Beiträge von Sisenna Iunius Scato

    "Lass mich ausreden, es geht noch weiter. Vielleicht kapierst du es gleich von alleine. Die Satyrn sind die Gefährten des Pan, Satyros war sein Name. Terpander war im Herzen ein Wesen des Faunus, er stellte meiner Mutter seine Manneskraft zur Verfügung und brachte ihr die Lebensfreude zurück. Nur behielt er diesen Aspekt seiner Natur für sich. Und das ist noch immer nicht alles, denn in Gestalt von Pan ist Faunus nicht nur für seine Fruchtbarkeit bekannt, sondern auch für seine Affinität zu Knaben. Er liebte den jungen Hirten Daphnis und brachte ihm das Spiel auf der Panflöte bei. Aber das hat der alte Grieche mir natürlich nicht gesagt und ich habe mich brav weiter mit Daphnis anreden lassen, während er sich ins Fäustchen lachte. Ein Sklave darf manche Dinge nicht sagen, aber Terpander sagte sie auf seine Weise. Das Ganze war eine in ein Rätsel verpackte Liebeserklärung."


    Scato malte mit dem Zeigefinger eine Kurve in die Luft, so als würde er nun endlich zurück zum eigentlichen Thema kommen.


    "Er liebte mich und den Gedanken, mich an eine Frau zu verlieren, missfiel ihm. So hat er mich in seinem Sinne erzogen, indem er mich für mein eigenes Gezicke mit den potenziellen Bräuten - ich war an den Streits ja nicht unschuldig - auch noch mit Trost und Zärtlichkeiten belohnte. Ich glaube, er hat mir antrainiert, auf Frauen mit Abwehr zu reagieren. Ja, das unterstelle ich ihm. Es dauerte Jahre bis ich das alles geschnallt habe. Die Große Erkenntnis geschah während einer Wanderung. Ich war sehr viel in der Natur unterwegs, wenn es mir zu viel wurde. Und dort hatte ich eine Begegnung mit Faunus. Plötzlich verstand ich. Ich verstand Terpander und ich verstand mich und ich erkannte, dass Terpander mich schon lange vor mir verstanden hatte. Es war, als würde der Mann all die Zeit über meine Gedanken gelesen haben. Als ich in sein Gesicht sah, blickte ich in einen Spiegel und da bekam ich es wirklich mit der Angst zu tun.


    Ende vom Lied - ich habe meine Sachen gepackt und bin abgehauen." Scato lächelte schief. "Und nun hocke ich hier."

    Als Lurco seinen Arm um ihn legte, versteifte sich Scato einen Moment, ehe er sich entspannte. Langsam sank er gegen Lurcos Flanke.


    "Mir fällt gerade kein blöder Spruch ein", murrte Scato. "Du musst das jetzt hier einfach mal ertragen, ohne dass ich die Stimmung mit einem unangebrachten Kommentar versaue. Die Wahrheit ist, dass ich auf das Ganze eine sehr spirituelle Sicht habe, die niemand mit mir teilen kann, weshalb ich sie für mich behalte. Ich werde sie dir trotzdem erzählen. Vielleicht beantwortet das einen Teil deiner vielen Fragen.


    Der Kult der Luperci bedeutet mir sehr viel. Faunus wird bei den Griechen Pan genannt. Es ist ein und derselbe Gott, nur heißt er hier so und dort anders. Während er hier vor allem für seinen Fruchbarkeitssegen und den Schutz des Viehs verehrt wird, findet man in den griechischen Erzählungen ganze Geschichten über ihn. Lustige, schräge, aber auch traurige. Woher ich diese Dinge weiß? Wir hatten in Mantua einen griechischen Sklaven. Ja, richtig, ganz so, wie Tiberios. Terpander war allerdings kein junger Lockenschopf, sein Haar war kurz und er war schon grau, aber sehr gut in Form, immer gut gelaunt und vor allem war er unwahrscheinlich gerissen.


    Nach dem Tod meines Vaters hat meine Mutter ihn gekauft. Offiziell sollte er sie in der Erziehung unterstützen und mich die Dinge lehren, die mein Vater mich nicht mehr lehren konnte. So wurde er mein Erzieher und Lehrer. Wir nannten ihn Terpander, aber ich erfuhr später, dass der Händler ihn unter dem Namen Satyros verkauft hatte. Also kannst du dir denken, zu welchem Zwecke meine Mutter ihn eigentlich brauchte. Dennoch erfüllte er seine Aufgabe als Lehrer ebenso hervorragend. Wo andere für jede Disziplin einen eigenen Lehrer brauchen, war er ein Multitalent. Er war ein wahrer Glücksgriff und ich mochte ihn gern.


    Mit meinen Eltern hatte ich sehr viel Streit, da mir die Frauen, die sie mir vorstellten, grauenhaft erschienen. Noch schlimmer wurde das, als mein Vater nicht mehr war und meine Mutter sich zusehends unter Druck gesetzt fühlte, mich unter die Haube zu bekommen. Terpander war in solchen Zeiten, wo die Fetzen flogen, die Ruhe selbst, fast schien er es zu genießen, wenn in unserer Familie wieder mal der Abgrund losgebrochen war. Und während ich mich wütend bei ihm über meine Mutter und ihre unmöglichen Vorstellungen für mich ausließ, pflegte er mich in den Arm zu nehmen, zu trösten und Daphnis zu nennen, ich hielt das für einen griechischen Spitznamen. War es aber nicht! Weißt du, wer Daphnis ist?"

