Arbeitszimmer | Caius Flavius Aquilius

  • "Manius! Manius, beruhige Dich!" sagte ich, doch mehr um der Form willen denn aus einer Überzeugung heraus. Er war stets so beherrscht, so ruhig, dass ein Teil meines Inneren davon überzeugt war, dass es ihm nicht schaden würde, sich einmal Luft zu verschaffen. Bevor er noch an all dem Zorn zugrunde gehen würde, den er zweifelsohne irgendwann einmal angesammelt haben musste, bedachte man all das, was er bisher für die Familie getan hatte, die es ihm niemals wirklich zu danken gewusst hatte.
    So ließ ich ihn fluchen und toben, wenngleich er immernoch eine sehr patrizische Art hatte, sich zu echauffieren, ich hätte wohl eher einige Teller und Vasen an die Wände geworfen und mir hinterher Felix' Strafpredigt über den Umgang mit Dekorationsgegenständen anhören müssen. Seine Finger gruben sich schmerzhaft in mein Fleisch, und doch, es schmerzte nicht halb so sehr, wie es dies vielleicht hätte tun müssen, einen zornigen Manius zu sehen, der seinem Innersten einmal freien Lauf ließ, wog diesen Schmerz bei weitem wieder auf. Würde er diese Fesseln um sein Herz öfter lösen, bei Mars, was hätte er für ein Feldherr sein können, was für ein Senator, was für ein Mann! In diesem Augenblick fiel es mir schwer, ihn zu genau anzusehen, denn der alte Schmerz tief im Inneren kehrte zurück. War ich der einzige, dem er sich so zu zeigen wagte?


    Als er innehielt, wurde mir mein träumerisches Abgleiten in Regionen, die ich eigentlich geschworen hatte, nicht einmal mehr anzudenken, nur zu bewusst, und ich schüttelte hastig den Kopf.
    "Dein Zorn ist durchaus berechtigt gewesen, Manius, und ich denke, es war gut, dass diese Worte einmal ausgesprochen wurden. Immer warst Du das Rückgrat dieser Familie, auf dem sich alle bereitwillig ausgeruht haben, ohne zu bedenken, dass viele der entstandenen Schwierigkeiten nicht hätten passieren müssen. Ich wüsste nicht, ob ich dieselbe Geduld aufwenden könnte, die Du mit all diesen Menschen hast, nicht zuletzt, weil ich mit den wenigsten wirklich noch eng verwandt bin. Die Werte einer patrizischen gens zu wahren fällt den Meisten wohl nicht leicht, auch, weil viele ihre Eltern früh verloren haben oder sie sich niemals recht um ihre Kinder gekümmert haben - selbst Felix war Furianus kein guter Vater, und Du weisst, was daraus geworden ist. Aber nun lass die ratio zurückkehren, mein werter Vetter, ira ist nicht der richtige Ratgeber für die Zukunft, und er war es niemals in der Vergangenheit."
    Ich wusste selbst nicht, warum ich ruhig blieb, wieso ich nicht mit schimpfte, mich fühlte, als ginge mich all dies nicht mehr wirklich viel an. In den letzten Wochen wa ich gleichmütig geworden, gleichmütiger als jemals zuvor in meinem Leben, und was immer früher mich noch zu unbeirrten Taten getrieben haben mochte, es schwieg nun.


    Mit erstaunlich ruhigen Händen füllte ich einen Becher Wein für Gracchus, und achtete darauf, dass er ihn auch entgegen nahm, um mir selbst einen Wein einzuschenken. Es war wieder einmal ein Falerner - Felix' Weinkeller hatte durch meine Gegenwart im Haus ziemlich gelitten, aber wofür war Wein sonst da, wenn man ihn nicht gerade opferte?
    "Einer Sache jedenfalls bin ich mir ziemlich sicher, Manius: Wenn Du im guten Glauben gehandelt hast, Arrecina von einem Fluch befreien zu wollen, auch wenn es nie einen gab, dann werden Dir die Götter für Deinen guten Willen nicht zürnen. Iuppiter ist ein strenger Herr, doch niemand, der ungerechtfertigt straft, wenn es darum geht, dass jemand versucht hat, einen anderen zu retten. Vielleicht mag Dir vieles im Augenblick als dunkel erscheinen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass nach einigen Tagen Regen nicht auch wieder die Sonne für Dich scheinen wird. Wenn einer hier kein Unbill verdient hat, dann bist Du das."

