"Dem widerspreche ich. Denn manchmal hat man schlichtweg vergessen, einen Sachverhalt zu regeln. Oder man hielt ihn zum Zeitpunkt der Gesetzesentstehung für so offenkundig, dass eine Regelung unnötig erschien. Später geriet dies jedoch in Vergessenheit. In solchen Fällen liegt dann eine Lücke vor. Jedoch keine geplante, sondern eine planwidrige Lücke. Hier erscheint es geboten, durch Analogie die Lücke zu schließen.
Betrachten wir noch einmal den Fall einer Usucapio einer Sache, beispielsweise eines Sklaven. Angenommen, die Analogie wäre nicht anwendbar und der Zeitraum von einem Jahr könne beliebig unterbrochen werden. Dann könnte ich mir ja einen Sklaven für einen oder zwei Tage ausleihen, ihn dann zurückgeben und kurz vor Ablauf des Jahres erneut ausleihen, um so einen Gesamtzeitraum der Ausleihe ab dem ersten Tag bis zum letzten Tag, inklusive der Unterbrechung, von einem Jahr zu vervollständigen. Da nun nachweislich ein Zeitraum von einem Jahr ab dem ersten Ausleihen bis zum letzten Ausleihen vergangen wäre, müsste demnach der Sklave durch Usucapio in mein Eigentum übergegangen sein. Du wirst mir aber zustimmen, dass dieses Ergebnis widersinnig wäre.
Mehr Sinn macht es, wenn eine längere Unterbrechung die Usucapio hindert. Fraglich ist dann, was eine längere Unterbrechung ist. Andererseits sollte eine nur sehr kurze Unterbrechung nicht zum Verlust der Usucapio führen. Denn auch das wäre eine zumindest fragliches Ergebnis. Aber was ist sehr kurz? Hier sollte man nun fragen, ob es schon eine Regelung zur Usucapio gibt, die eine entsprechende Frage beantwortet. Und die gibt es in der Tat, nur zu einer anderen Fallkonstellation, nämlich der Ehe. Fraglich ist daher, ob das einen ähnlichen Rechtsmechanismus darstellt. Wir haben zwei Fälle einer Usucapio. Beide Fälle beinhalten Res mancipi. Bei beiden Fällen ist die Rechtsfolge eine Übertragung, jedoch einmal eines Herrschaftsrechts und einmal eines Eigentums. Der Fall des Herrschaftsrechts ist geregelt. Warum sollte der Fall des Eigentums anders geregelt sein?
Ist diese Regelungslücke geplant? Es gibt keinen Hinweis darauf, dass man Eigentum explizit herausnehmen wollte. Es gibt aber auch keinen Hinweis, dass man es hinein nehmen wollte. Es wird lediglich festgehalten dass in der Regel nach einem Jahr Res mancipi durch Usucapio in das Eigentum des Besitzers übergehen. Es wird nicht erwähnt, dass diese Frist unterbrochen werden dürfe. Es wird aber auch nicht erwähnt, dass sie nicht unterbrochen werden dürfe. Eines von beiden muss aber der Fall sein, da sich beide Varianten gegenseitig ausschließen. Für eine Res mancipi steht aber eine Regelung fest, nämlich in Form des Trinoctiums. Warum steht also diese Regelung explizit im Gesetz? Vielleicht war es für die anderen Fälle nicht nötig, das zu regeln, weil es nur bei der Ehe entsprechende Fälle gab. Oder es musste für die Ehe noch einmal besonders betont werden, weil es in anderen Fällen bereits klar war, bei der Ehe jedoch nicht.
Es bleiben zwei Möglichkeiten. Entweder man entscheidet sich, zu raten, ob die Usucapio von Eigentum unterbrochen werden kann. Dann müsste man für ein ausgewogenes Urteil eine Münze werfen. Das widerspricht aber dem Gedanken, dass Recht klare Regeln schafft. Oder man geht davon aus, dass eine Gesetzesanalogie zur ähnlichsten Causa gegeben ist. Dann ist aber auch die Unterbrechung einer Usucapio von Eigentum in einer dem Trinoctium ähnlichen Weise zu behandeln, um Klarheit aus dem Gesetz zu ziehen."
Ich überlegte mir, ob ich nicht einen Kommentar zur Usucapio verfassen sollte. Die Gedanken waren zu gut, um sie nicht einem breiteren Publikum zu eröffnen. Natürlich waren diese Gedanken stark philosophisch geprägt. Aber das musste ja nicht schädlich sein. Ich könnte es aber auch als Streitschrift verfassen. Das Potenzial war jedenfalls da.