    Jetzt musste Scato wirklich lachen.


    "Gar nichts hat mich das annehmen lassen, ich habe nur vor mich hingeträumt, ja? Du bist vielleicht manchmal eine schräge Gurke. Als ob ich den so was frage. Es ist auch nicht so, dass ich im Lupanar vorhatte, irgendwelche Vorstellungen auszusprechen, ich wollte euch einfach machen lassen und hatte gehofft, dass wir dabei im selben Raum sind, egal, wofür ihr euch entscheidet, damit ich glotzen und vielleicht ein bisschen mitmachen kann.


    Witzig ist, dass ich Tiberios auch schon gesagt habe, dass ich ihn kaufen würde - aber nicht aus diesem Grund! Der Arme! Jemandem so etwas zu befehlen, der so klug ist und sicher darunter leidet, dass er öfter mal für einen griechischen Lustknaben gehalten wird, das wäre irgendwie schändlich, oder? Totale Vergeudung. Wie in Stutenmilch zu baden, anstatt sie zu trinken. Vielleicht würde man ihn damit sogar für immer zerstören! Nein, das geht nicht. Was anderes wäre es natürlich, wenn sich Entsprechendes aus Freundschaft heraus ergäbe. Wobei, Freundschaft mit einem Sklaven? Irgendwie bin ich wirr, oder? Meine Vorstellung hört sich heute sogar für mich selber total naiv an, was alles nur deine Schuld ist, aber schau mal, ich bin noch neu, ja? Ich kann das alles noch nicht so ... abgebrüht sehen."


    Er merkte, dass er Lurco behandelte, als ob dieser ihm diese Vorwürfe gemacht hätte. Er nahm Lurco die Weinflasche weg, um daraus zu trinken. Jetzt ärgerte er sich wieder darüber, dass er keinen puren Wein mitgenommen hatte.


    "Ich will nicht noch mal in ein Lupanar", gab er nach einigen Schlucken leise zu. "Zumindest nicht sofort. Ich würde mein zweites Mal gerne in absoluter Ruhe verbringen. Irgendwo ist das doch ein Mannbarkeitsritual und ich habe das in so einen unwürdigen Rahmen gepresst. Wie mich das rückblickend ärgert! Man hat nur eine einzige Chance für sein erstes Mal und ich habe sie versaut."

    "Ich habe nichts falsch verstanden, nur schon wieder Grütze erzählt", antwortete Scato leise feixend. Er wollte bei diesem Thema nicht gerade im Park herumschreien, wie das sonst seine Angewohnheit war. Bei der Vorstellung, nun ehrlich zu antworten, schoss ihm das Blut ins Gesicht. Sein Feixen klang etwas verkrampft, ehe es verstummte und er seine Unterlippe leckte. Er brauchte eine Weile, ehe er genügend Mut fand, Lurcos Frage zu beantworten. "Als ich noch dachte, dass du Frauen magst, habe ich mir vorgestellt, dass du in der Mitte steckst und ich hinter dir bin", räumte er leise ein. "Und als ich es besser wusste, rutschte der arme Tiberios an den Platz der Frau."

    "Weißt du, Lurco, in einer Sache unterscheiden wir uns: Du glaubst, dass alle Menschen so vernünftig wären, wie du. Ich tue das nicht. Natürlich machen deine Argumente Sinn. Aber das musst du nicht mir erzählen, sondern den Idioten, die einem wegen solchen Dingen das Leben zum Abgrund machen! Und diese gibt es, da lässt sich nichts schönreden, und wie viele davon innerhalb der Castra leben, wissen wir nicht. Ich habe auch keine Lust, es herauszufinden. Verstehst du, was ich dir sagen will? Von mir werden sie jedenfalls nicht ein Sterbenswörtchen erfahren. Das verspreche ich dir."


    Er ließ Lurco den Wein, da dieser gerade dreinblickte, als würde er ihn brauchen, während er von seinem Verflossenen erzählte.


    "Du hattest dir mehr von ihm erhofft, nicht wahr? Sonst würdest du nicht heute noch Ersatz im Lupanar suchen, obwohl er dich dermaßen kalt vor die Tür setzte. Soll ich ihn verprügeln?", fragte Scato fürsorglich. Mit der sinkenden Sonne kam die Kälte und der Wind frischte auf. Er ließ die Kronen der immergrünen Bäume um sie herum rauschen. Scato holte eine Decke hervor, die groß genug war, so dass sie beide darunter passten und legte sie ihnen über die Schultern.


    "Bezüglich des Dreiers, ich meinte das so: Es gibt da so ein Wandbild, darauf kniet eine Frau, während hinter ihr zwei Männer einander umarmen. Das fand ich immer sehr schön. So in der Art habe ich mir das vorgestellt, dass du dich mit der Frau vergnügst oder eben Tiberios und ich gucke von hinten diskret über die Schulter, was ihr da macht." Einen Moment noch gelang es ihm, ernst zu bleiben, dann musste er grinsen. "Schon gut, vergiss es, ich hatte ja versprochen, nicht mehr zu lügen."

    Der bedauernswerte Ahala guckte geknickt, als Maro sich fast schon angewidert abwandte, aber da musste er durch. Früher oder später bekam jeder hier sein Fett weg. Scato wühlte in seinem Gedächtnis, um die möglichen Formationen der römischen Infanterie lückenlos aufzuzählen, die der Centurio von ihm zu wissen verlangte.


