Arbeitszimmer | Caius Flavius Aquilius

  • Ihre hastig hervorgestoßenen Erklärungen taten nicht gerade ihren Dienst, mich zu besänftigen, denn das Gefühl, mal wieder der Letzte zu sein, der von anscheinend nicht unerheblichen Dingen erfuhr, war kein angenehmes. Nicht zuletzt, weil sie sehr genau wusste, wie ich über Lügen dachte und eigentlich gehofft hatte, dass solche Heimlichkeiten nicht mehr nötig sein würden. Aber man durfte den Menschen wohl nicht zu viel vertrauen, nicht zuviel hoffen, nicht zuviel erwarten, denn dann wurde man stets enttäuscht. Ich drehte das Geschmeide zwischen meinen Fingern und legte es schließlich auf meinem Schreibtisch ab, die Brauen auf der Stirn zusammengezogen.


    "Wer hat Dir das geschenkt?" fragte ich nur, bevor ich das Schmuckstück wieder in jenes Tuch hüllte, das sie mir damit überreicht hatte, und öffnete die Schreibtischschublade, um es dort hinein zu legen. Es war nicht ihr Eigentum, sondern meines, so wie sie mein Eigentum war, und so gehörte es auch nicht mehr irgendwo sonst hin. Nur eine kleine Geste, und doch eine, die ihr beweisen sollte, dass sie noch nicht freigelassen war, noch nicht eigenverantwortlich, auch wenn dieser Zustand in absehbarer Zeit enden würde. Wollte ich es überhaupt noch wissen, woher das Ding stammte? Oder würde es wieder eine Lüge gebären, oder neue Heimlichkeiten?


    Langsam setzte ich mich wieder, den Kopf von ihr abwendend, während ich meine Hände auf der Tischplatte hielt. Auf ihre Frage antwortete ich nicht. Dass sie nicht mit halb Rom schlief, um Schmuck zu bekommen, war mir auch klar, und das hatte ich auch nicht vermutet. Ich wollte einfach nur Klarheit. Letztendlich würden wir beide die Zukunft eines noch ungeborenen Menschen bestimmen müssen, und es war wieder einmal der Punkt erreicht, an dem ich glaubte, mich in ihr vollständig getäuscht zu haben. Ich lehnte mich im Stuhl zurück und blickte die Wand an, das Gesicht nun wieder ausdruckslos, aber nicht, weil mich keinerlei Gefühle mehr beherrschten, sondern weil ich mit mir kämpfen musste, den aufsteigenden Zorn zu beherrschen.

  • Meine Augen verfolgten jeder seiner Bewegungen, wie er den Schmuck auf seinen Schreitisch legte, ihn wieder in das Tuch hüllte und ihn schließlich im Inneren des Möbelstücks verschwinden ließ. Ein seltsames Gefühl der Erleichterung durchströmte mich, aber es hielt nicht lange an. Seine Abwehrhaltung und wie er mich plötzlich zu ignorieren schien, begannen an mir zu nagen. Es tat auf einmal so weh, feststellen zu müssen, ihn so enttäuscht zu haben. Mir war nur noch zum heulen zumute. Doch mich jetz hier hinzustellen und loszuheulen, wollte ich auch nicht.
    Die Frage nach dem Woher, die zwangsläufig nun folgen musste, war völlig an mir vorbei gegangen. Ich fühlte mich innerlich so zerrissen. Konnte ich es denn wirklich wagen, mit der Wahrheit ans Licht zu kommen? Sollte ich mich ihm anvertrauen? Konnte ich ihm denn vertrauen? Er besaß doch alle Macht über mich und nicht nur über mich. Auch über jenen, der mir den Schmuck zum Geschenk gemacht hatte. Wenn es ihm gefiel, konnte er mit uns verfahren, wie er wollte.


    Wie verloren stand ich in der Mitte seines Arbeitszimmers und der Wunsch, weit weg von hier zu sein, war mir nicht erfüllt worden. Im Gegenteil! Ich saß mitten in der Falle, ohne Aussicht auf ein Entkommen. Es gab nur noch einen Weg: die Flucht nach vorne! Die Zeit der Heimlichkeiten war vorbei! Ich wollte alles endlich losweden. Alles, was mir in den letzten Monaten so zu schaffen gemacht hatte. Jetzt endlich hatte ich den Mut gefunden und ich wollte mich auch jeder Kosequenz stellen, die die Beendigung der Heimlichtuerei mit sich bringen würde. Ich nahm den Mut, ihm blindlinks zu vertrauen und hoffte darauf, dadurch nicht in die Tiefe gerissen zu werden.


    Seit dem ich hier bin, bringe ich denen, die mich lieben oder die sich um mich kümmern nur Unglück, begann ich plötzlich ganz tonlos. In meinen Augen sammelten sich einige Tränen, denn es war Severus, an den ich in jenem Atemzug dachte.


    Also, ist es wohl meine Bestimmung, auch jetzt Unglück zu verbreiten, denn ich werde dir jetzt alles sagen, alles, was es mit diesem Halsreifen auf sich hat.
    Der Schmuck war ein Geschenk von Severus. Es war seine Morgengabe an mich, wie er sagte, für die erste Nacht, die ich ihm schenkte. Er hat mir den Halsreif erst Wochen danach geschenkt, da er natürlich nicht über die Mittel verfügte. Ich weiß nicht was er dafür getan hat, soviel Geld zu beschaffen und ich will es auch nicht wissen. Vermutlich waren es seine Ersparnisse oder Wetten aus der Gladiatorenschule, um sich eines Tages freizukaufen.
    Dieser Halsreif war die Ursache für unseren Streit. Deswegen zerbrach alles.
    Ich trug den Schmuck an jenem Morgen, an dem ich mich wieder mit Severus versöhnen wollte. Es war der Morgen nach jener Nacht, in der... in der ich ihn betrogen hatte. Doch er hat mir auch diesmal nur Unglück gebracht.
    Dann ging ich hinaus zu dem Teich, um mich zusammen mit dem Halsreif zu ertränken. Unglücklicherweise kam mir da Lucanus zu vor und rettete mich. Er hat dann den Schmuck dann an sich genommen. Ich dachte, nun wäre alles vorbei, alles vergessen! Am Abend der Saturnalien, nachdem ich mich ein letztes mal mit Severus ausgesprochen hatte und wir endgültig unsere Liebe, die schon längst nur noch Hass war, begruben, schlich ich mich in Lucanus´ Cubiculum und holte mir den Schmuck wieder zurück. Er weiß davon nichts. Seitdem hielt ich den Halsreif in meiner Kammer versteckt.
    So, jetzt kennst du die ganze Wahrheit! Es tut mir leid, dass ich nicht schon früher den Mut hatte, es dir zu erzählen. Aber ich bitte dich nur um zwei Dinge: sei bitte nachsichtig mit Severus. Er hat sicher auch nichts unrechtes getan. Außerdem bitte ich dich, das Kind unter meinem Herzen nicht dafür leiden zu lassen, was ich getan oder versäumt habe.


