Cubiculum | Manius Flavius Gracchus

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Schweißgebadet erwachte er in die Dunkelheit der Nacht hinein, dass seine Augen weit aufgerissen einen Fixpunkt suchten, nicht finden konnten bis dass er sich aufsetzte und aus dem Bette wandt. Er wollte rufen nach einem Sklaven, doch er konnte den Mund nicht öffnen, konnte keinen Laut von sich geben. Fahrig hob er seine Hände und fühlte unter der Berührung seines Antlitzes nichts als ebene Haut, keine Lippen, kein Mund - nichts, das es hätte ihm ermöglicht sich zu äußern, dem aufbegehrenden Ruf der Wahrheit in sich Ausdruck zu verschaffen. Zittrig fuhren seine Finger über seine Wangen hinweg, suchten etwas zu fassen, fanden die Ohren und begannen daran zu zerren und reißen bis dass die Haut sich endlich von seinem Fleische löste. In regelrechte Panik verfallen schälte er Schicht und Schicht der Membrane, kratzte das Fleisch von seinem Leibe bis dass nurmehr ein knöchernes Gerüst von ihm blieb, welches endlich mit einem befreienden Klirren in sich zusammenfiel und der eingeschlossenen Wahrheit zur Freiheit verhalf, die sich in lautstarker Kakophonie ihren Weg in die Welt hinaus bahnte...

    ~~~


    "Neiiiin!"
    Schweißgebadet erwachte Gracchus in die Dunkelheit der Nacht hinein, dass seine Augen weit aufgerissen einen Fixpunkt suchten, nicht finden konnten bis dass er sich aufsetzte und aus dem Bette wandt. Fahrig hob er seine Hände und berührte seine Lippen, erleichtert sie eben dort vorzufinden, wo sie erwartungsgemäß sich befinden sollten. Er spürte in sich das Drängen der Wahrheit, schloss die Augen und atmete tief ein und aus.
    "Nein"
    , flüsterte er leise und ließ sich zurück auf die Bettkante sinken.
    "Bitte … lasst mich in Ruhe … bitte …"
    Er öffnete seinen Augen, doch Sciurus war nicht auf seinem gewohnten Platz neben der Türe. Gracchus war allein, vollkommen allein, doch er konnte die larvae spüren obgleich ihre Schatten mit der Dunkelheit verschwommen - sie ruhten niemals, auch nicht des Nachts. Langsam legte er sich zurück in sein Bett, zog die Decke eng um sich und versuchte, so wenig wie möglich zu atmen - wenn sie nur glaubten, dass er tot wäre wie sie selbst, so würden sie allfällig das Interesse an ihm verlieren. Doch die larvae tanzten noch lange in dieser Nacht um ihn her, dass Gracchus erst am frühen Morgen gänzlich ermatten zurück in einen unruhigen Schlaf verfiel.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Purpurfarben quoll der Horizont in schweren Wolkentürmen auf, umfing ihn mit einer glücklosen Welt aus gebrochenen Zweigen und staubigen Knochen, sandte ein Alphabet aus Sturmwinden, den letzten, kläglichen Rest seines verlorenen Heimes hinfort zu blasen. In der Ferne schritten stolze, erhabene Graureiher vorbei an der endlosen Weite der Einsamkeit und wirbelten mit ihren nackten Füßen den pudrigen Schnee auf, welcher dieses kalte Imperium bedeckte, wandten ihren Blick mitleidig ab von seiner faserigen Gestalt, welche glücklos suchte den tiefen Grund der rotstaubigen Schlucht zu überwinden, tiefer und tiefer hinab fiel in den eisigen Strudel aus disparaten Leben und divergenten Träumen, unbekümmert jenen Fluss hinab floss, welchen Tausende vor ihm waren in die Bedeutungslosigkeit geschwommen. Goldfarben lodernde Schiffe, die Flammen lechzend nach seinem Herzen gierend, passierten den Strom, welcher nach einer Reminiszenz nach Oceanos schmeckte, welche er auf seinen Lippen gleich dem ambrosischen Hauch des fernen Hephaistion konnte verspüren, und doch schien es als könne er die Wendungen, welche diese Geschichte würde nehmen, nicht beeinflussen, war doch das Leben schlussendlich lebendig, keine bloße Erzählung, so dass er sich selbst in die gläserne Form pressen ließ, welche dem schimmernden Licht des Mondes folgend ihn vorantrieb. Eine Münze nach der nächsten ließ er tanzen über den öligen Styx, eine jede für einen Freund, welchen er hinter sich hatte zurückgelassen, eine letze für sich selbst, die Überfahrt zu begleichen als das unschuldige Dunkel der Nacht leise ihm flüsterte, dass die Zeit gekommen sei. In blassem Grau schimmerte der blutleere Sonnenuntergang in seinem Herzen, überließ die ewige Stadt der ewigen Kälte der Liebenden - jene Stadt, von welcher er beinahe bereits hatte vergessen, dass auch er sie einst hatte geliebt, sie einst für sich selbst hatte beansprucht. Nichts gab es hier noch zu erstreiten, nicht einmal noch aufzuteilen, und bereitwillig ließ er die Tage all jenen, welche für sie geschaffen waren, begnügte sich selbst mit der Schwärze der Nacht

