Lurco hörte schweigend und aufmerksam seinem Praefectus Urbi zu. Die Aufgabe die Servius Annaeus Vindex und er übertragen bekommen hatten, war von immenser Verantwortung und Wichtigkeit. Aber eines stach aus der Aufgabe besonders hervor, dass Lurco regelrecht rühte und zwar dass ihr Praefectus Urbi an die Gefallenen der Subura Station dachte und ihnen eine Gedenktafel widmen wollte. Bis dato hatte sich keiner für die gefallenen Kameraden interessiert, so dass Lurco sich insgeheim gefragt hatte, was hier das wirkliche Verbrechen gewesen war. Die Brandstiftung und Manipulation des Bauwerks und die Morde welche die Krähen als kriminelle Bande an den Kameraden, Bauarbeitern und rechtschaffenen Bürgern verübt hatten oder das Desinteresse gegenüber der Toten? Für Lurco war es ein Schlag ins Gesicht, dass niemand die Toten beklagt hatte. Etwas Respekt und Anstand sollte sich jeder bewahren, aber wo war beides für die Opfer der Krähen? Wo waren die Trauer und die rechtschaffene Wut für die Kollegen die tagtäglich im Dienst ihr Leben aufs Spiel setzten und an diesem schicksalshaften Tag derart hart und unerbittlich verloren hatten?
Rettungsversuche hatte es gegeben, ihr Centurio war sogar selbst in den Flammenabgrund marschiert, um einige Kameraden zu retten. Scato hatte sich der Verwundeten angenommen, die aus der zerstörten Station gerettet werden konnten. Aber was war danach geschehen? Nichts. Eine seltsame Stimmung hatte sich über die Castra gelegt. Niemand erwähnte die Gefallenen, niemand erging sich in Wut- und Schimpftriaden, es gab keine Befehle die Subura zu reinigen und jeden Stein umzudrehen. Jeden Mann und jede Maus die bewaffnet war, auf den Zahn zu fühlen. Und noch wesentlich schlimmer war, es gab keine Anstrengungen gleich von welcher Seite um die Schuldigen aufzuspüren, zu stellen und zu richten.
Es gab schlicht und ergreifend - NICHTS.
War das die Cohortes Urbanae die Rom und dessen Bürger beschützen sollten? Sie waren nicht einmal in der Lage sich selbst zu schützen, geschweige denn Gerechtigkeit und Vergeltung zu üben. Das Grausame daran war, dass sich dies nicht einmal ein übermächtiger Feind auf die Fahne schreiben konnte! Nein, sie selbst waren schuld. Ihre frevelhafte Lethargie war schuld. Keiner interessierte sich für den anderen, frei nach dem Motto nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Keiner bewegte sich ein Stück zu viel. Keiner verrichtete Arbeit die anfiel und die er sah, jeder verrichtete nur Dienst Vorschrift und Weisung. Vermutlich hätten einige sogar das Atmen eingestellt, wäre dies vorher nicht befohlen worden.
Lurco hatte den Dienst bei den Cohortes Urbanae nicht gewählt, um die nächsten 20 Jahre sicher hinter der Castramauer die Hände in den Schoss zu legen und die Zeit gemütlich abzusitzen. Seine Familie war dafür bekannt, dass sie mit ihrer Meinung selten hinter dem Berg hielten. Aber sie beschwerten sich nicht einfach nur, sie boten wenn sie konnten auch eine Lösung für das aufgezeigte Problem.
Hier hatte Lurco geschwiegen, denn es hatte niemanden gegeben, der ihm hätte zuhören wollen. Er der seinen Dienst schlicht nach den einfachsten Regeln und den eigenen Prinzipien verrichten wollte, wäre damit nur angeeckt. Vermutlich hätte er den Schnitt gestört und jemanden zu einer Handlung gezwungen, zu der er nicht bereit war. Nach Lurcos Dafürhalten hatten die meisten der damaligen hohen Herren bei den Cohortes Urbanae nichts zu suchen.
Einige trugen nur das Schwert, um sich damit größer, mächtiger und attraktiver zu fühlen. Der Flirtfaktor wenn sie mit Nagelsandalen und bewaffnet durch die Straßen zogen, schien immens zu sein. Selbst schon vor dem Castrator benahmen sich einige wie läufige Hunde und hechelten jeder dahergelaufenen Hündin hinterher. Unwürdigeres Verhalten hatte er selten im Dienst erlebt. Was jedoch wäre geschehen, hätte er dieses Verhalten zur Sprache gebracht oder gar gemeldet? Wie üblich hätte man ihm gesagt, er sollte den Dienst etwas lockerer sehen. Er sollte mal Fünfe gerade sein lassen. Ja die Sprüche kannte er.
