entschieden, ob sie weiterleben, oder ihrem Jungen folgen wollte. Es wäre viel bequemer, mit ihrem sterbenden Sohn zu ziehen, als für immer die Schuld an seinem Tod ertragen zu müssen. Sie bräuchte nur weiterhin nichts essen, würde schwach werden, krank und sterben. Dann wäre der Kleine da drüben nicht allein und sie könnte ihn beschützen. Es gäbe keine Amme, nur Mutter und Sohn.

    Es gab allerdings auch etwas zu gewinnen, wenn sie zu ihren Fehlern stand. Seelenruhe durch schonungslose Ehrlichkeit gegenüber ihrem Ehemann und, falls sie es wollte, die Chance auf einen Neuanfang. Sie spürte seinen Blick, konnte ihn aber aus Scham nicht erwidern. Wenn sie alles gestehen wollte, dann musste sie es beim Anblick ihres sterbenden Jungen tun. Klein, hilflos und verloren lag er da und doch gab er ihr Stärke. Vielleicht war es nicht Kraft, die er gab, aber einen Grund. Trotzdem ließ sie Tiberius' Frage zusammenzucken und das, obwohl nicht einmal ein Vorwurf in der Äußerung lag.

    Sie fühlte sich schwach, selbst leises Reden strengte an.

    "Es gab einen Fingerzeig der Götter." Für Serena galt er als Beweis ihrer Schuld, nur ohne Erklärung würde Tiberius das nicht verstehen, also holte sie aus. "Ich habe das Gespräch mit Iuno gesucht und habe sie um Hilfe für unseren Jungen gebeten, aber sie nahm mein Opfer nicht an." Die Kaiserin schluckte.

    Kurz scheute sie davor zurück, von Iunos Reaktion zu erzählen, aber ihr neues Ich trieb sie weiter an. "Der Rauch wurde zu Boden gedrückt und am Ende schloss er mich ein."

    Ihre Stimme sank zu einem Flüstern. "Sie lässt unseren Kleinen sterben als Strafe für mich. Du trägst keine Schuld, aber erhältst die gleiche Bestrafung wie ich." Wieder schluckte sie. Weder der zarte Junge noch sein Vater hatten je etwas Schlechtes getan. Kein irdischer Richter würde Unschuldige verurteilen. Götter hingegen zögerten nicht, sie vollstreckten.

    "Ich habe im Lararium überlegt, wo ich überall fehl in meiner Entscheidung lag, und es fielen mir etliche Situationen ein. Ich habe so viele Fehler gemacht." Es kostete sie Überwindung, weil sie seine Enttäuschung fürchtete, aber sie suchte trotzdem den Blickkontakt. "Kannst du mir verzeihen?" Viel hing von seiner Antwort ab, denn gleich welchen Weg sie später wählte, seine Vergebung brauchte sie.


    Da standen sie nun. Das mächtigste Paar des Reiches, aber machtlos angesichts ihres sterbenden Kindes. Mit ihm ging das Wichtigste verloren.

    Die Tür zum Zimmer öffnete sich regelmäßig. Mal brachten Sklaven frisches Wasser, zuweilen frische Brühe, die dem Jungen selten verabreicht werden konnte, mal nahmen sie gebrauchte Laken mit. Die Amme und die im Zimmer ausharrende Kaiserin wurden ebenfalls mit Essen versorgt, das beide aber nicht anrührten. Die Amme wollte nichts essen, bevor die Kaiserin etwas aß, und Serenas Zugang zum Magen blieb durch die Ereignisse wie zugeschnürt.


    Als sich die Tür erneut öffnete, realisierte die Amme erst spät, dass es sich um den Kaiser handelte. Hastig erhob sie sich und trat respektvoll zur Seite, um dem Vater Platz am Bett seines Sohnes zu machen.

    "Nicht gut, Dominus. Das Fieber haben wir senken können und trotzdem wird er immer schwächer." Sie redete leise und blickte besorgt. "Der Medicus weiß keinen Rat und die Medizin schlägt nicht an." Sie wusste nicht, ob sie wie ein Wasserfall reden durfte, tat es aber, weil sie hoffte, dass der Kaiser noch etwas bewirken konnte. "Könnte man nicht einen zweiten Arzt hinzuziehen?" Ihr Blick erfasste kurz die Kaiserin, danach sprach sie flüsternd weiter. "Sie ist meist wie weggetreten und erteilt kaum Anweisungen."