  • Kraftlos hob Gracchus seine Hand zur Schläfe und rieb darüber.
    "Geduld ist eine Tugend."
    In eben diesem Augenblicke hörte sich dies aus seinem Munde an, als würde er ein bedeutungsloses, phrasenhaftes Graffiti von einer Wand ablesen, und womöglich tat er dies, von einer jener Wände innerhalb seines Gedankengebäudes, auf welche all die Aussprüche zur Tugend waren einst von einem heranwachsenden Jüngling verewigt worden, und welche er niemals hatte mit frischer Farbe überdecken können, aus Angst, seiner Wurzeln damit verlustig zu werden. Er blickte zu seinem Vetter auf und hob fragend die Brauen, während er den Becher entgegen nahm.
    "Was macht schon gute Eltern aus? Vermutlich hat es einen guten Grund, warum wir unsere Kinder in die Ferne schicken, auf dass ihnen eine angemessene Erziehung angedeiht. Wir erwarten, dass sie uns stolz machen, dass sie zu tugendhaften kleinen Abbildern unseres Selbst heranwachsen, doch da wir selbst kaum das sind, was wir sehen wollen, schicken wir sie fort, auf dass sie in philosophischen Schriften und dem Studium der Historia bessere Vorbilder finden mögen denn uns selbst. Wäre ich denn ein besserer Mensch, wenn ich bei meinem Vater in Rom wäre gewesen, wenn ich ihm ähnlicher wäre? Nein, Caius, ich glaube nicht, wir müssen uns immer über uns selbst erheben, wenn wir dem genügen wollen, was uns als Ziel gesetzt ist, gleichsam ist unsere Herkunft Verpflichtung, derer wir uns nicht entziehen können."
    Zum letztlichen Erfolg fehlte hernach nur noch die Einsicht dessen, doch Gracchus schluckte diese mit einem ausgiebigen Zug aus dem Becher hinab, nur um kurz darauf die Augen in Erstaunen zu weiten, die Hand mit dem Becher sinken zu lassen und die andere vor den Mund zu heben, um dahinter ein leichtes Husten zu verbergen. Als er wieder zu Atem gekommen war, schüttelte er den Kopf und stellte den Wein ab.
    "Mag Bacchus mich ans Kreuz schlagen lassen, doch so verzweifelt werde ich niemals sein können, dass ich die Vollmundigkeit seiner Früchte pur goutieren könnte. Und um den Tag in Wein zu ertränken, dafür ist es noch zu früh, obgleich ..."
    Er bedachte seinen Vetter mit einem schalkhaften Lächeln.
    "Marcus' schuldet mir noch etwas, ich hatte gehofft, er könnte dies noch vor seinem Aufbruch durch die Organisation einer seiner ..."
    Ein wenig hilflos fuchtelte Gracchus mit der Hand vor sich im Raume herum. Es fiel ihm in nüchternem Zustand augenscheinlich schon schwer, überhaupt nur darüber zu sprechen.
    "Nun, du weißt schon. Doch nun, da wir nicht wissen, wann er wieder kommt, vielleicht sollten einfach wir..."
    Er stockte, denn wir war in diesem Falle womöglich keine besonders gute Idee. Ein Seufzen echappierte Gracchus, er bemerkte, wie er langsam begann den Faden zu verlieren, gleichsam damit einhergehend die Konzentration.
    "Nein, vergiss dies besser vorerst wieder. Ich sollte nun besser gehen, ich muss ... über all das in Ruhe nachdenken."
    Es drängte ihn bereits dem Freund durch mehr zu danken, als nur durch Worte, denn was konnte schon geschehen, wenn seine Lippen nur für einen winzigen Augenblick, keinen Herzschlag lang, Caius' Haut würden berühren? Es kostete ihn keinen winzigen Augenblick, keinen Herzschlag, um zu wissen, dass sie sich nicht wieder würden von ihm lösen.
    "Ich danke dir für deine Zeit, Caius, und deinen Rat."
    Mit diesen Worten wandte er sich zum Gehen.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Geduld ist keine Tugend, Geduld ist die reinste Qual, wollte ich ihm entgegenwerfen, aber dieser Anflug leidenschaftlicher Verzweiflung verbat sich angesichts des Augenblicks von selbst. Schätzungsweise hätte er nicht nachempfinden wollen, was mir in diesem Moment durch den Kopf ging, und es war besser, dies nicht ausgesprochen zu haben. Seine Worte über Eltern und Herkunft ließen mich innerlich innehalten, und ich wandte meine Gedanken schnell von dem ab, woran ich mich in meiner Erziehung noch entsann - es war herzlich wenig, das Vergessen des Fiebers hatte mir viel dessen genommen, was andere sich von ihren Eltern wohl ein Leben lang bewahren konnten. War es ein Verlust? Oder ein Gewinn? Unschlüssig über die Beantwortung dieser Frage lauschte ich lieber den Worten meines Vetters, meines Ge ... nein, nicht in diese Richtung, ich hatte es geschworen! Solange er sich seinem Schwur beugen würde, musste ich es ebenso tun, alles andere wäre vor den Göttern Eidbruch gewesen.


    "Manchmal tut auch der unverdünnte Wein wohl, Manius, es bedeutet ja nicht gleichermaßen, dass Du Dich nun der Trunksucht ergeben müsstest, um dann irgendwann zu enden wie so mancher unseres Standes, unfähig, seinen eigenen Weg zu gehen." Solche Schandflecke gab es schon lange, und es würde sie immer geben, solange an einen Römer von hoher Geburt dieselben Maßstäbe gelegt wurden, die uns von unserem ersten Atemzug an begleiteten. Milde sollten wir üben, großzügig sein, prachtvoll leben, doch nicht zu übertrieben, den alten Tugenden zugewandt, doch nicht zu unflexibel ... welchem Jüngling mochte man es da verdenken, dass er dem Druck nicht standhielt? Ich hatte schließlich auch mehr als ein Jahr meines Lebens mit Wein und Weib zugebracht und es nicht wirklich bereut. "Wir werden die beste Orgie feiern, die Rom jemals gesehen hat, wenn Aristides wohlbehalten zurückgekehrt ist. Du kennst ihn, so leicht ist er nicht unterzukriegen, vielmehr sollten uns die Parther leid tun," sagte ich mit dem Unterton der Überzeugung. Wenn ein Soldat aus dem Krieg zurückkehren würde, dann war es mein Vetter Aristides.


    Und wieder ließ ich ihn gehen, mit nur einem Nicken, einem Lächeln, und so vielen unausgesprochenen Gedanken, Wünschen und Sehnsüchten, die sich niemals in das Gefängnis leerer Worte würden pressen lassen. Es war unser Schicksal, unser Fluch, und vielleicht auch die Bürde, welche die Götter als angemessen für uns erachtet hatten, um uns daran zu prüfen und zu wägen. "Du weisst, ich habe es gern getan," flüsterte ich, als die Tür hinter ihm geschlossen war, die weiteren Worte herunterschluckend wie auch alle anderen Gedanken, die weit mehr mit einem 'wir' denn dem ganzen Rest unserer Familie zu tun hatten. Und wieder warteten Schriftstücke auf mich, geduldige, stets bereite Freunde, die mir genug Müdigkeit verursachen würden, damit ich schnell einschlafen würde, ohne zu träumen oder gar zu hoffen ...

  • Eine Kopie des Kaufvertrags legte ich in meinem Archiv für wichtige Schriftstücke ab, wie es üblich war.



    Kaufvertrag
    zwischen
    Gaius Caecilius Crassus
    (vertreten durch Tiberius Caecilius Metellus)
    und
    Caius Flavius Aquilius


    Hiermit sei folgender geschäftlicher Abschluss getätigt:


    Der Betrieb 'Calpurnias Schlammgrube' geht, den vilicus mit eingeschlossen, in die Hände des Caecilius Crassus über, der seinerseits den Kaufpreis von 450 Sesterzen dafür an Caius Flavius Aquilius entrichten wird.


