Beiträge von Adalheidis

    "Und wie wäre es mit einem ganzen Ochsen?", fragte Adalheidis: "Er muss stundenlang in eine Bratgrube, und ja, es ist Arbeit für kräftge Männer, ihn zu drehen, aber das Ergebnis lohnt doch, wenn das Fleisch dann so butterweich ist, dass es von den Knochen fällt...."


    Sie brach ab und sah gen Himmel, weil ihr etwas ungewöhnliches auffiel. Ein schwarzer Vogel, der immer mehr an Höhe verlor, wurde von einem Adler gejagt. Der Raubvogel benutzte den Aufwind, sich höher zu schrauben, und es fehlte nicht viel, dass er sich dann fallen lassen würde, um nieder zustoßen und mit seinen Fängen sein Beutetier zu reißen. Das tat er, erwischte den Schwarzen und flog erneut nach oben, doch dann ließ er das Erbeutete plötzlich fallen. Wie ein Stein stürzte seine Beute... ein Rabe war es....nach unten.

    Rasch öffnete Adalheidis ihre Tunika mit beiden Händen, und das blutüberströmte Federbündel plumpste so hinein, dass einzelne Blutstropfen ihre Arme und ihr Gesicht benetzten.

    Die Germanin beugte sich über das, was in ihrem Schoss gelandet war, und als sie sich wieder aufrichtete, war ihr Gesicht ungewöhnlich düster:

    "Wodans Vogel getötet von einem Adler.", sagte sie:

    "Graius - was tust du denn hier? Was ist in Rom geschehen?"

    Ihre Hand streichelte kurz das schwarze Köpfchen von Maximillas zahmen Raben und schloss ihm die Augen. Er konnte ihr nichts mehr sagen.

    "Frau Octavena, ich muss sofort nach Hause in die Civitas Aquensis.", sprach sie dann: "Ich muss mich mit Lucius bereden. Und vielleicht müssen wir danach nach Rom reisen."

    Unwillig blickte sie drein, als sie das sagte. Sie hatte sich geschworen, jenes Sommerland nie zu betreten. Doch man sollte nie nie sagen, die Nornen spannen das Schicksal, nicht die Menschen.

    Aber dann sprach sie:

    "Du hast gute Kinder mit edlen Herzen, Frau Octavena. Noch sind sie nicht das eine, noch das andere. Wenn sie Zeit haben werden, zu wachsen, wird jeder von ihnen auf seine Weise das Beste von zwei Welten verkörpern."

    Sie wollte die Petronia nicht beunruhigen, doch sie dachte: Und wenn es keinen Krieg gibt! Wenn es nur keinen Krieg gibt!

    "Lebt wohl!", sagte sie. Es fiel ihr diesmal schwer, zu gehen, da sie fühlte, dass sie hätte länger bleiben sollen. Einen Teil ihres Herzens ließ sie bei Ildrun und Farold zurück


    Adalheidis trug einen Cophinus, einen Tragekorb auf dem Rücken, der den Vorteil hatte, dass die Hände frei blieben.


    Bei Petronia Octavenas Worten horchte sie auf. Ihrer Ansicht nach hatten sich in Mutter und Tochter zwei Dickköpfe gefunden, wobei bei Ildrun noch dazu kam, dass sie noch mit sich im Unreinen war, wer oder was sie einmal sein wollte.

    Das sie sich beide sehr liebten, machte die Sache vermutlich noch schwieriger. Adalheidis konnte da viel gleichmütiger sein, wenn Octavenas Tochter aufbrausend war.


    "Ildrun hat deinen starken Willen geerbt, Frau Octavena.“, sagte sie lächelnd:

    „Und sie mag die kleinen Honigkuchen hier vom Markt wirklich sehr. Und Farold wäre über etwas Hausenblasenleim glücklich."

    Dieser sehr gut klebende Leim, wurde aus großen Stören gewonnen, die die Römer in den Donaugewässern fischten und war ideal für die filigranen Bastelarbeiten des Jungen geeignet.


    „Das Olivenöl erster Qualität und das Garum aus Hispania gehen langsam zur Neige.“, erinnerte Adalheidis:

    „Und an welche Speisefolge hattest du bei unserem Gartenfest gedacht? Wenn ich etwas vorschlagen darf, so braucht es dreierlei: Gebackenes, Gebratenes und Gekochtes.“, zählte sie an den Fingern auf:

    "Für Süßspeisen wären Mandeln gut, und Rosenblätter für dieses Getränk, was die Kinder und Damen so gerne mögen: Rhodomel - i.“

    Honig hatten sie durch ihre Bienenstöcke selbst.