Und alle toten Kameraden kannten sie auch. Denn auf dem Bau hatte auch jemand seinen Dienst etwas lockerer gesehen, hatte Fünfe gerade sein lassen und das Ergebnis hatten alle lichterloh brennen sehen.
Dabei war es doch so einfach. Wo das Versagen des Einzelnen den Tod aller bedeuten konnte, da durfte es keine Gnade geben!
Und Gnade hatte er nicht gekannt. Wenn die ganze Cohortes Urbanae auf die Kollegen und anderen Opfer durch Missachtung spuckte, wenn es nur ihn interessierte, dann war es an ihm als einziger Urbaner zum Schwert zu greifen und seiner Aufgabe nachzukommen.
War die Aufgabe gewaltig? Und ob.
Würde er der Aufgabe gewachsen sein? Er hatte es nicht gewusst.
Würde er die Aufgabe in Angriff nehmen? Selbstverständlich.
Stand er allein? Ja...
Zumindest hatte er das geglaubt, aber er hatte sich geirrt.
Mit Kyrakos und Pullus an seiner Seite war er in eine Schlacht gezogen, die ihres gleichen suchte. Sie hatten ermittelt, sie hatten verfolgt, sie hatten befragt und sie hatten keine Gnade mit ihren Feinden gekannt. Sie hatten Blut mit Blut vergolten, so wie es Mars verlangte. Es ging nicht um sie, weder Kyrakos, noch Pullus oder gar er selbst hatten sich diesen Sieg auf die Fahne geschrieben. Sie waren keine arroganten Schnösel, die nur des Ruhmes wegen in die Schlacht gezogen waren. Sie waren schlichtweg Männer, die nicht vergessen hatten, dass sie Männer waren!
Und so war es Mars höchstpersönlich gewesen, der herabgestiegen war um die Krähen zu richten. Alles was sie getan hatten, waren Leichen zu finden.
Nicht mehr, nicht weniger....
Hier nun saß er einem Mann gegenüber, der sich für die gefallenen Kameraden interessierte. Mehr noch der ihrer offen und für alle sichtbar gedenken wollte und sich nicht von Verbrechern in die Knie zwingen ließ. Allein schon um keine Kapitualtion vor den bestehenden Verhältnissen in der Subura einzugehen, war es ihre Pflicht die Station neu aufzubauen. Würden sie davon absehen, hätte man die Cohortes Urbanae wie geprügelte Hunde aus der Subura vertrieben. Damit hätte man Rom selbst, aus einem Teil von Rom vertrieben und es wäre ein rechtsfreier Raum geschaffen worden. Herius Claudius Menecrates erntete den höchsten Respekt von Lurco.
"Danke Praefectus Urbi im Namen aller gefallenen Kameraden und Toten der zerstörten Station. Ich denke ich spreche hier im Namen aller Urbaner", sagte Lurco mit höchstem Respekt.
Dass dem nicht so war, wusste Lurco. Aber er hoffte, dass es eines Tages so sein würde, dass die Urbaner von einem Geist beseelt wären und sich alle ihrer Aufgabe gemeinsam verschrieben hatten. Der Praefectus Urbi war ein guter Mann, mit ehrenwerten Ansichten. Ihn mit der traurigen Realität zu konfrontieren, würde den Mann vielleicht nur von seinem geradlinigen, rechtschaffenen und ehrbahren Weg Abstand nehmen lassen aus purer Verzweiflung. Lurco war der festen Überzeugung, was nicht war konnte immer noch werden. Und möglicherweise waren eines Tages seine Worte wahr, dass sich sogar die Urbaner umeinander scherten.
"Bezogen auf Dein Projekt möchte ich anmerken, dass ich Deine Ideen vollumfänglich unterstütze. Selbstverständlich musst Du nichts auf meine Meinung geben, ich bin Dein Untergebener und ich komme jedem Deiner Befehle nach. Ich denke jedoch, dass es manchmal schlichtweg gut tut, eine positive Rückmeldung zu erhalten. Zu Deinem Projekt möchte ich gerne noch einige Anmerkungen machen.
