Lupercalia DCCCLXX A.U.C. - Cacustreppe
Die Grotte und die Opfergaben lagen hinter ihnen, genauso wie das schummrige Licht und die tanzenden Schatten. Lucro rannte nur mit dem Lendenschurz bekleidet wie es Brauch mit den anderen Luperci lachend hinaus, beschwingt als könnte er die Welt umarmen. Dabei hielt er die Fellpeitsche in der Hand und ließ sie locker schwingen.
Der Jubel der Menge war frenetisch, begeisterte Jubelrufe schlugen ihnen aus der Masse entgegen, die eng die Straße säumte. Die Cacustreppe! Für einen Moment stand Lurco oben und blickte auf das Volk herab, sein Volk, dass seinen Segen erwartete. Nun vielleicht nicht so, wie es jetzt in seinen Gedanken klang, aber das Fest stachelte seine aufgepeitschten Sinne an, ganz im Sinne der Feierlichkeit und schon rannte er die Treppe hinab.
Die ersten Segnungsschläge wurden verteilt, der Jubel wurde lauter, das Gedränge wurde enger. Die Straßen waren dicht gesäumt von Schaulustigen und Menschen die sich den Segen erhofften. Männer und Frauen jeden Alters, wo sich Lurco bei einigen fragte, weshalb sie noch auf Fruchtbarkeitssegen hofften. Möglicherweise für andere, oder einfach weil sie sich nicht eingestehen wollten, dass die Zeit erbarmungslos voranschritt.
Aber heute war kein Tag für trübe Gedanken, kein Segen war verschenkt, der göttliche Wille würde sich vielleicht auf andere Weise manifestieren, als in einem Kind. Denn das Fest war mehr, es war auch ein Ritus der Reinigung.
Lurco versuchte so gut es ging im Gedränge nach jungen Frauen und Männern Ausschau zu halten, die im passenden Alter für die Segnung waren, oder die Zeit der Furchtbarkeit bald hinter sich gelassen hatten.
Es war nicht nötig, dennoch lief er so nah wie möglich an einer Zuschauerreihe entlang, damit die Leute etwas zu gucken hatten und er noch besser Ausschau halten konnte. Hände streiften seine Oberarme oder klopften ihm auf den Rücken. Er hörte glückliche Ausrufe, Bitten, Schmeicheleien, Angebote - wovon einige sogar unter seinen knappen Lendenschurz gingen. Die losen Enden ihrer Lendenschurze knallten nach allen Seiten und Lurco tat es seinen Kultbrüdern gleich.
Eine Frau lief ein Stück neben ihm her und wedelte wie wild mit den Armen. Ein Stück schaffte sie es, aber sie konnte mit ihm durch die Menge nicht Schritt halten. Die Leute standen zu dicht. Viele wollten einen direkten Blick auf das festliche Spektakel haben, andere wiederum erhoffen sich den Segen.
Asinia Indaletia hatte es geschafft! Schon Tage vor dem Fest, hatte sie dem Freuden- und Fruchtbarkeitsfest entgegengefiebert. Aufgeregt wie selten im Jahr, hatte sie sich für die Feier herausgeputzt. Sie war nicht reich, aber sie achtete auf sich und zum Lupercalia wollte sie unbedingt gut aussehen.
Rom war ihre Heimat, eine Ort der scheinbar niemals ruhte, stetiger Trubel und Leute hasteten von einem Ort zum anderen. Ein Ort der so vieles miteinander verband, dass man ihn gar nicht in Worte fassen konnte. Fragte man drei Bewohner nach Rom und die Gefühle die er mit der Stadt verband, konnten die Antworten so unterschiedlich ausfallen, als handelte es sich um völlig verschiedene Orte.
Heute war es endlich soweit! Als sie vor die Tür trat, waren schon derart viele Menschen unterwegs, dass sie sich fragte, woher all diese Leute gekommen waren. Sie beeilte sich um so nah wie möglich einen Platz in der Nähe der Cacustreppe zu ergattern.
