Zuhören konnte der junge Helvetier, das musste man ihm wirklich lassen. Malleus hatte Jahre gebraucht, sich diese Tugend auch nur leidlich anzueignen und war noch heute kein Ausbund an Langmut und Zurückhaltung. Auch ein knappes Jahrzehnt als Zivilist hatte es nicht vermocht, ihm den wortkargen Kasernenton gänzlich auszutreiben. Knappe Antworten waren ihm die liebsten, im Idealfall solche, die der Frage zuvorkamen. Sich in epischer Breite über seine Person auslassen zu müssen, war ihm im Grunde zuwider. Schon gar vor Fremden. Erst recht vor Leuten, die mehr aus Neugier als aus aufrichtigem Interesse in den dunklen Ecken seiner Vita herum bohrten. Entsprechend zufrieden registrierte er, dass Helvetius Curio nicht zu letzterer Sorte gehörte. Der wollte schlicht das wissen, was er wissen musste. Immerhin, das musste sich Malleus wiederholt vor Augen führen, wollte er etwas von Curio, nicht umgekehrt. Obgleich er das Gefühl hatte, bereits die ersten Fusseln auf der Zunge zu spüren, blieb er daher aufgeschlossen und mitteilsam.
„Lesen und Schreiben sind kein Problem.“, beruhigte er den Helvetius, „Das hab’ ich schon als Junge erlernt. Der Onkel, bei dem ich aufgewachsen bin, hat auf sowas einigen Wert gelegt. Rechnen .. nun ja ..“ Malleus kratzte sich brummend am Kopf. „Also .. rechnen .. hm .. kommt drauf an, was du darunter verstehst, Helvetius Curio. Sicher, wenn konkrete Werte oder reale Mengen dahinter stehen, kann ich mit Zahlen durchaus umgehen, das schon.“ Zusammenzählen. Abziehen. Vervielfachen. Teilen. Solcherlei Kram. Klar, er war ja kein Trottel.
„Wenn du aber diese hirnerweichenden hellenischen Spinnereien meinst, muss ich passen. Mein Waffenschüler in Ostia hatte einen korinthischen Calculator als Hauslehrer. Was der höheres Rechnen nannte, nenn’ ich fortgeschrittene Geisteskrankheit. Also, Rechnen, ja. Phantasieren, nein.“ Höheres Rechnen. Griechischer Mist. Wie man so hörte, hatte es in den einstigen Polis Achaias’ nur so gewimmelt von degenerierten Schwachsinnigen. Kein Wunder, dass es denen nie gelungen war, der römischen Zivilisation etwas entgegenzusetzen. Da er seinen Gesprächspartner für einen realistisch denkenden Mann hielt, ging Malleus einfach mal davon aus, dass solch geistige Purzelbäume erst gar nicht von ihm erwartet wurden.
Die Frage nach seinen eigenen Vorstellungen erwies sich wiederum als nicht so einfach zu beantworten. Freilich, es stimmte, was der Helvetier sagte. Malleus war viel rumgekommen und hatte auch allerlei Erfahrungen gesammelt. Trotzdem überwog die Anzahl der Tätigkeiten, an denen er sich bislang noch nicht versucht hatte. Haushoch. Nicht eben einfach, sich auszumalen, wie er sich auf Dauer in einem stickigen Officium machen würde oder als notierender Scriba im Hintergrund. Was das betraf, war man also wieder bei seinem Talent zu Langmut und Zurückhaltung angelangt.
„Nun, ich will mich nicht besser darstellen als ich bin.“, versuchte er die Fragen des Hausherren offen und ehrlich zu beantworten, „Natürlich gehörte es sowohl auf dem Weingut als auch bei der Aufsicht über die Gewürzkähne zu meinen Aufgaben, Buch zu führen. Hab’ ich auch immer ganz anständig hinbekommen. Allerdings hat mich die Erledigung dieser Teilaufgaben ungleich mehr Zeit gekostet, als ihnen eigentlich zugemessen war, wenn du verstehst. Auflistungen und Kalkulationen, die dein Scriba gewiss binnen eines Vormittages abarbeiten würde, haben sich bei mir immer erheblich in die Länge gezogen. Ein Dummkopf bin ich keineswegs, verfüge im Gegenteil über eine recht flinke Auffassungsgabe, die sich jedoch jenseits von Schreibpult und Tabulae weit effektiver nutzen lässt. Beispielsweise im Bereich des Personen- und Objektschutzes. Ob nun unter aktiver oder auch planender Beteiligung. Ich darf mir einen geschulten Instinkt attestieren, der es mir nicht nur ermöglicht, sich entwickelnde Situationen schnell und folgerichtig einzuschätzen, sondern ihnen auch mit den jeweils adäquaten Mitteln zu begegnen oder, wo es möglich ist, ihnen vorzubeugen. Grundsätzlich möchte ich noch einen Umstand betonen: Gemäß meiner persönlichen Ehrauffassung bemisst sich der Grad meiner Zuverlässigkeit nicht an der Höhe des Verdienstes. Ich bin nicht korrumpierbar. Wen ich als Dienstherren anerkenne, entscheide ich selbst. Wem ich aber diene, dem diene ich auch bis zur letzten Konsequenz.“
Malleus bekräftige seine Sätze mit einem ernsten Nicken und lehnte sich dann seufzend wieder zurück. Bei den Nornen, so viel am Stück hatte er seit Jahrzehnten nicht mehr gequatscht. Nun hing ihm die Zunge aber endgültig in Fransen.