Beiträge von Aulus Iunius Tacitus

    Ich werde vom 01.-05.05. auf dem Scharnhorstfest in Großgörschen sein. Da ich dort ohne Laptop sein werde, schaue ich vielleicht per Handy mal rein, werde aber nichts schreiben.


    Und da ich schonmal dabei bin: Vom 09.-12.05. bin ich wahrscheinlich ebenfalls unterwegs.

    Ich nickte.


    "Exakt erkannt. Allerdings habe ich einen Tipp für dich: Wenngleich wir Juristen uns aus den gebildeten Personen rekrutieren, gilt das längst nicht zwingend für die Öffentlichkeit, die sich Gerichtssitzungen ansieht. Dieses Publikum ist aber wichtig. Wenn der Praetor oder Iudex unentschlossen ist, weil der Fall kompliziert ist, sollte man das Publikum auf seine Seite ziehen. Die Stimmung des Publikums wird vom Gericht durchaus wahrgenommen. Das führt dazu, dass bei unklarer Sachlage die Stimmung des Publikums entscheidend sein kann. Sozusagen eine Art inoffizielles Meinungsbild. Damit die weniger Gebildeten im Publikum nicht verliert, sollte man sich einfacherer Sprache bedienen. Auf keinen Fall soll man die Sprache der Gosse verwenden, doch soll man auch nicht so sprechen, als würde man einen Vortrag an der Akademie in Athen halten. Gebildet ja, aber für das einfache Volk noch verständlich."

    Da es keine Fragen zu geben schien, beschloss ich, nach einem Schluck Posca aus einer Feldflasche weiter zu dozieren.


    "Artikel VII gibt dem Kaiser ebenfalls eine Gesetzgebungskompetenz. Es erlaubt ihm nämlich, die Grenzen des Pomerium und des Imperium Romanum vorzuschieben, wenn es seiner Meinung nach im Interesse des Staates liegt. Die Verschiebung von Grenzen, seien es nun die sakralen des Pomerium oder die realen des Imperium Romanum, bedarf aber einer Entscheidung im Gesetzesrang. Besonders an dieser Vorschrift ist, dass diese Verschiebungen nicht willkürlich erfolgen dürfen, sondern im Interesse des Staates sein müssen. Der Kaiser muss also im Zweifel begründen können, worin seiner Ansicht nach der Nutzen für den Staat liegt. Wir werden das in einer späteren Lektion noch einmal näher betrachten."


    Ich machte nur eine kurze rhetorische Pause, um klarzustellen, dass dieser Artikel damit abgeschlossen war.


    "Artikel IX, der im Gesetz altertümlich VIIII geschrieben wird, ist ein sogenannter Auffangtatbestand. Sehen wir uns den Wortlaut an: 'Er erhält das Recht, alle Maßnahmen einzuleiten und durchzuführen, die nach seiner Ansicht im Interesse des Staates liegen und angemessen sind, so wie es Divus Augustus und seine Nachfolger hatten.' Dieser Wortlaut gibt dem Kaiser das Recht, alles zu tun, was im Interesse des Staates liegt und angemessen ist. 'Alles' bedeutet auch, Gesetze zu erlassen. Da keine genaue Bestimmung getroffen wird, wird hiermit alles ermöglicht, so lange es den beiden Einschränkungen genügt. Damit werden alle Tatbestände aufgefangen, die zuvor nicht genannt wurden. Daher der Begriff des Auffangtatbestands. Wir Juristen sprechen stets von Tatbeständen, die in Gesetzen geregelt werden. Unter diese Tatbestände werden Lebenssachverhalte subsumiert. Das bedeutet, dass wir bei jedem Sachverhalt prüfen, ob es hierfür einen Tatbestand im Gesetz gibt. Der Begriff des Tatbestands ist dabei nicht wertend zu sehen. Schließlich gibt es gute und schlechte Taten. Die Lex Aquilia listet im Wesentlichen gute Taten auf. Doch nun wollen wir noch einmal die beiden Einschränkungen des Artikel VIIII betrachten. Welche sind das und wie sind sie zu deuten?"