    Bei Unterzeichnung erlangt dieser Vertrag Gültigkeit vor dem Gesetz. Unterzeichnet am:
    ANTE DIEM XI KAL NOV DCCCLVII A.U.C. (22.10.2007/104 n.Chr.)




    ________________________________
    (Gaius Caecilius Crassus)


    Caius Flavius Aquilius
    ________________________________
    (Caius Flavius Aquilius)

  • Es war früh am Morgen, am zweiten Tag von Bridhes Verbannung. Am Vorabend, als der Germane erfahren hatte, was für ein Elend seiner Liebsten aus der gemeinsam verbrachten Nacht erwachsen war, hatte er den Beschluss gefasst mit Aquilius zu sprechen. Natürlich hatte er Bridhe nichts davon gesagt. Er war früh aufgestanden, und wollte Aquilius abfangen bevor der zum Tempel aufbrach.
    Ganz wohl war es ihm dabei aber nicht, und eine gewisse, nicht zu leugnende Beklommenheit dämpfte den Schwung seiner Schritte, als er den Gang entlang auf das Arbeitszimmer des Flaviers zuhielt. Ein Sklave, der gerade die Öllampen nachfüllte, hatte ihm nämlich gesagt, der Herr Flavius Aquilius habe sich soeben dort hineinbegeben.
    Vor der Türe blieb er stehen. Verdammt, lag es an Sciurus' Löwengeschichten oder war der Morgenbrei verdorben, der ihm gerade wie ein Stein im Magen lag? Er wäre am liebsten wieder umgekehrt.
    Aber das kam natürlich nicht in Frage. Er atmete tief ein, straffte sich und klopfte vernehmlich gegen das gemaserte Holz.
    Als er von innen eine Erwiderung hörte, öffnete er die Türe. Wie jedesmal erinnerte der Anblick dieses Raumes ihn daran, wie Syagrius die Kröte ihn damals dort dem Flavier vorgeführt hatte. Hocherhobenen Hauptes trat er ein, mit unbewegtem Gesicht, jedoch war seine Anspannung aus seiner Haltung, und aus der ungewohnt vorsichtigen Art wie er die Füße setzte, unschwer herauszulesen.
    "Salve Flavius Aquilius."
    Er räusperte sich, fixierte Aquilius unstet und fiel gleich mit der Tür ins Haus.
    "Du hast Bridhta geschlagen."
    Es war eine nüchterne Feststellung, und mit ebenso ausdrucksloser Stimme fuhr der Germane fort:
    "Sie kann aber nichts dafür was passiert ist. - Ich bin schuld. Also... also ich bin gekommen um Dich zu bitten dass Du nicht sie bestrafst."

  • Ich war müde, mies gelaunt und nicht besonders motiviert, den Tag heute anzugehen, denn der anhaltende Krieg in Parthia sorgte dafür, dass immernoch ein sehr hoher Zustrom zum Tempel zu verzeichnen war. Es war selbst für die salutatio viel zu früh, die Klienten der Familie warteten um diese Zeit längst noch nicht, und ich stellte mich gedanklich darauf ein, mein Frühstück unterwegs mitnehmen zu müssen, ich hatte recht wenig Lust, alleine im atrium sitzend an einem Brotfladen zu kauen. In solchen Augenblicken fragte ich mich immer, wofür ich das tat, außer zum Dienst an Mars - für mich selbst sicher nicht, und da ich nicht einmal eine Frau, gerade mal einen Bastardsohn vorzuweisen hatte, waren die Morgenstunden derzeit meine düstersten - abgesehen von den Abendstunden und der Mittagspause, in der meine Priesterkollegen keinen Augenblick ausließen, ihre Zipperlein zu thematisieren.
    Dass es auch noch klopfte - am frühen morgen - nahm ich zur Kenntnis, erwartete ich doch meinen custos corporis zu dieser Zeit, der mich zum Tempel begleiten würde, und tatsächlich, es war Severus.


    Langsam hoben sich meine Brauen, als er Bridha thematisierte - was ich vermutet hatte, war also Realität. Er hatte mal wieder die Finger nicht von einer jungen Frau lassen können, aber was wunderte es mich? Jeder normale Mann hatte Bedürfnisse, und solange sie gestillt waren, war er vielleicht auch weniger streitsüchtig und unzufrieden.
    "Ich denke nicht, dass das, was sie getan hat, Deine Schuld war. Dass ihr beieinander gelegen habt, stört mich nicht, Severus, meinetwegen soll es so sein. Wenn Du also glaubst, ich hätte sie bestraft, weil ihr beiden miteinander Freude geteilt habt, täuschst Du Dich," sagte ich und erhob mich langsam von meinem Stuhl, innerlich seufzend, während ich eine Schriftrolle unter den Arm klemmte.
    "Sie wurde bestraft, weil sie glaubte, sie könnte mich anlügen, und das auf eine dreiste Art und Weise, die seinesgleichen sucht. Wäre sie ehrlich gewesen über ihren Verbleib, hätte sie niemals eine Strafe erhalten - aber da sie auf ihrer Lüge beharrte, hat sie die Arbeit in der Küche und den Hieb verdient. Ich glaube kaum, dass Du für ihre Lügen die Schuld übernehmen willst."

  • Es störte ihn nicht? Das verwunderte den Germanen sehr. Und Bridhe hatte doch auch etwas ganz anderes gesagt. Verwirrt legte er den Kopf schief, blickte Aquilius forschend an. Irgendetwas stimmte nicht bei der ganzen Sache. Zugleich verspürte er eine gewaltige Erleichterung darüber, dass der Flavier das nicht so eng sah, und keinerlei Anstalten machte sich in einen eisigen Despoten zu verwandeln.
    "Ja aber... aha."
    Wegen einer Lüge also. Vom Lügen hielt er nichts, und irgendwie nahm ihm das jetzt den Wind aus den Segeln. Der edle Vorsatz für seine Liebste hier den Kopf hinzuhalten, kam doch ein wenig ins Wanken. Am Ende übertrüge Aquilius noch ihm ihren Küchendienst - was entsetzlich blamabel wäre...