Zuerst möchte ich anmerken, dass ich es absolut für richtig erachte die erste Station wieder aufzubauen. Die Subura ist kein rechtsfreier Raum und dies müssen wir auch nach außen demonstrieren. Würden wir den Bau der Station aufgeben, hätten wir vor den kriminellen Vereinigungen in der Subura kapituliert. Mehr noch, die Toten wären letztendlich umsonst gestorben.
Für den Wiederaufbau der Station Praefectus sollten extrem strenge Vorgaben gemacht werden. Angefangen bei der Bewachung der Baustelle, über die Einstellung der Bauarbeiter, wie auch den Schutz der Arbeiter und Kollegen. Mein Vorschlag hier wäre, dass nur Personen auf dem Bau zugelassen werden, die persönlich überprüft wurden. Ein Beispiel ein bestimmter Bauherr wird mit den Bauarbeiten beauftragt. Dieser haftet mit allen Konsequenzen für die Fehler und Unzulänglichkeiten seiner Mitarbeiter und Sklaven. Jeder einzelne Mitarbeiter und Sklave dieses Bauunternehmers muss überprüft werden auf seinen einwandfreien Hintergrund. Gibt es nur den Hauch eines Zweifels, darf dieser Mitarbeiter oder Sklave nicht auf dem Bau eingesetzt werden. Es muss jederzeit einwandfrei sofort nachzuweisen sein, wer sich zur Zeit auf der Baustelle befindet. Wer diese Person ist, wem sie zuzurechnen ist, wer die Verantwortung für ihre Handlungen trägt. Gleiches gilt für die Zulieferer von Baumaterial. Die Cohortes Urbanae unterstehen dem Kriegsrecht und haben sich nur gegenüber ihren Vorgesetzen zu rechtfertigen. Wir sind Urbaner, wir sollten wie Urbaner handeln. Es sollte beim Bau der Station klar ersichtlich sein wofür Rom und mehr noch wofür die Cohortes Urbanae stehen. Wir müssen demonstrieren, dass wir in der Lage sind die Baustelle, uns und Rom mit allen erdenklichen Mitteln zu verteidigen.
Die zweite Station die gemeinsam mit Vigiles bezogen werden soll, hat mich auf einige zusätzliche Ideen gebracht.
Beide Stationen müssen unter bestmöglichen Brand- und Unfallschutzmaßnahmen errichtet werden. Wir sollten hier Experten der Vigiles zu Rate ziehen. Möglicherweise wäre zum Beispiel ein Anstrich der Station mit brandhemmender Farbe möglich oder dergleichen. Ferner sollte um die Stationen eins und zwei in der Subura Bannbereiche gezogen werden. In diesen Bereichen ist das Aufstellen von Bretterbuden, das Niederlassen von Straßenhändlern und so weiter verboten. Grund hierfür ist solche Buden und Bretter im Ernstfall wie Zunder brennen. Wir hätten durch den Bannbereich somit eine direkte und effektive Brandschneise um unsere Stationen errichtet. Solche Ideen sind es, die wir von den Vigiles benötigen.
Zu der zweiten Station möchte ich anmerken, dass die Idee die Urbaner mit den Vigiles in eine Station unterzubringen ein wunderbarer Gedanke ist. Mit den Vigiles und Urbanern gehen zwei Experteneinheiten eine Symbiose ein. Bedenke nur, wie wir uns gegenseitig auch im alltäglichen Dienst unterstützen und austauschen könnten. Zuerst einmal liegt der Vorteil auf der Hand, dass wir die Brandschützer und Bekämpfer direkt in unserer Station vor Ort hätten. Der Vorteil liegt nicht nur auf unserer Seite, sondern auch auf der der Vigiles.
Die Vigiles sind mehr als reine Brandbekämpfer, auch wenn wir sie vorrangig mit dieser Aufgabe in Verbindung bringen. Denn was ist verherrender als ein unkontrollierter Brand? Die Viliges sind die Nachtwächter Roms. Ihre Aufgabe ist es nach Einbruch der Dunkelheit auf den Straßen für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Auch diese Aufgabe ist immens wichtig. Soweit mir bekannt ist, ist jede Kohorte der Vigiles für zwei von vierzehn Stadtbezirken zuständig. Jede Kohorte wird ihre Ecken kennen, die besonderen Schutz und Aufmerksamkeit bedürfen. Folgich würden wir auch hier direkt von den Erfahrungen der Vigileskollegen profitieren.
