Beiträge von Lucius Decimus Maximian

    Der Zug von Reitern baute seinen Vorsprung aus, doch Viola und Maximian folgten. Maximian kannte sich noch lange nicht sooo gut aus, als dass er hätte irgendetwas ahnen können, weil die Reiter diesen und jenen Weg einschlugen. Als schließlich aber die Casa Decima in Sicht kam und die Reiter auch noch direkt davor anhielten, fing Maximian an nervös zu werden und beschleunigte kaum merklich seinen Schritt.
    Bei den Soldaten, die sich postiert hatten, ging der junge Mann langsam vorbei und besah sie sich genaustens. Auch die Pferde nahm er in Augenschein, die offensichtlich einen längeren Marsch hinter sich gehabt hatten.


    Schließlich näherte sich Maximian mit Viola, der er fragende Blicke zuwarf, an der Seite dem Eingang der Casa und trat ein, sich blinzelnd umsehend.

    Maximian hatte Viola zur Seite genommen, als der Legionär sie forsch zur Seite wies. Er sah zu den Reitern auf, während sie sie passierten, als wäre er ein kleiner Junge. Schon immer wollte Maximian für Rom kämpfen, doch sein Ziehvater hatte ihm diesen Wunsch immerzu verwehrt und auch die Mutter war froh, dass Maximian diese Idee scheinbar schnell wieder verwarf.
    Seit seiner Ankunft in Tarraco war er allerdings noch neugieriger, denn Mercator hatte ihm ja erzählt, dass Meridius auf einem Feldzug war. Dass sein Vater Legatus war, wusste er nicht. Deswegen sah er Viola nur kurz an und meinte dann abenteuerlustig:


    "Komm!"


    Schon lief er den wesentlich schnelleren Reitern hinterher, sodass Viola gut mitkam.

    Maximian schüttelte leicht den Kopf.


    "Nein, die Namen sagen mir zwar was, die Zitate jedoch nicht; obwohl ich mir bei ersterem nicht sicher bin, ob meine Mutter etwas von ihm hatte, das ich gelesen haben könnte."

    Maximian lächelte und hätte beinahe mitsprechen können, als ihm nach und nach die Worte wieder einfielen. Kaum hatte Viola aufgehört, fuhr er an ihrer Statt fort:


    "Also bestellten wir dies nach der Ordnung. Doch unsre Zurückkunft
    Aus dem Reiche der Nacht blieb Kirke nicht lange verborgen;
    Denn bald kam sie geschmückt, und ihre begleitenden Jungfraun
    Trugen Gebacknes und Fleisch samt rotem funkelnden Weine.


    Und sie trat in die Mitte, die hehre Göttin, und sagte:
    Arme, die ihr lebendig in Aïdes Wohnung hinabfuhrt!
    Zweimal schmeckt ihr den Tod, den andre nur einmal empfinden.
    Aber wohlan, erquickt euch mit Speis' und funkelndem Weine
    Hier, bis die Sonne sinkt; und sobald der Morgen sich rötet,


    Schifft! Ich will euch den Weg und alle Gefahren des Weges
    Selbst verkünden, damit nicht hinfort unselige Torheit,
    Weder zu Wasser noch Land', euch neuen Jammer bereite."


    Merhmals war er ins Stocken geraten, doch schließlich hatte er den Text wieder zusammenfügen können, wie eine längst verlassene Landschaft, die sich doch nicht verändert hatte. Er lächelte.


    "Wunderbare Worte."

    "Homer schrieb, dass die Götter Odysseus nicht heimkehren lassen wollten, da die 20 Jahre, die sie ihm einst bevor er in den Krieg zog wahrsagten, noch nicht gänzlich verstrichen waren. Erst im 10. Jahre nach dem Fall Trojas erlaubt der Rat der Götter, dass der redegewandte Odysseus nach seinen Irrfahrten an Land gespühlt wird und von König Alkinoos von Phaiaken aufgenommen wird. Doch lange hält es ihn nicht dort und als er nach Ithaka heimkehrt, erschlägt er mitsamt seinem Sohn die vielen Freier, die um die Hand seiner Frau angehalten hatten."


