Beiträge von Kyriakos

    Wie sehr unterschied sich das Stadtbild von Rom. In Sparta gab es weder Bettler noch leichte Mädchen, die Polis war selbst im Niedergang noch voller Würde. Auch Diebe suchte man vergebens, von der ritualisierten Diebeskunst während der Agoge abgesehen. Die spartanischen Frauen erkannte man an ihrem kurzen Haar und dem Eisenschmuck, denn Edelmetalle waren nicht einmal zur Dekoration erwünscht, geschweige denn als Tauschmittel. Die einzige anerkannte Währung war pures Eisen. War Sparta anfangs noch berühmt für seine Töpferarbeiten und Keramiken, produzierte es mit der Entwicklung zur Autarkie irgendwann nur noch für den Eigenbedarf. Heute fand man weder Import noch Export. Sparta mochte die Außenwelt nicht und wollte mit ihr so wenig wie möglich zu tun haben.


    Auf Kyriakos wirkte die moralisch unanfechtbare Würde seiner Heimat reinigend von seiner alten Sünde und die klare Hochlandluft befreiend. Die Polis stank nicht, im Gegensatz zu Rom. Sparta war durchweg sauber. Kyriakos sollte sein Leben wandeln, sollte aufhören, mit den Händen im tiefsten Schmutz nach Gold zu wühlen, wenn Sparta gänzlich ohne Gold groß geworden war.


    Auf der Agora traf er Kássandros, ganz allein, wie auch früher. Kássandros, dessen Blick er aufrecht begegnete. Der Mann schien vor der Zeit verfallen zu sein, der Zustand seines Körpers und seines Gewands war nicht gut. Mitleid empfand Kyriakos nicht. Er grüßte ihn mit dem Respekt, den sein gesellschaftlicher Status ihm gebot, doch ohne Zuneigung.


    »Kalós órises píso, Kyriakos.« Er winkte ihn zu sich und Kyriakos trat heran an seinen alten Ausbilder und die Geißel aller schönen Knaben. Er war kein Knabe mehr und fürchtete Kássandros nicht länger. Dessen Blick loderte auch nicht mehr vom unerfüllten Verlangen, sondern war trüb. »Du kommst sehr spät, doch es ist gut, dich lebend zu sehen. Wo ist Lýsandros«, fragte er und es überraschte Kyriakos, dass er ihn nach all den Jahren scheinbar noch immer vermisste, während jeder andere froh sein sollte, dass der Zersetzer nicht mehr zugegen war. Das Fehlen dieses Unmenschen schien ihm wichtiger zu sein als die Rückkehr seiner unerwiderten Liebe.


    »Lýsandros ist weit fort, noch immer am Leben, doch er wird weder dich noch andere mehr plagen. Er kommt nicht zurück.« Für jemanden wie Kássandros gab es keine Heilung, dessen faltige Lider sich müde vom Leben schlossen. Doch es war Kyriakos eine Wohltat, diese reinigenden Worte auszusprechen. »Vergiss seinen Namen und sein Gesicht, denn nichts anderes hat er verdient. Auch ich suche jemanden: Zisimos, doch ich konnte ihn nicht finden.« Er war eine jener Personen, an welche Kyriakos sich stets gern erinnerte.


    »Fort«, antwortete Kássandros und seine Müdigkeit wich nun einem Ausdruck von Spott. »Unseres Lebens leid. In der Fremde sucht er einen anderen Weg. Auch er sagte, er würde nicht zurückkehren und ich wünschte, ich könnte dir nun gleichsam empfehlen, ihn aus deinem Gedächtnis zu streichen, doch eines Tages lenkt jeder seine Schritte zurück nach Sparta, und sei er fußlahm. Was ist mit deinen Füßen geschehen?«


    »Das tat mir der Mann an, den du so schmerzlich vermisst. Es war ein Werk von Lýsandros, der sich heute Terpander nennt und ein sehr bequemes Leben nach römischem Brauch führt. Du sehnst dich nach einer Bestie, sein Herz ist das eines Panthers. Auch jetzt noch, da das Schwarz seines Haars verblasst und er seine Mähne ablegte. Er versteht es noch immer, die Klauen in die Herzen der Menschen zu schlagen und sich an ihrem Herzblut zu laben.«