    Ein wenig stolz war Adalheidis darauf, dass sie römisch kochen konnte, aber in Germanien waren nicht immer zu jeder Jahreszeit alle gewünschten Zutaten auch erhältlich, und dann musste sie improvisieren.

    "Blaubeeren sind eine hervorragende Wahl.", sagte Adalheidis.

    Der Kuchen würde das werden, was die Römer eine Placenta nannten: groß, rund und knusprig außen, und fluffig innen und noch wichtiger, groß wie ein Wagenrad, so dass der junge Herr Farold seine Großzügigkeit beweisen und ihn teilen konnte, denn teilen zu können, brachte einem vornehmen Germanenjüngling Ehre ein. Die so wohlbestellte Küche, in die hatte Adalheidis einen Blick werfen können, gab es her, nach Herzenslust zu backen und zu kochen, da darin nichts fehlte.

    So ging sie mit den beiden Kindern zurück ins Haus.

    Farold war so aufgeregt, als er seinem Schiffchen nachjagte, und einmal rettete ihn Ildrun ganz beiläufig vor dem Hineinfallen in den Bach, so dass man merkte, wie eingespielt die Geschwister aufeinander waren.

    Adalheidis lächelte in sich gekehrt - sie hätte Farold durchaus ins Wasser plumpsen lassen. Es war ein heißer Sommernachmittag, es würde ihm kein Leid geschehen und eine nasse Tunika konnte man wechseln, doch vielleicht würde der Knabe dann etwas vorsichtiger werden und schauen, wohin er seine Füße setzte.

    Wie gesagt, sie hielt viel von Erziehung durch Erfahrung.

    Seine Lebensfreude aber war wie die eines jungen Fohlens, und als er jubelte und rief: "Gewonnen!", sagte sie: "Ja, du hast gewonnen, Farold Sohn des Witjon. "


    Sie watete in den Bach und fischte ihr eigenes Schiffchen heraus, betrachtete es und schüttelte, als sei sie erstaunt, den Kopf:

    "Weshalb wolltest du dich in den Zweigen verfangen?.", fragte sie es, so wie vorhin der Junge sein Borkenschiffchen angespornt hatte, als sei das Spielzeug ein lebendes Wesen und könne sie verstehen. Seltsam fand sie es nicht, alles um sie lebte doch und atmete und sprach mit ihnen.


    Dann schaute sie die beiden duccschen Kinder an:

    "Nun zum Thema Kuchen. Ich nehme an, Mehl, Eier, Honig , Butter, Tartarstein und Nitrum und eine Molde finde ich in der Küche? Milch in einer kühlen Speisekammer? Vielleicht auch einige dieser Gewürze, die die über den Rhenus herbeigeschafft werden?"


    Adalheidis schätzte die Vielfalt der Spezereien, die die Römer mit ins Land gebracht hatten: Myrte, Pfeffer, Minze und Liebstöckel und wie sie noch alle hießen, und natürlich den eingekochten Traubensaft, das Defrutum, das süsssäuerlich schmeckte und als Honigersatz dienen konnte, wenn man keinen da hatte.


    "Welche Früchte wünschst du in den Kuchen, junger Herr?", fragte sie Farold, während sie in Richtung Küche gingen und wandte sich wieder an beide:

    "Da ich mich auskenne, bin ich ganz und gar auf eure Hilfe angewiesen. Sagt ihr mir, wo ich alles finde."

    Auch hier zeigte sich in Farolds Bemerkung, wie sehr er an der großen Schwester hing, und es war gut, dass er noch so jung war, dass ihn niemand in einen Krieg schicken würde, dachte Adalheidis. Denn die Tatsache, dass alle Bemühungen verstärkt wurden, das Gefolge der Adler aufzustocken, war nicht zu übersehen; kürzlich noch hatte sie Germanicus Cerretanus beim Anwerben neuer Tirones gegrüßt.

    Sie beeilte sich, Ildrun zu folgen, die eine Stelle am Bach für das Bootsrennen ausgesucht hatte; ein gerades Stück mit geringerer Strömung.

