Mons capitolinum (capitolum) - Templum Claudii

  • Die Eingeweide fanden ihren Platz in einer Schale. Menecrates beobachtete die Überprüfung und suchte im Gesicht des Untersuchenden zu lesen. Schließlich erklang der Ausruf: "Litatio!"


    Offensichtlich wurde das Opfer angenommen. Menecrates atmete durch und sandte einen erleichterten Blick erst gen Himmel, dann zu seiner Familie. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht und er konnte den weiteren Handlungen gelöst zusehen. Die Organe des Widders gelangten in einen Kessel und wurden gleich vor Ort gekocht. In einen separaten Kessel gelangten Rumpfstücke, die für die Speisung der Menschen gedacht waren. Doch zuerst würden die Götter speisen.
    Die gekochten Organe wurden noch einmal mit Mola Salsa bestrichen, bevor sie am Altar verbrannt wurden.
    Da Menecrates nicht vor Ort speisen wollte, wurden die gekochten Rumpfstücke in Körbchen gegeben, die sie mit in die claudische Villa nahmen. Jeder Teilnehmer, auch die Sklaven erhielten einen angemessenen Teil. Den Rest des Widders gab Menecrates frei. Er konnten unentgeltlich von jenen erlangt werden, die als die Ärrmsten Roms galten.


    "Lasst uns nach Hause gehen", schlug Menecrates vor, ließ seinen Blick noch einmal über alle Anwesenden schweifen und setzte sich anschließend in Bewegung. "Mögen uns allen die Götter immer gewogen bleiben."

  • Dankenswerterweise nahm Iuppiter das Opfer der Familie Claudia an. Es kam zu keiner größeren Schande, obgleich die Mädchen sich ein wenig unkonventionell verhalten hatten oder weil Marcellus sie so deutlich gerügt hatte. Das wäre, nach Livineias Geschmack, möglicherweise nach der Opferung passender gewesen. So hatte es ein wenig die ehrfürchtige Stimmung getrübt. Aber es war ja glücklicherweise alles gut gegangen, auch die Götter schienen sich darüber absolut im Klaren zu sein, dass sie alle hier unten nur Menschen waren. Als Claudier natürlich besonders wertvolle Menschen, aber dennoch nur Menschen. Devotion gegenüber den Göttern war für Livineia eine selbstverständlich.


    „Das werden sie gewiss sein, Großvater.“ Livineia lächelte ihm zu, nachdem er ihnen allen noch das Wohlwollen der Götter gewünscht hatte. Warum auch nicht? Es gab in der Gens Claudia eigentlich keine größeren Probleme, welche die Zuneigung der Götter ernstlich aufs Spiel stellen könnten. Natürlich gab es auch bei den Göttern Launen und man konnte sich nie sicher sein, ob man nicht irgendeine kleine Dummheit beging, doch in aller Regel? Nein, eher nicht.


    Livineia jedenfalls war froh, als es wieder auf den Heimweg ging. Dort würde sie sich als allerstes wieder eine Frisur stecken lassen, die den Hals einigermaßen aussparte und die mehr Luft an ihre Haut ließ. Und auch die schlichte Kleidung konnte sie dort endlich wieder gegen angemessen interessant geschnittene Stoffe tauschen. Wirklich, sie freute sich auf zuhause.

  • Zusammen mit Achatius schlich ich durch die dunkle Nacht. Jeder trug einen kleinen Eimer mit Deckel. Unsere Waffen steckten im Gürtel. Eilig aber vorsichtig schoben wir uns durch das Licht das der halb volle Mond warf. Oder war er halb leer? Egal. Es war genug Licht um nicht zu stolpern. Aber zu wenig um auf die Schnelle gesehen zu werden. Unsere braunen Umhängen mit Kapuzen schützten uns auch. Und unsere Schuhe waren mit Wolllappen umwickelt dass man uns nicht hörte.


    Achatius linste um eine Mauerecke. "Eine Patrouille!" wisperte er und wir drückten uns an die Hauswand. Wir hielten den Atem an und warteten bis ihre Schnitte hinter der nächsten Abzweigung verhallten. Dann schnell weiter.


    Oben auf dem Kapitol mussten wir erstmal verschnaufen. Einfach war das alles nicht. Außerdem mussten wir jetzt besonders vorsichtig sein. Ich wusste, dass in manchen Tempeln nachts ein Sklave vom Cultus Deorum schlief. Und wenn man uns erwischte gab es keine Ausrede mehr. Wir hatten hier nichts zu suchen.