    Trotzdem beharrte er. Er musste sie doch beschützen.
    "Aber, naja, sie hätte sicher nicht zu einer Lüge Zuflucht genommen, wenn ich sie nicht in diese Situation gebracht hätte... - Ich wollte dass sie bleibt. Ich mag sie gern."
    Er verzog ein bisschen den Mund, hob ansatzweise eine Schulter, als wolle er über sich selber spotten dabei. Unbehaglich war es ihm zumute, sich vor Aquilius so sentimental zu zeigen. Eine Blöße, die wahrscheinlich gleich eine herablassende Bemerkung zur Folge hätte. Was solls, dachte er trotzig.
    "Also ich denke ich bin doch der Grund. Und schuld. Bestrafe lieber mich anstatt sie. Sie ist doch ein zartes Mädchen. Du solltest sie nicht schlagen. Sie kann sich nicht wehren."

  • "Du magst sie, Severus, und dennoch solltest Du nicht in einer Sache den Kopf für sie hinhalten wollen, die sie sich selbst eingebrockt hat. Ich habe ihr die Gelegenheit gegeben, ihre Lüge zuzugeben, und sie ließ sie verstreichen - glaubst Du wirklich, es bereitet mir Freude, eine Frau zu schlagen? Es ist würdelos, und doch blieb mir wenig andere Wahl, um ihr zu zeigen, dass sie eine Grenze überschritten hat, die nicht zu überschreiten ist," erwiederte ich und lehnte mich in meinem Stuhl zurück, die Stirn gerunzelt.


    "Achte auf sie, Severus, Du bist der Mann in dieser Angelegenheit, und Frauen sind zumeist wankelmütig, besonders wenn sie jung und in der Liebe nicht erfahren sind. Aber lass sie für ihre Fehler selbst einstehen, denn ansonsten wird sie nicht lernen, sich zu ändern. Oder wäre es Dir lieber, für eine Lüge zu büßen, die sie leicht hätte vermeiden können? Nein, ich werde Dich nicht für sie bestrafen." Es war eine sehr bestimmte Ansage, und auch wenn ich verstehen konnte, dass er sie beschützen wollte, so war es doch nicht richtig in meiner Sicht, dass er nun für sie büßen sollte. Nicht so. "Die Entscheidung, mit wem sie liegt, ist allein die ihre, und wenn sie sich dafür entscheidet, bei Dir zu liegen, ist ihr dies überlassen. Wenn sie sich entscheidet, mich zu belügen, ist auch dies ihre ureigenste Entscheidung, ihr Wille. Und ich glaube nicht, dass sie wollte, dass Du für etwas Strafe erhältst, das sie tat. Würde sie dies wollen, wäre sie Deine Gefühle in nichts wert."

  • Ich war kein großer Briefeschreiber, und würde wohl nie einer werden. In solchen Dingen hatte Gracchus stets mehr Durchhaltevermögen besessen und entwickelt, und wann immer ich daran dachte, irgendeinem Verwandten oder meinem vilicus in Hispania einen Brief zu schreiben, geschah zumeist so vieles anderes, dass ich dies ganz vergaß oder auf später verschob. Allerdings, manchmal war es auch einfach notwendig, Briefe zu schreiben, einfach, weil es selbst mir bisweilen ein Bedürfnis war, Gedanken und Meinungen auszutauschen. So setzte ich mich an meinen Schreibtisch und verfasste den Text, wie es mir gefiel - ein bisschen durcheinander, ein bisschen konfus, aber sehr persönlich.


    Salve, alter Haudegen und geschätzter Vetter!


    Aristides, Du wirst nicht glauben, was wir uns hier für Sorgen gemacht haben, als die Nachricht in der Acta erschien, Du wärest gefallen. Eigentlich sollten wir dieses Blatt wegen dieser Fehlmeldung verklagen, Gracchus war gänzlich am Boden zerstört, als wir die Nachricht vernahmen, und ich selbst wollte und konnte es genausowenig glauben. Den Göttern sei Dank bist Du wohlauf, und sollten sie Dich nochmals als tot melden, ohne dass es den Tatsachen entspricht - was wir nicht hoffen wollen! - werde ich diesem Sauhaufen eigenhändig den Arsch aufreißen vor Gericht gehen und für Deine Rückkehr so viele Sesterzen erstritten haben, dass Du vier Wochen jeden Abend lang um die insulae ziehen kannst.
    Natürlich in Begleitung Deiner Dich höchst schätzenden Vettern, versteht sich! Bestimmt hat Dir Gracchus bereits geschrieben und seine Erleichterung darüber ausgedrückt, dass Du unter den Lebenden weilst - Mars sandte mir ob Dir gar ein Zeichen, und ich bin mir sicher, er wird eine schützende Hand über Dich halten, was immer in Parthia auch geschieht.


    Wie gehen die Kämpfe voran? Ich hoffe, die Zeit wird Dir in dieser parthischen Ödnis nicht zu lang und Du hast auch einige vergnügliche Stunden mit parthischen Frauen, man schreibt allgemein, dass sie recht leidenschaftlich seien. Ich erwarte einen genauen Bericht darüber, glaube also nicht, dass Du Dich davor drücken kannst, mir alle Details zu berichten! Hier in Roma geht alles seinen gewohnten Gang - Gracchus wurde endlich in den Senat erhoben, wissen die Götter, dass er es wahrhaft verdient hat! - und ebenso zum rex sacrorum berufen. Ich denke, er ist ganz zufrieden damit, zumindest wirkt er so, auch wenn er, wie üblich, seine Gedanken in vielem für sich behält. Indes scheint mir seine Ehe nicht glücklich zu sein, er und Antonia behandeln sich mit ausgesuchtem Respekt, und wenn Du meine Eltern einmal erlebt hast, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass unter der Oberfläche so mancher Konflikt brodelt. Auch Deiner Verlobten scheint es gut zu gehen, ich hörte zumindest nichts Gegenläufiges, und ich bin mir sicher, sie wird allen Göttern gedankt haben, dass die Meldung in der Acta eine Fehlinformation war. Serenus ist auch wieder in der villa angekommen, und zumindest auf Leontias Leichenbegängnis wirkte er würdevoll und ernst, mir scheint, er ist in den letzten Monaten reifer geworden.