    »Mir ist sein Aussehen gleich, und sei er vollständig kahl. Was zwischen dir und ihm geschah, ist nicht meine Angelegenheit, auch nicht, was er anderen antat oder nicht, und ich werde nicht urteilen. Mir ist er stets willkommen. Doch du wirst wieder gehen, nehme ich an? So richte ihm aus, dass er hier fehlt.«


    »Er fehlt niemandem hier, außer dir. Antío, Kássandros.«


    »Antío, Kyriakos.«


    Wenn es nicht um Lýsander ging, der sein Herz scheinbar auch aus der Ferne noch fest in den Klauen hielt, besaß Kássandros die Gabe, die Menschen zu lesen: Er sollte recht behalten, denn nachdem Kyriakos seinen Sohn im Haushalt seines Vaters Kosmas abgegeben und mit ihm gesprochen hatte, übernachtete er bei Diamantís, besuchte Kimon, um Sparta am folgenden Tag wieder zu verlassen.

    Als er die Mauer passierte, spürte er den Geist Spartas lebendig.


    Bis in hellenistische Zeit hatte Sparta keine durchgehenden Mauern besessen, da die Männer allein die Feinde schreckten. Unter dem Tyrannen Nabis erst war ein Mauerring hochgezogen, von den Achaiern zerstört und wieder von den Römern aufgebaut worden. Längst war es das Imperium, welches die Geschicke Lakoniens lenkte. Eigenwillig blieb Sparta dennoch, noch immer gelenkt nach altem Brauch, aber den Schatten der Eroberer stets spürend. Rom hatte Sparta verschont und damit seinen Ruhm vernichtet. Nicht länger waren sie die Unbesiegbaren, sondern jene, die dank Roms Gnade lebten. Wer hätte gedacht, dass nicht Athen oder Theben, seit jeher verhasst, und auch nicht die Heloten und nicht einmal die Perser dieses halbe Ende bringen würden?


    Sparta hatte sich mit seinem ruhmlosen Schicksal arrangiert, den aufgezwungenen Frieden akzeptiert, hatte die Feldzüge sein gelassen und war ins Dümpeln verfallen. Erging sich in kleinlichen Streitigkeiten, beschwor die große alte Zeit herauf oder eine Zukunft, die niemals eintreten würde. Der Geist der Männer war von innen her ausgehölt. Die innere Leere erzeugte merkwürdige Gestalten, wie Lýsandros und Kássandros, denen ihre großen Namen nicht passten. Ihnen blieb ja nicht einmal die verachtete Dekadenz und so wurden sie verrückt.


    Armes Sparta. Doch kümmerte Kyriakos dies heute nicht. Die römische Bürokratie hatte Sparta noch nicht durchdrungen und dies gedachte er zu nutzen. Die Wege kannte er, die nun erledigt werden mussten. Wenig später war sein Sohn offizieller Sohn von zwei spartiateischen Vollbürgern und das Herz von Kyriakos erfüllt mit Stolz. Nymphis besaß nun auch das Recht an der Agoge teilzunehmen. Seine Zukunft war gesichert.


    Und Kyriakos fragte sich, ob er sich in Sparta zur Ruhe setzen sollte, hier bei seinem Sohn, um endgültig heimzukehren und die Schande Roms zu vergessen.

    Für die angeblichen nunmehr elf Jahre wirkte Nymphis zierlich. Das würde es ihm schwer machen, denn er hatte den Dokumenten nach das Alter überschritten, in welchem die Agoge zu beginnen pflegte. Als Hänfling mochte man ihn ansehen und überfordern. Doch die Straße hatte seinen Sohn früh zu stählen begonnen. An seinem Schmerz würde Nymphis reifen und lernen, der Welt die Stirn zu bieten. Sparta gab ihm, bald gewandet in das Ehrenkleid des Kriegers - Schweiß und Blut - die Würde zurück, die Roma ihm nie hatte zuteilwerden lassen können.


