Halbiert
So fanden ihn seine Freunde. Sie hatten keinen Trost für ihn, aber Alkohol. Armàndos versuchte gegen Mitternacht, ihn nach Hause zu bringen, weil Sabaco sich dermaßen betrunken hatte, dass ihm der Kopf auf der Brust hing und er nicht einmal mehr lallen konnte. An den langen, von Pausen unterbrochenen Weg vermochte er sich nicht zu erinnern, als er auf einmal die beleuchtete Doppeltür der Casa Matinia erkannte. Groß und bedrohlich ragte sie über ihm empor, mit Eisennieten besetzt. Misstrauisch betrachtete er die schwankende Doppeltür, den Arm über Armàndos gelegt, bis sich die Porta endlich öffnete.
Als Sabaco seinen Freund mit ins Haus nehmen wollte, flutschte der flugs davon, vielleicht, weil ihnen Schritte entgegenkamen. Mit blutunterlaufenen Augen starrte Sabaco in den Flur, ohne viel zu erkennen. Erst an der Ohrfeige registrierte er, dass sein Gegenüber sein Vater war, der im Nachthemd vor ihm stand, den Zorn ihm ins Gesicht geschrieben. Der Ärger, der seinen Sohn in den folgenden Minuten erwartete, weil er in diesem unwürdigen Zustand zu Hause aufgekreuzt war, ließ Sabaco Armàndos für seine Hilfsbereitschaft verfluchen. Der Alkohol dämpfte den Schmerz, aber nicht die Demütigung.
Nachdem der Vater mit ihm fertig war, wehrte Sabaco sich gegen die Haussklaven, als wären sie es, die ihn gezüchtigt hätten, drohte ihnen die schlimmsten Dinge an. So ließen sie ihn schließlich auf dem Boden der hauseigenen Thermen liegen. Weiter schafften sie es nicht, den Wüterich zu bringen. Sabaco rollte sich ungebadet in sein Handtuch, zitternd erst vor Zorn, dann vor Trauer, beide Gefühle wurden eins. Sein Kopf sank auf seinen Unterarm. Der Stein war gut beheizt und dass der Boden hart war, störte ihn nicht. Schließlich übermannte ihn der Schlaf.
Als er erwachte, schien die Sonne durchs Fenster und er lag er in seinem Bett. Vögel sangen, eine Parodie auf seinen Gemütszustand. Sein Kopf wog eine Tonne und sein Herzschlag ging träge. Kaum vermochte er, sich aufzusetzen, jede Bewegung kostete ihn unnatürlich viel Willenskraft. Vielleicht war er krank oder besonders heftig verkatert. Sabaco merkte er an seinem Duft, dass er gewaschen und umgezogen worden war, auch wenn ihm jede Erinnerung fehlte. Er ließ sich ein üppiges Frühstück bringen und brach beim Essen in Tränen aus, weil Ocella dieses Brot mit Schafskäse geliebt hatte, doch niemand wagte, ihn zu trösten. Er blieb allein und stand nach dem Essen auf, um hinunter zum Strand zu gehen, noch nicht einmal nüchtern vom Vorabend. Armàndos winkte ihm zu. Sabaco hob zum Gruß den Beutel mit dem Weinvorrat für den heutigen Tag.
So setzte der Kreislauf sich Tag für Tag fort, der Herbstwind riss die Blätter von den Zweigen, der Winter bedeckte Hispania mit einem Schleier kalten Regens und nichts änderte sich, außer, dass sie nun häufiger irgendwo in den Innenräumen tranken statt unter freiem Himmel.
War Sabaco zuvor nur anstrengend gewesen, war er nun unausstehlich. Anstatt sich an den Verlust zu gewöhnen, fraß das Gefühl sich fest und er begann es, auch auf andere zu übertragen. Ließ Armàndos ihn warten, streifte Sabaco hin und her, den Kopf voll finsterer Gedanken, verraten und verlassen worden zu sein. Kehrte Armàndos zurück, wurde er freudig begrüßt und beschlagnahmt. Wehe dem, der sich in ihre Freundschaft drängte. Doch dieser Sklave ließ sich nicht binden und verschwand, wann es ihm beliebte. Er war ein hübscher Bursche und hatte seine Liebschaften überall, was Sabaco nicht gut tat. Er sehnte sich nach der harmonischen Zweisamkeit mit seinem kleinen Bruder. Schmerz machte auf Dauer reizbar. Jeden Traum hindurch schlug Sabaco einen aussichtslosen Kampf, die Nächte mutierten zur Tortur.
Indem man ihm Ocella geraubt hatte, hatte man Sabaco halbiert. Die empfundene Wunde schmerzte unentwegt, sie blutete, eiterte und wollte nicht heilen.