Beiträge von Volusus Didius Molliculus

    Die Tempel von Innen zu zerstören. Puh, das war ja ... ja was eigentlich? Gewagt? Halsbrecherisch? Selbstmord? Oder einfach nur genial? Ich glotzte Ultor einen Moment lang mit offenem Mund an. Seit er bei uns war hatte er gezeigt, dass er das Herz am rechten Fleck hatte. Auch wenn er mir manchmal etwas unheimlich war. Aber irgendwie war er ja auch mein Findelkind. Trotzdem war ich jetzt gerade auf ihn sauer. Das war wohl genau so eine Art Tat wie Philotima gemeint hatte. Warum war mir das nicht eingefallen?


    Und schon zeigten Brüder und Schwestern ihre Bereitschaft.


    Ganz ruhig, Volusus! Du wirst jetzt wohl nicht den Todsünden verfallen nur weil ein Bruder eine bessere Idee hatte!
    "Genial!" pflichtete ich deswegen bei. Immerhin hatte ich das ja tatsächlich gedacht. Wenn auch erst etwas später.
    "Dann können wir auch ein bisschen Tempelschmuck mitgehen und noch in der Nacht bei Meister Tempsanus einschmelzen lassen. Die Flavier vom Quirinal tragen da immer noch regelmäßig ein kleines Vermögen rein. Der Winter wird früher kommen als uns lieb ist und das wird uns ein schönes Polster für die Versorgung der Armen und Waisen geben."
    Ich war stolz auch was zum Plan beizutragen. Philotima sollte immerhin merken, dass ich aufs Ganze gehen würde und sowieso immer das große Ganze im Blick hatte!

    Wow! Fantastisch! Das hatte eingeschlagen. Um mich waren die Leute schon am murmeln und tuscheln und dann kam auch Bewegung in die Richterloge. Ich wartete nur noch auf Philotimas letztes Wort dann war mein Zeitpunkt gekommen.
    Ich drehte mich um und schrie laut auf "Hey, stop!" Ich begann mich durch die Menge zu quetschen, möglichst nah an der Rostra vorbei. Und dabei hatte ich ziemlich viel Masse zum Quetschen.
    "Haltet den Dieb! Haltet den Dieb, er hat meinen Geldbeutel geklaut!" Als würde ich einen Dieb verfolgen schob ich Menschen beiseite und drängte mich durch. Dabei fuchtelte ich wild mit meinen Armen herum und wies rüber zum anderen Ende des Forum Romanum. Natürlich so dermaßen auffällig dass die Menschen um mich auch anfingen herum zu nörgeln.
    "He, passt doch auf!"
    "Was, wo?"
    "Ach herrje!"
    Ich schrie immer weiter so laut ich konnte: "Haltet den Dieb! Haltet den Dieb!"


    Als ich am Rand des Forums ankam war hoffentlich genug Zeit vergangen dass Philotima verschwinden konnte. Außer mir waren natürlich noch mehr Brüder und Schwestern unseres Glaubens über das Forum und angrenzende Straßen verteilt um dabei zu helfen. Sie ließen Philotima in ihrer Mitte verschwinden. Sie stellten sich jedem wie zufällig in den Weg der versuchte sie zu verfolgen. Und einige Schwestern zogen eine grüne Palla über den Kopf so dass es dem Suchenden schwer sein würde die richtige zu entdecken.


    Ich setzte mich erschöpft und resigniert auf eine Treppenstufe und tat so als könnte ich einfach nicht mehr hinter dem Dieb hinterher kommen. Na ja, wirklich viel tun musste ich dafür nicht. Ich kam ja selber schon sehr schnell außer Atem. Ich schnaufte und jammerte noch ein bisschen leise vor mich hin.
    "Mein ganzes Geld, mein ganzes Geld. So ein Elend!"

    Das klang nach Gladiator: Ultor. Ein bisschen sah er auch so aus. Wie ein Retiarius vielleicht. Ich kannte mich aber natürlich nicht aus. Gladiatorenspiele waren ja sowas von grausam und unmenschlich. Das letzte!


    Meine Augen weiteten sich. Hatte ich es doch gewusst! Dieser Mann war in größter Not und das auch noch zu Unrecht! Verrat und Verruf, ja das klang total nach Gladiatorenleben.
    "Hier bist du sicher, Ultor. Wir verraten niemanden, schon gar nicht jemanden dem Unrecht geschehen ist. Der Herr hält seine schützenden Hände über alle die sonst keinen Platz auf der Welt haben."


