Beiträge von Kyriakos

    Ein Nicken dem Advokaten, ein Blick dem entschwindenden Magistraten: die Drohung rührte nicht an des Kyriakos' Gemüt. Agoge und Subura hatten das Fell dick wachsen lassen. Drohungen, mal dramatischer, mal unspektakulär, gehörten zu den üblichen Umgangsformen seiner Klientel. Doch hätte es ihm gefallen, dem im Abgang befindlichen Aemilier zum Abschied juristisch ein Bein zu stellen.


    »O tempora, o mores«, seufzte er leise, während er sich ein wenig zurücklehnte, darauf wartend, dass der Praetor die Verhandlung offiziell für beendet erklärte.

    Wenngleich leise gesprochen, waren die Worte des Aemilius Secundus auf eine gewisse Distanz gut zu verstehen, denn der Soldat, der hinter dem Angeklagten saß, wäre bei Unterschreitung einer angemessenen Distanz zweifelsohne eingeschritten. Aber auch Kyriakos selbst hätte eine Annäherung durch den Vigintivir auf weniger als eine Armeslänge nicht akzeptiert. So drangen die Worte über diese Distanz auch für die Umsitzenden deutlich vernehmbar an sein Ohr.


    Langsam hob Kyriakos die Braue, dann wanderte sein Blick fragend in Richtung seines Advokaten.

    »Ist Gerechtigkeit in Geld aufzuwiegen? Oder Freude, wie ich sie gerade verspüre?«, sinnierte Kyriakos leise. »Würde ich den tatsächlichen Wert deiner Arbeit in die Währung des Geldes umrechnen, würde ich nackt und mittellos enden. Die Entlohnung muss foglich, so fürchte ich, nach anderen Maßstäben erfolgen.« Ein Lächeln stahl sich in das Gesicht des Hellenen.


    Langsam fuhr seine Zunge die Unterlippe entlang, während er nachdachte. »Der heutige Streitwert bemaß drei Goldaurei und zehn Sesterzen. Zwei meiner fünf Aurei haben sich leider als wertlose Fälschungen offenbart. Wenn ich dir den Aureus, den ich als Entschädigung erhielt, zum Honorar weiterreiche, betrüge deine Entlohnnung circa ein Drittel des Streitwertes. Wäre dies ein Gegenwert, den du als angemessen erachten würdest?«


    Nun hoffte Kyriakos, dass diese Entlohnung einem vernünftigen Maß entsprach und er den Mann nicht unbeabsichtigt beleidigte, der ihm den Kopf aus der Schlinge gezogen hatte. So war seine Frage, ob Tacitus den Lohn als angemessen erachte, keine rhetorische, wie der leicht unsichere Blick seines Mandanten erahnen ließ.

    Kyriakos hob nun das Beutelchen auf, gefüllt mit den Sesterzen, und hob an dem Aulus Iunius Tacitus zu antworten, als schon der Prätor ihn nach vorn bat. So blieb der siegreiche Angeklagte seinem Advokaten zunächst die Antwort nach dem Honorar schuldig. Mit leichtem Zögern griff er nach dem Aureus, als hätte die bloße Hand des Aemilius Secundus das Goldstück vergiften können, bedankte sich leise und kehrte zurück. Nachdenklich war sein Blick, denn er wollte, wie zugesichert, dem hilfreichen Iunier eine angemessene Entlohnung entrichten, jedoch benötigte er einen Moment, um darüber nachzudenken, welches Maß diese Angemessenheit in jenem Fall überhaupt umspannte, so dass er sich Zeit ließ in seinen Handlungen.

    Mit einem Urteil dieser Art hatte Kyriakos am wenigsten gerechnet. So konnte er es auch zunächst nicht fassen. Vor seinen Füßen landete der Geldbeutel, geworfen vom Vigintivir, mit welchem Rom sicher noch seine Freude haben würde. Dort auf dem Grund der Basilica Ulpia ließ Kyriakos den Beutel zunächst liegen. In würdevoller Bedachtsamkeit erhob er sich, um dem Rat des Aulus Iunius Tacitus zu folgen.


