Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    "Natürlich kann ich das. Es ist eigentlich ganz einfach. Die Polis hat ein Gesetz, das die Gefährdung des öffentlichen Friedens mit Verbannung aus der Polis bestraft. Die Dauer der Verbannung wurde nie festgeschrieben. Was nicht im Gesetz festgelegt ist, kann durch das Gericht wenigstens für den Einzelfall festgelegt werden. Die Voraussetzungen für eine Gefährdung des öffentlichen Friedens ist im Recht der Polis auch sehr schwammig formuliert. Wenn eine Mehrheit des Magistrates der Polis aber der Auffassung ist, dass eine Gefährdung vorliegt, genügt das. Natürlich hätte der Augustus oder sein Praefectus ein Veto-Recht gehabt, aber das wurde nicht genutzt. So einfach kann es sein."


    Ich nahm einen Schluck Wein und ließ Stilo einen Moment Zeit zum Nachdenken, bevor ich weitersprach.


    "Im Gegensatz dazu verlangt der Codex Iuridicialis klare Beweise für die Schuld und ein verwirklichtes Verbrechen. Hier greift der Grundsatz 'Im Zweifel für den Angeklagten'. Entsprechend war das Verfahrens nach alexandrinischem Recht sehr viel einfacher, wenn auch weniger ausgeglichen. Ehrlicherweise gebe ich unserem römischen Recht den Vorzug. Ich muss aber zugeben, dass das alexandrinische Recht besser zur Gefahrenabwehr geeignet ist. Man könnte es auch so ausdrücken, dass römisches Recht den einzelnen Bürger schützt, während alexandrinisches Recht die Bürger als Gesamtheit schützt. Ein kleiner, aber bedeutender Unterschied."

    "Ein interessantes Gesellschaftsmodell. Ideal auf militärische Belange ausgelegt. Und, wenn ich das richtig deute, liegt hierin auch die Schwäche. Durch eine vernichtende Niederlage, so wie sie Sparta, wenn auch gegen eine Übermacht, erleiden musste, kann es zu einer Destabilisierung der Gesellschaft kommen. Die neue Ordnung führt dann zwangsläufig zu einem Niedergang der alten Ordnung. Ich fürchte, dass du deshalb richtig liegst und der Geist Spartas stirbt. Das ist durchaus bedauerlich, weil es wohl äußerst selten ist, dass sich ein Staat so vollständig einem Ziel verschrieben hat. Mir ist zumindest kein anderes Beispiel bekannt. Selbst Athens streben nach Wissen und Kunst war nicht in dieser Konsequenz. Ich danke dir für deine Erörterungen."


    Vielleicht war es ja Roms Stärke, genau diese 'schnöde Außenpolitik' so zur Perfektion zu bringen, wie Sparta das Kriegerwesen zur Perfektion gebracht hatte? Dann kam mir aber noch ein Gedanke.


    "Vielleicht hat Sparta aber auch schlichtweg den Zeitpunkt verpasst, seinen Geist nach seinen Regeln zu verändern?"

    Ich nickte.


    "Dann werde ich mein Bestes geben, Patrone. Hast du noch Fragen oder Wünsche?"


    Es war schon ein wenig erstaunlich, wie leicht es mir fiel, Annaeus Florus als Patron anzusprechen. Mein Vater wäre sicher enttäuscht, doch war ich nicht mein Vater. Ich musste meinen eigenen Weg gehen, nicht den meines Vaters. Und wenn mir mein Patron ein Wegweiser und Begleiter sein würde, dann würde ich meinen Weg auch finden. Was auch immer der göttliche Logos für mich vorgesehen hatte, ich war mir sicher, dass ich mich mit der Hilfe meines Patrons nicht auf dem Weg meines Lebens verlaufen würde.

    "Für die Unterstützung werde ich sorgen wissen. Deine Wahl käme mir in einem Fall auch sehr gelegen. Meinst du, dass es dir nützen könnte, wenn ich vielleicht einen Mandanten von mir davon überzeugen könnte, eine Cena für dich auszurichten und ein paar Patrizier und andere hochgestellte Gäste einzuladen?"

    Ich hörte aufmerksam zu. Meine Frage wurde zu meiner Zufriedenheit beantwortet.


    "Danke für die Antwort, Senator. Die Wasserversorgung ist etwas, das mich noch aus meinen früheren Studienjahren interessiert. Und erloschen ist das Interesse bis heute nicht. Vielleicht ergibt sich ja irgendwann ein Posten in der Wasserverwaltung für mich. Wenn ich mir einen Namen als Jurist gemacht habe vielleicht. Meine Bildung ist recht umfassend, was man nach zehn Jahren am Museion aber auch erwarten können sollte."