    Adalheidis hob den Rock, watete auf die andere Seite und bückte sich mit ihrem Schnitzwerk, das mittlerweile schon arg zerknautscht war. Sie hob den Kopf und ein Netz von Lachfältchen spann sich um ihre Augen:

    "Bereit, junger Herr Farold?", fragte sie:

    "Junge Frau Ildrun, wenn du uns das Signal zum Start geben würdest...."

    Adalheidis nickte, ohne in ihrer Aufmerksamkeit nachzulassen:

    „Geh beruhigt, Frau Octavena“, sagte sie: „Wir werden wohl einig werden.“


    Als die Mutter im Haus verschwunden war, nickte Adalheidis auch dem Jungen zu:

    „Nur ans Werk, Herr Farold“ , sagte sie.

    Der Junge maß mit Blicken ab , was seine Hände zu tun hatten, mit nicht ungeschickten Bewegungen tat er es.

    Geriet das Messer allzu sehr in Schieflage, machte Adalheidis eine Geste, so dass das Werkzeug wieder in seine Position zurück fand. Damit die Borke nicht bröckelte, war Farold vorsichtig.

    Unter seinen Händen nahm der Rumpf bereits Gestalt an. Ein dünner, auf dem Boden gefundener Zweig* eines Fliederbeerstrauchs diente als Mast, auch der musste angespitzt werden. Ein Loch in der Mitte des Rumpfes folgte.

    Adalheidis nestelte ein neues Läppchen aus ihrem Beutel. Sie legte es neben den "Mast":
    „Hast du bestimmt schon die römischen Schiffe auf dem Rhenus gesehen, die kleinen wendigen Liburnen der Flottensoldaten und die Naves Actuariae, ihre Transportschiffe.

    Und die großen Prahmboote, die zivilen Frachtschiffe, die aussehen wie große geflügelte Käfer auf dem Wasser.

    Erinnerst du dich daran, wo der Mast sitzt und wie das Segel aussieht?“


    Adalheidis sprach von den rechteckigen Rahsegeln, die quer zur Kiellinie gesetzt waren, denn nur solche Römerschiffe gab es im Norden** Sie selbst hatte ein eher dreieckiges Segel aus dem Läppchen gerissen, da in alter Zeit die Segel aus Lederstreifen ***gewesen waren. Farold konnte hier ganz seinem Erfindergeist folgen.


    Während er nachdachte, wandte sich Adalheidis an Ildrun:

    „Ich bin fremd bei euch, könntest du mir bitte eine Stelle am Bach zeigen, an dem wir unsere Borkenschiffchen ausprobieren können. Wir werden sehen, wer der bessere Schiffsbauer ist, und der Gewinner bekommt heute Abend einen Apfelkuchen. “, sagte sie.


    Ildrun hatte ihren jüngeren Bruder lieb, und Adalheidis sprach zu ihr wie zu einer anderen Erwachsenen, die beide einem Knaben eine Freude machen wollten. Aber von noch etwas klang in ihren Worten an: Die einfachen Freuden einer Kindheit, wenn man in Sicherheit war und keine Gefahr drohte.


    Sim-Off:

    * Adalheidis würde nie einen Zweig eines Hollerbusches brechen **Lateinersegel gab es auch schon, jedoch im Mittelmeerraum ** Tacitus beschreibt ähnliche Ledersegel

    „Dann weiß ich Bescheid“, sagte Adalheidis gelassen: „Ildrun und Farold.“, sprach sie leise beide Namen aus, und dann setzte sie sich mit unterschlagenen Beinen dorthin, wo auch Ildrun saß, hielt aber mehr als eine Armlänge Abstand.


    Da Frau Octavena es erlaubt hatte, holte sie ihr eigenes Schnitzmesser hervor. Es maß ungefähr drei römische Handbreit im Ganzen, wobei die Klinge einen guten Palmus einnahm, der Griff war aus Eibe, die Klinge gerade und schlank.

    Man sah ihm an, dass es schon lange in Gebrauch war, aber schartig war es nicht, da Adalheidis es regelmäßig nach Gebrauch trocknete, wetzte und ab und zu ölte. Sie nahm die restliche Borke aus ihrem Beutel.