    Achatius kam mit etwas zu Essen. Er brachte frisches Brot, Hirse und Linsen, und dazu sogar noch etwas Käse. Ich stellte die beiden einander vor und forderte unseren Gast dann auf tüchtig zuzugreifen. Als ich Achatius fragte ob er sich später Ultors Wunden anschauen könnte schüttelte er den Kopf.
    "Ich sage besser Philotima Bescheid."
    "Ist sie schon zurück" fragte ich. Philotima kannte sich noch besser mit Wunden aus.
    Er nickte und ging los. Ich blieb mit Ultor zurück. Ich wollte ihm noch ein paar Fragen stellen aber erstmal sollte er natürlich essen. Also redete ich.
    "Philotima liest unsere Predigten. Sie führt unsere Gemeinde. Aber nicht so wie in der Politik oder wie ein Verwalter oder so was. Sie ist die gute Seele und der Verstand. Sie kennt so viele Gleichnisse und Predigten. Und ihr Herz ist endlos! Ohne sie wären wir nur eine ziellosen Gemeinschaft. Manchmal" Ich beugte mich verschwörerisch vor "hab ich das Gefühl dass Gott sogar mit ihr spricht! So wie damals mit Mose!"
    Ich setzte mich wieder aufrecht hin. "Äh, kennst du Mose überhaupt?"

    Von meinem täglichen Gang zum Tiber hatte ich heute einen Gast mitgebracht. Wir betraten die Casa Didia durch den Hintereingang für Sklaven und Bedienstete. Sklaven gab es in meinem Haus schon lange nicht mehr. Zumindest keine die hierher gehörten. Diese Barbarei hatte mit dem Einzug des Herrn aufgehört. Mein letzter Sklave Achatius war offiziell ein Freigelassener. Hier im Haus war er ein Bruder unter Geschwistern.


    Die Casa war nichts besonderes. Die Einrichtung war Standard und schon etwas veraltet. Seit ich hier alleine (also auf die Familie bezogen) wohnte war nichts mehr dazu gekommen. Außer dass weder die Ahnen verehrt wurden, noch die Götter oder Kaiser wies nichts darauf hin dass wir kein normaler römischer Haushalt waren. Nur im ehemaligen Lararium gab es einen Schrein für den Herrgott. Aber an dem kam ich mit meinem Gast nicht vorbei.


    "So, hier sind wir. Klein aber fein. Das ist das Haus unserer christlichen Gemeinde."
    Ich rief Achatius zu dass ich einen Gast mitgebracht hatte und dirigierte den ins Speisezimmer an den großen Tisch. "Hier setz dich. Du bist unser Gast und wir kümmern uns um unsere Gäste. Erstmal bekommst du etwas leckeres zu Essen. Wir essen hier alle im Sitzen, das dekadente Herumliegen auf Klinen ist nix für uns."
    Ich lachte fröhlich und schenkte ihm schonmal was zu trinken ein.
    "Dann kann sich Achatius deine Wunden anschauen. Später gibt es eine Predigt. Wir zwingen dich natürlich nicht zur Teilnahme aber wir würden uns freuen wenn du im Gegenzug für unsere Gastfreundschaft zumindest zuhören würdest. Du musst aber keine Angst haben das sind immer sehr schöne Texte. Das ist eher wie ein Abend in der Familie. Und für heute Nacht bekommst du dann eine eigene kleine Schlafkammer."
    In der ersten Nacht war das ein Geschenk. Wer länger blieb und nicht krank war teilte sich später ein Zimmer mit anderen.
    "Wie heißt du eigentlich? Und magst du mir erzählen wie du am Tiber gelandet bist? Also, du musst nicht. In unserer Gemeinde kann jeder die Vergangenheit hinter sich lassen. Aber manchmal ist es echt befreiend wenn man sich seinen Kummer mal von der Seele reden kann. Das bleibt natürlich unter uns."

