Beiträge von Cossus Malleus

    Während sich Malleus auf der Umrandung des Impluviums niederließ, hüstelte Bolanus eine Weile gekünstelt herum, reckte und streckte sich und verfiel schließlich in langgezogenes Räuspern. Malleus schüttelte stöhnend den Kopf, sagte aber nichts. Entweder, der Bursche hatte nichts von Belang in Erfahrung bringen können – dann würde ihm das manierierte Getue allerdings auch nicht weiterhelfen – oder aber, er hatte tatsächlich mit einigen hilfreichen Informationen aufzuwarten, die er lediglich mit etwas Pathos würzen wollte. Zur grenzenlosen Erleichterung des müden Custos Corporis erwies sich letzteres als zutreffend.


    „Nun .. als Wild würde ich die beiden nicht gerade bezeichnen, eher als Gockel und Dachs. Der eine stolziert den ganzen Tag kreuz und quer durch die Stadt, der andere verkriecht sich in seinem Bau, genauer gesagt, im Bau seines Geschäftspartners Glaucus. Du weißt schon, der Tuchhändler. Wie es scheint, hattest du recht mit deiner Vermutung. Seit dem Anschlag ist Gowin überraschend menschenscheu geworden. Keine Ausflüge auf’s Forum mehr, kein Gang in die Therme, kein Besuch seiner Stammkneipen, nichts. Der hockt den ganzen Tag nur im Haus rum.
    Seine Geschäfte lässt er von Glaucus’ Bediensteten erledigen. Die kaufen allerlei wertlosen Plunder für ihn auf. Vermutlich, um nach und nach eine Fuhre zusammenzustellen. Sieht so aus, als hätte der Belgier vor, demnächst die Zelte hier abzubrechen. Einen Custos hat er sich auch zugelegt. Urus. Das reinste Vieh. Dumm wie ein Mastschwein aber aggressiv wie ein Eber. Ohne den geht Gowin nichtmal vor die Tür, um Luft zu schnappen. Ziemliches Nervenbündel, der Gute.“


    Mit einer Mischung aus Stolz und Verblüffung blickte Malleus zu Bolanus auf. Was er immer sagte: Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben. Die gelegentlichen Anschisse und Arschtritte hatten also endlich ihre Wirkung getan. Der Bursche begann, rund zu laufen „Respekt, Bolanus. Und woher weißt du das alles? Warst du im Haus?“


    „Im Haus? Nein. Die haben ihre Hütte ähnlich verrammelt wie wir das hier in der Casa gemacht haben. Da kommt kein Unbefugter rein. Es ist viel banaler. Hilmar, einer von Claucus’ Angestellten, steigt schon seit geraumer Zeit meiner kleinen Schwester nach. Du verstehst?“


    „Absolut.“ grinste Malleus. Ein gutes Wort des älteren Bruders konnte manchmal Wunder wirken. „Also schön. Dann ziehen wir Thilo von Gurox ab und konzentrieren uns auf Gowin. Bulbus lässt sich die Dienste des Jungen ohnehin unverschämt gut bezahlen. Fragt sich nur, wie ich an den Belgier rankomme. Wird schwierig, ihn ohne großes Spektakel da rauszuholen.“


    „Allerdings.“ nickte Bolanus mit einem feinen Schmunzeln. „Schwierig bis unmöglich, fürchte ich. Zumindest tagsüber.“


    Zwar wusste Malleus beim besten Willen nicht, was den Amtsdiener derart erheiterte, ahnte aber, dass Bolanus noch etwas Wesentliches zurückhielt. „Wie .. zumindest tagsüber? Was soll das heißen?“


    Bolanus’ Schmunzeln wurde zu einem triumphierenden Grienen. „Das soll heißen, dass er die Nächte meist außer Haus verbringt.“


    „WAS?“


    „Tja, der sonst so ängstliche Belgier pflegt abends kurz vor Torschluss mit seinem Custos die Stadt zu verlassen.“ Dass Bolanus den Moment aufs Genüsslichste auskostete, war nicht zu übersehen. Durfte er. Hatte er sich verdient.


    „Du machst Witze, oder?“


    „Keineswegs. Unser Freund hat neben seinen anderen Schwächen auch noch einen sehr ausgeprägten Hang zu Trunk und Würfelspiel. Offensichtlich haben ihn diese Leidenschaften fester im Griff als ihm gut tut. Du kennst doch sicher diese schummrige Kaschemme am Castellum Mattiacorum.“


    Malleus nickte verdutzt. Und ob er die Pinte kannte. Taberna Tertius Gaudens. Ziemlich raues Publikum. Soldaten. Veteranen. Raufbolde und Suffköpfe, die in den Tabernae der Stadt mehr als unerwünscht waren. Ein ziemlich heruntergekommenes Loch, in das sich üblicherweise kein unbescholtener Bürger verlief. Er selbst hatte sich dort immer ausgesprochen wohl gefühlt, und wenn er so drüber nachdachte, erschien ihm Gowin’s Wahl der Lokalität geradezu logisch.


    „Verstehe. Die Ratte fühlt sich da drüben sicher. Wer in dem Laden Ärger macht, kommt unter Umständen nicht mehr raus. Ein wirklich nettes Plätzchen hat er sich ausgeguckt. Übernachtet er auch dort?“


    „Ja, tut er. Das heißt, nicht direkt in der Taberna wie die anderen Schluckspechte, dafür ist er sich zu fein. Die Herren Gowin und Urus nächtigen im Nebengebäude, einem Horreum mit Faenile. Hab’ einen kurzen Blick reinwerfen können. Sehr gemütlich.“


    Obwohl ihm die freudige Erregung bis in die Haarspitzen quoll, zwang sich Malleus zu einem möglichst stoischen Gesichtsausdruck. Bolanus hatte wirklich gute Arbeit geleistet, ganz hervorragende Arbeit sogar. Nur durfte dieses zarte Pflänzchen der Motivation jetzt nicht in überbordendem Lob ersäuft werden. „Gut gemacht.“ krächzte er trocken. „Und .. hast du auch was über die Angreifer rausfinden können?“


    „Nicht viel. Es gibt hier keinen, der nicht mindestens ein Dutzend blonder breitschultriger Germanen kennt. Da könnten wir ebensogut nach einem Hund mit Flöhen suchen. Der andere Kerl ist immerhin einer der Torwachen im Gedächtnis geblieben. Den Erinnerungen des Miles zufolge ist er am Morgen des Anschlags über die Brücke in die Stadt gekommen. Das ist auch schon alles. Die Leiche wurde von einer Einheit der Legio entsorgt. Seine Habseligkeiten – so er denn welche mit sich geführt hat – dürften längst in der Truhe eines findigen Legionarius verschwunden sein. Mit Beweisen sieht es also verdammt schlecht aus. Man müsste die Handlanger in die Finger bekommen, aber die sind entweder tot oder unauffindbar.“


    „Beweise werden überbewertet.“, schnaufte Malleus verächtlich. Beweise waren etwas für Advocati und Iudices. Er war weder das eine noch das andere. „Wenn es so ist, wie du sagst, und Gowin wirklich vorhat, demnächst hier zu verschwinden, bleibt für solche Albernheiten keine Zeit.“