    Gespannt wartete ich, wer sich zuerst zu Wort melden würde.

    "So, der Wein ist erheiternd? Dann sollte ich ihn mal probieren und sehen, ob ich das verifizieren kann."


    Ich lachte herzlich. Es war schön, mit meiner kleinen Schwester unterwegs zu sein. Es wurde mir erst jetzt bewusst, dass mir am Museion etwas gefehlt hatte. Die Familie war eben doch wichtig. Vielleicht verstanden wir uns aber auch deshalb jetzt so gut, weil wir uns nicht in unserer jeweiligen Pubertät ertragen mussten? Die regelmäßigen Briefe hatten ja doch für eine gewisse Abmilderung der schlimmsten pubertären Ausbrüche gesorgt. Wobei ich von mir glaubte, dass ich selbst in der Pubertät sehr ruhig war. Gegenüber vielen meiner Mitstudenten mochte diese Einschätzung sogar stimmen. Abgesehen davon hatte Alexios stets darauf geachtet, dass seine Schüler sich halbwegs im Griff hatten.


    Langsam kamen wir ans Ende der Gräber und das Theater kam in Sicht. Bei der Anreise hatte ich nicht darauf geachtet, doch nun fiel mir auf, dass es ein ziemlich großes Theater war. Jedenfalls für die Provinz. Ich versuchte, anhand der Größe Rückschlüsse auf die Kapazität zu machen.


    "Was meinst du, wie viele Personen im Theater einen Platz finden? Achttausend, neuntausend? Vielleicht zehntausend? Das Gebäude ist recht groß. Taugt die Besetzung etwas? Bei so einem großen Theater sollte man mit einer guter Besetzung rechnen, oder?"


    Während ich sprach, gingen wir weiter auf das Theater zu.

    Wenn ich Zeit finde, lese ich momentan (seit fast 3 Monaten) "Post Captain" von Patrick O'Brian. Man ist einfach gerne mal mit Jack Aubrey auf See. ;)


    Außerdem habe ich mir die "Fasti" von Ovid geholt und lese seit Januar parallel zum Jahreszyklus die entsprechenden Festtage der Römer nach. Wenn man das so macht, ist es recht überschaubar. Ich muss aber feststellen, dass mein Latein übelst eingerostet ist.

    "Sehr gut. Dann gehen wir weiter die Lex Aquilia durch. Der nächste Artikel, der dem Kaiser gesetzgeberische Vollmachten gewährt, ist Artikel V. Artikel V, Alternative I ist das Recht, Senatssitzungen abzuhalten. Das gewährt tatsächlich keine Gesetzgebungskompetenz, weil der Senat nicht in jeder seiner Sitzung ein Gesetz beschließen muss. Allerdings ist die Einberufung zu Senatssitzungen Voraussetzung für das, was in diesem Artikel folgt. Alternative II gibt dem Kaiser nämlich das Recht, Anträge zu stellen. Das bedeutet natürlich nicht, dass der Senat dem Antrag auch zustimmen wird, ist aber eine der wichtigsten Vollmachten in der senatorischen Gesetzgebung. Kein Gesetz ohne Antrag. Alternative III ist das Recht, Anträge zurückzuweisen. Diese Alternative ist bereits eine Vollmacht zur Gesetzgebung, genauer gesagt zur negativen Gesetzgebung. Auch, ein Gesetz zu verhindern, ist ein Gesetzgebungsakt. Alternative IV schließlich ist die eigentliche Gesetzgebungsvollmacht. Der Kaiser kann Senatsbeschlüsse durch Antrag und Abstimmung herbeiführen. Außer dem Kaiser besitzen nur noch die Konsuln dieses Recht. Es soll vor allem verhindern, dass unnötig lange debattiert wird. Besteht hierzu noch eine Frage? Ansonsten haben wir die schwierigsten Artikel der Lex Auquilia geschafft."