    Bei Gott, als der Mann aufschaute packte mich der Zweifel! In seinem Blick lag so viel Kälte dass mich direkt ein Schauer überkam.
    Unsinn, Volusus, das ist nur die blasse Farbe seiner Augen! Und die Augenfarbe sagt absolut nichts über den Menschen aus. Sein geschundenes Äußeres trug außerdem auch noch zu diesem Eindruck bei.
    Barmherzigkeit! Das Herz gegenüber denen in großer Not öffnen! Ja, und der hier war wirklich in großer Not!


    Weil er dann ganz zögerlich mein Angebot annahm waren alle Zweifel auch schon wieder weggeblasen. Ich strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Wenn man sich der Barmherzigkeit öffnete war das ja auch was schönes.
    "Dann komm! Wir gehen einen kleinen Umweg, aber nicht zu weit."


    Im immer geschäftigen Rom achtete niemand auf uns. Durch kleine Seitenstraßen näherten wir uns der Casa Didia.

    Als ich anfing zu reden fing der Pontifex Minor an zu schreiben. Das verunsicherte mich. Was hatte ich gesagt? Nur belangloses Zeug über den Tempel, oder? War das jetzt doch ein Interview? Oder ein Verhör? Hatte mich jemand verpfiffen?
    Ganz ruhig, Volusus. Gott ist bei dir. Jetzt nur nicht an ihn denken und auf gar keinen Fall von ihm reden.


    Nebenräume. Perfekter Schauplatz für ein schnelles Verhör. Würde man mich im Tempel obendrüber schreien hören wenn sie anfingen mich zu foltern? Oh Gott, bitte keine Folter!
    Ich fing an zu schwitzen. "Ähm ja, die Nebenräume. Hier äh..entlang."


    Wie das Schwein zum Opferstein ging ich voran zur Seite des Tempels. Ich war bloß nicht so hübsch geschmückt. Zitterten meine Hände als ich den Raum unter der Cella aufschloss? Vielleicht zitterten auch nur meine Augen.
    "Bitte sehr." Ich zwang mir ein fröhliches Lächeln aufs Gesicht und deutete hinein. Eigentlich hätte ich fragen müssen ob ich ihnen weiter helfen kann. Aber ich wollte unter keinen Umständen allein mit der Inquisition in dieses Halbdunkel abtauchen.

    Ich erschrak als ich mehr von seinem Gesicht sah (vielleicht zuckte ich sogar kurz zurück). Der Fremde sah aus als hätte ihn jemand verprügelt. Damit kannte ich mich leider aus. Unsere Brüder und Schwestern die sich offen bekannten erlebten so etwas zu oft. Sein Anblick rührte deswegen etwas in mir. Ich zögerte nur kurz. Öffnete nicht der Barmherzige sein Herz fremder Not, machte sein Gegenüber durch barmherziges Handeln zu seinem Nächsten, den es zu lieben galt wie sich selbst?


    Wie Lichter in der tiefsten Nacht, so ist es an uns zu leuchten und auch unseren Nächsten Licht zu spenden. Das hatte Philotima uns gepredigt .
    "Wenn du möchtest gebe ich dir ein Obdach. Ich lebe in einer Gemeinde Gottes in der jeder willkommen und gleich ist. Wir können auch deine Wunden behandeln."
    Da ich wusste dass das auf manche anfangs befremdlich wirkte fügte ich gleich hinzu. "Es kostet dich nichts. Der Dienst am Menschen ist Teil unseres Glaubens. Und niemand zwingt dich zu bleiben oder zu sonst irgendwas. Du kannst jederzeit wieder gehen."

    Begutachtung des Tempels? Wie der Pontifex das Wort mit einer etwas merkwürdigen Betonung aussprach bekam ich einen Schreck. Hatte mich jemand verraten? Nein, dann würde der Pontifex nicht zum Tempel kommen sondern zu mir und mich direkt vor ein Gericht zerren. Ganz ruhig, Volusus, der Herr ist bei dir und navigiert dich sicher durch stürmische Zeiten!


    Ah ja. Den Göttern sollte es an nichts mangeln. Daher wehte der Wind! Lasst die Armen verhungern und die Götter fett werden. Wahrscheinlich musste der Kaiser wieder mal Steuereinnahmen verprassen und ein paar Tempel vergolden. Wie mich das alles anwiderte! Und die zwei Pontifices gehörten doch auch dazu.