    Auf leisen Sohlen schlichen wir zum Tempel des vergöttlichten Claudius. Vergöttlicht! Was für eine Anmaßung!
    Achatius zog seinen Pinsel aus dem Gürtel und begann in großen roten Buchstaben an die Tempeltür zu pinseln:


    Nieder mit den falschen Götzen!


    Ich stand Schmiere dann wechselten wir uns ab.


    Nur der HERR kann euch beschützen wenn der Sturm kommt!


    Ich trat zurück und war mächtig stolz auf unser Werk. Schnell packten wir unsere Farbeimer und verließen den Tempel.
    Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Und zwar noch so lange bis wir wieder zuhause waren.

  • Vom Carcer Tullianus her führte der Mann Caesoninus über das ganze Forum Romanum und hinauf auf die Rampe des kapitolischen Hügels, auf dessen Spitze die heiligsten Tempel der Römer prangten.
    Unterwegs versuchte er mehr aus dem Mann herauszuquetschen: "Also, willst du mir jetzt sagen was so schlimm ist? Was ist passiert?" Doch da war nichts zu machen, der Kerl schüttelte nur mit dem Kopf und keuchte: "Gleich da." So gab Caesoninus es auf. Er würde das angebliche Maleur ja sowieso gleich mit eigenen Augen sehen.


    Oben angekommen steuerte sein Wegführer ihn am Tempel der kapitolischen Trias vorbei zu einem der kleineren Kultbauten. Allem Anschein nach war der Tempel des vergöttlichten Claudius das kommende Zentrum des Interesses. Jetzt konnte es auch Caesoninus schon erkennen. Was war das dort auf dem Portal zur Cella hin?
    Als sie direkt vor der Tür standen blieb der Mann -wieder einmal- nach Atem ringend stehen und wies auf die Tür. "Da. Da schau was sich diese Kerle angemaßt haben!"
    Caesoninus trat vor das Portal und las die darauf gepinselte Schmiererei.


    Nieder mit den falschen Götzen! Nur der Herr kann euch beschützen wenn der Sturm kommt!


    Leise murmelnd wiederholte er die Worte. "Das ist ganz klar Gotteslästerung." Er wandte sich an den Mann und sagte: "Danke für deine Mühen mich darauf aufmerksam zu machen, die Staatsgewalt übernimmt von hier an. Nimm das hier für deine Mühen." Und damit reichte er ihm ein paar Sesterze. Dankend nahm sie der andere an und entfernte sich, während Caesoninus seine nächsten Schritte überlegte. Er musste unbedingt den Praetor darüber in Kenntnis setzen, soviel war klar. Bis das geschehen war, würde er die Schmiererei an Ort und Stelle belassen, damit sie als Beweis für die Schändung des Heiligtums fungieren konnte, doch bis dahin musste sie zumindest abgedeckt werden. Außerdem musste die Gens Claudia benachrichtigt werden, das ging ja auch sie irgendwie etwas an. Auch musste ein Sühneopfer vollzogen werden, um die Schändung des Tempels zu tilgen und den gestörten Frieden mit den Unsterblichen wieder sicher zu stellen. Vorzüglich von einem Claudier, falls sich keiner fand, der das bewerkstelligen könnte, musste Caesoninus es eben selbst tun. Die dahinter steckenden Täter mussten natürlich auch geschnappt und bestraft werden, das war das mindeste! Zeit, den Plänen Taten folgen zu lassen!


    Caesoninus lief los und suchte sich einen Aedituus des Tempelareals. "Der Tempel des vergöttlichten Claudius wurde geschändet! Sorge dafür, dass er für Besucher geschlossen und abgesperrt wird und hänge ein großes Tuch vor das Portal, um diese grässliche Schmierei zu verdecken!"
    Offenbar war der Aedituus heute morgen noch nicht lange im Dienst, denn von der Schmierei wusste er noch gar nichts. Umso bestürzter war er natürlich dann. "Sofort, Vigintivir!" und schon lief er los, um sich Hilfe zu holen beim Absperren des Tempels und dem Verdecken des Portals. Caesoninus seinerseits machte kehrt und eilte wieder den Kapitol hinunter, um den Praetor aufzusuchen.