    "Die bekanntesten Formation für die Kohortentaktik ist Testudo, die Schildkröte. Sie dient zum Schutz vor starkem Beschuss und zum geschützten Vorrücken auf befestigte Stellungen. Sie muss im Nahkampf jedoch rechtzeitig aufgebrochen werden, sonst sind die Legionäre hilflose Opfer von Feinden, die in offenen Formationen angreifen. Die Keilformation dient zum schnellen Durchbrechen feindlicher Schlachtlinien, die vor allem von den Auxiliareinheiten verwendet wird. Die Gegenformation ist das V, um den Keil darin aufzunehmen und zu umschließen.


    Daneben gibt es noch Rotate, die Rotation von Legionären innerhalb der Einheit, so dass sie regelmäßig durch ausgeruhte Kameraden von hinten ersetzt werden. Die Erweiterung davon ist Quincunx, die Rotation von ganzen Zentrurien. Bei der schiefen Schlachtordnung werden Schwerpunkte durch den Feldherren gesetzt, anstatt alle Kräfte gleichmäßig auf der gesamten Linie zu verteilen. Bei der ungeordneten Formation erfolgt der Einzelkampf Mann gegen Mann."

    "Schon gut, du hast ja recht. Das war falsch von mir. Künftig sollen keine Lügen zwischen uns stehen, wir müssen einander vertrauen können, denn eines Tages könnte unser Leben davon abhängen. Was ich mir gewünscht habe, nachdem ich mich gedanklich damit anfreundete, dass es nun ernst wird, ist einfach, aber auszusprechen habe ich es nicht gewagt. Einen Dreier, damit ich mir abschauen kann, wie es geht. Oder einen Vierer, wenn Tiberios mitgezogen hätte. Vielleicht wäre auch selber ein Ausprobieren drin gewesen, oder eben einfach ein Lernen. Warum ich dir das nicht gesagt habe ... weil ich Schiss hatte. Ich wollte nicht, dass jemand merkt, dass ich von all dem überhaupt keine Ahnung habe. Das ist doch peinlich in dem Alter."


    Er sah auf das Gras zu seinen Füßen, zwischen dessen Halmen sich die ersten Frühblüher der sinkenden Sonne entgegenreckten.


    "Und jetzt habe ich Schiss, dass du rausfliegst, wenn das mit dem Germanenverschnitt rauskommt oder dass sich alle über dich lustig machen. Was ist eigentlich mit dem Original geschehen? Mit dem häuslichen Typen, für den du im Magnum Momentum einen Ersatz bestellt hast?"

    Tatsächlich verstummte Scato genau in dem Moment, als sie die Porta erreichten und war fortan mucksmäuschenstill, was daran lag, dass er eingeschlafen war. Er und Lurco hatten diesmal Glück. Ein Miles, der sich noch gut daran erinnern konnte, dass er selbst einst Tiro gewesen war, lotste die beiden diskret an den diensthabenden Autoritäten vorbei, so dass sie sicher in ihr Quartier in die Baracke VII zurückkehren konnten, wo sie alsbald in ihre Wolldecken gehüllt den Schlaf der Gerechten fanden.


    Sim-Off:

    In Absprache mit dem Centurio der beiden Trunkenbolde geschrieben.

    "Ich bin offenbar leicht zu durchschauen." Scato hatte heute nicht umsonst nur verdünnten Wein eingepackt. Diesmal gab es keine Ausreden und keine Flucht in den Rausch. Vor allem keine Flucht vor sich selbst. "Ich möchte über die Wahrheit reden, da ich dich belogen habe. Tiberios war es, der mich zurück auf den Boden der Tatsachen holte; ich habe ihn zufällig in den Thermae Agrippae getroffen. Er hat meine Sicht gerade gerückt, indem er klare Worte für etwas fand, das wie ein wirres, klebriges Gespinst in meinem Kopf hing. Der Mann ist ein kleines Wunder, ich hoffe, sein Herr weiß zu würdigen, was er an ihm hat.


    Ich gehe davon aus, dass du meine kleine Schwindelei bemerkt hast, aber ich möchte sie trotzdem aussprechen. Es ist das Eine, durchschaut worden zu sein, das Andere, dazu zu stehen. Aber ich denke, es wird Zeit, dass ich das lerne. Als Urbaner sollte ich Rückgrat beweisen. So höre meine Worte! Aus lauter Schiss, mich wegen meiner Unerfahrenheit im Bett vor dir zum Gespött zu machen, habe ich so getan, als wäre ein Lupanarbesuch für mich Routine. Und damit habe ich mir gekonnt mein erstes Mal versaut. Das ist die gerechte Strafe für meine Lüge. Und jetzt darfst du mich auslachen."

    Niedlich. Als Tiberios ihn dermaßen anstrahlte, konnte Scato nicht anders, als zurückzulächeln. So viel Freude im Gesicht wegen einer so kleinen Geste. Plötzlich hatte Tiberios es sehr eilig, davon zu wuseln. Flink wie ein Fischlein entwand er sich und war einen Moment später auf und davon. Scato hatte eigentlich vorgehabt, ihm noch ein wenig Geld zu geben zum Dank für das Gespräch, aber da war der Bursche schon verschwunden. Scato sah ihm einige Augenblicke nach. Er gab Tiberios die Zeit, sich gänzlich zu entfernen, indem er sich noch eine Runde striegeln und massieren ließ, ehe er sich ankleidete und durch die laute Nacht Romas zurück zur Castra Praetoria ging.


