Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    Sie verbrachten noch einige Stunden miteinander. Einzuschlafen wagte Sabaco nicht, aus Angst, morgens zu spät zum Dienst zu kommen. Er ließ auch Nero nicht viel Ruhe. Als sie endlich aufbrachen, dämmerte grau der Morgen. Die Handwerker begannen ihr Tagewerk, die Händler bereiteten ihre Stände vor. Die alte Asche wurde von den Hausfrauen aus den Häusern gebracht, neues Holz nach drinnen geschleppt, die Feuer in den Öfen neu entfacht. Mogontiacum erwachte zum Leben.


    Müde, aber glücklich kehrten Nero und Sabaco in das Castellum der Classis Germanica zurück. Es war noch genügend Zeit bis zum Weckruf und so gönnten sie sich ein frühmorgendliches Bad im heißen Becken der Therme, ehe der Dienstalltag sie wieder hatte. An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken gewesen, doch Sabaco fühlte sich dennoch auf eine merkwürdige Weise erholt und erfrischt.

    Sabaco setzte sich neben Nero. Das Kinn bettete er ihm auf die Schulter. Vollkommen friedlich wirkte der sonst um keine Untat verlegene Suboptio navalorum. Er blinzelte langsam und kuschelte sich noch näher. In der Abendkälte spürte er Neros Körperwärme besonders intensiv.


    "Eine Navis lusuria hat nur eine Unterarmlänge Tiefgang. Sie ist schmal und wendig, aber auch instabil. Wenn sie irgendwann noch einmal gerudert werden soll, müssen wir sechs Ruderbänke mindestens berücksichtigen, eher mehr aufgrund des zusätzlichen Gewichts mit dem Aufbau. Zweitens könnte der Aufbau sie instabil machen und zum Kippen bringen. Ist der Aufbau erst einmal voll Wasser gelaufen, kriegt sie keiner mehr umgedreht.Wir müssen uns entweder für ein statisches Hausboot im ewigen Hafen entscheiden, für eine flache Überdachung zum reinkriechen oder für einen bloßen Baldachin.


    Du hast uns das zu Hause organisiert ... wenn es irgendwann um ein eigenes Grundstück für uns geht, bin ich am Zug. Aber es kann noch dauern ... ich bin noch ein junger Hüpfer und habe noch viele Jahre vor mir bis zur Honesta missio."

    Man sagte, jedes Schiff hätte eine Seele.


    Man musste schon innerlich taub sein, um nicht zu merken, dass jedes Schiff, das man betrat, sich anders anfühlte und einen eigenen Charakter besaß. In Gedanken sah er das junge Holz der Keto golden in der Herbstsonne leuchten, spürte, dass die ganze Zukunft noch vor ihr lag. Jung und unbändig war sie, wenn ihr Segel sich blähte, kriegslüstern und bereit, ihren Sporn in die Schiffe der Feinde zu rammen und ihre Leiber zu zersplittern. Ganz anders fühlte sich die Seele der Triton an. Diese Dinge lagen lange schon hinter ihr, sie taugte nicht einmal mehr als Transportschiff. Sabaco strich über das dunkle, narbige Holz der alten Kriegerin. Zahllose Schlachten hatte sie geschlagen, nun wurde ihr Holz langsam müde. Es war Zeit für ihren wohlverdienten Ruhestand.


    Die Dunkelheit senkte sich wie ein schützender Schleier auf sie nieder, verbarg sie vor neugierigen Blicken. Die Stelle, wo die Triton vor Anker lag, war einsam um diese Tageszeit, während in der Ferne das Treiben von Mogontiacum langsam zur Ruhe kam. Still und schwarz floss der Rhenus. Die Flasche Wein nahm er entgegen und öffnete sie mit den Zähnen. Den Korken spuckte er ins Gebüsch.


    "Auf uns, Nero. Auf unser zu Hause, das Wasser und Land verbindet. Hier werden Hippokamp und Seehund sich gute Nacht sagen. Du hast wirklich keine Unkosten gescheut. Ich hoffe, du bist jetzt nicht pleite."


    Er trank einen großen Schluck, rülpste und reichte die Flasche Nero.

    "Der Große ist dort gut aufgehoben. Er soll sich an den Met halten, vom Wein bekommt man Kopfschmerzen. Zumindest von dem, der dort für einen Normalo bezahlbar ist. Pass auf dich auf, Kleiner."