    Endlich war alles ausgesprochen, was gesagt werden musste. Ich verbarg meine verquollenen und geröteten Augen, indem ich zu Boden schaute und darauf wartete, zu erfahren, was mir nun bevorstand.

  • Mein Blick haftete sich auf die Maserung meines hochpolierten Schreibtischs und verlor sich in den unterschiedlichen Formen und Linien, als könnte und dürfte ich im Augenblick nichts anderes mehr sehen. Ich wusste sehr genau, dass ich sofort weich werden würde, wenn ich sie ansah, denn ihre Stimme klang, als sei sie den Tränen nah, und Tränen einer Frau hatten seit jeher eine fatale Auswirkung auf mich gehabt. Tränen waren meine Achillesferse, und so blieb ich sitzen, rührte mich nicht und kämpfte mit dem Drang, ihr abermals für diese ewigen Heimlichkeiten den ein oder anderen Schlag zu versetzen oder sie in meine Arme zu nehmen und zu trösten, so widersinnig dieser verfluchte Impuls auch war. Wahrscheinlich reichte auch schon die Erinnerung an eine weinende Bridhe, um mich zu einem verwässerten Haufen Schlick in ihren Händen zu machen, aber merken lassen wollte ich sie das nicht. Zudem, es waren einfach zuviele Heimlichkeiten gewesen. Severus war also wieder einmal der Auslöser, und von ihm stammte auch dieser unselige Halsreif. Was auch immer er gemacht haben mochte, um ihn zu bezahlen, es war mir gleich, solange nicht ein Schatten seiner Tat auf mich zurückfallen würde. Severus gehörte einfach zu jenen Männern, die sich ab und an Luft verschaffen mussten, und er tat es auf andere Weise als ich - schätzungsweise hatte er irgendeinen seiner Gladiatorenkumpane wundgeprügelt und damit eine gute Wette gewonnen, was auch immer. Herausbekommen würde ich es wohl ohnehin nicht aus meinem halsstarrigen Germanen.


    Als sie ihre Geschichte geendet hatte, sagte ich noch immer nichts. Nicht, weil ich nicht gekonnt hätte, letztendlich hätte ich vieles zu sagen gehabt darüber, dass sie mir immernoch nicht zu vertrauen schien, obwohl ich in vielen Dingen mit ihr nachsichtig gewesen war, selbst, als sie versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, ohne vorher auch nur ein Wort über ihren inneren Kummer verlautbaren zu lassen. Aber wahrscheinlich würde dieses Vertrauen niemals existieren, und es war ein Fehler gewesen, eine Sklavin zu kaufen, die nichts vom Sklavenleben wusste und dann zu erwarten, sie würde sich darin einfügen. Mein Blick folgte einer der verschlungenen Linien über die glatte Fläche des Schreibtischs und blieb an einer Schriftrolle hängen, die ich später noch würde fertig bearbeiten müssen. So war es immer. Löste man ein Problem, kam das nächste gleich noch mit hinzu und noch eines, und noch eines. Es endete niemals, wollte vielleicht gar nicht enden.
    "Und nun, fühlst Du Dich nun besser? Nachdem die ganze Geschichte erzählt ist?" fragte ich, während meine Wangenmuskeln sich anspannten, sichtbar von der Seite durch jenen verräterischen Muskelstrang, der dabei stets auf meiner Wange hervortrat. Immer wieder Severus. Letztlich war Liebe doch nur etwas, das in den meisten Fällen zu Verdruß und Unglück führte, wenn man es recht betrachtete. Selbst wenn es glückliche Momente gab.


    "Noch immer kennst Du mich so wenig, Bridhe," sagte ich nach einer Weile der Stille und hob den Kopf etwas an, diesmal die Wand betrachtend, die kunstfertig getüncht und dann bemalt worden war. Eine schöne Arbeit, doch im Grunde bedeutungslos wie so vieles, das unsere hohlen Tage zu füllen vermochte. Ein schöner Anblick, und doch verschwendet an uns, da wir ihm nur oberflächlich vielleicht etwas Beachtung zollten, niemals mehr. "Severus' Handeln ist eine andere Sache, und sie wird für Dich nicht von Belang sein. Allerdings frage ich mich, wie Du wochenlang in meinem Haushalt leben und mir doch mit jedem Lächeln, jedem Blick solches verschweigen kannst. Bridhe, ich bin enttäuscht von Dir und Du wirst mich nun alleine lassen, sonst werde ich vielleicht wirklich etwas tun, das ich später bereuen werde. Ein jedes Ding, das Dir hier wohl getan wird, bist Du nicht müde mit einem Verhalten zu vergelten, das schlichtweg deplorabel ist." Ich schüttelte den Kopf und lehnte mich wieder zurück, die Worte waren ruhig gesprochen gewesen und so fühlte ich mich nun auch. Ruhiger, aber auch irgendwie leer und müde. Ermüdet von so vielem.