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Ein Schemen, ohne Gesicht und ohne Gestalt, rüttelte ihn an der Schulter, riss ihn aus dem tiefen, unruhigen Schlaf zurück in das hügelige Land ferner Gestade, und während seine Träume langsam erkalteten, blieb einzig die Nacht bestehen. Hinter ihm lag das Trümmerfeld der geschlagenen Schlacht, übersät mit dem Blut seiner Kameraden, Fetzen von Stoff und gebrochenes Metall als stumme Zeugen seiner Wut, vor ihm ein trauriges Lied aus fernen Zeiten, welches ihn würde zurückführen nach Hause, welches alle Schmach und alle Niederlage ihn würde vergessen lassen auf seinem Wege. Unerschrocken schob er seinen Leib durch die schweren, opaken Tropfen des Regens hindurch, doch auch das eintönige Prasseln konnte nicht den Herzschlag in seiner Brust übertönen, den Takt seiner Erinnerung und den Rhythmus seines Gewissens, welcher mit jedem Schritte über den Sand Scherbensplittern gleich in seine baren Füße stach. Am Rande der Welt erwartete sie bereits seine Ankunft, ihre Augen brannten in Feuer, darauf lauernd ihn zu töten - und doch pflückte er ihr aus dem Gefieder einer Eule drei schimmernde Federn heraus, sie damit zu füttern, denn die Sehnsucht nach ihrem Lächeln war unbändig. Einzig sie konnte noch ihn salvieren, einzig sie konnte ihn erlösen von all seiner Schuld, denn er war weit abgekommen von honetter Größe, war die seine doch nurmehr auf Lügen erbaut. Zögerlich kostete er von der kalten, feuchten Asche, aus welchen die Worte waren geformt, welche er auszusprechen suchte, doch ihre Ohren waren verschlossen, ihr Griff unbarmherzig und grausam, und während sie ihn aus seiner Seele hinaus stieß blieb ihm nichts als weiter durch all diese Konfusion hindurch ihren Namen zu rufen. Es war an der Zeit, alles gehen zu lassen, den ausweglosen Kampf seines Herzen aufzugeben und in einen Stern sich zu wandeln am fernen Firmament, denn schlussendlich war er niemals der gewesen, der er glaubte zu sein. Ohne sich noch nach seinem Leben umzusehen verließ er darob die Welt für eine kurze, endlose Weile, glitt durch die traurigen Tage hindurch auf der Suche nach einem Weg zu ihr zurück, lavierte auf einem Schiff aus Grün und Blau dahin und navigierte durch die graufarbene Masse, welche er für staubiges Land hielt, welche doch nur aus trüben Wolken bestand. Doch es gab keine Spur, kein Blut und keinen Faden, welcher ihn zu ihr hinab führte, es gab keinen Gott, welcher seine Taten als Opfer wollte annehmen, und es gab keine Zeit zurück in jene Form, welche er glaubte zu sein, dass er letztlich sich verlor in dem Labyrinth aus Leibern, dass er letztlich versank zurück in die schwarzfarbene Nacht.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Hinter den sanft im Winde schwankenden Kronen der immergrünen Baumwipfel am Fuße des Hügels schob sich in gleißendem Feuer die aufgehende Sonne empor, benetzte die schimmernden Tautropfen an den zarten Grashalmen mit ihrem goldfarbenen Licht, legte ihre liebkosende Wärme über seinen nackten Leib und vertrieb die Kälte der Nacht. In den Zweigen über ihm trällerte eine Nachtigall, oder allfällig eine Lärche, ihr Lied und vermengte sich mit dem kalmierend monotonen Summen der Bienen in den Blüten ringsum.
    "Manius?"
    Ein leises Rascheln kündete von ihrer Bewegung, eine flüchtige Berührung seiner Haut von ihrer Nähe.
    "Ja?"
    Seine Lider noch immer geschlossen im traumtrunkenen Taumel der Nacht sog er den Duft des erwachenden Morgens tief in sich hinein, ein Hauch von rotfarbenem Klee, eine Ahnung milchiger Sternmiere und irisierendblauem Wiesensalbei.
    "Wohin gehen wir, Manius?"
    Zögernd öffnete er die Augen, suchte den fernen Himmel zu fokussieren und bis an das Ende der Welt zu blicken. Doch das Ende war fern, die Welt zu unvorhersehbar.
    "Ich weiß es nicht."
    Ein traurigen Lächeln umspielte seine Lippen, denn schlussendlich war das seine das einzige Leben, dessen er habhaft war, und gleich wohin ihre Schritte sie würden führen, er war gebunden an die fragile Flüchtigkeit dieser Welt.
    "Vorwärts. Denn es gibt keinen Weg zurück."
    Ein wenig träge, ein wenig abgenutzt schien ihm sein Leib, passend zu seinem Leben, als er sich erhob und ihr die Hand reichte, um den ersten Schritt dieses anbrechenden Tages zu gehen - gleich jeden anderen Tages.
    "Wie weit gehen wir noch?"
    Am Horizont färbte unter dem Glühen der Sonne das Ende der Welt sich in blassem Nebel, Schemen ferner Tage, welche ebenso unvorhersehbar waren wie die Wirren ihrer Welt.
    "Ich weiß es nicht. Ein Stück noch. Eine Meile, eine Weile."
    Er zuckte mit den Schultern und das verschmitzte Lächeln, welches nun auf sein Antlitz sich stahl, war auch das ihre.
    "Alles, was ich weiß, ist, dass ich noch nicht bereit bin, das Licht zu löschen. Alles ist längst vorbereitet, das letzte Wort längst bestimmt. Doch ich bin noch immer hoffnungsvoll."
    Noch immer lag ihre Hand in der seinen, so zerbrechlich und zart, dass es beinahe schien als würde sein Leben das ihre füllen, als der Weg vor ihnen allmählich zurückfiel und Zukunft zu Gegenwart, Gegenwart zu Vergangenheit wurde und manche Träume nur Schäume blieben.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Schweißüberströmt taumelte er mit nackten Füßen über die hölzernen Planken hinweg, zwischen welchen aus den Fugen hinaus grünfarbener, nach faulen Eiern stinkender Dampf entwich, sich als schmieriger, ungustiöser Film über seine Haut legte. An Segel statt flatterten über ihm zerschlissene, ausgebleichte Laken im Winde, schlugen bei jeder Bö gegen die abgeriebenen Seile, welche den morschen Mast in aufrechter Positur hielten und dafür Sorge trugen, dass das alte Schiff nicht in seine Einzelteile zerbrach. Jeder Schritt intendierte ein Knarzen und Knarren, jeder Windhauch riss ein Stück der hölzernen Materie mit sich hinfort und sukzessive fraßen die salzigen Wogen Lage um Lage des dahingestreckten Bugs, an dessen Ende seine Gemahlin in einem wallend weißen Gewand einige Augenblicke verharrte, den Blick abgewandt in die endlose Weite des stürmischen Oceanos, ehedem sie mit einem beherzten Sprunge sich den gierigen Fluten ergab.
    "Antonia!"
    , suchte er seine Stimme gegen das Tosen der Wellen, das zischende Schäumen der Gischt und das Sirren des Windes zu erheben, doch der Klang seines Rufes verhallte nur ungehört im Tosen der rauen See, die seine Gemahlin verschlungen hatte. Ihr entgegen wollte er streben, ihr folgen in das nasse Grab in den Hallen des Neptunus, doch aus den Tauen am Boden lösten sich schuppige Schlangen, welche seine Füße umschlangen, seine Beine emporkrochen, ein böses Flüstern aus ihren Mäulern zischend:
    "Mörder!"
    "Verräter!"
    "Kaisermörder!"
    "Du allein hast uns den Untergang beschert!"
    "Mörder!"

    "Nein"
    , keuchte er atemlos und suchte das Schlangengewirr mit bloßen Händen abzuwehren, doch sie schnappten und bissen und würgten sich mehr und mehr um seinen Leib. Ein schwarzfarbener Skorpion löste sich aus der Gischt, welche sie umspülte, und krabbelte einem König gleich über seine Untertanten über die sich windenden Reptilien hinweg, den stachelbewehrten Schwanz ihm entgegen gestreckt, den Kopf stolz erhoben und im Anblicke gleich dem Serapios, seine Stimme ebenso.
    "Oh doch! Du allein hast sie alle auf dem Gewissen, Manius, du allein hast das Reich verraten! Du hast Valerianus getötet, du hast den Bürgerkrieg heraufbeschworen, du allein hast den sinnlosen Tod hunderter tapferer Römer zu verantworten!"
    Panisch wandte er sich um, doch wo noch Augenblicke zuvor der morsche Schiffsmast in seinem Rücken einen Anflug von Rückhalt hatte vorgetäuscht, hatte nun ein eisernes Gitter sich aus den Schlangen geformt, welches gleichsam um ihn her folgte als er zurück zu seinem Geliebten sich wandte.
    "Nein!"
    schrie er, mit den Händen an den Gitterstäben rüttelnd.
    "Das ist nicht wahr!"
    "Ach so?"
    mischte nun die Stimme des Praetor Duccius sich ein, welcher auf dem curulischen Stuhle thronte, sein wildes Haar bis weit über die Schultern, auf welchen ein braunfarbenes, zotteliges Bärenfell lag und nur halb seinen nackten, muskulösen Oberkörper bedeckte, seine Beine, die in den lächerlichen, langen Hosen steckten, welche die Germanen für gewöhnlich trugen, auf einen Schemel gelegt, welcher bei näherem Hinsehen sich als auf Händen und Knien gebückter Flavius Scato erwies.
    "Du willst also gegen den Zeugen leugnen, dass du den Kaiser ermordet hast?"
    "Ja … ich meine ... nein, nein … aber … aber doch nicht ich allein!"
    "Aha! Schuldig im Sinne der Anklage!"
    Mit einem lauten Krachen ließ Duccius einen eisernen Hammer auf das Haupt Scatos niederfahren, welcher daraufhin zusammenbrach, und erhob sich über den Schiffsbug hinweg, welcher längst die Rostra auf dem Forum Romanum war, zu Faustus sprechend, der aus dem Skorpion sich hatte erhoben.
    "Wie lautet die Strafe?"
    "Er soll brennen, der Verräter!"
    verkündete Serapio mit einer Couleur von Zufriedenheit in seiner Stimme.
    "Und seine Kinder sollen gebrandmarkt werden auf der Stirn, dass jeder auf den ersten Blick sieht, dass sie einen Hochverräter zum Vater haben, dass der Verrat ihnen im Blut liegt!"
    "Nein, nicht meine Kinder!"
    schrie er über den tosenden Beifallslärm des versammelten Volkes hinweg, doch niemand beachtete ihn noch.
    "So sei es!"
    bestätigte Praetor Duccius und Faustus steckte das Holz unter seinen Füßen in Flammen.
    "Zerrt die Kinder vor das Gericht, das Eisen wird sich solange im Scheiterhaufen ihres Vaters erhitzen!"
    "Nein!"
    brüllte er noch einmal,
    "Neeeeiiin ...."
    , doch die Flammen schlugen höher und höher, gierten nach seiner Haut und seinem Fleisch, während die Menge nach seinen Kindern gierte, während Faustus maliziös lachte und lachte und Duccius mit dem Fuß den bewusstlosen Scato in Richtung des Feuers trat.
    "Ahhhh...."

    ~~~


    "… ahhhhh!"
    Schweißgebadet schreckte Gracchus empor in das nächtliche Dämmerlicht seines Cubiculum, strampelte die Decke von seinen Füßen als könne sie ihn verbrennen.
    "Nicht meine Kinder!"
    keuchte er atemlos, stand auf und fand halb schlafend den Weg zur Türe. Er musste dies verhindern ...