    Das letzte Hindernis, jene elende Frage der Abstammung, würde sein Vater für ihn aus der Welt schaffen. Niemand wusste von dem Bastardsohn aus den Lenden des Kyriakos, den er Sparta eigenhändig entriss und ihn vor den Gesetzen der Polis verbarg. Die Dinge, welche schlecht begonnen hatten, würden korrigiert werden. Kein Zweifel trieb Kyriakos um, der Plan war längst gereift und musste zur Vollendung gelangen.


    An den Kalenden des Mai DCCCLX A.U.C. erschien der spartiatische Vollbürger Kyriakos in den Hallen des Tabularium von Megara, um die Geburt eines Knaben zu melden und ihn als Sohn anzuerkennen: Nymphis, geboren zu Megara in der Provinz Achaia, Sohn des Kyriakos und der Melanippe, Tochter des Myles, spartiatische Vollbürgerin, postpartal verstorben.


    Dies war die Vision der Vergangenheit und die Wahrheit der Zukunft, das Schreiben des Anis von Alexandria. Jene zwielichtige Gestalt, jener parthische Giftmischer, vermochte entgegen aller Skepsis tatsächlich Magie zu wirken. Tinte und Gold waren die Zutaten, aus denen er jede beliebige Zukunft wob.

    Hinab. Der Weg nach Sparta war für Kyriakos ein Abstieg.


    Was für ein Sinnbild, doch die Perspektive narrte den Poeten: Wenn man vom höchsten Punkt des Taygetos kam, musste man zweifelsohne absteigen, wollte man es nicht dem Ikarus gleichtun. Aus den Ortschaften der Umgebung her kommend jedoch war der Weg nach Sparta stets ein Aufstieg.


    Kyriakos rügte den eigenen Hang zur Poesie, seit jeher sein Laster, das von des Serenus lichtem Kuss zur Flamme entfacht worden war. Verschwendung passte nicht zum Selbstbild eines Spartiaten, auch nicht die Vergeudung von Worten. Doch konnte falsch sein, was dem Herz so freudige Regungen entlockte? Irrte Sparta in diesem Punkt? Irrte es je? Die Gedanken von Kyriakos wanden sich wie die Wege des Taygetos. Beim Abstieg ins Tal zur Dämmerstund flutete reines Morgenlicht seinen Geist. Die Luft roch nach Heimat.


    Und doch hatte Kyriakos sich nirgends so heimisch gefühlt wie in den Armen dieses Mannes, dessen wahren Namen er nicht kannte.

    Kyriakos kam zu Fuß und mit leichtem Gepäck aus der Nacht. Der Gipfel ragte hoch vor ihm auf, als die Sterne verblassten. Hinter Kyriakos lag mehr als eine nächtliche Wanderung. Dies war die vorletzte Etappe einer langen Reise, die ihn fort von Roma führte, wo er in Schande lebte und seine Hoffnung auf Rache aufgab, eine Reise zurück zu sich selbst. Der steinige Boden des Peloponnes war seine Schlafstatt gewesen, der rote Wollmantel sein einziger Schutz.


    Von Arkadien her stieg er über den Taygetos. Am Horizont, kaum mehr als eine Ahnung, zeigte sich ein Streifen kalten Lichts. Seine verkrüppelten Füße setzte er bedächtig über den langgestreckten Rücken des Gebirgsmassivs. Der kahle Grat, vom ewigen Wind geschliffen, bildete die Grenze zwischen Laconia und Messenia. Ein Wanderstab, der Speer zugleich ihm war, sicherte die Schritte des Kyriakos und gleichsam sein Leben. Nährte ihn mit Wild und Fisch, denn ein geschickter Jäger brauchte nicht zu rennen. Bei ihm ging, viel leichtfüßiger, sein Sohn Nymphis. Er hatte den Boden der Heimat nie betreten. Sie hatten die zerklüfteten Passagen überwunden, die von den Spartanern für ihre Invasionen nach Messenia benutzt worden waren. Die Erinnerung der Steine war spürbar gewesen und des Bodens, der Blut gekostet hatte. Ob Nymphis gespürt hatte, was sein Vater spürte?