  • Ich weiß nicht, was mich mehr getroffen hatte, wie er, nachdem ich alles erzählt hatte, einfach sitzen blieb , mich keines Blickes würdigte und vorerst schwieg oder als er dann später wieder seine Sprache gefunden hatte und mich kurzerhand aus seinem Arbeitszimmer warf. Mir wurde in jenem Augenblick nur eines wieder ganz klar. Gleich was ich tat oder sagte, niemals würde ich das richtige tun. Ich, die ich ein Nichts war, würde für immer und in alle Ewigkeit die Verliererin sein. Auch wenn er mich jetzt tatsächlich noch frei lassen würde, wäre ich niemals wirklich frei. Ich machte mir keine Illusionen mehr. Ich würde nur aufgrund des Kindes in meinem Leib frei werden. Aber wenn es dann auf der Welt wäre, auch dann wäre ich nicht wirklich frei, denn ich könnte nicht wieder zurück zu den Meinen. Ich würde nicht wieder die Reise nach Hause antreten können. Nein, ich müsste hier bleiben, denn hier war der Vater des Kindes, der es sicher nicht zulassen würde, wenn ich mit dem Kind weggehen würde. So stellte ich es mir jedenfalls vor. Ich würde stets die Ungeliebte bleiben. Die, die zwar ein Kind unter ihrem Herzen trug und die die für eine kurze Zeit Liebe erfahren hatte, die aber nun von niemanden mehr geliebt und begehrt wurde. Die nur Unnütz und störend war. Und so würde es bleiben. Für immer und ewig. Warum noch atmen, Zug um Zug? Warum tagtäglich dieses verhasst gewordene Leben leben? Niemals würde es wieder gut werden!
    Nein, ich fühlte mich nicht besser! Ich fühlte mich nun nur noch erbärmlicher. Ich war zur Verräterin geworden. Wenigstens hatte ich kein Wort darüber verloren, woher tatsächlich das Geld für den Schmuck stammte und dass daran Blut klebte.
    Nein, es gab keinen Anlass, sich besser zu fühlen! Vielleicht hätte es einen solchen gegeben, wäre er jetzt für mich da gewesen. Doch für mich war niemand da und es würde auch niemals wieder jemand für mich da sein.
    Leise rannen die Tränen an meinem Gesicht herab. Immer noch stand ich wie angewurzelt da und schaute betroffen zu Boden. Ja, ich fühlte mich schlecht, weil ich nicht schon eher den Mut gefunden hatte, ihm die Wahrheit zu sagen. Ja, ich kannte ihn noch immer nur so wenig. Doch wenn man ständig in der Furcht leben musste, für Dinge die man tat oder sagte, bestraft zu werden, dann wurde man einfach vorsichtig.
    Ja, er war enttäuscht von mir und ja, diese Unterredung hatte nun hier ihr Ende gefunden.
    Mit einem knappen, leisen Ja, drehte ich mich um und flüchtete aus seinem Arbeitszimmer. Am liebsten wäre ich weit, weit weg gelaufen. Doch die Mauern der Villa wussten dies zu verhindern.
    So rannte ich hinaus. Mittlerweile war es schon dunkel geworden. Ich rannte in den entlegensten Teil des Gartens, dort wo mich sicher niemand finden würde. Wer sollte mich auch schon finden. Mich würde niemand heute Nacht vermissen. Dort heulte ich all mein Leid und meinen Schmerz heraus. Ich verfluchte den Tag, an dem ich in dieses Haus kam. Ich verflucht die Nacht, da ich zu ihm gegangen war. Es war auch eine solche Nacht, in der ich verzweifelt war. Verzweiflung die neue Verzweiflung hervor gebracht hatte.
    Nach einigen Stunden hatte ich mich beruhigt. Ermüdet von den Tränen schlief ich an Ort und Stelle ein. Es war in jener Nacht nicht mehr so kalt. Ob dies ein Glück oder doch eher ein Unglück war, darüber wollte ich nicht mehr nachdenken.

  • Die Ewigkeit kam und ging, eine Ewigkeit, in der eine Antwort von ihr hätte kommen sollen, aber es nicht tat. Irgend etwas, das mir bewies, dass sie verstanden hatte. Dass sie vielleicht zu den Menschen gehörte, die aus ihren früheren Fehlern gelernt hatten ... aber alles, was sie mir sagte, war ein leises "Ja!" und dann hörte ich sie gehen. Die Tür schloss sich hinter ihr und mit einem Mal wurde die Stille in meinem Arbeitszimmer bedrückend und greifbar, als würde sie wie eisige Hitze über mir lasten. Ich regte mich nicht in meinem Stuhl, denn es hatte keinen Sinn mehr, sich zu bewegen, ich ließ die Zeit einfach verstreichen, ohne ihr nachzugehen oder sie zurückrufen zu lassen. Es war nicht die Zeit für Worte, nicht die Zeit für Taten. Langsam öffnete ich die Schublade wieder und nahm den Halsreif aus seiner weichen Verpackung, betrachtete das Schmuckstück lange und eingehend. Das war kein Schmuck für eine Sklavin. Morgengabe, hatte sie gesagt. Von jenem Brauch der Barbarenvölker, die jungen Frauen für ihre Entjungferung nach dem ehelichen Beilager zu entlohnen, hatte ich gehört, aber ich hatte nicht vermutet, dass es Severus so ernst mit ihr gewesen war. Vieles erschien nun in anderem Licht, veränderte sich, wandelte sich, wie auch der Lichtschein auf dem Metall des Halsreifs sich bewegte und wandelte, als ich ihn wieder ablegte.


    Bona dea, dachte ich und richtete den Blick zum Fenster, hinaus in die Dunkelheit, die nur in der Ferne vom immerwährenden, nächtlichen Lichtschein Roms durchbrochen wurde. In einer Stadt, in der man im Grunde niemals alleine war, inmitten einer zumeist wohlmeinenden Familie, gehegt als magistratus, umschmeichelt als Abkömmling einer einst kaiserlichen Familie, spürte ich die Bitterkeit einer Stille, die keinem Menschen wirklich jemals zu helfen imstande war. Die niemals wirklich angenehm sein würde, egal, wie hart man sie sich erkämpfen musste, wieviele Dinge man dafür aufgab. Hispania war sonniger gewesen als es dieses Land jemals sein konnte, und hinter dem Lächeln der Menschen dort lauerten keine Abgründe. Die Öllampe flackerte, und nach einer Weile erlosch sie, es war vergessen worden, sie aufzufüllen - aber ich blieb sitzen, ließ meine Gedanken schweifen und begrüßte die Dunkelheit wie einen alt vertrauten, freundlichen Begleiter, der mich wenigstens für einige Momente imstande war zu schlucken.