    „Und wie sollen wir stattdessen vorgehen, wenn ich fragen darf?“


    Gute Frage. Selbst wenn Malleus mit zwei Handvoll Männern des Pontifex die Taberna stürmen und den Belgier festsetzen würde, wäre damit nicht das geringste gewonnen, im Gegenteil. In diesem Fall wären sie es, die sich gegen die Gesetze stellten, nicht Gowin. Ganz davon abgesehen, dass Duccius Verus eine derartige Aktion niemals gutheißen, geschweige denn, sich an ihr beteiligen konnte. Letztlich blieb es allein an ihm hängen. Und das war auch in Ordnung so. Mit einem müden Seufzer erhob er sich. Es war ein lange Tag gewesen und der morgige würde noch bedeutend länger werden. „Das wird sich weisen. Da muss ich erstmal eine Nacht drüber schlafen. Sonst noch was?“


    Bolanus kaute unsicher auf der Unterlippe herum. Offenbar war er sich nicht ganz schlüssig, ob er seinem Rapport noch etwas hinzufügen sollte oder nicht. Malleus übte sich mühsam in Geduld und ließ ihn kauen.


    „Ähm .. naja .. deine Bekannte .. die war ziemlich .. sagen wir mal ungehalten, weil du mich zu ihr geschickt hast, anstatt selber zu kommen. Natürlich hab’ ich versucht, ihr zu erklären, dass das im Moment nicht geht. Hat sie nicht sonderlich interessiert. Ein recht aufbrausendes Temperament hat die Dame, Donnerwetter. Also .. es geht mich ja eigentlich nichts an, aber .. du solltest wohl schleunigst mal in der Taberna vorbeischauen. Mir scheint, dass es da etwas zu regeln ...“


    „Du hast vollkommen recht!“, schnitt Malleus den Redefluss des Apparitoren unwirsch ab. „Es geht dich wirklich nichts an!“


    Luitberga wusste, wer er war und welcher Profession er nachging. Wenn sie mehr von ihm erwartete als er ihr bieten konnte, war das nicht seine Schuld. Zudem war sie ein junges Weib und er ein närrischer alter Sack, der sich ein paar Monate lang der Illusion hingegeben hatte, vielleicht doch noch so etwas wie eine Familie zustande zu bringen. Flausen. Spinnereien.


    „War’s das für heute?“ Bolanus nickte betreten.


    „Gut. Ich danke dir. Wir treffen uns morgen gegen Meridies in meiner Wohnung. Casa Tintilla, du kennst den Weg. Da besprechen wir dann alles Weitere. Geh heim. Leg dich schlafen. Siehst fertig aus. “

    Nach dem Gespräch mit Curio begab sich Malleus in’s Atrium, wo er bereits vom demonstrativ gähnenden Bolanus erwartet wurde. „Na, Bolanus?“, begrüßte er den Amtsdiener mit einem nur mühsam verhohlenen Grinsen, „Ganz schön fertig, was?“ Welch überflüssige Frage. Selbstverständlich war Bolanus fertig. Bolanus war immer fertig. Er wälzte sich morgens schon fertig aus dem Bett und ging abends ebenso fertig wieder schlafen. Zumindest nach eigenem Bekunden. In Wirklichkeit war der Bursche ein zwar weitgehend ambitionsloser aber durchaus zäher Brocken, der lediglich eine klar definierte Aufgabe und ab und zu einen kräftigen Tritt in den Hintern brauchte, um über sich hinauszuwachsen.


    „Kann man wohl sagen. Fix und fertig.“ stöhnte der Apparitor denn auch mit gekonnt präsentierter Leidensmiene. „Ist ja auch kein Wunder .. dieser knochige alte Klepper ist Gift für mein Kreuz, da fängt’s schon an .. und dann soll ich auch noch überall gleichzeitig sein .. Gerüchte streuen, Leute befragen, mich in den Kneipen umhören, deinen kleinen Helfer beaufsichtigen, Botengänge erledigen, den Belgier beschatten und was weiß ich noch alles .. das geht ganz schön an die Substanz. Ich meine .. ich bin ein wirklich pflichtbewusster Amtsdiener .. das wird niemand ernsthaft bestreiten können .. aber auch ich bin nur ein Mensch, der sich hin und wieder etwas Ruhe gönnen muss.“


    Malleus hörte sich das Lamento ungerührt bis zum Ende an, trat dann mit einem tiefen Seufzer auf Bolanus zu und fixierte ihn knurrend. „Mir kommen gleich die Tränen. Weißt du was, Bolanus .. wenn dir das lieber ist, lässt du dich das nächste Mal aufschlitzen und ich übernehme die Nachforschungen. Was hältst du davon?“ Das ohnehin schon lange Gesicht des Apparitors wurde noch ein gutes Stück länger. „So hab’ ich das nicht gemeint.“ Natürlich hatte er es nicht so gemeint. Bolanus war nur wieder einmal fix und fertig. Schon klar. „In Ordnung.“, lenkte Malleus schmunzelnd ein, „Hoffen wir mal, dass die unmenschlichen Strapazen sich wenigstens gelohnt haben. Also .. wie steht es um unser Wild?“

    Aufmerksam lauschte der Custos den Gedanken seines Dienstherren, nickte ab und an und furchte schließlich die Stirn, als Curio Phryne erwähnte. Die hatte Malleus bei seinen eigenen Überlegungen bislang nicht mit einbezogen. Politische Widersacher sehr wohl, den gespreizten Pöbler Gurox selbstverständlich ebenso, nicht aber Libertina Phryne. Wie man so hörte, war Phryne eine neureiche Schlampe, die ihren einstigen Herren um Hirn und Besitz gevögelt hatte, und sich nun mit allen Mitteln in die höhere Gesellschaft des Municipiums zu drängen versuchte. Rachsüchtige Weiber waren eine Pest. Erst recht, wenn sie über die pekuniären Mittel verfügten, ihre Spielchen entsprechend in’s Werk zu setzen. Da hatte der Helvetier ein äußerst lästiges Problem am Hals. Dass diese Phryne jedoch hinter dem Anschlag steckte, schloss Malleus nach kurzem Nachdenken aus. Der Überfall trug nicht die Handschrift eine Frau. Frauen gingen in solchen Angelegenheiten völlig anders vor. Die streuten Gerüchte, konstruierten aufwändige Intrigen oder hetzten aus sicherer Deckung heraus ihre Feinde gegenseitig aufeinander. Schlecht geplante Brachialgewalt war selten ein Produkt weiblichen Kalküls. Mal ganz davon abgesehen, dass ein Attentat das denkbar ungeeignetste Mittel war, um den Ruf des jeweiligen Opfers zu ruinieren.


