Beiträge von Terpander

    Als Terpander die Domus Iunia verließ, um ohne seinen Herrn nach Rom zurückzukehren, kam er auch durch das Stadttor von Mogontiacum. Dort traf er niemand anderen als Seius Atticus. Mit ihm hätte er hier am wenigsten gerechnet.


    "Salve, junger Herr", grüßte er. "Ich bin erstaunt, dich hier zu sehen. Leider fehlt mir die Zeit, mich gebührend deiner Person zu widmen, da mein Herr es eilig hat, mich loszuwerden. Wenn du deine Verwandtschaft suchen solltest, gebe ich dir meinen Rat: Dein Bruder Seius Ravilla dient in der Legio, dein Neffe Seius Iunianus Fango in der Ala und dein anderer Neffe Iunius Scato ist mit den Prätorianern im Castellum Mattiacum stationiert. Solltest du einen der domini nicht dienstlich, sondern privat sprechen wollen, geh zur Domus Iunia, wo du mit Sicherheit herzlich willkommen bist. Leider muss ich nun schon weiter, da ich vor Sonnenuntergang die nächste Schlafmöglichkeit erreichen muss. Vale und alles Gute, dominus."


    Damit querte Terpander auf seinem Esel das Stadttor in entgegengesetzte Richtung und folgte der langen Straße nach Süden.

    Innerlich war er noch nicht einmal angekommen im neuen zu Hause, da traf ihn fast der Schlag. Scato formulierte es, als sei es eine Ehre, fortgeschickt zu werden, doch Terpander wusste, wie es gemeint war.


    "Um mir etwas vorzumachen, musst du schon früher aufstehen. Dominus", knurrte er beleidigt. "Sicher hast du dir deine Entscheidung reiflich überlegt." Von wegen, das war einer seiner unreifen Schnellschüsse, Aktionismus, weil er meinte, jetzt sofort irgendetwas optimieren zu müssen, damit die Welt nicht unterging. "Ich werde deinem Wunsch entsprechend natürlich sofort alles stehen und liegen lassen, um mich noch heute auf den Weg zurück nach Rom zu machen. Es macht mir nichts aus, nach der beschwerlichen Reise in meinem Alter bisher weder Rast noch Ruhe erfahren zu haben oder kein noch so kleines Dankeschön gehört zu haben, sei unbesorgt."


    Er hätte viel Geld darauf verwettet, dass diese überstürzte Aktion mit Lurcos fiebriger Erkrankung zusammenhing. Für den Freund seines Herrn sah es nicht gut aus und Scato hatte Angst. Weil die Gens Iunia erstaunlicher Weise noch nicht ausgestorben war, würde sie es mit Sicherheit wegen diesem labilen Oberhaupt.


    Terpander wusste, dass ihn in einigen Monaten ein tränendurchweichter Brief aus Mogontiacum erreichen würde, damit er bitte heimkehren und die Scherben von Scatos zimperlichem Seelchen wieder zusammensetzen möge. Leider war sein Herr nicht nur launisch, sondern auch ein Weichei. Und was tat er? Schickte seinen einzigen Halt fort. Terpander konnte über so etwas nur den Kopf schütteln, und genau das tat er auch. Er gab sich keine Mühe, zu verbergen, dass er zu Tode beleidigt war. Sollte Scato in seinem schlechten Gewissen schmoren.


    Mit einer Verneigung und einem sehr finsteren Blick nahm Terpander Abschied. Scato hatte sein Schicksal selbst gewählt - er würde das Tal der Tränen allein durchwandern.


    Wenig später ritt Terpander bereits auf einem der Lastesel aus der Stadt.

    <-- RE: Die Porta (Jeder Gast hat sich hier anzumelden!)


    Die Pferde waren inzwischen draußen angebunden worden, so dass die Sklaven die Hände frei hatten. Terpander schaute an Scato und Sabaco vorbei in die Domus Iunia. Hinter der geöffneten Tür wehte der Sommerwind trockenes Laub über den Steinboden. Das Anwesen roch nach alter Luft und Staub, hier hausten nur die Spinnen. Auch Terpander hätte diese Tür schadlos öffnen können. Diese Kunst erinnerte ihn an seine Jugend, als das Einbrechen Teil der Agoge gewesen war.