    „ Niemals mit einem Messer hantieren, wenn du keinen festen Stand hast, Farold“, sagte sie zu dem Jungen, der die Hand der Mutter losgelassen hatte und auf sie zugegangen war:
    „Setz dich aufrecht hin.“ und:

    „Halte Abstand zu deiner Schwester, um sie nicht versehentlich zu schneiden, falls du mit dem Messer abrutschen wirst.“


    Sie schob ihr Werkzeug Farold vor die Füße:

    „Versuchs“, sagte sie und legte ihr eigenes Schiffchen vor ihn hin, dabei passte sie aber genau auf, wie Farold das Messer fassen würde, um ihn notfalls zu korrigieren.


    Sie hielt viel davon, durch Versuch und Irrtum zu lernen. War das Kind aufmerksam, würde es versuchen, die Form des Rumpfes mit dem abgeschnittenen Heck und dem spitzzulaufenden Bug nachzuahmen .

    Es schadete aber nichts, wenn es schief ginge, Borke gab es schließlich genug.

    Nur ernstlich verletzten sollte sich Frau Octavenas Sohn nicht. Schneiden würde er sich jedoch, jeder schnitt sich früher oder später. Auch Adalheidis hatte einen Fingerbreit über ihrem Handgelenk eine halbmondförmige Narbe von ihren ersten Schnitzversuchen als Andenken.

    Und in Geduld würde er sich üben wie jeder, der sich eine neue Fertigkeit aneignete. Aber der junge Herr Farold schien keiner dieser ungeduldigen Knaben, die tobten, wenn sie ihren Willen nicht sofort bekamen, zu sein.

    Die Villa Duccia war wohlbestellt, das bemerkte Adalheidis, es fehlte nicht an ordnenden Händen. Die Angestellten sahen zufrieden aus, ihre Kleidung war sauber, sie waren wohlgenährt, und sie waren freundlich. Der neuen Haushälterin gefiel alles außerordentlich gut.

    Die Besichtigung wurde im Garten, in dem das Leben summte und krabbelte, beendet. Helles Lachen klang zu ihnen herüber.


    Sie sah das Mädchen mit dem Wolf auf dem Boden sitzen, wie ein Bild aus jener fernen Zeit, als die Menschen ihr Bündnis mit ihren Wolfsbrüdern noch nicht gebrochen hatten. Ein Knabe streichelte seinen Rücken, das Mädchen lachte laut, während das Tier ihr das Gesicht leckte….


    Adalheidis blinzelte gegen die Sonne. Da sprach Frau Octavena auch schon „Es ist genug!“, und als sie einen Pfiff ausstieß, verwandelte sich das Bild in eine ganz alltägliche Szene: Das waren die zwei duccschen Kinder, die einen Wachhund streichelten, ein großes, gefährlich aussehendes Tier. Der ließ sich das gefallen und wirkte recht entspannt, doch die Mutter regte sich auf und schickte ihn fort.


    Das Mädchen blieb sitzen und murmelte etwas mit gekrauster Stirn, während der Junge aufsprang und bei Frau Octavena Schutz suchte, als er der Fremden gewahr wurde.

    Die Petronia stellte erst Adalheidis den Kindern und dann ihre Kinder Adalheidis vor. Die Germanin ließ ihre blauen Augen einen Moment auf beiden ruhen, etwas nachdenklicher auf dem Mädchen.


    Dann sagte sie:„Nennt mich Adalheidis. Und ihr beide, wie wollt ihr von mir genannt werden, Quintus Duccius Firmus und Duccia Camelia oder Farold und Ildrun?"


    Adalheidis betrachtete nun Farold, und ihr kam ein neuer Gedanke. Sie würde ihm kein Schiffchen machen, er war genau im richtigen Alter, so schien es ihr, den Umgang mit einem Messer zu üben.

    Er würde selbst eines fabrizieren, und sie hatte ihres schon; es würde ein Wettstreit, ein Schiffrennen werden.

    Ildrun jedoch war fast schon eine junge Frau. Sie würde kindlichen Vergnügungen nachgehen, da sie sie mit ihrem Bruder teilen konnte. Aber das würde sie nicht immer wollen. Mit ihr musste man behutsam sein, das ganze Mädchen hatte etwas Eigenwilliges und Stolzes an sich. Ildrun war sicherlich nicht leicht zu gewinnen.


    Adalheidis hatte es damit allerdings auch nicht eilig. Sie schaute zu Petronia Octavena, denn sie hatte in allem das letzte Wort. Und sie war eine vorsichtige und wachsame Mutter.:

    „Frau Octavena, dürfte der junge Herr ein scharfes Messer führen?“, fragte sie.