Alles war in Festlaune, es wurde geschubst und gedrängelt, das es nicht mehr heilig war. Nachdem Asinia sich gefasst hatte, mischte sie mit. Immerhin ging es hier um ihr Familienglück! Da durfte sie sich nicht von ein paar groben Kerlen und Weibsbildern abhalten lassen. Sie kämpften in Feierstimmung um die besten Plätze.
Dieses Jahr würde sie den Segen und ein Kind empfangen. Ein Kind, dass stark wie ein Wolf war und jeder Krankheit die Zähne zeigte. Diesmal würde alles gut werden, dass spürte sie.
Das Gedränge wurde enger, die Menschen standen immer dichter. Ein Freudenfest für die Feiernden und vermutlich für die Taschendiebe.
Dann endlich kamen sie! Asinia konnte die Luperci noch nicht sehen, aber sie hörte ihr Lachen und der Jubel der Menge brach los. Sie jubelte mit und stellte sich auf die Zehenspitzen, um die jungen, athletischen Männer in ihren Lendenschurzen so früh wie möglich zu erspähen.
Die ersten waren schon vorbei, so schnell waren sie. Asinia hörte die ersten Segnungen klatschen und betete zu Faunus, dass doch auch einer seiner Gesandten ihr nahe genug kommen möge. Da bogen zwei weitere um die Ecke. Sie liefen fast auf gleicher Höhe, so als ob sie bewusst zusammenliefen. Der eine von schmalerer Statur, der andere breiter, muskulöser. Der schmächtigere bekam gerade etwas Blut ins Gesicht, während sein Begleiter nah an der Zuschauerreihe vorbeilief und zwar auf ihrer Seite!
Faunus hatte sie erhört, das war ihre Gelegenheit!
Sie rief, aber der Tumult um sie herum war zu laut. Andere schrien, jubelten, tätschelten den jungen Mann und manche warfen im Angebote zu. Asinia bat und flehte, aber das Gedränge wurde dichter und keiner schien ihre Bitten ernst zu nehmen. Andere Methoden mussten her und zwar schnell. Sie setzte die Ellenbogen ein um sich noch weiter nach vorne durchzukämpfen. Wenn sie einen Wolf als Sohn wollte, dann durfte sie sich nicht wie ein Lamm von der Masse umher schubsen lassen.
Ihr Einsatz zeigte Erfolg und sie schaffte es ein Stück gleichauf mit dem jungen Mann zu laufen, der so nah an der Zuschauerreihe entlang lief.
"Luperci, bitte segnet mich!", rief sie mit freundlichem Lächeln.
Lurco drehte sich zu der Frau um, die gleichauf mit ihm ein Stück gelaufen war. Das Lächeln verschwand und machte Verzweiflung Platz, als die Menge ihren Lauf ausbremste. Ihre Blicke trafen sich. In den einen Augen ein stummes Flehen, in den anderen Verständnis.
Lurco griff in die johlende Menge und zerrte die Frau durch die Masse zu sich nach vorne. Sie klammerte sich an seinem Arm fest, vermutlich damit sie nicht von anderen zurückgehalten wurde. Lurco streifte ihren Griff ab und verpasste ihr einen Hieb mit dem blutigen Riemen.
"Mit den besten Wünschen", raunte er ihr zu, schob sich an ihr vorbei und rannte weiter.
Asinia blieb einen Moment gerührt stehen, viele Umstehende jubelten lautstark als sie gesegnet wurde. Sie schaute dem Läufer nach der sie so bewusst gesegnet hatte, ehe die Masse der Feiernden sie wieder verschluckte.
Lurco schloss wieder zu seinem Kumpel auf, während er den Riemen auf die jungen Frauen und Männer knallen ließ, die sich nach ihnen streckten, oder ihnen sogar in den Weg sprangen.