Beiträge von Sisenna Seius Stilo

    Wir werden siegen, weil wir die Geduldigeren, und weil wir die Unschuldigeren sind.


    Ein weiterer Satz, den Stilo in seinen Gedanken wälzte wie einen rohen Teig, auf der Suche nach Verstehen. Doch er verstand ihn nicht. Die Worte waren klangvoll, doch ergaben sie auch Sinn oder waren sie Blendwerk? Der fremde Glauben erschien ihm fremdartig, bizarr. Doch gab es scheinbar viele, die in den kryptischen Lehren trotzdem ihr Heil zu finden glaubten. Warum? Vor ihm lag das große Unbekannte.


    Während seine beiden Männer hinter Eudoxus hertrotteten, um die Tür von außen zu verriegeln, saß Stilo noch lange in der Dunkelheit und dachte über ihr Gespräch nach. Das Licht hatten sie mitgenommen. Um einen Feind besiegen zu können, musste man ihn verstehen. Stilo würde dem Eudoxus zuhören, er würde lernen. Und es würde nicht der Schaden des Eudoxus sein, wenn sie eine gemeinsame Sprache fanden.


    Er legte den Kopf schräg und seine Gedanken verirrten sich.

    "Ob ich je gelebt habe? Ich bin Soldat, Eudoxus. Finsternis und Eisen sind mein Geschäft. Und doch kennt niemand das Leben besser als ich. In Cappadocia sind wir durch Wind und Staub marschiert, halb blind von der gleißenden Sonne. Blut hat die Steppe getränkt, aber es war nicht mein Blut, denn ich lebe, und andere nicht mehr. Im Sommer haben wir uns, wenn wir zechten, Kronen aus Gras und grünem Weizen geflochten, denn woher sollten wir die Blumenkränze nehmen. Der Wein war billig, sauer und dünn, doch wenn man gemeinsam trinkt, schmeckt er besser. Wir haben vor den brennenden Gräbern jener gestanden, die es nicht schafften, ihren Rauch und ihre Asche auf der Zunge geschmeckt. Und wir haben um sie geweint und anschließend gefeiert, dass wir selbst noch hier sind.


    Es gibt irgendwo immer ein einsames Mädchen, das auf seinen Helden wartet. Ihre Gesichter und Namen ... bedeutungslos. Du kleidest die Begegnung in schöne Worte, vielleicht fühlst du tatsächlich so. Für mich aber ist es Routine, wie essen, trinken, schlafen. Ich pflücke sie wie reife Äpfel. Spannend sind nur jene Spiele, die einen Kopf und Kragen kosten können, verbotene Begegnungen. Die anderen ... Schatten im Nebel."


    Spiele wie dieses, denn Stilo hatte längst beschlossen, dass das Schicksal des Eudoxus nicht Rom dienen würde, sondern ihm. Und vielleicht hatte der Christ recht, wenn er fragte, ob Stilo hier unten noch sein Leben spürte. Die Zeiten waren trist, wenn er Dienst in der Dunkelheit schob, doch manchmal spürte er sein Blut noch in den Adern rauschen ... in Momenten wie diesen, in denen der graue Schleier sich lüftete und ein Licht hindurch schien.


    "Du erinnerst mich an diese Mädchen, Eudoxus, denn auch dein Retter, dein HERR, wird dich enttäuschen. Am Ende bin ich es, in dessen Händen dein Leib und dein Leben liegen. Aber das wirst du noch lernen. Und dann, wenn du gründlich über all diese Dinge nachgedacht hast, reden wir erneut."


    Er lehnte sich zurück, sein Gegenüber betrachtend, die Freude verbergend, die er spürte, da er nicht wusste, wie die Dinge sich entwickeln würden. Für heute setzte er den letzten Zug.


    "Geh nun zurück in deine Zelle. Und schließe hinter dir die Tür."

    "Komm", befahl Stilo dem Mann, ohne irgendeine Erklärung zu geben. Ob Calvus nun eine Strafe erwartete für seine Klagen oder die fehlende Demut seiner Frau, oder irgendeine willkürliche Schikane, die aus der chronischen Langeweile der Prätorianer resultierte, die hier unten ihren Dienst versehen mussten, oder gar eine plötzliche Freilassung, weil irgendjemand ein Einsehen gehabt hatte - Calvus würde kaum erahnen können, was nun geschah.