    Ich setzte mein freundlichstes Lächeln auf.
    "An nichts soll es den Göttern mangeln!" bestätigte ich. "Und hier besteht kein Grund zur Sorge. Das Haus des Mercurius ist in gutem Zustand und es ist gut besucht. Die Opfer verlaufen allgemein positiv. Mercurius ist uns Römern derzeit wohlgesonnen und beschenkt die Bürger der Stadt ebenso reichlich wie sie ihn."
    Hoffentlich reichte ihnen das. Es gab bestimmt andere Tempel in die sie Gold stecken konnten.

    Heute hatte ich Brot, Kekse, Trauben und Äpfel aus dem Tempel in meinem Beutel als ich zum Tiber kann. Und natürlich ein paar Münzen wie immer. Aila empfing mich mit ihrem Lächeln und freute sich über ein weiches Stück Brot. Das Obst lehnte sie wie immer ab.
    "Gib es den Jungen. Die brauchen ihre Kraft. Vor allem heute Nacht. Es wird starker Regen kommen, das spüre ich in meinen Knochen."
    Na prima! Ich mochte keinen Regen. Nasse Füße, klamme Kleidung und das Dach im Waisenhaus war noch nicht dicht! Leider war auf Ailas Regenvorhersagen Verlass.
    "Hast du ein Dach über dem Kopf?" fragte ich sie. Sie schlief mal hier und mal dort. Oft unter freiem Himmel oder unter Säulengängen bis sie verjagt wurde.
    "Ja, mach dir um mich keine Sorgen. Aber da drüben der ist neu. Sitzt schon eine Weile da. Und schaut gar nicht gut aus."


    Ein Stück entfernt sah ich die neue Gestalt auf einem Stein sitzen. Wenn Aila mich nicht auf in hingewiesen hätte hätte ich ihn übersehen. Ich verabschiedete mich von ihr und ging zu dem Neuen.
    "Salve! Ich bin Volusus. Hast du Hunger?"
    Ich reichte ihm etwas Brot und erhaschte einen Blick auf das Gesicht unter der Kapuze. Aila hatte recht. Er sah ziemlich zerschunden aus.
    "Hast du einen Schlafplatz für die Nacht? Es wird regnen, das wird ziemlich ungemütlich hier draußen."

    Rom wächst. Von wegen. Rom wucherte. Und in Rom wucherte die Sünde wie eine bösartige Krebszelle. Sie fraß sich durch die ach so schöne Stadt in Form von Hochmut und Machtstreben. Da oben saß sie auf ihren Richterstühlen und suhlte sich in der Begeisterung der verblendeten Masse.


    Marodierende Barbaren, verheerende Feuer und spaltende Bürgerkriege waren dieser Stadt widerfahren. Sicher, aber das größte Übel kann doch aus ihrem Innersten. Die Gleichgültigkeit mit der die oberen Tausend runter schauten auf die einfachen Menschen. Die Unmenschlichkeit mit der sie Sklaven traktieren und sie wie Vieh behandelten. Die Prasserei und Prahlsucht, nicht nur bei ihren Gelagen sondern auch in den Augen vieler Frauen auf dem Markt. Nicht zuletzt der Kadavergehorsam mit dem sie ihren falschen Götzen dienten und dabei nur die bereicherten die sowieso zu viel hatten. Und doch hatte der Redner recht. Rom wurde trotzdem immer größer oder eben gerade deswegen. Wie die wuchernde Geschwulst.


    Er versuchte noch die Bürger zu bauchpinseln. Aber ich wollte mich nicht zu dieser großartigen Wucherung zählen. Nein, ich wollte die Geschwulst in der Wucherung sein. Ich wollte sie aufbrechen und heilen. Ich wollte mein Rom zu einem besseren Rom machen. Zu einem der Nächstenliebe und Bescheidenheit, ohne Sünde.


    Ich glotzte etwas abwesend zur Bühne hoch bevor ich mechanisch in das Klatschen einstimmte.

    Ich hatte gerade einen welken Blumenkranz aus der Cella entsorgt und kehrte zur Tempelvorderseite zurück. Da entdeckte ich die Besucher die sich suchend umschauten. Ohne die kultischen Leibwächter wäre es mir vielleicht nicht aufgefallen, aber so erkannte ich doch den Pontifex. Er war einer meiner Prüfer hier am Tempel gewesen. Nur welcher nochmal? Cornelius oder Flavius? Ich hatte echt zu wenig mit denen da oben zu tun.