    Da Ocella sich augenscheinlich vor einer Ansteckung ob der vermeintlichen Seuche fürchtete oder heute einfach Distanz benötigte, kam er um die sonst für Sabaco typische überschwängliche Verabschiedung herum. Er wurde nicht geknuddelt noch geknetet, nicht getätschelt noch geklopft. Sabaco blinzelte ihm nur zu, zeigte dabei grinsend sein fürchterliches Gebiss und ging dann den Weg zurück zum Castellum der Classis.

    Für Sabaco waren die Taten oder Untaten von Avianus nicht relevant. Er war sein Bruder, das genügte. Charakterschwächen waren nichts, was Sabaco störte, so lange man ihm gegenüber loyal war. Dies war der einzige Charakterzug, auf den er etwas gab. Das hatte im Laufe seines Lebens zu einem horrenden Sammelsurium an Freunden geführt, die man besser niemandem vorzeigte, die aber Sabaco in all ihrer Unzulänglichkeit am Herzen lagen. Ihn schreckten eher die ewig Perfekten ab, denen er in ihrer Maskerade nicht über den Weg traute. Er suchte das Raue, Rohe, Unverfälschte.


    Er lachte. "Kannst du dir einen von uns Dreien als Hausmann vorstellen? Nur noch das Geplärre der Kinder in den Ohren und das Gekeife der Weiber, während draußen vor dem Fenster das Leben an einem vorbeizieht? Und was, wenn die Frau einen mit irgendeinem Arschloch betrügt, ganz gleich, wie sehr man sie dafür prügelt? Wenn man nur noch der Geldesel ist, der sein Leben wegwirft für DAS?!"


    Er schüttelte den Kopf. "Damit wird keiner glücklich. Vater war es auch nicht, sonst wäre er nicht so ein verbittertes Arschloch gewesen. Ich habe es auch versucht, Ocella, es funktioniert nicht. Die einzige Variante, die ich mir halbwegs vorstellen könnte, wäre die, dass man sich Grundbesitz organisiert und dann als ritterlicher Tribun beim Exercitus einsteigt. Die haben ihre Familie mit in der Castra, so dass sie trotz Anhang in Ruhe ihren Dienst versehen können und nicht alles Lebenswerte aufgeben müssen. Oder man belässt es halt einfach bei Bastarden und spart sich den ganzen Unsinn mit der Ehe. Sex gibt es überall, dafür muss man sich keine Eisenkugel ans Bein ketten."


    Finanzielle Vorteile und regelmäßiger Sex waren die einzigen Gründe, warum jemand aus freien Stücken heiratete. Wenn man verheiratet wurde, kamen noch die Aspekte eines Bündnisses der Familien hinzu. All das waren aber Probleme, die durchaus auch anders gelöst werden konnten. Jetzt, wo Vater tot war, konnte ihn jedenfalls keiner zur Hochzeit zwingen. Ebenso gab es niemanden mehr, der etwas dagegen haben könnte, dass Sabaco seinen "Bastard" in die Gens holte. Er rieb sich das Kinn, nicht merkend, dass er Ocellas Körpersprache spiegelte. Es hatte alles seine Vorteile und auf die Nachricht von Vaters Tod hatte er sich das Grinsen verkneifen müssen.


    "Wahrscheinlich muss ich den Jungen adoptieren, nachträglich anerkennen ist wohl nicht drin nach all den Jahren. Ich muss mich mal schlau machen, wie die Abläufe sind. Damals war alles durcheinander." Wie könnte es auch anders sein, wenn Sabaco Jahre hinweg der Überzeugung gewesen war, dieses Kind sei die Brut von Catualda - bis er den Jungen leibhaftig gesehen hatte. "Der Kleine gehörte zu Rom und nicht zu den Wildlingen, bei denen er momentan haust und von denen er wahrscheinlich nur unnützen Scheiß lernt.


    Die Taberna steht noch. Warum sollte es auch anders sein?" Er wirkte vergnügt bei der Frage. "Alles darin ist nagelneu und noch ziemlich sauber. Das Essen ist nicht so gut wie beim unglückseligen Vorgänger, aber es ist essbar, und der Met ist hervorragend. Wir werden sicher einen Zeitpunkt finden, an dem wir alle drei frei haben. Organisierst du das? Dann würde ich dich jetzt wieder mit deinem Elend allein lassen."

    "Wieder diensttauglich ... schön rausgeredet. Das beantwortet nicht meine Frage, wie es dir geht."


    Die übrigen Worte von Ocella erzeugten jedoch ein breites Grinsen in Sabacos Gesicht. "Gute Neuigkeiten sind das. Ein Matinier in jeder Truppe, es könnte nicht besser laufen. Germania sollte vor lauter Dankbarkeit auf Knien vor uns rutschen. Avianus hätte das Exercitus Romanus gar nicht erst verlassen sollen, es war klar, dass das schiefgeht. Er gehört unter die Adler, genau wie wir.


