Beiträge von Tiberius Annaeus Sophus

    Als Stille einkehrte begann Sophus, das templum in den Himmel zu zeichnen. Seine Hand zitterte ein wenig dabei - was man sowohl seinem Alter wie der Kälte anlasten mochte. Dennoch nahm er seine Aufgabe ernst und zeichnete das Rechteck vollständig und gerade mit dem Krummstab in das weite Grau über ihnen.
    Langsam senkte er die Arme und richtete seinen Blick nach oben, als bemerke er die Senatoren gar nicht mehr. Er suchte den Himmel nach Vögeln ab, die ein Zeichen der Götter sein könnten.


    Das Warten zog sich hin, obgleich Sophus wenig Zweifel daran ließ, dass er aufmerksam den Himmel betrachtete. Doch weder hatte er dafür gesorgt, dass Vögel aufstiegen - er hatte nicht vor, das Urteil der Götter manipulieren zu wollen - noch war dies natürlicherweise eine gute Jahreszeit, um den Vogelflug zu beobachten.
    Doch auch jetzt fanden sich Vögel in der Stadt und einer kreuzte nach einiger Zeit Sophus' Blickfeld. Es war eine Krähe. Kein spektakuläres Zeichen, doch sie war zu sehen und sie zog in der Ferne über den Horizont. Während Sophus nach Osten zur aufgehenden Sonne blickte, zog der Vogel von Norden nach Süden.
    Er beobachtete den Flug des Tieres, bis es wieder aus seinem Blickfeld verschwand. Dann nickte er langsam.


    "Die Götter heißen diese Sitzung des Senates gut. Ihr Zeichen ist wohlwollend."


    Er neigte den Kopf vor den Senatoren, dann noch einmal vor Durus, bevor er zur Seite trat. Seine Arbeit war getan.

    Schweigend nickte Sophus seinem ehemaligen Kollegen zu und trat an den Platz, an dem Durus um das Urteil der Götter gebeten hatte.
    Sein Stab lag fest in seiner rechten Hand, die er noch mit der linken umschlossen hielt. Sein Blick streifte in den Himmel, über die Dächer Roms und wieder zurück. Um die Kälte kümmerte er sich nicht. Jedenfalls nicht offensichtlich. Er maß dem Senat zu viel Bedeutung zu, um sich jetzt nicht sehr gut zu beherrschen.
    Langsam hob er dann mit beiden Händen den Krummstab ein wenig und wartete geduldig darauf, dass sich die Stimmen der anwesenden Senatoren senkten. Dies war immernoch ein wichtiger Ritus - so glaubte Sophus jedenfalls.

    Es dauerte nicht lang, bis Sophus eintraf. Die safrangelbe Amtstoga war gepflegt und zeichnete ihn bereits von weither als Augur aus. Die toga praetexta hatte er nicht angelegt, obgleich es ihm als Augur zustand. Er wollte sich nicht mit Senatoren gleichstellen.
    Ruhig ging er auf Durus zu, seinen ehemaligen Kollegen im Collegium und hob die Hand.


    "Salve." sprach er ruhig und leise, um die Senatoren nicht zu unterbrechen. "Wann soll es genau beginnen?"

    Wieder ein Nicken des alten Mannes.


    "Es erscheint mir befremdlich, wie das bei meinem gut besuchten Tempel übersehen werden kann. Gab es keine Beschwerden an die Verwaltung? Keine Hilfsangebote? Sicher gibt es in Ostia reiche Händler, die daran interessiert sind, dass dieser Tempel angemessen restauriert ist."

    Sophus sah sich im Tempel um. Der Anblick machte ihn traurig. Er war sich sicher, dass die Vision des Tempels hier zerstört worden war. Der Bauherr lebte vermutlich nicht mehr, aber es gab sicher jemanden, dem etwas an diesem Gebäude lag und der nun darum trauerte - selbst wenn die Götter es nicht schätzen sollten.
    Langsam wandte er sich an den Magistratus:


    "Ist bekannt, wo genau die Einstürze ihre Ursache hatten?"

    Sophus hob die Brauen.


    "Das sind beeindruckende Projekte, die viel Zeit in Anspruch nehmen werden. Ich kann jeweils eine Untersuchung durchführen, jedoch rate ich dir, für die großen Tempel den Meister meines Collegiums selbst anzurufen, um die Einweihung zu vollziehen. Gerade, wenn es sich um mehrere Tempel handelt."


    Er atmete einmal durch.


    "Nundenn. Da sich nicht herausfinden lässt, ob dieser Merkurtempel von einem Augur geprüft wurde, so ist es zweifellos nur rechtens, es meinerseits zu überprüfen. Denn sicher hast du auch im Archiv der Auguren nachsehen lassen?"

    Sophus nickte.


    "Der Architekt lässt sich nicht finden? Möglicherweise kennst du jemanden, der den Untergrund überprüfen könnte. Denn die Zustimmung der Götter zu einem Tempel bedeutet nicht, dass nicht unsere menschlichen Fähigkeiten ausreichen, ihn zu bauen."


    Einen Moment lang schwieg er.


    "Noch etwas: Wer war der Augur, der die Dedicatio dieses Tempels hielt, der ihn weihte?"