  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    In dunklem Rot rannen die Tropfen fremden Blutes von seinen Händen, flossen hinab in das endlose Meer zu seinen Füßen, welches aus den Leibern tausender Toten sich speiste, während über ihm dunkel und dräuend ein Gewitter aus schwarzfarbenen Wolken hing, der Zorn der Welt in ohrenbetäubendem Donner sich erhob. Dem Fels in der Brandung gleich harrte Faustus auf einer winzigen Insel, schwankend und strauchelnd, ein Schemen nurmehr, ein Schatten seiner Selbst und doch noch immer so wunderschön, so hehr und erhaben dem Hephaistion gleich. Enttäuschung lag in seinem Blicke, Kummer und ein Funken aus Zorn in diesen Augen so blaufarben wie der Himmel in jenem Augenblicke da die Sonne den Regen verdrängt, ein Flüstern auf seinen Lippen, ein Hauch allfällig oder gar nurmehr das Echo vergangener Worte. Mühsam watete er durch den zähen Grund, welcher jeden seiner Schritte verschlang, suchte dem schwerflüssigen Strom sich entgegen zu stemmen, welcher mehr und mehr von Faustus ihn entfernte, doch seine Beine waren schwer, sein Leib viel zu schwach als dass ein Vorankommen möglich war. Blinzelnd verharrte er schlussendlich in Starre, denn fern am Horizont brach das Wolkengetürm auf und ließ die Strahlen einer rotfarbenen Sonne hin auf das sterbende Land scheinen, eine goldfarbene Barke umkränzend, die aus dem Zenit des Himmelsgestirnes sich löste. Im Lichterglanz illuminiert harrte Aton lächelnd am Bug des Schiffes, die Hand erhoben zu einem Gruße, alsbald zu einer auffordernden Geste zu Faustus hin.
    "Faustus!"
    rief er aus einer Kehle, aus welcher keine Stimme drang, vergeblich gleichwohl hatte jener doch längst die Hand des Gottes ergriffen, war mit der Leichtigkeit des Liebenden zu ihm in die güldene Sonnenbarke entstiegen.
    "Geh nicht, Faustus! Bitte geh nicht!"
    Nur ein letzter, undeutbarer Blick aus den blaufarbenen Augen seines Geliebten blieb übrig ehedem dieser mit Aton im Lichte der aufgehenden Sonne entschwand. Kein Lebewohl stand zwischen ihnen, kein Wiedersehen, nicht einmal ein simpler Gedanke, hatte er doch alles zerstört, was je gewesen war. Und doch konnte er sich des feinen Schimmers entsinnen, welchen Faustus in seinen Händen hatte gehalten - ein Stück seiner Seele, ein Stück seines Herzens, welches in seinem eigenen Inneren nun fehlte, eine Leere in ihn hatte gerissen, die ohne Faustus nicht mehr zu füllen war. Allein blieb er zurück, dumpf und glanzlos, und fühlte sich leer, unendlich leer.

    ~~~

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    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Kein Wort hatte Gracchus gesprochen auf dem Weg zurück vom Tempel des Serapis, regelrecht willenlos hatte er von Sciurus sich zu seiner Sänfte zurückbringen lassen, sein Blick voll Furcht gerichtet in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, seine Ohren taub für den Lärm der Großstadt um ihn her, angefüllt vom Klagen und Jammern, Heulen und Wimmern der Larven, deren Blut an seinen Händen klebte, sein Herz zerrissen, zermalmt von endloser Leere. Wortlos war er über die Schwelle jenen Hauses gestolpert, welches er als sein Zuhause betrachtete, welches gleichsam ihn erdrückte durch die Erwartungen, welche in seinen Mauern lauerten, durch die Verantwortung, welche ausgehend von den Masken seiner Vorfahren durch jeden Raum hin schwebte, durch die Pflichten, welche der Grund und Boden vorgab - denn allfällig war dies alles nicht sein Leben, allfällig war dies alles nur Teil jenes Mörders, jenes Verräters, welcher in seinen Gefilden sich hatte eingenistet. Sein Cubiculum einzig bot ihm Halt, bot ihm Hinweis auf den, der er war, den, der er glaubte zu sein, denn während das Bett in gleicher oder similärer Art in jedem Schlafzimmer des Hauses stand, während der kleine Tisch am Fenster mit den beiden filigranen Stühlen nur Erbstücke waren und darob vom Stil eines anderen, eines Toten, zeugten, war das schmale Regal aus dunklem Ebenholz angefüllt mit Erinnerungen, Geschenken und Kuriositäten, welche zu persönlich waren, sie in seinem Officium oder einem der öffentlichen Bereiche des Hauses zu präsentieren. Doch obgleich all diese Schätze von seiner Person kündeten, den Manius Flavius Gracchus, Sohn des Titus Vespasianus, zu umreißen suchten, so konnte nichts davon die Vergangenheit negieren, nichts davon die Gegenwart nivellieren - nicht die metallene Plakette, welche sein erster Sciurus hatte um den Hals getragen, nicht das grob geschnitzte Pferd, welches der junge Caius einst unter einem Olivenbaum in Achaia hatte geschaffen, nicht die drei kleinen, kupfernen Büsten der flavischen Kaiser, welche er von seinem Großvater hatte erhalten, nicht die Phiole mit 'dem unwiderstehlichsten Duft, der dir garantiert die Herzen aller Frauen öffnen wird', welche Aristides ihm einst hatte überlassen, von welcher er indes nicht einen einzigen Tropfen hatte vergossen, nicht das Medaillon, welches Antonia ihm vor Jahren hatte geschenkt. Nur ein einziges Element dieser Sammlung schien dazu geschaffen, die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Noch immer zitterten Gracchus' Hände leicht als er die Schatulle aus Elfenbein aus einem der untersten Fächer empor hob, sie zu dem kleinen Tisch am Fenster hinüber trug und sich setzte. Er war sich nicht dessen gewahr, dass Sciurus nahe der Türe im Raum stand, ihn beobachtete als der den Deckel, welcher mit einer Szene aus der Sage des Ödipus war geschmückt, empor hob und einige Augenblicke die schimmernde Klinge betrachtete, welche eingebettet in den weichen, cremefarbenen Stoff gänzlich unschuldig anmutete. Er wusste, dass er nicht zu lange durfte zögern, denn nichts war größer in ihm als die Furcht vor dem Tode, nichts war größer in ihm als seine eigene Feigheit. Zitternd nahm er die Klinge in die linke und legte die rechte Hand mit dem Rücken auf den Tisch. Ein Schnitt nur sollte notwendig sein, ein einziger Schnitt, dass das Blut in Strömen würde fließen. Das Blut. Sein Blut. In Strömen. Er musste sich eilen, nur ein einziger Schnitt. Was, wenn es nicht würde ausreichen? Wenn nur Blut würde fließen, zu viel Blut und doch kein Leben? Sein Blut. Beinah wurde ihm blümerant vor Augen schon bei dem Gedanken an diesen Anblick. Ein Schnitt nur. Senkrecht oder Waagrecht? Prüfend legte er die Klinge über sein Handgelenk.