    Die Nacht schlief Scato wie ein Stein. Am nächsten Abend nach Dienstschluss lud er Lurco zu einem Spaziergang in die Die Gärten von Maecenas ein. Es gab einiges zu klären.


    Die Gärten von Maecenas >>

    Einen Tag nach dem Badeabend in den Thermae Agrippae.


    Sich für ernste Gespräche an einen Tisch zu setzen, hatte Scato noch nie für eine gute Idee gehalten. So etwas gab dem Ganzen immer den Anstrich eines Verhörs. Besser war es, Seite an Seite zu gehen, während man sprach, oder nebeneinander zu sitzen, den Blick auf etwas Schönes gerichtet, sei es ein prasselndes Herdfeuer oder das Glitzern der Oberfläche eines Flusses. Dieser kleine psychologische Kniff nahm die Schärfe aus den meisten Gesprächen, zum Einen, weil man sich nicht anstarren konnte, aber auch, da man nirgends eingepfercht war und jederzeit gehen konnte. So nahm Scato seinen Lieblingskameraden Lurco bei dem schönen Wetter mit auf einen Ausflug, denn er wusste nicht, wie sich das geplante Gespräch entwickeln würde. Weit mussten sie nicht gehen, um das Ziel zu erreichen, dass er ausgekundschaftet hatte. In Sichtweiter der Stadtmauer spazierten sie nach Süden, bis sie die horti maecenatis erreichten, die Gärten von Maecenas.


    Die Gärten von Maecenas auf der Karte
    Die Gärten aus der Vogelperspektive


    "Ich hätte dich gern nach Tivoli eingeladen", plauderte Scato während des Spaziergangs nach Süden. "Viele Römer, die ein wenig Ruhe vom Alltag suchen, genießen dort ihre Zeit. Die Wasserfälle sind ein Traum, ich war dort, bevor ich Roma erreichte. Es sind letztlich nur 20 Meilen, aber na ja. Dafür benötigen wir schon einige Tage Urlaub. Wir können froh sein, dass wir als Tirones überhaupt Ausgang bekommen, darum die abgespeckte Variante."


    Gärten 1
    Gärten 2
    Gärten 3


    "Ich hoffe, hier gefällt es dir auch ein wenig."


    Sie gingen durch die gebändigte Natur, bis sie eine öffentliche steinerne Bank fanden. Dort ließen sie sich nieder. Sie hatten Glück, im Moment war hier niemand außer ihnen. Die Vögel sangen in den Bäumen um die Wette und auch Scato spürte die Wärme des Windes, die den nahenden Frühling verhieß. Scato packte die Verpflegung aus, die er ihnen beiden eingepackt hatte, wozu auch die obligatorische Feldflasche mit verdünntem Wein gehörte. Sich erst einmal ein wenig einzuschleimen, war sicher keine schlechte Idee. "Wie fandest du eigentlich den Abend im Magnum Momentum?", fragte er, um das Ganze locker zu beginnen und nicht gleich mit einer erschlagenden Aussage.

    Während Scato folgsam trank, um seine Atmung wieder zu normalisieren, erklärte Asper ausführlich, wie man Astragaloi spielte.


    "Astragaloi ist das, was manche hier einen griechischen Scheiß nennen, aber mir macht es Spaß. Es ist nicht ein Spiel, sondern ein Überbegriff für alles, was man mit sogenannten Astragalen spielt. Anstelle von Würfeln spielt man mit den Sprungbeinen aus den Hinterbeinen von Paarhufern, meine sind von Ziegen. Das ist das, was man die Astragale nennt. Man verwendet diese Knochen für ganz unterschiedliche Spiele.


    Ein einfaches Ratespiel namens Artiasmos besteht daraus, dass du raten musst, ob ich eine gerade oder eine ungerade Zahl von Astragalen in der Hand verstecke.
    Bei Omilla müssen die Astragale in einen gemalten Kreis geworfen werden. Mit jedem Wurf versucht man, den Astragal eines anderen wieder aus dem Kreis heraus zu schießen.
    Das Ziel von Tropa ist es, die Astragale durch geschicktes Werfen in ein Loch im Boden zu befördern.
    Beim Fünfsteinspiel, das die Griechen pentelitha nennen, wirft man nacheinander einen von fünf Astragalen nach dem anderen in die Luft und versucht, ihn mit dem Handrücken wieder aufzufangen. Fällt ein Astragal zu Boden, muss er aufgehoben werden, ohne dass die Astragale auf dem Handrücken herunterfallen. Das scheint die beliebteste Variante dieses Spiels zu sein.


    Astragale eignen sich jedoch auch zum Würfeln. Aufgrund ihrer Form können die Knochen nur auf den vier Längsseiten landen, aber nicht auf den beiden Kurzen, die stark gekrümmt sind. Die vier möglichen Seiten sind aufgrund ihrer Form leicht voneinander zu unterscheiden. Jede hat einen anderen Wert. In acht von zehn Fällen bleibt der Astragal auf einer der beiden Breitseiten liegen. Die seltenen Schmalseiten zählten 1 und 6 , die Breitseiten 3 und 4; 2 und 5 kommen nicht vor. Du siehst, dass die gegenüberliegenden Seiten zusammen immer 7 ergeben. Meist wird mit vier Astragalen gespielt.