    Die Nüsse können mir ruhig abfallen und wegrollen, ich habe meine Schuldigkeit getan. Ich muss den Jungen nur noch irgendwie in die Gens holen ... keine Ahnung wie die Abläufe sind, jetzt wo Vater tot ist. Wer nun bei uns den Hut aufhat und so was entscheiden müsste. Aber das hat noch Zeit. Jedenfalls ist der Stammhalter von meiner Seite aus vorhanden, womit ich euch zwei Faulpelzen um einiges voraus bin."


    Und er hatte dafür nicht mal heiraten müssen, wenngleich ihm trotzdem das lange Tal der Tränen nicht erspart geblieben war ... der Weg, den alle irgendwann gingen, sobald sie sich familiär banden. Der einzige Unterschied bestand darin, dass bei einen das Tal schwarz und stürmisch war und bei den anderen trist und grau. Sabaco hatte die schwarze, stürmische Variante durchqueren müssen.

    Sabaco nickte. "Gut. Falls sich das ändern sollte, gibt mir Bescheid. Ich muss das wissen, es ist wichtig.


    Ja, gleich zwei Tirones sind mir durchgebrannt ... aber meine Schuld war das nicht. Sie haben die Musterung nicht vertragen, es waren prüde Schisser, aber ich hätte sie mir schon zurecht geprügelt. Alles, was ich gebraucht hätte, wäre etwas Zeit. Die haben sie mir nicht vergönnt. Und nun sind sie tot!"


    Sabaco biss die Zähne zusammen, seine Kiefermuskulatur arbeitete. Es ging prinzipiell schief, wenn man ihm die Möglichkeit nahm, aufzupassen. Erst Gwendolyn, die ihm mit seinem Erzrivalen Catualda durchgebrannt war. Dann Ocella, der fast von Germanen aufgespießt worden wäre, weil Varro ein verdammter Bastard war, der seine Männer für seinen persönlichen Ruhm verheizte. Nun auch noch Adalrich und Tiro. Normalerweise müsste Sabaco seine Augen überall haben.


    "Den Zusammenhang zwischen den beiden Toten und den ungeklärten Todesfällen mutmaßen einige unserer germanischen Kameraden, nicht ich. Weil sonst müssten die Manen - oder der Gehörnte Rhenus, wer auch immer - konsequenterweise mich bestrafen. Ich bin derjenige, der befohlen hat, die zwei aufgeschlitzten Körper auf das Schiff zu ziehen und sie mit nach Hause zu nehmen. Ich wollte sie vernünftig bestatten lassen.


    Wir haben sie nach ein paar Metern wieder dem Rhenus übergeben, weil alle mich dazu drängten. Die Keto wurde hinterher rituell gereinigt. Jetzt lässt mich das trotzdem in einem ungünstigen Licht dastehen, weil genau im Anschluss an das Ereignis so eine verdammte Seuche aufkommen musste! Verstehst du?"


    Er schnaubte und starrte den Stand mit dem billigen Vinum an ... Met hatten sie auch. Er würde sich was für den Rückweg mitnehmen. Sein Blick schweifte wieder zu Ocella.


    "Ich dachte, wenn ihr hier in der Ala das gleiche Problem gehabt hättet, vielleicht sogar schon länger, dann wäre das der Beweis gewesen, dass ich nichts dafür kann. Dass keine wütenden Manen oder Götter dahinterstecken. Aber gut. Und wie geht es dir ansonsten?!"


    Er nickte in Richtung von Ocellas Bauch. Bei dem Gedanken an die Wunde fuhr ihm ein hässliches Ziehen durch den Leib. Normalerweise mochte Sabaco ein gewisses Maß an Schmerzen ganz gern, weil sie ihn entspannten. Doch das traf nicht auf die nachempfundenen Schmerzen seines Brüderchens zu.

    "Mich?", fragte Sabaco erschüttert.


    Dann fuhr er plötzlich herum, als hätte er hinter seinem Rücken etwas gehört. Doch da war nur das Fenster. Er reckte sich und sah sich im ganzen Raum um, dann sprang er auf, zog den Pugio, ging leise zur Tür. Er drehte den Schlüssel herum. Nackt und durchgenudelt wie er war, öffnete er und schaute nach rechts und links in den Gang. Nichts. Er schloss sie wieder ab, schob den Pugio zurück in die Scheide. Schnaufend ließ er sich neben Nero nieder, schob den Arm über ihn und zog ihn fest an sich heran.


