Beiträge von Terpander

    Die Wegstrecke von der Casa Leonis bis zur Domus Annaea betrug keine römische Meile. Sie konnten außen an der Stadtmauer entlanggehen. Terpander hatte Caepio mehr oder weniger gewaltsam durch die Gärten des Maecenas geschliffen. In seiner Toga konnte der angehende Officium-Mitarbeiter bei den strammen Schritten von Lurco und Terpander sonst nicht mithalten. Der Zweck heiligte die Mittel und der Zweck war Pünktlichkeit. Zum bestmöglichen Zeitpunkt erreichten sie die Domus Annaea. Die riesige Amphore mit dem Wein hatte Lurco selber tragen müssen, weil Terpander mit ihrem Sorgenkind alle Hände voll zu tun gehabt hatte.


    Terpander wartete, bis Iunius Caepio sich wieder ordentlich auf die Füße gestellt hatte, strich noch einmal dessen Haar zurecht und korrigierte den Sitz seiner Toga, die bei der Eile von Caepios Schulter gefallen war.


    Dann schaute er, bei wem er dafür sorgen konnte, dass die Herren nicht über die Gebühr hinaus warten mussten.

    Natürlich stand die Mietsändte NICHT bereit. Terpander hörte im Geist die Knochen von Unauris knacken. Wollten sie noch pünktlich kommen, war Eile angesagt. Da Caepio, im Geiste schon ganz Verwaltungsbeamter, dazu neigte, bei Stress immer langsamer zu werden, bot Terpander ihm galant seinen Arm an. An diesem würde er ihn vorwärts zerren, sonst kamen sie heute nie an. "Darf ich bitten, Dominus?"

    Terpander überlegte, ob er den zimperlichen Caepio einfach bis zur Mietsänfte tragen sollte, die ein anderer Sklave hoffentlich zu ordern beauftragt worden war. Zum Beispiel der Nichtsnutz Unauris, der sich tatenlos durchfraß und seine schwere Vergangenheit vorschob, das weiche Herz der Herren ausnutzend. Wäre es nicht so lächerlich, müsste Terpander dem fast schon Respekt zollen. Doch für Jammerlappen hatte er nichts übrig, am allerwenigsten Respekt.


    "Wohlan denn, domini. Die Mietsänfte steht sicher schon bereit."

    "Würde jeder sich so viele Gedanken machen, wäre die Welt ein besserer Ort." Er selbst hatte freilich nicht vor, sich über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen, er war ein Mann der Tat. Aber er arbeitete auch in keinem Magistrat. Ihn trieben ganz andere Dinge um. Gegenwärtig plagte ihn ein Unwohlsein, dass er weder identifizieren noch deuten konnte und entsprechend auch keine Kur dafür fand. Wahrscheinlich war es Heimweh, doch wenn dem so war, dann gab es in absehbarer Zeit erst recht keine Besserung. "In der Verwaltung ist es kaum anders als in der Politik, dominus Caepio", sprach Terpander weise. "Du bist ein kluger und nachdenklicher Mann, was dir noch fehlt, ist Biss. Den lernst du in der Praxis und von mir."


    Wie so oft troffen Terpanders vordergründig hilfreiche Worte vor Eigennutz. Natürlich brauchte Caepio mehr Biss, und natürlich würde er ihm dabei helfen. Vor allem würde Terpander mit dem unsicheren Herrn sehr viel Spaß dabei haben. Ach, wie er die Iunii mochte. Wenn er schon als Sklave leben musste, so doch gern bei ihnen. "Wenn es dein Wunsch ist, begleite ich dich selbstverständlich zum Senator Annaeus. Nun spute dich, damit dein künftiger Patron nicht meint, du seist unpünktlich."


    Er hielt dem Herrn einladend die Tür auf. Vor Iunius Caepio lag der Weg in eine bessere Zukunft.

    Was Terpander betraf, so war es kein Geheimnis, dass er es genoss, wenn die Herren unter seinen Händen dahinschmolzen. Es war kein Ersatz für die Zeit, die er vermisste, aber ein kleiner Trost.


    "In einer Sache bist du deinen beiden jüngeren Brüdern voraus, dominus Caepio, ein Vorteil, den du nutzen solltest: Du verstehst dich auf sympathisches Auftreten. Das wird dir in Politik und Verwaltung Tür und Tor öffnen. Behalte dir das bei und baue es aus. Bedingungslose Höflichkeit, dominus Caepio. Kein Gebocke, keine hysterischen Anfälle."