    »Ich möchte dem Prätor peregrinus für sein Urteil danken«, sprach er langsam und ruhig, jeden Anflug von Gehässigkeit herunterschluckend. »Gleichsam danke ich meinem Advokaten, der fachkundig und tatkräftig half, so dass der Gerechtigkeit genüge getan werden konnte. Ebenso danke ich allen anderen, die in diesem Fall für mich sprachen.«


    Und damit setzte er sich wieder, langsam durchatmend, während der Anflug eines Lächelns sich auf seinen rechten Mundwinkel stahl. Er war froh, dass er nicht völlig demontiert und ruiniert wurde, sondern weiterhin sein gewohntes Leben führen konnte. Eine letzte Sorge blieb mit der Namensliste. Kyriakos registrierte jedoch die Formulierung des Prätors: Die Liste mit den Namen der möglichen Falschmünzer sei an die Cohors Urbana zu übergeben - nicht die vollständige Liste mit den Namen aller Kunden. Was das anbelangte, so glaubte er den Kreis der Verdächtigen sehr gut eingrenzen zu können.

    Eine innere Kälte hatte von Kyriakos Besitz ergriffen, obgleich kalter Schweiß sein tiefschwarzes Schläfenhaar verklebte. Ein Trost war, dass der Praetor bislang kein Interesse an den Namen der Kunden zeigte, so dass der nach verfänglichem Wissen gierende Prätorianer in den Reihen der Zuschauer aller Wahrscheinlichkeit nach mit leeren Händen nach Hause würde gehen müssen.


    Aemilius Secundus aber, der nach seiner genauen Anklage gefragt worden war, schlug stattdessen eine Strafe vor, die an Dreistigkeit selbst den Auftritt des Prätorianers übertraf. Kyriakos verabscheute Machtspiele wie diese, insbesondere, da er aus einer Gesellschaft mit sehr klaren Verhältnissen stammte. Der Aemilius hingegen war dabei, sich wie ein Fisch den Weg des Cursus honorum entlang nach oben zu winden und auf seinem Weg keine Widerlichkeit zu scheuen. Wohlweißlich würde er damit Erfolg haben, denn so funktionierte das Imperium: Eines Tages würde Aemilius die Geschicke des Imperiums als Senator lenken und vielleicht tatsächlich die Gesetze in seinem Sinne umschreiben, wenn Kyriakos noch immer in der Subura hauste oder bereits zurück nach Sparta gereist war, um, wie alle Versehrten, einen Verwaltungsposten anzutreten, der ein ehrenvoller Ersatz für die Kriegerlaufbahn war, doch seinem anerzogenen Wesen keine Rechnung trug.


    Es tat weh, sich der Dinge bewusst zu sein und ihnen doch machtlos gegenüber zu sitzen, aber auch diese Art von Pein hatte er gelernt zu ertragen. Auf den Hinweis seines Advokaten hin nickt Kyriakos stumm, während die Kälte auch in sein Gesicht kroch und seine Miene regelrecht vereiste.

    »Ein Gespenst?« Er hob den vom Salz geröteten Blick, um ihn für einen Moment fest auf den Prätorianer zu richten, ehe er ihn wieder senkte. »Möglicherweise, mein Advokat, einen Boten aus dem Tártaros In einem Belang behielt Aemilius Secundus recht: Wer war schon Kyriakos? Was bedeuteten sein Sieg oder sein Verderben für Rom? Nichts. Und doch war der Prätorianer hier, mit unverschämter Auffälligkeit war er eingetreten. Kyriakos glaubte zu verstehen, was dieser Mann durch seine Präsenz zum Ausdruck brachte, ohne dass dieser einen weiteren Ton gesagt hatte als das saloppe Grußwort: »Er wartet auf die Namen.«


    O Pollux, was hast du nur getan?


    Da rollte weiteres Gewitter aus dem Munde des Klägers über ihn hinweg. Als von Lumpen die Rede war, zog Kyriakos finster seine Brauen zusammen, denn um seine beste Gewandung hatte es sich gehandelt, doch fiel dies kaum ins Gewicht in Anbetracht der Katastrophe, auf die sein Schicksal am heutigen Tage zuzusteuern schien.

