Ich hörte Matidia aufmerksam zu. Dass auch auf dieser Seite des Rhenus Barbaren lebten, war nicht überraschend. Dass sie aber auch auf dieser Seite des Rhenus eine Gefahr waren, überraschte mich schon. Immerhin waren wir hier doch in der Zivilisation, oder?
Als sie dann von unserem Vater erzählte, war ich gar nicht überrascht. So war er eben gewesen, immer am arbeiten. Ich kannte ihn ja auch nicht anders.
"Nun, vielleicht sollten wir bedenken, dass er so viel gearbeitet hatte, damit wir es einmal besser haben? Und wir sollten uns vielleicht auch freuen, dass er nicht durch Krankheiten dahingerafft wurde, sondern einen schnellen, plötzlichen Tod hatte."
Man konnte mir ansehen, dass ich es meine echten Gedanken waren, frei von Zynismus. Es war wirklich nicht das schlechteste Ende. Als wir an die Gräber kamen, erwiderte ich ihren Blick und freute mich über ihre Worte.
"Nun, es könnte sein, dass Vater in jüngeren Jahren eher so war, wie ich jetzt bin und dann so geworden ist, wie wir ihn kennengelernt haben. Allerdings wage ich zu bezweifeln, dass ich so werde, wie er wurde. Wenn mich jemand fragen würde, ob ich eher Jurist oder Philosoph bin, dann würde ich ohne zu zögern antworten, dass ich immer noch in erster Linie Philosoph bin. Versteh mich nicht falsch, ich bin ein ziemlich guter Jurist, aber ich denke, dass ich das deshalb bin, weil ich eben nicht wie ein Jurist denke, sondern wie ein Philosoph. Der Weg zur Erkenntnis ist noch weit, aber ich bin schon so weit gekommen, dass ich weiß, dass man kein Übermaß suchen soll. Nur arbeiten wäre ein Übermaß. Ich werde wohl nie so werden, wie Vater."
Nein, mich zog es hin, stets neues Wissen und neue Erkenntnis zu erlangen. Dass damit auch ein gewisser Drang verbunden war, in ferne Provinzen und Länder zu reisen, war mir bewusst, auch wenn ich den Drang noch kontrollieren konnte. Ich blieb vor dem Grabstein eines Centurios stehen. Der Stein war bunt bemalt und zeigte den Verstorbenen in voller Rüstung. Der Stein hatte an den Seiten Säulen angedeutet und nach oben durch ein Tympanon abgeschlossen. Ich las den Text. Wanderer, der du hier stehst, lies diese Worte. C. Cosconius Natta, I O LEG XXII, ANN LXI, war stets treu zu Kaiser und Freunden. Vergänglich ist das Leben und zu kurz, um es nicht gut zu leben. Nutze dein Leben so wie dieser, und lebe es gut. Lebe wohl. Es lag durchaus Wahrheit in diesen Worten. Das Leben war kurz und man sollte es gut zu nutzen wissen.
"Ich habe Vaters Grab zu den Parentalia besucht und seinen Lieblingswein mitgebracht. Nun hatte er endlich einmal die Zeit, seinem Sohn zuzuhören. Und ich hatte ihm erzählt, was ich am Museion und in Rom geleistet hatte. Ich denke, dass er stolz auf mich ist. Und ich denke auch, dass er auf dich stolz ist."
Mit einem fröhlichen Lächeln sah ich Matidia an.
"Wenn wir am Theater vorbeikommen, sollten wir einen Blick auf das Programm werfen. Vielleicht läuft ja etwas Erheiterndes."