    Maximian war innerlich sehr überrascht von sich selber, dass so viele Einzelheiten hängen geblieben waren. Nicht zuletzt mochte das daran gelegen haben, dass ihm die Schriften Homers immer besonders viel Spaß gemacht hatten.
    Nun sah er seine frisch ernannte Lehrerin an und grinste selbstsicher.


    "Von da an lebte er glücklich mit seiner Familie vereint und herrschte über seine Insel, wie er es vor dem großen Krieg um Troja getan hatte."

    Autsch... Na gut, wie Viola will. Jetzt würde man erkennen, wie gut Maximian aufgepasst hatte, wenn eine kleine Gruppe um einen Lehrer herum saß und bei seinen Reden aufmerksam sein sollte.


    "Homer, oder Melesigenes... Nun, obgleich über den Künstler wenig bekannt ist, schrieb er unter vielen anderen die großartige Ilias und Odyssee, beide vor etwa 800 Jahren. Auf diese beiden berühmten Stücke von den vielen von Homer beschränkte sich unser Unterricht. Nun... Die Ilias ist aufgeteilt in 24 Gesänge über den Untergang von Troja, jede einzelne davon mir bestens bekannt. Das Thema interessierte mich, starben damals doch einige ruhmreiche Männer. Die Odyssee... handelt sich um Odysseus, der 10 Jahre nach der Vernichtung Trojas immer noch nicht wieder heimgekehrt ist. Interessanter ist aber viel mehr der Vergleich der Bevölkerung der Phaiken und... und... wenn ich mich nicht irre der Kyklopen."


    An der Stelle unterbrach er seine Ausführungen und sah seine Begleiterin an. Hatte er sie zufriedengestellt und wenn nein, was sollte er ihr erzählen?

    "Nicht allzu viele", erwiderte Maximian, während sie wieder einen Moment schweigend nebeneinander herliefen.


    "Homer, Herodot, Archilochos, Euripides, Platon und Cicero. Jedenfalls haben wir die mit unserem Lehrer gelesen. Meine Mutter hatte ein paar Schriftstücke, in die ich manchmal reingesehen habe."

    Maximian nickte grinsend und zwinkernd.


    "Hört sich nach schwerer Arbeit an, aber da ich lesen kann und meinen Vater zufriedenstellen möchte, nehme ich das auf mich."


    Einen Moment überlegte er.


    "Ich weiß zwar nicht, was genau du mit 'alles andere' meinst, aber auch das hört sich nicht schlecht an."

    "Also..."


    Sich am Kopf kratzend und dann entschuldigend lächelnd, verfielen die beiden nun wieder in einen leichten Schritt, bei dem Maximian die Felder ein wenig sehnsüchtig überblickte. Zuhause war er täglich in den Feldern unterwegs gewesen, sie boten ja auch reichlich Versteck für allerlei... Aktivitäten.


    "Mein Ziehvater ist römischer Advocat, so bekam ich Unterricht im Schreiben, Rechnen und auch im Anstand. Dort bei Valencia war selten ein höheres Maß an gutem Benehmen gefordert - andere Dinge waren wichtiger, wie die Kunst des Sprechens, Fechtens oder Reitens. Er wollte immer, dass ich ihm nacheifere, aber meine jüngeren Brüder waren schlichtweg begabter und interessierten sich dafür, so beschränkte ich mich auf den Unterricht und ließ ihnen ihren Vater. Andere Sprachen kenne ich nicht und auch gelesen haben wir nur selten."


    Seine dunklen Augen, die wegen der weißen Schneedecke leicht zugekniffen waren, musterten nun Violas Gesicht und wie sie reagieren würde.

    Nun konnte Maximian ein herzhaftes Lachen nicht mehr unterdrücken. Als er sich wieder gefangen hatte, hielt er sich eine Hand auf den Rücken, eine der Dame entgegen und sah sie aufrichtig, allerdings mit zuckenden Mundwinkeln, an, während er tief Luft holte.