    Sabaco wusste, dass Nero die Wahrheit sprach. Aber das L-Wort war gefährlich. Es war wie mit dem Tod: Man hoffte, ihm bis ins hohe Alter zu entgehen, indem man ihn nicht beim Namen nannte.


    "Wir haben es gewusst von dem Tag an, da du mich am Rhenushafen gefunden hast, nicht wahr? Du hattest Schiss, aber du hast es auch gespürt. Es lag wortlos zwischen uns, ein unsichtbares Band, das wir heute zur Kette geschmiedet haben. Manche Dinge sind unabänderlich, Speichen im Rad des Schicksals, Säulen im Palast der Wahrheit, zu groß und zu mächtig, um etwas dagegen zu tun. Wir waren dazu bestimmt, heute hier zu liegen, die Summe aller Augenblicke hat uns hierhergeführt. Da soll noch einer an den Unsterblichen zweifeln."

    Er redete sich in pathetische Stimmung, wozu der Wein in seinem Blut einiges beitrug. Bei den Göttern, Sabaco wollte diesen Mann!


    "Es ist gut, dass du mich überall spürst, so vergisst du mich nicht beim ersten Hahnenschrei. Wir haben es besiegelt, Nero, du gehörst jetzt mir. Wenn man das Liebe nennt, dann liebe ich dich. Es gibt keine Zweifel über die Richtigkeit, es muss so sein. Am Ende wird sich alles fügen. Wir werden uns das Hausboot kaufen. Es wird unsere Insel, wo Wasser und Land sich berühren."

    Das Brüderchen hatte augenscheinlich eine seiner Launen. Wenn es einen Vorteil dabei gab, dass Ocella diese Pestbeule namens Varro vergötterte, dann den, dass ihn diese Tatsache hier für immer im Castellum festnagelte. So lange der Germanicus hier seinen Dienst verrichtet, so lange würde Ocella ebenfalls hier dienen, ganz gleich, was Sabaco so trieb. Varro, der allen Vorgesetzten bis zum Anschlag in den Anus kroch, würde schon dafür sorgen, dass keiner von ihnen beiden irgendwo anders hin versetzt wurde. Die Ala war Varros Leben und er ging ohne sie zugrunde. Sollte das Brüderchen doch muffeln und maulen ... diesmal konnte es nicht fortlaufen.


    Sabaco blinzelte versöhnlich und respektierte Ocellas Distanzbedürfnis. Alles war unter Kontrolle.


    "Ich kann auch später wiederkommen, aber wir müssen reden. Kleiner, bei uns in der Castra grassiert womöglich eine Seuche. Es gibt Tote, teils ohne eine ersichtliche Ursache. Manche sagen auch Fluch dazu. Es hat mit zwei Tirones zu tun, die schon zu Lebzeiten keine angenehme Gesellschaft waren, zwei Deserteure, die auf der Flucht ermordet wurden und nun vielleicht als Manen ihren Unmut an den Soldaten Roms auslassen. Ich muss wissen, ob ihr das gleiche Problem habt oder ob es sich auf die Classis beschränkt."

    "Hast du das Geld dafür, wenn du schon kein Grundstück hast? Dann kaufen wir uns ein Hausboot. Die Idee ist die Beste seit langem. Das Hausboot machen wir im Zivilhafen fest und jedes Mal, wenn wir unsere Ruhe haben wollen, schnappen wir uns das Angelzeug und schippern los. Oder bleiben im Hafen vor Anker liegen und schließen hinter uns die Tür."


    Zärtlich zwickte er Nero mit den Zähnen in die Wange, nur um ihm hernach erneut die Zunge in den Mund zu schieben. Dort streichelte sie ihn und bohrte ein wenig, ehe er sie wieder einzog.


    "Jetzt aufzustehen und zurück in die Castra zu marschieren, ist keine gute Aussicht." Seine Hand fuhr langsam über die Glatze, die er nicht erwähnen durfte, weil Nero sie nicht freiwillig trug, die Sabaco aber mochte. "Es gibt Pflanzen, die das Schlafbedürfnis reduzieren. Das Germanenpack verrät die Kräutermischung nicht, vermutlich irgendwelches Giftzeug, mit dem man auch wen umbringen könnte, aber in kleinen Mengen ist es praktisch. Nächte wie diese könnten wir damit einfach durchmachen und am nächsten Morgen direkt auf den Campus marschieren. Man darf es nur nicht übertreiben, irgendwann holt einen der Schlaf in Form einer tiefen Ohnmacht ein. Wäre ungünstig, wenn das im Alarmfall passiert."