    Das ich zu den besten Studenten gehörte, erwähnte ich nicht. Das würde Annaeus Florus Minor auch selbst herausfinden, wenn es ihn interessierte.


    "Ich habe noch viele Fragen und wenig Antworten, doch schulde ich dir zunächst eine Antwort auf eine Frage, die bei meinem Besuch auch im Raum steht, ja von vornherein im Raum stand. Du hast bereits angeboten, mich als Klienten zu akzeptieren. Und nach unseren Gesprächen des heutigen Abends denke ich, dass du der richtige Patron für mich sein könntest. Sofern du deine Meinung nicht geändert hast, würde ich mich, geehrt fühlen, wenn ich mich zu deinen Klienten zählen dürfte."

    Welches Verbrechen er wohl begangen hatte? Ich würde ihn das irgendwann fragen, aber noch nicht jetzt. Andere Dinge interessierten mich mehr, zumal er ja ein zuverlässiger Sklave zu sein schien.


    "Was mich an Sparta interessiert, ist vor allem die Gesellschaftsstruktur. Ich habe nie so richtig verstanden, in welche Klassen die Menschen in Sparta eingeteilt sind und welche Rechte und Pflichten damit einhergehen. Auch würde mich interessieren, wie wir Römer dort eingeordnet werden. In Alexandreia sind wir ja besipielsweise als Proxenoi den Polites gleichgestellt. Und die Gesetze Spartas interessieren mich ebenfalls. Sind sie schriftlich niedergelegt? Wer beschließt sie? Wer sitzt zu Gericht? Gibt es spezialisierte oder gewählte Richter?"

    "Wenn ich mich nicht irre, bist du für den Bau eines neuen Aquädukts verantwortlich. Das ist eine gute Sache, weil es das Leben vieler Römer verbessern wird. Allerdings gibt es eine Sache, die ich mich frage."


    Ich ließ eine kurze rhetorische Pause.


    "Nun ist es ja so, dass für jede Amphore Wasser, die in die Stadt hineinkommt, auch eine Amphore wieder heraus muss. Allerdings ist mir nichts bekannt geworden, dass die Kanalisation auch ausgebaut wird. Lediglich die Baustellen des Aquädukts sind in aller Munde. Daher würde mich interessieren, ob die Kapazität der Kanalisation vorab geprüft wurde. Oder soll das noch geschehen? Oder wurde es vergessen?"

    "Falls ich einen nützlichen Hinweis geben konnte, würde mich das freuen," sagte ich mit einem zufriedenen Lächeln.


    "Was das Rechtsgutachten anbetrifft, so ging es dort vor allem darum, ob es besser wäre, § 3 in Verbindung mit § 5 Absatz 2 Decretum Christianorum anzuwenden, oder ob man Hochverrat im Sinne von § 64 Codex Iuridicialis oder § 65 desselben Gesetzes bemühen sollte. Hochverrat wäre aber recht schwer zu beweisen gewesen, während Missionstätigkeit und allgemeine Gesetzesverstöße, vor allem gegen religiöse Gesetze - in diesem Fall der Polis Alexandreia - durchaus beweisbar waren. Allerdings hätte dann das Iudicium Imperatoris urteilen müssen. Wir haben uns deshalb dazu entschieden, die Gesetze der Polis Alexandreia zu bemühen und die Störenfriede zu verbannen. Der Weg dürfte so in Rom nur schwer möglich sein. Allerdings gibt es hier die Möglichkeit der Klage vor dem Iudicium Imperatoris, die in Alexandreia unnötig kompliziert gewesen wäre und zu einer unangebrachten Verzögerung des Verfahrens geführt hätte."


    Ich hoffte, dass ich mich halbwegs verständlich ausgedrückt hatte. Die Materie war relativ komplex. In Rom wäre es einfacher, zumal hier keine Gesetze einer anderen Polis galten.

    Ich hörte mir die Fragen aufmerksam an. Bevor ich antwortete, nahm ich einen Schluck Wein.


