Beiträge von Sisenna Iunius Scato

    Scato drehte ihm das Gesicht zu, auf dem knapp über der Braue eine Beule wuchs. "Tut mir leid, Lurco. Ich habe es im Übermut voll übertrieben. Es hat einfach solchen Spaß gemacht, sich da zu kloppen. Falls es dich beruhigt, ich muss jetzt einen Monat lang Scheiße schippen und morgen den Rüstungsmarsch mit doppeltem Gewicht absolvieren. Maro hat gesagt, ich wäre eine verfluchte Seekuh und ein nutzloses Rindvieh. Der war RICHTIG sauer, oh Mann. Wenn er mich noch nicht gehasst hat, dann tut er es ab jetzt." Er klopfte weiter. "Die Arschhaare solltest du aber vielleicht ausspucken, ich weiß nicht, ob der Medicus deine Zunge sehen will."

    << Exerzierplatz


    Scato führte Lurco zu einer Bank, wo er sich setzen sollte. "Schön hier warten, ja? Ich klopfe für dich. Entspann dich einfach, ich kläre das." Scato begluckte den Patienten regelrecht. Er hatte zwar auf dem Exerzierplatz ziemlich gemotzt, doch in seinem Inneren nagte das schlechte Gewissen. Er war schuld daran, dass sie nun hier waren und Lurco sah ziemlich blass aus. Er klopfte an der Tür und hoffte für Lurco, dass nicht gerade alles voller Notfälle war. Dann würde er ihm zur Überbrückung der Wartezeit ein Buch vorlesen.

    Scato, der nicht sehr viel wog, flog fast zwei Meter weit, ehe seine Caligae wieder den Sand des Exerzierplatzes trafen. Beleidigt drehte er sich um, wobei er seine schmerzende Hinterbacke rieb. "Du bist einfach ein schlechter Verlierer, das ist alles", motzte er. "Du kannst es nicht ab, dass ich auch mal was besser kann." Dass der Centurio gebrüllt hatte als gäbe es kein Morgen, und Scatos Fehlverhalten damit offiziell bestätigt war, hatte sein Kamerad ja nicht gehört. Da Lurco jedoch wieder normal dreinblickte, wenn auch noch etwas benommen, trat Scato wieder an ihn heran, griff dessen Handgelenk und zog sich seinen Arm quer über den Nacken. "Na komm, ich bring dich zum Valetudinarium. Stütz dich auf mich, damit du nicht umfällst und dir wirklich noch den Hals brichst. Du hast mich ganz schön erschreckt." Fürsorglich führte er seinen Kameraden zum Medicus.


    Valetudinarium >>

    "Uhäää", machte Scato pikiert, als Lurco ihn erst anknurrte und dann dermaßen freundlich schaute, dass es gruslig war. Noch grusliger war allerdings die folgende Aufforderung. Na ja, immerhin war sein Kamerad aufgewacht, das war gut. Lurco konnte außerdem schon wieder stehen und stinkesauer sein. So ergab Scato sich in sein Schicksal, stellte den Eimer ab, drehte Lurco die Rückseite zu und spannte die Gesäßmuskeln an, um seinen wohlverdienten Arschtritt halbwegs würdevoll in Empfang zu nehmen.

    Maro war außer sich. Scato hatte soeben den einzigen Tiro in den Sand geschickt, für den der Centurio je ein Lob übrig gehabt hatte. Scatos Welt explodierte in einem weißen Lichtblitz, als der Stab sein Gesicht traf. Er strauchelte kurz, aber Maro hatte genug Erfahrung im Verprügeln von Rekruten, um Scato keine gnädige Ohnmacht zu gönnen. Nein, er bekam die ganze Packung ab, seine ganze Schande vor versammelter Mannschaft ins schmerzende Gesicht geschrien. Das hatte gesessen. Vor ein paar Jahren hätte er nach so einem Anschiss geheult. In Rüstung wirkte man zwar älter, aber trotzdem war er erst zwanzig.


    So wahrte er zwar Haltung, aber Scatos Bestürzung war nicht zu übersehen, als er "Jawohl, Centurio", brüllte und sich sogleich an die Arbeit machte. Während er sich wie ein wandelnder Haufen Dreck fühlte, ließ er sich von Ahala den Eimer mit dem Brunnenwasser geben, um ein eiskaltes Rinnsal in Lurcos Gesicht plätschern zu lassen. "Wach auf", flehte Scato, der nun in ernster Sorge ob Lurcos Gesundheitszustand war, obgleich die Untersuchung des Centurios keine ernsten Verletzungen offenbart hatte. Die Aussicht, das doppelte Gewicht beim Rüstungsmarsch zu schleppen und Scheiße zu schippen, war harmlos gegen die Vorstellung, die Ausbildung ohne Lurco fortsetzen zu müssen. Sein Kamerad war von der ersten Begegnung an so selbstverständlich zum Teil seines Lebens geworden, dass er sich amputiert fühlen würde ohne ihn.