    Ein zarter Schleier aus Schneekristallen wehte von der Gipfelpyramide. Der Taygetos trug eine Krone aus Eis. Sie leuchtet im ersten Sonnenlicht wie Kristall. Kyriakos hat den Aufstieg ohne Schuhe bewältigt. Unter dem roten Mantel war er trotz der Winterkälte nackt. Auch sein Sohn trug nichts anderes. Nymphis war in Rom aufgewachsen, doch sein Vater hatte ihn nicht verzärtelt, er trug nie Schuhwerk und musste der Witterung mit wenig mehr als dem Körper und dem Willen trotzen. Nymphis war geklettert, wie eine Gams von Stein zu Stein gesprungen. Doch nun, da sie den Gipfel sahen, ergriff ihn Ruhe. An der entbehrungsreichen Reise war er körperlich und charakterlich gereift.


    Als sie den höchsten Punkt erreichten, steigt die Sonne über den Horizont. Die Wanderer rasteten, ohne sich zu setzen. Der Lohn ihrer Mühen waren Kälte und Einsamkeit. Sie nahmen sich Zeit, hielten schweigend inne, während der Wind an ihren schwarzen Locken und den gegürteten Mänteln riss. Der Schatten des Gipfels bildete im Westen eine perfekte Pyramide über der Bucht von Messenia. Es schälten sich im Dunkel, strahlend, die Berge Kretas aus der Morgendämmerung. Im Osten aber schlief die Polis in der Finsternis wie ein altes Untier, narbig und besiegt. Erste Morgennebel zogen über das Land, das zu ihrer Zeit nur ein Schatten seiner alten Größe war.


    Nymphis blickte an der Seite seines Vaters in den Abgrund. Vor ihren Füßen fiel der Hang jäh in die Ebene von Sparta ab.

    Ich muss mich in den nächsten Tagen mit dieser ID leider vorübergehend ins Exil verabschieden.


    Das Herz blutet mir bei diesen Zeilen, doch geht es nicht anders und ich möchte meine Spielpartner nicht länger so aufhalten, wie ich es gegenwärtig tue. Unter anderem Namen bleibt der Spieler dem Imperium Romanum treu, doch ist aus Gründen weltlicher Belange im Augenblick eine Rationierung meiner Zeitreserven gefragt. Ich werde, wo man auf mich wartet, noch einen Abschluss verfassen, der sich wohl überstürzt lesen wird, jedoch in meinen Augen eine bessere Variante ist, als einen Strang auf alle Zeiten im Nichts enden zu lassen. Am Ende werde ich einen Post schreiben, der mich zurück in die Heimat trägt. Der Weg wird Kyriakos zurück nach Sparta führen, wo er versucht, seinem Sohn Nymphis zu einem ehrbaren Teil der spartanischen Gesellschaft zu machen. Nymphis ist nun alt genug für die Agoge.


    Kyriakos wird eines Tages zurück nach Rom kehren. Seine Geschichte ist noch nicht zu Ende.


    Ich bedanke mich bei allen Mitspielern für die gut genutzte Zeit, bei den Freunden, die den Weg ebneten und bei den Feinden, die für Spannung sorgten. Besonderen Dank geht an Serapio, mit dem Kyriakos eine unvergleichliche Zeit erlebte.

    Entsprechend des Anlasses von diesem Besuch war der Grieche heute nicht im Übermaß herausgeputzt, sondern trug ordentliche, alltagsgerechte Kleidung im hellenischen Stil. Kyriakos hatte es geschafft, den Klopfer zu übersehen, da in Gedanken er gewesen war, um sich die Worte zurechtzulegen, welche er nun sprach:


    »Mein Name ist Kyriakos. Und ich habe Grund zur Annahme, dass mein Eigentum durch jemanden beschädigt wurde, der in diesem Hause wohnhaft ist. So sich jemand angesprochen fühlt, wäre ich demjenigen verbunden, würde er sich zu einer Unterredung bequemen, um die Angelegenheit auf vernünftigem Wege zu bereinigen.«

    Der Zustand, in welchem sein liebster Lupo Evenor heimgekehrt war, hatte das Missfallen des Kyriakos erweckt.