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  • "Was tust du da, Herr?"
    drang mit einem Male Sciurus' Stimme an sein Ohr - war der Sklave doch von ihm unbemerkt hinter ihn getreten -, was dazu führte, dass Gracchus mit einem leisen Aufschrei zusammenfuhr, die Klinge unverrichteter Dinge aus seiner Hand fiel.
    "Sciurus!"
    fuhr er diesen erschrocken an, sank jedoch bereits im nächsten Augenblicke in sich zusammen, schüttelte desperat den Kopf und konnte nicht die Larmoyanz aus seinen Worten vertreiben.
    "Ich ... ich halte das nicht mehr aus. Ich verliere den Ver..stand. Ich ... ich habe geglaubt, es würde einfacher werden … irgendwann … wenn erst der Alltag wieder das Leben bestimmt. Alltägli'h similäre Salutationes, dröge Senatssitzungen, langatmige Contiones, eine nichtssagende Cena hier, eine un..bedeutende Cena dort, dieses ewige Palaver über profane Dinge in einer Art und Weise als könnten sie dazu gerei'hen die Welt zu verändern! Aber … aber während Rom in diesem Trott ver..sinkt, während all das, was geschehen ist, augenscheinlich nicht mehr wichtig erscheint … mich verfolgt es noch immer auf Schritt und Tritt, beständig sehe ich die Gesi'hter von Toten, beständig höre ich ihre Anklagen, beständig schwankt meine Erinnerung … immer dann, wenn ich gerade glaube, dies alles hinter mir zu lassen zu können, nurmehr nach vorne zu blicken, überkommt es mich aufs neue ... diese Zweifel, diese ... Fur'ht, diese Schuld … und nun auch noch Faustus, vor allem Faustus! Ich ... ich habe geglaubt es ist nur, was geschehn ist, was mich zernagt, und wenn alles nur wieder halbwegs in seine Bahnen kommt ... aber ... es ist nicht das Leben, es ist nicht die Aberration der Realität ... ich ... ich er..trage es schlichtweg nicht, seinen Hass zu sehen, seine Abscheu, der Ge..danke daran, dass er und ich nie wieder … ich ... ich will das alles nicht mehr … dieses Leben … diese ... Existenz ... ich will nicht mehr ..."
    Entschlossen nahm er die Klinge wieder auf.
    "Ich werde dem ein Ende setzen!"
    "Mit einem Dolch?"
    Obgleich Sciurus die Worte so emotionslos sprach wie stets, so glaubte doch Gracchus am Ende eine feine Nuance aus Skepsis, allfällig gar Belustigung nachschwingen zu hören.
    "Es ist der Dol'h meiner Mutter!"
    erwehrte er sich - jener Dolch, mit welchem nicht nur seine Mutter sich hatte entleibt, sondern ebenso seine Schwester -, bemerkte indes sogleich, dass dies seine unmännliche Wahl nicht gänzlich konnte erklären, und suchte eine Ausflucht, nicht eine andere familiäre Klinge erwählt zu haben.
    "Mein … Vater hat sein Gladius mit sein Grab genommen."
    Verständnisvoll - und doch glaubte Gracchus einen Schimmer von Amüsement in den hellen, blauen Augen zu entdecken - nickte Sciurus.
    "Und dein eigenes Gladius?"
    Als hätte der Sklave mit diesen Worten in eine ohnehin bereits überaus fragile Amphore ein Loch geschlagen, ergossen sich plötzliche Tränen über Gracchus' Wangen, sein Leib erbebte unter dem Zucken seines Schluchzens und der Dolch entglitt ihm abermals.
    "Ich ... ich weiß nicht wo es ist ..."
    , brachte der Flavier unter einem Fluss aus Tränen hervor als wäre er ein Kind, welches seinen Eltern musste gestehen, dass er sein ihm anvertrautes Geschwisterteil in der Menge Roms hatte verloren. Selbstredend besaß Gracchus ein Gladius, eine vorzüglich gearbeitete Waffe, deren Klinge mit feinen Mustern und deren Scheide mit goldenen Beschlägen war verziert, eine Waffe geschaffen nicht zum stumpfen Kampfe, sondern als Zierde - eine Verschwendung indes an einen Patrizier, welcher nichts damit wusste anzufangen, welcher mangels militärischer Ambitionen sie nicht einmal als Prunkstück trug. Gracchus hatte dieses Gladius zu seinem zwölften Geburtstag erhalten, sein Vater hatte es ihm bei einem seiner Besuche in Rom überreicht und hier in dieser Villa für ihn aufbewahrt, und nach seiner Rückkehr hatte er es einige Zeit in seinem Officium präsentiert bis der Anblick ihm zu martialisch erschien und er den Platz an der Wand mit einem Bildnis des Apollon hatte ausgeschmückt. Es hatte ihn nicht gekümmert, wo die Waffe war verwahrt worden, und nun - da sie die einzige Möglichkeit darstellte, seinem Leben auf eine adäquate, römische Weise ein Ende zu setzten - wusste Gracchus schlichtweg nicht, wo dieses Gladius geblieben war.
    "Es liegt in der Kiste in deinem Arbeitszimmer"
    , äußerte Sciurus sich nüchtern - selbstredend wusste der Vilicus von allen (beinahe, doch zumindest jenen seines Herrn) Gegenständen des Hauses, wo sie waren, seit wann sie dort waren und weshalb sie dort waren -, und trug somit wieder dazu bei, dass Gracchus' Tränenfluss allmählich verebbte. Einige Augenblicke sprachlos, mutlos zudem, ließ dieser seinen Kopf schlussendlich auf die kühle Tischplatte sinken - er hatte weder genügend Kraft, noch ausreichend Mut auf dieses Gladius zu warten, doch zweifelsohne hatte Sciurus Recht - er konnte sich nicht mit einem Dolch das Leben nehmen.
    "Nicht einmal dazu …"
    , murmelte er mit geschlossenen Augen.
    "Nicht einmal dazu bin ich fähig ..."
    Letztlich mangelte es ihm an Willen - denn letztlich wollte er sein Leben nicht unbedingt beenden, er wollte schlichtweg nur wieder in Faustus' Armen enden.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Leise knisterte und knackte das Holz im Feuer, umfasste die Szenerie mit einer kalmierenden Atmosphäre, welche beinahe darüber konnte hinwegtäuschen, dass außerhalb des flackernden Flammenscheins der gierige, maliziöse Abgrund darauf wartete, ihn zu verschlingen.
    "Ich habe Angst"
    , gab er unumwunden flüsternd zu, denn hier musste er nicht sich verstellen, hier wussten längst alle, dass er nur ein Feigling war.
    "Ich weiß."
    Tröstend strich der Sklave über sein Haar, seine Wange und sein Kinn, und einen Augenblick glaubte er einen Anschein von Sorglosigkeit in sich zu verspüren.
    "Doch hier, im Kreise des Feuers, gibt es nichts, wovor du dich fürchten musst."
    "Ich kann das Flüstern der larvae hören."
    "Es ist nur der Wind, der durch die Baumwipfel zieht."
    "Ich kann ihre gierig blitzenden Augen sehen."
    "Es ist nur das Licht des Mondes, das sich in Tautropfen spiegelt."
    "Ich kann ihren geifernden Atem riechen."
    "Es ist nur der Sumpf, dessen Ausdünstungen herüberziehen."
    "Ich kann ihre Schatten um uns tanzen sehen."
    "Es sind nur die Büsche, die sich im Reigen der Nacht wiegen."
    Traurig schüttelte er den Kopf.
    "Nein, sie sind überall. Überall um mich her, bei Tag und bei Nacht, im Licht und in der Dunkelheit. Überall, jederzeit. Sie warten auf mich - doch sie wollen mich nicht holen, nein, sie wollen mir nur nachsetzen, jeden Tag auf ein Neues."
    "Shhht, Manius."
    Sacht zog der Sklave die Decke etwas höher, legte seinen Arm fester um den schmalen Leib.
    "Schlaf jetzt. Du wirst sehen, morgen sieht die Welt wieder ganz anders aus."
    Ohne Widerrede schloss der Junge die Augen, doch er wusste genau, sie würden auch morgen noch auf ihn warten.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Es war Frühling in Rom, ein glänzender, herrlicher Frühling wie er der Stadt nur selten war vergönnt, mit lachend schimmernden Tautropfen an neckisch sprießenden Blütenkelchen, mit leichtfüßigem, köstlichen Trällern und Zwitschern der Vögel, dem warm umschlingenden Surren und Summen der Bienen, dem transluzenten Duft der verlockenden Verheißung, Honigflüssen gleich, die in einem leichten Windhauch emporstiegen, Azurblau und Alizarinrot, Auripigmentgelb und Apfelgrün. Aus jedem Fenster hinaus zog das goldfarbene Licht, welches liebkosend der scheidenden Nacht ein Lebewohl mit auf ihren endlosen Wege gab, und während sein Blick den Schlieren am Horizont folgte sehnte er sich danach, ebnfalls von diesem Glanze durchströmt zu werden. Zerbrochen und getrieben durch den durchdringenden Apell des grenzenlos blaufarbenen Horizontes hatte er entschieden sich selbst dem huldvollen Ozean hinzugeben, sich hinforttragen zu lassen vom immerwährenden Strom der teilnahmslosen Gezeiten. Gefangen in einer Welt aus zerbrochenen Mauern und verbrannten Balken konnte schon ein Wort aus Stürmen sein suchend dahintreibendes Heim hinfortblasen, ihn hinabstoßen in den eiskalten Strom aus divergenten Leben und divergenten Träumen, ohne dass seine Wege die der Realität je wieder würden kreuzen. Das Salz des Ozeanes schon auf den Lippen spürend hatte sein Leben entschieden eine andere Geschichte zu erzählen - gleichwohl das Leben dem Lebenden musste folgen, nicht dem Erzählen -, hatte die Zeit des Tötens ihn über gebrochene Pfade hinweggeführt. Eine Flamme für alle Freunde, welche er hatte verloren, eine Flamme für all jene, welche er hatte zurückgelassen, und als die Flamme für sein Herz sich entzündete, stand er längst inmitten einer Feuersbrunst aus Abendrot, denn während sein Herz am Tage auf ihn wartete, blieb ihm selbst nurmehr die Nacht. Doch allfällig bald, allfällig jetzt, wenn diese Stadt bis in die Grundfeste war erschüttert, allfällig konnten auch die Verlorenen und Verzagten endlich sich erheben, allfällig nun, allfällig bald wenn das vergessende Wasser sie umfloss, allfällig würde auch er sich wieder erheben.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Dumpf tönten die Schritte auf der Straße, genagelte Schuhe auf steinernem Grund, hunderte Füße, tausende Füße, welche sich auf sein Heim zubewegten nur aus einem einzigen Grund, angezogen wie die Ratten vom Aas, angezogen wie die Motten vom Licht, die larven vom Verderben. Lauthals skandierten sie seinen nomen gentile, den Namen dieser Familie, welche er in den Untergang hatte gestürzt, den Namen dieser Familie, welcher einst ehrwürdig war, doch nunmehr nurmehr gleichbedeutend mit Verrat. Das dröhnende Pochen der Hände, welche an die Porta hämmerten, erschütterte das gesamte Haus, ließ Mauern erzittern, ließ ihn empor schrecken aus seinem unruhigen Schlaf. Hastig warf er die Decke zurück und stand auf, stolperte durch das dunkle Zimmer hindurch zur Türe. Seine baren Füße fanden allein ihren Weg in das Zimmer seiner Gemahlin.
    "Antonia, erwache! Sie sind hier!"
    Er fasste den dunklen Schemen, welcher unter ihrer Decke lag, um sie zu wecken.
    "Antonia, ich muss die Familie retten!"
    Miteins drehte sie sich um, ihr Antlitz zu einer Fratze des Schreckens verformt, die Augen weit aufgerissen und gelbfarben glühend, ihre Zähne spitz aus ihrem Maul herausblitzend, die Haare der Medusa gleich tausende grünfarbene Schlangen, welche nach ihm zischten.
    "Es ist zu spät, Manius!"
    Die Couleur ihrer Stimme war jene Antonias und doch so voller Gift triefend, dass das Blut ihm in den Adern gefror. Abrupt streckte sie ihre Hand nach ihm aus, klauenbewehrte Krallen, umfasste seinen Hals und drückte zu.
    "Viel zu spät!"