    Verzweiflung? Das wäre sicher ein sehenswertes Schauspiel für jene, welche Leuten wie Kyriakos Verweiblichung vorwarfen. Er lächelte ob dieses Hinweises sanft. Dann erhob er sich zum Sprechen. Langsam atmete er, dann klang seine Stimme klar und deutlich durch den Saal. »Ehrenwerter Prätor, meine Sicht ist nicht in jedem Punkt deckungsgleich mit der Darstellung des Mannes, der mich der Falschmünzerei anklagt.« Klar wie ein Bergquell war sein Geist in diesem Augenblick, denn es ging um viel. Kyriakos, dem man das ausführliche Sprechen so lange hatte aberziehen wollen, sprach.


    »Zuerst bitte ich zu verstehen, dass ich kaum Münzen zur Überprüfung eingereicht hätte, wäre ich selbst der Urheber des Falschgelds. Welchen Sinn hätte es, sich als Täter selbst einem unnötigen Risiko auszusetzen? Ich bat lediglich um Überprüfung, da ihre Quelle mir fragwürdig erschien und mir das Haupt von Sorgen schwer ward. Denn mir ist bewusst, dass man meinereins nicht mit einem Übermaß an Vertrauen begegnet. Umso bedeutsamer ist für mich, den Ruf meines Lupanars zu wahren, das meine Lebensgrundlage und die meiner Angestellten bildet. Wir können uns einen Konflikt mit dem Gesetz nicht leisten. Darum kam ich in die Münzprägeanstalt, wo ich aufgrund einer Bagatelle vom Zeugen zum Täter erklärt wurde. Für den ehrenwerten Tresvir monetales ist dies nur ein Fall von vielen, für uns steht nun unsere Lebensgrundlage auf dem Spiel.«


    Ernst blickte er mit seinen schwarzen Augen in die Runde, während er die Worte wirken ließ. Da erkannte er mit Schrecken den Prätorianer, jenen schwarzen Skorpion, dessen Anwesenheit nicht dazu beitrug, seine Sorgen zu verringern. »Zweitens«, er stockte kurz, »zweitens möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich in der Münzprägeanstalt kein Geschrei veranstaltete, sondern die Magistrate höflich um eine Quittung bat. Fünf Aurei sind für mich viel Geld und ich wollte nicht riskieren, dass sie in den Wirren der Bürokratie verlustig gehen würden.« Erneut ließ er eine Pause, um den Zuhörern Zeit zu verschaffen, das Gesagte zu verinnerlichen, wobei er vermied, ein weiteres Mal in Richtung des Prätorianers zu schauen.


    »Drittens wurde ich im Gegensatz zur Darstellung des Aemilius Secundus keineswegs an den Füßen festgehalten, sondern an jenen aufgehängt, nachdem das Gift man mir mittels eines Röhrchens durch die Nase eingeflößt hatte. Wer Zweifel an dieser Darstellung hat, möge mit dem Prätor zum Zeugen versuchen, einen erwachsenen Mann mit ausgestreckten Armen vor sich in der Luft zu halten. Ich denke, es erklärt sich von selbst, dass dieser Akt selbst für einen kräftigen Mann ein Ding der Unmöglichkeit ist. Das Aufhängen, möchte ich hinzufügen, war nicht allein schmerzhaft, sondern aufgrund der Natur der hellenischen Mode auch beschämend. Nicht unerwähnt lassen will ich weiterhin die Drohung, man würde mir zur Not den Bauch aufschneiden.« Dies war die einzige Stelle in seiner Rede, in welcher seine Stimme ein leichtes Zittern vernehmen ließ. Dort war er, der unterdrückte Zorn.


    »In Anbetracht dieser Behandlung ist es vielleicht zu vernachlässigen und sollte dennoch nicht unerwähnt bleiben, dass man mich nachfolgend auch meiner Kleidung und Sandalen beraubte und in den Kittel eines Gefangenen kleidete. Dieser Diebstahl meines Eigentums ist der vierte Punkt, den ich zu ergänzen habe.