    Ach, Aristides, Du fehlst mir! Die villa ist, wenn Du absent bist, einfach nicht, was sie sein könnte. Vielleicht ist uns Flaviern wirklich eine gewisse Tendenz zur innerlichen Dunkelheit zueigen, doch sobald Du anwesend bist, wird sie für eine gewisse Weile vertrieben. Sei so gut und schlage so viele Parther tot, wie Du kannst, damit dieser Krieg bald vorüber ist und wir Dich gesund wiedersehen können. Es gibt vieles zu sprechen, vieles zu tun, und ich denke, wenn Du zurück bist, werden wir uns einfach einmal einen Abend Zeit nehmen und einfach feiern, dass Du lebst.
    Wahrscheinlich hat Dir Gracchus auch berichtet, dass ich plane, bei den jetztigen Wahlen zum cursus honorum zu kandidieren - ja, ich werde seriös, wehe, Du lachst! Aber ich schätze, das amüsierte Grinsen kann ich Dir schriftlich nicht austreiben. Es wird dennoch Zeit, aus dem schlechten Ruf meines Familienzweigs wieder etwas anständiges zu machen, und wer heutzutage als Patrizier nicht ein fauler Müßiggänger sein möchte (was ich wahrlich lange genug war), muss sich aufraffen und seine Kräfte in den Dienst des imperiums stellen, wie Du es beim Militär tust.


    Musstest Du Dich jemals zwischen zwei reizenden jungen Frauen entscheiden? Ich hoffe nicht, denn leicht ist es wirklich nicht - ich habe mich dafür entschieden, mir meine Braut bei der gens Aurelia zu suchen, die einzige Familie, zu der wir Flavier noch keine engere Bindung unterhalten und die auch entsprechende Kandidatinnen zur Verfügung hätte. Aurelia Prisca und Aurelia Helena sind gleichermaßen reizend und es fiel mir wirklich schwer, mich zu entscheiden - wir werden sehen, wieviel Glück mir bei diesem zweiten, wichtigen Schritt beschieden ist, vielleicht werde ich schon verlobt sein, bis Du zurückkehrst. Was hieltest Du von einer großen, gemeinsamen Hochzeit? Ich denke, zwei auf einmal sind erschwinglicher und praktischer als zwei nacheinander, und wir müssen uns dieses alberne Getue nicht öfter als zwingend notwendig antun ... lass mich wissen, was Du darüber denkst.


    Dein Platz beim armilustrium war leer, Aristides, und ich habe Dich in diesem Jahr auch bei den rituellen Tänzen sehr vermisst - als neuer magister der salii palatini hatte ich gleich die Pflicht zu erfüllen, die rituellen Tänze gut über die Bühne zu bekommen, und bis auf einen Schwächeanfall von Claudius Myrtilus hat auch alles so geklappt, wie es sollte. Dennoch, im nächsten Jahr bist Du wieder dabei, es ist einfach nicht dasselbe, wenn Du nicht mittanzt, ich bin mir sicher, auch Gracchus hat Dich vermisst. Was gibt es noch Neues zu berichten? Lucullus scheint es langsam aber sicher besser zu gehen, inzwischen steht er auch wieder vom Krankenlager auf und geht hinaus, so bleibt nur das Beste für seine Gesundheit zu hoffen. Furianus ist derzeit in Hispania und spielt wichtigen Mann, wie stets, aber zumindest geht er mir dann hier nicht auf die Nerven und wie ich ihn kenne, wird er sich nach Absolvierung seiner Amtszeit gleich auf das nächste Amt stürzen.


    Manchmal möchte man glauben, Felix habe ihn von Honigbienen aufziehen lassen, so eifrig ist er am Werke. Ansonsten ist es hier recht still gewesen, die üblichen Skandale, das übliche Geschwätz. Beizeiten werde ich Dir auch von dem ausgesprochen peinlichen Theaterstück berichten, das wir bei der Feier der meditrinalia im Haus der Aurelier ansehen mussten - Gracchus und meine Wenigkeit wurden nicht gerade schmeichelhaft karikiert, selbst die acta hat über diese Peinlichkeit inzwischen berichtet. Nun, für heute schließe ich den Bericht über 'Aquilius und die Stadt Rom', und hoffe, dass Dich mein Brief bei guter Gesundheit erreicht. Lass bald von Dir hören, Vetter!


    Vale,
    Aquilius

  • "Ich hab nicht vor sie zu ändern. Sie ist genau richtig wie sie ist."
    Der Germane unterdrückte ein Augenrollen, als Aquilius so jovial und wieder mal begann ihn zu beratschlagen. Und jetzt auch noch in Beziehungsfragen. Naja, immerhin besser als Hohn und Spott.
    "Mhm. - Flavius Aquilius. Du sitzt da in Deinem gemütlichen Stuhl, in deinem komfortablen Leben, und urteilst über ein junges Mädchen, dass gerade durch die Gefilde der Hel - ich meine durch den, ähm, Tartaros gegangen ist, verschleppt wurde, versklavt wurde, ihre Heimat, ihre Familie, alles verloren hat, Dir vollkommen ausgeliefert ist und natürlicherweise Angst hat vor dem was Du alles mit ihr anstellen kannst. Und da wunderst Du Dich, dass sie es nicht wagt, offen zu Dir zu sein?! Bei Fenris' Fängen, die meisten hier im Haus haben - nicht ohne Grund - eine furchtbare Angst davor, schon beim kleinsten Vergehen ad bestias zu enden!"
    Er schüttelte heftig den Kopf. Anscheinend glaubte der Flavier das, was er ihm ständig über das lustige Sklavenleben weismachen wollte, tatsächlich selbst.
    "Vorgestern erst hat Sciurus die Kröte sie mit diesen Löwengeschichten terrorisiert, und ihr eine Heidenangst eingejagt. Da ist es nicht nur würdelos, es ist richtig schäbig so ein liebes, zartes Mädchen ins Gesicht zu schlagen. Sie hat ein blaues Auge davon."
    Wie ein Sendbote des Gewissens blickte er Aquilius mit strengem, geradezu vernichtendem Vorwurf an. Gewogen und für zu schäbig befunden.
    Und das mit der freien Entscheidung nahm er ihm einfach nicht ab.