Die Vigiles dürfen sich zu sämtlichen Orten Zugang verschaffen, wo sie einen Brandherd oder eine Brandgefahr vermuten. Ferner dürfen sie an nachlässige Mitbürger entsprechend Geldstrafen verhängen. Aber auch handfestere Maßnahmen sind von ihnen bekannt.
Die Brandbekämpfung hat üblicherweise eine klare Vorgehensweise.
Erstens - Evakuierung der Bewohner und des bedrohten Gebäudes.
Zweitens - Organisation einer Eimerkette. Jeder Haushalt muss eine bestimmte Menge Wasser zur Verfügung stellen, gegebenenfalls Eimerkette zum nächsten Brunnen.
Drittens - Essiggetränkte Decken, Einsatz zur Löschung kleinerer Brandstellen.
Viertens - Falls notwendig Löschwageneinsatz.
Fünftens - Fruchtet Punkt eins bis vier nicht, Einsatz von Ballisten, Onager und anderen Geschützen.
Die Entscheidung des fünften Punktes liegt in der Hand des Präfekts, der das Oberkommando über die Vigiles hat. Dieser bestimmt welche Häuser abgerissen werden, um eine Feuerschneise zu schaffen. Er entscheidet, wo der Korridor zur Eindämmung des Feuers gelegt werden soll. Ist die Entscheidung gefallen, werden die Großwaffen eingesetzt um den Befehl umzusetzen.
Die ist allerdings noch nicht das Ende des Einsatzes der Vigiles, sondern nun müssen einige von ihnen in das zerstörte Gebäude einsteigen und mit Haken bewährten Stangen alles Brennbare aus den Trümmern fischen. Die Zeit ist hierbei ihr ärgster Gegner. Die Arbeit ist im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich und erklärt auch, weshalb die Vigiles mit leichtsinnigen Menschen was Brände angeht derart hart umgehen.
Bei all ihrer Spezialisierung und Gefahr der sie ausgesetzt sind, sind die Vigiles jedoch eines nicht, nämlich bewaffnet. Die Vigiles sind lediglich mit Schlagstöcken ausgerüstet und nicht mit scharfen Klingen wie wir Praefectus. Sollten die Vigiles in Ausübung ihres Amtes zum Beispiel Hilfe benötigen, wäre wir mit der zweiten Station sofort zur Amtshilfe mit Schwert zur Stelle. Ein weiterer Vorteil für beide Seiten. Aber nicht nur dass, die Vigiles haben genauso Spezialisten in ihren Reihen wie wir, wie zum Beispiel Ärzte oder die sogenannten Matratzenmänner.
Wäre es Dir Recht, wenn ich mich Deines Befehls des Stillschweigens entsprechend unauffällig bei einem Vigiles bezüglich der Brandsicherheit erkundige?
Ferner hatten wir letztens erst bei uns erörtert, dass wir einen schnellen Kommunikationsweg zur Weitergabe von Warnungen benötigen. Hier hatte ich ebenfalls einen Vorschlag unterbreitet und zwar Brieftauben. Jede Station sollte mit Brieftauben ausgestattet sein, um sich bei Gefahr sofort warnen zu können. Die Tiere sind absolut zuverlässig und sie sind schneller als jeder Läufer. Zwecks Einsatzabsicherung würde ich zu jeder Dienstzeit ein bestimmtes Kontingent an Brieftauben einsatzbereit halten. Auch würde ich stets mehrere Tiere mit der gleichen Botschaft im Notfall losschicken, denn auch ihnen könnte aufgelauert werden. Mag es noch so unwahrscheinlich sein, wir müssen alle Eventualitäten bedenken. Die Brieftaube wäre hier in meinen Augen eine gute Anschaffung. Wo sichtbare und hörbare Warnsignale möglicherweise versagen, wird die Brieftaube der Aufgabe gerecht.
Zum Schluss der Name der Station, muss dieser rein dienstlich klingen oder wäre auch so etwas möglich wie Feuer und Stahl? Das sind so meine ersten Ideen.
Danke für das in uns gesetzte Vertrauen Praefectus", antwortete Lurco und hoffte er hatte den Mann nicht mit seinem Redeschwall erschlagen.