    "Nun gut... äh...", murmelte er leise. "Wenn Majestät mir ihre durchlauchte Hand leiht, würde ich ihr gerne auf die engelsgleichen Füßlein helfen."


    Die Lippen aufeinanderpressend, blinzelte er Viola erwartungsvoll, aber nicht minder höflich entgegen.

    Auch Maximian musterte. Als sie ihm dann die Hand reichte, überlegte er einen Moment immer noch leicht schnaufend und zog Viola wieder mit einem leichten Ruck auf den gepolsterten Boden.
    Schließlich stand er auf und reichte ihr mit einem leichten Grinsen die kalte Hand hin.


    "Du bist die Dame, ich der Herr."

    Maximiam musste sich eingestehen, dass die Finger allmählich blau wurden, nachdem er noch ein paar Salven verschossen hatte. Er pustete sie sich während einer kurzen Pause warm, formte dann ein paar Bälle und krabbelte mit einem Ball im Anschlag auf Violas Unterschlupf zu.
    Kaum war er da, verwarf er die letzten Bälle und war dann gleichermaßen mit Händewärmen und Lachen beschäftigt, dass er sich nicht vom Boden erheben konnte.


    "Du hast verloren."


    Frech grinste er, während er sich Schnee aus allen möglichen Haut- und Stofffalten holte. Nun wurden die Finger auch wieder rot.

    Herrje! Er konnte gar nicht so schnell gucken, wie Viola auf ihn zurannte, besser gesagt ihn umrannte, ihn am Boden hielt, er schon überall den kalten Schnee spürte und schließlich wieder frei gelassen wurde. Schlotternd aber grinsend setzte er sich auf, um nach der Angreiferin Ausschau zu halten. Dabei schnaufte er und der warme Atem bildete kleine Wolken in der Luft, die hier nur selten von einem Bewohner durchschritten wurde. Sie befanden sich kurz vor der Mauer an einer Stelle, die eben nicht sonderlich häufig besucht wurde. Hier stand ja auch nichts.
    Rächen konnte er sich allerdings nicht sofort, denn Viola stand breit grinsend beim Tor und einem Wachmann und wollte hindurch gehen. Maximian folgte ihr höflich grinsend und sich den Schnee von den Kleidern schüttelnd, und als sie außer Sichtweite waren, nahm er mit den Händen Schnee auf und fing an lauter kleine Kugeln auf Viola zu werfen. Dabei verschwanzte er sich hinter einem Baum und ließ so einige Salven des gefrohrenen Wassers auf seine neue Freundin los.


    "Na, gibst du auf? Ich rate dir, lass allen Schnee fallen und gib den Widerstand auf, sonst... andernfalls habe ich hier noch eine ganze Menge Schnee. Ein ganzes Feld."


    Während er das sagte, konnte man das Lachen gut und deutlich vernehmen, dass sich hier und da zwischen seine Worte zwängte.

    Er hatte wirklich nicht damit gerechnet. Im ersten Moment wollte er erstaunt die Augen und den Mund weit aufreißen, doch um den Schnee nicht in sämtlichen Öffnungen des Gesichtes zu haben, wartete er geduldig ab, wobei er theatralisch die Schultern hängen ließ und sich langsam den Schnee von der Haut schabte.... kalt!


    "Na warte..."


    Kaum hatte er das ausgesprochen, schnappte er sich eine Hand voll Schnee und verfolgte Viola ein paar Meter, nur um sie natürlich aufzuhalten, sich über sie zu beugen und ihr den Schnee am Hals entlang ins Gesicht zu drücken. Ob es ihm gelang, konnte er nur schwer erkennen und als er die Ladung abgeliefert hatte, ließ er sie los und lachte.


    Dann machten sich auch schon die vor Kälte geröteten Finger bemerkbar, die er sich reibend vor den Mund hielt und heißen Atem auspustete. Dennoch grinste er und beobachtete, wie Viola seine Gegenattacke aufgenommen hatte.
    Es machte ihm sichtlich Spaß, sich so auszutoben. Zuhause hatte er immer viele junge Leute um sich gehabt und keiner hatte von ihm verlangt, sich sonderlich gut zu benehmen oder so. Ja, er fühlte sich geradezu wohl, hier.