  • Ein Tag wie jeder andere, letztendlich wohl würde er für Tausende an Römern nichts Besonderes bedeuten, allerdings, für eine einzige Frau und einen Mann in dieser riesigen Stadt war er etwas Außergewöhnliches. Ich hatte mich ankleiden lassen, als müsste ich wichtige Geschäfte erledigen, die weiße toga verriet mich in meinem Status als gewesener quaestor durchaus - wer trug schon freiwillig eine toga, wenn er es nicht vermeiden konnte, und in diesem Aufzug war ich die letzten Wochen sehr oft unterwegs gewesen - innerlich allerdings war ich weit weniger gut auf das Kommende vorbereitet. Dennoch, ich hatte mein Wort gegeben, und ich hielt es stets, ob im Guten oder Schlechten. Während ich noch einige Papiere durchsah, die sich seit dem vorangegangenen Abend angesammelt hatten, ließ ich mir selbst Zeit, mich zu sammeln, das Kommende ruhig anzugehen, denn es war immer ein besonderer Schritt, ein wichtiger Schritt.
    Schließlich klatschte ich vernehmlich in beide Hände und gab dem erscheinenden, schmalbrüstigen Sklavenjungen den Auftrag, Bridhe zu mir zu rufen, da ich sie sprechen wolle. Der Junge nickte eifrig und stürmte so schnell hinaus, wie nur die Jugend ihre Wege noch zu erledigen pflegte, stets voller Ungeduld auf das, was noch kommen mochte. Irgendwann, vor einer halben Ewigkeit, bin ich auch noch so gewesen, dachte ich sinnierend. Wann war diese Leichtigkeit endgültig verloren gegangen?

  • Früher lief ich, einer Gazelle gleich, heute stampfte ich, wie ein Elefant, meinen Bauch vor mir herschiebend, in Aquilius´ Arbeitszimmer. Ich öffnete die Tür und was ich sah, ließ mich unhörbar aufseufzen. Oh nein, nicht heute! Warum ich? Angesichts seiner Aufmachung, wusste ich schon, was mir heute bevor stand! Er würde sich bequem in seiner Sänfte durch die Stadt tragen lassen, während ich mich, neben ihm herlaufend, abquälen musste. Hatte er eigentlich eine Ahnung, was es bedeutete im neunten Monat schwanger zu sein? Nein, wie sollte er auch!
    Man konnte wahrscheinlich erahnen, was in mir vorging, denn in meinem Gesicht spiegelte sich zum einen die Wut, die ich empfand, zum anderen aber auch die Strapazen, die eine vorangeschrittene Schwangerschaft eben so mit sich brachte.


    Hier bin ich! sagte ich mit einem unterschwellig resignierenden Unterton. Ich versuchte meinen Rücken etwas zu entlasten, indem ich mich um einen bequemen Stand bemühte. Den zu finden war wirklich nicht einfach. Denn ich konnte es drehen und wenden, es wurde nicht besser. Ich sehnte mich nur noch nach dem Tag, an dem es endlich so weit war und dieses Kind zur Welt kam, völlig gleich, ob es als Kind einer Sklavin oder einer Freigelassenen zu Welt kam. Hauptsache es kam! Mehr wollte ich eigentlich nicht mehr.

  • Bridhes Gesicht trug einen Ausdruck, der mir nur zu bekannt war. Schon mein erstes Kind hatte in der Mutter einen solchen Gemütszustand hervorgerufen, und ich war versucht, diesen bei eigentlich jeder Frau zu vermuten, die ein Kind im Leibe mit sich trug - mit einem solch riesigen Bauch und der damit einher gehenden Bewegungsunfähigkeit würde wohl ein jeder eine üble Laune haben, in sofern tat ich, was ich bei missgestimmten Frauen immer tat und lächelte vage.
    "Wir werden uns jetzt in die Stadt begeben und Deine Freilassung offiziell machen," sagte ich knapp und erhob mich auch schon. "Ich denke, es ist an der Zeit dafür, damit uns nicht unser Kind links überholt. Komm." Damit umrundete ich meinen Schreibtisch, bot ihr den Arm und blickte zu ihr herab. Eigentlich sollte es ein Freudentag sein für sie, aber ich selbst empfand zudem eine gewisse Wehmut. Sie würde mir zwar stets verpflichtet sein, und auch meinen Namen tragen, aber würde sie das daran hindern, sich zwangsläufig von mir zu entfernen? In einer Zeit, in der Gracchus sich seiner eigenen Familie zuwandte, Corvinus immer mehr von Amt und Verwandtschaft in Anspruch genommen wurde, schienen mir langsam die Menschen auszugehen, mit denen ich wirklich etwas verband, die mir etwas bedeuteten und die mein Leben teilten. Du wirst langsam zu einer Jammergestalt, sagte ich mir selbst und verbarg diese Gedanken tief irgendwo unterhalb meiner Bewusstseinsoberfläche.

  • Ich wollte schon leidvoll stöhnen, denn die Stadt war wirklich das allerletzte, wohin ich gehen wollte. Aber als ich begriff, was er Anlass dazu war, konnte ich es kaum fassen. Es war, als würde mir der Schreck in den Knochen stecken. Ich wich einen Schritt zurück und hielt mich am Holz der Tür fest, damit ich nicht stolperte. Jetzt war ich wirklich kreidebleich im Gesicht!
    Der lang ersehnte Tag war endlich gekommen. Der Tag, an den ich fast schon nicht mehr hatte glauben wollen. All die dummen Gedanken, die ich mit gemacht hatten waren durch diese wenigen Worte wie fortgespült. Aber auch jetzt dachte ich erst, ich träumte. Nein, das tat ich nicht. Ich hatte richtig gehört. Statt mit einem strahlenden Lächeln aufzuwarten, begann ich zu schluchzen und hielt mir die frei Hand, die mir noch zur Verfügung gestanden hatte schützend vor mein Gesicht.
    Der Grund für meine Tränen musste eindeutig an der Überzahl meiner Schwangerschaftshormonen liegen, die mich jedes Mal dazu brachten, in Tränen auszubrechen, sobald mich etwas scheinbar unvorhersehbares
    traf. Aber das war nicht die Zeit zum Weinen. Nein! Ich wischte meine Tränen weg und ging wieder einige Schritte auf ihn zu.


