Man war über die Ankunft des neuen Tribunus Laticlavius informiert worden, doch den genauen Tag der Ankunft kannte niemand bei so langen Reisen. Es war der erste Sonnentag seit wochenlangem Regen. Vielleicht ein gutes Omen, vielleicht auch Zufall oder ein schlechter Scherz der Götter. Das Tor öffnete sich und die Wache stand Spalier, um den neuen Stabsoffizier zu begrüßen. "Salve, Tribunus Laticlavius Nero Aemilius Secundus!", grüßte der Centurio, während die Milites neugierig den Wagen betrachteten, um einen Blick auf den Neuen zu erhaschen. Auch Cinna äugte unverhohlen.
Beiträge von Aulus Umbrenus Cinna
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Einer der Milites, die für die Aufgabe abgestellt waren, war Aulus Umbrenus Cinna, mit dessen unauffälligem und umgänglichen Naturell der Präfekt heute erneut beglückt respektive gelangweilt wurde. Gemeinsam mit den übrigen 19 Milites und 10 Equites hatte er sich vor dem Tor eingefunden und zog ein professionelles Gesicht, während er sich über die Abwechslung vom Dienstalltag freute. Den Praefectus Castrorum eskortieren zu dürfen, war zweifelsohne eine Ehre, die man als kleiner Miles unter Tausenden nicht alle Tage erlebte.
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Der Empfang des
Praefectus Castrorum
Lucius Iulius Antoninus
Nach dem plötzlichen und unerwarteten Tod des amtierenden Praefectus Castrorum war Lucius Iulius Antoninus als dessen Nachfolger von der Legio XV Apollinaris in Cappadocia zur Legio XXII Primigenia nach Germania superior versetzt worden. Es hieß, der Mann sei aufgrund seiner breitgefächerten Erfahrung ein Glücksgriff. Eine Stunde nach seiner Ankunft in der Castra hatten sich die Führungsoffiziere in der Principia versammelt, um ihren neuen Praefectus Castrorum zu begrüßen.
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Über seinen Schreiber erreichte den Tribun Titus Tuccius Tychicus - wie alle anderen Tribuni und den Primus Pilus - die Information, dass er sich in einer Stunde in der Principia einzufinden habe, um den neuen Praefectus Castrorum in Empfang zu nehmen.
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Die Männer, die sich um die Pferde kümmern sollten, standen schon bereit und würden den Vilicus begleiten, so dass dieser gleich sah, wo die Tiere untergebracht wurden und dass es ihnen gut gehen würde. Die Tiere der Legio waren allesamt in tadellosem Zustand, von einigen alten Tieren abgesehen, die als Ausbildungspferde ihr Gnadenbrot erleben durften.
Für Cinna war jede Aufgabe, bei der er sich die Beine vertreten durfte, eine willkommene Abwechslung vom drögen Wachdienst. Mit der Erlaubnis, wegzutreten, salutierte er vorerst zum letzten Mal und machte sich auf den Weg, um die Tribuni und den Primus Pilus über die Ankunft des Präfekten zu informieren, damit sie ihn in der Principia empfangen konnten.
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Cinna nickte dem besagten Cornelius Turbo zu, bevor er sich wieder ganz dem Präfekten widmete. "In Ordnung. Kann ich sonst irgendetwas tun? Sonst würde ich bei den Pferden helfen."
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Dass jemand von Rang und Namen nahte, sahen die Wachen auf dem Wall schon von weitem und gaben entsprechende Meldung an die Torwachen weiter. Und so stand alles stramm, als der Mann im Muskelpanzer samt seinem Gefolge zu Pferd nahte. Natürlich war angekündigt worden, dass es eine Neubesetzung auf höchster Ebene gab. Man wusste, wer da erschien.
Der Wachoffizier salutierte stellvertretend für seine Soldaten. "Salve, Praefectus Iulius Antoninus! Willkommen in der Castra der Legio XXII Primigenia." Dann schickte er Cinna voran, einen unauffälligen, aber fleißigen Vorzeigesoldaten, der ihm und seiner Truppe keine Schande machen würde.