    "Mensch, Lurci, alte Säge, mach keinen Blödsinn. Bei Faunus, mach die Augen auf", flehte er. Wenn es gar nicht gelang, seinen Freund zu wecken, würde er ihn sich über die Schultern legen, wie das Lurco mit ihm getan hatte, als er besoffen gewesen war, und ihn so zum Valetudinarium buckeln.

    "Der Ofen selbst ist der Altar für die Penaten", erinnerte Scato. "In seinem Feuer hausen sie, darin verehrt man sie. Für die Laren hingegen wäre ein kleiner Wandschrein nicht schlecht. Wir haben hier wenig Platz, aber da neben der Tür könnte einer hinpassen. Für die Manen könnten wir mal schauen, ob es eine Gedenktafel für die gefallenen Kameraden gibt. Wir haben hier einen Tempel des Mars und das Sacellum der Fortuna Restitutrix. Aber ich muss gestehen, dass ich dort noch nicht schauen war."


    Er überlegte.


    "Ob man da einen Seher oder so was findet, weiß ich allerdings nicht. Müsste es hier nicht auch einen Friedhof geben für die Gefallenen? Vielleicht dort? Ich kann mir nicht vorstellen, dass man jeden Leichnam bis in seine Heimat überführt, manche kommen ja von sonstwo aus den Provinzen." Er fummelte an seiner unzüchtigen Halskette. "Faunus sollte auch geehrt werden. Zwei Luperci in einem Contubernium, das bringt Glück und dafür muss man Faun danken. Außerdem ist er ein netter Gott. Wie wäre es mit einem entsprechenden Wandgemälde, oben auf der weißen Hälfte der Wand?"

    "Lurco?", fragte Scato und patschte ihn. "LURCO!" Doch da rührte sich nichts. Wie man einen Schlafenden weckte, wusste er, aber einen Bewusstlosen? Der reagierte ja weder auf Berührungen noch auf Ansprache! Wie hatte er das überhaupt hinbekommen? Versuchsweise rüttelte er Lurcos Schultern. Als das auch nichts half wurde ihm bewusst, dass er Maro um Hilfe bitten musste und ihm lief ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter.


    Aber es half alles nichts!


    Scato straffte seine Schultern, zog seine Tunika zurecht, klopfte sie sauber und ging möglichst normal zu Maro. Er guckte auf eine Weise, die signalisieren sollte, dass dringender Redebedarf bestünde, während er darauf wartete, dass der Centurio ihm die Erlaubnis zum Sprechen erteilte. Zwischendurch schaute er immer mal wieder besorgt zu Lurco, um sicherzugehen, dass der noch atmete, was den Göttern sei Dank der Fall war. Gleichzeitig überlegte er, ob er ihn versehentlich ernsthaft verletzt haben könnte und wenn ja, wie. Ob er ihm irgendwie das Genick gebrochen haben konnte? Schlagartig wurde Scato kreideweiß. Und er Idiot hatte ihn auch noch geschüttelt!


    "Centurio?", sagte er zaghaft und zeigte in Richtung Lurco, weil er es nicht mehr aushielt.

    Scato ächzte. Schon zum zweiten Mal versuchte Lurco, ihn bei lebendigem Leibe zu häuten, indem er an seiner Hüfthaut zerrte, als hätte er da zwei Henkel. Und dann auch noch die niederträchtige, ja, geradezu unsportliche Attacke auf seine Zwerchfellmuskulatur! Natürlich war Scato kitzelig. Aber hier ging es um Sieg oder Niederlage und um seine Ehre auf dem Exerzierplatz. Schlimm genug, dass er schon einmal losgekreischt hatte, ein zweites Mal würde er das nicht! Er umklammerte Lurco noch fester und stellte sich vor, er wäre eines der kriminellen Subjekte aus der Subura, was ihm half, seine Empfindlichkeit an den malträtierten Flanken zu unterdrücken.

    Scato verkniff es sich, sein schmerzendes Kreuz zu strecken. Er zog nur seine sandige Tunika wieder zurecht. "Das war schon die zweite Runde", behauptete er, "die du angefangen hast, nachdem ich dich in der ersten besiegt habe. Aber gut, wenn du ein mal mehr auf den Deckel bekommen willst...!"


    Mit einem Sprung aus dem Stand, auf den jede Katze neidisch gewesen wäre, katapultierte Scato sich so hoch wie möglich gegen Lurcos Oberkörper. Mit den Händen klammerte er sich an seinem Kopf fest und versuchte, auch die Beine so weit oben wie nur möglich zu platzieren. Dort hing er wie eine zu groß geratene Frucht an einem wankenden Stamm und versuchte, Lurco durch sein Körpergewicht ins Straucheln zu bringen und mit sich zu Boden zu reißen.