    Fünftens und letztens verbitte ich mir in aller Höflichkeit die Unterstellung, dass meine Angestellten Mörder seien. Sie sind dazu da, Freude zu bringen und kein Leid. Dies war für den Moment alles.«


    Er nahm wieder Platz. Diesmal lächelte er nicht, sondern arbeitete daran, die Emotionen, die er im Ansatz gezeigt hatte, wieder vollends in sein Inneres zu verschließen. Er wusste, dass der Tresvir monetales danach trachtete, ihn zu provozieren, um seiner weiterhin zu höhnen und ihn zu Fehlern zu verleiten. Das war diesem Manne ein Leichtes, aus seiner sicheren Position heraus, unangreifbar im Kreise von seinesgleichen, während Kyriakos, dem aufgrund seines Berufs kaum jemand Glauben schenken würde, um seine blanke Existenz kämpfen musste. Und der Prätorianer? Kyriakos ahnte Schreckliches, sollte Pollux tatsächlich Namen genannt haben. Er wischte sich kalten Schweiß aus den Brauen. Das scharfe Salz begann in seinen Augen zu brennen.

    Zwei mal nickte Kyriakos: als sein Advokat um eine Bestätigung bat, ob er die Münzen tatsächlich heruntergeschluckt hätte und als dieser ihm nahelegte, ruhig zu bleiben. Letzteres war für Kyriakos kein Ding der Unmöglichkeit, doch ärgerte er sich maßlos über das Auftreten des Klägers. Dass er in Anbetracht seines Berufes kein Ansehen genoss, war ein vertrauter Umstand, dessen Bewertung er stoisch hinnahm. Doch eine solche Art und Weise des Umgangs, wie der Patrizier sie an den Tag legte, war ihm bisher nur in der Subura untergekommen, wo man wusste, was man mit solch einer Titulatur heraufbeschwor. Hier, im Licht der Öffentlichkeit, wo keine Vergeltung in den Schatten lauerte, da suhlte sich dieser Patrizier, dem Name, Rang und Geld mitsamt der Geburt in den Schoß gefallen waren, in einer Selbstherrlichkeit, die ihm mit Sicherheit vergangen wäre, säße er Kyriakos allein gegenüber.


    Sehr langsam und leise atmete Kyriakos durch, als jenem Manne, der ihn mit Gewalt vergiftet hatte, eine gute Absicht zugestanden wurde. Er gemahnte sich selbst, dass dies Teil der Strategie sein musste und sagte nichts, noch murrte er oder verzog sein Gesicht. Dies war die Bedingung gewesen. Doch wurde es schwieriger, als die Sprache darauf kam, wie er von dem Münzmeister auch noch kopfüber aufgehängt worden war.

    »Nichts ist je gewiss. Mir ist vollumfänglich bewusst, dass es keine Garantie gibt, dafür ist mein Name zu unbedeutend. Ich habe keinen mächtigen Patron im Rücken und bin zu wenig mit den Regeln der stadtrömischen Korruption vertraut, um daraus Nutzen ziehen zu können. All meine Fürsprecher und familiären Bündnisse habe ich in Sparta zurückgelassen.« Kyriakos sprach Koine im tiefsten dorischen Dialekt. Sein Latein war grammatisch fehlerfrei, wirkte bisweilen aber gekünstelt und formell. Nun erst, da er seine Muttersprache nutzte, hörte man etwas mehr von seiner Persönlichkeit heraus. »Dein Name wurde mir von einem der wenigen Menschen empfohlen, denen ich bisher vertrauen konnte. Du wirst eine Strategie verfolgen und ich werde sie dir nicht zunichtemachen. Ja, ich habe dich verstanden.«

    Aufrecht, doch blass betrat Kyriakos den Saal in der Basilica Ulpia. Bar jeder maskierenden Schminke sah man ihm Sorge und Schlafmangel an, wenngleich sein Gesicht zunächst keine Regung zeigte. Dies wandelte sich, als man ihn zu dem Manne schickte, der dem Gespräch zufolge wohl sein Advokat war. Dessen Präsenz führte zu einer leichten Erhellung seiner düsteren Miene. »Chaire«, grüßte Kyriakos leise, als er sich neben ihm niederließ, »Licht der Hoffnung.« Die Klägerseite, im teuren Gewand stadtrömischen Patriziats gleich weißen Geiern in den Reihen hockend, würdigte er keines Blickes.