    Er wartete, bis die Römer in der Porta ausreichend Platz ließen, um sich berührungsfrei an ihnen ins Innere vorbei zu schieben. Länger zu warten, wäre nicht zielführend, er hatte zu tun. In Gegenwart des Decurios würde er alles dafür tun, einen guten Eindruck zu erwecken, denn der Kontakt zu dem Mann würde Scato nützen.


    Er schaute sich im Inneren zuerst nach Sitzgelegenheiten um. Zwei staubige Bänke erschienen geeignet. Er arrangierte sie, fegte sie mit einem Handbesen notdürftig sauber, stellte noch ein Tischlein dazu und wies Unauris an, Getränke darauf zu stellen. Während er das Abladen des Gepäcks organisierte, sollten die Römer ihm nicht im Weg herumstehen. Ihnen einen einladenden Tisch anzubieten, war Terpanders Art, ihnen das zu kommuniziereren.

    Die neuen Eindrücke in Germania rissen Terpander aus seiner Lethargie. Seine Lungen atmeten die Luft, die für den Hellenen trotz des Sommers kühl und feucht schmeckte. Er spürte, wie sein Verstand sich aus dem Dämmerschlaf erhob, wie er innerlich erwachte. Sicher trug auch die Anwesenheit der Soldaten dazu dabei, das Klirren der Ausrüstung, der schwere Schritt der Sandalen, die Gerüche, das Klingen von Eisen. Alte Erinnerungen erhoben sich aus dem Sumpf des Vergessens, Gedanken an Sparta. Terpander würde dieses fremde Land erkunden, sein Herz ergründen, das kalt und feucht wie das eines Fisches war.


    Ein hartnäckiges paar Augen zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Dort, am Rand, wurden sie von einem Trupp der Ala beobachtet. Terpander hatte den Eindruck, einer der Reiter würde es auf ihn abgesehen haben, denn er sah ihn unverwandt an. Terpander erwiderte den Blick ungerührt. Der Helm des anderen verbarg die Details der Mimik.

    In zügigem Tempo ritten Terpander und Unauris, die vollbepackte Eselskarawane im Schlepptau, hinter der Reitertruppe her, die sie wohl trotz der Eile bald aus den Augen verlieren würden. Er kannte die Strecke und würde die Domus Iunia in Mogontiacum finden. Die zu den Eseln gehörenden Sklaven, die sie zu Fuß begleiteten, würden die Tiere nach der Ankunft am Ziel eingeständig wieder zurück nach Rom bringen. Mit einem holprigen, trägen Ochsenwagen hatte er sich nicht arrangieren können. Er brauchte Mobilität, auch unabhängig der großen Straßen.


    Die Hoffnung, die in den Herzen von Lurco und Scato keimte, blieb Terpander fremd. Er ritt heute auf eine düstere, kalte und verregnete Zukunft zu, fernab der Heimat, fern von sich selbst. Ob er Scato nicht doch um Freilassung bitten sollte, fragte er sich, damit es offiziell war, oder ob er ohne Abschied auf den Peleponnes heimkehren und sich der Verurteilung durch Recht und Gesetz stellen sollte. Er war an einem Punkt, da ihn kaum eine Strafe mehr schrecken konnte.


    Was war schmerzlicher, als die Wurzeln zur Heimat verloren zu haben, deren Stümpfe bluteten? Er war kein Sklave und er konnte nicht ewig einen spielen. Sein unbedingter Wille, um jeden Preis zu überleben und den Häschern eine lange Nase zu drehen, wurde mürbe von den unerfüllten Jahren in der Fremde. Ihn rief das Blut der Söhne von Herakles. Nicht einmal sein unterdrückter Zorn auf die Gerusia und der Gedanke an den fürchterlichen Anblick des Taygetos vermochten noch, ihn von Sparta fernzuhalten.


    Seine Gebeine würden nicht in Germania verrotten. Bevor es zu Ende ging, würde er heimkehren. Nicht sofort, aber bald.