    Er sprach es nicht aus, doch Caepio sollte auch so klar sein, dass er sich hierbei insbesondere auf Scato bezog, der in Anbetracht seines zarten Gemüts ein viel zu großes Herz besaß, das ihn oft selbst überforderte. In letzter Zeit verhielt sich Scato allerdings ruhig, ebenso wie Lurco, was Terpander Kopfzerbrechen bereitete. Für ihn sah so keine Harmonie aus, sondern Trauer.


    Ruhe war die Trauer des Kriegers, Wut war seine Verzweiflung und vollständige Stille war sein Hass.


    Irgendetwas stimmte nicht mit den beiden.


    Terpander schenkte Caepio ein seltenes Lächeln und klopfte ihn aufmunternd. "Politik ist die Kunst des Marionettenspiels. Lasse dich nicht zu offenen Konfrontationen hinreißen. Ein Lächeln ist das Zähnefletschen des Politikers und je mehr deine Gegner toben, umso breiter sollte es werden. Deine Waffen sind nicht etwa Worte, sondern Bündnisse, denn Bündnisse bedeuten Mehrheiten. Geld, Versprechungen, Gefälligkeiten ... das ist die Währung, mit der man Freunde kauft. Mache dir Freunde, auch wenn du sie verabscheust. Do ut des, dominus. Sie verabscheuen dich auch, doch sie werden dir helfen, wenn du ihnen hilfst und wenn die Bezahlung stimmt."

    Kaum war Lurco verschwunden, schloss Terpander mit einem endgültigen Geräusch die Tür. Caepio wurde ausgezogen, seine Sachen zusammengelegt. Sie landeten in einer Ecke, wo sie später irgendwer abholen und waschen musste. Unauris, der Nichtsnutz, konnte das machen. Terpander widmete sich derweil dem angenehmen Aufgabenspektrum direkt am Herrn.


    Das Zupfen von Bart, Brauen und Körperhaar war wohl weniger angenehm, ebenso das Maniküren der Nägel und das Abraspeln der Hornhaut, doch danach war Caepios Haut vollkommen glatt und seine Hände und Füße vorzeigbar. Leider genügte die Zeit nicht für ein Bad. So wurde Caepio nur liebevoll gewaschen. Wenn Terpander das machte, fühlte es sich an wie eine ausgiebige Streicheleinheit, was ein Trost für die schmerzhafte Prozedur des Zupfens sein mochte. Terpander ließ sich dafür Zeit, auch wenn sie sich beeilen mussten, denn er fand, dass Caepio das brauchte. Am Ende wurde dieser sanft eingeölt. In dem Falle bedurfte es nicht der Anwendung des Schabers, denn es gab keinen Dreck mehr samt Öl abzuschaben und Terpander verwendete genau die richtige Menge. Die Arbeit erfolgte ausschließlich mit den Händen.


    Caepio wurde hernach in saubere Caligae gestellt und in eine frische Tunika samt Toga gehüllt, die nach Seife und Parfum duftete. Anschließend legte Terpander ihm ein Tuch um den Hals, damit die Kleidung nicht befleckt würde, schminkte ihn dezent und kämmte ihm sanft das Haar mit duftendem Öl.


    Terpander trat zurück und betrachtete sein adrettes Werk. Ein Lächeln verriet, wie zufrieden er mit dem Ergebnis war. Er hob einen Spiegel, so dass Caepio sich betrachten konnte. "Nun?"

    Zurück in der Dunkelheit blieb der alternde Hellene. Er hatte die kleine Gemeinschaft neidvoll beobachtet, auch wenn er zu weit weg saß, um mehr als nur ein paar Fetzen ihrer Worte zu verstehen. Ihn erinnerte das gemeinsame Mahl an die Syssitia, die er besonders vermisste, wenn er an sein altes Leben zurückdachte. Natürlich nicht von der Art des Speisens und Trinkens her, sondern aufgrund der menschlichen Nähe. Das Teilen, das Reden, die Gemeinschaft. Er schloss die Augen, lauschte dem nächtlichen Fluss und träumte von Sparta.

    Die Ankündigung von Lurco fiel gewohnt dramatisch aus, die Reaktion von Caepio stand in Dramatik wenig nach. Zur Dramatik neigten alle drei Brüder und Lurco war scheinbar angesteckt worden oder hatte darum Einzug in die Familie gehalten, weil er von Natur aus genau so war. Terpander nickte mit gütiger Miene. "Es wird geschehen, wie du wünschst, Herr. Dominus Caepio wird nicht rasiert, sondern gezupft." So würden garantiert keine Stoppeln das Antlitz verschandeln. "Ich nehme an, der Termin ist noch heute? Wie viel Zeit steht mir für die Vorbereitung von dominus Caepio zur Verfügung?" Die bedauernswerte Zwiebel hatte vermutlich, so wie Terpander, erst gerade eben von ihrem Glück erfahren und wie der alte Mann ahnte, würde der Termin in sehr kurzer Zeit anberaumt sein.