    "Keine Sorge, ich empfinde es nicht als Verhör. Ich teile mein Wissen gerne mit dir. Vielleicht hilft es ja." Ich hätte jedem Prätorianer diese Fragen beantwortet. Das sah ich als Bürgerpflicht an. "Wir waren schon ein paar Mal nah an einer Eskalation, aber soweit ich das weiß, haben die Judäer der Stadtwache rechtzeitig Hinweise geben können. Oder es waren andere Splittergruppen der Christianer. Da bin ich mir nicht sicher. Auf jeden Fall stehen die Christianer in Alexandreia unter Beobachtung. Das gelingt meistens ganz gut, weil sie sich als Christianer zu erkennen geben. Sobald die Stadtwache nur den geringsten Verdacht hat, dass sich eine Splittergruppe radikalisiert, wird sofort eingegriffen und die Gruppe verhört. Wenn sich der Verdacht erhärtet, werden sie aus der Polis verbannt. Ich habe einmal an einem Rechtsgutachten zur Verbannung mitgeschrieben."

    "Ähnliche Probleme?"


    Ich lachte.


    "Lass es mich so ausdrücken. In Alexandreia gibt es eine recht große Gemeinde der Judäer. Die haben einen recht seltsamen Glauben mit einem eklatanten Mangel an Göttern. Die haben nämlich nur einen. Dazu kommen dann noch Christianer. Aber es gibt nicht DIE Christianer. Nein, es gibt einige, die sich den Judäern zurechnen und andere, die sich von denen abgespalten haben. Und nochmal andere, und alle streiten sich untereinander und mit den Judäern und manchmal auch mit den vernünftigeren Menschen. Manche von diesen Christianern lehnen sogar Bildung ab. Ich habe sie von unauffällig bis radikal erlebt. Glücklicherweise haben Stadtwache und Legion die Polis gut genug unter Kontrolle, damit keine von diesen Christianergruppen Ärger macht. Übrigens haben Christianer auch einen eklatanten Mangel an Göttern. Die einen glauben nur an einen, wie die Judäer. Die anderen glauben, dass es in Wirklichkeit drei seien. Oder drei, die aber nur einer sind oder so einen Blödsinn. Wenn du mich fragst, sollte man sie alle auf eine Insel sperren und durch Experten untersuchen lassen. Man könnte sicher viel über Krankheiten des Geistes lernen."

    Ich hörte mir die Antworten konzentriert an. Das hörte sich alles recht gut an. Doch etwas musste ich noch klären.


    "Wir Iunii sind ungewöhnlich. Vielleicht auch etwas verrückt. Aber da sage ich die sicher nichts Neues. Eine Frage hätte ich aber noch. Die Gens Aurelia zählt nicht zu deinen Gegnern, oder?"


    Hoffentlich würde ich jetzt keine schwere Entscheidung treffen müssen.

    "Ich danke dir für dein Angebot, Senator. Doch möchte ich, dass du noch etwas erfährst, bevor wir hier eine Entscheidung fällen. Mein Vater hatte keinen Patron. Er lehnte das immer ab, weil er es für unvereinbar mit seiner juristischen Tätigkeit hielt. Ich selbst sehe hierin keine Schwierigkeiten, würde aber als Klient insistieren, jene Geheimnisse, die mir meine Mandanten im Vertrauen auf meinen objektiven Rat und deren Vertretung als Advocatus offenbart haben, auch dir gegenüber geheim zu halten. Können wir uns darauf einigen?"


    Ich wusste natürlich, dass dieses eine Einschränkung der Möglichkeiten, wie ich als Klient meinen potenziellen Patron unterstützen könnte, sein würde. Doch war Vertrauen in meinem Beruf ein wertvolles Gut und ich hoffte, hier nicht im Widerspruch zur Ansicht des Annaeus zum Thema der persönlichen Integrität zu stehen.


    "Auch solltest du wissen, dass es mein Vater meiner Einschätzung nach durchaus in den Ordo Equester hätte schaffen können, wäre er nicht so eigenwillig gewesen. Für mich selbst steht, schon aus philosophischen Gründen, der Dienst am römischen Gemeinwesen im Vordergrund meines Schaffens. Sollte dies aber irgendwann mit einer Erhebung verbunden sein, wäre ich nicht abgeneigt. Denn in einem höheren Ordo kann man auch mehr bewirken. Doch wünsche ich nichts zu erhalten, was ich mir nicht verdient habe. Könntest du dir vorstellen, mir hierbei zu helfen? Einerseits, wenn es darum geht, irgendwann erhoben zu werden und andererseits, wenn es darum geht, mich zu bremsen oder zu korrigieren, wenn ich etwas anstrebe, was unrealistisch oder unangemessen ist?"