  • "Glaubst Du wirklich, dass ich es nötig hätte, von einer Frau etwas zu nehmen, was sie mir nicht freiwillig zu geben bereit ist?" antwortete ich, noch immer ruhig, während ich innerlich eher den Kopf schüttelte. Und wieder waren wir an dem Punkt angelangt, an dem wir so oft anlangten, wenn wir unterschiedlicher Ansicht waren - also im Grunde immer. "Was die anderen Sklaven in diesem Haus schwatzen und glauben, ist für Dich und Bridhe nicht von Belang, denn ich entscheide, was mit Euch geschieht, und was nicht. Wenn euch jemand bestrafen will, muss er mich deswegen zuerst befragen, und ich habe nicht die Absicht, in irgendeiner Form Willkür zu unterstützen. Severus, wach endlich auf! Ihr beide seid Teil meines Haushalts in dieser villa, und damit auch ein Teil meiner Familie. Ich trage für euch und eure Handlungen die Verantwortung, und glaubst Du denn wirklich, ich hätte euch nicht schon längst beide verkauft oder sonstwohingeschickt, würde mir nicht an euch liegen? Sie mag bei wem auch immer liegen, ob Du es bist oder halb Rom, es ist mir gleich!"


    Nun war ich doch lauter geworden, als ich wollte, und langsam glätteten sich auch wieder meine Züge. "Wenn allerdings ein Mitglied meines Haushalts glaubt, mir eine so dreiste Lüge erzählen zu können, ohne dass es in irgendeiner Weise Folgen zeigt, dann ist das ein gewaltiger Irrtum. Diesen einen Hieb wird sie sich merken und das nächste Mal hoffentlich bei der Wahrheit bleiben. Wäre ich ein so gräßlicher und furchbarer Mensch, wie Du es mir noch immer unterstellst, glaubst Du wirklich, Du hättest die Freiheit, mir Deine Meinung wie einen nassen Sack um die Ohren zu knallen und immer wieder zu widersprechen?" Nun schüttelte ich doch meinen Kopf und lehnte mich dann wieder zurück, leicht durchatmend. "Dein Ansinnen ist gut gemeint gewesen, aber in dieser Sache werde ich Dir nicht nachgeben, denn ich habe sie zu Recht bestraft. Sie hatte die Wahl, und sie hat sich falsch entschieden."

  • Eine Falte grub sich tief zwischen Severus' Brauen, als er über diese Frage nachdachte. Sicher, Aquilius war stattlich - für einen Südländer natürlich - er war reich und von guter Sippe. Nötig hatte er das wahrscheinlich nicht. Aber dass er erst eine Bettgefährtin für Unsummen erstand und sie dann keusch neben sich ruhen ließ, das wollte ihm trotzdem nicht in den Kopf hinein. Irgendwas stimmte da nicht.
    "FAMILIE??!!!"
    Seine Augen weiten sich entgeistert, er lachte in seiner Verblüffung abgehackt auf, völlig perplex dass der Flavier das ernsthaft behauptete.
    "Das kannst Du nicht ernst meinen. Bei mir zu Hause, da werden die Unfreien Teil der Sippe, und Du kannst mir glauben - wir behandeln sie vollkommen anders! Sie essen mit uns am Tisch. Wir reden normal mit ihnen, nicht als wären sie Dreck oder schwachsinnig. Sie werden nicht wie Geschmeiß behandelt, oder wie Aussätzige. Bei euch ernten wir von Grund auf nur Verachtung - einfach so, weil ihr uns versklavt habt, oder man übersieht uns ganz, als würden wir überhaupt nicht existieren, als wären wir unsichtbar oder Niemand. Ein wertloses Nichts. Oder Tiere. Ein Haustier, wenn man Glück hat... ein Wachhund..."


    Düster starrte er zu Boden, stieß schnaubend die Luft aus und kämpfte gegen die Bitterkeit und die Verzweiflung die ihn immer wieder überkommen wollten.
    Nichts da, sein Schicksal unerschüttert tragen. Jetzt jammerte er schon rum. Vor Aquilius auch noch. Was war nur aus ihm geworden. Und Bridtha zu beschützen hatte auch nicht geklappt. Müde zuckte er die Schultern, dann hob er den Kopf und gab zu:
    "Ja. Dafür dass Krieg ist zwischen unseren Völkern, warst Du in Deinen Taten meistens anständig zu mir. Das weiß ich doch. Und dass du Bridtha nicht direkt zwingst ist... großzügig. Ich glaub weder dass Du grässlich noch furchtbar bist, Du bist halt ein Römer und kennst es wohl nicht anders als es hier eben läuft. Du hast einen römischen..." - wie war nochmal das kluge Wort - "...Erlebnishorizont. Wären die Dinge nicht so wie sie sind... na egal. - Gehen wir zum Tempel?"

  • "Das ist mein voller Ernst. Letztendlich besteht in unterschiedlichen Familien eine unterschiedliche Art, mit Sklaven umzugehen. Manche leben tatsächlich wie Mitglieder in der Familie, auf gleicher Augenhöhe, aber in den meisten anderen Familien ist dies nicht der Fall. Für viele Römer sind Sklaven keine Menschen, sondern Dinge, und einem Ding misst man wenig Aufmerksamkeit bei, es hat zu funktionieren, wofür es gedacht ist - sei es als Arbeitssklave, als Haussklave, als Lustgespiele oder was auch immer man sich dabei vorstellt. Es hat seinen Grund, warum ich von Dir will, dass Du Dich zusammennimmst - ich will nicht, dass irgendjemand in dieser Stadt die Lust verspürt, Dein Leben loszuwerden, nur weil Deine Worte ihn dazu gebracht haben. Das wäre ein sinnloser und vor allem absolut unnötiger Tod, und ich denke, Du hast noch ein langes Leben vor Dir. Warum es unnötig vergeuden? Das mag ein ausgesprochen römischer Erfahrungshorizont sein, aber es ist der, dem Du hier an jeder Ecke begegnen wirst," sagte ich und erhob mich aus dem Stuhl, die Schriftrolle beiseite legend.


    "Der Tempel wartet und meine discipulae auch. Es wird ein langer Tag werden, also warte heute nicht auf mich, sondern kehre zurück, wenn Dein Training beendet ist, ich weiss noch nicht, wann ich heute zurück sein werde." Damit schritt ich zur Türe, und wartete kurz auf ihn, bevor wir uns auf den Weg machten, ich zu meiner Pflicht, er zu seinem Training in der Gladiatorenschule ...wie fast jeden Tag in den letzten Wochen.