    Ildrun – Duccia Camelia, dachte Adalheidis, dies ist also der Name des Mädchens, und es war Krankheit, die ihr den Vater nahm, nicht die Hand eines Mörders. So wird sie vielleicht das böse Geschick, aber noch keinen Menschen hassen. Es war noch nie gut, die Jungen den Hass zu lehren und darauf zu warten, dass in der nächsten die Rächer für die vergangene Generation heranwuchsen.


    Auf dem Gesicht der Petronia Octavena spiegelten sich einen Moment Trauer, bevor sie zu ihrer Haltung zurückfand. Beide Frauen im duccschen Hause hatten diese stille Würde an sich.

    Dann sagte sie, dass Adalheidis hier arbeiten könne, und dass sie ihr die Kinder vorstellen und die Küche zeigen wolle.

    „Es ist mir eine Freude, Frau Octavena“, nickte Adalheidis: „Bitte verfahre so wie du gesagt hast.“


    Frau Duccia Venusia erwähnte derweil, dass sie früher nach ihrer Zeit an der Ems in der Provinz Britannia sich aufgehalten hatte, und als sie den Namen dieser Lande nannte, glitt auch über ihr Gesicht der Schatten einer ereignisreichen Vergangenheit.


    Als sie Lucius einen weisen Herren nannte, schmunzelte Adalheidis. Der Römer und seine germanische Vilica hatten ja beinahe wie ein altes Ehepaar zusammengelebt, nachdem sie sich über die Jahre zusammengerauft hatten. Beide waren nicht mehr jung, und Adalheidis war nie ein im landläufigen Sinne hübsches Mädchen gewesen, das passte gut zu dem nach außen hin so knurrigen Römer.

    „Er ist ein gütiger Mann.“, bestätigte sie.


    Dann wartete sie ab, denn sie bemerkte wohl, dass Duccia Venusia und Petronia Octavena noch einen Moment zu reden hatten.

    Hätte sich Adalheidis in der Küche schon ausgekannt, hätte sie derweil schon eine nützlich Arbeit verrichtet, denn es war mitten am Tag, und die Germanin saß für sie ganz ungewohnt bereits über eine Stunde in einem Stuhl, ohne einen Finger zu rühren.

    Hispania war eine ferne Provinz, noch weiter weg als ihr Sommerland, aus dem die Römer kamen. Aber es war auch Rom, so wie alles Rom war, so viele Tagesreisen man nach Süden oder Westen unternahm.

    Und dennoch war Germania nun das Zuhause der römischen Dame, und sie hatte die meiste Zeit ihres Lebens hier gelebt.


    „Ich wurde als ganz junges Mädchen, ein Kind noch, von Männern der Ingaevonen mitgenommen, die auf Raubzug waren. An meine Eltern erinnere ich mich kaum noch.“, erwiderte sie:

    „Ich kam dann noch in andere Hände, bis meine Herren später, die nicht mehr als Iatrunculi, kleine Räuber, waren, einen Trupp Römer überfielen, das war in der Gegend des Anfang des Limes. Sie wurden getötet, und ich wechselte erneut den Herren. Praepositus Lucius Valerius Maximus beanspruchte mich als seine Beute und rettete mir damit das Leben.“


    Sie dachte wieder einmal daran, dass es in jedem Volk anständige und weniger anständige Menschen gab. Weder waren die Germanen alle blonde edelmütige Freiheitskämpfer noch die Römer alle blutdurstige gierige Eroberer. Wenn sie etwas während ihrer Odyssee gelernt hatte, dann war es das:

    „Meine Geschichte begann vielleicht traurig, aber das soll euch nicht betrüben, ihr Frauen, denn sie endete fröhlich:

    Ich lebte lange mit meinem römischen Herren Lucius in der Civitas Aquensis, er ließ mich später frei, und immer hat er es so gehalten, dass er mir in allem vertraute, was seine Angelegenheiten betraf. Er versteht, dass ich ab und zu auf Wanderschaft gehen muss."


    Nun strahlte sie ganz und gar, denn Lucius hatte sie sehr gerne, dann sagte sie immer noch lächelnd, aber ernst:

    „Es ist gut, dass deine Tochter eigenwillig ist, Frau Octavena, das mag sie davor bewahren, zu verzweifeln. Sag mir, wie ist ihr Vater gestorben und war sie denn anwesend?“


    Ohne sie zu kennen, spürte sie, dass sie es etwas zu den beiden fremden Kindern hinzog, etwas, das tiefer lag als nur ihre Zuneigung zu Kindern.