    Den anderen mit der Schreibtafel kannte ich gar nicht. Hoffentlich war das nicht auch einer den ich eigentlich kennen sollte.
    "Salve Pontifex!" fing ich einfach mal soweit an wie ich sicher war nicht ins Fettnäpfchen zu treten.

    Je länger ich hier stand desto mehr zog mich das ganze Roma-Gerede in seinen Bann und ich applaudierte schon ganz automatisch. Tja, diese Männer standen vermutlich auch nicht ohne Grund hier. Das war die Zukunft Roms, die Zukunft der Schönredner. Wären das Wahlreden hätte ich nach oben gerufen was den Waisen und Obdachlosen die schönen Plätze und Bauwerke nutzten von und aus denen man sie immer vertrieb. Auch aus den Säulengängen mit den Lehrern.
    Aber es waren keine Wahlreden. Und ja, ich musste ja auch irgendwie zugeben dass viele es schon gut hatten in Rom. Inklusive mir. Aber trotzdem! Es könnte alles noch viel gerechter sein!

    "Graecina und Sula, schön dass ihr heute hier seid!" Das meinte ich wirklich so. Mit jedem der Teil der Gemeinschaft wurde oder ihr zumindest nicht abgeneigt war wurde die Welt ein Stück besser.


    "Kreta, toll!" tat ich dann ganz weltgewandt. Dabei war ich über Rom nie hinaus gekommen. Und meine Geografiekenntnisse waren auch mager. War das nicht eine Insel im Süden? Vor Mauretanien? Oder doch Ägypten? Na, egal. Am besten schnell das Thema wechseln.
    "Ich finds einfach super dass es auf der ganzen Welt schon christliche Gemeinden gibt. Also, das hören wir zumindest immer von Gästen." Nicht dass die zwei jetzt dachten ich wäre schon herum gekommen und mich irgendwas fragten.


    "Vor ein paar Jahren als ich dazu gekommen bin da hatte ich echt Angst dass das Christentum nur eine Sekte sein könnte. Ihr wisst schon so eine von denen man Schauermärchen hört. Dass sie einem nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Oder einem die Kinder stehlen um sie irgendwelchen Unterweltgöttern zu opfern. Also, nicht dass ich schon Kinder hätte." Ich wurde ein bisschen rot. Ich hatte ja noch nicht mal eine Frau. Kein gutes Thema.
    "Oder so eine ganz abgedrehte Truppe bei der man am Ende oben von unten nicht mehr unterscheiden kann und auf irgendeinem Berg hockt und sich selbst köpft im Vertrauen darauf dass einen Osiris direkt mit dem Sonnenwagen abholt und ins Licht bringt." Das war jetzt vielleicht doch ein bisschen zu krass. Ich lachte verlegen.
    "Aber zum Glück hab ich schnell rausgefunden dass es hier anders ist. Eine echte Chance auf Veränderung! Eine eine echte Chance für eine bessere Welt für alle. Ein Gott der all seine Kinder liebt, so wie wir sind, ohne dass wir ihn dafür bestechen müssen. Und eine tolle Gemeinschaft in der jeder so willkommen und akzeptiert ist wie Gott ihn oder sie geschaffen hat."

    Es war kein guter Tag gewesen für Merkur. Blumen und Opferkekse gab es zwar viele. Aber kaum Münzen. Am Abend stand ich etwas ratlos vor der Kasse. Morgen würde die letzte Rate für das Holz fällig werden. Der Händler war sowieso schon angefressen weil er das Holz liefern aber das Geld erst in Raten bekommen sollte. Wenn ich die Rate jetzt aus der Kasse nahm dann blieb aber nicht mehr viel drin.


    "Oh Herrgott, bitte schick mir ein Zeichen!" schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel und wartete. Leider passiert nichts. Ich musste alleine entscheiden.
    'Denk an die armen Kinder' konnte ich Philotima in Gedanken hören. Ja, und sie hatte natürlich recht.


    Ich steckte den Großteil der Münzen in meine Tasche und ließ nur noch wenig in der Kasse. Danach packte ich die Naturalien ein. Ganz ruhig, Lusus, ganz ruhig. Mal ganz ehrlich, es hatte auch schon früher Tage gegeben an denen kaum Münzen in der Kasse gewesen waren. Niemand würde das bemerken. Ich packte meine Sachen und schloss die Tür ab. Es war Zeit für die abendliche Runde.