    Ich lächelte meinen Schülern aufmunternd zu und hoffte, dass sie die Aussicht auf einfachere Teile der Lex Aquilia zu ein wenig Freude führen würde.

    Vermutlich sollte ich Sabaco jetzt besser nicht sagen, dass ich mich allein in diese Materie eingearbeitet hatte. Vielleicht verriet mich hier auch mein leichtes Schmunzeln bei seinem Satz zum Genickbruch.


    "Gute Frage, Matinius. Ich erläutere das gerne. Ein Gesetz, also eine Lex in diesem Sinne, ist eine durch den Senat beschlossene Regelsetzung, unter Berücksichtigung der kaiserlichen Mitsprache. In früheren Zeiten wurden Gesetze durch die Volksversammlung beschlossen. Wichtig ist in diesem Kontext, dass eine Lex durch eine Gruppe nach gegebenenfalls ausgiebiger Diskussion beschlossen und erlassen wurde und nicht durch einen Magistrat. Ein Edikt unterscheidet sich dadurch, dass es durch allein durch einen Magistrat erlassen wird. Beispiele sind die Edikte der Prätoren und die kaiserlichen Edikte, aber auch die Edikte der Statthalter. Ein Dekret wiederum ist ein Edikt, welches durch den Kaiser erlassen wurde. Allein der Kaiser kann Dekrete erlassen. Jedes Dekret ist also zugleich ein Erlass."


    Ich hoffte, dass ich diese komplexe Materie anschaulich erklärt hatte.


    "Für den weiteren Verlauf dieses Cursus werde ich aber durchgängig den Begriff des Gesetzes verwenden. Edikte und Dekrete finden sich auch im Gesetzesrang und werden in der Jurisprudenz gleich behandelt. Schließlich sind alle drei Festlegungen von Regeln durch eine dafür autorisierte Stelle. Diese Feinheiten der Unterscheidung werden erst bedeutend, wenn man sich über Staatstheorie und Rechtsphilosophie Gedanken machen muss. In der juristischen Praxis wird das nie passieren."


    Kurz grinste ich, dann sprach ich weiter.


    "Doch nun zurück zur Lex Aquilia. Artikel IIII gibt dem Kaiser, wie Matinius treffend festgestellt hat, eine weitere Vollmacht zur Gesetzgebung. Allerdings sprechen wir hier nicht von Gesetzen im engeren Sinne, sondern von Verträgen im Namen des Senats und des Volks von Rom. Mit solchen Verträgen sind aber keine Verträge gemeint, die ins Innere Roms wirken, sondern solche, die Rom mit anderen Staaten schließt. Man spricht auch von Staatsverträgen, weil hier zwei Staaten, ähnlich wie zwei Personen, einen Vertrag schließen. Dabei kann es sich um ein Bündnis oder einen Nichtangriffspakt handeln, aber auch um eine Vertretung des anderen Staats nach außen durch Rom handeln. Handelsabkommen und Freundschaftsverträge kommen auch häufig vor. Man kann eigentlich so ziemlich alles verhandeln, selbst eine vollständige Verwaltung eines anderen Staats durch Rom. Allerdings werden Staatsverträge eben nicht zwischen einzelnen Personen geschlossen, sondern zwischen den nach der Staatsverfassung vorgesehenen autorisierten Gremien. Das ist in Rom traditionell der Senat. Und ein solcher Vertrag unterscheidet sich von privaten Verträgen dadurch, dass er ebenfalls Gesetzesrang hat. Das muss er haben, weil sonst die von mir genannten Beispiele nicht funktionieren würden. Ich erkläre das am Beispiel des Bündnisses. In einem Bündnis verpflichten sich die beteiligten Staaten zum gegenseitigen Beistand, wenn ein Staat angegriffen wird. Die Beistandspflicht entsteht aber automatisch, sobald der Angriff stattfindet. Die Beistandspflicht führt zum Krieg. Damit wird für alle verbündeten Staaten das Kriegsrecht eingeführt. Das Kriegsrecht kann man aber nur durch ein Gesetz einführen. Rechtsdogmatisch kann ein Gesetz aber nur durch ein anderes Gesetz erzwungen werden. Also muss ein Vertrag zwischen Staaten im Gesetzesrang sein. Gibt es Fragen zu Artikel IIII?"