    Adalheidis fand das Nachfragen wie gesagt nicht befremdlich, da sie auch nichts zu verbergen hatte, was ihr Leben betraf, und sie würde über alles freimütig Auskunft geben. Und die Dinge, die in der Tat verborgen bleiben mussten, wurde sie selten gefragt, denn dann hätte man von ihnen etwas ahnen müssen.


    "Ich freue mich auch, euch kennen zu lernen, ihr Frauen.", erwiderte sie und nickte auch Ilda wieder freundlich zu, die ein Tablett hinstellte: "Ich danke dir" -

    "Ja, eigentlich heißt es Apalahaiduz*,aber das war für meinen römischen Herren zu schwierig auszusprechen." erklärte sie:

    "Ich wurde in der Nähe des Flusses Eidora als eine Myrginge**, eine von den Sumpfleuten, geboren. Doch ich blieb nicht lange an meinem Geburtsort. Ein anderer germanischer Stamm nahm mich mit, als ich ein Mädchen war.


    Du stammst aus den Landen, die die Ems durchfließt, Duccia Venusia? Und du auch, Petronia Octavena?"


    Sie schaute beide Frauen an:


    "Das ist sehr weit fort von Mogontiacum. Die Römer haben eure Familie hochgeehrt für ihre Taten, Segen war mit ihnen.",


    Als Venusia nun strahlte, war das, als bräche ein Sonnenstrahl zwischen Wolken hervor, und Adalheidis gab das Lächeln zurück:

    "Ich habe hier einen Bach gesehen, auch hier müsste es möglich sein, Borkenschiffchen schwimmen zu lassen.", sagte sie:

    "Es verspricht ein schöner, heißer Tag zu werden. Wenn es in Ordnung ist, würde ich nach getaner Arbeit mit den Kindern dorthin gehen.",

    das sprach sie zu Petronia Octavena, die die Mutter der Kinder war.

    Damit würde sie hoffentlich die Erwachsenen entlasten, und die Kleinen rechtschaffend müde machen.


    Sim-Off:

    * Protogermanisch: etwa Von edler Art **Myrginge


    Für Adalheidis war es normal, dass man jemanden, den man sich ins Haus holte, tüchtig ausfragte, daher war sie natürlich bereit gewesen, Auskunft über sich zu geben. Aber Petronia Octavena fragte nicht nach. Offensichtlich war sie ein Mensch, der abwarten konnte, das gab es nicht allzu häufig.

    Eine zweite Hausherrin kam nun dazu, eine Frau, die einheimisch aussah, doch einen römischen Namen trug: Duccia Venusia.

    "Salve Duccia Venusia", sagte die Germanin daher und schenkte ihr einen genauen Blick. Sie sah ihre würdevolle Haltung, doch in ihren Augen eine tiefgründige Traurigkeit, die selbst diese prächtige Natur auf diesem blühenden Anwesen nicht wesentlich lindern konnte.

    Beide Frauen waren auf ihre eigene Weise traurig, und das obwohl sie alles zu haben schienen, was Besitz nur hergab. Adalheidis war noch nie in einem Haus gewesen, das so alt und ehrwürdig war, und das Geheimnisse in seinen Mauern und auch in dem Beziehungsgeflecht seiner Einwohner barg.

    Sie schaute von der dunklen Octavena zur blonden Venusia:

    "Adalheidis ist richtig.", sagte sie mit einem breiten Lächeln: "Wenn ihr etwas von mir wissen wollt, fragt ruhig. Das Borkernschiffchen habe ich mit Materialien gemacht,die ich auf dem Weg gefunden habe, das ergab sich gerade so." Sie hatte es immer noch auf ihrem Schoss.

    Auch Adalheidis erinnerte sich an das Gartenfest, aber noch mehr daran, dass Petronia Octavena mit ihrem Mann dort gewesen war. Sie hatte die gute Organisation und das Essen freundlich gelobt. Sie hatte glücklich gewirkt.

    Es war einer jener Feste gewesen, die in der Erinnerung später zum Vorabend anderer Ereignisse werden; es wurde gegessen, getrunken und sich unterhalten, und kurze Zeit darauf waren viele der Anwesenden nicht mehr am Leben.