    Es gibt zich Regeln, wie auch beim normalen Würfelspiel. Besonders mag ich folgende Variante: Für jede 1 oder 6 muss ein Sesterz in eine Kasse gezahlt werden. Und wer den Venus-Wurf schafft, so dass jeder Astragal auf einer anderen Seite liegt - 1,3,4,6 - gewinnt das alles. Im Original wurde das wohl mit Denaren gespielt, aber so dick ist unser Geldbeutel, glaube ich, noch nicht."


    Im Hintergrund hatte Ramnus wieder zu schnarchen begonnen.

    Kinaidos ... das klang gar nicht merkwürdig. Mehr wie ein Titel, wie die Rolle in einem Ritual. Als hätte das Ganze einen spirituellen Rahmen, was Scato gefiel. Er sollte sein zweites Mal in völlig anderer Umgebung ausprobieren, mit viel Ruhe, Zeit und Würde, ein Fruchtbarkeitsritual unter dem Schutz des Faunus. Tiberios hatte ihm die Augen geöffnet. Das war es, was ihm gefehlt hatte: Die Bedeutsamkeit des ersten Akts für ihn zu würdigen. Für Velia war Scato nur ein Kunde von vielen gewesen. Für ihn aber war es der Beginn eines neuen Lebensabschnitts als nunmehr auch geistig erwachsener Mann. Und anstatt das zu feiern hatte er es wie ein Gesöff in Minutenschnelle heruntergekippt. Velias Schuld war das so wenig wie die von Lurco, verantwortlich dafür war nur Scato allein mit all seiner Unentschlossenheit und seiner Weigerung, den Mund für die Wahrheit aufzumachen. Aber diesen Umstand konnte man korrigieren.


    "Kultiviertheit und Eleganz, das trifft es gut! In dem Gemälde ist nichts Dreckiges, Grobes oder Verrohtes. Es ist durchweg gut, wie das, was Faunus uns lehrt. Fruchtbarkeit mit Freude, ein Ritual des Lebens."


    Scato freute sich, dass Tiberios so treffende Worte fand. Ihm selbst war das nicht gelungen. Scato war jemand, der sehr viel reden konnte, ohne dabei etwas zu sagen. Diese Masche hatte durchaus System, denn bei aller Geselligkeit war er doch niemand, der die Leute gern in sein Herz blicken ließ. Gleich einer Maske trug er sein Grinsen und seine Großspurigkeit im Gesicht, die recht effektiv verbargen, dass darunter eine nachdenkliche und empfindsame Seele lag. Scato war nicht der Meinung, dass es irgendjemandem nützte, diese zu offenbaren, besonders seit seinem Dienstantritt, am wenigsten ihm selbst. Er fand, das Großmaul stand ihm besser zu Gesicht. Doch Tiberios hatte es geschafft, dass Scato nicht nur sein Handtuch, sondern auch diese sorgsam geschaffene Maske abgelegt hatte, ehe er zu ihm ins heiße Wasser gestiegen war. Als erster Mensch seit langem erlebte Tiberios den unverfälschten Scato, wie er gewesen war, bevor ihn das Seelendunkel verschlungen hatte.


    Wie war es Tiberios gelungen, den Urzustand wieder heraufzubeschwören? Scato drehte den Kopf zur Seite und betrachtete den Sklaven, dem das heiße Wasser die Röte auf die Wangen trieb. "Du bist ein wundersamer kleiner Mann, Tiberios. Du hast eine eigene Art von göttlicher Magie inne, mit der es dir gelingt, den Menschen in die Seele zu schauen, ohne dass sie sich dabei unwohl fühlen." Scato drehte sich herum und bettete am Beckenrand den Kopf auf die verschränkten Unterarme. "Du wärst der geborene Spion." Er grinste etwas, dann stemmte er sich auf die Hände, um sich leichtfüßig aus dem Wasser zu ziehen.


    "Es wird Zeit für mich, aufzubrechen. Falls dein Herr eines Tages deiner Überdrüssig werden sollte, wäre es mir eine Freude, mich deiner anzunehmen. Meinen Namen kennst du ja. Du findest mich in der Castra Praetoria, zwölfte Kohorte, dritte Centurie. Das ist meine Einheit."


    Er hielt Tiberios die Hand hin, um ihm aus dem Becken zu helfen.


    Sim-Off:

    Den Wortwitz hätte Scato urkomisch gefunden. :D

    Kurz darauf folgte Scato Tiberios in das heiße Wasser. Gab es eigentlich eine angenehmere Weise, miteinander zu plaudern, als beim Bade? Selbst gemeinsames Essen stand dem nach.