"Salve, Präfekt. Ich bin Miles Aulus Umbrenus Cinna", stellte er sich vor. Er betrachtete den Mann, der auch in Cappadocia sein Vorgesetzter hatte sein sollen, froh, ihn diesmal heil und gesund empfangen zu können. Cinna zur Seite stand ein Trupp weiterer Helfer, um die Pferde in die Stallungen zu führen und zu versogen. "Ich hoffe, du hattest eine sichere Reise? Darf ich dich in deine Unterkunft führen?"
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Bei dem Wachhabenden handelte es sich um Cinna, der zusammen mit einigen Kameraden von der Legio einen Geburtstag gefeiert hatte. Wein war dabei allerdings keiner geflossen. Das wäre hart bestraft worden, denn in so dichter Frontnähe musste man jederzeit einsatzbereit sein. "Salve", grüßte Cinna den Reisenden, der sich am Tor gemeldet hatte. "Zur Castra der Ala geht's da lang." Er beschrieb dem Mann den schnellsten Weg zur Porta. Da ein befestigtes Lager nicht zu übersehen war, sollte er sich nicht verlaufen. Eine Kontrolle blieb dem Reisenden erspart - er hatte nichts an sich, das eine solche begründet hätte und wurde durchgewinkt.
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Von der Poststelle brachte Cinna den Brief ins Vorzimmer des Tribuns und gab ihn bei dessen Scriba ab:
Ad
Galeo Seius Ravilla
Tribunus Laticlavius
Salve, Tribun.
Der Legat ist bereit dich zu empfangen.
Gier für finde dich bitte pünktlich am morgigen Tag zur siebenten Stunde bei ohm ein
Vale
Paullus Germanicus Cerretanus
Princeps Praetori Germanica Superior
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Der Brief fand seinen Weg in die Poststelle. Aulus Umbrenus Cinna hatte an jenem Tage dort Dienst. Mit einer großen ledernen Tasche verteilte er die zahlreichen Briefe und Päckchen. Auch den Brief für den Tribun trug er ins Vorzimmer von dessen Officium.
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Als der Tribun mit seinem Gefolge erschien, nahmen die Soldaten der Legio XXII Primigenia stramm Aufstellung. Ausgerechnet Cinna sollte nun Rapport geben. Das Machtgefälle zwischen ihnen fühlte sich merkwürdig an - er kannte Ravilla noch aus Cappadocia. Sie beide hatten sich gänzlich unterschiedlich entwickelt. Während Cinna im Schweiße seines Angesichts Straßen baute, saß Ravilla hoch zu Ross und trug das prunkvolle Ornat eines senatorischen Tribuns.
"Salve, Tribun Seius Ravilla", kam zackig Cinnas Gruß. "Die Bauarbeiten kommen besser voran als geplant. Das außerordentlich gute Wetter kommt uns hier sehr entgegen. Wir sind etwa ein Drittel weiter, als geplant!" Er wusste nicht, ob dem Tribun das als Rapport ausreichte, und sah ihn aufmerksam an.
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Germania war in diesen Tagen erfüllt von dem unentwegten Schlagen der Äxte, vom Krachen fallender Bäume und von den Rufen der Männer. Sie kamen gut voran. Die Strecke war bereits vermessen und für die Bauarbeiten markiert worden. Anstatt auf einen bereits vorhandenen Pfad zurückzugreifen und diesen auszubauen, sollte die neue Straße gänzlich neu angelegt werden. Sie in die Landschaft hineinzutreiben, erforderte körperliche Schwerstarbeit: Berge mussten teilweise abgeflacht werden und mit ihrem Material schüttete man anderswo Senken und Täler zu, die den geradlinigen und möglichst steigungsarmen Verlauf der Straße störten. Wie musste es sich für die Germanen anfühlen, wie die Römer mit ihrem Land umgingen, wie sie der germanischen Muttererde mit Äxten, Schaufeln und der Kraft des Wassers den Willen Roms aufzwangen?