    Nachdem Curio den Vorfall in der Tonstrina erwähnt hatte, verstummte er wieder. Malleus ließ ein zustimmendes Brummen vernehmen. In der Tat kam dieser schmierige Gurox weit eher infrage als Phryne oder gar ein Mitglied des Ordo Decurionum. An die unschöne Szene in der Curia jedoch, an den Belgier und dessen Drohungen schien sich der Aedil nicht mehr erinnern zu können. Zweifellos ein weiteres Symptom seiner schweren Kopfverletzung. Curio quälte sich, das war nicht zu übersehen. Liebend gerne hätte Malleus dem jungen Helvetius weitere Torturen erspart und das Gespräch auf einen späteren Zeitpunkt vertagt, nur war Zeit ein Luxus, den sie sich nach all den untätig verplemperten Tagen nicht mehr leisten konnten. Der einzige Gefallen, den er Curio im Moment tun konnte, war der Versuch, seine Überlegungen so schlüssig wie nötig und so knapp wie möglich darzulegen.


    „Nun, Aedilis .. was deine politischen Gegner betrifft .. das sehe ich genauso wie du. Schließlich herrschen im Ordo Decurionum andere Sitten als beispielsweise am Hof eines östlichen Vasallenkönigs. Zudem – wer ein Problem mit deiner Gesinnung oder deiner Amtsführung hat, wartet gewiss nicht bis zum Ende des Aediliats, um dich aus dem Weg zu räumen. Das ergäbe keinerlei Sinn. Diese Phryne können wir wohl ebenfalls von der Liste der Verdächtigen streichen. Du sagst es ja selbst, sie ist vor allem darauf aus, deinen Ruf zu zerstören, und der dürfte unter dem Attentat am allerwenigsten gelitten haben. Im Gegenteil. In solchen Fällen fliegen die Sympathien immer dem Opfer zu. Es mag kein Trost für dich sein, aber du stehst momentan gewiss höher im Ansehen der Bürger als jemals zuvor.“

    Und jemals danach – hätte er noch hinzufügen können. Mitgefühl war nun mal vergänglich, Respekt war es nicht. Auf lange Sicht konnte der Ruf des Helvetius durchaus Schaden nehmen. Zumindest solange kein Täter gefunden und die Tat nicht gesühnt war. Hier ging es nicht allein um Curio’s Schädel oder Malleus’ Lungenflügel. Neben der Würde des Amtes war sowohl die Ehre des Helvetiers als auch die seines Custos Corporis angegriffen worden. Und dafür musste jemand bluten. Im Idealfall der Schuldige. Im Zweifelsfall irgendein anderer Nichtsnutz, der es nicht besser verdient hatte.


    „Dieser Gurox passt schon weit besser in’s Bild. Impulsiv. Selbstherrlich. Leichtsinnig. Eigentlich der perfekte Kandidat für sowas. Nur kann ich da beim besten Willen kein nachvollziehbares Motiv erkennen. Trotzdem hat Bolanus bereits Anweisung erhalten, den Burschen von einem meiner gelegentlichen Helfer beobachten zu lassen. Bolanus selbst habe ich allerdings auf einen Kerl angesetzt, der dir offenkundig aus dem Gedächtnis gerutscht ist. Gowin der Belgier. Erinnerst du dich an seine Drohungen in der Curia? Nun, Gowin hat sich an jenem Tag ebenfalls in der Gasse herumgedrückt. Nur ein gutes Dutzend Schritte von der Stelle entfernt, an der wir angegriffen wurden und gerade einmal eine knappe Armlänge neben dem Soldaten, den ich kurz danach töten musste. Ich hab’ die beiden Ratten mit eigenen Augen gesehen. Der Belgier ist unser Mann, Aedilis – da bin ich mir mittlerweile ziemlich sicher. Wahrscheinlich hat auch Gurox jede Menge Dreck am Stecken, aber wenn Bolanus keine völlig neuen Fakten präsentieren kann, werde ich mich auf Gowin konzentrieren. Ohnehin haben wir nicht genügend Leute, um wirklich alle theoretisch infrage kommenden Gestalten zu observieren.“


    Vielleicht konnte der Pontifex da helfen. Immerhin verfügte die alteingesessene Familie der Duccier über eine Fülle an Macht und Beziehungen, von der andere Sippen Germaniens nur träumen konnten. Indes, verlassen durfte Malleus sich nicht darauf. Auch die Duccier – gerade die Duccier – konnten sich nicht über die Gesetze stellen. Ein unbedeutender alter Mattiaker, der nichts zu verlieren hatte, dagegen schon. Nachdenklich blickte Malleus seinen Dienstherren an. Gut möglich, dass sich die beiden ungleichen Männer nicht mehr wiedersehen würden.


    „Hör zu, Junge ..“ begann er in ungewohnt vertraulichem Tonfall, „.. ich werde mich darum kümmern. Verlass dich drauf. Sieh zu, dass du wieder auf die Beine kommst. Diese Arschlöcher da draußen sollen wissen, dass man einen ehrgeizigen jungen Kerl wie dich nicht mit ein paar Hieben auf die Birne von seinem Weg abbringen kann. Im Gegensatz zu mir hast du eine Zukunft. Mach einfach weiter. Vergiss diesen Anschlag.“ Ein warmes Grinsen zuckte unter Malleus’ Bart. „Wenn man bedenkt, was du sonst noch alles vergessen hast, dürfte das ja wohl kein Problem sein, oder?“


    Nach einem brummenden Lachen wurde er wieder ernst. „Und jetzt solltest du dich ausruhen, Curio. Denn .. mit Verlaub .. du siehst scheiße aus. Ich habe Liam gebeten, Bolanus nach Dienstschluss in’s Atrium zu schicken. Sicher wartet er dort bereits auf mich. Alles Weitere wird sich danach richten, was er inzwischen herausgefunden hat. Darüber, wie es mit uns nach Ende deiner Amtszeit weiter geht .. reden wir ein andermal. In Ordnung?“


    Wieder versuchte sich Malleus an einem Lächeln, doch dieses Mal gelang es ihm nur leidlich.

    Mit entspannt hinter den Gürtel gehakten Daumen und festem Schritt folgte Malleus dem Ianitor in’s Atrium. Die Weitläufigkeit des Hauses und die noble Bodenständigkeit, die es ausstrahlte, beeindruckten ihn kaum weniger als das Anwesen selbst. An Prunk und Protz lag den Ducciern offensichtlich ebenso wenig wie an der Verleugnung ihrer Wurzeln. Gewiss war es ein langer mühsamer Weg gewesen, die Familie aus den verrauchten Katen der Ahnen heraus auf dieses stattliche Gut zu führen. Viele Sippenhäupter hatten das einst versucht. Den wenigsten war es gelungen. Dass es den Ducciern mehr als nur gelungen war, stand außer Frage. Allein schon dafür gebührte ihnen Ehre und Respekt.


    Während der Ianitor nahezu lautlos in den Gängen verschwand, zupfte sich Malleus noch einmal die Kleidung zurecht und genoss dann den frischen Morgenhauch, der über die Sträucher des Innenhofes in den Porticus wehte. Im Haus der Duccier ließ es sich aushalten. Zumindest für Menschen, die dem geruhsamen häuslichen Leben etwas abgewinnen konnten. Dass er selbst nie zu dieser Sorte gehören würde, wurde ihm hier wieder einmal erschreckend klar. Die Villa Duccia, die Casa Helvetia – in vornehmen Häusern trieb er sich jüngst herum; unter ehrbaren erfolgreichen Bürgern, die sich im Laufe der Jahrzehnte Beachtliches aufgebaut hatten oder gerade dabei waren, sich etwas aufzubauen. Und er? Was hatte er aufgebaut in all der Zeit? Nichts. Keine Familie, kein Heim, keine dauerhaften Freundschaften. Gar nichts. Anstatt aufzubauen hatte er immer nur niedergerissen, und das nicht einmal mit Bedauern.