    Die Vorstellung, sich nun aus dem warmen Bett zu schälen und nebeneinander in gefühlten zwei Meilen Abstand voneinander durch die Kälte zurückzugehen, missfiel Sabaco zutiefst. Hier drin war es gemütlich.


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    Mal wieder Zeit, den Kleinen zu besuchen. In lockerer Stimmung, wie man ihn selten erlebte, traf Sabaco an der Porta der Ala ein.


    Keine Alkoholfahne umwehte ihn, nicht der Geruch nach bewusstseinserweiternden Räucherwaren, kein Alte-Klamotten-Mief. Unter der frisch gewaschenen und sogar gebügelten, nach Seifenlauge und Kaminrauch duftenden kurzärmligen blauen Diensttunika trug er eine der beiden langärmligen braunen Kuscheltunikas, die ihm Ocella geschenkt hatte, außerdem warme Beinlinge und dicke Socken. Das nach hinten geschlungene Halstuch der Streitkräfte wärmte seinen Hals und Nacken. Nägel, Zähne, Bart, Kopfhaar, Brauen - alles war in tadellosem Pflegezustand. Sabaco verkörperte optisch das Musterbild eines Offiziers.


    "Salve, Kameraden", schnarrte er leutselig. "Suboptio navalorum Matinius Sabaco für Vexillarius Matinius Ocella in privater Angelegenheit. Vorher bitte klarstellen, ob ich die Waffen ablegen soll, das letzte Mal gab es Ärger."


    Von wem wohl. Niemand Normales verlangte von den Kameraden im Castellum nebenan, die unter dem selben Feldherren dienten, bei Besuchen die Waffen abzulegen, außer einer - und das wahrscheinlich auch nur bei Sabaco. Aber nicht einmal das Erscheinen des missliebigen Germanicers würde heute Sabacos prächtige Laune verderben.

    Sabaco ließ die Tabula sinken und blickte ernst in die Runde. Unruhe zu verbreiten lag ihm fern, aber seine Männer waren keine Idioten. Sie spürten, wenn etwas nicht stimmte, ganz gleich, wie sehr sich die Offiziere Mühe gaben, grassierende Gerüchte einzudämmen oder anderslautende Informationen zu verbreiten. Eine Anweisung zur Geheimhaltung gab es nicht, so lag es an jedem Offizier selbst, wie viele Informationen er seinen Männern lieferte. Sabaco beschloss, ihnen die Wahrheit zu sagen, denn die Maßnahmen, die er ihnen gleich im Anschluss anzukündigen gedachte, würden ohnehin eine deutliche Sprache sprechen.


    "Letzter Stand waren drei Todesfälle, zwei davon waren verletzt", räumte er also ein. "Ursache beim dritten - unbekannt. Weitere Fälle im vergleichbaren Umfang sind bei anderen Einheiten aufgetreten. Ob man bereits von einer Seuche sprechen muss ..." Er wiegte den Kopf. Er selbst nannte es im Geist ebenfalls Seuche, allerdings war er kein Medicus.


    "Allgemein bekannt ist, dass in Germania jeden Herbst alle möglichen Krankheiten grassieren. Das liegt an dem feuchtkalten Klima, den meisten von euch brauche ich das nicht zu erklären. Vielleicht fallen die Erkältungen dieses Jahr einfach nur etwas heftiger aus. Jedenfalls möchte ich, dass ihr künftig bei den kleinsten Krankheitssymptomen euren Capsarius informiert."


    Jedes Contubernium besaß einen. In diesem hier war das Eike, auf den er nun mit dem Griffel wies, während er weiter in die Runde schaute.


    "Hört auf seinen Rat, markiert nicht den starken Macker, diese Männer haben ihre Erfahrungen. Er wird entscheiden, ob er euch für weitere Untersuchungen ins Valetudinarium schickt und dann wird auch nicht diskutiert. Wir sind gut aufgestellt, wir haben im Gegensatz zu anderen Einheiten keinen Personalmangel."


    Die Information besagte, dass Eike Krankschreibungen großzügiger als sonst verteilen durfte und sollte.


    "Es ist momentan besser, wenn mal jemand einen Tag zu viel das Bett hüten muss, als dass es einen von uns völlig aus den Latschen haut. Ob Seuche oder nicht, es gab Todesfälle, auch in dieser Einheit, und es sollen keine weiteren hinzukommen.