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  • Der Herbst hielt Einzug in Roma. Aquilina lebte sich langsam in ihrem neuen Zuhause ein, aber so richtig war der Funken noch nicht übergesprungen, denn etwas plagte sie. Aquilina hatte Heimweh und vermisste ihre Mutter. Menecrates hatte sie herzlich in der Villa Claudia aufgenommen, aber es war einfach nicht ihr Zuhause. Viel zu oft hatte sie daher in den letzten Tagen die Villa nicht verlassen und ihre Zeit lieber mit Lesen oder was ihr noch viel mehr bedeutete mit dem Schreiben verbracht. Unzählige Briefe begann sie an ihre Mutter zu schreiben und in einigen bat sie sogar nach Hispania zurückkehren zu dürfen. Aber solche Briefe schickte sie nicht ab, immerhin durfte sie ihre Mutter und ihre ganze Familie nicht enttäuschen. Es war Grata, welche ihr vorschlug den Tempel der Claudier zu besuchen. Dort war sie den Göttern am nächsten. Sie konnte die Laren um Schutz beten und vielleicht war sie dann auch ihrer Mutter näher, denn wenn sie auch zu den Schutzgeistern beten würde, dann könnte vielleicht ein Band zwischen ihnen bestehen. Dieser Gedanke ließ sie nicht mehr los und so machte sie sich schon in aller Frühe auf zum Tempel.


    Ein Custos begleitete sie und Grata, als sie sich in Richtung Tempel aufmachten. Aquilina trug eine moosgrüne Tunika mit violetter Palla. Ihr Haar wurde mehrmals geflochten und am Hinterkopf miteinander zu einer Hochsteckfrisur verbunden. Die frische Morgenluft tat ihr gut und sie genoss die goldene Herbstsonne. Ihre Stimmung hellte sich förmlich auf. Es war richtig hierher zu kommen. Dann erreicht das Trio den Tempel und Aquilina blieb wie erstarrt stehen. Sie konnten nicht glauben was sie da sah. Sie las die Zeilen, welche auf die Tempeltür in großen roten Buchstaben geschrieben wurden. Dann sah sie schockiert zu Grata und diese hielt sich eine Hand vor dem Mund. Grata wies den Custos an hier mit Aquilina zu warten, während sie nach einer Patrouille
    Ausschau hielt. Gaus Iulius Caesoninus schien erst wenige Minuten zuvor den Tatort verlassen zu haben, um den Praetor zu suchen. „Wer war das? Wer kann etwas so Schreckliches tun?“, fragte Aquilina ohne den Custos dabei anzusehen. „Die Götter schaden niemanden und von was für einem Sturm wird hier gesprochen?“, fragte sie verängstigt, doch der Custos schwieg weiterhin. Er sah sich achtsam um. Vielleicht war der Täter noch hier, aber so wirklich glaubte er das nicht. Diese Tat wurde in der finsteren Nacht verübt.


  • Lucius Poenius Caprarius


    Caprarius war jener Aedituus gewesen, den kurz zuvor Vigintivir Iulius Caesoninus mit der Absperrung des Tempels beauftragt hatte. Mittlerweile hatte er alle nötigen Männer und Gerätschaften beisammen, um das Werk auszuführen. Ein Mann hielt ein gewaltiges weißes Tuch unter seinem Arm, während mehrere andere kleine hölzerne Absperrungen mit sich führten, die zwischen den Säulen aufgestellt werden sollten.
    Jeder in der Truppe war noch ganz perplex von der Nachricht, die ihnen der Aedituus mitgeteilt hatte. Wer wagte es nur den Zorn der Götter so sehr herauszufordern? Dem Umstand geschuldet, dass sie alle Teil des Cultus Deorum waren, als Angestellte am Kapitol, traf sie das ganz besonders im Herzen.


    Eiligen Schrittes näherte sich die Truppe wieder dem geschändeten Heiligtum, doch was war das?! Zeugen! Zwei Frauen und ein Mann! Na das hatte ihnen gerade noch gefehlt! Caprarius beschleunigte seine Schritte und lief wild fuchtelnd auf sie zu, der Rest der Gruppe dicht hinter ihm. "He! Ihr da! Weg von dem Tempel! Das hier ist Sperrgebiet!" Sie erreichten den Tempel jetzt vollends und 3 - 4 Schritte vor der Frau stehend wies er die Männer an: "Hängt das Tuch vor das Portal und platziert die Absperrungen zwischen den Säulen!"
    Seine Männer machten sich gleich daran den Tempel fein säuberlich abzusperren, während sich der Aedituus wieder den Zivilisten zuwenden konnte. "Entschuldigt bitte, aber der Tempel ist Opfer einer Schändung geworden, wie ihr selbst bereits sehen konntet, und ist daher heute nicht mehr zugänglich für Besucher. Der Fall wird bereits untersucht, Vigintivir Iulius Caesoninus ist gerade erst vor wenigen Augenblicken von hier los, um dem Praetor Meldung zu machen."
    Caprarius beobachtete, wie diese scheußliche Schrift endlich abgedeckt wurde, na wenigstens konnte so niemand anderes sie mehr lesen und der -weltliche- Schaden hielt sich in Grenzen. Der spirituelle hingegen war natürlich ein ganz anderer Fall.
    Noch einmal wandte er sich an die drei und sprach: "Es versteht sich von selbst, wenn ich euch darum bitte, nicht von diesem Vorfall zu sprechen. Wir wollen ja den Tätern nicht auch noch dabei helfen diese fürchterliche Botschaft weiterzuverbreiten, oder?"