    In derlei Gedanken versunken stapfte Malleus den Säulengang auf und ab, bis er von der energischen Stimme des Pontifex aus den Grübeleien gerissen wurde. Die Laune des Ducciers schien nicht die allerbeste zu sein. Malleus focht das nicht an. Seine eigene Laune war auch schon mal besser gewesen. Dennoch nickte der dem Hausherren freundlich zu. Duccius Verus war ein Ehrenmann, ein augenscheinlich mies gelaunter Ehrenmann zwar, aber nichtsdestotrotz ein Ehrenmann.


    „Salve, Pontifex Duccius Verus. Danke, dass du einen Augenblick deiner kostbaren Zeit erübrigen konntest. Was es gibt? Verschiedenes will ich meinen. Zum einen gibt es da einen bislang unaufgeklärten Anschlag auf das Leben deines Genres, zu dem ich gerne deine Einschätzung hören würde, zum anderen wurde mir mitgeteilt, dass du mich sprechen willst. Nun, hier bin ich also.“




    Sim-Off:

    Kein Grund zur Veranlassung. :) Ich war in den letzten Tagen selbst verhindert.

    Während Malleus sich die Pteruges seines Cingulums glatt strich und den leichten Mantel in Form zupfte, wanderte sein Blick noch einmal über die ausgedehnten Gärten, Weiden und Felder. Hier ließ es sich aushalten. Als junger Spund hatte er manchmal davon geträumt, eines Tages mit Karren voller Kriegsbeute an den Rhenus zurückzukehren und sich etwas aufzubauen, was alldem hier schon ziemlich nahe kam. Jugendliche Narreteien eben. Amüsiert über so viel Naivität begrüßte er den öffnenden Ianitor mit einem feinen Lächeln. Höchst aufmerksam von dem misstrauisch dreinblickenden Burschen, den frühen Besucher darauf hinzuweisen, wo er sich befand.


    „Das hab’ ich mir fast schon gedacht, mein Freund. Salve. Cossus Malleus. Custos Corporis von Iullus Helvetius Curio. Ich hätte gern Pontifex Duccius Verus gesprochen.“
    In einer flüssigen Handbewegung löste Malleus den Pugio aus der Scheide und hielt ihn dem Ianitor mit dem Griff voran entgegen. „Hier. Zu treuen Händen.“.

    Kurz vor der Pforte zum Hauptgebäude des duccischen Anwesens machte Malleus noch einmal Halt, um sich mit dem Focale den Schweiß von der Stirn zu wischen. Nach all den Tagen erzwungener Untätigkeit hatte ihn der morgendliche Fußmarsch ziemlich angestrengt, ihm gleichzeitig aber auch gut getan. Natürlich wäre er lieber auf dem Rücken seine Hengstes hier aufgetaucht, so wie es sich nach seinem Dafürhalten für eine Ala-Veteranen gehörte. Allerdings hätte es einen erheblichen Umweg bedeutet, erst von den Canabae in die Stadt zu Bulbus’ Stabulum zu wandern und dann auf Funkan zurück nach Süden zu reiten. Zudem bezweifelte er, dass Alpina sonderlich begeistert gewesen wäre, ihn schon wieder im Sattel zu sehen. Also war er eben zu Fuss aufgebrochen. Bedauerlicherweise. Denn angesichts der stattlichen Rösser, die er auf den umliegenden Koppeln gesehen hatte, fühlte er sich wie ein Beinamputierter. Sei’s drum. Um ihn selbst ging es hier nicht. Vom Schweiß befreit und mit hoch erhobenen Haupt trat er schließlich an die Porta zu und klopfte an.

    Was Curio ihm anvertraute, bekümmerte Malleus mehr als ihm lieb war. Er selbst war alles andere als ein Familienmensch. Sein Vater Harduin lebte seit dreizehn Jahren nicht mehr, und in den ganzen einunddreissig Jahren, die zwischen der Flucht nach Mogontiacum und Harduin’s Tod lagen, hatte Malleus vielleicht vier oder fünfmal die Gelegenheit gehabt, mit ihm zu sprechen. Um so älter er wurde, desto mehr bedauerte er das. Ein Vater war ein Vater. Die Sommer jagten dahin, die Menschen, die einem einst nahe gestanden hatten, verblassten zu Erinnerungen und ehe man sich versah, waren sie fort. Verstreut in alle Winde oder tot. Aber im Gegensatz zu ihm war Silvana noch jung. Gut möglich, dass sich über die Jahre doch noch alles zum Guten wendete und sie mit ihrem Vater in’s Reine kam. Mit einem trockenen Räuspern schluckte er die Gefühlsduseleien hinunter und nickte Curio zu.


    „Verstehe. Wenn das so ist, gehe ich natürlich alleine. Das duccische Anwesen ist ja kaum zu verfehlen. Ich werde mich gleich morgen früh auf den Weg machen. Vorher muss ich noch mit Bolanus sprechen und wir beide sollten uns wohl auch noch über das eine oder andere klar werden.“


    Noch immer war er sich nicht sicher, wie weit er Curio belasten sollte. Natürlich stand dessen Genesung an erster Stelle, andererseits hatte er ein Recht darauf, mit einbezogen zu werden, zumal es um seine Person ging. Wie konnte Malleus erwarten, dass der Aedil ihm vertraute, wenn er ihn bei seinen Überlegungen außen vor ließ, und sei es auch nur, um den Helvetius zu schonen? Eben war Curio offen zu ihm gewesen, also konnte Malleus letztlich gar nicht anders als auch seinerseits offen zu sein.


    „Ich nehme an .. du hast dir bereits die Frage gestellt .. wer hinter all dem stecken könnte.“, begann er zögernd. „Hast du Feinde oder Widersacher, von denen ich bislang noch nichts weiß? Wer, denkst du, könnte einen derartigen Groll auf dich hegen, um eine solche Aktion zu planen? Fakt ist, dass ich bereits zwei Kandidaten im Sinn habe, aber vielleicht gehen dir da ganz andere Namen durch den Kopf.“

    „Entschuldige. Das war gedankenlos. Ich rede hier von Dingen, die du nicht wissen kannst.“


    Malleus hätte sich ohrfeigen können. Behutsam hatte er es angehen wollen, erst herausfinden, wieviel er seinem geschwächten Dienstherren zumuten konnte, und ihn erst dann mit den Fakten konfrontieren. Das hatte ja wunderbar geklappt. Als hätte Curio nicht schon genug zu kämpfen, um seine Gedanken wieder sortiert zu bekommen. Das Gesagte einfach so stehen zu lassen und das Thema zu wechseln war aber auch keine Option. Zumindest die Frage nach dem Angreifer musste er dem Aedilen nachvollziehbar beantworten.