    Terpander würde sich erst wieder zur Abreise mit Scato vor dem Stadttor treffen. Als guter Sklave, den er spielte, würde er eine kleine Überraschung dabei haben. Germania sollte es also werden. Warum nicht Achaia? Während die Heimat von Italia aus in erreichbarer Ferne lag, nur eine kleine Schiffsreise entfernt, war sie vom hohen Norden aus unerreichbar. Ihn reizte keine Neugier, wie es in der Fremde aussehen mochte oder wie man dort lebte, er wollte weder die Kultur noch die Menschen kennenlernen. Er sehnte sich nach Vertrautem und Bewährtem, er wünschte sich Sparta zurück oder wenigstens Hellas. Die Jahre verstrichen und nichts hatte Terpander je näher zur Heimat gebracht. Er wurde älter und die Zahl seiner verbliebenen Jahre neigte sich. Seine Gebeine würden in der Fremde verroten.

    Terpander drückte dem gierig nach dem gegrillten Fleisch lechzenden Gast eine volle Schüssel mit dampfendem Grillfleisch in die Hände. Darin steckte ein Spieß, damit er nicht mit den Fingern essen musste. Auch gegrilltes Gemüse lag dabei. Terpander stellte ein flaches Tischlein mit Soßen und einer weiteren Schale frisch gegrilltes Essen zwischen die beiden Liegestühle. So konnte Lurco sich bedienen. Dann schenkte er jenem eine neue kalte Posca mit Minze ein, stellte sich hinter ihn und massierte ihm langsam kreisend die Schläfen gegen den Stress.

    Grillabend


    Terpander feuerte die Holzkohle in der massiven Eisenschale an, die er in den Garten gewuchtet hatte. Frische Getränke standen bereit, Rotwein, Wasser und Säfte, auch frische Posca mit Kräuterstängeln. Rauch Stieg in den roten Abendhimmel, vermischte sich mit dem süßen Duft der blühenden Bäume und Sträucher. Als die Glut weiß wurde, legte er das marinierte Fleisch mit einer Zange darauf. Auch mit Honig bestrichenes und gesalzenes und gepfeffertes Gemüse fand seinen Weg auf den Grill. Köstlicher Geruch erfüllte die abendliche Casa Leonis.

    Die Anwesenheit von Lurco verhinderte, dass Terpander Charislaus im Genick packte und kommentarlos in den Heizraum der Hypokausten sperrte. So war Terpander gezwungen, lange genug auszuharren, um die Tränen zu spüren, die seinen Hals benetzten.


    "Ich gehe davon aus, die Reise hat dir einen Vorgeschmack darauf geliefert, was Ungehorsam anrichten kann, und du hast in dem Maß gelitten, wie du es verdienst. Mit ungehorsamen Heloten können schlimme Dinge geschehen. Da in meiner Heimat Worte nicht viel Gewicht haben, sondern allein die Tat zählt, wirst du mir tatkräftig zeigen, dass du dazugelernt hast. Andernfalls kann ich keine Milde walten lassen. Vorschläge?"

    In seiner Egozentrik hatte Terpander nicht bemerkt, dass auch der Senator und sein Klient bereits an ihren bescheidenen Portiönchen mümmelten. Er bemerkte es erst, als er nach dem ersten Hähnchenschenkel wieder zu ihnen hinüberblickte, weil er sich über die Wortkargheit wunderte. Seine euphorische Laune sank wieder ein Stück in den Keller, aber nur ein kleines Stück, denn das Hühnchen war köstlich.

    Terpanders Lächeln war unverschämt breit, weil er vor den beiden Herren bedient wurde, die immer noch hungern mussten. Er hoffte, der Dominus würde dem Wirt dafür ein ordentliches Trinkgeld geben; notfalls würde Terpander freundlich nachhaken.


    "Besten Dank." Gerade wollte er den Wirt fragen, ob er aus Hellás kam, da sein Akzent daran erinnerte, doch da verschwand er auch schon wieder.