    Die Schönheit des Jünglings - dahin. Seine Arbeitskraft - passé. Und horchte Kyriakos tief in sich hinein, nahm er den gewalttätigen Übergriff auf den rehgleichen Evenor auch persönlich, denn mit jenem Jüngling umgab er sich gern und genoss bisweilen dessen Nähe auf keineswegs platonische Weise. Eine gewisse Zuneigung fand Kyriakos gleichwohl in seinem Herzen, lauschte er in sich hinein beim Klang des Namens und beim Gedanken an das schöne Gesicht, wenngleich sie nicht an die Tiefe der Gefühle heranreichten, die er spürte, wenn er an Serenus dachte, mit dem er das Herz des weißen Hirschs geteilt hatte.


    Serenus ... sagenhafte Lichtgestalt, fleischgewordener Tagtraum und Herr seines Sehnens. Einen Ersatz für Serenus vermochte Evenor nicht zu bieten, ihm fehlten der Intellekt, der Schneid und die geistige Reife, vielleicht auch die körperliche, denn die Kraft des Serenus war herrlich zu spüren gewesen, wenn Kyriakos die Arme um ihn schlang und sie spielten, als würde er ihn bändigen, wohl erkennend, dass Serenus zurückhaltend agiert hatte, um die Eroberung zu ermöglichen. Doch einen Ersatz für diesen menschlichen Schatz suchte Kyriakos auch nicht, denn einen solchen gab es nicht.


    Dessen ungeachtet war die grobe Behandlung seines liebsten Lupos nicht hinnehmbar. Da Evenors Worten zufolge der trunkene Übeltäter dem Brautzug der Annaei angehört hatte, stand Kyriakos nun hier, um die Angelegenheit persönlich zu klären. Allein war er gekommen, wie es seine Art war beim ersten Treffen dieser Art, um dem anderen die Gelegenheit zu geben, die Sache mit Worten und Münzen zu bereinigen, ehe Kyriakos sich gezwungen sah, andere Wege zu beschreiten.


    Seine Faust schlug mehrmals kurz hintereinander gegen die Porta der Domus Annaea.

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    Evenor


    Ach! Im Unrat der Straße lag der Jüngling, das Gesicht deformiert von grausamer Hand. Von dem einst zarten Antlitz war wenig geblieben, das an den einstigen Liebreiz erinnerte. Die Schwellungen wirkten fatal. Aus dem Reh war etwas geworden, das im Gesicht an eine schiefe Kröte gemahnte. Evenors Schreie wurden schwächer. Die meisten Menschen riefen in der höchsten Not nach ihrer Mutter, Evenor hatte die Namen von Python und Kyriakos gerufen, von Nicon und Satibarzanes, am Ende gar von Castor und Pollux, doch keiner von jenen hatte ihn erhört. Der Gegenwehr nicht mächtig lag das zarte Wesen darnieder und rührte sich nur noch schwach. Was nur sein Fehler gewesen war, das hatte Evenor nicht begriffen. Zunächst schien der Freier doch angetan gewesen zu sein, hatte ihm zärtlich Brust und Gemächt befühlt? Vielleicht war Evenor ja nicht jener gewesen, der sich einst für Salax ausgegeben und nun musste er für die Verwechslung - die doch eindeutig die Schuld des Freiers war! - bitter bezahlen.


    Warum nur, ihr Götter, ach, warum!


    »Bitte hör auf«, so winselte Evenor leis zwischen den Händen hervor, mit denen vergebens er versucht hatte, sein Gesicht vor der Gewalt zu schützen. Hieb um Hieb musste er erdulden. An Gegenwehr dachte Evenor nicht und es war auch anzunehmen, dass sie ihm wenig genützt hätte. Nicht lange mehr würde er überhaupt noch wimmern können, das Bewusstsein schwand ihm unter den gnadenlosen Hieben, als wie zur Antwort ein Schwall von saurem Mageninhalt auf ihn hernieder schwappte, rot vom Wein.

    Die Sitzmöglichkeit stand dem Aedilis Curulis frei zur Verfügung - Evenor war ja bereits im Vorfeld von jener mittels physischer Einwirkung entfernt worden. Der rehgleiche Jüngling drückte sich nun bei Nicon herum, der um diese Zeit noch beinahe nüchtern dreinblickte. Beide beobachteten, wie die meisten anderen, was sich hier zutrug.