    ~~~


    Keuchend fuhr Gracchus in das Dunkel seines Zimmers empor, fasste an seinen Hals an dem weder eine Klaue, noch Blut zu finden war.
    "Antonia ..."
    , rang er nach Atem und schmerzlich wurde ihm bewusst, dass alles nur ein Alb gewesen war. Antonia war nicht hier, schon lange nicht mehr. Sie war fort, weiter fort als der Mond, als die Sonne und alle Sterne am Firmament. Und niemals würde sie zurück kehren, niemals mehr. Ohne sein Zutun drängten Tränen sich in die Winkel seiner Augen, dass Gracchus diese einen Augenblick schloss und zusammenkniff, um den Zähren keine Gelegenheit zu geben, aus ihm hinaus in die Realität zu gelangen.
    "Viel zu spät ..."
    , flüsterte er und einsamen Perlen gleich rollte das schimmernde Nass über seine Wangen, denn letztlich war Gracchus machtlos gegen sich selbst, dass er sich umwandte, und seine Tränen in seinem Kopfkissen verbarg. Er hatte seine Familie längst verloren, hatte sein Rom verloren, hatte Hephaistion verloren - wen kümmerte noch, dass er sich selbst verlor?

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Der Himmel über Rom war überzogen von einem malvefarbenen Firmament, durchzogen von feuerrotfarbenen Schlieren, welche ihn gemahnten Eile walten zu lassen, um nicht zu spät zu kommen zu seiner Hinrichtung. Gierig streckte das Löwenmaul der Curia Iulia sich ihm entgegen, die Reißzähne so scharf und stechend, dass einige Fetzen vorheriger Kandidaten daran aufgespießt hingen. Im Inneren harrten bereits die Senatoren, ein Esel zwischen ihnen, weiter vorn ein Gockel, um ihn zu wägen und zu richten.
    "Patres conscripti!"
    begann er mit sonorer Stimme, doch das Gemurmel und Gekeife in den hinteren Reihen mochte nicht verstummen.
    "Am heutigen Tage stehe ich ..."
    "Ruhe da vorne! Störe unsere Kreise nicht!"
    "... vor euch, um euch ..."
    "Geh doch nach Hause!"
    "... um euer Vertrauen zu bitten ..."
    "Verhauen! Das ist da einzige, was du verdienst!"
    "... für die kommende Amtszeit."
    "Auszeit! Auszeit!"
    "Viel habe ich bereits getan in meiner Laufbahn ..."
    "Und noch mehr verpfuscht!"
    "... einen Kaiser ermordet ..."
    "Kaisermörder!"
    "... und damit einen Bürgerkrieg ausgelöst ..."
    "Hängt ihn auf!"
    "Werft ihn in den Mundus!"
    "Ih-Ah!"
    "Er soll sich erstmal etwas anziehen!"
    Betreten blickte er an sich hinab und stellte fest, dass er bar jeder Kleidung am Leibe vor dem Gremium stand.

    ~~~


    "Neeeeiiinnnn ...!"
    Schweißgebadet erwachte Gracchus und schreckte empor. Dunkel konnte er sich des Albes entsinnen, doch nicht mehr, was genau geschehen war. "Guten Morgen, Herr", begrüßte ihn Sciurus, welcher neben seinem Bett stand. "Keine Sorge, du bist bestens vorbereitet." Gracchus rieb sich die Augen und streckte sich hernach. Er fühlte sich müde, gerädert und angespannt, keinesfalls jedoch bestens vorbereitet.
    "Wenn dies nicht fru'htet, Sciurus, dann wird dies meine Familie bis aufs Blute demütigen."
    "Das wird es nicht."
    Er seufzte. Manches mal wünschte er tatsächlich, mit seinem Sklaven zu tauschen. Das Leben wäre zweifelsohne viel einfacher, und nicht er, sondern Sciurus würde an diesem Tage vor dem Senat um das Consulat kandidieren.

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  • Äußerlich noch immer stoische Ruhe bewahrend suchte Gracchus nach der überraschenden, wiewohl mehr als desillusionierenden Heimkehr Minors sein Cubiculum auf. Erst dort gestattete er der in ihm inhärenten Emotionalität ob der Entscheidung seines Sohnes ein Ausbrechen in die Äußerlichkeit, wagte seine Muskulatur zu entspannen, dass augenblicklich ein Zittern von ihm Besitz ergriff, ließ rücklings auf sein Bett sich fallen und schloss die Augen, während Ingrimm und Wut, Empörung und Enttäuschung, Furcht und Verzagen seinen Leib durchfluteten und erschütterten, vor seinem inneren Auge ein tosend senfgrünfarbener Strum sich erhob, die Wogen des Oceanos aufwirbelten, dass die gierigen, fangzahnbewehrten Mäuler der Gemütswellen alles in sich verschlangen. So viel Tod hatte er evoziert in seiner Familie - aus fahrlässiger Dummheit, aus törichter Unwissenheit, aus gierigem Eifer oder aus pflichtversessenem Elan - doch niemals aus vorsätzlichem Behufe - bis zu diesem Tage, an welchem er bereit gewesen war, seinem eigenen Sohn das Leben zu entreißen. Mit tiefem Atemzug suchte Gracchus die Gewaltigkeit dieser Tat aus sich hinfortzuspülen, doch die Luft stockte in seiner Kehle, stolperte in seinen Leib dass nicht mehr als ein stoßweises Keuchen blieb.
    Mörder!
    krochen die gierigen Larven aus ihren Ritzen und Ecken, lechzten nach seinem Geiste und stürzten sich auf seinen Verstand, ausgedörrt und ausgehungert nach dem Ende des Consulates, auf seinen Fehltritt nur wartend, sich weidend und labend an seinem Verhängnis.
    Kindsmörder!
    zischten und kreischten sie allesamt, dass der Raum durchwoben war von ihrem ungustiösen Misstönen, dass die Luft sumpfgelb erzitterte und brannte in ätzender Abscheulichkeit. Gequält wandte Gracchus sich zur Seite, zog die Knie an seinen Leib, suchte sein Haupt zu verbergen zwischen den Falten der Bettdecke, seine Ohren zu bedecken mit seinen Händen, doch gab es kein Entkommen vor den eigenen Dämonen, dass er glaubte sein Kopf müsse zerspringen zwischen der gewaltigen Kakophonie, müsse ertrinken in dem Meer aus Blut, welches an seinen Händen klebte. Kaum nur spürte er die Hand, welche durch den Kokon aus Verderbnis auf seine Schulter sich legte, kaum nur hörte er die ferne Stimme, welche leise durch die Dissonanz tönte und sucht ihn in die Realität zurückzuziehen.
    "Auch ihn, Sciurus, auch ihn habe ich er..mordet ... Minimus ..."
    , keuchte er durch Agonie des irreversiblen Geschehens hindurch, während der Griff um seine Schulter stärker, die Worte ihm deutlicher wurden. "Das hast du nicht, Herr. Es ist nichts geschehen und hätte er seine Wahl anders getroffen, hätte er sich selbst entleibt."
    "Und ich"
    , flüsterte Gracchus mit zittriger Stimme,
    "Ich habe ihm das Messer an sein Herz gehalten."
    Abrupt drehte er sich auf den Rücken und packte Sciurus' Hand, sein Griff einer ehernen Fessel gleich, die Augen in einer Melange aus Entsetzen und Irrsinn geweitet.
    "Eine Handbreit Distanz zwischen meiner Hand und seinem Herz, die Klinge ge..schliffen an meinem Zorne werde ich allzeit in der Düsternis hinter ihm verharren bis zu dem Tage, an welchem er zum letzten Male seinen Atem aushau'hen wird, an dem es keine Lügen mehr geben wird, keine Furcht, an dem er sich ein letztes Mal mir zuwendet, sich selbst die Klinge in sein Herz stößt, meine Hand noch an ihrem Schaft! Das ist der Flu'h, Sciurus, der Fluch, unter dem ich geboren bin!"
    Ein wenig hob er seine Schultern, dass sein Gesicht näher an das des Sklaven reichte.
    "Mordend, mein ganzes Leben hindurch all jene zum Tode ver..dammend, welche mir teuer sind, mordend durch meine bloße Existenz, mordend durch meine Nähe, mordend durch meine Hand! Längst müsste mein Leib am Blutgerüste hängen, und doch wagt es niemand endlich diese Tat zu vollbringen und zu voll..enden, was mir durch eigene Macht nicht vergönnt ist!"
    Voller Abscheu stieß er die Hand des Sklaven von sich als wäre sie ein degoutantes Insekt, wandte den Blick ab, noch immer schwer atmend.
    "Lasse mich allein. Und trage Sorge, dass niemand diesen Raum betritt bis dass dieser unsägliche Tag ver..schlungen ist in der gefräßigen Kehle der Nacht!"
    Ohne ein Wort verließ Sciurus den Raum und postierte sich vor der Türe, niemanden einzulassen, wie sein Herr ihn angewiesen hatte. Dieser versank weiter in dem gräulichen Sumpf aus Desperation und Tortur, zerrissen von den Dämonen seines Verstandes, kaum nur Schlaf findend in dieser Nacht und sofern nur überaus unruhig.