    Terpander ließ sich das Hähnchen schmecken. Damit ihm nicht langweilig wurde, denn sicher würden die Herren noch eine Weile auf ihr Essen warten müssen, speiste er sehr langsam und genussvoll an seiner üppigen Portion.

    Da die Gespräche der beiden Herren ihn zu langweilen begannen - natürlich wurde am Tisch einer Caupona nichts Wichtiges besprochen - wandte Terpander den Blick in Richtung der Küche. Seine Nasenflügel weiteten sich in dem Versuch, zu erschnuppern, wie knusprig sein Hähnchen inzwischen wohl sein mochte. Nicht, dass er es bei ausreichend Hunger nicht auch roh verzehrt hätte, mit Blut und Federn.

    Terpander lauschte unauffällig dem Gespräch, während er auf sein Essen wartete. Allerdings trieb ihn dazu keine andere Motivation als die Neugier. Er hegte keine Hintergedanken. Wertloses Interesse, Vergeudung kognitiver Kapazitäten. Das war kein gutes Zeichen und er kannte sich selbst genug, um die Signale seines immer weiter erlöschenden Verstandes zu deuten. Statt der spartanischen Blutsuppe würde er parthisches Huhn essen, naschen von der Dekadenz der Verachteten. Der Kreis der Verachteten, Unerwünschten, Verhassten war ins Unermessliche geschwollen, seit er selbst dessen Zentrum geworden war.

    Terpander durfte sich etwas bestellen? Das würde er sich nicht entgehen lassen. Bescheidenheit war keine von Terpanders Tugenden. "Das Hähnchen nach parthischer Art." Mal sehen, wie die Parther so speisten, denen man extreme Dekadenz nachsagte. Ein entsprechend üppigs Menü erwartete Terpander, während er Caepios Toga richtete, und vielversprechend teuer war es auch. "Dazu Wasser."


    Nach Caepios freundlicher Aufforderung, sich ebenfalls zu setzen, nahm Terpander ein gutes Stück Abseits von den beiden platz, um nicht deren Ansehen zu besudeln. Zwar sah man ihm nicht an, dass er ein Sklave war, er trug weder Brandmahl noch Halseisen, doch der Senator wusste es. Terpander konnte auch gut allein essen, lauschte aber mit einem Ohr.

    "Glückwünsche, Dominus." Terpander nickte wohlwollend. Das änderte sich, als Caepio sich selbst und seinen Gönner in der Taberna zum lallenden Löwen einlud. Natürlich auf Lurcos Kosten. "Ich sehe schon, du bist in der Verwaltung bestens aufgehoben." Ob die Zwiebel das als Kompliment oder Ironie auffasste, war ihr überlassen. Terpander begleitete die beiden Männer wie angewiesen in die Caupona Luculla, gespannt darauf, was die neue Taberna zu bieten hatte.

    Der Rückweg ging gemächlicher, da Terpaner Caepio nun nicht mehr schleifen musste. Wie konnte man so windig und zeitgleich so unsportlich sein. Gedanklich arbeitete Terpander einen Trainingsplan für den verweichlichten Herrn aus, einschließlich eiskalter Bäder und Geißelungspraktiken, um ihn für den Dienst an Rom zu stählen. Bei der Ausbildung des römischen Nachwuchses lag so manches im Argen. Seine Fantasien trösteten ihn auf dem Heimweg.

    Terpander war nicht durch Lurcos freundliche Worte aufzumuntern. Da sie nicht bevorzugt behandelt wurden, gab es kein Trinkgeld für den Sklaven hier, zudem rutschte er in den Keller von Terpanders Gunst. Würde er Ursus irgendwo treffen, würde er ihn nicht grüßen. Für einen persönlichen Gefallen, wie sie unter Sklaven zur Erleichterung des täglichen Lebens Gang und Gäbe waren, sollte der Erbsenzähler ebenso eine genau gleichwertige Gegenleistung parat haben, ansonsten würde Terpander sich nicht damit befassen. Er nahm Lurco die Amphore ab und setzte sie neben sich auf den Boden. Die folgende Wartezeit stand Terpander mit steinerner Miene herum.