Ravillas Lachen fügte sich harmonisch in die Geräuschkulisse, als er Saturninus die Hand auf die Schulter legte.
"Die Schweinsblase. Diesen Spitznamen wirst du nicht mehr los."
Was nicht schlecht sein musste, denn mit derlei Tricks blieb auch eine dem Empfinden des Ravilla nach vollkommen unscheinbare Gestalt wie der Furius im Gedächtnis der Gesellschaft haften. Nach der Ankündigung seiner Redezeit erhob Ravilla sich langsam und huldvoll. In klassischem Weiß präsentierte er zum heutigen Tag seine Gestalt, gewandet in eine Toga, ein Bewusstsein für Tradition und Stand zur Schau tragend. Einen wohldosierten Moment lang wartete er, ehe er das Wort ergriff.
"Uns allen ist freilich bewusst, dass die Literatur ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Kultur ist", griff er sodann den Faden auf, welchen ihr erster Opponent, der Quintilier, geschickt ausgelegt hatte. Ravillas angenehme Stimme schwebte deutlich vernehmbar durch den Raum. An Selbstsicherheit hatte bei ihm noch nie Mangel vorgelegen. "Nur ein Banause würde den Wert von Ovids Worten kleinreden. Aber wir wissen auch, dass die Werke unserer verehrten Dichter nicht wörtlich zu begreifen sind. Man denke an die köstliche Apocolocyntosis1, in welcher Seneca nichts Geringeres als die Verkürbissung des Kaisers abhandelt. Niemand käme bei allem Unterhaltungswert auf den Gedanken, diese Geschichte für bare Münze zu nehmen. Dichter bedienen sich der Kunst der Metaphorik, ihre Werke sind oftmals Gleichnisse. Wir können den intendierten Sinn ihrer Meisterwerke nur erfassen, wenn wir uns dessen bewusst sind.
Vollkommen anders verhält es sich mit den Zahlen, welche mein geschätzter Mitstreiter Furius uns präsentierte, mit den harten Fakten, die sich naturgemäß weniger klangvoll darlegen lassen als ein Ovid oder Seneca, denen nichtsdestoweniger jeder Anwesende mit einem Funken mathematischem Sachverstand zustimmen muss. Insbesondere, wenn die Berechnungen aus so vertrauenswürdiger Quelle stammen. Wer wenn nicht ein Mitarbeiter der kaiserlichen Kanzlei könnte diesen Sachverhalt realistisch einschätzen?"
Gönnerhaft öffnete Ravilla seine gepflegten Hände. Im Licht der Feuerschalen glitzerte eine Akkumulation von Ringen, die auf Anhieb nicht zu zählen war - sein Ausgleich zum schlichten Weiß der Toga, den er sich nicht hatte verkneifen können.
"Doch selbst wenn wir annehmen, dass der verehrte Furius Saturninus sich verrechnet hätte und eine fortdauernde Expansion finanziell möglich wäre, so stellte sich fürderhin die Frage: Wofür? Wofür, meine Herren?"
Ravilla blickte in die Runde. Ein Grüppchen offiziell aussehender Männer schlich indessen durch das Blickfeld in Richtung Küche und verdarb die Kunstpause.
"Wofür sollte das Imperium weiterhin expandieren, wofür unsere Soldaten und unsere Steuerzahler bluten, was erwartet uns außerhalb der Grenzen?", rief Ravilla, um die Aufmerksamkeit wieder auf seine Person zu lenken, und riss den Zeigefinger nach rechts in Richtung der Wand. "Das Einzige, was man sich in den ärmlichen und vermoderten Ländereien im Norden holen kann, ist ein Schnupfen! Man frage die tapferen Soldaten, welche ihren Dienst in Germania versehen, wie meinen ehrwürdigen Vater. Sümpfe, Wälder und primitivste Barbarei. Menschenopfer! Es gibt im Norden nichts, was einen zivilisierten Geist reizen würde, weder wirtschaftlicher noch kultureller Natur. Gleichsam verhält es sich im Osten", sein Finger fuhr in die entsprechende Richtung, "wo öde Steppen brachliegen, deren Leere in den Geist der Menschen dringt und jede Lebensfreude verdorren lässt. Was es in Dakien an Ressourcen gab, hat Rom sich längst zu eigen gemacht. Und im Süden der afrikanischen Provinzen herrscht endlose Wüstenei unter einer erbarmungslosen Sonne, die Mensch und Getier verbrennt. Auch dort gibt es kaum mehr als nichts.
Als einzige lohnenswerte Richtung für eine weitere Expansion könnte man den Südosten annehmen. Doch sind die Silberminen der Parther bereits seit etwa einem Jahrhundert erschöpft.2 Was also sollen wir in Parthien? Wofür unsere Truppen verschleißen und den Steuerzahler auspressen, wenn wir doch alles haben, was wir benötigen? Der dekadente Luxus der wolllüstigen Parther ist auch ohne unser Zutun längst im Niedergang begriffen. Das deutlichste Zeichen dafür sendet der parthische Großkönig Vologases uns selbst, welcher als erster Schahanschah der Geschichte beginnt, vor Rom in Demut das Haupt zu neigen. Während Rom im Inneren weiter erstarkt, sich ein Herz aus Gold und ein Rückgrat aus Eisen zulegt, versinken seine einstigen Rivalen einer nach dem anderen in den Sanden von Wüste und Zeit. Rom benötigt keine Expansion. Rom benötigt nichts als Geduld."
Mit einem verschmitzten Schmunzeln trat Ravilla an seinen Platz neben Saturninus zurück.
Sim-Off:2 Ellerbrock und Winkelmann. (2012). Das Parthische Reich - eine erste Annäherung. In Die Parther (1. Aufl., S. 34). Verlag Philipp von Zabern.