    Wirklich? Das willst du wirklich tun? fragte ich zaghaft. Er war aber entschlossen, denn er kam schon auf mich zu und bot mir seinen Arm, damit ich mich daran festhalten konnte. Das tat ich dann auch. Endlich konnte ich wieder lächeln, auch wenn dabei die eine oder andere Träne an meiner Wange herunter rann.


    Danke!


    Mehr wusste ich im Augenblick nicht zu sagen, als danke. Erst musste ich verstehen, was dieser Tag für mich, mein Kind und auch für mein zukünftiges Leben bedeutete.

  • Diese Frau würde mich noch eines Tages um den kümmerlichen Rest meines Verstandes bringen, soviel war sicher. Ich hatte mit vielem gerechnet. Einer mürrischen Bridhe, die mich wegen jedem Atemzug, den ich tat, anzickte - schwangere Frauen waren ab einem gewissen Stadium eine wahre Höllenbrut, das hatte ich durch Orestillas Schwangerschaft schon mitbekommen - eine deprimierte Bridhe, die trotz ihrer nahen Freiheit nichts von ihren neuen Möglichkeiten wissen wollte, eine freudestrahlende Bridhe, die einfach glücklich war, ihre Fesseln abstreifen zu können ... aber eine weinende Bridhe war irgendwie in meinen Überlegungen nicht vorgekommen, und wie so oft entwaffneten mich ihre Tränen gründlicher, als es jeder Soldatentrupp hätte tun können.
    "Ich habe Dir mein Wort gegeben, Bridhe, und dieses Wort halte ich auch," sagte ich ernst und lächelte dann dennoch, in der vagen Hoffnung, sie würde nicht weiter weinen. Tränen einer Frau waren im Grunde genau genommen immer unfair. Man konnte nichts dagegen tun und im Augenblick des Geschehens war man hilflos. Selbst der übelste Zorn wurde dadurch gemildert.


    "Welchen Sinn hätte ein solches Versprechen denn auch, würde man es geben und gleichzeitig nicht halten wollen? Wir sind hier schließlich nicht in der Politik." Gerade als ich die Worte sagte, musste ich bei mir registrieren, dass das Fortschreiten im cursus honorum mich inzwischen wohl gänzlich desillusioniert hatte, aber das gehörte nicht hierher. Sanft drückte ich mit der Hand ihren Arm, ich war unsicher, ob sie in diesem Augenblick überhaupt wollte, dass ich sie weiter berührte.
    "Danke mir nicht, Bridhe. Es wird von heute an wieder Dein Leben sein, und so hätte es schon lange sein sollen. Manche Menschen werden in der Sklaverei zufrieden und finden darin Erfüllung, andere leiden ihr Leben lang, und ich habe nicht vor, Dich leiden zu lassen. Du hast so vieles, was Du tun könntest, Du hast Talent ... und ich denke, ein jeder wäre ein dummer Narr, würde er Dich weiter in Ketten sehen wollen."

  • Ich hatte die letzten Tränen fortgewischt und einem Lächeln Platz gemacht. Allmählich begriff ich, was diese Worte zu bedeuten hatten. Wieder frei sein! Das, was ich mir immer so sehnlichst gewünscht hatte, erhielt ich heute als Geschenk zurück. Fast hatte ich schon geglaubt, es würde nur ein Traum bleiben. Warum nur wollte mich keine überwältigende Freude ergreifen? Eigentlich hätte ich vor Freude in die Luft springen müssen. Das blieb verständlicherweise aus, weil mein Bauch da einfach hinderlich war und ich nicht wusste, wie sich das auf das Kind auswirkte. Ich lächelte nur und war froh, als er mich mit seiner Hand an meinem Arm drückte. Ich hätte ihn umarmen können! Wie sehr hätte ich ihm sagen wollen, was mir dieser Augenblick bedeutete und welche Freude er mir damit bereitete. Aber ich tat es nicht.
    Die alte Angst, was nach der Freilassung war, bemächtigte sich meiner wieder. Diese Ungewissheit hatte mich auch schon früher heimgesucht und verhinderte so regelmäßig einen Freudensturm. Ich wusste nicht, wie mein Leben in Freiheit sein würde. Einerseits lebte ich jetzt schon lange genug in Rom, um zu wissen, wie die Menschen hier lebten. Allerdings hatte ich diese Stadt immer mit den Augen einer Sklavin gesehen. Ich klammerte mich hilfesuchend an seinen Arm, damit er mich jetzt nicht alleine ließ
    .
    Bitte schick mich danach nicht fort. Ich bitte dich, lass mich solange hier bleiben, bis das Kind da ist. Ich weiß doch nicht wohin ich gehen soll.


    Mehr verlangte ich nicht von ihm. Schon wieder hätte ich heulen können, aber diesmal kämpfte ich dagegen an, gefasster zu bleiben.

  • Ihre Worte verblüfften mich, nein, ich hatte gelinde gesagt damit nicht einmal im Ansatz gerechnet. Glaubte sie denn, ich würde sie aus dem Haus jagen, und ihr danach dann das Kind nehmen? Offensichtlich bewegten sich ihre Gedanken von diesem Schreckensmodell nicht allzu weit entfernt.
    "Bridhe, bist Du denn verrückt geworden? Glaubst Du wirklich, ich würde Dich freilassen und dann fortjagen, ob mit oder ohne Kind? Dein Platz wird bei mir sein, solange Du es willst, und so lange wirst Du ein Heim haben. Ich möchte doch, dass unser Kind bei uns aufwachsen kann, dort, wo es die Eltern beide hat. Dass mein erster Sohn nicht hier lebt, entspricht allein dem Wunsch seiner Mutter und deren Vater, und wenn ich sehe, wie glücklich der Kleine bei ihr ist, habe ich diese Entscheidung nie bereut. Wenn Du hier bleibst, mit unserem Kind, dann machst Du mich damit glücklicher, als ich es sagen kann. Es ist lange her ..." Ich machte eine kleine Pause, legte mir die Worte zurecht und ließ es dann doch bleiben, drehte mich ihr zu und nahm sie gänzlich in den Arm.


