„Da wär sie nicht die erste, die ihren Mann in’s Grab bringt.“ bemerkte Malleus schläfrig. „Ich weiß schon, warum ich nie geheiratet hab’.“ Ihre Atemzüge stockten. Obwohl sich Luitbergas’ Gesicht nur schemenhaft vor der grobkörnigen Finsternis abzeichnete, konnte er geradezu spüren, wie sich die steile Falte zwischen ihren Augenbrauen vertiefte. „Du nimmst mich überhaupt nich ernst, oder?“ Oh doch, das tat er. Durchaus. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, ob es der pure Trotz war, der aus ihr sprach oder aufrichtige Besorgnis. Sie war von ihren Worten zweifellos überzeugt. Nur, darum ging es nicht. „Unsinn. Natürlich nehm’ ich dich ernst. Dich schon. Aber nicht jedes halb gare Gerücht, das in der Taberna die Runde macht. Solltest du auch nicht.“ Ihr warmer Atem entfernte sich. Schnaufend setzte sie sich auf, was Malleus recht schade fand. „Ach, auf einmal?“ zischte sie rau. „Sonst bist du doch ganz scharf auf Gerüchte! Wo Rauch ist, ist auch Feuer! Hast du selbst gesagt!“ Ja, hatte er. Allerdings hätte er noch hinzufügen sollen, dass Rauch sich in den meisten Fällen eben doch nur als Rauch zu erweisen pflegte. Mit Gerüchten war es wie mit Pilzen. Wer sich nicht bestens damit auskannte, war gut beraten, ein großen Bogen um sie zu machen.
„Dass du unter einem Dach mit einer Mörderin lebst, ist dir also egal, ja?“ fauchte sie angriffslustig weiter, wobei der Trotz in ihrer Stimme allmählich die Besorgnis zu überlagern begann. So langsam, fand er, ging das Ganze deutlich zu weit. An sich war Luitberga eine von Grund auf ehrliche Haut. Gerüchte in die Welt zu setzten, lag nicht in ihrer Natur. In diesem Fall aber steigerte sie sich in etwas hinein, das mit ein klein wenig Pech leicht auf sie selbst zurückfallen konnte.
„Erstens lebe ich nicht mit ihr unter einem Dach.“, knurrte er mit wachsendem Unmut. „Zweitens ist ihr Mann noch am Leben, und drittens: Ja! Es ist mir egal. Scheißegal sogar. Solange sie die Begräbniskosten nicht auf die Miete draufschlägt, könnte mir nichts gleichgültiger sein. Ich hab’ verflucht nochmal genug andere Sachen im Kopf. Und jetzt will ich nichts mehr davon hören! Du begibst dich mit diesem Geschwätz auf verdammt dünnes Eis. Also Schluss damit!“
Für ein paar heftige Atemzüge war dann auch tatsächlich Schluss. Sie stand schweigend auf und tapste raschelnd im Heu herum, vermutlich, um ihre Kleider einzusammeln. Luitberga wäre jedoch nicht Luitberga gewesen, hätte sie nicht noch einen letzten Vorstoß riskiert. „Das heißt ... du willst allen Ernstes da wohnen bleiben? Trotz allem?“ Das klang unzweideutig nach einem Ultimatum. Sowas verfing bei ihm nicht. Das hätte sie eigentlich wissen müssen. „Du sagst es.“ Das Ratschen berstenden Stoffes ließ darauf schließen, dass sie ihre Tunika gefunden hatte. „Was bist du bloß für ein Mensch?“ Malleus seufzte. Zuguterletzt war die Rolle des Angeklagten also endgültig von seiner Vermieterin auf ihn übergegangen. Wunderbar. Dabei war das sogar eine ausgesprochen profunde Frage. Was war er denn für einer? Das hätte ihn wirklich auch mal interessiert. Anscheinend einer, der bei seinen Mitmenschen – aus welchen Gründen auch immer – den irrigen Eindruck erweckte, er sei nur zurückgekehrt, um alles Schlechte und Ungerechte zu bekämpfen. Ausgerechnet er. Ein grandioser Witz, wenn man so drüber nachdachte.
Inzwischen bewegte sich das Geraschel zaghaft nach vorn zu den Pferden, auf die schwach im spärlichen Abendlicht schimmernden Ritzen der Stalltür zu. War das ein unterdrücktes Schniefen, was er da hörte? „Ich komm’ morgen Abend in die Taberna.“, raunte er beschwichtigend in’s Dunkel. „Einverstanden?“
„Das kannst du auch bleiben lassen.“, kam es leicht erstickt zurück, „Gelsa hat sich den Arm gebrochen. Ich muss ihr beim Kochen zur Hand geben. Der Schankraum geht mich im Moment nichts an.“ Und nach einer winzigen Pause: „Aufdringliche Gäste schon gar nicht.“ Na schön. Dann eben nicht. Für’s erste hatte Malleus sowieso den Kanal voll. Wenn sie schmollen wollte, sollte sie schmollen. Was aufstieg, musste ach wieder runter. „Da vorne steht eine Waschschüssel.“ Er hatte es sich einfach nicht verkneifen können. Ein hohles Sirren näherte sich in beachtlichem Tempo, dann schlug etwas laut scheppernd neben ihm an einem Stützbalken ein. „Jetzt nicht mehr!“ Tür auf. Tür zu. Stille.
Nunmehr mit seinen Gedanken allein, versuchte Malleus, aus dem Geschehenen irgendwelche brauchbaren Erkenntnisse zu ziehen. Weit kam er dabei nicht. Zu absurd erschien ihm das ganze Spektakel. In einem Punkt jedoch, musste er Luitberga nachträglich beipflichten. In der Tat war er scharf auch Gerüchte. Nicht nur aus rein dienstlichen Gründen. Dass ihm bislang noch nichts über die Verdächtigungen Tintilla Cynane betreffend zu Ohren gekommen war, nahm er daher als Weckruf. Entweder musste er seinen Zuträgern mal gründlich die Ohren lang ziehen oder seine eigenen wieder weiter aufsperren. Letztere Variante erschein ihm als die ungleich zuverlässigere.