Während sich Malleus auf der Umrandung des Impluviums niederließ, hüstelte Bolanus eine Weile gekünstelt herum, reckte und streckte sich und verfiel schließlich in langgezogenes Räuspern. Malleus schüttelte stöhnend den Kopf, sagte aber nichts. Entweder, der Bursche hatte nichts von Belang in Erfahrung bringen können – dann würde ihm das manierierte Getue allerdings auch nicht weiterhelfen – oder aber, er hatte tatsächlich mit einigen hilfreichen Informationen aufzuwarten, die er lediglich mit etwas Pathos würzen wollte. Zur grenzenlosen Erleichterung des müden Custos Corporis erwies sich letzteres als zutreffend.
„Nun .. als Wild würde ich die beiden nicht gerade bezeichnen, eher als Gockel und Dachs. Der eine stolziert den ganzen Tag kreuz und quer durch die Stadt, der andere verkriecht sich in seinem Bau, genauer gesagt, im Bau seines Geschäftspartners Glaucus. Du weißt schon, der Tuchhändler. Wie es scheint, hattest du recht mit deiner Vermutung. Seit dem Anschlag ist Gowin überraschend menschenscheu geworden. Keine Ausflüge auf’s Forum mehr, kein Gang in die Therme, kein Besuch seiner Stammkneipen, nichts. Der hockt den ganzen Tag nur im Haus rum.
Seine Geschäfte lässt er von Glaucus’ Bediensteten erledigen. Die kaufen allerlei wertlosen Plunder für ihn auf. Vermutlich, um nach und nach eine Fuhre zusammenzustellen. Sieht so aus, als hätte der Belgier vor, demnächst die Zelte hier abzubrechen. Einen Custos hat er sich auch zugelegt. Urus. Das reinste Vieh. Dumm wie ein Mastschwein aber aggressiv wie ein Eber. Ohne den geht Gowin nichtmal vor die Tür, um Luft zu schnappen. Ziemliches Nervenbündel, der Gute.“
Mit einer Mischung aus Stolz und Verblüffung blickte Malleus zu Bolanus auf. Was er immer sagte: Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben. Die gelegentlichen Anschisse und Arschtritte hatten also endlich ihre Wirkung getan. Der Bursche begann, rund zu laufen „Respekt, Bolanus. Und woher weißt du das alles? Warst du im Haus?“
„Im Haus? Nein. Die haben ihre Hütte ähnlich verrammelt wie wir das hier in der Casa gemacht haben. Da kommt kein Unbefugter rein. Es ist viel banaler. Hilmar, einer von Claucus’ Angestellten, steigt schon seit geraumer Zeit meiner kleinen Schwester nach. Du verstehst?“
„Absolut.“ grinste Malleus. Ein gutes Wort des älteren Bruders konnte manchmal Wunder wirken. „Also schön. Dann ziehen wir Thilo von Gurox ab und konzentrieren uns auf Gowin. Bulbus lässt sich die Dienste des Jungen ohnehin unverschämt gut bezahlen. Fragt sich nur, wie ich an den Belgier rankomme. Wird schwierig, ihn ohne großes Spektakel da rauszuholen.“
„Allerdings.“ nickte Bolanus mit einem feinen Schmunzeln. „Schwierig bis unmöglich, fürchte ich. Zumindest tagsüber.“
Zwar wusste Malleus beim besten Willen nicht, was den Amtsdiener derart erheiterte, ahnte aber, dass Bolanus noch etwas Wesentliches zurückhielt. „Wie .. zumindest tagsüber? Was soll das heißen?“
Bolanus’ Schmunzeln wurde zu einem triumphierenden Grienen. „Das soll heißen, dass er die Nächte meist außer Haus verbringt.“
„WAS?“
„Tja, der sonst so ängstliche Belgier pflegt abends kurz vor Torschluss mit seinem Custos die Stadt zu verlassen.“ Dass Bolanus den Moment aufs Genüsslichste auskostete, war nicht zu übersehen. Durfte er. Hatte er sich verdient.
„Du machst Witze, oder?“
„Keineswegs. Unser Freund hat neben seinen anderen Schwächen auch noch einen sehr ausgeprägten Hang zu Trunk und Würfelspiel. Offensichtlich haben ihn diese Leidenschaften fester im Griff als ihm gut tut. Du kennst doch sicher diese schummrige Kaschemme am Castellum Mattiacorum.“
Malleus nickte verdutzt. Und ob er die Pinte kannte. Taberna Tertius Gaudens. Ziemlich raues Publikum. Soldaten. Veteranen. Raufbolde und Suffköpfe, die in den Tabernae der Stadt mehr als unerwünscht waren. Ein ziemlich heruntergekommenes Loch, in das sich üblicherweise kein unbescholtener Bürger verlief. Er selbst hatte sich dort immer ausgesprochen wohl gefühlt, und wenn er so drüber nachdachte, erschien ihm Gowin’s Wahl der Lokalität geradezu logisch.