    Kyriakos, der die Gelegenheit genutzt hatte, sein Aussehen in bestmöglichem Einklang zu seinem persönlichen Ideal zu bringen, hatte stehend seiner Abholung geharrt. »Ich bin bereit, Miles.« Als Musterbild eines kooperativen Gefangenen begleitete er seine Wächter durch Rom an den Ort, wo Recht über ihn gesprochen werden würde.

    Kyriakos, der die Entscheidung getroffen hatte, keinen weiteren Anlass zur Klage ob seiner Person zu bieten, ließ sich ohne Gegenwehr in seine Zelle verbringen. Stoisch ertrug er das, was er als großes Unrecht empfand, froh darüber, nicht länger der Obhut des Vigintivir ausgeliefert zu sein. Mit einer solchen Wendung hatte er nicht gerechnet, als er die Münzen zur Überprüfung in die Münzprägeanstalt brachte. Doch der Scriba im Vorzimmer des Prätors hatte Anweisung gegeben, ihm juristischen Beistand zu gewähren.


    So versuchte Kyriakos, von diesem Recht Gebrauch zu machen, als seine Zelle aufgeschlossen wurde, damit er sie betreten konnte: »Miles, in der Basilica verfügte man, mir sei juristischer Beistand zugänglich zu machen. Ich bitte dich um einen Advocatus, um Schaden für meine Person und mein Geschäft abzuwenden.«


    Bei den Cohortes Urbanae war sein Name nicht unbekannt. So hoffte er, dass man sich dessen erinnern und seiner Bitte stattgeben würde. Doch wer vermochte schon zu sagen, welche Pläne während des letzten Jahres innerhalb der Mauern der Castra Praetoria gereift waren und ob Kyriakos noch einen Wert für sie besaß? Kalt strömte die Luft aus dem Inneren der Zelle um seine Füße und ließ ihn frösteln, während er dem Miles unverändert in die Augen sah.

    Im Schrank bewahrte der Eigentümer seine Buchhaltung auf: Es waren Einnahmen-Überschuss-Rechnungen, eine vereinfachte Methode, mit der Steuerpflichtige ihren Gewinn ermitteln, so wie Einkaufslisten, die den täglichen Bedarf der Angestellten und des Lupanars abdeckten. Auch Werkzeug und diverse Baustoffe waren gekauft worden, um die Räumlichkeiten zu renovieren. Bei der Kontrolle würde sich ergeben, dass Kyriakos seine Abrechungen sorgfältig durchführte und Steuern vollständig entrichtete. Doch fehlte ausgerechnet, was die Schergen des ehrgeizigen Vigintivir suchten: Namen. Es war, wie Pollux gesagt hatte, Kyriakos verbuchte die Einnahmen nach Tagen und nicht nach Kunden. Wenn man bestimmte Namen suchte, würde man diese auf anderem Wege in Erfahrung bringen müssen.


    Auch ein Kästchen mit Geld stand in dem Schrank, doch weder nach Material der Münzen noch nach Menge würde es sich hier um den von Kyriakos benannten Goldschatz handeln. Es schien die Kasse für den täglichen Gebrauch zu sein.


    Das spektakulärste Objekt vielleicht war eine hochwertige Maske aus Eisen, eine Halbmaske, die nur Mund und Nase bedeckte. Sie stellte wohl einen Satyrn dar. Dazu gehörte ein eiserner Haarreif mit gleichsam eisernen Minotaurenhörnern, sowie ein schwarzes Gewand. Dabei stand eine Flasche Massiker aus einem der besten Jahrgänge, die ein stattliches Sümmchen gekostet haben mochte.

    Kyriakos stand noch immer vor der Tür, wo man ihn belassen hatte. Warum, das vermochte allein der Vigintivir zu sagen, doch vermutete Kyriakos, es sei, um ihm die Möglichkeit zu nehmen, selbst das Wort zu erheben. Doch hielt er die Ohren gespitzt und sein Gehör war ausgezeichnet. Nun ließ der Magistrat, mit welchem der zürnende Aemilier gesprochen hatte, endlich die Türen öffnen und Kyriakos eintreten. Da stand er nun, bleich, mit wirrem Haar, seiner Kleidung und Würde beraubt, in einem Gefangenenkittel, als sei das Urteil bereits gefällt worden. Und doch - er durfte sprechen!