    "Hört sich schön an, wie du die Alexandrinerinnen beschreibst." Scato schaute verträumt, während langsam der Dampf um sie herumwaberte und auf ihrer Haut kondensierten. Bald waren ihre Gesichter voller herabperlender Tropfen. "So hätte es mir auch behagt. Aber so war es eben nicht. Trotz der horrenden Preise ging es sehr schnell da, sehr drängend. Natürlich ist Zeit Geld, aber viel Geld sollte doch auch viel Zeit bedeuten." Nachdenklich wiegte er den Kopf. "Ich weiß nicht, ob der Ausflug richtig war. Ich glaube, Lurco hat vorher schon geahnt, dass ich bluffe mit meinen Prahlereien und es meine Premiere werden würde. Er sagte mir sogar, dass ich nicht ins Magnum Momentum müsse, wenn ich nicht wolle. Der Einzige, der mir Druck gemacht hat, war ich selbst und nun hat es einen schalen Nachgeschmack. Es war schön - aber gleichzeitig war es das nicht. Es war, als hätte ich nur die Hauptspeise bekommen, aber die Vorspeise und die Nachspeise nicht. Etwas hat gefehlt, etwas Wichtiges. Zeit? Ruhe? Ich weiß es nicht. Velia hat Erfahrung und hatte sich wirklich Mühe gegeben. Trotzdem war es ... zu wenig. Ich muss andauernd daran denken und frage mich, ob ich irgendwie komisch im Kopf bin. Ich denke so viel darüber nach, dass ich sogar einen fast Fremden damit belästige, um zu irgendeinem Ergebnis zu kommen."


    Er leckte sich salzige Wasserperlen von den Lippen. "Das Wandgemälde hatte ich in einer Therme gesehen. Soll wohl so auch in anderen Orten zu sehen sein. Dargestellt waren eine Frau mit zwei Männern, wobei die Frau sich auf alle Viere beugt und das Hinterteil reckt und die beiden Männer hinter ihr knien und der hintere den vorderen hält."


    Wandgemälde aus Pompeji


    "Die Abbildung wirkt so einträchtig, als ob sie alle im Reinen mit sich sind, keine Akrobatik, keine Übertreibungen, von denen ich nicht weiß, ob so was überhaupt möglich ist oder da einfach nur der Betrachter angeheizt werden soll. Sie schwebte mir im Kopf herum, als ich an das Lupanar dachte. Aber allein macht sich so was halt schwer." Er grinste etwas.

    Scato war leider mit einer sehr visuellen Vorstellungskraft gesegnet. Bei der Vorstellung von Barbaren mit Zähnen groß und schief wie ihre berühmte Steinkreise, hätte er sich fast verschluckt und bekam Getreidebrei in die Nase.


    Während er in ein Tuch schnaubte und prustete, betrachtete Asper mit so ernstem Gesicht das Würfelspiel, als würde er einen Schlachtplan analysieren. "Ich kann nur Astragaloi, das spielt man mit Sprunggelenken. Wie würfelt man mit diesen? Ich bin gern bereit, ein neues Spiel zu lernen. Lasst uns heute Abend dann mit allen gemeinsam spielen. Der Verlierer muss den Topf organisieren, sobald die Kasse voll ist. Und du, Scato, huste mal bisschen leiser, das ist eine ernste Angelegenheit."


    Die Tür öffnete sich und die Latrinengänger kehrten plaudernd zurück, um sich am Herd zu schaffen zu machen. Viel Zeit blieb ihnen nicht mehr bis zum Beginn des heutigen Ausbildungstages, aber noch genügend, Lurco hatte sie alle zeitig genug munter gemacht.

    "Du hast die gleiche Gabe wie Lurco. Dinge, die in meinem Kopf zu einem überkochenden Topf voller Milch mutieren, erscheinen nach euren Erklärungen wie ein kaltes Glas reinstem Quellwasser. Plötzlich ist alles logisch und gar nicht so dramatisch. Ich weiß auch nicht, warum mich das so aufgewühlt hat, vielleicht aus Angst, dass er jetzt aus der Castra fliegt, wenn das rauskommt. Ohne Lurco wäre es da nur halb so schön oder ein Viertel. Oder vielleicht auch, weil ich es nicht erwartet hatte und dadurch meine Pläne durchkreuzt wurden. Ja, vielleicht war ich einfach angepisst."


    Dann stellte Tiberios die unheilvolle Frage nach Scatos Vorlieben und es herrschte Stille. Tiberios hatte das scheinbar Unmögliche geschafft - der sonst unaufhaltsam quasselnde Scato hielt den Mund. Schweigend starrte er auf die sanft wogende Wasseroberfläche, ließ seine Zehenspitzen auftauchen und tauchte sie wieder unter. Das Schweigen währte länger, als angemessen gewesen wäre und er machte keine Anstalten, ins wärmere Caldarium zu wechseln. Scato lag eine seiner üblichen Lügen auf der Zunge, doch sie lag da wie ein störendes Haar im Mund. Warum fragte er einen anderen nach seiner Meinung, wenn er ihn dann belog, so dass die Antwort nur verfälscht ausfallen konnte? Scato gab sich einen Ruck. Die Wahrheit zu sagen, war nicht einfach, doch sie würde nun zumindest teilweise offenbart werden.


    "Ich hätte mir überhaupt niemanden ausgesucht. Weil mir die Erfahrung fehlt, um einschätzen zu können, wer mir zusagt. Velia ist zweifelsohne eine wundervolle Frau. Ich habe sie wohl ziemlich auf die Folter gespannt mit meiner Zurückhaltung, aber sie hat es letztlich geschafft, zu tun, weshalb wir da waren. Aber wäre sie meine erste Wahl gewesen? Ich habe keine Ahnung! Es ging alles sehr schnell und die Frauen da gingen davon aus, dass ich zur Tür hineinspaziere und sofort sagen kann, was ich wünsche. Dem war aber nicht so. Ich hatte gelogen, was meine ganzen Geschichten angeht. Ich stand das erste Mal in der Tür eines Lupanars. Sie wollten Antworten, sie wollten Taten. Nichts davon konnte ich liefern.