    "Ach, Bridhe. So vieles wird sich nicht so schnell ändern, Du musst Dir keine Sorgen machen. Wenn du gehen möchtest,kaufe ich Dir einen Betrieb, auf dass Du ein Auskommen hast ... wenn das Dein Wunsch sein sollte. Wenn Du bleiben willst, wirst Du hier immer einen Ort haben, an dem Du willkommen bist." Und bitte, bitte hör auf zu weinen. Aber das sagte ich nicht laut. Für gewöhnlich erreichte man mit einer solchen Bitte genau das Gegenteil des Gewünschten.

  • Offenbar hatte nicht im Mindesten damit gerechnet, welche Ängste mich regelmäßig heimsuchten. Woher auch? Wie hätte er wissen können, wie es in mir aussah? Ich hatte mir nicht vorstellen können, wie es war, plötzlich wieder frei zu sein und welche Konsequenzen es mit sich bringen würde. Für mich war das ein Traum gewesen, den man gerne träumte, aber dann vollkommen überfordert war, wenn der Traum Wirklichkeit wurde. Ich dachte einfach immer nur an das Schlimmste. Das war eine alte Marotte von mir, die ich nur schwer ablegen konnte.
    Was er mir dann antwortete, machte mich glücklicher als alles andere, was er mir hätte je schenken können. Ich konnte hier bleiben, bei ihm. Unser Kind hätte beide Elternteile und wir wären wie eine kleine Familie, genauso wie ich es mir immer erträumt hatte und ich würde ihn damit glücklich machen. Konnte es etwas Schöneres geben? Ich strahlte vor Freude. Es musste sehr lange her sein, seit ich zum letzten Mal so von Glück durchdrungen war! Dann nahm er mich in den Arm und ich schmiegte mich an ihn. Ich war so ausgehungert nach Zuneigung.


    Ich möchte bleiben! Gerne sogar! Wenn du willst, für immer. Ich will nicht fort. Mein Kind… unser Kind soll nicht nur eine Mutter haben. Es soll auch einen Vater haben.


    Es gab keinen Grund mehr, Tränen zu vergießen, höchstens Freudentränen. Aber auch die vergoss ich nicht. Meine Zukunftsaussichten waren jetzt hell und klar. Die dunklen Wolken waren verschwunden.

  • "Nichts anderes habe ich mir gewünscht," sagte ich leise und strich ihr mit einer Hand langsam über das dunkle Haar. Ihr gewölbter Bauch machte es unmöglich, die zur Gänze an mich geschmiegt zu spüren, aber die Wärme ihres Leibes empfand ich als beruhigend und angenehm - vielleicht mochten wir einander nicht lieben, ich zumindest empfand für sie (nur) aufrichtige Zuneigung, aber unserem Kind würden beide Eltern erhalten sein, und auch wenn wir oft aneinander vorbei zu reden schienen, eine Grundsympathie war vorhanden, und jene würde es hoffentlich auch möglich machen, dass wir einander niemals so hassen würden, wie es viele Paare nach einigen Jahren der stetigen Gemeinsamkeit taten.
    "Du hast einmal gesagt, dass Du in Deine Heimat zurückkehren wolltest, so bald es Dir möglich sei, und dem wollte ich nicht im Weg stehen, Bridhe. Aber ich habe auch gelernt, dass eine Heimat immer dort ist, wo man sich zuhause fühlt, und wenn Du das dort tun solltest, wo ich auch bin, dann ... dann will ich mein Möglichstes tun, dass Du zufrieden leben kannst." Stürmische Liebeserklärungen hörten sich, zugegebenermaßen, anders an, aber darum war es mir auch nicht gegangen. Sie sollte sich niemals wieder fühlen, als hätte sie jemand eingesperrt, es passte auch einfach nicht zu ihrem Naturell. "Die Zukunft wird für mich, je höher ich steige, schwieriger werden, und ich würde mich freuen, in Dir eine vertrauenswürdige Frau zu haben, die meinen Weg so weit begleitet, wie sie es kann und will. Manchmal ist es der beste Gedanke, nach einem langen Tag einen Grund zu haben, zurückzukehren, etwas zu haben, worauf man sich freuen kann, und sei es nur ein freundliches Lächeln oder ein interessantes Gespräch mit einem Menschen, der ehrlich zu einem ist."

  • Zweifellos wusste ich, was das bedeutete, wenn ich für immer bliebe. Hätte mir vor Jahren jemand gesagt, ich würde einmal freiwillig hier bleiben wollen, dann hätte ich ihn einen Spinner oder Fantasten genannt. Die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat war noch immer in mir vorhanden. Jeden Tag träumte ich davon, über die satten grünen Hügel zu laufen, das tosende Meer zu beobachten und den sanften Regen auf meiner Haut zu spüren. Ich sehnte mich nach dem Geruch des Torffeuers und den Liedern die wir uns am Abend immer vorgesungen hatten. Meine Geschwister und meinem Vater vermisste ich und alle, die ich einmal gekannt hatte. Doch ich wusste auch, das Leben zu Hause weiter gegangen war, seitdem man mich von dort weggenommen hatte. Für meine Familie war ich längst tot und auch für all meine Freunde. Wahrscheinlich glaubten sie, das Meer hatte mich genommen, so wie die Boinne einst meine Schwester genommen hatte.
    Mir war es ein Trost, ihn mit meinem Bleiben glücklich machen zu können und willkommen zu sein, nicht nur als billige Arbeitskraft, sondern als Mensch.


    Ja, ich wollte immer zurück und trüge ich nicht das Kind unter meinem Herzen, dann wäre das wahrscheinlich immer noch so. Die Hoffnung, eines Tages wieder nach Hause zu können, hat mir geholfen, durchzuhalten. Aber ich darf mir nichts vor machen! Auch zu Hause ist die Zeit nicht stehen geblieben. Für meine Familie bin ich längst tot. Wenn ich wieder zurück ginge, dann fände ich nichts mehr so vor, wie es einmal war. Das würde mir weh tun, mehr als alles andere.