    »Chaire, Magistrat. Wie ich dem verehrten Vigintivir mitteilte, bin ich Bürger einer PolisNun sprach er schneller, als man es von ihm gewohnt war, um eventuellen Unterbrechungen seitens des Aemilius Secundus zuvorzukommen: »Man drohte, mir den Bauch aufzuschneiden, konfiszierte mein Geld und meine Kleider. Mir wurde ein Gift verabreicht und man hängte mich kopfüber auf. Ich bin Bürger, wenngleich nicht von Rom, so doch von Sparta. Garantiert mir dies keinen Schutz vor einer solchen Behandlung?«


    Er sagte »man«, um den Vigintivir nicht weiter zu reizen, doch hoffte er, es würde ersichtlich sein, in welcher Gefahr er schweben würde, sollte man ihn weiterhin dem Zorn des Patriziers ausliefern, nachdem er ihn derart vor dem Scriba seines Patrons bloßgestellt hatte.


    Es war nicht nötig, Kyriakos zu fixieren. Er stand ruhig da, der Dinge harrend, sein Blick hart und kalt. Jeder etwaige Gedanke an Flucht würde durch seine lahmen Füße ohenhin vereitelt werden. Seine Miene war unverändert grimmig, da er einen fremden und sehr billigen braunen Leinenkittel zu tragen gezwungen war, anstelle seines hochwertigen dorischen Chitons, mit dem er heute Morgen aus dem Haus gegangen war. Das Gleiche traf auf die Sandalen zu, die man ihm übergestreift hatte. Kyriakos verstand dies als einen Versuch, seinem Ansehen vor dem Prätor Schaden zuzufügen, denn jemand in hochwertiger Kleidung wirkte anders als jemand in den Lumpen eines Gefangenen. Augenscheinlich wollte der Vigintivir erreichen, dass man den Kyriakos von vornherein nicht als Gesprächspartner ernst nahm, weshalb er umso aufrechter stand, nur auf die Gelegenheit wartend, den Mund zu öffnen und dem Prätor ausführlich seine Sicht darzulegen.

    Nicht ohne Verärgerung ließ Kyriakos die grobe Waschung mittels Eimer über sich ergehen. Seine Nacktheit empfand er dabei nicht als schamvoll, denn in seiner Heimat war sie nicht im gleichen Maße mit einem Tabu belegt wie es in Rom Sitte war. Wettkämpfe und Übungen zur Leibesertüchtigung fanden in den hellenischen geprägten Regionen stets unbekleidet statt. Doch dass ein Sklave das Wasser einfach über ihn schüttete, nahm er mit tiefem Missfallen zur Kenntnis. Das war weder gründlich noch angenehm. Einzig das Abtrocknen und Ankleiden geschah in respektvollerer Manier.


    Als man ihn hernach erneut fortschliff, machte Kyriakos sich schlaff und schwer, die Verantwortlichen mit Blicken strafend, verzichtete aber auf Gegenwehr. Er hatte mittlerweile entschieden, dem Vigintivir kein weiteres Futter für den Prozess gegen ihn zu liefern, sondern gedachte, durch mustergültiges Auftreten den Prätor von seiner Integrität zu überzeugen. Stoisch nahm Kyriakos also im Inneren des Kastenwagens Platz, der Dinge harrend, die gegen ihn entfesselt worden waren, weil er den Fehler begangen hatte, einem römischen Magistraten Wohlwollen zuzutrauen.