    Oder vielleicht doch, falls er das morbide Spiel durchschaut hatte, die Regeln und das Muster, nach dem der selbsternannte Gott dieser Gemäuer vorging, um seine Gefangenen zu brechen.

    Pansa brachte dem dicken Didi eine Tunika, die ihm besser passen würde. So sauber, noch nach dem berüchtigten Bleichmittel riechend, das ein Kennzeichen neuer weißer Tuniken war, wirkte sie hier unten fehl am Platz in den Händen des imposant gebauten Prätorianers. Stilo, der selbst muskulös gebaut war, wirkte neben Pansa durchschnittlich. Nachdem sein Kamerad die neue Tunika durch das Türchen in der Zellentür gegeben hatte, quoll noch etwas weiches hinterher. Immer größer wurde es, wackelte beim Stopfen beinahe wie ein Tier, das sich ins Innere zwängte. Am Ende fiel ein Kissen in die Zelle.


    "Der Gefangene ist hier schon sehr lange", murmelte Pansa leise. "Das ist doch ein römischer Bürger. Geht das überhaupt?" Für Mitleid war Pansa eher nicht bekannt, der mit sadistischem Vergnügen sogar seine eigenen Kameraden schikanierte. Aber das Schicksal des römischen Bürgers, der aus einem ehrenwerten Haus stammte, schien etwas in ihm zu bewegen. Vielleicht die Erkenntnis, dass auch ihn sein Status als Bürger am Ende kaum schützen konnte, wenn jemand wollte, dass er aus der Öffentlichkeit verschwand.


    Stilo tätschelte ihm den gewaltigen Bizeps und wandte sich zum Gehen. "Du denkst zu viel über Dinge nach, die uns nichts angehen. Bei uns liegt keine Verantwortung für das hier. Komm."


    Besorgt blickte Pansa noch einmal in Didis Richtung, dann folgte er Stilo auf ihrem weiteren Kontrollgang durch den finsteren Carcer.

    Stilo ließ einige Augenblicke vertreichen, in denen er weder etwas sagte noch tat, weil er über das Zitat nachdachte. Er betrachtete den Jüngling, ließ ihn nicht aus den Augen. Sein Geist indessen prüfte die Syntax des Gesagten und die semantische Strutkur auf der Suche nach dem Sinn. Nachdem er probehalber einige Worte umgestellt und wieder zurück an ihren Platz gesetzt hatte, ohne dass dies etwas an seiner Einschätzung änderte, fühlte er sich merkwürdig leer. Etwas schien ihm zu fehlen, dass zur Vervollkommnung des Sinnes fehlte. Historisches Hintergrundwissen? Die Erkenntnis einer metaphorischen Doppelbödigkeit? Nachdenklich musterte er Eudoxus, der wieder klug und sanft geworden war.


    Doch in dem Moment schrie Eudoxus ihn an, ja, flehte! Dort, wo in Stilo die Leere des Nichtverstehens klaffte, ein gähnendes Vakuum, wurde Eudoxus die überlaufende Fülle, eine schäumende Flut von ... von was? Was war das?!


    "Ich spreche mit dir, Eudoxus", antwortete Stilo, dessen raue Stimme nun heiser klang, "und ich höre dir auch zu."


    Er merkte, wie sehr ihm ihr Spiel sehr gefiel. Und dass es ihm widerstrebte, es eines Tages enden zu lassen. Aber warum sollte es das? Stilo waren Handlungspielräume gegeben, Interpretationsmöglichkeiten. Er war Optio der Cohortes Praetoriae, Unteroffizier der Skorpione, die so oft die Politik Roms bestimmt hatten. Für ihn galt nur das Kriegsrecht, kein Zivilist könnte je an seinem finsteren Thron kratzen, wie sehr er es auch versuchte. Der Kaiser selbst schützte ihn. Wer sollte ihn verurteilen, wenn er im Rahmen seiner Position eine legitime Einschätzung machte? Wenn er mit Eudoxus tat, was ihm selbst gefiel? Wer wollte sich ihm in den Weg stellen, wer ihm nachweisen, dass dieser Fall sein ganz persönliches Spielchen war? Mit welchen Mitteln? Fallakten ließen sich korrigieren, Zeugen kaufen, Gefälligkeiten erwidern, Schweigen erzwingen ... die Kerker waren voll von Christianern. Niemand würde Eudoxus vermissen, wenn Stilo ihn ... verschwinden ließ.