    Wie es Caepio wohl gefiel, wenn sein wenig schmeichelhafter Rufnahme durch das Anwesen gebrüllt wurde? Nun, die Befindlichkeiten von Dominus Zwiebel waren nicht Terpanders Problem, so lange der Quell eventuellen Unmuts nicht in seiner Person zu finden war.


    "Ich bin schon unterwegs, dominus Lurco", brummte er und kehrte wenig später mit dem Benötigten zurück. "Hast du besondere Wünsche, dominus Caepio?" Er bereitete in Ruhe alles vor, um sich des ältesten und nutzlosesten Sohnes von Seia Sanga anzunehmen.

    Der Jüngling war gegangen, Terpander stand noch am Wasser. Er hatte kein Interesse, den Heloten zu spielen. Zu Hause wartete Arbeit. Worauf wartete er selbst? Er konnte es nicht sagen. Er schlenderte nicht, warf keine Steine mehr, sah nur auf das braune Wasser, das am Rand unter dem dreckigen Eis gluckerte.


    War es Heimweh? Vielleicht. Sehnsucht? Möglich.


    Eine Gruppe Menschen hatte sich eingefunden, die sich freudig umarmten und grüßten. Christen, wie es aussah. Er beneidete sie um ihre Gemeinschaft, beobachtete ihre Herzlichkeit und sein eigenes Herz zog sich zusammen, wurde hart und dunkel wie ein Stein.

    Terpander würde sich nie daran gewöhnen, was für Nervenbündel die drei Brüder alle miteinander waren. Einer nervöser als der andere. Ließ ihn mit dem klatschnassen Badezimmer zurück, damit er wegen nicht einmal einer halben Stunde baden nun wieder zwei Stunden putzen durfte. Gedanklich verfluchte er Unauris und Charislaus, er verfluchte sogar Tiberios, verfluchte jeden, der nicht hier war, um ihm zu helfen.


    Vielleicht wurde es an der Zeit, seiner Maskerade ein Ende zu bereiten ... sich zu offenbaren als jener, der er war, als Lysander von Sparta, und die Herren ihrem Schicksal zu überlassen. Wenn ihnen überhaupt niemand mehr zur Seite stand, würden sie vielleicht erkennen, was sie an "Terpander" gehabt hatten. Doch was sollte danach aus ihm werden? In seiner Heimat hatte er keine Zukunft. Wohin? Er wünschte, wenigstens einer seiner alten Weggefährten wäre noch an seiner Seite, Cassander, Zisimos ... irgendwer.


    Aufgebracht holte er sich den Eimer, um das Badewasser aus der Steinwanne auszuleeren, einen Lappen und einen Wischmopp.

    Terpanders grauer Raubvogelblick strich durch den veränderten Raum von Charislaus und versprühte eine archaische Blutgier.


    Der alte Sklave hatte den jüngeren darauf hinweisen wollen, dass das Haus dringend geputzt gehörte, denn auch Unauris ließ sich selten daheim blicken. Als er nun auch noch fehlendes Hab und Gut registrierte, schwoll ihm endgültig der Kamm. Während Unauris sich die meiste Zeit des Tages bei seinen alten Freunden in der Subura herumdrückte, ohne dass es die Herren interessierte, während er, Terpander, nicht wusste, wie er unter diesen Voraussetzungen planen sollten, war Charislaus offenbar endgültig verschwunden. Das Miststück schien geflohen zu sein, denn niemand hatte Terpander darüber informiert, dass Charislaus verkauft worden wäre.


    Mit einem Hass, wie er ihn lange nicht verspürt hatte, ging er sich eigenhändig den Besen holen, um nun selbst die riesige Casa Leonis zu putzen. Eine lange und anstrengende Aufgabe für einen einzelnen Mann ... er würde Tage benötigen. Im Prinzip konnte er, wenn er auf der einen Seite fertig war, auf der anderen wieder beginnen.


    Falls Charislaus hier eines Tages wieder aufkreuzte, würde Terpander ihn lehren, was leiden hieß. Die alljährliche Geißelung der Epheben im Tempel der Artemis-Orthia*, bei der es durchaus zu Todesfällen unter den Jünglingen kam, war nichts dagegen.


    "Einen Stellenmarkt?" Terpander dachte nach. "Ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung von Arbeit habe", scherzte er und seine Mitsklaven konnten davon in der Tat ein Lied singen. "Wenn du einen Vorschlag gestattest", natürlich würde Caepio das, warum sollte er nicht, "so empfehle ich dir, dich nach einem Patron umzuschauen. Der kann dir helfen, in Roma Fuß zu fassen."