  • Die Mühlen der palatinischen Administratio mahlten gemächlich, doch zuletzt war ich doch wieder zum Tribun ernannt worden. Schon am ersten Tag nach meinem erneuten Dienstantritt berichtete uns eine Frühpatrouille der Vigilen von einer Blasphemie, die sich am Tempel der Claudier zugetragen hatte. Tatendurstig schwang ich mich auf mein Ross und führte selbst ein Contubernium dorthin, um mir das mal anzusehen.
    Es war ein herrlicher Herbstmorgen in unserer Ewigen Stadt. Die Hufe meines Pferdes klapperten auf dem Straßenpflaster, und dazu der Rhythmus der Caligae, der Stiefeltritt der Ordnung, das war Musik in meinen Ohren.
    Einige Männer waren dabei, die Tempeltür mit Stoff zu verhängen und Absperrungen aufzustellen. Ich schwang mich vom Pferd, warf mein nachtschwarzes Sagum lässig über die Schulter zurück und duckte mich unter den Absperrungen hindurch. Die Prätorianerkluft bahnte mir den Weg. Ich strich das Tuch beiseite und besah mir die Schmierereien.
    Sapperlot. Da hatte jemand weder an Farbe noch an Ingrimm gesparrt. Das zu verhängen war eine kluge Maßnahme gewesen.


    Zitat

    Original von Claudia Aquilina und Poenius Caprarius


    "Salve. Tribun Decimus Serapio." stellte ich mich knapp dem bekränzten Herrn in Aedituus-Tracht vor, der gerade versuchte, ein Dreiergrüppchen vom Tatort zu verscheuchen.
    "Wir übernehmen das. Lass die drei hier warten, ich möchte alle potentiellen Zeugen noch sprechen."
    Zuvor ließ ich mir aber den Tempelsklaven bringen, der die Bescherung am Morgen entdeckt hatte, und befragte ihn. Frühmorgens, als er die Türen des Tempels geöffnet hatte, habe die Schrift dagestanden, gesehen habe er niemanden, mehr wusste der Mann nicht zu sagen. Auf meinen Befehl begannen meine Männer, die anderen Tempelangestellten zu befragen, auch den Opferwarenverkäufer an der Ecke und den ranzigen Bettler im Hauseingang schräg gegenüber... Soviel versprach ich mir nicht davon, Schmierfinken gab es hier in Rom wie Sand am Meer, und sie zu fassen war meist hoffnungslos, doch eine so blasphemische Schrift erforderte nun mal, dass wir uns voll ins Zeug legten.


    Während sie damit zugange waren, stand ich sinnierend vor den Graffiti. Mein Beneficiarius folgte mir auf den Fuß. Gavius war ein schleimiger Kerl, aber ausgefuchst.
    "Zwei unterschiedliche Handschriften." bemerkte ich, und er notierte das beflissen auf einer Tabula. "Keine Fehler. 'Herr' großgeschrieben. Einer der Schreiber..." Ich testete selbst mit ausgestrecktem Arm wie hoch ich kam an der Tempeltür. Die Schrift war höher. "... von großer Statur. Oder ist auf etwas gestiegen. - Mach eine Skizze, Miles."
    Gavius begann zu kritzeln. Ich tupfte mit dem Zeigefinger gegen die Farbe – trocken – und schabte etwas davon ab. Gewöhnliche rote Farbe, zinnoberrot hätte ich gesagt, wie für Fresken oder Statuenbemalung. Auf dem Boden hatte es getropft, und ich kniete mich hin und begutachtete ausführlich die Steinschwelle und das Pflaster davor. Ein halbrunder roter Farbrand zeichnete sich ab, etwas verwischt, offenbar hatte dort ein rundes Gefäß mit Farbe gestanden. Ich maß am Boden mit einer Knotenschnur und diktierte Gavius: "Vier uncia Durchmesser." Ausserdem lag Kehricht neben der Türe, welke Blätter, alte Nußschalen, Dreck und. Was war denn das? Ich fischte einen kupfernen Quadrans aus dem Dreck. Merkus war heute wohl mit mir, aber ich bezweifelte dass die Täter uns einen Groschen hinterlassen hatten. Oder vielleicht doch, zur Verhöhnung der Sicherheitsorgane. Ich erhob mich und klopfte mir den Staub von den Knien.