    "Spürst du noch Angst wie jener, den du in deinen Worten erwähnst? Oder bist du schon vollkommen? Sprich, Eudoxus: Möchtest du leben?", fragte Stilo leise. Ein leichter Schweißfilm glänzte auf seinem Kinn, wo die schwarzen Bartstoppeln die fortgeschrittene Stunde verrieten.

    Ein in diesen Tiefen noch nie gehörtes Geräusch hallte durch die steinernen Gänge: Applaus. Ohne es zu wissen, beschleunigte der dicke Didi mit seinen Predigten und seinem Gesang die Fahrt des Teufelskreises. Die Prätorianer, zu deren Lieblingsgefangenen er avancierte, belohnten ihn für seine Darbietungen nicht nur mit menschlicher Zuwendung, sondern mit allerlei Gaben, die sie ihm von ihrem beträchtlichen Sold aus eigener Tasche kauften. So gesellten sich auch süße Küchlein, mit Schafskäse gefüllte Fladen, trockene Feigen und sogar in Honig glasierte Datteln zu Didis Menü. Der Duft dieser Köstlichkeiten wehte durch die Gänge bis in die anderen Zellen und sogar manchem Prätorianer knurrte der Magen von dem, was diesem verwöhnten Gefangenen aufgetischt wurde.


    "Eigentlich ist es ein Jammer", fand Stilo, "dass er uns dereinst verlassen muss. Wir hatten noch nie einen singenden Gefangenen. Auch wenn er uns als Zyklopen bezeichnet."


    "Kopf hoch", sagte Felix. "Die Mühlen des Gesetzes mahlen langsam. Wir werden noch viel Freude an ihm haben." Und er fädelte eine Würstchenkette durch die Gitterstäbe.

    Stilo blinzelte entspannt durch die Gitter, als die Frau loskeifte. Ihr Mann indessen war entweder dem Wahnsinn anheim gefallen oder ein geschickter Schauspieler, der Stilos Wunsch nach Unterhaltung erkannt hatte und darauf einging. Er stellte sich etwas bequemer hin, die Abwechslung in allen Details genießend, wie ein Gourmet, der ein komplexes Menü in winzige Teile zerlegte, um es zur Gänze auszukosten.


    "Ich, der Herr diesen Ortes und vieler anderer, vereine in mir die Macht über Leben und Sterben. Ich kann eine Existenz binnen eines Wimpernschlages auslöschen und bin gleichsam fähig, neues Leben aus dem Nichts zu erschaffen, ohne dass es mich allzu viel Anstrengung kostet. Was anderes also könnte ich in deinen Augen sein, Trebatia Caeca, als ein Wesen göttlicher Natur?"


    Sich selbst als gottgleich darzustellen, fiel ihm nicht schwer. Er mochte sich selbst gut leiden und kannte nicht die Selbstzweifel, die andere umtrieben.


    Nun wandte er sich dem Manne zu. "Ihr müsst hier unten keineswegs verroten, Trebatius Calvus. Nur noch ein wenig ausharren. Geduld ist alles, was von dir verlangt wird, und verglichen mit dem Martyrium des Iudaeers ist das wenig mehr als Nichts. Ihr seid zu zweit, damit du dich davon überzeugen kannst, dass die Sittsamkeit deine Frau gewahrt bleibt, werdet nicht misshandelt, schlaft auf weichem Stroh, bekommt regelmäßig Nahrung und Wasser und habt sogar einen Prediger im gleichen Zellenblock." Womit der dicke Didi gemeint war, der unter dem Einfluss des Alkohols, den man ihm zusteckte, lautstark sein Organ vernehmen ließ. "Alle Ehren eines römischen Bürgers wurden euch zuteil. Woran also mangelt es dir?"


    Stilo gab den anderen beiden ein Zeichen, damit sie sich bereithielten. Dann öffnete er unvermittelt die Tür und stand nun genau vor dem Gefangenen als eine schwarze Silouette vor dem Licht der Laterne, die einer seiner beiden Milites trug.