Cinna hatte niemanden gefragt. Ihm kam dieser Gedanke nicht. Für ihn, der aus der kargen kappadokischen Hochlandsteppe stammte, waren sie Lebensadern. Die Kappadokier hatten nie etwas dagegen gehabt, dass die Römer ihr Land mit einem Netz von Römerstraßen durchzogen, denn es nützte dem Handel. Zwar hatte er schon gehört, dass die Germanen den Römern gegenüber eine völlig andere Einstellung hatten als die diplomatisch geschickten Cappadocis, doch das Ausmaß der Unterschiede war ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht gänzlich bewusst.
Die Baumfällarbeiten kamen gut voran, auch wenn die Erde vom Winter noch schlammig war und sie ihre Schritte mit Bedacht setzen mussten. Fast schwarze fruchtbare und duftende Erde, wie sie es in seiner Heimat nur in den Schwemmtälern der Flüsse gab. In Germania war ein dicker Mutterboden allgegenwärtig. Was würde man hier für Landwirtschaft betreiben können! Jetzt, als sein erster Frühling in diesem Landstrich begann und die Bäume zarte Blattspitzen trieben, ahnte Cinna, welch dichtes Grün Germania im Sommer kleiden musste. Dieses Land war von den Göttern gesegnet.
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Der Weg von der Porta betrug doch ein längeres Stück, denn die Principia lag im Herzen des Castellums. Bei dem Soldaten, der als Schreiber fungierte, erklärte Cinna, wer die junge Frau war, die er hierher geführt hatte. Der Scriba nickte düster und wies mit dem Griffel auf einen Scherenstuhl, der wohl absichtlich ungepolstert und unergonomisch geformt war. Der Mann war nicht für Geduld und Großmut bekannt, was Gäste betraf, und neigte dazu, aus nichtigen Gründen ein Vorsprechen bei seinem Tribun zu verweigern. Cinna deutete Iunia Matidia mit einem vielsagenden Blick in Richtung des hageren Mannes an, dass mit diesem nicht gut Kirschenessen war.
"Wünsche viel Erfolg." Damit verabschiedete er sich und ließ Iunia Matidia allein mit dem Schreiber im Vorzimmer zurück. Dieser nahm seine Arbeit wieder auf und beugte sich tief über die Wachstafeln. Nur das Kratzen seines Griffels war noch zu hören, und Cinnas leiser werdende Schritte in der Ferne.
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"Salve, Iunia Matidia." Cinna betrachtete den Siegelring. Was Iunier betraf, so kannte er nur Eques Iullius Seius Iunianus Fango flüchtig. Jedoch waren ihm die verwandtschaftlichen Beziehungen der Gens Seia zur Gens Iunia bekannt. "Der Tribun ist momentan im Dienst. Doch ich bin sicher, er wird dich zeitnah empfangen." Wo sollte er Iunia Matidia in der Zwischenzeit nur parken? Es war nicht so, dass es Gästeunterkünfte in einem Militärlager gab, von den prunkvollen Wohnungen der Stabsoffiziere abgesehen. "Folge mir bitte. Ich bringe dich ins Vorzimmer seines Officiums, wo du auf ihn warten kannst."
Damit gab er den Weg vor, um sie auf direktem Wege dorthin zu führen.
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Die erfahrenen Soldaten hatten einen riesen Spaß daran, die Frischlinge zu erschrecken. Trotz der Verkleidung war inzwischen wohl erkannt worden, dass es sich hier nicht um echte Angreifer handelte, denn keiner von ihnen trug langes Haar oder einen Vollbart. Auch fand kein tatsächlicher Angriff statt, sondern alles entpuppte sich als ein riesengroßer Bluff. Den größten Stress hatten nun noch die Pferde, die das nicht unterscheiden konnten.
Die Milites der Legio XXII trommelten unablässig mit den Bararenwaffen auf die runden Barbarenschilde, johlten und brüllten sich die Seele aus dem Leib, in dem Versuch, den Tirones die Kontrolle über ihre Tiere entgleiten zu lassen. Einige fuchtelten und machten weit ausholende Gesten.
Die Centuria war nah, aber nicht so nah, dass sie einen Pferdehuf oder eine im Affekt geschwungene Waffe abbekommen konnten.