    Im Frühjahr haben wir eine Lieferung sehr guter Wintertunikas erhalten. Ich möchte, dass ihr sie fortan im Dienst unter der blauen Tunika tragt, auch die Beinlinge. Ich will keinen mehr sehen, der kurzärmlig oder mit nackten Beinen herumrennt. Socken nicht vergessen." Er wies auf ein Paar nackter Füße. "Beschädigungen der Kleidung sind frühzeitig auszubessern und gegebenenfalls Ersatz im Armamentarium zu organisieren. Falls die Kameraden dort sich querstellen, meldet ihr mir das, dann rede ich mit ihnen."


    Notfalls mussten ein paar Münzen oder eine Flasche Wein den Besitzer wechseln, dann klappte das in der Regel. Der Wollmantel war sowieso ganzjährig fester Bestandteil des Marschgepäcks, da er im Sommer vor Regen schützte, den brauchte er nicht extra zu erwähnen. Sabaco würde beim morgendlichen Appell fortan mit Adleraugen kontrollieren, wie witterungsgerecht die Marini gekleidet waren und beschädigte Kleidung nicht akzeptieren.

    Eine Pause kehrte ein, ausgefüllt von Neros Herzschlag und seinem Atem, der sich langsam beruhigte, während sie still übereinander lagen. Vor der Tür ging irgendjemand vorbei und am Fenster rüttelte der Wind. Im Schankraum zerbarst ein Becher und die Gäste johlten. In ihrer Kammer waren sie von allem Weltlichen entrückt. Die Geräusche erreichten sie nur gedämpft. Sabaco streichelte Neros verschwitzten, glitschigen Rücken, das Feuer knisterte. Im Raum war es nun wohlig warm.


    Während Nero langsam wieder zu Atem kam, war Sabaco noch immer in bester Stimmung, übte sich in Geduld, gab ihm Zeit, das Nachbeben zu genießen, während er selbst es kaum noch aushielt. Als er fand, es sei genug, wälzte er sich ohne Vorwarnung mit Nero herum.


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    Als der Sturm vorüber war, lagen sie einträchtig nebeneinander, draußen wurde es langsam ruhig. Sabaco hatte den Arm über Nero gelegt. Seine Augen glommen im Feuerschein, er schlief nicht, noch döste er. Er lag mit allen Sinnen wach und betrachtete ihn. Nero musste sich immer wieder befummeln und küssen lassen, ehe Sabaco wieder still lag und ihn erneut anstarrte.

    Dass in Anbetracht einer grassierenden Seuche, die unvorhersehbar in kürzester Zeit mehrere Kameraden hinweggerafft hatte, jemand seine Frage nach weiteren Toten als Scherz auffassen könnte, kam ihm nicht in den Sinn. Er pflegte über den Tod in den eigenen Reihen keine Scherze zu machen. Jeder tote Kamerad war ein Verlust für die Classis, ein Verlust für Rom.


    Sabaco las die Namen auf der Tabula. Inzwischen kannte er die Namen auswendig und konnte sie den Contubernia zuordnen. Doch gab es eine gewisse Fluktuation durch Versetzungen und Krankheitsfälle. Üblicherweise kamen Informationen über Änderungen in Personalangelegenheiten zu seinem Arbeitstisch. Aufgrund der gehäuften Krankheitsfälle drehte er heute jedoch lieber eine Runde, wie er es sowieso gelegentlich zu tun pflegte, um die Milites in ihren Contubernia aufzuschrecken, damit sie die Stuben ordentlich hielten. Aber auch, damit ein regelmäßiger Informationsaustausch in Sachen Kleinkram stattfinden konnte, für den niemand unbedingt den Suboptio aufsuchte oder dieser extra wen zu sich bestellte.


    "Irgendwelche Fragen, Anmerkungen, Beschwerden, wo ich schon mal hier bin?"


    Er setzte hinter jeden der acht Namen einzeln ein liebevolles Häkchen, anstatt das ganze Contubernium abzuhaken. Es war wohltuend, zur Abwechslung auch mal gute Neuigkeiten zu vernehmen.

    Mit dem Dienstplan ging Sabaco von Stube zu Stube, erkundigte sich, wer einsatzbereit war und wer krank war. Und wer für immer fehlte. Ihn beunruhigte das geheimnisvolle Leiden seiner Männer. Dabei hatten sie doch den Frevel auf der Keto gesühnt?! Wie ging es eigentlich Ruga, der die rituelle Reinigung durchgeführt hatte? Gegen diesen unsichtbaren Feind nützte weder Schwert noch Faust, gegen diese Bedrohung war Sabaco hilflos, was ihm ganz und gar nicht schmeckte. Er war es gewohnt, aus Feinden Kleinholz zu machen.