    Es war noch eine weitere Frage meinerseits im Raum.


    "Da ich die letzten zehn Jahre am Museion verbracht habe, mag es auch sein, dass ich mir ein paar Dinge angewöhnt habe, die zwar unter Philosophen recht gut funktionieren, nicht jedoch unter normalen Römern. Insofern mag es vorkommen, dass ich dich um einen Rat bitten mag, der eher dem eines Mentors als dem eines typischen Patrons entspricht. Hättest du damit ein Problem?"


    In Anbetracht der noch lebenden Verwandtschaft war das eine Frage, die für mich bedeutsam war. Die Zeit in Alexandria hatte mich schon ein wenig von Rom entfremdet.


    "Zum Schluss sei noch die wichtigste Frage gestellt: Wie könnte ich dich unterstützen, wenn ich dein Klient wäre?"

    Ich notierte mir geistig den Namen 'Lucius Annaeus Florus Minor', nicht ahnend, dass mir später ein Freund die gleiche Person als Patron empfehlen würde.


    "Gerne darfst du dich bedienen. Es wäre schade, wenn die Eier nur als Dekoration Verwendung finden würden." Dabei grinste ich und nahm mir selbst ein Ei. "Das beste daran ist die Soße, finde ich."


    Dann kam ich aber wieder zurück zum Thema.


    "Ich danke dir für deine Empfehlungen und natürlich auch schonmal im Voraus dafür, dass du mich nicht vergessen wirst, wenn sich ein Fall für mich ergeben würde. Wenn ich mich in irgend einer Form einmal erkenntlich zeigen kann, weißt du ja, wo du mich findest.


    Gibt es sonst noch Dinge, die ich wissen sollte? Ich habe gehört, dass es Schmierereien an Tempeln gab. Normalerweise gebe ich ja nichts auf Gerüchte, aber wenn ich schon einmal einen Prätorianer zu Gast habe..." Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern und nahm einen Schluck Wein.

    "Ich erkenne leider keine belastbare Evidenz deiner Vermutung eines Hinweises. Daher würde ich diese Diskussion gerne damit beschließen, dass wir hier keinen Konsens herstellen können und uns lediglich im Dissens einig sind."


    Sonst würden wir uns hier noch ewig im Kreis drehen.


    "Ich hoffe aber, dass wir uns darin einig sind, dass hier eine Lücke im Gesetz vorliegt, die leicht zu vermeiden gewesen wäre. Das einfache Wort 'ununterbrochen' hätte Klarheit geschaffen. Man hätte also nur schreiben müssen, dass nach einem Jahr ununterbrochenen, unangefochtenen Besitzes eine Sache in das Eigentum des Besitzers übergehe. Schon wäre die Sache klar geregelt. Besteht hierin Konsens?"

    "Babylonisch braucht man, um die Schriften zur Mathematik und Astronomie in der Sprache zu lesen. Übersetzungen verlieren immer etwas von ihrem Inhalt." Das war auch der einzige Grund, warum ich diese Sprache gelernt hatte.


    Den Wein würde ich ihn natürlich nicht allein tragen lassen, sondern einen Sklaven den Transport erledigen lassen.


    "Kappadokien müsste ich mir dann nochmal überlegen. Rom ist natürlich auch nicht schlecht, und mein Name würde hier auch schneller von den richtigen Personen gehört werden. Was mich zu deiner Frage bringt. Du kannst mir sicher mehr als einen Rat geben, aber das Wichtigste zuerst: Welche Personen würden einen brauchbaren Patron abgeben? Und von welchen sollte ich mich in dieser Hinsicht besser fernhalten?


    Und vielleicht noch diese Frage: Ihr habt doch sicher immer ein paar Gefangene in den Castra. Wenn es da mal zu einem öffentlichen Prozess kommen sollte, würde ich gerne eine Seite vertreten. Entweder als Unterstützung bei der Vorbereitung der Anklage, oder als Advocatus der Verteidigung. Vielleicht kannst du mich diesbezüglich vermitteln oder informieren?"


    Vielleicht war ich mit der Frage zu direkt gewesen. Vielleicht würde ich mich dort auch Aufmerksamkeit auf mich ziehen, die ich lieber nicht haben wollte. Ich hoffte einfach, dass mir Seius Stilo abraten würde, wenn er das für eine dumme Idee halten würde.