    Ich wollte nicht erwähnen, was geschehen würde, wenn ich mit dem Kind eines Fremden auf dem Arm zurückkommen würde. Das war das schlimmste, was ich ihnen antun konnte! In den Augen meiner Familie wäre auch ich eine Fremde. Meine Leute hatten eigentlich nichts gegen Fremde. Sie waren sogar sehr gastfreundlich, solange die Fremden auch irgendwann wieder freiwillig gingen.


    Meine Heimat ist jetzt hier bei dir. Ich brauche auch nicht viel. Ich bin sehr genügsam. Ich möchte nur, dass es dem Kind gut geht. Mehr brauche ich nicht.


    Sie würde es jedenfalls so lange sein, bis er eines Tages heiraten würde. Seine Frau wäre wahrscheinlich weniger von meiner Anwesenheit erpicht. Doch noch war es nicht so weit. Für den Augenblick sah alles sehr vielversprechend aus und ich war glücklich, so wie seit langem nicht mir, wie ich es hier wahrscheinlich noch nie gewesen war.


    Ich will immer für dich da sein, wenn du mich brauchst.

  • Es klang aufrichtig und ehrlich, als sie sprach, und seit langem wärmte mir dies erstmalig wieder das Herz. Wir hatten es bisher nicht unbedingt leicht gehabt, und wahrscheinlich würden wir es nie leicht miteinander haben, dafür waren wir beide zu stolze Menschen, aber zumindest in diesem Moment schien es gelungen, einen gemeinsamen Punkt zu finden, der nicht allein nur darin begründet lag, was sie in ihrem Leib trug.
    "Du weisst nicht, was die Zukunft bringt, Bridhe, das habe ich Dir damals schon gesagt. Natürlich wird es immer Tage, Wochen, vielleicht sogar Jahre geben, in denen man keinen Ausweg erblickt, oder in denen alles grau und trübselig erscheint. Aber die Götter sind niemals so ungerecht, dass sie einem nicht auch zu den schweren Zeiten die Hoffnung mitgeben, dass sich Dinge ändern können. Wenn Du es willst, schicke ich einen vertrauenswürdigen Boten zu Deinen Eltern, auf dass er ihnen berichten kann, wie es Dir geht, vielleicht auch Geschenke, damit sie beruhigt sein können von dem Wissen, dass es Dir gut geht. Manchmal hilft es am Allermeisten, Klarheit über eine Tatsache zu haben, nicht nur vermuten zu müssen. Diese Entscheidung überlasse ich Dir, Du sollst nur wissen, dass ich Dich darin unterstützen werde, sobald Du es willst."


    Als sie davon sprach, ihre Heimat wäre nun bei mir, wusste ich, dass sie es auch so meinte, und es fiel mir leicht, sie zu halten, ihre Wärme zu fühlen und dem Moment hingegeben einfach stehen zu bleiben. Was an verwaltungstechnischem Aufwand noch zu erledigen war für ihre Freiheit, das würde nicht weglaufen, einige Augenblicke konnen wir uns davon stehlen, für ein wenig Zufriedenheit. Sie würde ein Teil meiner familia sein, soviel war sicher, und sie wollte es auch. Mehr musste ich nicht wissen, um mir meiner Entscheidung sicher zu sein, ihr die versprochene Freiheit zu schenken.
    "Ebenso wie ich für Dich da sein werde, Bridhe. Für Dich und unser Kind. Dein Leben soll nicht sinnlos seinen Weg hierher gefunden haben, in meine familia, nach Rom, in eine Ferne, die Dir zu Anfang sicher sehr fremd war. Es soll sich lohnen, dass sich so vieles für Dich geändert hat."

  • Daran hatte ich nie gedacht, einen Boten nach Hause, nach Èirinn zu schicken, der meinem Vater berichten konnte, was aus mir geworden war und der dann auch mir Kunde von daheim mitbringen konnte. Das war zu verlockend! Natürlich wollte ich wissen, was während meiner Abwesenheit geschehen war. Meine Familie hätte dann auch Gewissheit, was mit mir war. Ich war so begeistert davon, dass ich gar nicht weiter mehr darüber nachdachte, welche Schwierigkeiten es mit sich brachte.


    Das wäre schön! Dann wäre es fast so, als wäre ich selbst dort! antwortete ich lächelnd, doch die Sehnsucht, die in diesen Worten lagen, konnte ich nicht unterdrücken.
    Aber kaum hatte ich den letzten Satz ausgesprochen, da dämmerte es mir bereits, woran dieses Unternehmen scheitern würde. Niemand, den ich zu Hause kannte, sprach die Sprache der Römer und niemand konnte sie lesen. Wir kannten keine Schrift. Alles wurde nur mündlich weiter gegeben.
    Ich war sehr nachdenklich geworden, versuchte eine Lösung zu finden, aber ich musste mir bald eingestehen, dass es keine Lösung dafür gab… außer vielleicht die Leute, die dafür verantwortlich waren, dass ich überhaupt erst meine Heimat verloren hatte – der Sklavenhändler! Alleine der Gedanke an diesen Schurken und seine Helfer, bereitete mir schon Unbehagen.


    Aber ich befürchte, das wird nicht gehen. Mein Vater und meine Geschwister sprechen kein Latein und sie können auch nicht lesen. Ich habe dir doch einmal erzählt, wir kennen keine Schrift.


    Durch diese Erkenntnis getrübt, senkte ich meinen Blick. Einen kurzen Moment hatte ich die Hoffnung, einen Verbindungsstrang zu meiner Familie wieder aufleben lassen zu können. Aber so schnell dieser Gedanke geboren wurde, musste ich ihn auch schon wieder begraben. Gerade jetzt war ich froh, um seine Nähe. Diese Nähe war es, nach der ich mich immer schon gesehnt hatte. Während der ganzen Zeit, seit ich hier war, hatte es nur sehr wenige Gelegenheiten, in denen ich ihm sagen konnte, was ich wirklich fühlte. Oftmals hatten mir hier einfach die Worte gefehlt. Jetz aber war alles anders.


    Ich bin froh, dass das Schicksal mich hierher verschlagen hat. Sehr froh sogar. Ich kann mich noch genau an meinen ersten Tag erinnern. Damals hatte ich schon das Gefühl, Glück zu haben, auch wenn es nicht immer leicht war, hier leben zu müssen. Aber du hast mir auch viel gegeben.