    Er öffnete die nächste Tür, wartete, bis alle salutiert hatten und der Dienstälteste fertig war mit seiner Meldung. Sabaco zückte die Tabula. "Wie steht es um die Einsatzbereitschaft des Contuberniums? Alle vollzählig oder weitere Krankheitsfälle? Noch mehr Tote?!"

    Halbiert


    So fanden ihn seine Freunde. Sie hatten keinen Trost für ihn, aber Alkohol. Armàndos versuchte gegen Mitternacht, ihn nach Hause zu bringen, weil Sabaco sich dermaßen betrunken hatte, dass ihm der Kopf auf der Brust hing und er nicht einmal mehr lallen konnte. An den langen, von Pausen unterbrochenen Weg vermochte er sich nicht zu erinnern, als er auf einmal die beleuchtete Doppeltür der Casa Matinia erkannte. Groß und bedrohlich ragte sie über ihm empor, mit Eisennieten besetzt. Misstrauisch betrachtete er die schwankende Doppeltür, den Arm über Armàndos gelegt, bis sich die Porta endlich öffnete.


    Als Sabaco seinen Freund mit ins Haus nehmen wollte, flutschte der flugs davon, vielleicht, weil ihnen Schritte entgegenkamen. Mit blutunterlaufenen Augen starrte Sabaco in den Flur, ohne viel zu erkennen. Erst an der Ohrfeige registrierte er, dass sein Gegenüber sein Vater war, der im Nachthemd vor ihm stand, den Zorn ihm ins Gesicht geschrieben. Der Ärger, der seinen Sohn in den folgenden Minuten erwartete, weil er in diesem unwürdigen Zustand zu Hause aufgekreuzt war, ließ Sabaco Armàndos für seine Hilfsbereitschaft verfluchen. Der Alkohol dämpfte den Schmerz, aber nicht die Demütigung.


    Nachdem der Vater mit ihm fertig war, wehrte Sabaco sich gegen die Haussklaven, als wären sie es, die ihn gezüchtigt hätten, drohte ihnen die schlimmsten Dinge an. So ließen sie ihn schließlich auf dem Boden der hauseigenen Thermen liegen. Weiter schafften sie es nicht, den Wüterich zu bringen. Sabaco rollte sich ungebadet in sein Handtuch, zitternd erst vor Zorn, dann vor Trauer, beide Gefühle wurden eins. Sein Kopf sank auf seinen Unterarm. Der Stein war gut beheizt und dass der Boden hart war, störte ihn nicht. Schließlich übermannte ihn der Schlaf.


    Als er erwachte, schien die Sonne durchs Fenster und er lag er in seinem Bett. Vögel sangen, eine Parodie auf seinen Gemütszustand. Sein Kopf wog eine Tonne und sein Herzschlag ging träge. Kaum vermochte er, sich aufzusetzen, jede Bewegung kostete ihn unnatürlich viel Willenskraft. Vielleicht war er krank oder besonders heftig verkatert. Sabaco merkte er an seinem Duft, dass er gewaschen und umgezogen worden war, auch wenn ihm jede Erinnerung fehlte. Er ließ sich ein üppiges Frühstück bringen und brach beim Essen in Tränen aus, weil Ocella dieses Brot mit Schafskäse geliebt hatte, doch niemand wagte, ihn zu trösten. Er blieb allein und stand nach dem Essen auf, um hinunter zum Strand zu gehen, noch nicht einmal nüchtern vom Vorabend. Armàndos winkte ihm zu. Sabaco hob zum Gruß den Beutel mit dem Weinvorrat für den heutigen Tag.


    So setzte der Kreislauf sich Tag für Tag fort, der Herbstwind riss die Blätter von den Zweigen, der Winter bedeckte Hispania mit einem Schleier kalten Regens und nichts änderte sich, außer, dass sie nun häufiger irgendwo in den Innenräumen tranken statt unter freiem Himmel.


    War Sabaco zuvor nur anstrengend gewesen, war er nun unausstehlich. Anstatt sich an den Verlust zu gewöhnen, fraß das Gefühl sich fest und er begann es, auch auf andere zu übertragen. Ließ Armàndos ihn warten, streifte Sabaco hin und her, den Kopf voll finsterer Gedanken, verraten und verlassen worden zu sein. Kehrte Armàndos zurück, wurde er freudig begrüßt und beschlagnahmt. Wehe dem, der sich in ihre Freundschaft drängte. Doch dieser Sklave ließ sich nicht binden und verschwand, wann es ihm beliebte. Er war ein hübscher Bursche und hatte seine Liebschaften überall, was Sabaco nicht gut tat. Er sehnte sich nach der harmonischen Zweisamkeit mit seinem kleinen Bruder. Schmerz machte auf Dauer reizbar. Jeden Traum hindurch schlug Sabaco einen aussichtslosen Kampf, die Nächte mutierten zur Tortur.