  • Lucius Poenius Caprarius


    Eben noch vollauf mit ihrem Werk zufrieden und darauf wartend, dass der junge Iulier mit dem Praetor -oder zumindest mit dessen weiteren Anweisungen- zurückkam, damit das ganze juristisch und kriminalistisch weiterverfolgt werden konnte, erschienen plötzlich Soldaten in Schwarz und vermasselten Caprarius' gute Laune.


    Ganz perplex musste der Aedituus mitansehen, wie einer der Kerle sich über die Absperrung hinwegsetzte und sogar das Tuch beiseite schob, um die Schrift darunter zu lesen. Bei allen Göttern! Einige Momente starrte er regungslos in Richtung des Kommandanten und wie er und seine Männer damit begannen den Tatort völlig durcheinander zu bringen und Daten festzuhalten. Wie sollte dabei dann noch irgendwas für den Praetor und die ECHTE Justiz übrig bleiben?


    So also fasst sich Caprarius ein Herz und trat an den Kommandanten heran und räusperte sich. "Verzeihung, aber warum interessiert sich die Praetorianergarde für einen einfachen Schmierfink, der die Götter herausfordern wollte? Ich teile hiermit mit, dass grade vor ein paar Minuten erst ein junger Vigintivir losgelaufen ist, um dem Praetor Meldung zu machen, der Einsatz der Praetorianer ist hierbei also nicht weiter vonnöten. Oder ist dies ein Fall, der den Augustus, oder das Imperium betrifft?"
    Soweit er wusste war die Praetorianergarde kaiserliche Leibwache und imperialer Geheimdienst. Doch das Leben des Kaisers war nicht im mindesten durch diese Schmierei bedroht, geschweige dem dessen Inhalt gegen den höchsten Herrn im Staat gerichtet, noch sah der Aedituus irgendwelche Belange verletzt, die den Geheimdienst auf den Plan riefen für nötige Maßnahmen. Nein viel eher war es eine gewöhnliche Schmierei, wie es viele in Rom gab, nur eben an besonders exponierter Stelle, die neben der üblichen Tilgung und Strafverfolgung auch noch ein Sühneopfer für die Götter verlangte, um das geschändete Heiligtum wieder reinzuwaschen. Aber das war Sache des Kults und der gewöhnlichen Strafverfolgung, was also beim Zerberus versprachen sich die schwarzen Recken bei der Ergreifung dieses speziellen Schmierfinks?!



  • "Schön, schön." meinte ich zu dem Aedituus, der mir meldete, dass ein Vigintivir zum Richter gelaufen war. Es war immer gut zu hören, dass die jungen Leute sich engagierten. Auch wenn natürlich die jährlich wechselnden Amateure und Grünschnäbel des Cursus honorum bei der Verfolgung ernsthafter Verbrechen recht nutzlos waren und meiner Erfahrung nach meist vor allem auf die nächste Wahl schielten. Die Kollegen von den Stadtkohorten hätten eher pikiert darüber sein können, dass ich das hier an mich zog, da gab es ja die ein oder andere sorgsam gepflegte Rivalität, doch die Urbaner hatten, soweit ich wusste, derzeit mit der neuesten Welle von Bandenkriminalität mal wieder so viel zu tun, dass sie sich wahrscheinlich nicht darüber beschweren würden wenn sie weniger Arbeit hatten.
    "Lass das mal unsere Sorge sein." schnitt ich dem Tempelverwalter das Wort ab."Blasphemie nehmen wir sehr ernst." Der Mann schien mir ob des Anschlages ziemlich durch den Wind zu sein und ich verschwendete keine weitere Aufmerksamkeit auf ihn. Blasphemie mit Majestätsbeleidigung verknüpft war das Markenzeichen der Christianer, aber diesen Verdacht musste ich nicht herumposaunen.
    Ein Miles wies mich auf eine weitere Farbspur, ein paar Tropfen auf dem Pflaster, hin. Messerscharf war daraus zu schließen, dass die Täter, oh Wunder, wohl die Straße entlanggegangen waren... Ich ließ meine Leute weiter nach Spuren und potentiell nützlichen Zeugenaussagen suchen und wandte mich selbst dem Dreiergrüppchen von eben zu.