    Das Militär war nicht das Ding des Gasts, das wusste Terpander, so dass er nicht vorschlug, doch mal Scato zu den Cohortes Urbanae zu begleiten. Er stellte sich hinter Caepio, goss ihm eine duftende himbeerrote Substanz über den Schädel und wusch ihm mit einer sanften Massage das Haar. Charislaus, der für solche Arbeiten ausgebildet war, ließ sich nicht blicken, doch Terpander würde improvisieren. Hauptsache, der Herr war am Ende sauber und entspannt.


    "Selbstverständlich wird alles seine Richtigkeit haben, Herr", antwortete Terpander. Natürlich würde nicht er diese Auflistung erstellen, sondern ebenso Charislaus. Ihm selbst bedeutete Geld nichts und er hatte nie gelernt, vernünftig damit umzugehen. Die Berechnungen ärgerten den alten Griechen und er war froh, wenn er sie nicht selbst durchführen musste.


    Was ihn anbelangte, so wartete er, bis alle wichtigen Leute die Taberna verlassen hatten, sorgte noch ein wenig dafür, dass jeder wusste, dass er, der Maiordomus, Scatos Sklave sei - und nicht etwa der von Lurco - strich ein paar weitere Lorbeeren für die gut geführte Taberna ein sowie etwas Trinkgeld und verzog sich dann in den wohlverdienten Feierabend.

    Terpander führte Caepio in den dank der Fußbodenheizung herrlich warmen Baderaum. Die gemauerte Wanne war groß genug für mehrere Personen. Scato würde schon mitkommen, wenn er noch was mit seinem Bruder besprechen musste. Terpander half Caepio, sich zu entkleiden und bot ihm dann an, in das dampfende und duftende Wasser zu steigen. Da Gäste prinzipiell hungrig und durstig waren, holte er anschließend eine Platte mit Häppchen aus der Küche. Bei der Gelegenheit teilte er Charislaus seine Aufgabe mit, die er ausführen sollte, sobald der neue Hausherr fertig mit Baden sei.


    "Das Zwiebelchen bedarf besonderer Pflege", teile Terpander mit ernstem Gesicht mit. "Es ist der lange verschollene große Bruder von Scato, der endlich zurück in die Familie gefunden hat. Also sei besonders gut zu ihm, wir möchten einen hervorragenden Eindruck hinterlassen."


    Mit den Häppchen verschwand er, um den Herrn damit entweder zu füttern oder diese auf den Wannenrand zu stellen, je nach Vorliebe. Scato gehörte zu denen, die sich gern mit dem vollen Programm verwöhnen ließen, aber das musste nicht zwangsläufig auch auf den Bruder zutreffen.

    Ach. Terpander rieb sich geschmeichelt den Bart. Zwar hatte er mit der Wahlkampfaktion nicht das geringste zu tun, doch wenn die Sklaven unter seiner Obhut etwas so grandioses auf die Beine stellten, war das zweifelsfrei seinem guten Einfluss als Maiordomus zuzuschreiben.


    "Man tut, was man kann", gab er bescheiden von sich, während er sich im Lob aalte.

    "Ich bin Terpander", bestätigte der Hellene. "Angenehm." Er folgte der Aufforderung und nahm in angemessenem Abstand am Tisch des Lucius Annaeus Florus Minor platz. Er hoffte, jetzt würde keine Beschwerde eintrudeln. Im Zweifelsfall waren ohnehin immer Charislaus und Unauris schuld an allem, Terpander würde sich für ihr Fehlverhalten entschuldigen und sie züchtigen gehen.

    Charislaus stellte fest, das Terpander immer noch nicht bei ihrem Ehrengast eingetroffen war. Dieser faule Bock von einem widerspenstigen Griechen! [...]"Terpander?!? TERPANDER!!! Unser Ehrengast ist eingetroffen, der Patron meines Herrn und er möchte Dich sprechen. Lass Dich endlich mal im Schankraum blicken. Du hast vielleicht eine Arbeitsmoral, wo steckst Du nur wieder?"


    "Nur die Ruhe", brummte Terpander und kam in gemächlichem Tempo herbei. Dass er nicht mehr der Jüngste war, sah man ihm an und das mochte als Entschuldigung herhalten. Freundlich blickte er den nobel gekleideten Gast an. "Salve, Dominus. Was kann ich für euch tun?"


    Als er sah, dass es den Gästen mundete, war in Terpanders Augen das Risiko minimiert. Sie wirkten glücklich und zufrieden. "Das ist ganz frisch von einem Hof aus dem Umland, der ab und zu auch auf dem Markt einen Stand hat, ein gewisser Matho betreibt ihn. Greift doch zu, wir haben genügend."