    Serena saß abseits in einem Korbsessel und starrte zum Zeitpunkt, als der Kaiser eintrat, in die Leere, gänzlich der Welt entrückt. Kleinste Signale, es mochte der Schritt oder die Gestalt ihres Ehemannes sein, drangen in ihr Bewusstsein vor und ließen sie in die Wirklichkeit zurückkehren. Zunächst folgte ihr Blick seinen Bewegungen, anschließend wandte sie den Kopf. Die Erkenntnis, dass der Einsturz ihrer Welt noch nicht seinen Endpunkt erreicht, aber mit dem Eintreffen des Kaisers weiter seinen Lauf nehmen konnte, brach über sie herein. Sie wusste nicht, was die Götter ihr noch alles nehmen würden, aber nach dem Jungen könnte es auch Tiberius sein. Dabei traf ihn keine Schuld, wohl aber sie.

    Serenas altes Ich bäumte sich auf, denn es suchte nach einem Ausweg. In ihrem Innern schrie es, natürlich trägt er einen Teil der Schuld! Stets schaute er weg, wenn ich mir Fehltritte leistete. Weder versuchte er im Guten noch mit Strenge mich zur Vernunft zu bringen. Er duldete alles Tun.

    Er ist voller Güte und Nachsicht, trumpfte das neue Ich in Serena auf. Er leistete sich nie einen Fehler, war ein guter Ehemann und liebender Vater. Das Glück hatte es so gut mit dir gemeint, aber du hast alles verspielt! Du darfst die Schuld jetzt nicht auf ihn abwälzen.

    Es kostete sie Kraft, sich aus dem Korbsessel hochzustemmen, denn die Schuldenlast wog schwer. Schleppend ihr Gang, bis sie neben Tiberius trat. Sie holte Luft, öffnete die Lippen, doch kein Laut drang heraus. Ihr leerer Blick ruhte auf ihrem Sohn. Im Herzen wusste sie, dass er ihnen nicht mehr lange blieb.

    Sie atmete schwer, dann wisperte sie die Botschaft. "Es ist alles meine Schuld."

    Bevor Serena das Lararium verließ, musste sie eine Entscheidung treffen. Sie ahnte, dass erst ein Entschluss ihr auf die Beine helfen würde, während die Unentschlossenheit sie am Boden hielt. Feststand außerdem, sie musste Konsequenzen ziehen, wenngleich ihr niemand erklärte, welche Wirkung jenen anhaftete. Da sie nichts riskierte, wenn sie sich dem Unbekannten öffnete, schob sie die imaginäre Tür weiter auf und sah sich um. Sie erblickte einen Pfad mit leichter Steigung. Steine lagen verstreut, knorrige Wurzeln verliefen quer über den Weg. Auf dem Gipfel der Anhöhe stand ihr Elternhaus. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie überlegte, was ihr diese Vision sagen sollte.


    Sie glaubte, den Weg der Sittlichkeit mit dem Auszug aus ihrem Elternhaus verlassen zu haben. Diese Entwicklung umzukehren, bedeutete Anstrengung. Es galt Hindernisse zu überwinden und über sich hinauszuwachsen. Als sie bemerkte, nichts außer ihr selbst stand ihr im Weg, zog sie das schmerzende Bein heran, erhob sich auf die Knie, setzte der gesunden Fuß auf und drückte sich nach oben. Einen Moment wankte sie, danach fand sie das Gleichgewicht. Steif, aber weitgehend sicher, verließ sie das Lararium, ohne einem der Sklaven eine Anweisung gegeben zu haben. Sie musste zu ihren Fehlern stehen, sonst erreichte sie nie ihr Elternhaus. Fortan bewegte sie sich auf unbekanntem Terrain.


    Eine Sklavin kam ihr im Gang entgegengerannt.

    "Domina, dem Jungen geht es besser. Er ist schon halbwach!"


    Das Herz der Kaiserin sprang. Sie glaubte, die Göttin erteilte ihr nur eine Lehre, aber rettete trotzdem ihren Sohn. Sie lief, obwohl ihr Knie schmerzte, die letzte Strecke bis zum Zimmer ihres Kindes, trat voller Hoffnung ein und bemerkte nicht die ratlosen Gesichter. Die Augen nur auf das Bett gerichtet, strebte sie zu ihrem Sohn und beugte sich hinunter.