    "Gott ist hier", sprach Stilo ernst und trat an das Gitter. Seine dunklen Augen musterten die beiden Gefangenen. "Ist alles zu eurer Zufriedenheit? Fühlt ihr euch wohl in meiner Obhut? Oder ist da ein Gebet, was ihr an mich richten möchtet ... auf dass ich es vielleicht erhöre."


    Fürwahr, er war heute in Spielstimmung. Das Verhör des Eudoxus hatte ihn erquickt und daran erinnert, dass dort unten ja noch viel mehr auf ihn warteten, die seiner Aufmerksamkeit bedurften. Das reguläre Personal des Carcers glänzte mal wieder durch Abwesenheit. Krankheit, Urlaub, Familiendramen, die üblichen Geschichten, die ihn nicht tangierten. Aber sein Platz war hier, inmitten seiner Soldaten. Er würde die Kameraden mit ihren ständigen Wehwehchen würdig vertreten.


    Er legte das Kinn in zwischen die Stäbe und schaute guter Dinge zu ihnen hinab, ein wenig erregt, doch er war ja kein Tier.

    Der dicke Molli ... oder auch der dicke Didi. So wurde der Gefangene genannt.


    Stilo bedauerte, dass dessen Speck schwand, und seine Truppe trauerte mit ihm. Man fand den Dicken lustig, hatte noch nie einen Gefangenen mit solcher Leibesfülle beherbergt. Man kam ihn begaffen, erhielt Abwechslung und gute Laune zum Lohn. Mit der Zeit aber schmolzen seine Pfunde nur so dahin, wurde aus dem dicken Didi zusehends der normale, der langweilige Didi. Einer von vielen, die da in den Zellen vermoderten.


    So machte man sich einen Spaß daraus, ihm beim Betreten des Kerkers energiereiche Nahrung zuzustecken. Daran mangelte es in der Castra Praetoria nun wirklich nicht, man fütterte ihn ohne Gegenleistung. Käse, gekochte Eier, Kochschinken und blanken Speck - zusätzlich zur normalen Ration aus einem Getreidefladen. Dazu hin und wieder Bier, denn das, so sagte man, würde besonders gehaltvoll sein. Dann schauten sie zu, ob er sich betrinken würde und wie das wohl aussehen mochte.


    Böse Zungen könnten behaupten, dass sie ihn mästeten ... dass sie sehen wollten, wie weit man seine Leibesfülle auf die Spitze treiben konnte. Sie selbst würden freilich entgegnen, nur die Gesundheit des römischen Bürgers im Sinne zu haben, der solche Nahrungsmengen schließlich gewohnt sei.

    Eine schwarze Braue schob sich nach oben, grub eine wellenförmige Falte in die Stirn des Prätorianers. "Setz dich." Dann würde Eudoxus Antwort auf seine Fragen erhalten. Stilo war noch immer in Plauderstimmung, seine Leutseligkeit nicht gespielt. Er hörte gern zu - besonders jenen, die innerlich für etwas brannten, ganz gleich, was es war. Jenen, die interessant waren und ihn nicht mit Phrasen langweilten.


    Ein weiterer von jenen harrte immer noch im Kerker ... Molliculus, über den man sich ob seiner Leibesfülle in der Truppe amüsierte. Und doch kannte jeder seinen Namen und grinste, wenn er von dem Römer sprach.


    Stilo ließ die letzten Momente Revue passieren, suchte jenen Augenblick, in welchem aus Eudoxus dem Samtzüngigen, Eudoxus der Zürnende hervorgebrochen war. Dann meinte er, ihn gefunden zu haben. O ja. Mal sehen, ob er sich nicht reproduzieren ließe, wenn Stilo die nächsten Worte entsprechend wählte.

    Das Ausspucken ignorierte Stilo. Er wusste es aufgrund des kratzigen Räusperns korrekt einzuordnen. Hier ging es um Bedeutsameres.


    "Beschränken die Christianer ihre Liebe also auf Glaubensbrüder, Eudoxus? Denn leider", in des Optios Stimme klang ein Hauch von Bedauern, "gibt es einige von ihnen, die sich ganz und gar nicht liebevoll benehmen. Wir sprechen hier von Tempelschändungen, Diebstählen, Zerstörung fremden Eigentums und sogar Mord."