    „Ja, Aedilis, der erste Angreifer war zweifelsfrei Soldat. Körperhaltung und Kampfweise nach zu urteilen ein Infanterist. Allerdings keiner aus dem aktiven Dienst. Dafür war er viel zu abgerissen. Kein Offizier des Exercitus würde seine Männer so rumlaufen lassen. Möglich, dass er desertiert ist oder wegen irgendwelcher körperlicher Gebrechen vorzeitig ausgemustert wurde. Am wahrscheinlichsten dürfte aber eine unehrenhafte Entlassung sein. Deserteure meiden für gewöhnlich die großen Garnisonsstädte und körperlich eingeschränkt war der Bursche nun wirklich nicht. Über den zweiten Angreifer, den Kerl also, der dich niedergeschlagen hat, lässt sich dagegen nur wenig Konkretes sagen. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben wir es mit einem kräftigen, groß gewachsenen Germanen zu tun. In diesem Punkt decken sich Acanthos’ Beobachtungen mit meinen eigenen. Das war’s aber auch schon. Ziemlich dünn, nicht wahr?“

    Ein bitteres Grinsens begann an seinen Mundwinkeln zu zerren. Dünn war gar kein Ausdruck. Ein großer bulliger Germane. In Mogontiacum. Wirklich fabelhaft. Der würde hier auffallen wie ein Holzpfahl in einer Grenzpalisade. An den kamen sie wohl nur über den Drahtzieher ran. Und das warf auch schon die nächste Frage auf: Sollte er Curio zu diesem Zeitpunkt mit seinem Verdacht belasten? Ihm von seiner Beobachtung in der Gasse erzählen? Nein. Heute noch nicht. Dazu würden sich noch genügend Gelegenheiten finden. Es reichte völlig aus, wenn er selbst sich den Kopf zermarterte, der Aedil musste erst genesen.


    „Wie auch immer. Das sind Dinge, mit denen du dich im Moment nicht auseinandersetzen solltest. Deine Gesundheit geht vor. Vertrau mir einfach, erhol dich und vor allem: hör auf deine Schwägerin. Du wirst wieder ganz gesund, daran hab ich nicht den geringsten Zweifel.“


    Zweifel hatte er tatsächlich nicht. Curio war schließlich kein Schwächling sondern ein zäher junger Kerl voll Energie und Ehrgeiz. Der würde ganz gewiss wieder hinkommen. Fragte sich nur wann. Dieser Frage jedoch weiter nachzugehen, erachtete Malleus als wenig sinnvoll. Stattdessen bedachte er den etwas unsicher wirkenden Helvetius mit einem aufmunternden Lächeln.


    „Um den Rest kümmern wir uns schon. Dein Vorschlag mich mit dem Pontifex in Verbindung zu setzen, ist jedenfalls hervorragend. Ich werde Duccius Verus umgehend aufsuchen. Was meinst du, Aedilis - sollte ich deine Gattin mitnehmen?“

    Nachdem sein Dienstherr Platz genommen hatte, reichte Malleus ihm den Becher und setzte sich dann auf’s Bett. In seine anfängliche Freude über die unerwartet fortgeschrittene Genesung des Aedilen mischte sich nun doch ein gerüttelt Maß an Besorgnis. Rein körperlich schien der Helvetier den Angriff zwar relativ gut überstanden zu haben, seine schleppende Sprechweise aber und die augenscheinliche Mühe, sich zu artikulieren, gefielen Malleus ganz und gar nicht. Anmerken ließ er sich das freilich nicht, hörte stattdessen lächelnd zu, wie Curio von den Bedenken seiner Gattin berichtete. Durchaus nachvollziehbar, dass Silvana ihren Mann vor jeglicher Gefahr beschützen wollte, das wollte der Custos natürlich auch. Nur hatte die Flucht vor der Gefahr noch keinen großen Mann hervorgebracht. Letztlich war es genau wie der Aedil sagte: Das Leben musste weitergehen.


    Als seine eigene Rolle bei Curio’s Überleben zur Sprache kam, trübte sich Malleus’ Stimmung etwas ein. Alle im Haus, bei Silvana angefangen über Alpina, Acanthos und Kaeso bis zur Dienerschaft, schienen der Überzeugung zu sein, er habe dem Aedilen das Leben gerettet. Möglicherweise traf das auch zu, ganz sicher war er sich da aber nicht. Fest stand nur das eine: Er hatte seinen Schützling nicht davor bewahren können, angegriffen und schwer verletzt zu werden.


    „Das hast du wohl in erster Linie den Göttern zu verdanken. Gleichviel, ob nun deinen oder meinen.“ tat er Curios’ Bemerkung zunächst mit einem gezwungenen Schmunzeln ab, beugte sich dann aber seufzend nach vorn und blickte den Aedilen nachdenklich an.


    „Im Ernst, Aedilis. Ich sehe das etwas anders. Sicher, wenn dich dieser aufgeputschte Soldat mit seinem Bleirohr oder gar dem Gladius angegangen hätte, würdest du nicht mehr unter uns weilen. Trotzdem bezweifle ich mittlerweile, dass sein Auftraggeber dich unbedingt tot sehen wollte. Der Kerl, der dich niedergeschlagen hat, trug ebenfalls eine Waffe. Benutzt hat er sie aber nicht, und das, obwohl er dich im Gedränge ebenso gut hätte abstechen können. Die sollten dich nicht töten, da bin ich mir ziemlich sicher, eher dich zum Krüppel schlagen, was in meinen Augen allerdings keinen Unterschied macht. So oder so, die Schuldigen werden dafür bezahlen, als hätten sie einen Mord begangen.“

    Nach einem weiteren schweißtreibenden Tag zwischen Tisch, Tür und Bett kam Malleus zu dem Schluss, dass es nun reichte. Elf Schritte pro Runde. Zehn Dutzend Runden pro Durchgang. Machte sechseinhalb Meilen. Ein Durchgang bis Meridies, zwei danach. Machte knapp zwanzig Meilen pro Tag. Da konnte man nicht meckern. Das kam schon an das durchschnittliche Tagespensum eine Infanteristen heran, auch wenn der Vergleich natürlich hinkte, denn Malleus war dabei weder über Stock und Stein gestapft, noch hatte er Marschgepäck und Ausrüstung mitgeschleppt. Trotzdem – das gesetzte Ziel, zumindest dem Anschein nach wieder ganz der Alte zu sein, hatte er wohl erreicht. Sein Schritt war stramm und federnd wie eh und je, seine Atemzüge hatten sich weiter vertieft und auch die Wunde juckte mittlerweile mehr als sie schmerzte. In diesem Zustand konnte er Curio unter die Augen treten. Ein augenscheinlich hinfälliger Custos dagegen, hätte bei dem angeschlagenen Aedilen und dessen Untergebenen sicher einen zutiefst deprimierenden Eindruck hinterlassen.