    Es war wahrscheinlich nicht selbstverständlich, was ich alles im Laufe der Zeithatte lernen dürfen. Ich wusste, es hätte mich auch wesentlich schlimmer treffen können.

  • Die Wolken an Schwierigkeiten, welche sich unversehens anscheinend vor Bridhe aufzutürmen schienen, konnte ich nicht im mindesten entdecken (ich hätte auch nicht daran gedacht!) und als sie ihre Bedenken äußerte, winkte ich nur leicht ab. "Rom ist groß, Bridhe, und wenn es schon im aurelischen Haushalt eine Menge Menschen gibt, die aus einer ähnlichen Ecke stammen wie Du, dann gibt es in Rom sicherlich noch mehr ihrer Art; ich bin mir sicher, ich kann jemanden finden, der Deine Sprache beherrscht und sich eine Nachricht merken kann, bis er Deine Familie erreicht. Es ist zwar unpraktisch, dass bei Dir zuhause keiner lesen kann, aber für so etwas nutzt man eben Boten, die ihre Nachricht auswendig lernen."
    Ich drückte sanft ihre Hand und lächelte sie zuversichtlich an. Wenn man sich auf eines in diesem Moloch an Stadt verlassen konnte, dann sicherlich darauf, dass es irgendwo irgend jemanden gab, der genau das Bedürfnis zu befriedigen imstande war, das man hegte, und sei es nur das nach einem Boten, der eine mündliche Nachricht in der Landessprache von Bridhes Heimat übermittelte. Vielleicht würde ich einen Freigelassenen oder peregrinus finden können, der sich für die entsprechende Menge Geld dafür hergab, einen Weg würde es sicherlich geben, dafür kannte ich die vielen Gesichter Roms gut genug.


    "Du hast mir auch vieles gegeben, Bridhe. Wir hatten es nicht immer leicht miteinander, aber ich denke doch, wir haben aneinander gelernt und Freude gefunden, wie es die Götter den Menschen gegeben haben. Alles andere bekommt man dann schon irgendwie hin," sagte ich lächelnd und umarmte sie noch einmal leicht, wie eine gute Freundin oder eine Verwandte, die ich zu schätzen wusste. "Wollen wir uns langsam auf den Weg machen, um Deine Freilassung amtlich zu machen? Ich denke, wenn Du jetzt mit mehr Zuversicht dem entgegen sehen kannst, wird es ein glücklicher Tag für Dich. Außerdem kann man nie wissen, wann das Kleine auf die Welt kommen will, zu viel Zeit dürfen wir uns nicht lassen. So dick wie Dein Bauch inzwischen ist, glaube ich fast, es könnte jeden Tag soweit sein." Sanft legte ich eine Hand auf die stattliche Wölbung und streichelte sie behutsam, als könnte dies schon eine Verbindung zu dem kleinen Menschen darin aufbauen, der eine so wechselhafte Vergangenheit schon mitbrachte.

  • Unwissend, wo sich Aquilius während der letzten Stunden überhaupt aufgehalten hatte, machte sich Micipsa auf die Suche nach ihm.
    Für gewöhnlich bedurfte auch ein vielbeschäftigter Mann wie der ehemalige Quaestor etwas Schlaf und schlummerte demzufolge zu dieser Tageszeit in seinem Bett. Doch wenn sich der Flavier im Hause befand, musste er einfach mitbekommen haben, was sich in den letzten Stunden in der Kammer seiner (ehemaligen?) Leibsklavin abgespielt hatte. Und dass dieser dann schlafend und ohne Interesse an der Geburt seines Kindes in seinem Cubicularium lag, war für den Nubier kaum vorstellbar.
    Da es Aquilius Arbeitszimmer war, das unmittelbar an Bridhes Kammer grenzte, probierte es der dunkelhäutige Mann also zuerst einmal hier und klopfte an die Tür: "Dominus. Ich wollte nicht stören, aber dein... Bridhes Sohn ist da.
    Es ist wohl alles gut gelaufen"
    , fügte er noch an, in der Hoffnung, dass Aquilius ihn hörte und Micipsa sich nun seinerseits etwas Schlaf gönnen würde können.

  • Er gab mir wieder ein Gefühl der Ruhe und der Zuversicht. Das, was sich für mich als unlösbares Problem aufgetan hatte, war für ihn gar nicht vorhanden. Wahrscheinlich hatte er Recht! Irgendwo in dieser Stadt gab es jemanden, der sich mit meiner Familie verständigen konnte. Man musste ihn nur finden. Wie leicht oder wie schwer das sein würde, drüber zerbrach ich mir jetzt nicht mehr den Köpf. Alleine dass es möglich war, brachte mir die Freude und mein Lächeln wieder zurück.


    Nein leicht war es nicht immer gewesen. Besonders die ersten Wochen und Monate waren für mich die schwersten gewesen. Alles war so fremd und anders, niemanden konnte ich richtig verstehen und es hatte nur wenige gegeben, die mir wirklich geholfen hatten. Ich war einer fremden Welt hilflos ausgeliefert, obwohl ich selbst kaum glauben konnte, was mit mir geschehen war. Mit dem Gedanken, Sklavin zu sein hatte ich mich nie anfreunden können. Ich hatte es als das größte Übel empfunden, was einem Menschen widerfahren konnte. Doch ich hatte es ertragen, so gut es ging. Jetzt, als die Ketten zu bröckeln begannen, hatte ich fast schon ein schlechtes Gewissen, weil ich glaubte, etwas zu bekommen, was mir gar nicht zustand. Aquilius aber war bereit, es mir zu geben und darüber hinaus war er sehr großzügig zu mir.


    Ja, das können wir, antwortete ich ihm lächelnd auf seine Frage, ob wir nun gehen sollten.
    Die Zuversicht hatte ich und ich konnte mich jetzt richtig freuen, nicht nur auf meine Freilassung, auch auf das Kind, das in mir wuchs und bald schon da sein würde. Es käme frei zur Welt und hatte nichts zu befürchten, eines Tages verkauft zu werden.


    Ich freue mich. Ich freue mich sogar sehr darauf und ja, es wird ein glücklicher Tag werden. Du hast es möglich gemacht!

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