    Die erste Rede tropfte nur so von Patriotismus. Brotspenden! Dass ich nicht lache! Na klar, niemand in Rom musste hungern! Dabei waren die mit dem meisten Speck auf den Hüften doch immer ganz vorne bei den Spenden. Ja die Ausgabe von Brot war natürlich besser als nichts. Sonst hätten vermutlich noch mehr nichts zu essen. Aber die Menschen die wirklich hungerten, wie Aila oder Mutus, die wurden von den Aasgeiern doch schon von weitem verjagt. Und manchmal sogar von den Stadtwachen. Die kamen nicht mal bis nach vorne durch zum Brot.


    Aber klar, dass der feine Herr aus der Politik das nicht wusste. Er kam sich vermutlich noch wie ein Gutmensch vor. Dabei hatte er keine Ahnung vom wahren Leben. Trotzdem klatschte ich natürlich mit wie alle um mich herum. Ich versuchte auch halbwegs begeistert auszusehen.


    Die zweite Rede war auch patriotisch aber etwas trockener. Ich hatte das Gefühl angeklagt zu werden ein Römer zu sein. Und dieser Valerius verteidigte mich. Und irgendwie funktionierte es. Am Ende fühlte ich mich als Römer und gut verteidigt. Und ich war stolz auf mein Rom.


    Es war ja auch nicht so dass ich es nicht mochte. Ich mochte meine Heimat. Ich war stolz auf unsere Geschichte. Und ich mochte die Menschen um mich (deswegen versuchte ich ja auch sie zu retten).
    Ich war nur nicht einverstanden mit denen die all das ausnutzten. Die unser Gemeinwohl verprassten. Die auf Kosten anderer lebten. Die Gutgläubigkeit anderer ausnutzen. Und uns alle ins Verderben stürzten.

    Philotimas Predigt endete mit dem Abendmahl. Nachdem wir an Christus Leib durch Brot und Wein teilhatten folgte ein einfaches Essen. So wichtig wie Christus, so wichtig war die Gemeinschaft. Und wo entstand mehr Gemeinschaft als beim Essen?
    Es gab einen Hirse-Gemüseeintopf und Fladenbrot. Einfach, aber lecker. Und wir waren ja schließlich nicht zur Völlerei hier!


    Ich hatte mich strategisch gegenüber den beiden neuen Frauen gesetzt.
    "Ihr seid zum ersten Mal hier, oder?" sprach ich sie an. "Ich bin Volusus. Wie hat es euch gefallen? War das euer erster Gottesdienst?"


    Beim ersten Mal konnte so ein Gottesdienst auf Römer schon etwas befremdlich wirken. Ich erinnerte mich noch genau an mein erstes Mal. Andererseits hatte es mich auch tief bewegt. Und ich hoffte natürlich, dass auch jeder der zu uns kam tief bewegt wurde.

    In den letzten Tagen hatte ich nichts aus der Tempelkasse mitgehen lassen. Die Einnahmen mussten unauffällig unberechenbar bleiben. Lebensmittel waren kein Problem, das wurde nicht kontrolliert. Aber die Münzen wurden natürlich gezählt vom raffgierigen Cultus-Pack.


    Heute musste ich aber wieder ran. Im Waisenhaus war das Dach marode. Bei dem ganzen Regen in der letzten Woche war das nicht folgenlos geblieben. Egilius Macro wollte uns das Dach kostenlos reparieren. Er war kein Christ, aber trotzdem ein Menschenfreund. Ich fragte mich was mit ihm geschehen würde nach dem Zorn des Herrn. Ins Paradies konnte er nicht aufgenommen werden. Aber für das Fegefeuer war er wirklich zu nett. Ich musste mit Philotima sprechen. Vielleicht konnte sie ihn bekehren.


    Trotz aller Güte konnte Egilius aber nicht auch noch das Material bezahlen. Und da kam ich wieder ins Spiel. Ich nahm den Großteil der Münzen aus der Kasse und verstaute sie in meinem Beutel. Den Rest der benötigten Summe würde ich in den nächsten Tagen mitgehen lassen.


    Brot und Kuchen nahm ich natürlich auch mit und beendete die leidige Tagesarbeit mit meiner üblichen Runde am Tiber entlang.