    Zufrieden brummend wusch er sich den Schweiß ab, zog anschließend die Tunika über, schlüpfte in die Feminalia und schnürte sich zu guter Letzt die Calcei. Mantel, Cingulum und Pugio würde er für die dreissig, vierzig Schritte durch’s Haus gewiss nicht brauchen. Frisch gewaschen und gewandet gönnte er sich noch einen Becher verdünnten Weines und horchte still in sich hinein. War er so zuversichtlich wie er wirken wollte? War er darauf gefasst, Curio in weit schlechterer Verfassung vorzufinden als man ihn glauben machen wollte? War er bereit, wofür auch immer? Malleus ließ diese Fragen eine Weile auf sich wirken, bejahte sie dann allesamt und trank aus. Noch ehe er den Becher abgestellt hatte, klopfte es an der Tür. Vermutlich Alpina. Oder auch Caeso. Wobei – den Jungen sah er nicht mehr so oft in letzter Zeit, und wenn er mal vorbeischaute, war er trotzdem nie ganz da. Entweder bekam der Kleine zu wenig Schlaf oder er befingerte sich zu oft. Schwieriges Alter.


    Als Malleus schließlich öffnete, stand dann aber weder Alpina noch Caeso vor ihm, sondern Iullus Helvetius Curio nebst Scriba. „Bei Ymir’s Klöten! Aedilis!“ Fast hätte er dem jungen Helvetier aus schierer Erleichterung die Pranke auf die Schulter geklatscht. Curio sah weit besser aus, als Malleus insgeheim befürchtet hatte. Zwar wirkte der Aedil noch etwas schwach und verhärmt, aber er stand wieder auf seinen Beinen. Sie beide standen wieder auf ihren Beinen. Das war alles, was für den Moment zählte.


    „Tja, Helvetius Curio ..“ grinste Malleus über’s ganze Gesicht, „ .. so ein Tag auf dem Forum kann ganz schön auf die Knochen gehn'. Hab’ ich recht?“ Ohne eine Entgegnung abzuwarten trat der erfreute Veteran ein paar Schritte zurück und zog den Stuhl heran. „Gerade wollte ich .. aber bitte .. setz dich erstmal, Aedilis.“ Flink goss er noch etwas Wein und Wasser für seinen Dienstherren in den Becher und wandte sich dann wieder Curio zu. „Wie fühlst du dich?“

    Der Chirurgicus schien seine Arbeit tatsächlich recht gewissenhaft erledigt zu haben. Mit dem Zwirn hatte er jedenfalls nicht gespart. Es dauerte ein Weilchen, bis Alpina den letzten Faden aus dem pochenden Fleischwulst gezupft hatte. Malleus war’s zufrieden. Er hatte Alpina wirklich gerne um sich, und dass sie ihn nach eigenen Worten auch noch länger würde ertragen können, wärmte sein Herz mehr als er je zugegeben hätte. Nicht zum ersten Mal brachte ihn ihre Gegenwart auf die Frage, ob sich unter seinen Hinterlassenschaften wohl auch die eine oder andere Tochter befand. Ein paar seiner Sprösslinge hatte er natürlich kennen gelernt, die in Rom zum Beispiel, aber das waren allesamt Söhne, soweit er sich erinnern konnte. Vielleicht hätte es seinem ruhelosen Gemüt ja ganz gut getan, wenigstens eine seiner Leibesfrüchte heranwachsen zu sehen. Überhaupt hatte der erzwungene Müßiggang der vergangenen zehn Tage – oder besser gesagt, der endlosen Nächte – mitunter die eigentümlichsten Erinnerungsfetzen zutage gefördert. So war ihm auch Ferun wieder in den Sinn gekommen, die einstige Centurionengeliebte, deretwegen er von Castra Bonnensia an den Arsch des Imperiums versetzt worden war. Seines Wissens war das die erste Frau gewesen, die er geschwängert hatte. Was mochte aus ihr und ihrem Bastard geworden sein? Das war nun mehr als dreissig Jahre her, also war jener Spross, sofern er die Zeiten überlebt hatte, heute älter als Alpina. Bei Frîja’s erschlafften Brüsten, er wurde wirklich alt! Besser, er dachte gar nicht erst darüber nach, ob seine Empfindungen für Alpina tatsächlich rein väterlicher Natur waren. Dafür war dies weder der rechte Ort noch die rechte Zeit und sehr wahrscheinlich auch nicht das rechte Leben.


    „Hm .. naja ..“ brummte er einigermaßen erleichtert darüber, dass sie ihn mit ihrer Frage nach seinen Plänen von weiteren Grübeleien abhielt. „Ich würde ja verflucht gerne auf die rustikale Weise vorgehen. Mir einen Verdächtigen nach dem anderen schnappen und dann sehen, was sich da so alles rausquetschen lässt. In dem Fall müsste ich danach aber für eine ganze Weile aus der Stadt verschwinden. Mal ganz davon abgesehen, dass Curio von dieser Vorgehensweise wenig angetan wäre. Dein Schwager ist eben ein sehr anständiger Kerl.“ Manchmal etwas zu anständig, fand Malleus, aber schließlich war der Aedil auch nie im Krieg gewesen. Für den Helvetius zählten Recht und Ordnung gewiss weit mehr als die bloße Vergeltung.


    „Also brauchen wir Beweise oder wenigstens ein paar taugliche Indizien. Gleichzeitig muss den in Frage kommenden Säcken mit Nachdruck auf die Füße getreten werden, so lange, bis sie sich zu einer Reaktion genötigt sehen oder irgendwelche Fehler machen. Tatsache ist, dass ich außer zwei Verdächtigen noch nichts Brauchbares habe. Deswegen ist der Kerl, den ich getötet habe, auch so kostbar. Zumindest so lange sein Leichnam noch greifbar ist und nicht in die falschen Hände gerät. Nicht nur der Gerüchte wegen. Ich muss wissen, was er bei sich hatte, wo er sich vor dem Anschlag zugesoffen hat, wie und wo er seinem Auftraggeber über den Weg gelaufen ist und so weiter. Kurz: Wir müssen rausfinden, wer der Bursche eigentlich war.“


    Vor allem anderen jedoch stand die Sicherheit des Aedilen weiterhin an erster Stelle. Wie er dessen Bewachung mit den nötigen Nachforschungen und Einschüchterungen unter eine Kappe bringen sollte, war ihm momentan noch nicht ganz klar. Alleine würde er das alles nur schwerlich bewältigen können. Da mussten Acanthos, Kaeso und vor allem Bolanus ihren Teil beitragen, und nicht nur die. „Je mehr aufgesperrte Ohren wir da draußen haben, desto besser.“ lächelte er Alpina verschmitzt zu. „Zumal, wenn sie so anmutig und wohlgeformt sind wie die deinen.“

    Wieder einmal stellte Malleus schmunzelnd fest, dass er Alpina nichts vormachen konnte. Allein schon deshalb, weil er es im Grunde auch gar nicht wollte. Sie kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass er ein unverbesserlicher Granitschädel war, der seine Grenzen erst erkannte, wenn er sie überschritten hatte. Eines Tages würde ihn seine Sturheit umbringen und vermutlich wusste sie das ebensogut wie er. Einstweilen aber hielten sich beide an ihre unausgesprochene Übereinkunft: Er bemühte sich, es nicht zu übertreiben und sie hielt sich mit Tadel zurück, so gut es ging.


