Für Sabaco waren die Taten oder Untaten von Avianus nicht relevant. Er war sein Bruder, das genügte. Charakterschwächen waren nichts, was Sabaco störte, so lange man ihm gegenüber loyal war. Dies war der einzige Charakterzug, auf den er etwas gab. Das hatte im Laufe seines Lebens zu einem horrenden Sammelsurium an Freunden geführt, die man besser niemandem vorzeigte, die aber Sabaco in all ihrer Unzulänglichkeit am Herzen lagen. Ihn schreckten eher die ewig Perfekten ab, denen er in ihrer Maskerade nicht über den Weg traute. Er suchte das Raue, Rohe, Unverfälschte.
Er lachte. "Kannst du dir einen von uns Dreien als Hausmann vorstellen? Nur noch das Geplärre der Kinder in den Ohren und das Gekeife der Weiber, während draußen vor dem Fenster das Leben an einem vorbeizieht? Und was, wenn die Frau einen mit irgendeinem Arschloch betrügt, ganz gleich, wie sehr man sie dafür prügelt? Wenn man nur noch der Geldesel ist, der sein Leben wegwirft für DAS?!"
Er schüttelte den Kopf. "Damit wird keiner glücklich. Vater war es auch nicht, sonst wäre er nicht so ein verbittertes Arschloch gewesen. Ich habe es auch versucht, Ocella, es funktioniert nicht. Die einzige Variante, die ich mir halbwegs vorstellen könnte, wäre die, dass man sich Grundbesitz organisiert und dann als ritterlicher Tribun beim Exercitus einsteigt. Die haben ihre Familie mit in der Castra, so dass sie trotz Anhang in Ruhe ihren Dienst versehen können und nicht alles Lebenswerte aufgeben müssen. Oder man belässt es halt einfach bei Bastarden und spart sich den ganzen Unsinn mit der Ehe. Sex gibt es überall, dafür muss man sich keine Eisenkugel ans Bein ketten."
Finanzielle Vorteile und regelmäßiger Sex waren die einzigen Gründe, warum jemand aus freien Stücken heiratete. Wenn man verheiratet wurde, kamen noch die Aspekte eines Bündnisses der Familien hinzu. All das waren aber Probleme, die durchaus auch anders gelöst werden konnten. Jetzt, wo Vater tot war, konnte ihn jedenfalls keiner zur Hochzeit zwingen. Ebenso gab es niemanden mehr, der etwas dagegen haben könnte, dass Sabaco seinen "Bastard" in die Gens holte. Er rieb sich das Kinn, nicht merkend, dass er Ocellas Körpersprache spiegelte. Es hatte alles seine Vorteile und auf die Nachricht von Vaters Tod hatte er sich das Grinsen verkneifen müssen.
"Wahrscheinlich muss ich den Jungen adoptieren, nachträglich anerkennen ist wohl nicht drin nach all den Jahren. Ich muss mich mal schlau machen, wie die Abläufe sind. Damals war alles durcheinander." Wie könnte es auch anders sein, wenn Sabaco Jahre hinweg der Überzeugung gewesen war, dieses Kind sei die Brut von Catualda - bis er den Jungen leibhaftig gesehen hatte. "Der Kleine gehörte zu Rom und nicht zu den Wildlingen, bei denen er momentan haust und von denen er wahrscheinlich nur unnützen Scheiß lernt.
Die Taberna steht noch. Warum sollte es auch anders sein?" Er wirkte vergnügt bei der Frage. "Alles darin ist nagelneu und noch ziemlich sauber. Das Essen ist nicht so gut wie beim unglückseligen Vorgänger, aber es ist essbar, und der Met ist hervorragend. Wir werden sicher einen Zeitpunkt finden, an dem wir alle drei frei haben. Organisierst du das? Dann würde ich dich jetzt wieder mit deinem Elend allein lassen."