    Mir war klar, dass gerade dieser Artikel der Lex Aquilia sehr stark rechtstheoretisch geprägt war, weshalb ich hier gar nicht allzu sehr in die Tiefe gehen wollte. Das Wissen um die Feinheiten der Staatsverträge brachte nur wenig Nutzen für die juristische Berufspraxis.

    Ich hörte Matidia aufmerksam zu. Dass auch auf dieser Seite des Rhenus Barbaren lebten, war nicht überraschend. Dass sie aber auch auf dieser Seite des Rhenus eine Gefahr waren, überraschte mich schon. Immerhin waren wir hier doch in der Zivilisation, oder?


    Als sie dann von unserem Vater erzählte, war ich gar nicht überrascht. So war er eben gewesen, immer am arbeiten. Ich kannte ihn ja auch nicht anders.


    "Nun, vielleicht sollten wir bedenken, dass er so viel gearbeitet hatte, damit wir es einmal besser haben? Und wir sollten uns vielleicht auch freuen, dass er nicht durch Krankheiten dahingerafft wurde, sondern einen schnellen, plötzlichen Tod hatte."


    Man konnte mir ansehen, dass ich es meine echten Gedanken waren, frei von Zynismus. Es war wirklich nicht das schlechteste Ende. Als wir an die Gräber kamen, erwiderte ich ihren Blick und freute mich über ihre Worte.


    "Nun, es könnte sein, dass Vater in jüngeren Jahren eher so war, wie ich jetzt bin und dann so geworden ist, wie wir ihn kennengelernt haben. Allerdings wage ich zu bezweifeln, dass ich so werde, wie er wurde. Wenn mich jemand fragen würde, ob ich eher Jurist oder Philosoph bin, dann würde ich ohne zu zögern antworten, dass ich immer noch in erster Linie Philosoph bin. Versteh mich nicht falsch, ich bin ein ziemlich guter Jurist, aber ich denke, dass ich das deshalb bin, weil ich eben nicht wie ein Jurist denke, sondern wie ein Philosoph. Der Weg zur Erkenntnis ist noch weit, aber ich bin schon so weit gekommen, dass ich weiß, dass man kein Übermaß suchen soll. Nur arbeiten wäre ein Übermaß. Ich werde wohl nie so werden, wie Vater."


    Nein, mich zog es hin, stets neues Wissen und neue Erkenntnis zu erlangen. Dass damit auch ein gewisser Drang verbunden war, in ferne Provinzen und Länder zu reisen, war mir bewusst, auch wenn ich den Drang noch kontrollieren konnte. Ich blieb vor dem Grabstein eines Centurios stehen. Der Stein war bunt bemalt und zeigte den Verstorbenen in voller Rüstung. Der Stein hatte an den Seiten Säulen angedeutet und nach oben durch ein Tympanon abgeschlossen. Ich las den Text. Wanderer, der du hier stehst, lies diese Worte. C. Cosconius Natta, I O LEG XXII, ANN LXI, war stets treu zu Kaiser und Freunden. Vergänglich ist das Leben und zu kurz, um es nicht gut zu leben. Nutze dein Leben so wie dieser, und lebe es gut. Lebe wohl. Es lag durchaus Wahrheit in diesen Worten. Das Leben war kurz und man sollte es gut zu nutzen wissen.