    Zitat

    Original von Claudia Aquilina


    Eine junge Dame, die sehr erschüttert aussah, war offensichtlich deren Hauptperson, und ich konnte nicht umhin zu bemerken, wie frisch ihre violette Palla mit dem gedeckten Grün ihrer Tunika kontrastierte, eine sehr aparte Kombination war das. Zudem wies der Halbmond an ihrem Knöchel auf patrizischen Stand hin.
    "Salve." grüßte ich sie mit höflichem Abstand, auch um den Custos nicht in Alarm zu versetzen. "Ich bin der Gardetribun Decimus Serapio. Wie ist dein Name? Wann bist du hier eingetroffen und was hast du gesehen?"

  • Als der Aedituus die junge Claudia erreichte, kehrte auch Grata zu ihr zurück. Aquilina wusste nicht, ob sie jemanden ausfindig machen konnte um die Schändung des Tempels zu melden. Aber das war auch nicht mehr notwendig gewesen, da aus der Aufregung des Aedituus deutlich zu erkennen war, dass diese Tat bereits entdeckt wurde. Aquilina zuckte zusammen aufgrund seines scharfen Tons, aber sie konnte ihm das nicht verübeln. Er berichtete ihnen, dass der Vigintivir Iulius Caesoninus den Fall untersucht hätte und sich bereits auf dem Weg zum Praetor befand. Bedrückt beobachte Aquilina wie die Schrift abgedeckt wurde, bis sich der Aedituus wieder ihnen zuwandte. „Ja. Das werde ich auf keinen Fall tun. Doch meiner Familie muss ich davon berichten.“, antwortete sie ihm.


    Dann näherte sich eine weitere Gruppe dem Tatort und Aquilina wandte sich um. Es waren die Prätorianer. Der Tribun ging an ihnen vorbei und betrachtete die Schmiererei. Vielleicht war es doch besser zu gehen, aber das war nun zu spät. Der Tribun wollte sie als Zeugen befragen. Besorgt sah Grata zu Aquilina. In so etwas sollte sie wirklich nicht hineingezogen werden, aber Aquilina zuckte mit den Schultern und lächelte ihr zu, um sie zu beruhigen. Dann warteten sie bis der Tribun seine Untersuchung mit seinem Beneficiarius abgeschlossen hatte. Neugierig beobachteten die drei seine Untersuchung.


    Dem Aedituus schien es nicht zu gefallen, dass die Prätorianer diesen Fall untersuchten, doch ihr Tribun ließ sie von ihm nichts einreden und machte weiter. Dann wandte sich der Tribun der junge Claudia zu. Sie wurde nervös. Immerhin war sie nie noch nie in so eine Situation geraten und nun sollte sie auch noch befragt werden.
    „Salve.“, grüßte sie ihm zurück und sah dem Tribun bedrückt an. „Ich bin Claudia Aquilina. Ich bin erst kurz vor dir hier eingetroffen. Ich sah niemanden unmittelbar des Tempels. Dann ließ ich meine Sklavin Grata Hilfe holen und ich blieb mit meinem Custos zurück, bis der Aedituus uns ansprach. Ich wünschte ich hätte mehr gesehen und könnte helfen, zumal es der Tempel der Gens Claudia ist.“, meinte sie enttäuscht und senkte ihren Kopf, nur um sich dann zu bücken. Links von ihnen lag ein Stück Stoff, welches rot beschmutzt war. Es war ein Stück des Wolllappens der Täter. Zwar war es nur ein ganz kleines Stück, aber immerhin. „Was glaubst du? Haben das die Täter verloren?“, fragte sie neugierig, berührte das Stück aber nicht und wartete auf die Reaktion des Gardetribuns.