    Mein Plan B, nachdem Plan A - mich besinnungslos zu trinken - von Lurco vereitelt worden war, lautete, ihm die Entscheidung zu überlassen und dann bei einem gemütlichen Dreier oder Vierer zuzuschauen, wie das läuft, vielleicht auch das Eine oder Andere auszuprobieren. Als er und du mir aber auch noch Plan B zunichte gemacht habt, hatte ich plötzlich keinen mehr. Nur sehr viel Schiss. Velia hat mir letztlich alle Entscheidungen abgenommen." Er verzog unsicher das Gesicht. "Ergibt das irgendeinen Sinn? Wen hättest du dir denn rausgesucht - und was dann mit diesem Menschen getan? Ich hatte da mal eine Wandmalerei gesehen, die fand ich immer interessant, aber ich habe halt überhaupt keine Ahnung, wie realistisch die sind."


    Er blickte nach hinten, wo gerade jemand stehen blieb und schaute. Der Nervsack würde nicht verschwinden, so wollte Scato nicht weiterreden. "Du hast recht, es wird langsam kühl", verkündete er.


    Er zog sich aus dem Becken und war mit einer fließenden Bewegung auf den Füßen. Sein Handtuch lag ordentlich zusammengefaltet auf einer Liege, er wickelte es wie einen Rock um sich, während er den Griechen beobachtete. Bei Tiberios störte ihn die Vorstellung, dass er Männer mochte, nicht. Vielleicht, weil er so aussah, wie Scato sich einen Lustknaben vorstellte. Scato rubbelte sich selber den Kopf, so dass seine nassen Haare wie Stacheln abstanden. Dabei grinste er. "Du darfst uns den Weg erfragen."

    Scato registrierte einen unsicheren Blick von der Seite. Was sein Gesprächspartner fürchtete, wusste Scato nicht, aber vielleicht wirkte der Schrecken vom Frühlingsfest noch nach. Für einen Zivilisten konnten diese Dinge beängstigend wirken, die doch nur dem Schutz von Roma und damit auch ihm dienten. Roma konnte man nicht mit Worten allein verteidigen, denn nicht jeder war verbalen Argumenten zugänglich. Wäre es anders, bestünde die Legio nicht aus Soldaten, sondern aus Kohorten von Philosophen, die man dem Feind entgegenschickte. Zum Schutz vor Wölfen setzte man keine Schafe ein, sondern Wolfshunde. Scato war nicht Urbaner geworden, weil er Freude an Gängeleien hatte, sondern um mit dem Schwert zu schützen, was er liebte - neben einigen weiteren Vorteilen, die sich mit dem Leben in der Castra ergaben. Falls Tiberios eines Tages selbst den Schutz der Urbanici benötigen sollte, würde er womöglich dankbar sein, dass Scato kein Philosoph geworden war. Bei diesen Gedanken sah Tiberios in der Miene des Urbaners keine Härte, sondern konnte im Gegenteil verzeichnen, dass Scato sich zusehends entspannte.


    "Womit haben wir es denn diesmal geschafft, dich zu überraschen?", fragte Scato schließlich. "Meinst du die Architektur der Thermae? Wobei sich Alexandria da nicht verstecken braucht, sagt man. Es soll eine der schönsten Provinzen sein. Ich war allerdings noch nie dort. Vermisst du deine alte Heimat manchmal?"


    Als Tiberios erzählte, wie er im Blinden Esel versackt war, musste Scato lachen. "Das ist witzig. Während du dir mit dem Wirt die Hucke vollgesoffen hast, habe ich mich gefragt, ob du in der Subura zusammengeschlagen und ausgeplündert wurdest oder Schlimmeres! Schwamm drüber, ich bin nicht böse, sondern froh, dass die Erklärung so banal ist." Amüsiert stellte er sich einen trunkenen Tiberios vor. Das passte von der Sache her nicht zu dem Sklaven, aber Wirte waren bekanntermaßen geschickt darin, ihre Gäste noch zum Bleiben zu überreden und den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Ein liebenswerter junger Bursche wie Tiberios hatte gegen so einen gewieften alten Fuchs keine Chance.


    Scato legte die Beine über Kreuz. "Ob die Zeit im Magnum Momentum gut war, bin ich noch am überlegen. Sie war merkwürdig. Kannst du dir vorstellen, dass Lurco sich einen dicken haarigen alten Mann bestellt hat? Ganz nüchtern war ich da nicht mehr und habe das Eine oder Andere vergessen. Aber das nicht, wie er mit dem Kerl die Treppe hochstapfte! Angeblich ein Grieche, sah aber aus wie ein Germane. Ich bin aus allen Wolken gefallen. Damit hatte Lurco mich auf dem linken Fuß erwischt. Irgendwie hatte ich auf einen Dreier mit einer von den Damen da gehofft. Oder auf einen Vierer, falls du noch nachgekommen wärst. Stattdessen ließ er mich da wie den letzten Idioten unten im Empfang zurück und verzog sich mit seinem Barbarenverschnitt. Was sagst du dazu?"


