Dies war Alexandreia, Alexandria.
Hier hielten sich die Griechen für die Klügsten, die Juden für die Reinsten, die Ausländer für die Geschäftstüchtigsten; die Aegypter, die in Rhakotis, dem Elendsviertel der Stadt, lebten, für die Betrogensten, und alle zusammen für entweder lasterhaft oder fromm oder beides: Alles Vorstellbare war an jeder Straßenecke zu haben beziehungsweise zu kaufen: Die geheimsten Geheimnisse des Hermes Trismegistos, serische Seide oder menschliche Schönheit.
Über Alexanders heiliger Stadt aber thronte im verheißungsvollen Licht des aufkommenden Tages das Museion,den Musen geweiht, die Forschungsstätte und die große Bibliothek des gesammelten Wissens der Menschheit, die so viele berühmte Namen hervorgebracht hatte: Euklid, Heron,Plotin…
Tiberios hatte das Museion noch nie betreten, natürlich nicht. Er gehörte zu dem vielköpfigen Heer von jungen paides, höflich und dienstbeflissen, darauf ausgerichtet, zu gefallen, und für einen neuen Chiton oder ein neues Duftöl dem Spender zuzulächeln.
Als man entdeckte, dass er ein gescheites Kind mit einer guten Merkfähigkeit für Zitate und Gedichte war, führte Athenodoros ihn zuweilen vor wie ein dressiertes Äffchen.
Die Ausbildung, die Tiberios bekommen hatte, war nützlich, und er war stolz darauf. Aber niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihn zu erziehen. Es reichte, wenn er die Hausregeln beherzigte und Anweisungen gewissenhaft ausführte.
So war der Stand der Dinge, als er Philippos Heim betrat. Dieser wünschte, die Aeneis in Koiné übersetzt zu haben und hatte daher Athenodoros gebeten, ihm den Schreiber als Übersetzer für zwei Monate auszuleihen.
Nicht Athenodoros teilte Tiberios die Neuigkeit mit, sondern der akolouthos, der Hausvorsteher; und der Sklave packte sein Badebesteck, einen Chiton zum Wechseln und seine theke mit seinem Schreibzeug – mehr an persönlichem Besitz hatte er ohnehin nicht.
Philippos hatte in der Neapolis im ersten Obergeschosses eines Stadthauses eine Wohnung, und als Tiberios nach einem morgendlichen Fußmarsch anklopfte, empfing ihn ein älterer Sklave:
Willkommen junger Mann“, sagte er: „Bis der Herr kommt, gestatte mir, dir die Räumlichkeiten zu zeigen. Fangen wir mit dem Xenon an, deinem Gästezimmer – hier kannst du dein Bündel lassen, sollten dir dein Raum nicht zusagen, so kannst du einen anderen wählen. Dann das Balaneion, bestimt wirst du später baden wollen, und natürlich die Bibliothek, wo du arbeiten wirst, nd ach ja, das Andron, das Speisezimmer und wenn du zu essen und zu trinken möchtest, sag einem von uns Dienern Bescheid, wir sind hier zu dritt und angehalten, dir deine Bedürfnisse zu erfüllen.“
Tiberios hatte zuhause keinen eigenen Schlafplatz, sondern schlief, wo es sich gerade ergab, und da Athenodoros nichts von Schlägen hielt, bestanden seine Disziplinierungen gewöhnlich darin, des Abendessens verlustig zu gehen. Sich nun eines eigenen Zimmers zu erfreuen und dazu sich Nahrung wünschen zu dürfen so viel er herunter bekam, das erschien ihm über alle Maße großzügig, und er wollte gleich die Probe machen:
„Könnte ich bitte einen Becher Wasser haben?“, fragte er.
Der Sklave deutete hinter sich: „Hier stehen immer Krüge mit Wasser und Becher, und wenn du Obst oder Gebäck magst, nimm dir.“
Tiberios trank einen Becher Wasser und aß eine mit Mandeln gefüllte Dattel, dann besann er sich auf seine Pflichten, und er meinte: „Ich werde gleich mit den Übersetzungen anfangen.“
Der Sklave des Philippos nickte, und zeigte ihm einen Tisch, Wachstafeln, Griffel und sonstiges Schreibzeug; alles noch feiner als das von ihm mitgebrachte; glatter glänzender Papyrus von bester Qualität; sattschwarzeTinte und bereits zurecht geschnittene Schilfrohre.
Tiberios prüfte alles, dann öffnete er die erste Schriftrolle von einem Stapel, die mit bunten Bändern und Nummern gekennzeichnet waren.
Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris…*
Er übersetzte von einer Sprache, die er sehr gut konnte in seine Muttersprache, das war ein reines Vergnügen, und Tiberios arbeitete bis es dämmerte, ohne dass er seinen Auftraggeber zu Gesicht bekommen hätte.
* Waffen besing ich und den Mann, der zuerst von Trojas Gestaden ….