  • Eine Claudia am Tempel der Claudier. Sieh an.
    "Angenehm. Bist du verwandt mit dem Stadtpräfekten?" erkundigte ich mich interessiert, um sie einordnen zu können.
    Für gewöhnlich wirkten junge patrizische Damen auf mich mehr wie blasierte Anziehpüppchen, diese hier stellte jedoch mein Vorurt.... - will sagen meine Erfahrungswerte – mit ihrer klaren und höflichen Art zu antworten auf eine harte Probe. Außerdem hatte sie scharfe Augen.
    Ich folgte ihrer Bewegung und begutachtete den Fetzen, den sie entdeckt hatte. Anhänger der deduktiven Methode hätten jetzt wahrscheinlich aus diesem Stück Stoff eine komplette Beschreibung des oder der Täter erstellen können... oder diese herbeifantasiert.
    Der Fetzen lag halb zusammengeklappt im Rinnstein. Mit spitzen Fingern fischte ich ihn heraus.
    "Es ist das gleiche Zinnoberrot. Also ja, anzunehmen."
    Ein Rand war ausgefranst, ausgedünnt und dreckverkrustet.
    "Vielleicht haben sie sich damit die Hände abgewischt, oder den Pinsel. Nein, es sieht eher besprenkelt aus.." überlegte ich halblaut. Oder war der Lumpen das Rotztuch eines der Übeltäter? Was tat man nicht alles im Dienste von Imperator und Patria. Ich befühlte das Gewebe, es war Wolle, grau, dicht im Fischgrät gewebt. Zum schalen Geruch aus dem Rinnstein kam nun eine andere Note. Nachdenklich furchte ich die Stirn und roch an dem Fetzen. Komisch. Oder kam das vom Tempel?
    "Was meinst du, Claudia, was kann uns dieser Fetzen erzählen?" fragte ich mit einem kleinen Augenzwinkern das Mädchen mit den scharfen Sinnen, denn es konnte nie schaden, die eigenen Eindrücke zu überprüfen, und außerdem war es der Tempel ihrer Gens, der hier geschändet worden war.

  • Es war nicht die Art der jungen Claudia herablassend auf jemanden zu wirken. Niemals würde sie von sich sagen, nicht verwöhnt zu sein, aber sie war der Meinung, dass man erwachsenerer wirkte, wenn man vernünftig antwortete und nicht mit jedem Wort an seine gesellschaftliche Stellung erinnern musste. Außerdem stand hier der Gardetribun vor ihr. Was hatte er alles schon in seinem Leben erfahren und was sie?
    „Ja, er ist mein Großonkel.“, bestätigte sie ihm. Der Tribun bückte sich ebenfalls und sofort war er wieder in seinem Fall vertieft. Er hob das Stück Stoff auf und untersuchte es, während er laut dabei nachdachte. Aquilina lauschte interessiert seinen Vermutungen. Dann zu ihrer großen Verwunderung, fragte der Prätorianertribun, was sie glaubte, was dieses Stück Wolle einem verraten könnte. Er zwinkerte ihr dabei frech zu. Wollte er wirklich wissen was sie davon hielt oder zog er sie nur auf? Sie wusste erst nicht ob sie ihm antworten sollte. Vielleicht meinte er es aber wirklich ernst. Sie würde es erfahren. Nachdenklich legte sie ihren Kopf schief und streckte ihre rechte Hand zu ihm aus. „Darf ich es mir einmal ansehen?“, fragte sie Decimus Serapio und hatte ihre zarten Finger schon bei ihm und dem kleinen Stück Stoff.
    Die Sklavin Grata stand hinter ihr und schüttelte nur den Kopf. Aquilina sollte sich hier nicht einmischen, aber sie wollte auf keinen Fall ihrem Schützling ins Wort fallen.
    Aquilina nahm Serapio das Stück rötlichen Stoff nicht aus der Hand, sondern drehte es in seiner Handfläche um und musterte es. Dann antwortete sie nachdenklich. „Warum ist es nur auf einer Seite so stark verschmutzt und auf der anderen nicht so sehr? Hier ist so viel Dreck und Farbe, aber auf der anderen Seite nur so wenig. Ist das wichtig?“, fragte sie dann unsicher und nahm ihre Hand wieder weg.
    „Was sind das nur für Menschen, die es wagen so etwas an unseren Tempel zu schreiben?“, fragte sie den Tribun bestürzt, denn darüber hatte sie bis jetzt gar keine Auskunft bekommen. Man musste doch einen Verdacht haben. Vielleicht gab es schon ähnliche Vorfälle dieser Art. All das wusste Aquilina nicht, denn sie war noch nicht lange in Roma.