    Scato rang einen Moment mit sich, dann erinnerte er sich an Tiberios' Worte vor dem Blinden Esel und fügte noch hinzu:


    "Du würdest mir mit einer ehrlichen Einschätzung helfen. Ich kann so was sonst niemanden fragen. Ich kenne hier in Roma keinen außer meine Kameraden und mit denen kann ich über so was nicht sprechen. Und du bist ein kluger und einfühlsamer Mensch."


    Er stellte sich vor, wie Pullus vor dem Gespräch auf die Latrine flüchtete und wie Tarpa einwandte, dass er gerade überhaupt keine Zeit für solchen Mist hätte, während Ramnus vor Lachen aus dem Bett flog und Quietus es fortan in der gesamten Castra breittratschte. Die Latrinen hätten vermutlich auch sehr bald eine neue Inschrift, die Lurco dazu ermahnten, die Kackschwämme doch bitte nur äußerlich anzuwenden.

    "Ist meine Premiere." Da Tiberios einem Gespräch nicht abgeneigt schien, warf Scato sein Handtuch als Knäuel auf den Boden, von wo ein Sklave es auflas, um es zusammengelegt auf eine der steinernen Bänke zu legen. Scato beachtete das nicht weiter, nichts anderes war er gewohnt, als dass fleißige Hände seiner Unordnung hinterherräumten. Er ließ sich zu Tiberios ins Becken rutschen und vertrieb nebenbei mit einem durchdringenden Blick einen Herrn, der seiner Meinung nach den jungen Griechen etwas zu genau in Augenschein nahm. So nass wirkte Tiberios noch jünger und hübscher, auf den würde er ein wenig aufpassen müssen. Der Mann verschwand, so dass Scato seine Aufmerksamkeit ganz Tiberios widmen konnte. Dass dieser sich seinen vollen Namen gemerkt hatte, verblüffte Scato dann doch. Der Scriba musste ein bemerkenswertes Gedächtnis besitzen, aber was hatte er auch erwartet?


    "Sonst bade ich in den Thermen der Castra. Aber da ich neu in der Stadt bin, dachte ich, darf ein Besuch der Sehenswürdigkeiten nicht ausbleiben. Ja, schön ist es hier. Die Wände, der Boden, das Gebäude! Der Apoxymenos ist witzig, ob du seine Geschichte kennst, brauche ich wohl nicht zu fragen. Nur ist es hier in den Thermae Agrippae auch ziemlich groß und voll. In Mantua war alles kleiner und beschaulicher. An diese beeindruckenden Dimensionen muss ich mich erst noch gewöhnen." Scato legte beide Arme nach hinten auf den Beckenrand und machte es sich so gemütlich. Er war erleichtert, dass Tiberios nicht zu schmollen schien. Doch eine Sorge blieb, die auf dem Frühlingsfest nicht hatte geklärt werden können. "Im Magnum Momentum hatten wir auf dich gewartet. Was war los?"


    In Scatos Stimme schwang keine Anklage mit, eher eine leichte Sorge. Letztlich wäre jede Variante besser, als das der Bursche in der Subura von Abschaum verprügelt worden war, selbst die mögliche Aussage, dass er nur gelogen hätte, um Scato und Lurco loszuwerden.

    Nicht nur Scato glotzte ungläubig, sie alle glaubten, sich verhört zu haben. War das gerade ein Lob aus dem Munde des Centurios gewesen? Und Scato hatte immer geglaubt, dass Maro in jeder Gefühlslage vor sich hin wettern würde. Die ersten Gerüchte machten in ihrer Baracke die Runde, wie der Centurio Marcus Octavius Maro in der Castra gelandet sein mochte. Eines davon besagte, er sei einst ein verheirateter Mann gewesen. Als er am Morgen nach der Hochzeitsnacht als erster aufgewacht sei und seiner noch friedlich schlafenden Frau verliebt ins Gesicht gebrüllt hätte, wäre sie vor Schreck gestorben. So sei er zum Militär gegangen.


    Aber offenbar konnte er auch anders, so dass diese Anekdote ins Reich der Legenden zu verweisen war.


    Umso mehr wurmte es Scato, dass Lurco ein Lob eingeheimst hatte und er nicht. Na warte. Man konnte Scato ja viele unschöne Eigenschaften nachsagen, aber an Ehrgeiz mangelte es ihm nicht. Er folge seinen Kameraden zu den Ständern. Einige versuchten, fünf Pila gleichzeitig zu ihrem Platz zu schleppen, aber Scato fand, dass die Ständer nah genug standen, um nach jedem Wurf einen neuen Wurfspieß zu holen. Die übrigen vier würden sonst nur rumliegen und beim Werfen zur Stolperfalle werden. Ob seine Interpretation richtig war oder ob es schlichtweg keine Rolle spielte, wusste er natürlich nicht. Notfalls würde Maro sich schon melden. Scato schaute sich die Wurftechnik bei Stilo ab, der aussah, als würde er nicht zum ersten Mal ein Pilum werfen. Schien gar nicht so schwierig zu sein. Scato holte Schwung und warf. Aufgrund seiner noch immer schmerzenden Arme nicht sehr gut, aber auch nicht völlig unmöglich. Nach und nach flogen vier seiner Pila in Richtung der Zielscheibe. Das Letzte traf. Im äußersten Ring bohrte sich die Spitze durch das Stroh, bis zum hölzernen Griff. Freudig fuhr Scato zu Lurco herum, um zu sehen, wie der sich anstellte.