    Auch Maximian lachte inzwischen und versuchte ihren Bällen auszuweichen, wobei er selber die Gelegenheit bekam, Schnee zu einem Ball zu formen und nach ihr zu werfen. Dieser Ball traf sie nur ganz knapp am Arm, weshalb er schnell noch einen hinterher warf. Diesmal traf er dann auch den Bauch, allerdings hatte er nicht doll geworfen, sodass der Ball einfach an Viola herabruschte. Zu seinem Grinsen zog er mehrmals die Augenbrauen hoch.


    "Oh, ich merke schon. Zeig, was kannst du noch?"

    Maximan hatte beobachtet, wie Viola den Schnee aufgenommen hatte und zuckte nur kurz grinsend, als sie ihn nach ihm warf. Er pustete die paar Flocken von seinem Mantel, und bückte sich ebenfalls, um ein bissl kalten Schnee in die Hand zu nehmen. Als er sich wieder aufrichtete, knetete er den Schnee.


    "Nein, sowas gab es bei uns auch schon lange nicht mehr.", meinte er, sah dann zu Viola und hielt sich bereit. "Viel zu lange."


    Und damit warf er den Schnee nun seinesfalls nach Viola. Seine Hände waren größer, so hatte er auch mehr Schnee zu fassen bekommen, der nun auf Viola Viola rieselte. Maximian kicherte.

    Maximian nickte.


    "Das Band des Blutes wiegt stark", meinte er. Ja, es war so mächtig einen aus einem Leben zu reißen, das gut und immer nur das einzig Wahre gewesen war. Es war nicht sonderlich von Reichtum gezeichnet, aber es war gut. "Auch ich mochte mein Leben bis zu dem Tag, an dem ich von dieser Lüge erfuhr. Wir waren nicht sehr angesehen oder reich, wir führten ein einfaches, gutes Leben. Dann konnte ich nicht mehr an etwas anderes denken als an das eigene Blut, meinen Vater, und verließ schließlich all das, was mir bislang mein Leben bedeutet hatte."


    Maximian lief mit gesenktem Haupt, während er einen kleinen Schneeball wegtrat und die Hände tief im warmen Stoff vergrub. Dann schüttelte er den Kopf und sah nach vorn, wo die Stadttore allmählich immer größer wurden und wieder schmunzelnd zu Viola.


    "Ich kam hierher und traf auf dich, die aus ähnlichen Beweggründen hierher kam."

    Naja... Kaum hatte er den Mantel abgegeben, war es schon spürbar kälter. Aber er frohr nicht, weswegen er nun wieder weiter lief und über die Schulter zu seiner Begleiterin sah.


    "Lange Reisen bei dieser Kälte härten ab.", meinte er nur noch grinsend und schlug dann den Weg zu den Stadtmauern ein. Unterwegs fragte er, um ein Gespräch in die Gänge zu leiten:


    "Du sagtest, deine Gens galt als ausgestorben. Gab es dafür irgendeinen bestimmten Grund oder gab es schlicht und ergreifend zu wenige Söhne, die den Fortbestand absichern konnten?"

    "Nein, ich entschuldige mich. Ich wollte dich nicht erschrecken."


    Immernoch lächelte Maximian, sah dann aber, dass Viola wohl vergessen hatte sich entsprechend dem Wetter einzupacken und zupfte an seiner warmen Tunika herum, wobei er fragend in ihre Richtung sah.


    "Ich habe noch eine warme darunter. Wenn du magst?"


    Dann drehte er sich in alle verschiedenen Richtungen und nickte dann leicht. Ruhig, angenehm... Eine Idee kam ihn, doch bei der Kälte war es wohl so gut wie nirgends angenehm, als in der Nähe eines wärmenden Feuers. Dennoch machte er folgenden Vorschlag:


    "Wie wär ein Spaziergang über die Felder vor den Stadttoren?"