    "Das klingt perfekt, und ich habe großes Glück.", sagte sie lächelnd: "Zeig mir nur die Küche. Und Kinder, die tausend Ideen im Kopf haben, die möchte ich zu gerne kennen lernen."


    Jetzt verstand sie, warum sie hier war.

    Einen Moment wurde ihr Blick sehr weich. Sie hatte nie eigene Kinder bekommen können, aber sie hatte Maxi, die Tochter ihres früheren Herren groß gezogen, die nun für ihr Volk eine Weise Frau war. Adalheidis hatte Kinder lieb. Sie würde sich gerne um sie kümmern.

    Manchmal brauchten auch die Erwachsenen, dass sie sich kümmerte, doch das war schwieriger, und man musste behutsamer vorgehen als bei den Kleinen.

    Adalheidis hatte sich bei Ilda, die sie in das Peristyl geführt hatte, bedankt und sich in einen der Korbsessel niedergelassen. Ihr Bündel stellte sie sich zu Füßen, das Borkenschiffchen legte sie in ihren Schoß.

    Die Hausherrin, die nun eintrat,war noch jung, eine schlanke, braunhaarige Römerin. Sie sah ihre Besucherin an und runzelte kurz die Stirn, nicht aus Missbilligung, sondern als würde sie versuchen, sich an etwas zu erinnern. Adalheidis erster Eindruck war, dass Petronia Octavenas wachem Blick nicht viel entging, als sie sie auch schon begrüßte.


    "Salve Petronia Octavena", sprach Adalheidis: "Ilda hat recht gesprochen. Ich suche in der Tat Arbeit, deshalb bin ich gekommen. Mein Name ist Adalheidis. Ich war bisher einige Zeit Haushälterin bei Germanicus Cerretanus in der Casa Germanica auch hier in Mogontiacum. Ich arbeite immer nur für Kost und Logis, Geld brauche ich nicht."


    Sie lächelte nun Petronia Octavena an, fast still vergnügt:

    "Was wäre meine Aufgabe? Und bitte frag mich, Petronia Octavena, was immer du wissen möchtest."


    Und mit wem werde ich Schiffe schnitzen? Mit wem werde ich Kohlemännchen bauen und Tiere aus Tannenzapfen? Und wer...wird mich beim Nüssespiel schlagen?, dachte sie.

    Adalheidis lächelte die junge Frau, die ihr die Tür öffnete und noch einen Besen in der Hand trug, an.


    "Salve", gab sie zurück: " Ein wunderschöner Tag heute, nicht wahr? Mein Name ist Adalheidis, und ich suche nach einer Anstellung als Haushälterin oder auch Magd. Bitte führe mich zur Hausherrin."

    Borkenschiffchen II


    Von der Casa Germanica >>>


    Adalheidis verließ die Stadt in südliche Richtung und wanderte eine ganze Weile die Via Borbetomaga entlang. Von den Gräberfeldern, die sich dort erstreckten, wandte sie die Augen ab. Sie hatte keinen Streit mit den Manen.

    Als sie das Torhaus sah, das ein Latifundium bewachte, sackte sie etwas zusammen und senkte den Kopf, als sei sie um Jahre älter und nur ein Bettelweib.

    Demütig und ängstlich nickte sie dem Wächter aus Fleisch und Blut zu, der die unscheinbare Besucherin durchließ.


    Nun betrat sie dieses Latifundium, das prächtig und weit ausgedehnt war.

    Sie erblickte Heuschober, Scheunen, Dielen und Ställe für Kleinvieh. Es gab wohlbestellte Obstgärten, Getreidefelder, Viehställe, Gemüsegärten und einen Wildgarten mit hohen Bäumen.

    Da der Frühling nun auch Germania mit all seiner Macht erreicht hatte, blühte alles, und das pralle Leben schien zu summen, zu krabbeln und zu zwitschern.
    Von Ferne drangen die Rufe der Arbeiter und die Arbeitsgesänge der Mädchen an Adalheidis Ohr.


    Die Germanin schmunzelte etwas, als sie den Bach erblickte, der vom Nordwesten her floss, da gab es ja Wasser für viele Borkenschiffchen.