  • Nachdem der Brief am Morgen eingetroffen war, legte Straton diesen für seinen Herrn auf dessen Schreibtisch, auf dass er diese wichtige Post nicht übersehen würde.



    M. AELIUS CALLIDUS PROCURATOR A LIBELLIS PALATII
    SACERDOTI PUBLICO C. FLAVIO AQUILIO


    Du wirst hiermit, Caius Flavius Aquilius, auf das palatium gebeten. Lass dich dort beim procurator a libellis melden.


    --- PROCURATOR A LIBELLIS ---
    ADMINISTRATIO IMPERATORIS


    [Blockierte Grafik: http://pages.imperiumromanum.net/wiki/images/5/5d/Siegel_Administratio_Impera.gif]


  • Leise, wie es seine Art war, betrat der Grieche das Arbeitszimmer seines Herrn und betrachtete ihn kurz einige Momente lang von der Tür aus. Er schien während der letzten Monate älter geworden, was sich aber nicht zwingend an der äußeren Erscheinung manifestierte, sondern eher an seinem Blick. Das Haar noch bleicher, die Haltung aufrechter - inzwischen mochte man in Aquilius nicht mehr den leichtlebigen Patrizier sehen, der sein Geld mit beiden Händen zur eigenen Belustigung ausgab. Zweifellos hatte sich der Herr verändert. Und es würde an Straton liegen, dies herauszufinden, nicht zuletzt, weil er sich noch sehr gut an die vielen Nachmittage beider Kindheit erinnerte, an denen sie sich gegenseitig mit Schlamm und Dreck beworfen hatten und alles so viel leichter gewesen war. Inzwischen hatte sich die Welt entschieden verändert.


    "Dominus? Dein Großneffe Lucanus ist hier in der villa eingetroffen und möchte mit Dir sprechen," sagte Straton nach einigen Momenten der stillen Betrachtung und nahm neben der Tür Haltung ein, darauf wartend, dass Aquilius ihn zur Kenntnis nehmen würde. Noch schrieb er eifrig und hielt dann inne, aufblickend. Für einen Moment lang trafen sich die Blicke der beiden Männer, die auf eine sehr seltsame Weise nicht nur Herr und Sklave waren, sondern auch Freunde.

  • Es gab Dinge, die ich wirklich hasste - und diese lästige Angewohnheit Stratons, sich so leise wie eine Katze zu bewegen, gehörte eindeutig dazu. Schon als Kind war er ein Meister darin gewesen, unangenehmen Aufgaben durch Nichtanwesenheit auszuweichen, und den Ärger für geklaute Naschereien hatte die meiste Zeit ich eingesteckt. Allerdings, auch das musste man bedenken, war diese Fähigkeit zumeist recht nützlich, wenn es darum ging, Informationen beschafft zu bekommen. Dass er mich allerdings beim Schreiben erschreckte, vor allem bei diesem speziellen Brief, war dann doch enervierend und so runzelte ich missgestimmt die Stirn, als er mich ansprach.
    "Dann bring ihn zu mir, sobald Du ihn siehst," traf ich meine Anweisungen und überlegte insgeheim, welcher meiner vielen Verwandten Lucanus wohl war. Gesehen hatte ich ihn bestimmt noch nicht, aus meiner eigenen Familie ... moment ... da war doch ein Sohn gewesen, der bei seiner Mutter aufgewachsen war, nach dem Tod des Vaters, mein eigener Vater hatte sich bemüht, den Unterhalt aufrecht zu erhalten ... ich würde in den Stammbaum schauen müssen, bevor ich mit Lucanus sprach, die eigenen Verwandten nicht zu kennen war immer wieder peinlich. Den Brief, welchen ich vor mir auf dem Schreibtisch liegen gehabt hatte, rollte ich gemächlich zusammen, versiegelte ihn und reichte ihn gen Straton.
    "Bringe dies zur villa Aurelia, ein anderer Sklave wird Dir sicher den Weg weisen können, und überreiche dies der Aurelia Prisca nur persönlich. Es ist wichtig, dass nur sie diesen Brief liest."

  • Aquilius' Stirnrunzeln ließ Straton recht kalt, dafür kannten sie sich einfach schon zu gut, als dass es ihn in irgendeiner Form erschreckt hätte. Erst wenn sein Herr leise wurde, flüsternd drohende Worte ausspie, dann war es ernst, vorher nicht. "Natürlich," sagte der Grieche, nahm den gerollten Brief mit einem kurzen Heben der Mundwinkel entgegen - sicherlich mal wieder irgendeine schwülstige Liebesbotschaft, Aquilius' Anfänge in der Liebesdichtung waren verheerend gewesen - und verstaute ihn im Gürtel seiner tunica, die dem griechischen chiton nachempfunden war und aus einem guten Stoff bestand. "Hast Du sonst noch irgendwelche Anweisungen, dominus?" Das letzte Wort war wie so oft aufreizend amüsiert betont, und auch dies war ein stummer Scherz zwischen ihnen beiden gewesen, den sie sich früher oft erlaubt hatten. Diesmal allerdings blieb die Reaktion aus, und auch sonst wirkte Aquilius heute eher ernst denn so lebenslustig wie sonst. Was auch immer geschehen war, es schien an ihm zu zehren.
    "Wir sollten uns beizeiten einmal über die Zustände in der culina der Sklaven unterhalten," deutete Straton dann noch vorsichtig an, ein Alternativthema anbietend.

  • Ich streiche meine Tunika glatt, naja, eher ziehe ich daran herum und klopfe ein bisserl Straßenstaub heraus. Händewaschen wäre auch nicht verkehrt gewesen, ich bin nur leicht sauberer wie zu meinem Gespräch mit Gracchus, allerdings stinke ich nicht mehr. Oder? Nervös fahre ich mir durch das Haar, einmal mit dem Fingerkamm quer 'rüber.


    Straton geht voraus und macht mir den Weg frei.