    Viel zu tadeln gab es an diesem Tag ohnehin nicht. Der Anblick seiner Narbe fand ganz offensichtlich Alpina’s Wohlgefallen, und da sie sich darüber zu freuen schien, freute er sich einfach mit. Obwohl er von Anfang an nicht den geringsten Zweifel an der Wundheilung gehegt hatte. Damals in Moesia war es ihm weit schlimmer ergangen, zumindest was die Verletzung selbst betraf. Verglichen mit jener langen klaffenden Halswunde war der geschlossene Schlitz an seiner Flanke nicht viel mehr als ein lästiges Andenken. Da war ihn der eingefallene Lungenflügel schon weit härter angekommen. Trotzdem hatte Alpina natürlich recht damit, den Zustand der Naht als Glück zu bezeichnen. Schließlich wurde er nicht jünger und wie viele Wunden sich sein in die Jahre gekommener Körper noch ungestraft würde zufügen lassen, wussten allein die Götter. Aber wer wollte schon ewig leben? Er jedenfalls nicht. Was nützte schon alle Zeit der Welt, wenn man sie unnütz vertat. So weit würde er es ganz gewiss nicht kommen lassen.


    Alpina redete von Geduld. Auch damit hatte sie recht. Nur musste man sich solche Kleinodien wie Geduld eben auch leisten können. Immerhin hatte er schon zehn Tage verloren und es war wohl kaum zu vermeiden, noch ein paar weitere zu verlieren. Sie durchschaute ihn. Sie musste wissen, wie ihn das quälte. Und tatsächlich, als hätte sie seine Gedanken erraten, sprach sie es dann auch aus. „So ist es, Alpina. Genau das will ich.“ nickte er ernst. Er wollte es nicht nur, er würde es verdammt nochmal auch tun. Die Schuldigen ausmachen, sie aufspüren und ihnen ein für alle mal die Faxen austreiben; dem Attentäter, dem Drahtzieher und jedem anderen in irgendeiner Weise beteiligten Arschloch. Selbst wenn er noch nicht gänzlich wiederhergestellt sein sollte und obgleich er jetzt schon wusste, dass seine Vorstellung von angemessener Vergeltung eine grundlegend andere war als die des Aedilen.


    Als kultivierter Römer, der die Gesetzte in Ehren hielt, würde Curio diesen Ratten sicher den Prozess machen wollen wollen. Malleus’ Standpunkt war da deutlich pragmatischer. Subversiven Elementen, die sich in aller Öffentlichkeit an Magistraten vergriffen, gab man kein Forum. Die nagelte man kopfunter an eine Stalltür und ließ sie dort hängen bis ihnen die Maden aus den Ohren krochen. Zur Erbauung der gesamten aufrührerischen Sippe. Was sich in den Dörfern und Gehöften an der pannonische Grenze bewährt hatte, würde auch hier seine Wirkung nicht verfehlen.


    Seine Stirn umwölkte sich. Seine Kiefer pressten sich aufeinander. Vier, fünf Atemzüge lang versank er in trübseligen Erinnerungen, gewahrte dann Alpina’s offenen Blick und begann ihn mit einem leisen Lächeln zu erwidern. „Naja, ich fürchte, ein paar Tage werd’ ich mir wohl noch Zeit nehmen müssen, oder? Und das, obwohl du mich sicher längst über hast.“

    Kaum war Malleus wieder einigermaßen zu Atem gekommen, schwang auch schon die Tür auf und Alpina schwebte in den Raum. Frisch und duftend wie Morgentau auf Thymian. Da hatte er ja gerade noch mal Schwein gehabt. Vermutlich wäre sie nicht sonderlich angetan gewesen, ihn im Dreieck marschierend vorzufinden, jedenfalls nicht, bevor sie es ausdrücklich erlaubt hatte. Entsprechend folgerichtig war denn auch ihre Frage. Malleus zog es vor, sich ahnungslos zu geben. „Was ich vorhabe?“, staunte er mit treuherzigem Blick, „Nun, eigentlich gar nichts. Hab’ mich nur bisschen für dich rausgeputzt.“ Sonderlich geistreich war das freilich nicht. Galant schon gar nicht. Immerhin saß er hier ohne Hose und barfuß, dafür mit feuchter Tunika und schweißnassem Schädel. Unter Herausputzen stellte er sich gemeinhin etwas anderes vor, und Alpina sicherlich auch. Sei’s drum. Sie schien ohnehin nicht gekommen zu sein, um sich mit Süßholz beraspeln zu lassen, sondern der Fäden wegen. Die hatte Malleus unter dem Verband fast schon wieder vergessen. „Ach ja, die Fäden. Natürlich.“


    Ziemlich umständlich wühlte er seine Arme aus dem breiten Halsausschnitt und zerrte sich die Tunika bis knapp über die Hüfte hinunter. Dass der Stoff dabei an mehreren Stellen einriss, geschah bei dieser blödsinnigen Übung geradezu zwangsläufig. Es war schon seltsam. Die ganze Zeit der Bettlägerigkeit über hatte er sich nichts dabei gedacht, Alpina mit seiner Blöße zu konfrontieren. Zum einen, weil er davon ausgehen konnte, dass sie ihn mit dem nüchternen Blick der Heilerin betrachtete, zum anderen, weil er sich seines Körpers nicht zu schämen brauchte. Schließlich hatte er sich jeden Muskel und jede Narbe erst hart erarbeiten müssen.
    Nun aber, nachdem er die Bettstatt endlich verlassen hatte, empfand er es plötzlich als respektlos, sich vor ihr gänzlich zu entblößen Trotzdem war der Akt mit der Tunika natürlich völlig albern und überzogen.


    Mit einem belegten Räuspern lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und lächelte Alpina zustimmend an. „In der Tat, Alpina, in der Tat. Die Übungen und deine fachkundige Pflege haben mir echt den A .. äh .. die Lunge gerettet.“

    Atmen. Atmen. Atmen. Die Muskeln anspannen. Jeden einzelnen. Atmen. Halten. Lösen. Atmen. Tief und gleichmäßig. Ein und aus. Dann das ganze wieder von vorn. Anspannen. Atmen. Lösen. Atmen. Malleus führte seine Übungen gewissenhaft und konzentriert durch, fühlte sich inzwischen aber ausgesprochen genervt von deren Monotonie. Ab und an, vor allem in den totenstillen Nachtstunden, war es ihm fast so vorgekommen als habe er in seinem ganzen bisherigen Leben noch nicht annähernd so viel geatmet wie in den vergangenen Tagen. Das war selbstredend völliger Blödsinn. Er konnte mit Fug und Recht von sich behaupten, ein versierter Atmer mit jahrzehntelanger Erfahrung zu sein, und er wusste sehr wohl, was man mit Atem alles anfangen konnte, wenn man ihn richtig einzuteilen verstand und sich seinen Rhythmus zu eigen machte. Mit dem bloßen Vorgang des Luftholens hatte er sich zuvor nie bewusst auseinandergesetzt. Mittlerweile tat er das. Dementsprechend konsequent atmete er immer weiter. Auch nachdem sein rechter Lungenflügel den Dienst allmählich wieder aufgenommen hatte, unangenehm zwickend zwar und bisweilen noch ziemlich träge, aber das besserte sich zusehends. Die Stichwunde selbst bereitete ihm dagegen keine größeren Probleme. Den ziehenden Schmerz und das heiße Pochen kannte er bereits von seinen früheren Verwundungen, damit konnte er umgehen.