    Kyriakos derweil führte den werten Herrn, welcher sich an den Unterlagen interessiert zeigte, in die hinteren Bereiche, wo er die zur Verfügung stehenden Inhalte der Buchführung offenlegte. Sie waren als rudimentär zu betrachten, offenbarten aber, dass die Einnahmen und Ausgaben korrekt aufgeschlüsselt waren. Doch war die steuerliche Abführung "versäumt" worden, was dem Einbruch der Einnahmen nach dem Brand geschuldet war. Die Ausgaben hätten so nicht gedeckt werden können und eine Zahlungsunfähigkeit wäre die Folge gewesen. Auch das offenbarten die Zahlen. Inzwischen besserte sich die Situation jedoch kontinuierlich wieder.


    »Dies war ein schöner Ort«, bestätigte draußen derweil Evenor die Einschätzung des hohen Gasts, damit diesem nicht langweilig wurde. »Die Ruine kommt dem nicht annähernd nahe, was wir hier aufgebaut hatten. Satibarzanes konnte Mosaiken legen. Die Gestaltung des Eingangsbereichs und des Fußbodens stammte von ihm. Ich hatte die Wände grundiert, bevor die Malereien drüber kamen.«


    Wehmütig strich sein Blick über die farbenfrohen Reste, die er mit Nicon versucht hatte, unter dem Ruß freizulegen.

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    Evenor


    »Liebling, was ist nur in dich gefahren? Natürlich bin ich Salax, der Wein verwirrt deine Sinne!« Evenor nahm nicht an, dass seine Lüge fruchten würde, doch unversucht lassen wollte er es nicht. Seinen grob angepackten Arm betrachtete er voll Entsetzen, unfähig zu Gegenwehr. Gewohnt, stets von älteren Männern beschützt zu werden, die sich seiner Jugend erfreuten, in griechischer Manier oder väterlichen Gefühlen folgend, war Evenor allein nun nicht in der Lage, etwas anderes zu tun, als mit aufgerissenen Augen die Grobheit zu registrieren. »Liebst du mich denn gar nicht mehr«, setzte er nach und Glanz stieg in seine Augen. Er konnte sich nicht all seine Freier merken, doch dieser hatte ihn vielleicht während eines emotionalen Rollenspiels als Salax schätzen gelernt. Er gab sich jeden Namen, der den Freiern gefiel, auch wenn es um seine Schauspielkünste schauderhaft bestellt sein mochte. »Möchtest du dich nicht beruhigen und wir gehen nach Hause? Wir machen es uns gemütlich und ich verspreche dir eine Nacht, die du nicht vergisst! Ich möchte doch nur, dass es dir gut geht.«


    Evenor hatte sein ganzes Arsenal der Rührseligkeiten aufgefahren und hoffte, dass irgendetwas davon das Herz dieses Grobians erreichte, dem er ob seiner vornehmen Kleidung solcherlei nicht zugetraut hatte. Innerlich schalt er sich, nicht wenigstens Nicon mitgenommen zu haben. Der war zwar keine Hilfe, doch die Gegenwart eines Beschützers, ob effektiv oder nicht, hätte vielleicht die Grobheit dieses Kunden zu zügeln vermocht.

    Viel hatten sie nicht helfen können. Doch wie es schien, waren die Bewohner des Hauses glimpflich davongekommen. Ihr Hab und Gut war von den Flammen verzehrt worden, doch niemand hatte sein Leben verloren, wenn Kyriakos sich nicht täuschte. Manch einen würde man nach solch einem Ereignis auf der Straße wieder treffen, vielleicht klopfte auch dieser oder jener an seine Tür auf der Suche nach Lohn, Unterkunft und Brot. Man würde es sehen, der Sumpf der Subura war tief, doch nicht sehr groß und man kannte bald jeden und wusste, wer neu gestrandet und wer für immer verloren war.