    Sophus trat hervor und verneigte sich vor Optimius Naso, ehe er sich in Richtung des Kandidaten wandte und ihn einen Moment lang ansah. Er lächelte, wie er es meist tat, in seiner ruhigen und höflichen Weise.
    Diesem Mann war er bereits begegnet und so nickte er ihm knapp zu, ehe er die Arme wie seinen Blick hob. Seine Augen verengten sich ein wenig, als er nach oben sah um den Himmel zu beobachten.
    Tatsächlich war kein besonderes Zeichen nötig, um diesen Ritus durchzuführen. Allerdings hatte ein Zeichen nichtsdestoweniger etwas zu bedeuten, wenn es denn auftrat.


    Er begann, die Formeln zu murmeln, die für das Ritual festgelegt worden waren. Seine Hände waren ruhig und der lituus lag ohne zu zittern in seiner rechten. Er hatte sich an diese Haltung gewöhnt.
    Die Worte, die leise zwischen seinen Lippen hervordrangen, waren kaum verständlich. Es war ein monotones, leises Geräusch. Jedoch ließ Sophus starrer, ernsthafter Blick nicht daran zweifeln, dass sie ihre Bedeutung hatten.


    Ein Vogel tauchte in der Ferne auf und flog über die Dächer Roms. Seine Schwingen schlugen gleichmäßig und langsam. Offenbar kein Raubvogel. Sophus verfolgte seinen Flug mit den Augen, ohne die Formeln abzubrechen oder den Kopf auch nur ein Stück zu bewegen.
    Der Vogel flog weiter in die Nähe, doch dann landete er auf einem Dach und verschwand aus des Augurs Blickfeld.
    Sophus nickte und senkte langsam die Arme. Als die Formeln geendet waren, lagen sie wieder an seinen Seiten und er atmete kurz durch, ehe er sich an den Magister Septemvires wandte.


    "Ich erkenne keinen Widerspruch der Götter gegen die Erhebung dieses Mannes. Ihr Blick liegt aufmerksam wie wohlwollend auf Marcus Aurelius Corvinus."


    Er verstummte wieder und drehte sich noch einmal zu Corvinus um. Er musterte dessen Gesicht, als suche er irgendetwas darin. Dann jedoch verneigte er sich auch vor ihm und trat mit einem Lächeln wieder zurück. Schließlich war sein Urteil ja gesprochen.

    Der alte Augur blieb stumm lächelnd im Hintergrund. Es freute ihn in gewisser Weise, dass er die Ehre hatte, gleich mehrmals in letzter Zeit selbst eine Inauguration solch wichtiger Personen durchzuführen. Das Lächeln war leicht verträumt. Er dachte an die Vergangenheit zurück und wie lange er selbst nur stummer Beobachter dieser Zeremonien gewesen war. Es war eine gewisse Ironie, sie jetzt selbst mehrmals auszuführen.
    Ruhig wartete er, dass der Kandidat auftrat und das Ritual begann ...

    Sophus nickte dem eifrigen Magistraten zu, trat ein, schloss die Tür hinter sich und sah sich dann mit einem wohlwollenden Lächeln im Raum um, bevor sein Blick zu Pulcher zurückkehrte. Es war sicher nicht das ordentlichste Officium, aber der Alte verkniff sich jede Bemerkung.


    "Salve, Magistratus. Ich bin Tiberius Annaeus Sophus, Augur aus Rom. Ich bin vom Collegium entsandt worden, um die hiesigen Tempelanlagen des Merkur zu inspizieren. Mir wurde zugetragen, die man fürchte hier, dass Merkur diesen Tempel ablehnt, da er schon mehr als einmal eingestürzt sei. Ist das wahr?"


    Der Alte hob fragend die Augenbrauen und lächelte Pulcher an.

    Nachdem ihn ein Beamter darauf hingewiesen hatte ging Sophus also zum Büro des Magistratus Aelius Pulcher weiter und klopfte dort an.
    Dass der Duumvir nicht anwesend war beunruhigte ihn. Es bedeutete, dass er möglicherweise auf Genehmigungen zur Besichtigung warten musste. Das kostete Zeit. Dennoch kämpfte er seine Nervosität sehr schnell herunter. Es war schließlich nicht das erste mal, dass er mit einem Regierungsbeamten sprach ...

    Sophus vergeudete keine Zeit, als er nach Ostia reiste. Er machte sich ohne zu Zögern zur Curia der Stadt auf. Nicht einmal seiner eigenen Wohnung stattete er ein Besuch ab. Er hatte nicht viel Gepäck bei sich, da Rom nicht weit entfernt war. Er hoffte auch, seine Aufgabe schnell fertig stellen zu können. Denn er spürte bereits in seinen Knochen, dass Eile geboten war ...
    Vor der Tür des Büros des Duumvirn angekommen straffte er sich und die Erschöpfung der Reise verschwand zumindest vorerst aus seinen Zügen.
    Er klopfte drei mal und wartete ab.

    Da offensichtlich kein Widerspruch zu hören war, stand Sophus auf und verneigte sich vor seinem Herrn.


    "Ich bin geehrt." sagte er und setzte sich wieder, damit die Sitzung weitergehen konnte ...


    Er würde noch am selben Tag abreisen.