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  • ~ einige Tage zuvor ~


    Während Sciurus das Fenster öffnete, um ein wenig frische Morgenluft in das Zimmer zu lassen, setzte Gracchus langsam sich auf mit einem Gesicht als hätte er die Nacht in den Wäldern Italias verbracht - Sturm und Regen ausgesetzt - und rieb sich über die Schläfe.
    "Was für eine Nacht ..."
    Er gähnte.
    "Ich habe von Callista ge..träumt."
    Einen marginalen Augenblick huschte ein Lächeln über seine Lippen, ehedem es sogleich wieder erstarb.
    "Sie thronte oben auf einem überschäumenden Schaumberg inmitten des purpurfarbenen Oceanos, rezitierte Phaedrus Fuchs und Rabe - O Rabe, welch Glanz haben deine Federn! Welch große Anmut trägst du in Gestalt und Antlitz! Wenn du eine schöne Stimme hättest, wäre dir kein Vogel überlegen -, doch als der Rabe den Schnabel wollte öffnen tauchte eine gräuli'he Muräne aus den düsteren Tiefen empor und verschlang sie mit einem breiten Gähnen. Dem Rost gleich, welcher das verlorene Schwert über die Jahre hin tränkt, färbte das Meer sich in ein tiefes Rot und regnete in den Himmel empor, da die Tragik des Geschehens un..möglich in irdischen Sphären konnte verbleiben. Doch selbst das Geflecht des Horizontes konnte die Essenz Callistas nicht umfassen, so dass schlussendlich die Welt in einem gewaltigen Knall zerbarst."
    Einige Augenblicke starrte Gracchus leer in den Raum, welcher in seinem Inneren das zersplitterte Universum zeigte, sodann dehnte er seine Schultern und sank mit einem Seufzen wieder in sich zusammen.
    "Ist es nicht merkwürdig, dass nach all der Zeit ich noch immer mich Callistas entsinne? So viel habe ich vergessen in meinem Leben, doch sie wandelt in den Hallen meines Geistes als wäre es gestern gewesen - ihr helles Lachen, ihre erquickende Leichtigkeit und ihre tiefsinnige Sinnli'hkeit. Wie lange ist das her, Sciurus? Viel zu lange schon. Als wäre es ein anderes Leben gewesen, ein anderer Manius allfällig, ein prosaisches Stück, welches an einem Abend vor langer Zeit ich mir zu Gemüte führte - denn wie kann dies mein Leben gewesen sein, das mir so fremd erscheint, fremder als jedes andere?"
    Der Sklave konnte zu keiner Antwort ansetzen, so dass ungeklärt blieb, ob er dies überhaupt in Erwägung hatte gezogen, denn ein kurzes Klopfen unterbrach die Zweisamkeit und zerstörte sie mit dem sogleich folgenden Eintreten des Medicus Kosmas.
    "Nun, Herr, wie fühlst du dich heute?" eröffnete der flavische Leibmedicus beim Eintritt in den Raum seinen beinahe schon täglichen Besuch.
    Gracchus hielt kurz inne und wandte den Blick in sein Inneres als müsse er Rat halten mit sich selbst, schüttelte sodann langsam den Kopf.
    "Es ist noch immer da. Dumpf und latent wie jeden Morgen, die Anakrusis alltäglicher, klandestiner Agonie."
    "Hast du dich bei deiner Cena an die Diätvorgabe gehalten?"
    "Sicher. Wie an jedem dieser uner..quicklichen Abende der letzten Wochen, obgleich mir nicht eingängig erscheint wie diese fade Kost mein Befinden verbessern sollte."
    "Hast du den heißen Kräutersud zu den Mahlzeiten eingenommen?"
    "Auch dies, Tag um Tag, wiewohl dieses Gebräu von wahrhaft ungustiösem Geschmack ist."
    "Womöglich benötigst du einen Luftwechsel."
    "Luftwechsel? Du meinst ... hinaus aufs Land?"
    Es klang dies nicht despektierlich, doch ebensowenig enthusiastisch.
    "Ich dachte eher an das Meer."
    "Ich hasse das Meer"
    , warf Gracchus ein einem unleidlichen Kinde gleich.
    "Nicht auf oder in das Meer, Herr, nur an die Küste. Nach Baiae vielleicht, hast du dort nicht ein Stück Land neben dem Besitz des ehrenwerten Secundus Felix?"
    Ein leichtes Lächeln umkräuselte Gracchus' Lippen.
    "Ja, in der Tat. Aber - was soll ich dort?"
    "Dich ein wenig entspannen. Baiae ist dafür doch prädestiniert."
    "Warst du jemals in Baiae, Kosmas? Die dortigen Ent..spannungen sind nicht nach was mir der Sinn steht."
    "Aber dein Vetter ist dort, samt seiner Familie. Es wird sicher nicht unangenehm."
    Der Flavier seufzte.
    "Ich werde darüber nachdenken."

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  • "Was meinst du, Sciurus, Baiae?"
    griff der Flavier den Gedanken des Medicus auf, nachdem dieser nach den morgendlichen Untersuchungen und Verschreibungen den Raum wieder hatte verlassen.
    "Einen Versuch ist es wohl wert, Herr. Bedenke wie lange du dich schon grämst."
    Gracchus seufzte. Er wusste nicht einmal mehr wie lange er sich schon grämte. Wann hatte dieses dumpfe Hämmern und Pochen in seinem Schädel begonnen? Während Minors Vigintivirat? Oder erst danach? Allfällig in Etappen auch schon zuvor. Zu lange hatte er es schlichtweg hingenommen, hatte versucht es zu ignorieren, es beiseite zu drängen wie ein unliebsamen Gedanken.
    "Gewiss. Doch was ist mit Prisca, und mit Minimus? Ich kann sie nicht einfach alleine lassen."
    "Nun, deine Gemahlin könnte dich begleiten, sofern sie es möchte. Andererseits weiß sie durchaus allein zurecht zu kommen. Und Minor ist erwachsen, Herr, er wurde nach Germania berufen und wird bald schon das Haus verlassen."
    Gracchus' Seufzen wurde noch eine Spur tiefer. Täglich auf ein neues versuchte er die Nachricht über das Tribunat seines Sohnes zu verdrängen. Germania. Welch grauenhafte Vorstellung. Doch Minor hatte sich nicht anders entschieden.
    "Ein Versuch also. Nun, dann ... dann triff alle Vorbereitungen für meine Abreise. Ich werde auch ... den Augustus informieren und um meine Abberufung als pro magistro bitten müssen."
    Sciurus blickte seinen Herrn lauernd an. "Für einige Wochen ist das sicher nicht notwendig."
    "Ich weiß"
    , nickte der Flavier langsam, während sein hintergründiges Lächeln mit seinem trübseligen Blicke rang.
    "Doch du weißt, es ist nicht meine Art, meine Pfli'hten einem anderen aufzubürden, während die Ehren die meinen bleiben. Und allfällig ist es ohnehin längst an der Zeit."
    Nach einem kurzen Augenblick setzte er hinzu:
    "Gleichwohl die Abmeldung aus dem Senat."
    Diese Worte wiederum klangen kaum wehmütig.