    Indem man ihm Ocella geraubt hatte, hatte man Sabaco halbiert. Die empfundene Wunde schmerzte unentwegt, sie blutete, eiterte und wollte nicht heilen.

    << RE: Officium III - Centurio Classicus - Marineinfanterie


    Sabaco hatte sich genau gemerkt, wohin er gehen musste. Es genügte, sich einmal auf der Suche nach der verdammten Post in Mogontiacum zu verirren!


    "Salve", schnarrte er. "Einmal nach Roma, Wertkarte der Classis Germanica sectioni Mogontiacum."


    Ad

    Lucius Annaeus Florus Minor

    Roma


    mors certa

    hora incerta



    Salve Lucius Annaeus Florus Minor,


    diese Zeilen erreichen dich aus der Castra Classis Germanica sectioni Mogontiacum.


    Ich schreibe dir, um dich über den Tod deines Klienten Lucius Annaeanus Tiro zu informieren. Seine sterblichen Überreste und die seines Kameraden Adalrich wurden am ANTE DIEM XI KAL SEP DCCCLXXI A.U.C. (22.8.2021/118 n.Chr.) in der Nähe von Borbetomagus durch eine Flusspatrouille im Rhenus aufgefunden. Eine tiefe Schnittwunde in den Kehlen der beiden Tirones lässt ein Gewaltverbrechen vermuten. Die leblosen Körper wurden nach der Identifikation dem Rhenus überlassen.


    Lucius Annaeanus Tiro starb im Dienst für Rom und Rom wird antworten. Sei gewiss, dass wir alles tun werden, um die Schuldigen zu finden und ihrem gerechten Urteil zuzuführen.


    Mögen die Götter seiner Seele gnädig sein.


    Publius Matinius Sabaco

    clger-suboptioclassis.png

    Servius Antonius Cimber

    clger-centurioclassicus.png

    << RE: Cubicullum Suboptio Matinius Sabaco


    Wieder mal klopfte es ... Sabaco trat ein, grüßte formell und legte dem Centurio dann sein Machwerk auf den Schreibtisch.


    "Für die Angehörigen vom Lucius Anneanus Tiro. Es war keine Notfalladresse von Adalrich hinterlegt, es ist auch kein entsprechendes Feld im Formular der Musterungsakte vorgesehen. Dort stehen zwar die Namen der Eltern, aber nicht der Wohnort. Die könnten aus der gesamten Provinz kommen, theoretisch sogar von außerhalb. Ich möchte anregen, die Notfalladresse dort mit aufzunehmen, so dass es in künftigen Fällen gleich von Anfang an geklärt ist ... ich habe keine Ahnung, wie ich die Hinterbliebenen von Adalrich jetzt ausfindig machen soll. Ich habe seinen Namen mit in der Benachrichtigung des Patrons von Tiro vermerkt, der Wohnort des Patrons war wenigstens durch Herumfragen auffindbar, der hat hier wohl mal in der Secunda gedient. Adalrich und Tiro waren befreundet, vielleicht weiß der Patron was."


    Sabaco tippte auf das Pergament.


    Ad

    Lucius Annaeus Florus Minor

    Roma


    mors certa

    hora incerta



    Salve Lucius Annaeus Florus Minor,


    diese Zeilen erreichen dich aus der Castra Classis Germanica sectioni Mogontiacum.


    Ich schreibe dir, um dich über den Tod deines Klienten Lucius Annaeanus Tiro zu informieren. Seine sterblichen Überreste und die seines Kameraden Adalrich wurden am ANTE DIEM XI KAL SEP DCCCLXXI A.U.C. (22.8.2021/118 n.Chr.) in der Nähe von Borbetomagus durch eine Flusspatrouille im Rhenus aufgefunden. Eine tiefe Schnittwunde in den Kehlen der beiden Tirones lässt ein Gewaltverbrechen vermuten. Die leblosen Körper wurden nach der Identifikation dem Rhenus überlassen.


    Lucius Annaeanus Tiro starb im Dienst für Rom und Rom wird antworten. Sei gewiss, dass wir alles tun werden, um die Schuldigen zu finden und ihrem gerechten Urteil zuzuführen.


    Mögen die Götter seiner Seele gnädig sein.


    Publius Matinius Sabaco

    clger-suboptioclassis.png