„Verstehe. Die Ratte fühlt sich da drüben sicher. Wer in dem Laden Ärger macht, kommt unter Umständen nicht mehr raus. Ein wirklich nettes Plätzchen hat er sich ausgeguckt. Übernachtet er auch dort?“
„Ja, tut er. Das heißt, nicht direkt in der Taberna wie die anderen Schluckspechte, dafür ist er sich zu fein. Die Herren Gowin und Urus nächtigen im Nebengebäude, einem Horreum mit Faenile. Hab’ einen kurzen Blick reinwerfen können. Sehr gemütlich.“
Obwohl ihm die freudige Erregung bis in die Haarspitzen quoll, zwang sich Malleus zu einem möglichst stoischen Gesichtsausdruck. Bolanus hatte wirklich gute Arbeit geleistet, ganz hervorragende Arbeit sogar. Nur durfte dieses zarte Pflänzchen der Motivation jetzt nicht in überbordendem Lob ersäuft werden. „Gut gemacht.“ krächzte er trocken. „Und .. hast du auch was über die Angreifer rausfinden können?“
„Nicht viel. Es gibt hier keinen, der nicht mindestens ein Dutzend blonder breitschultriger Germanen kennt. Da könnten wir ebensogut nach einem Hund mit Flöhen suchen. Der andere Kerl ist immerhin einer der Torwachen im Gedächtnis geblieben. Den Erinnerungen des Miles zufolge ist er am Morgen des Anschlags über die Brücke in die Stadt gekommen. Das ist auch schon alles. Die Leiche wurde von einer Einheit der Legio entsorgt. Seine Habseligkeiten – so er denn welche mit sich geführt hat – dürften längst in der Truhe eines findigen Legionarius verschwunden sein. Mit Beweisen sieht es also verdammt schlecht aus. Man müsste die Handlanger in die Finger bekommen, aber die sind entweder tot oder unauffindbar.“
„Beweise werden überbewertet.“, schnaufte Malleus verächtlich. Beweise waren etwas für Advocati und Iudices. Er war weder das eine noch das andere. „Wenn es so ist, wie du sagst, und Gowin wirklich vorhat, demnächst hier zu verschwinden, bleibt für solche Albernheiten keine Zeit.“
„Und wie sollen wir stattdessen vorgehen, wenn ich fragen darf?“
Gute Frage. Selbst wenn Malleus mit zwei Handvoll Männern des Pontifex die Taberna stürmen und den Belgier festsetzen würde, wäre damit nicht das geringste gewonnen, im Gegenteil. In diesem Fall wären sie es, die sich gegen die Gesetze stellten, nicht Gowin. Ganz davon abgesehen, dass Duccius Verus eine derartige Aktion niemals gutheißen, geschweige denn, sich an ihr beteiligen konnte. Letztlich blieb es allein an ihm hängen. Und das war auch in Ordnung so. Mit einem müden Seufzer erhob er sich. Es war ein lange Tag gewesen und der morgige würde noch bedeutend länger werden. „Das wird sich weisen. Da muss ich erstmal eine Nacht drüber schlafen. Sonst noch was?“
Bolanus kaute unsicher auf der Unterlippe herum. Offenbar war er sich nicht ganz schlüssig, ob er seinem Rapport noch etwas hinzufügen sollte oder nicht. Malleus übte sich mühsam in Geduld und ließ ihn kauen.
„Ähm .. naja .. deine Bekannte .. die war ziemlich .. sagen wir mal ungehalten, weil du mich zu ihr geschickt hast, anstatt selber zu kommen. Natürlich hab’ ich versucht, ihr zu erklären, dass das im Moment nicht geht. Hat sie nicht sonderlich interessiert. Ein recht aufbrausendes Temperament hat die Dame, Donnerwetter. Also .. es geht mich ja eigentlich nichts an, aber .. du solltest wohl schleunigst mal in der Taberna vorbeischauen. Mir scheint, dass es da etwas zu regeln ...“
„Du hast vollkommen recht!“, schnitt Malleus den Redefluss des Apparitoren unwirsch ab. „Es geht dich wirklich nichts an!“
Luitberga wusste, wer er war und welcher Profession er nachging. Wenn sie mehr von ihm erwartete als er ihr bieten konnte, war das nicht seine Schuld. Zudem war sie ein junges Weib und er ein närrischer alter Sack, der sich ein paar Monate lang der Illusion hingegeben hatte, vielleicht doch noch so etwas wie eine Familie zustande zu bringen. Flausen. Spinnereien.
„War’s das für heute?“ Bolanus nickte betreten.
„Gut. Ich danke dir. Wir treffen uns morgen gegen Meridies in meiner Wohnung. Casa Tintilla, du kennst den Weg. Da besprechen wir dann alles Weitere. Geh heim. Leg dich schlafen. Siehst fertig aus. “