    Keine weitere Frage. Aber eine Stille, ein Vakuum in der Konversation, das nach einer Reaktion verlangte.


    Stilo behielt den Eudoxus genau im Blick, und zwar auf eine Weise, die den jungen Mann spüren ließ, dass dem Optio kein noch so winziges Muskelzucken entgehen würde.


    An diesem Verhör fand Stilo seine Freude. Er schätzte geistvolle Gesprächspartner, das Fechten mit den Waffen des Geistes und kümmerte sich nicht darum, ob sein persönliches Interesse im Einzelfall moralisch vertretbar war oder nicht. Am Ende nützte es Rom, ganz gleich, ob er sich vor innerem Abscheu krümmte oder am Scharfsinn des Gefangenen labte. Was er fühlte, war für seine Taten vollkommen irrelevant, und beinahe hätte er gelächelt.

    "Salve", antwortete der Prätorianer. "Ich bin Optio Sisenna Seius Stilo. Ich möchte dir ein pasr Fragen stellen. Komm."


    Aus dem namenlosen Schatten hatte sich der Mensch herausgeschält. Er ließ den Häftling vorangehen, lotste ihm verbal den Weg zum Verhörraum. Dunkel war es dort wie überall, die Luft roch muffig. Ein scharfer Geruch waberte im Hintergrund, Spuren von Jahrzehnten oder vielleicht Jahrhunderten des Schmerzes.


    Doch Eudoxus wurde in keine der Apparaturen gespannt. Er durfte am Tisch platznehmen, die Foltermaschinen gut im Blick.


    "Na dann", sprach Stilo, "erzähle mir von dir. Wer bist du, Eudoxus, und wie verschlug es dich zu diesen Leuten?"

    Auch die heutige Torwache beobachtete gespannt das Treiben. Stilo hatte sich einen Platz in erster Reihe gesichert, da er seinen Neffen und dessen Freund verabschieden musste.


    Er verstand allerdings nicht ganz, warum der Praefectus Praetorio sich erst die Hände gerieben hatte, um Lurco als, wie Stilo ihn bescheiden genannt hatte, besten Ermittler der Cohortes Urbanae zu den Prätorianern anzufordern, nur um ihn anschließend nach Germania zu schicken. Vielleicht sollte sich die angespannte Lage in Rom zunächst klären und die erhitzten Gemüter abkühlen, bevor er den Purgitier im ganzen Fähigkeitenspektrum als Schnüffler gegen die Staatsfeinde einzusetzen gedachte. Ja, das würde es sein. Niemandem nützte ein Ermittler, dessen Gesicht jedem sofort im Gedächtnis war. Der Präfekt wollte seine neue Wunderwaffe sicher erstmal weit weg schicken, bis ein jeder sie vergaß, und sie dann von den Erfahrungen an der Front geschärft zurückrufen.


    Stilo schaute zu Lurco und Scato hinüber und hob aufmunternd den Daumen.

    Er mochte eine handvoll Striche geritzt haben zu jener Zeit, als hinter dem kleinen Gitterfenster ein Licht aufging, gleich dem Versprechen einer neuen Dämmerung. Schwer ging die Tür in den stabilen Eisenangeln. Das Geräusch verriet die Wuchtigkeit. Stilo trat in den Rahmen. Zu seiner Rechten und zu seiner Linken - außerhalb des Sichtfeldes des Gefangenen hinter der Wand - standen zwei Kameraden, von denen einer die Eisenlaterne hielt.


    Stumm betrachtete Stilo den Gefangenen, seitlich beschienen von warmem Licht. Wäre der Kamerad direkt in den Rahmen getreten, wäre Eudoxus aufgrund des plötzlichen Lichtscheins nach der langen Episode der Finsternis vorübergehend erblindet. Stilo wartete, ohne ein Wort zu sagen.

    Die nur scheinbare Routine des Carcers traf auch die Eheleute. War ein Tag vorüber, wenn es wieder Nahrung und Wasser gab, oder zwei? Ein halber Tag? Die bewusste Unregelmäßigkeit zehrte an der zeitlichen Orientierung, zerstörte den Schlafrhythmus, förderte Stressreaktionen und Melancholie. Die Soldaten, welche die Lebendkontrollen durchführten und die Gefangenen versorgten, sprachen nicht mit ihnen. Es gab keinen Hohn, keine Beschimpfungen, keine rauen Worte. Es gab schlichtweg keine Reaktion, welche die Prätorianer als Individuen erscheinen ließe, nichts, was sie menschlich machte.