    Kyriakos nickte in Richtung Straße. Seine Leute sammelten sich und sie kehrten zurück an den Ort, von dem sie gekommen waren und wo Python noch immer vor Angst eingerollt zitterte, beschützt von einem siebenjährigen Jungen, der wie ein Sohn für ihn geworden war, und den doch eigentlich er beschützen sollte. Gern hätte Kyriakos gewusst, welches Geheimnis es war, das Nymphis den Gladiator so lieben ließ anstelle des leiblichen Vaters, der alles für ihn gab, was er zu geben imstande war, doch würde er es nie zu begreifen lernen, zumindest ging er nicht davon aus, dass ihm dies einst gelang.


    Vielleicht, weil Kyriakos´ Herz ebenso an einem anderen Ort verweilte als an jenem hier.

    Kyriakos nickte, vorsichtig Erleichterung verspürend, dass man ihm nicht das Maximum möglicher Sanktionen aufzubürden gedachte. »Die Bücher, natürlich. Möchte sich dein Scriba dazu in meine Räumlichkeiten bequemen?«


    Es erschien Kyriakos unpraktisch, die Unterlagen stehend zwischen Tür und Angel zu inspizieren, aber wenn der Scriba respektive der Aedilis Curulis darauf bestanden, würde er sie auch nach draußen bringen. Allzu viele waren es nicht, denn der Brand war noch nicht allzu lange her.

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    Evenor


    Evenor war scheinbar an einen Volltrunkenen geraten. Oder der Mann fantasierste aus Freude an der Poesie? Auch Kyriakos hatte neuerdings mitunter solche Anwandlungen, die Evenor nicht zu deuten wusste, ihm schien, der Spartiate hätte endgültig den Verstand verloren. Evenor hingegen hatte nie eine Schule besucht und keinen Lehrer gehabt, der ihm die Freude an derlei Dingen hätte vermitteln können. Hoffentlich würde der Kunde keine bedeutungsschwangeren Antworten erwarten.


    »Natürlich erinnere ich mich, wie könnte ich dein Gesicht vergessen?«, log Evenor lächelnd. Doch was sonst noch zu sagen wäre, wollte ihm nicht einfallen. Konversationen ware nicht seine Stärke. Kyirakos hätte das Kompliment des Kunden geistreich erwidern können, aber Evenors Hirn war damit ausgelastet, dem Freier gefällig zu sein, indem er seine Regungen in Gesicht und Körper studierte. Nun betrachtete er ihn auf der Suche nach etwas, das ein Kompliment rechtfertigen würde. »Und deine Augen so blau wie der Himmel!«


    Jetzt konnte der Kunde sich attraktiv fühlen. Evenor zog seinen Kunden ein wenig nachdrücklicher in Richtung einer Caupona, die für ihre gebratenen Lukanerwürste bekannt war. Man konnte sie unkompliziert im Stehen essen und lief keine Gefahr, sich die Kleidung zu bekleckern. Dabei nestelten seine Finger zärtlich an dem Arm, in den er sich eingehakt hatte.


    »Asinias dralle Würste«, versuchte er den Namen zu memorieren. Der tatsächliche Name der Caupona lautete anders, doch Evenor war dieser entfallen. Der Duft gebratenen Fleisches wehte ihnen entgegen, zusammen mit dem würzigen Geruch brennender Holzkohle.

    Viel hatte Kyriakos nicht zu helfen vermocht, doch die beiden Männer standen wieder. Von größeren Verletzungen schienen sie verschont geblieben zu sein, beide wirkten recht vital. Er musste ein Lächeln unterdrücken, als der Medicus das Geld verschmähte. Ihm selbst wäre das nicht passiert.

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    Evenor


    Eine Einladung zu Speis und Trank, das lief viel besser, als Evenor zu hoffen gewagt hatte. Mit einer eleganten Halbdrehung stellte er sich an die Seite des Mannes, um sich in dessen Arm einzuhaken. »Hunger und Durst sollten nach Möglichkeit gestillt sein, ehe man sich dem Stillen des anderen Hungers widmet«, so sprach er weise mit seiner verstellten Stimme, die ihn noch jünger wirken ließ. Ein knurrender Magen oder trockene Lippen sollte man in der Tat vermeiden in seinem Geschäft. Mit einem Augenaufschlag lächelte er seinem Kunden von schräg unten zu.