    Alles in allem ging es ihm ganz gut. Hätte er Alpina nicht versprochen, sich zu schonen, wäre er spätestens am vierten oder fünften Tag aufgestanden, um seine steifen Glieder und Knochen in den Griff zu bekommen. Da er aber ein Mann war, der zu seinen Wort stand, hatte er sich widerwillig eine Frist von zehn Tagen gesetzt, und die war jetzt um. Heute musste er wieder damit anfangen, seinen Beine zu benutzen, und sei es auch nur für ein paar Stunden. Zunächst würde sich das sicher etwas mühsam und kraftlos ausnehmen. In den vergangenen Tagen hatte er nur Brühe mit ein wenig Brot zu sich genommen. Wohlweislich, um die Latrine nicht aufsuchen zu müssen. Nun aber war Schluss mit Brühe, Siechtum und faulem Herumliegen. Das weiche Lager, die Ruhe und die Pflege hatten das ihre getan, jetzt musste er selbst sehen, wie er wieder zu Kräften kam. Da er sich weder vor Alpina noch vor Kaeso zum Deppen machen wollte, nutzte er dafür eine der spätmorgendlichen Stunden, in denen seine guten Geister anderweitigen Verrichtungen nachgingen.


    Die Beine über die Bettkante zu schwingen und sich in die Senkrechte zu hieven, funktionierte tadellos. So weit hatte er es im Verlauf der letzten Tage bereits des öfteren geschafft. Im Stehen schmerzte die Wunde nicht viel mehr als im Liegen und die Luft schien auch zu reichen. Hervorragend. Voll verbissenem Enthusiasmus tappte Malleus ungelenk zu dem kleinen Tisch hinüber, auf dem Alpina die Waschschüssel abgestellt hatte. Schenkel und Waden fühlten sich an wie aus Hartholz geschnitzt, sein aus der Übung gekommener Lungenflügel zwitscherte wie eine Bachstelze, ansonsten jedoch fühlte er sich zum ersten Mal seit er in dieses Cubiculum verbracht worden war, wieder als Mensch. Zumal, als er den weichen Schwamm in’s Wasser tauchte und sich unter wohligem Grunzen zu reinigen begann. Für einige erquickende Augenblicke konnte er sich sogar ein gewisses Verständnis für den krankhaften Waschzwang der Romani abringen. Sauber war besser als verdreckt. Soviel stand fest. Wenn man es damit nicht übertrieb, konnten regelmäßige Waschungen durchaus zum allgemeinen Wohlbefinden beitragen. Vielleicht würde es ihm eines Tages sogar gelingen, auch Luitberga davon zu überzeugen. Der Gedanke an seine Geliebte trieb ihm ein bekümmertes Schmunzeln über die Züge. Er konnte nur hoffen, dass Bolanus inzwischen die Taberna Silva Nigra aufgesucht hatte, um die jähzornige Nemeterin über Verbleib und Befinden ihres Bettgefährten aufzuklären. Wenn nicht, konnte sich Malleus schon mal auf ein krachendes Donnerwetter gefasst machen. Aber das waren Privatangelegenheiten. Die mussten für’s erste außen vor bleiben.


    Als er sich endlich sauber genug fühlte, um Größeres zu wagen, nahm er seine geflickte und gereinigte Tunika von der Stuhllehne und zog sie über. Dann schritt er langsam und bedächtig das Dreieck zwischen Tisch, Tür und Bett ab. Setzte Fuß vor Fuß. Knetete sich dabei die verhärteten Schenkel und atmete. Einmal vom Tisch zur Tür, von der Tür zum Bett, vom Bett zum Tisch. Fünfmal. Zehnmal. Zehn Dutzend hatte er sich vorgenommen, und die schaffte er auch. Danach allerdings war er wieder so verschwitzt als sei sein Körper nie mit dem Schwamm in Berührung gekommen, von seiner tirilierenden Lunge und dem pelzigen Gefühl im Kopf gar nicht zu reden. Schnaufend ließ er sich auf den Stuhl plumpsen und glotzte auf seine zuckenden Waden hinunter. Mehr hatte er für den Anfang wohl nicht erwarten dürfen. Immerhin wusste er jetzt, dass er es mindestens bis zur Latrine schaffen würde, und das war ein äußerst beruhigendes Gefühl.

    Kaum hatte Malleus die Augen geschlossen, kroch ihm eine bleierne Schwere in die Knochen und sein Geist begann sich selbstständig zu machen. Zwei, drei Dinge hatte er Acanthos noch sagen wollen, soviel war ihm klar. Nur kam er um’s Verrecken nicht mehr dahinter, worum es sich bei diesen zwei, drei Dingen gehandelt hatte. Je verbissener er versuchte, seine Gedanken einzufangen, desto schneller trieben sie in alle Windrichtungen auseinander. Schließlich verloren sie ihre Bedeutung. Was auch immer ein paar gequälte Schnaufer zuvor noch wichtig gewesen sein mochte, jetzt berührte es ihn kaum mehr.


    Du wirst es schon richtig machen – wiederholte er wortlos, ohne recht zu wissen, was er damit meinte. Was genau würde Acanthos schon richtig machen? Malleus kam nicht drauf. Er kam auf gar nichts mehr. Nach einem weiteren Dutzend Atemzügen war er sich nicht einmal mehr sicher, ob es tatsächlich der Makedone war, der da weit draußen jenseits seiner Lider im Dämmerlicht verharrte. Die Stimme jedenfalls passte nicht zu Acanthos und der sanfte Hauch von Kräutern schon gar nicht. Es war grotesk. Acanthos redete und duftete wie Alpina. Malleus war allerdings zu leer im Schädel, um eingehender über dieses Phänomen nachzudenken, und zu erschöpft, um sich darüber zu wundern. Vielleicht war Acanthos gar nicht hier, vielleicht hatte er sich das alles nur eingebildet. Aber wenn dem so war – bildete er sich die Berührung auf seinem Handrücken dann auch nur ein? Wohl kaum. Das war ohne Zweifel Alpina’s Hand. Und somit passte plötzlich alles auf wunderbarste Weise zusammen. Die Hand. Der Duft. Die Stimme.


    Auch Alpina hätte er gerne ein paar wichtige Dinge gesagt, war sich aber sicher, dass er ihr damit nichts mitgeteilt hätte, was sie nicht ohnehin schon wusste. So schloss er nur kurz seine schwieligen Finger um ihre warme Hand und ließ sie gleich wieder los. Alpina war eine kluge Frau. Der musste man nicht alles haarklein erklären. Er sollte ihr etwas versprechen. Sich zu schonen. Zu Kräften zu kommen. Gewiss, das würde er.


    Schon gut, Alpina – schwieg er mit unsichtbarem Lächeln zu ihr auf. Du hast mein Wort.