    Noch am gleichen Tage hatte der flavische Vilicus für alles Notwendige Sorge getragen, dass Manius Flavius Gracchus für einige Zeit Rom den Rücken konnte kehren.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    "Erwache, Manius, erwache!"
    Flüsterte eine leise Stimme in sein Ohr. Er drehte sich langsam zur Seite und öffnete blinzelnd die Augenlider. Doch es war nicht Antonia, welche ihn weckte und zur Eile antrieb, es war Callista.
    "Was ist geschehen?
    fragte er schlaftrunken und seine Stimme halte laut durch den Raum.
    "Schhht"
    , legte Callista einen Finger an ihre Lippen.
    "Leise, sonst wird die Chimaira uns hören."
    Er nickte wissend und setzte langsam sich auf. Die Sterne über dem Dach der Villa schienen hell, so dass der Abend bereits fern und der Morgen noch längst nicht angebrochen sein musste.
    "Komm"
    , reichte sie ihm ihre Hand und zog ihn hinter sich her. Als seine Füße die kalte Wasseroberfläche berührten zucke er einen Augenblick zurück, folgte ihr sodann jedoch bereitwillig. Unter seinen Sohlen spürte er den granularen Sand, der sich zwischen seine Zehen drückte, alsbald eine scharfkantige Muschel oder einen Stein. Er konnte nicht sehen, wohin sie ihn führte, doch er wusste, dass Gefahr drohte und sie sich beeilen mussten, dem Ziegenmaul zu entkommen.
    "Hier hinein"
    , sprach sie, die nun Prisca war, und hob einen Vorhang beiseite, hinter welchem sie schnell verschwand. Er folgte ihr weiter und betrat einen Raum aus Kerzenlicht, ein Zelt im Garten gefüllt mit dem schweren Duft nach Rosen und Mandelblüten. Er lag auf einer Kline, ihren Leib dich neben sich spürend, ihren Atem an seinem Ohr.
    "Du musst deine Pflicht erfüllen, Manius, in jeder Hinsicht."
    Als er den Kopf drehte stand das Zelt in Flammen. Der Schatten der Chimaira war dahinter zu erkennen, als Abbild nur und doch so real wie das Feuer, welches Prisca in sich verschlang. Es war nicht sonderbar, dass sie nicht vor Schmerz sich bäumte oder gar schrie, sie blickte nur weiterhin verlangend in seine Augen.
    "Deine Pflicht, Manius, entsinne dich deiner Pflicht!"
    Ein Blick hinab zu seinen Hüften ließ ihn des Gladius' gewahr werden, welcher dort an seiner Seite hing. Doch er löste seinen Gürtel und ließ das Metall nur hinabfallen in den von sanften Wellen gekräuselten Boden. Von einem Tisch nahm er einen gläsernen Krug, dessen Unterseite die Fratze des Faunus zierte, allfällig auch des Faustus, und begann das Meer in die Flammen zu schöpfen, bis zur Erschöpfung seiner selbst.

    ~~~


    Die erste Nacht nach seiner Rückkehr nach Rom schien Gracchus von tiefer Ruhe und Erholsamkeit geprägt. Das wohlige Sentiment nach zu Hause zog sich noch immer durch jede seiner Faser, so dass er frohgemut diesen Tag begann, an welchem Scatos Eheschließung sich zutrug.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    "Manius?"
    Blinzelnd öffnete er seine Augen und blickte in den türkiesfarbenen Himmel, über welchen träge sich ein Schwarm aus Wolken-Vögeln hinweg schob. Ein Hauch von sommerlicher Hitze umspülte seine Nase - eine verbotene, und darob um so verlockendere Verheißung gebräunter Haut und unbotmäßiger Transpiration und Erschöpfung bereits durch geringste Bewegung.
    "Manius?"
    Träge drehte er seinen Kopf zur Seite, um Caius' Stimme zu folgen. Das ledrig grünfarbene, bisweilen durch die Temperaturen gelbfarben verdorrte Gras pikste sanft in seine Wange. Caius lächelte ihm zu und drehte seinerseits sich zurück auf seinen Rücken. Er betrachtete ihn und versank in der Herrlichkeit des Augenblickes, der geziert war von unschuldiger Anmut.
    "Du bist wunderschön"
    hauchte er - gleichwohl er sich solcherlei Worte in seiner jugendlichen Unsicherheit niemals hätte erlaubt - und wusste bereits im Verhallen seiner Stimme, dass Worte diese Schönheit nicht konnten fassen. Caius' Seele erstrahlte aus seinem Innersten in purpur-goldenem, weichen Glanze, wurde umweht von einem elysischen Odem der Mandelblüte im Frühling gleich, und erfüllte den Raum mit einer Resonanz dunkelgrünfarbener, behaglicher Melodien. Er drehte sich ein wenig mehr zur Seite und hob seine Hand, im Versuch diese Schönheit zu begreifen - die Stirn, in vollkommener Entspannung geglättet, die makellose Linie des Nasenrückens, die Berge und Täler der feinsinnigen Lippen, das weiche, dunkelblonde Haar Maecenas'.

    ~~~


    "Nein!"
    Keuchend erwachte Gracchus und suchte sich aufzurichten, sein Herz bis zum HaIse pochend. Es dauerte einige Augenblicke bis dass er sich gewahr wurde, dass die dunklen Schemen um ihn her sein Cubiculum formten und er nur einem Alb entronnen war. Seinen Atem allmählich zur Ruhe zwingend suchte er sich zu entsinnen, was ihn derart hatte verstört. War er nicht eingebettet gewesen in ein Befinden tiefster Glückseligkeit? War nicht der jugendliche Caius bei ihm gewesen? Er vermisste ihn, selbst nach all der Zeit, selbst nach all der Wut auf seine kleinmütige Wahl, der Familie den Rücken zu kehren (respektive durch sein Handeln die Abkehr der Familie zu provozieren). Er vermisste auch Faustus - dieses Gefühl tiefster Geborgenheit in einem anderen Seelenleben, die Inniglichkeit zweier Herzen, das Einssein zweier Leiber. Zweifelsohne, Gracchus liebte Prisca. Ja, er mochte dies durchaus so betiteln: Liebe. Doch es war ein Gefühl erwachsen aus dem Bund, welchen sie hatten geschlossen, aus den Tagen und Ereignissen, welche sie miteinander teilten, war hart erarbeitet und nicht zuletzt auch erhöht worden durch das Kind, welches sie erwarteten. Doch während er selbstredend ihre Schönheit zu ästimieren wusste - die äußere, wie innere -. während er ihre Meinung und ihren Rat schätzte, sie aus Gewohnheit misste sofern sie einige Zeit lang getrennt waren, fehlte doch dieser Beziehung das lodernde Glühen, welches ihn mit Caius oder Faustus hatte verbunden, die blinde, bedingungslose Hingabe vom ersten Augenblicke beginnend, die körperlich schmerzende Sehnsucht in jeder Stunde, welche sie voneinander waren getrennt, das tiefe Vertrauen, welches nicht auf gegenseitigem Kennenlernen basierte, sondern schlichtweg gegeben war durch die Wiedervereinigung zweier Seelenpartner.
    "Aber nicht Maecenas"
    , murmelte er und erschrak im nächsten Moment, nicht nur aufgrund der Lautstärke, mit welcher seine Worte durch die Stille der Nacht hallten, sondern mehr noch ihres Inhaltes wegen. Was suchte Maecenas in seinen Sehnsüchten? Er schüttelte den Kopf als wolle er diesen Gedanken abschütteln, seufzte und legte sich zurück in sein Bett. Wenige Augenblicke hernach schlummerte er bereits wie der in einem traumlosen Schlaf.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Faustus' Cubiculum ensprach in allen Details seiner Vorstellung, was allfällig daran mochte liegen, dass er sich nie zuvor Gedanken darüber hatte gemacht wie Faustus mochte leben, und darob schlichtweg die Realität seine Vorstellung hatte geprägt im ersten Augenblicke da er den Raum hatte betreten. Dies lag bereits einige Tage zurück als Faustus den Vorwand hatte bemüht, dass Aton, der neue Bibliothekar der Casa, ihm zum Abend ein wenig würde vorlesen und damit den Übergang zum Schlaf hin ihm würde erleichtern. Nicht eine einzige Zeile, nicht ein Wort hatten sie seitdem an den Abenden gelesen, gleichwohl an Schlaf nicht gedacht. Von Zufriedenheit übermannt lagen sie an diesem Abend in Faustus' Bettstatt, die Leiber noch von Schweiß bedeckt, der Atem jedoch bereits abgeflacht und von tiefer Ruhe durchzogen. Selig Iächelnd betrachtete er Faustus' Züge, und da die daimones und strigae fern waren dachte er nur welch ein Glück der Bürgerkrieg ihnen doch hatte beschert. Nie zuvor hatten sie derart lange so nahe beieinander sein können, nie derart lange unter einem Dach gemeinsam verweilen, nie war ihnen so einfach eine Möglichkeit gegeben gewesen, sich einander hinzugeben. Zufrieden seufzend betrachtete er Faustus' gelöstes Lächeln. Durfte er derartige Gedanken in sich aufkommen lassen, sich gar daran erfreuen? Hatte er nicht großen, wenn nicht gar den größten Anteil daran, dass drei Menschen - zwei davon gänzlich unschuldig, Kollateralschaden - auf grausamste Weise hatten sterben müssen? Hatte er nicht großen Anteil daran, dass hunderte, tausende Soldaten gegen ihre eigenen Brüder, Söhne, Väter und Freunde marschieren mussten, dass Römer verwundet und getötet wurden durch Römer? Wie konnte er sein Glück genießen, wie konnte er sich baden im Vergnügen und wälzen in Erfüllung hier im klandestinen Verstecke, während all dies Leid dort draußen geschah? Wie konnte er der sein, der er war bei allem, was er hatte getan?
    "Große Taten, großer Onkel"
    , wandte sich Faustus um und entblößte das Antlitz Maecenas.
    "Lasse die Welt nur in Leid versinken, solange du und ich vereint sind."
    Maecenas' Lippen näherten sich den seinen...