    "Ich habe Vaters Grab zu den Parentalia besucht und seinen Lieblingswein mitgebracht. Nun hatte er endlich einmal die Zeit, seinem Sohn zuzuhören. Und ich hatte ihm erzählt, was ich am Museion und in Rom geleistet hatte. Ich denke, dass er stolz auf mich ist. Und ich denke auch, dass er auf dich stolz ist."


    Mit einem fröhlichen Lächeln sah ich Matidia an.


    "Wenn wir am Theater vorbeikommen, sollten wir einen Blick auf das Programm werfen. Vielleicht läuft ja etwas Erheiterndes."

    "Wir sind hier, um zu lernen. Es besteht also kein Grund, sich zu entschuldigen. Am Ende des Kurses sieht das natürlich anders aus. Falls es dich beruhigt, auch ich musste die Begrifflichkeiten erst lernen."


    Ich lächelte Aemilius kurz aufmunternd an. Es wäre ja auch seltsam, wenn man zu Beginn eines Kurses in dem Fach bereits alles wusste.

    "Platon hielt nicht viel von Theatern. Er meinte, dass Theaterstücke einen schlechten Einfluss auf die Jugend hätten."


    Ich selbst war auch nicht der begeistertste Besucher von Theatern.


    "Aber ich bin nicht abgeneigt, bei einem sehenswerten Stück einmal zusammen mit dir ins Theater zu gehen."


    Wie verließen die Domus und gingen die Via Borbetomaga entlang.

    Von der Domus Iunia kommend ging ich mit meiner Schwester Matidia nach Mogontiacum. Der Weg war zwar nicht lang, aber auch nicht allzu kurz. Da wir auf diesem Weg aber ziemlich ungestört waren, wollte ich die Zeit nutzen, um mit meiner Schwester zu sprechen. Immerhin war ja in den letzten 10-11 Jahren unsere Kommunikation nur per Brief erfolgt und davor waren wir beide noch Kinder gewesen, die sich über völlig andere Dinge unterhalten hatten.


    Ich sah mich um und nahm den Fluss ein Stück weit zu meiner Rechten wahr. Die Landschaft war bewirtschaftet, aber es gab auch immer wieder kleine Baumgruppen zwischen den brachen Äckern. Zur Linken konnte man auf manchen Hügeln Wälder sehen.


    "Das Land hier sieht so völlig anders aus als in Italia. Die Pflanzen sind anders, es gibt keine Pinien und keine Zypressen. Und bei dem Wein, der hier wächst, bin ich mir nicht sicher, ob er genug Sonne bekommt. Ägypten sah auch sehr anders aus, aber da war viel Wüste. Wo man hier Wälder sieht, sah man dort Sand und heiße Felsen. Es ist schade, dass Vater dich nie zu mir geschickt hat. Nicht einmal über einen Winter. Ich hätte dir viel zeigen können. Wie war Vater überhaupt zum Schluss? Mir hat er immer nur von seiner Arbeit geschrieben, aber ich habe sehr wenig erfahren, wie es ihm ging. War er gesund? Hatte er viel Stress? Konnte er mit dir Zeit verbringen?"

    "Auch eine interessante Antwort. Diese Vollmacht werden wir auch noch besprechen, weil sie in Gewisser Hinsicht Gesetze hervorbringen kann."


    Ich nahm mir selbst ein Exemplar der Lex Aquilia aus dem Regal und rollte es stets so weit aus, wie ich es benötigte.


    "Beginnen wir mit Artikel I. Dieser gewährt dem Kaiser das Imperium Proconsulare Maius über alle Provinzen. Die Statthalter der Provinzen haben aber seit jeher die Befugnis, Edikte, Dekrete und Gesetze zu erlassen, die in ihrer Geltung auf die jeweilige Provinz beschränkt sind. Folglich gewährt Artikel I Alternative I dem Kaiser also die Gesetzgebungskompetenz für die Provinzen. Artikel I Alternative II gewährt ihm darüber hinaus das Oberkommando über den Exercitus Romanus. Der Oberkommandierende hat aber seit jeher die Befugnis, Gesetze für den Exercitus Romanus zu erlassen, meist in der Form von Edikten oder Dekreten. Solche Gesetze legen fest, für welche Verstöße welcher Strafrahmen angemessen ist und können in Friedens- und Kriegszeiten erheblich abweichen."