    »Du erreichst mich auf gleichem Wege, wie ich dich erreichen kann. Der Türsteher mit den Sommersprossen soll unser wechselseitiger Bote sein. Über ein paar Asse mehr wird er sich freuen und über die Abwechslung, so gehe ich nicht davon aus, dass es ihn stören wird, unsere Nachrichten zu übermitteln.«


    Einmal mehr ließ Kyriakos die Hand um den markanten Kiefer seines Gespielen gleiten, griff zu, um ihn auf den Mund zu küssen und nach hinten zu drücken. Beide fielen sie auf den Grund, Kyriakos wälzte sich auf ihn. Noch einmal wollte er Serenus lieben, bevor ihre Wege sich trennten, wollte ihm eine Erinnerung mit auf den Weg geben, die er so schnell nicht vergaß. Das Vorhaben nahm die restliche Nacht in Anspruch. Der Schein des Feuers schälte ihre ineinander verschlungenen Körper aus der Dunkelheit, die sich mal schneller, mal langsamer wiegten, mal zärtlich, mal voll Leidenschaft. Das Knistern verband sich mit ihrem keuchenden Atem zu einer heißen Melodie. Erneut vermählten sich Licht und Dunkelheit in herrlichem Rausch.


    Die Dämmerung vernichtete die Romantik, als sie die schützende Decke der Dunkelheit von ihnen zog. Unwillig hob Kyriakos den Kopf, blinzelte träge in Richtung der Baumwipfel, hinter denen der Himmel aufhellte. Der Aufgang der Sonne war der Untergang der Nacht. Erneut endete ein Traum. Der beginnende Tag verdarb ihre Zweisamkeit und nahm Kyriakos das kurze Glück. Ein diesiges Rosa verwässerte die Farben des Waldes zu einem Matsch. Kein rotes Glühen in der Schwärze mehr, nur ein gräulicher, blasser Ton über allem. Was für ein hässlicher Morgen.


    Müde schlang er sich in seinen roten, abgetragenen Mantel und auch Serenus hüllte seinen herrlichen Körper in zu viel Stoff. Nach der Jagd und der durchliebten Nacht waren die beiden Jäger bleich und erschöpft. Auf der Heimfahrt ließ Serenus es sich nicht nehmen, noch den Tempel von Nemi zu besuchen und ein Opfer an Diana zu bringen, um für den Frevel zu sühnen, denn sie mit dem Erlegen des weißen Hirschs seiner Ansicht nach begangen hatten. Kyriakos verweigerte den Dienst an der Göttin mit dem Vorwand, draußen auf ihre Beute achtgeben zu wollen, wenngleich die Schar der Sklaven ebenso zu diesem Zwecke zur Verfügung stand. Zum Dienst an den Göttern würde er sich nicht hergeben, wenn er es nicht musste. Gäbe es Diana tatsächlich oder würde sie sich für ihren weißen Hirsch interessieren, so hätte sie das Tier ihnen nicht vor den Speer getrieben. Doch der Hirsch war so tot wie jeder andere Hirsch und Serenus und Kyriakos hatten sich sein Herz schmecken lassen. Wenn das nicht Beweis war für die Richtigkeit der Jagd, dann gab es keinen. Kyriakos leckte sich ein wenig die Lippen bei der Erinnerung, wie sie beide nacheinander von dem noch körperwarmen Herzmuskel abgebissen hatten.


    Im Streitwagen fuhren sie hernach in Richtung Roma. Und dann ... hielten sie. Das Klappern der Pferdehufe verstummte. Hier war der Wegschrein, an dem sie sich getroffen hatten. Der Abschied nahte. Hatte Kyriakos zuvor noch Unwillen verspürt, so war das jetzige Gefühl kaum zu beschreiben, als er von dem Wagen stieg. Zu kurz verlief der Abschied. Viel zu kurz.


    Als der Streitwagen mit Serenus aus seiner Sicht verschwand, blieb Kyriakos allein am Wegeschrein zurück. Er gab sich keine Zeit zu trauern. Einsam hinkte er in Richtung Stadttor.



    ~~~ finis ~~~