    ~~~

    Keuchend fuhr Gracchus aus dem Schlaf empor.
    "Faustus"
    , flüsterte er, hielt jedoch sogleich inne. Weshalb? War nicht sein Neffe ihm noch vor Augen? Oder war es der Tod gewesen? Seit der Ankunft Maecenas' waren die Erinnerungen in ihm wieder erwacht, quälten ihn des Nachts auf mannigfache Art und Weise, gleichwohl er stets am kommenden Morgen sich nur kurzzeitig des Grauens konnte entsinnen. Mit einem leisen Stöhnen legte er sich zurück in das weiche Kissen und schloss die Augen, suchte die Anmut und Schönheit der Chorgesänge aus dem gefesselten Prometheus des Aischylos sich zu imagineren und fand darüber zurück in den Schlaf.

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  • Der Winter hatte Gracchus nicht behagt im vergangenen Jahr, gleichwohl er dies nicht seinem Alter mochte zuschreiben - Alter! Er hatte zwei Kleinkinder, seine zwei jüngsten Sprösslinge im Hause, was mochte da eine Jahreszahl aussagen -, sondern vielmehr der Tristesse in seinen Gemächern. Er misste Sciurus, weit mehr als dieser es verdient hatte nach allem, was er dem Flavier hatte angetan, seinem grenzenlosen Verrat, der Zerstörung aller Bande, welche je zwischen ihnen waren gewesen. Doch weitaus eindrücklicher noch war die Erinnerung an all das, was sie gemeinsam erlebt hatten - mehr als ihr halbes Leben immerhin, Höhen und Tiefen, Freude und Leid, Erfolge und Scheitern, ihr Äußerstes wie Innerstes. Nun, zumindest Sciurus hatte seinen Herrn in allen Facetten gekannt, konnte jeden Wunsch ihm von den Augen ablesen, verstand ihn ohne Worte, wusste oft im Voraus, was Gracchus erst im Nachhinein bewusst wurde. Der Flavier indes war sich nicht mehr sicher, was er je von Sciurus hatte gewusst oder gekannt, ein Umstand welcher trotz allem ihn seltsam traurig stimmte. Selbstredend hatte Gracchus einige Wochen nach Sciurus' Tod eine Nachricht zu Agrippina nach Baiae gesandt mit dem Gesuch um einen neuen Sekretär und Leibdiener, und selbstredend hatte er ein prächtiges Exemplar aus der hauseigenen Sklavenzucht erhalten. Lange hatte er mit sich gehadert, ihm den Namen Sciurus zu geben - doch letztlich hätte ihn dies beständig nur an eben diesen erinnert. Schlussendlich eröffnete er ihm somit:
    "Fortan sollst du Ikarus genannt werden. Dies soll dich gemahnen dein Bemühen nicht zu tief zu suchen, um nicht in das Meer der Mediokrität zu stürzen, glei'hwohl der Sonne nicht zu nahe zu kommen, da ihr Glühen dich sonstig verbrennen wird."
    Der Sklave nickte mit gesenktem Blicke. Er war durchaus ein viabler Ersatz - gebildet, klug, mit sonorer Stimme, von ästhetischem Äußeren -, doch bis Gracchus ihm sein vollstes Vertrauen würde schenken, gleich ob in Belangen des Hauses als Vilicus oder als sein Intimus, würde zweifelsohne noch viel Zeit vergehen - sofern es überhaupt je dazu würde kommen. In den zurückliegenden Monaten zumindest hatte Gracchus keinen Grund zur Beanstandung gehabt, so dass es Ikarus war, welcher auch an diesem Tage - dem Festtag der Anna Perenna - ihn nach dem Bade umsorgte.
    "Blau- oder grünfarben?"
    "Grün, Herr, das passt viel besser zu deinen Augen."
    Ein Lächeln umspielte die Lippen das Flaviers, war dies doch ebenso seine eigene Wahl, so dass er kurze Zeit später zum Aufbruch bereit war.

  • Unruhig wälzte Gracchus sich in seinem Bette hin und her. Er war erst am vorherigen Tag sehr spät am Abend, respektive schon in der Nacht aus Baiae zurückgekehrt, wo er gemeinsam mit Prisca und den Zwillingen den allzu heißen Sommer hatte verbracht. Obgleich Faustus und er nach ihrem Ausflug in die Berge und allem, was dort geschehen war, im Frühjahr weit mehr unbeschwerliche Zeit miteinander hatten verbracht, so bedrückte ihn seit diesen Geschehnissen doch das Leben wieder mehr und mehr. Er hatte seine Leichtigkeit eingebüßt, war schreckhaft geworden, misstrauisch im Allgemeinen und insbesondere gegenüber allen, die er nicht kannte, spürte vermehrt die Larven und Lemuren um sich her, und während er die Tage über eine unbekümmerte Maske zur Schau trug, so quälten ihn doch die Nächte und ihre Grauen und Albschrecken. Sciurus' Verrat hatte ihn tief getroffen, und noch tiefer verunsichert, viel tiefer als er es gegenüber irgendwem - selbst Faustus gegenüber - würde offen zugeben wollen. Als die erste Hitze sich über die Stadt hatte gelegt, hatte er darob die Gelegenheit genutzt, sich noch vor Anbruch des Sommers aus der Stadt zu verabschieden, nicht nur schweren Herzens, sondern vor allem auch mit einem schlechten Gewissen von Faustus, welchen er nicht mit seinen Qualen wollte behelligen. Er hatte Baiae ausgewählt, da die heißen Quellen Prisca zur Freude gereichten, und um die Zwillinge der dort residierenden Familie zu präsentieren, aber auch in der törichten Hoffnung, Callista wiederzusehen. Er hatte gehofft, wenn er sie nur herbeisehnte, in seinem Herzen imaginierte, würde sie wieder erscheinen. Ein Trug war dies gewesen, doch zumindest die Zeit mit seiner Familie angenehm, wenngleich er auch noch immer nicht allzu viel mit seinen Kindern konnte anfangen. Die Gram jedoch, die Bangigkeit und die grauenvollen Nächte hatten ihn bis in den Süden verfolgt, und nun auch wieder zurück. Der Sommer neigte sich allmählich dem Ende zu und die Senatsferien waren vorbei, so dass Gracchus nicht länger sich aus der Stadt konnte absentieren, war er doch zum Ende des Senatsjahres hin bereits einigen Sitzungen ob der frühen Abreise wegen fern geblieben, dass er nun nicht auch noch wieder verspätet zurückkehren konnte. Da über diese Grübeleien hinweg es weiter keinen Sinn hatte, noch schlaflos im Bett herumzurollen, schlug er schlußendlich die Decke beiseite und rief nach Ikarus. Über die letzten Monate hin hatte der Sklave sich durchaus patent und viabel gezeigt, und er erfüllte seine Aufgaben überaus gut. Ihm vertrauen jedoch, dies konnte Gracchus nicht.

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    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

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