    Nach der heutigen Rückkehr vom Exerzierplatz warf Lurco eine existenzielle Frage in den Raum. Die meisten Kameraden waren sehr religiös und auch Scato war tiefgäubig. Scato, der gerade frisch aus den Thermen kam und seine saubere Wechseltunika angelegt hatte, verschränkte die von den Sklaven frisch manikürten Hände auf dem Tisch und blickte sehr ernst.


    "Ich weiß nicht, wie die Penaten dieser Behausung heißen. Man kann es herausfinden lassen von einem, der sieht. Aber ihre Namen halte ich für weniger bedeutsam als die regelmäßigen Opfer. Wen wir auch nicht vernachlässigen sollten, sind die Lares Loci, jene Laren, schon immer hier an diesem Ort waren, schon bevor die Castra gebaut wurde. Am allerwenigsten vergessen dürfen wir die vielleicht die machtvollsten Geister der Castra überhaupt, die Manen, die Geister unserer in Erfüllung ihrer Pflicht gefallenen Kameraden."

    Offenbar hatte Lurco weder Scato noch Maro zugehört oder er hatte auf deren Gesabbel einfach keine Lust, denn er unterband jedes weitere Wort von Scato, indem er diesen kurzerhand zwischen seinem Arm und seinem Oberkörper einquetschte. Scato bekam so gut wie keine Luft mehr und war oben herum handlungsunfähig. Aus einem Schwitzkasten kam man nur mithilfe der Beine heraus. So angelte er nach Lurcos Beinen, doch der war nicht blöde - er hatte sich verdreht und weit genug zur anderen Richtung hin eingekrümmt, so dass Scato ihn bei allem Gezappel nicht mehr erreichen konnte. Eine Weile wippte und schaukelte Scato noch in dem Versuch, die Beine von Lurco zu erreichen. Da er nicht herankam, änderte er seine Taktik - er krümmte sich extrem zusammen und hakte Lurco seine Kniekehle unter den Kiefer. Jetzt hing es davon ab, ob Lurco sein Kinn rechtzeitig herangezogen hatte oder nicht.

    Scato war den Gesetzen der Schwerkraft folgend gemeinsam mit Lurco zu Boden gegangen, hatte sich jedoch abgefangen, um diesen nicht unter sich zu zerquetschen. Ein Aufprall auf den Rücken war heftig genug, da musste nicht auch noch jemand bäuchlings auf einem landen. Doch anstatt Scato nun aufstehen zu lassen, klammerte Lurco ihn mit den Beinen fest, wodurch er seinem Kumpel die Luft aus den Lungen presste. "Eins zu null", ächzte Scato stolz. "Nur bis zur Landung!" Maro hatte zumindest nichts vom Bodenkampf gesagt.

    Das musste Lurco ihm nicht zwei mal sagen. Scato stürzte nach vorn, umgriff Lurcos Körper und packte ihn am Gürtel, der einzigen Stelle, wo er wirklich guten Halt haben würde. Mit einem Ruck versuchte er, ihn aus dem Gleichgewicht zu heben, während er ihm gleichzeitig ein Bein weghaken wollte. Im selben Augenblick schob er. Wenn alles so lief, wie er das plante, würde Lurco eine herrlichen Rückenlandung hinlegen.

    DARAUF hatte Scato Bock! Jeder Rekrut träumte an irgendeinem Punkt seiner Ausbildung begeistert davon, sich im Dreck zu wälzen. Warum das so war, wusste niemand, vielleicht das Feuer der Jugend, das da brannte und den Krieg für ein Abenteuer hielt, während altgediente Legionäre nichts so sehr hassten wie Regentage, an deren Ende sie ihre Ausrüstung doppelt so lange reinigen durften wie sonst. Davon war Scato allerdings noch weit entfernt, er freute sich auf das Ringen und auf den Dreck.


    "Hilf mir mal mit dem Panzer", bat er Lurco und drehte ihm den Rücken zu, damit sein Kamerad ihm die hinteren Verschlüsse auffriemelte, während Scato das zeitgleich vorne machte, ehe sie tauschten und Scato seinerseits Lurco aus der Rüstung half. Wenig später waren sie so weit. Die Schilde, Schienenpanzer und Helme lagen im Sand und Scato wartete vor Aufregung hibbelnd darauf, dass Lurco endlich Bereitschaft signalisierte.