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Cinna kam vom Tor. Er wirkte dafür, dass er diesen tristen Dienst versah, guter Dinge. Der Abend dämmerte, doch es war noch nicht zu spät, um sich in der Principia blicken zu lassen. Er trat in das Vorzimmer, wo er sich respektvoll beim Schreiber anmeldete. "Salve, ich bin Legionarius Umbrenus. Ich habe hier einen Brief für den Tribun Seius."
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Natürlich erwischte es Cinna. Aber das machte nichts, so hatte er einen weiteren Vorwandt, Ravilla zu besuchen. Der angehende Senator war hier im Norden eine gewöhnungsbedürftige Erscheinung mit seiner hellenisch geprägten Mode, doch für Cinna, der ebenfalls aus Cappadocia kam, war er ein Hauch von Heimat. Und so begab er sich mit dem Brief zum Officium des neuen Tribuns.
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Cinna begann seinen Dienst in der Legio XXII Primigenia, indem er mit seiner Centuria zur Torwache von Mogontiacum eingeteilt wurde. Für ihn war das dahingehend ein Novum, da Satala keine Stadtmauer kannte, so dass er trotz mehrjähriger Erfahrung in der Legio mit den Abläufen noch nicht vertraut war. Also musste er improvisieren. Die Provinz war ein unsicheres Pflaster, dennoch konnte man bei dem enormen Aufkommen an Reisenden und Händlern unmöglich jeden Reisenden filzen, so dass es galt, Prioritäten zu setzen.
Der junge Mann mit dem Pferd am Zügel, der da seinen Apfel verputzte, wirkte dermaßen harmlos, dass niemand ihm weiter Beachtung schenkte. Wahrscheinlich hätte er einfach durchgehen können. Da er aber trotz allem so brav wartete, fühlte Cinna sich berufen, ihn anzusprechen: "Salve, du kannst passieren!"
Freundlich wies er mit dem Kopf in Richtung des offenstehenden Stadttors.
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Viele Wochen lag die Abreise hinter ihm zurück. Gleichmäßig klapperten die Hufe. Gelbes Gras am Wegesrand, dahinter endloses Grün. Tupfen weißer Blumen, die sich in der stehenden Hitze kaum regten, blaue Schmetterlinge und der Duft von frisch geschlagenem Heu. Germania zeigte sich von seiner herrlichsten Seite. Warum diese Provinz als kalt, nass und dunkel bezeichnet wurde, erschloss sich ihm nicht. In ihrer Fruchtbarkeit erinnerten das Land ihn an die Schwemmtäler des Halys. Nur, dass hier überall dunkle, fruchtbare Böden lagen. Wie reich an Ernte mussten die Jahre sein und wie üppig waren die Weidegründe für das Vieh! In seiner Vorstellung litt hier niemand Hunger oder Durst. Warum also führte man Krieg? Er würde es bald erfahren.
Die eine Hälfte der Reise hatte er mit dem Schiff zurückgelegt, die andere auf Rubicon, seinem Rotfuchs-Hengst, den er aus Cappadocia mitgebracht hatte. Pferd und Reiter spürten die Strapazen, doch in der flimmernden Luft erhob sich vor ihnen endlich das Ziel ihrer Reise. Cinna sah aus der Ferne den Stabsoffizier - welchen Rang genau er bekleiden würde, wusste er nicht. So hieß es warten, ehe er selbst an der Reihe sein würde. In der Zwischenzeit stieg er ab, denn sein Gesäß hatte wahrlich genug gelitten.
Und als er endlich an der Reihe war, wusste er wie die Dinge zu laufen hatten - er war lange genug bei der Legio. Er drückte die Faust auf sein Herz und sah dem Soldaten fest in die Augen. "Salve, ich bin Legionarius Aulus Umbrenus Cinna! Hier ist mein Marschbefehl, ich komme frisch aus der Legio XV Apollinaris in Satala."
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Cinna nahm etwas überrumpelt den Marschbefehl entgegen. Natürlich hatte er darauf gehofft, doch damit, dass alles schon vorbereitet war, hatte er nicht gerechnet. "Danke, Prafectus Castrorum! Vale." Er schlug die Faust auf sein Herz, dann trat er weg. Sein Weg führte ihn ohne Umwege in seine Baracke, wo er sich auf den Marsch vorbereiten würde.