    Salve Großonkel Caius Flavius Aquilius, ich bin Cnaeus Flavius Lucanus, Deines Bruders Enkel. Seit gestern bin ich in der Villa Flavia und ich wollte, nachdem mich Manius Flavius Gracchus freundlich in Empfang nahm, nun alsbald Euch meine Aufwartung machen.


    Daß ich kaum Kenntnis von der Existenz irgendwelcher Groß-Großonkels (und Tanten? Nichten? Neffen?) hatte und ich nur durch schier übermenschliche Kombinationsgabe und Gewitztheit - Bruhaha - die Blutslinien entflochten und von Hiersein des Aquilius durch eine Bemerkung Stratons erfuhr, lassen wir mal generös beiseite ...

  • "Für den Moment nicht, danke," sagte ich und hob nur eine Braue an, als er mir das Thema der culina unterzujubeln versuchte. Straton und seine ewige Mäkelei am Essen, das musste doch jetzt nicht auch noch sein. "Darüber sprechen wir später, ich habe noch zu tun," gab ich ihm unmissverständlich zu verstehen, dass das Thema gerade nicht wirklich beliebt war und wandte mich dann meinen Schriftrollen zu - einen Brief für diesen heutigen Tag hatte ich fertiggestellt, ein Haufen anderer wartete noch und würde mir die Zeit bis zum Eintreffen meines schätzungsweise Großneffen vertreiben. Und hoffentlich befand sich irgendwo unter dem ganzen Papierkram auch meine Aufzeichnung unseres Familienstammbaums, zumindest hatte ich ihn dort das letzte Mal irgendwo entdeckt. Und während die Tür hinter Straton zuklappte, hatte ich mich schon wieder in die Schreibarbeit vertieft, und die Zeit verging von neuem ...


    Erst als es an der Tür klopfte und mein wiederentdeckter Verwandter, der bewies, dass ich nicht der letzte lebende hispanische Flavier war, vor mir stand, konnte ich von dem ganzen nervigen Papierkram mit einer guten Entschuldigung lassen. Er sah gut aus, jung, schlank, gut gewachsen, wie man es sich eigentlich nur wünschen konnte für einen patrizischen Nachkommen, und doch war er schätzungsweise hier, um das zu bekommen, was alle Patrizier dringender brauchten als alles andere - Geld, Unterstützung, Hilfe bei seinem Weg.
    "Salve, Lucanus," sagte ich also und erhob mich, die Arme einladend ausbreitend, wie man das eben als Großonkel so machte, wenn ein junger Verwandter vor einem stand. "Und erst einmal willkommen in Roma, in dieser villa und .. nun, beim Rest der Familie. Komm, setz Dich zu mir, und wir unterhalten uns ein bisschen über Dich." Vor allem wollte ich wissen, was er von mir wollte. Im Grunde war ich dann doch der letzte Verwandte, den er direkt bitten konnte, und ab diesem Moment war ich wohl oder übel für ihn verantwortlich. Damit deutete ich auf einen Stuhl in der Nähe meines Schreibtischs und schritt zu dem meinen nach einem kurzen Schulterklopfen für meinen Großneffen zurück. "Sage mir, was führt Dich nach Rom? Hispania ist doch um so vieles schöner."

  • Und schon wieder kein uralter Urahn, der da vor mir steht. Wahrscheinlich sind meine Onkel und Tanten dann jünger als ich, wenn die Großonkel schon so jung sind. Und Nicht und Neffen, Cousins und Cousinen sind noch überhaupt nicht geboren.- Er wird mich doch hoffentlich jetzt nicht umarmen und an sich drücken? Küsserei und Abknutscherei geht mir ziemlich auf die Nerven, ich bin ja ein Mann und ein Mann macht, was ein Mann nun man macht. Also nicht Küssen, Knutschen, sondern Schulterklopfen, Knuffen und Prügeln. Und weinen, wie ich mich voll Scham erinnere. Offensichtlich ist mein Haushalt in Ordnung, bei der Erwähnung von Hispania komme ich nur ins Schwärmen, aber nicht ins traurige Grübeln. Prima, Onkel A. klopft mir auf die Schulter, keine Knutscherei, umso besser.


    Lieber Onkel - das "Groß" lasse ich mal, auch wenn's körperlich passen würde, weg und "Ihrzen" tu' ich ihn lieber auch nicht, hatte Stratons Hnweis in der Aufregung erst ganz vergessen.


    Aber ja, Hispanien ist das schönste Land des orbis terrarum, da kommt nix, ni_ch_ts darüber. Ich komme aus Flaviobriga, dort, wo das Meer am wildesten und fischreichsten, die Berge am bewaldetsten und das Grün am saftigsten ist.


    Ich könnte auctor eines Prospekts für die Veteranensiedlung Flaviobriga sein: 'Soldaten, Bürger, Veteranen, kommt nach Flaviobriga! Undsoweiter.' Währenddessen setze ich mich hin.


    Aber, naja - man hat ihm wohl nichts von mir erzählt - meine Mutter ist meinem Vater vor einigen Wochen nachgefolgt, nach langer Krankheit, die schließlich alles Geld, was da war, aufgezehrt hat.


    Prima: als hätte meine kranke Mutter irgendwelches Geld zum verpulvern gehabt. Der Arzt hat sie sogar kostenlos behandelt, als wir im Winter kaum Vorräte mehr hatten. Aber jetzt ist auch klar, warum ich auch da bin: weil ich daheim wohl über kurz oder lang verhungert wäre. Irgendwo um meinen Bauchnabel herum räkelt sich mein Magen: hat er doch sein Stichwort 'Hunger' gehört: ja, Hunger hätte ich schon, grunzt er unhörbar.


    Und sie meinte, mein Platz sei hier, bei meiner Familie. Und ich solle lernen, lernen, lernen, also eine passabl ... ordentliche und umfassende Ausbildung machen und der Familie, dem Kaiser und dem Reich dienen.


    So in etwa und so etwa in der Reihenfolge, denke ich.


    Heute war ich schon in der Schola Atheniensis und habe mir Grammatik-Übungen geholt, denn ich spreche wohl eher hispanisches Latein, als lateinisches Latein.


    Heißt: nicht völlig selbstverständlich gestelztes Hochlatein.


    Und "ohne Schein kein Sein", wie der studiosus sagt, nicht? Lernen ist immer das am wenigsten Verkehrte.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!