    Ich sah kurz zu meinen Schülern, ob sie noch anwesend waren, und fügte hinzu:


    "Übrigens sind Edikte und Dekrete ebenfalls Gesetze im allgemeinen Sinn. Die Gesetze, die mit Lex bezeichnet werden, sind Gesetze im engeren Sinn und bedürfen immer einer Entscheidung des Senats."


    Dann blickte ich wieder auf den Gesetzestext vor mir.


    "Kommen wir nun zu Artikel II. Hieraus wird dem Kaiser die Tribunicia Potestas verliehen. Das gibt ihm ein Vetorecht gegen alle Gesetzesbeschlüsse des Senats. Betrachten wir hierzu noch einmal die Antwort des guten Aemilius auf meine Frage, wer die Lex Annaea de Matrimonio erlassen hatte. Hier hattest du, lieber Aemilius, geantwortet, dass diese vom Senator Annaeus Florus Minor erdacht, vom Senat genehmigt und vom Kaiser erlassen wurde. Juristisch korrekt ausgedrückt, wurde sie vom Senat beschlossen, was natürlich eine Genehmigung darstellt, aber wir wollen ja die korrekten Wörter verwenden, nicht wahr? Jedoch wurde sie vom Kaiser nicht direkt erlassen. Vielmehr hatte er Artikel II der Lex Aquilia angewendet. Er hätte sie mit einem Veto verhindern können, was er nicht getan hat. Dadurch wurde diese Lex wirksam. Dass der Kaiserhof die beschlossenen Gesetze veröffentlicht, ist ein reiner Verwaltungsakt und hat mit dem Wirksamwerden eines Gesetzes nichts zu tun. Also, um es in klaren juristischen Worten zu formulieren: Artikel II der Lex Aquilia sorgt dafür, dass der Kaiser einem Gesetz nicht zustimmen muss, sondern formal muss er das Gesetz nicht ablehnen. Im Moment des Senatsbeschluss ist das Gesetz also unter Vorbehalt wirksam. Wenn der Kaiser nicht unverzüglich ab seiner Kenntnis widerspricht, erlangt das Gesetz volle Wirksamkeit. Das ist ein kleines, aber wichtiges Detail. Gibt es hierzu Fragen?"


    Immerhin war das eine etwas komplizierte Regelung, die seit der Schaffung des Amts des Volkstribuns in unserer Verfassung verankert war.

    Ich dachte nach. Gaius Iunius Tiro... da war was... weit entfernte Verwandtschaft, wenn ich mich nicht irrte. Die leere Schüssel stellte ich sorgsam neben mich, während ich mir den Mann genauer ansah. Vermutlich konnte es unangenehm sein, so von mir fixiert zu werden, doch interessierte mich das gerade nicht. Dem Gesicht nach konnte er durchaus ein Junier sein. Wenn ich nur die Verwandtschaft näher einordnen konnte... Außerdem versuchte ich, Anzeichen für eine Lüge zu erkennen, aber dem war nicht so. Er schien bezüglich seiner Herkunft die Wahrheit zu sagen, soweit ich meiner Menschenkenntnis vertrauen konnte. Zwar war dieses Vertrauen in letzter Zeit deutlich getrübt, doch schien Scato ihm ebenfalls zu glauben. Schließlich nickte ich Tiro zu.


    "Freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin Aulus Iunius Tacitus."

    Ich lächelte Matidia an. Sie würde sicher nicht frieren und ich in meiner Toga sowieso nicht.


    "Du kennst den Weg wahrscheinlich besser als ich."