    Ein Hauptweg führte direkt auf ein imposantes Gebäude zu, welches eine Mischung aus einer Römervilla und einem germanischen Gehöft war. Es besaß eine hölzerne Frontseite mit einem großen Haupttor, doch ein steinernes Fundament, und zwei Wohntürme je einen zur Linken und zur Rechten.

    Einer der Torflügel zeigte die Schnitzerei eines germanischen Edlen, der dem geschnitzten togatragenden Römer auf dem anderen Torflügel die Hand reichte.

    Auf dem Giebel des Tores erblickte Adalheidis einen Wolf, der mit einer Schlange rang.

    Hatte Lucius ihr nicht zuweilen gesagt, sie würde dem Ruf des Wolfes folgen? Also war sie richtig.


    Adalheidis wusste nicht, wer hier genau wohnte, aber das würde sie gleich erfahren, daher war sie ganz gelassen.

    Immer noch stand sie in gebeugter Haltung da, als wäre sie ein armseliges bescheidenes Mütterlein. Dann richtete sie sich auf, holte ihr bestes Tuch, das aus königsblauer Wolle aus ihrem Bündel und legte es sich um ihre Schultern. Nun merkte man erst, wie hochgewachsen sie war.


    Adalheidis hob die Hand und klopfte an die eindrucksvolle Porta der Duccia.

    Borkenschiffchen


    Das Fest im Garten war mit Gesang und Lachen zu Ende gegangen. Was immer auch Germanicus Cerretanus Schicksal sein würde, die Nornen spannten für ihn einen anderen Faden als für Adalheidis. Sie wurde nicht mehr benötigt.

    Maxi hatte ihren Weg gefunden, und Lucius hatte wieder hergefunden. Die Ordnung war wie ein Spinnenetz, kreisförmig umgab es die Welt.

    Adalheidis hatte ihr Bündel gepackt. Trotz ihres Alters hielt sie sich sehr aufrecht, als sie nun die Casa Germanica verließ... dem Forum zu. Sie ließ sich treiben, ließ zu, dass ihre Schritte sich von alleine lenkten.


    Unterwegs bückte sie sich, hob ein Stück große Rinde auf. Mit ihrem Messer stieß sie ein Loch in die Mitte, ein zweites an den Rand. Die Rinde war nicht brüchig und spaltete sich nicht. Ein Stöckchen steckte sie in die Mitte, nachdem sie es ein wenig eingekerbt hatte. Sie nahm ein Fussläppchen aus ihrem Bündel, faltete es mittig und riss ein dreieckiges Segel heraus. Mit einem Faden band sie beide nebeneinander liegende Zipfel an das Stöckchen, den dritten Zipfel spannte sie mit einem Faden durch das zweite Loch.

    Das alles tat Adalheidis im Gehen.


    Sie ging weiter, über die Via Borbetomaga hinaus aus der eigentlichen Stadt, sie war gut zu Fuß, und es war erholsam, einmal wieder die Stadtmauern zu verlassen.

    In ihrer Hand hielt sie das Spielzeug. Sie hatte ein Borkenschiffchen gebastelt. Es musste für jemanden bestimmt sein, doch noch wusste Adalheidis nicht, wem sie es schenken würde.

    Adalheidis, ihre Küppe auf dem Rücken, in der schon ein Bündel weißer Rüben schlummerte, trat ein und grüßte die dunkelhaarige Sybille:

    " Salve, welche Art Farben gibt es hier?", fragte sie und schaute die junge Frau durchdringend, aber freundlich an.

    Adalheidis, die einen Brief schreiben wollte, kam am Rekrutierungsbüro vorbei, indem wie sie wusste, Germanicus Cerretanus saß um tirones anzuwerben.

    Drei junge Männer interessierten sich schon und gingen zum Eingang.

    Einen kannte sie. Der hatte eine germanische Freundin. Falls er sich verpflichtete, würde er ihr nachher sagen, dass er selbstverständlich so in zwanzig Jährchen wiederkäme, um sie zu heiraten. Römische Soldaten konnten keine legale Ehe eingehen. Das erforderte Geduld bei allen Beteiligten. Manchmal gab es schon eine beträchtliche Kinderschar, bis der Vater sie endlich alle legitmierte, und seltsamerweise waren gerade diese Beziehungen manchmal erstaunlich langlebig.


    Adalheidis wandte sich in Richtung des Ladens des Patiscus, nicht ohne zu lächeln. Vielleicht schaute Cerretanus zufällig hoch und erkannte sie ja.