    "Dem widerspreche ich. Denn manchmal hat man schlichtweg vergessen, einen Sachverhalt zu regeln. Oder man hielt ihn zum Zeitpunkt der Gesetzesentstehung für so offenkundig, dass eine Regelung unnötig erschien. Später geriet dies jedoch in Vergessenheit. In solchen Fällen liegt dann eine Lücke vor. Jedoch keine geplante, sondern eine planwidrige Lücke. Hier erscheint es geboten, durch Analogie die Lücke zu schließen.


    Betrachten wir noch einmal den Fall einer Usucapio einer Sache, beispielsweise eines Sklaven. Angenommen, die Analogie wäre nicht anwendbar und der Zeitraum von einem Jahr könne beliebig unterbrochen werden. Dann könnte ich mir ja einen Sklaven für einen oder zwei Tage ausleihen, ihn dann zurückgeben und kurz vor Ablauf des Jahres erneut ausleihen, um so einen Gesamtzeitraum der Ausleihe ab dem ersten Tag bis zum letzten Tag, inklusive der Unterbrechung, von einem Jahr zu vervollständigen. Da nun nachweislich ein Zeitraum von einem Jahr ab dem ersten Ausleihen bis zum letzten Ausleihen vergangen wäre, müsste demnach der Sklave durch Usucapio in mein Eigentum übergegangen sein. Du wirst mir aber zustimmen, dass dieses Ergebnis widersinnig wäre.


    Mehr Sinn macht es, wenn eine längere Unterbrechung die Usucapio hindert. Fraglich ist dann, was eine längere Unterbrechung ist. Andererseits sollte eine nur sehr kurze Unterbrechung nicht zum Verlust der Usucapio führen. Denn auch das wäre eine zumindest fragliches Ergebnis. Aber was ist sehr kurz? Hier sollte man nun fragen, ob es schon eine Regelung zur Usucapio gibt, die eine entsprechende Frage beantwortet. Und die gibt es in der Tat, nur zu einer anderen Fallkonstellation, nämlich der Ehe. Fraglich ist daher, ob das einen ähnlichen Rechtsmechanismus darstellt. Wir haben zwei Fälle einer Usucapio. Beide Fälle beinhalten Res mancipi. Bei beiden Fällen ist die Rechtsfolge eine Übertragung, jedoch einmal eines Herrschaftsrechts und einmal eines Eigentums. Der Fall des Herrschaftsrechts ist geregelt. Warum sollte der Fall des Eigentums anders geregelt sein?


    Ist diese Regelungslücke geplant? Es gibt keinen Hinweis darauf, dass man Eigentum explizit herausnehmen wollte. Es gibt aber auch keinen Hinweis, dass man es hinein nehmen wollte. Es wird lediglich festgehalten dass in der Regel nach einem Jahr Res mancipi durch Usucapio in das Eigentum des Besitzers übergehen. Es wird nicht erwähnt, dass diese Frist unterbrochen werden dürfe. Es wird aber auch nicht erwähnt, dass sie nicht unterbrochen werden dürfe. Eines von beiden muss aber der Fall sein, da sich beide Varianten gegenseitig ausschließen. Für eine Res mancipi steht aber eine Regelung fest, nämlich in Form des Trinoctiums. Warum steht also diese Regelung explizit im Gesetz? Vielleicht war es für die anderen Fälle nicht nötig, das zu regeln, weil es nur bei der Ehe entsprechende Fälle gab. Oder es musste für die Ehe noch einmal besonders betont werden, weil es in anderen Fällen bereits klar war, bei der Ehe jedoch nicht.


    Es bleiben zwei Möglichkeiten. Entweder man entscheidet sich, zu raten, ob die Usucapio von Eigentum unterbrochen werden kann. Dann müsste man für ein ausgewogenes Urteil eine Münze werfen. Das widerspricht aber dem Gedanken, dass Recht klare Regeln schafft. Oder man geht davon aus, dass eine Gesetzesanalogie zur ähnlichsten Causa gegeben ist. Dann ist aber auch die Unterbrechung einer Usucapio von Eigentum in einer dem Trinoctium ähnlichen Weise zu behandeln, um Klarheit aus dem Gesetz zu ziehen."


    Ich überlegte mir, ob ich nicht einen Kommentar zur Usucapio verfassen sollte. Die Gedanken waren zu gut, um sie nicht einem breiteren Publikum zu eröffnen. Natürlich waren diese Gedanken stark philosophisch geprägt. Aber das musste ja nicht schädlich sein. Ich könnte es aber auch als Streitschrift verfassen. Das Potenzial war jedenfalls da.