    Was Maro erzählte, war interessant, die Tirones lauschten gebannt. Doch wer nun auf Anekdoten hoffte, welche Abscheulichkeiten bereits auf das behelmte Haupt des Centurios geregnet waren, wurde enttäuscht. Scatos erste Assoziation waren die berühmten Blumentöpfe aus Terracotta, gefolgt von Nachttöpfen, die zwar stinkenden Inhalt verspritzten, aber weitaus weniger Schaden verursachten als duftende Blumen in ihren schweren Wurzelbehausungen.


    Bei der folgenden Übung bekam Scato einen Vorgeschmack dessen, wie es sich anfühlte, mit Gegenständen von oben bombardiert zu werden. Es machte DONG und Scato hatte eine Beule mehr. Trotz Helm würde er heute abend mit Kopf- und Nackenschmerzen heimgehen. Ein Scutum wog so viel wie ein voller Wassereimer, die Übungsschilde noch einmal deutlich mehr als jene, die später zum Einsatz kommen würden. Scato hatte gewaltig damit zu kämpfen, seines vernünftig in Position zu bringen, ganz so, wie offenbar sein Hintermann - und es dann auch noch dauerhaft so zu halten und nicht einfach auf dem Helm des Vordermanns abzulegen.


    DONG.


    Noch eine Beule mehr. Als er sich verärgert über die Schulter umdrehte, sah er Lurco hinter sich stehen. War ja klar. Sein grimmiger Blick verwandelte sich in ein kurzes Grinsen, ehe er wieder ernst nach vorne blickte, darum bemüht, nicht seinerseits den Helm von Tarpa zu verbeulen.

    Mit Ausnahme von Tarpa, der schon fertig angezogen an der Tür wartete, um keinesfalls zu spät auf den Exerzierplatz zu kommen und darum im Stehen aß, probierten die Tirones beim Frühstück das Spiel mit den Sprunggelenken aus. Der Verlierer war am Ende Scato, da er mehr herumblödelte als richtig mitzuspielen. Sie hatten viel Spaß. Der Start in den Tag hätte nicht besser laufen können und vielleicht ahnte jemand, dass Scato absichtlich verloren hatte, um sich nützlich machen zu können. Jedoch war die neu eingerichtete Topfkasse dafür noch zu leer, er würde den Topf erst in einigen Tagen oder Wochen kaufen können. Als das Signal zum Appell erklang, fanden sich trotz des Spiels alle rechtzeitig und guter Dinge auf dem Exerzierplatz ein, um ihren täglichen Anschiss abzuholen.


    Hinter vorgehaltener Hand machte unter den Tirones das Maro-Unser die Runde. Auf dem Exerzierplatz sprach es niemand aus, jedoch hatte es der eine oder andere im Hinterkopf:


    Das Maro-Unser


    Maro unser in der Castra,
    gepriesen sei dein Name,
    deine Pein komme,
    dein Befehl geschehe,
    wie auf dem Exerzierplatz so in der Subura.
    Unseren täglich Anschiss gib uns heute.
    Und vergib uns unser Versagen,
    wie auch wir vergeben unsern Kameraden.
    Und führe uns nicht in den Tod,
    sondern heil in die Castra.
    Denn dein ist das Kommando
    und die Herrlichkeit der CU.
    Amen.

    "Danke für dein offenes Ohr, Lurco. Auch wenn du mich nur zur Hälfte verstanden hast. Du bist ein guter Freund."


    Scato grinste zufrieden, auch wenn er extrem erschöpft war. Heute war einer dieser Tage, an denen er sich selbst nicht ertragen konnte. Er knuffte Lurco, setzte sich wieder normal hin und ließ sich gemeinsam mit ihm den Proviant schmecken, ehe sie zurück zur Castra Praetoriae gingen.

    Scato fragte sich, ob Lurco wirklich so blind war. Er entwand sich der Umarmung und packte ihn.


    "Begreifst du es denn immer noch nicht! Und nach all dem begegnen wir uns und laufen gemeinsam auf den Lupercalia - zu Ehren des Faunus. Wir, und du magst Männer. Das KANN kein Zufall sein! Egal, wo ich hingehe, es verfolgt mich, ER verfogt mich, es gibt keine Flucht. Es ist mir nicht gestattet, anders zu leben, auch wenn ich es versuche, so ist es nicht für mich gedacht. Ich stehe mit dem Rücken zur Wand und darum sage ich es jetzt.


    Ich habe gelogen, als ich sagte, ich müsse mir über alles in Ruhe Gedanken machen, denn meine Gedanken sind längst klar. Ich begehre keine Frauen, Punkt. Vielleicht, weil dieser vermaledeite Grieche in Mantua mich so erzogen hat. Und nun - läuft hier mir wieder ein Grieche über den Weg! Der selber aussieht wie ein fleischgewordener Daphnis", stöhnte Scato gequält.


    Er ließ Lurco wieder los und kuschelte sich an dessen Seite, als sei nichts gewesen. Allerdings lief ihm kalter Schweiß von der Stirn.