Beim hinausgehen hatte Marcellus auch noch einmal zu Eldrid hin gesehen und seine Empfindungen ihr gegenüber sorgten nicht gerade für Ruhe in seinem aufgewühlten Seelenleben. Natürlich hatte er weit wichtigeres, was ihm im Kopf herum ging und er beschäftigte sich nicht pausenlos gedanklich mit dem germanischen Mädchen. Trotzdem bereitete sie ihm oft genug Kopfzerbrechen. Manches Mal war er versucht sie einfach nach Germanien zurück gehen zu lassen, denn selbst ihm war klar, dass er sie unter eher zweifelhaften Bedingungen hier behielt. Ja er könnte nun, da sein Großvater tot war, sogar für eine Eskorte sorgen ohne dass er sich jemandem gegenüber rechtfertigen müsste. Manchmal dachte er über diese Möglichkeit nach. Dann aber, ja dann dachte er weiter. Alleine sie anzusehen bereitete ihm Freude. Er hatte sie mögen gelernt, seitdem sie gemeinsam vor diesen Banditen in den Alpen geflohen waren. Und wenn er sie nun gehen lassen würde, dann wäre sie weg und würde im kalten Germanien vor sich hin darben. Und schließlich, so rechtfertigte er sich, war sie eine Sklavin gewesen, als er sie gefunden hatte. Marcellus Reisegesellschaft war auf der Straße von Banditen überfallen und er selbst als Geisel genommen und gegen Lösegeld gehalten worden. Sie hingegen war von den Räubern in Germanien geraubt worden und sollte als Sklavin verkauft werden. Warum sollte er sie also gehen lassen? Nicht er hatte sie in die Sklaverei gepresst, im Gegenteil. Er hatte sie vor einem schlimmeren Schicksal bewahrt. Kaum ein Mensch lebte besser als ein Sklave im Haushalt der Claudia! Nun, abgesehen von den letzten Wochen vielleicht. Doch von den Unruhen im Haus war Eldrid verschont geblieben.
Meistens endeten seine Gedanken also an dem Punkt, dass er sie einfach nicht gehen lassen wollte. Sie war sein Eigentum und er war nicht mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass die Sklaverei etwas unnatürliches war. Eldrid würde ihr neues Leben noch zu schätzen lernen, immerhin war er kein grausamer Herr!
Vor dem Neuankömmling stehend, blickte Marcellus noch einmal zu Romana hin, ehe er beschloss diesem Fremden erst einmal Glauben zu schenken. Immerhin erkannte er Romana. Misstrauisch würde Marcellus dennoch bleiben. Der Name der Gens Claudia alleine war viel wert und niemand wusste genau was im fernen Aegyptus alles passiert sein mochte. Es konnte gut sein, dass dieser Mann dort nicht Sabinus war, sondern ein Betrüger der sich im Vorfeld gut informiert hatte.
"Mein Name ist Marcus Claudius Marcellus, Sohn des Galeo Claudius Gallus." Marcellus zögerte kurz, denn ganz und gar hatte er noch nicht gelernt seine neue Rolle anzunehmen. Dann aber strafte er sich. "Du erreichst uns in dunklen Zeiten, die von Trauer überschattet werden. Vor wenigen Wochen hat mein verehrter Großvater diese Welt verlassen. Menecrates starb nach einem langen und ehrenvollen Leben und mein Vater kehrte bereits vor einem Jahr von einer Reise nicht heim. Somit bin ich das Oberhaupt der Gens Claudia und der Herr dieses Anwesens. Ich heiße dich willkommen, Sabinus. Komm, speise mit uns und berichte uns von deiner Reise, die gewiss beschwerlich war." Marcellus machte eine einladende Geste zum Triclinium hin, wo er und Romana bis eben verweilt waren. Dort war kein Festmahl aufgetafelt worden, aber einige kleinere und größere Knabbereien hatten sie sich bringen lassen. Wein, Brot, Oliven, Obst... es war unnötig zu sagen, dass von dem was dort auf dem Tisch zwischen den Klinen stand, eine ganze Familie einen Tag lang gesättigt werden könnte.