    Damit machte ich meiner Meinung nach recht deutlich klar, dass ich auf ihre Ortskenntnis vertraute und auch angewiesen war.

    Ich sah den neu hinzugekommenen Iunier an. Wo kam der denn her? Und diese Frage stellte ich mir nicht nur in dem Sinne, von wo er gerade herkam, sondern auch in dem Sinne, aus welchem Zweig unserer Familie er stammte. Der Name sagte mir jedenfalls nichts, obwohl ich zumindest versuchte, die Gens vollständig im Kopf zu behalten. So sagte ich erst einmal "Salve", um dann meine Blutsuppe leer zu löffeln.

    Dass ihr Lächeln gequält war, bemerkte ich, aber ich freute mich, dass sie mitkommen wollte. Andere Kinder hätten ihre ganze Kindheit zusammen gebracht, aber ich wurde ja ans Museion geschickt. Geschadet hatte es mir sicher nicht, davon war ich überzeugt. Und jetzt hatte ich ja die Gelegenheit, Zeit mit meiner Schwester zu verbringen.


    "Ja, vor der Porta klingt gut. Richte dich ordentlich her, du hast die Zeit, die du brauchst."


    Es war von mir genau so gemeint, wie ich es gesagt hatte. Meine Schwester sollte gut aussehen, und das brauchte nun einmal Zeit. Ich selbst wollte so lange draußen vor der Porta warten. Das Wetter war kühl, aber nicht kalt. Und die Toga war ohnehin warm.

    Mein Lächeln hätte als Antwort genügt, aber ich sprach dennoch.


    "Aber natürlich. Und du kennst den Weg zum Forum sicher besser, als ich. Möchtest du erst eine Kleinigkeit hier essen und kaufen wir etwas auf dem Forum?"


    Natürlich hatte ich keine Ahnung, wie klein das Forum hier war. Ich hatte zwar nicht einen Komplex, wie in Rom, vor meinem geistigen Auge, mit dem Forum Romanum, den Kaiserforen und den Mercati Traiani, aber wenn ich geahnt hätte, wie klein hier alles war, hätte ich die Frage nicht gestellt.

    Ich sah meine Schwester an. Die Frage machte für mich keinen Sinn, aber ich wollte sie dennoch benatworten.


    "Ja, jetzt. Ich hatte bereits während meinem Aufenthalt in Augusta Treverorum eine Taberna für mich reserviert, die ich nun in Augenschein nehmen möchte. So kann sie bis morgen Abend nach meinen Wünschen eingerichtet werden. Und außerdem möchte ich noch einen Aushang machen, dass ich in dieser Taberna einen Cursus Iuris anbieten werde. Kostenlos, aber dafür nach den Standards des Museion."


    Vermutlich würde sie das überraschen, aber so war ich nun einmal. Untätig rumsitzen kam nicht in Frage. Industria war schließlich eine Tugend. Unser Vater hatte es mir so beigebracht.

    Ich nahm die Schüssel und den Löffel und hörte Terpanders Erklärungen zu. Es klang sehr einfach. Außer, dass es ein Fleischgericht war. Und dann auch noch mit Schweinefleisch, aber was sollte es. Tatsächlich fand ich die Idee gar nicht schlecht. Zunächst probierte ich einen Löffel. Die Konsistenz war ungewohnt, ebenso wie der Geschmack. Und der Essig brachte eine Schärfe mit, die ich so nicht erwartet hatte. Vielleicht war etwas viel Essig drin? Aber insgesamt war das Essen durchaus genießbar und sicher kräftigend.


    "Ungewohnt, aber sicher effizient für die Ernährung. Ich mag sowas."


    Dann aß ich weiter, ohne noch etwas zu sagen, bis die Schüssel leer war. Nun war ich wirklich satt und wandte mich an Terpander.


    "Statt Wein nehme ich lieber Posca. Und keinen Nachtisch, mehr Essen passt wirklich nicht in mich hinein."