    Als er saß, wandte er sich dem Wächter zu, der ihm am nächsten stand: «Gestattest du mir, den Mitarbeitern meines Geschäfts eine Nachricht zukommen zu lassen, damit sie sich nicht ob meines unerwarteten Verschwindens mit Sorge tragen müssen und das Notwendigste organisieren können? Oder wird der Vigintivir statt meiner ein Schreiben an sie senden? Die Adresse ist das Lupanar Ganymed1 am Clivus suburanus in der IV. Region. Der Eingang liegt nicht an der Straße, sondern ist nur zu finden, wenn man beim Brunnen die schmale Gasse betritt und ihrem Verlauf bis in den Hinterhof folgt. Der Ansprechpartner während meiner Abwesenheit trägt den Namen Pollux.»



    Kyriakos war inzwischen anzusehen, dass es ihm nicht mehr gut ging. Das Gesicht war, obgleich er kopfüber hing, zur Gänze erbleicht. Konnte er Schmerzen beinahe bis zur Bewusstlosigkeit ertragen, so setzte die einsetzende Übelkeit seinem Willen schon sehr früh eine Grenze. Der Versuch, den Mund geschlossen zu halten, um die Münzen sogleich wieder herunterzuschlucken, misslang. Wenig später lagen alle fünf Aurei unterhalb seines Kopfes in einer übelriechenden Pfütze. Längst war der Hellene verstummt, sah man von gelegentlichem Würgen und Ausspucken ab. Weitestgehend ruhig hing er ansonsten von seiner Befestigung, leicht schaukelnd, Haar und Kleidung, zuvor sehr gepflegt, nach der Auseinandersetzung gänzlich in Unordnung geraten.


    Seinen Zorn schien das erzwungende Erbrechen gedämpft zu haben, und er begann sich zu fragen, ob der Vigintivir mit seiner Drohung tatsächlich ernst machen wollte und ihn zu foltern beabsichtigte. Noch immer mochte er sich das nicht vorstellen. Zwar waren ihm Anekdoten über die Härte der Cohortes Urbanae bekannt, doch als Vollbürger einer römischen Polis hatte er sich bisher über ungerechtfertigter Behandlung durch Staatsbedienstete stehend gewähnt. Nun musste er erfahren, dass auch er nicht immun gegen Willkür war. Nicht länger war es die Übelkeit, gegen die Kyriakos kämpfen musste, auch nicht die Wächter des Vigintivir, sondern ein Gefühl, das er schon sehr lange nicht mehr verspürt hatte: Angst.

    Es mochte ihr Glück sein, dass seine Füße nicht mehr zum Zutreten taugten und er seit jenem unglücklichen Tage auch nicht mehr allzu sicher auf den Beinen stand. Kyriakos spuckte und höhnte, als die Wächter ihn mit Gewalt in den Innenhof zerrten. Er stieß mit den Knien nach empfindlichen Regionen und hieb mit seiner Stirn zielgerichtet nach ihren Augenbrauen, Nasen, Lippen und Ohren. Als die Gelegenheit günstig war, versuchte er gar, sich in ihrem Gesicht zu verbeißen. Dabei entfaltete er beträchtliche Kräfte und noch mehr Zorn. Der junge Mann war kaum wiederzuerkennen, als er sämtliche Kräfte mobilisierte, und wer an Götter glaubte, mochte ihnen danken dafür, dass er beiderseits fußlahm war. Die Wächter merkten Kyriakos wohl an, dass er eine professionelle, wenn auch unvollständige Kampfausbildung durchlaufen hatte, obgleich seine Fähigkeiten unter der Behinderung stark litten und er leicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden konnte.


    Am Ende nützte all dieser Kampfesmut nur seinem Stolz und blieb ansonsten ohne Effekt. Seine Kontrahenten waren in der Überzahl und vermochten so viel Verstärkung zu rufen, wie ihnen beliebte. Seine Behinderung trug ihr Übriges dazu bei, ihn dorthin zu verbringen, wo man ihn haben wollte. Als man Kyriakos das Brechmittel einflößen wollte, wurde es jedoch ausgesprochen schwierig. Er bis die weißen Zähne zusammen und wehrte sich jetzt mit aller Macht ohne Rücksicht auf seine eigene Gesundheit. Er spürte weder Schmerz noch Angst, da war nur noch der Wille, es dem Feind so schwer wie nur möglich zu machen und dabei möglichst viel Schaden anzurichten. Ohne starken Zwang würde das Vorhaben nicht von Erfolg gekrönt sein.