    Da war nur das schweigende Schwarz und die steinernen Mauern der Zelle, welche die Gefangenen von allem Lebendigen und Lebenswerten abschnitten. Ein Prätorianer verhielt sich wie der andere, es machte keinen Unterschied.


    Nach einem undefinierbaren Zeitraum war einer der Männer, welche die Lebendkontrolle durchführten, Stilo. Sein Gesicht schaute in der Dunkelheit durch die kleine Eisenklappe in der massiven Tür, um einzuschätzen, wie die Gefangenen sich inzwischen machten.

    Stilo, seit jeher ein tiefenentspannter Mensch, bemerkte die kleine Provokation nicht. Und wäre sie ihm aufgefallen, hätte er sie als rauen Scherz abgetan. "Na, das freut mich zu hören."


    Stilos Verwandter um zig Ecken, Umbrenus Cimber, sollte ja ein Auge auf Fango haben, aber wenn das nicht notwendig war, umso besser. Jemand, der beschützt werden musste, dem tat man damit nicht zwangsläufig einen Gefallen, weil es den letzten Brocken Respekt zerstören konnte. Nichtsdestoweniger war es manchmal notwendig, um Schlimmeres abzuwenden. Dass es nicht erforderlich war, gefiel Stilo.


    Als der Decurio Urlaub bis zur Weckzeit verkündete, nickte Stilo den Optiones zum Abschied zu. Vor ihm selbst lag noch eine lange Schicht.

    Bislang verhielt der Gefangene in CP-I sich ruhig. Keine Anzeichen, dass er die Nerven verlor. Gelegentlich kamen Wachen für die Lebendkontrolle vorbei, doch sie sprachen nicht mit dem Gefangenen. Die schweigenden Schatten zogen vor dem winzigen Gitterfenster in der massiven Tür vorbei, unberührt von dem Leid. Manchmal wurde durch eine Klappe ein zäher Klumpen Getreidebrei in einer Holzschüssel und ein kleiner Holzeimer mit Wasser geschoben. Später musste beides wider hervorgegeben werden, sonst gab es nichts Neues. Ob sich anhand der Darreichung von Nahrung und Wasser ein Tagesablauf ableiten ließ, war fraglich. Wahrscheinlicher war, dass man alle Abstände bewusst unregelmäßig gestaltete, um auch das Zeitgefühl der Gefangenen zu zerstören.

    "Den Fango habe ich nicht selbst gebastelt. Der Vater war ein Iunier, seine Mutter war meine Schwester, Seia Sanga. Da beide Eltern nicht mehr unter uns weilen, fand ich, dass der Junge einen Vater braucht. Die Ala hatte er sich damals selbst in den Kopf gesetzt. Dort war noch niemand aus der Familie, ich denke, er wollte einem von der Familie noch unbegangenen Pfad folgen, wo man ihn bemerkt. Seine beiden älteren Brüder stellten ihn wohl immer etwas in den Schatten, aber das ist natürlich. Als Jüngster geht man nun einmal manchmal unter."


    Nicht, dass Stilo dergleichen selbst je geschehen wäre. Er war der Älteste und hatte seine jüngeren Geschwister über deren ganze Kindheit hinweg mit der ganzen Palette kindlicher Kreativität gequält. Unter anderem hatte er sie einzeln mit verbundenen Augen barfuß für eine "Prüfung" über einen Hindernisparcours aus spitzen Steinen und Tonscherben geschickt, während die übrigen Geschwister den Geprüften mit Gerten auspeitschten, oder sie im Schrank oder in Truhen eingeschlossen, um sie dort zu "vergessen". Geschadet hatte es keinem von ihnen. Er selbst war Optio, sein kleiner Bruder wollte Politik machen und die Schwester ... nun ja. Die hatte Suzid begangen.


    "Ich hätte Fango jedenfalls trotz allem mit zur Legio genommen, wäre er damals schon unter meinen Fittichen gewesen", konnte Stilo noch sagen, ehe der mies gelaunte Decurio wieder aufkreuzte und das Gespräch mit seiner Ansage unterbrach.