  • Gütiger Serapis, hatte ich gerade tatsächlich in meinem Übermut dem Patriziermädchen zugezwinkert? Es war wohl die Freude, endlich wieder meinen Dienst tun zu können, unterwegs in den Straßen von Rom, die mir etwas zu Kopfe gestiegen war. Reiß dich mal zusammen, Faustus. Aber Ermittlungen waren schon immer mein Steckenpferd gewesen, das Zusammensetzen des großen Ganzen spannender Fälle aus vielen kleinen Mosaiksteinchen erfüllte mich seit meiner Urbanerzeit mit Leidenschaft... ganz im Gegensatz zu der Ernüchterung, die dann aufkam, wenn keiner die Ergebnisse glauben wollte, weil sie politisch gerade nicht opportun waren, oder wenn die Gerichte die Übeltäter wieder laufen ließen, weil irgendein Rechtsverdreher sie bequatschte, oder die Kriminellen sie bestachen...
    Die Claudia ging jedenfalls mit Contenance über alles hinweg und betrachtete aufmerksam unser Stückchen Indiz, zur Missbilligung ihrer Sklavin.
    Stimmt, die eine Seite war viel dreckiger.
    "...als wäre jemand darauf getreten."
    Aber mehr verriet der Lappen, im Augenblick jedenfalls, nicht, und ob er wichtig war... würde die Zeit zeigen.
    "Wir werden sehen. Einen Moment."
    Ich übergab den Fetzen an meinen Beneficiarius, der diesen mit bedeutsamer Miene in Empfang nahm. Außerdem wies ich ihn an, etwas von der Graffitifarbe abzuschaben, und sich mit dieser... Probe, könnte man sagen... mal etwas genauer bei den Farbhändlern der Stadt umzuhören.
    Darauf nahm ich die junge Claudia zur Seite.
    "Unter uns, Claudia. Sowohl die Wortwahl, als auch der Umstand, hier einen vergöttlichten Kaiser zu lästern, werfen den Verdacht auf die Sekte der Christianer. Es könnte sich also primum tatsächlich um blasphemische Sektierer handeln, secundum um jemanden, der ein Interesse daran hat, die Christianer anzuschwärzen, tertium um jemanden, der deiner Gens ans B... - will sagen, dem daran gelegen ist, deine Gens zu brüskieren. Zum letzten Punkt, ist dir da etwas zu Ohren gekommen in der letzten Zeit? Gab es Auseinandersetzungen, oder ließ vielleicht dein Großonkel etwas verlauten?"

  • Der Tribun der Prätorianer wollte tatsächlich von der jungen Claudia wissen, was ihr dieser Stofffetzen sagte. Dieser Fall den er nun angenommen hatte galt es zu klären und er suchte nach jeder Spur, welche die Täter zurückgelassen haben könnten. Es war die Arbeit des Tribuns und eigentlich sollte sich Aquilina dabei nicht einmischen, aber zu einem wünschte der Gradetribun das eben von ihr und außerdem wollte sie selbst wissen, wer hinter diesen Schmierereien steckte. Es ging ihr sehr wohl etwas an. Diese Straftat betraf immerhin ihre Familie. Sie nickte bei Serapios Verdacht, jemand könnte auf diesen Stofffetzen getreten sein und beobachtet ihn, wie er ihn dem Beneficiarius übergab mit dem Befehl nach der Herkunft der Farbe zu forschen.


    Dann bat Decimus Serapio die Claudia zur Seite. Der Tribun gab ihr seine Meinung zu verstehen, welche Möglichkeiten bestanden, wer hinter diesen Schmierereien stecken konnte. Aquilina war überrascht von all den Möglichkeiten und versuchte so gut es ging dem Prätorianer zu helfen. „Du glaubst die Christianer waren es? Ich weiß nicht viel über diese Sekte, aber was ich weiß ist, dass sie unsere Götter verachten.“, gestand die junge Claudia und fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken das sie es hier mit einer Sekte zu tun hatte, die einem Irrglauben folgten. „Deine Möglichkeiten sind alle anzunehmen. Neigen denn diese Christianer dazu Tempel zu schänden? Und wenn es Gegner dieser Sekte waren, dann haben diese Leute gewiss unsere Religion. Welchen Mut muss man besitzen um die eigenen Tempel zu beschmieren? Fürchten diese Menschen denn nicht den Zorn der Götter?“, fragte sie aufgebracht. Sicherlich hatten die Christianer auch den Zorn der Götter zu erwarten, doch diese glaubten wohl auf sie würde das nicht zutreffen. Und wie würde sich diese Wut bei diesen irregeführten Menschen zeigen? Serapios letzte Vermutung war wohl die persönlichste. „Ich weiß es nicht, denn ich lebe erst vor kurzen in Roma. Ich komme aus Carthago Nova. Gewiss hat er seine Feinde.“ Und dieser Gedanke schmeckte Claudia gar nicht, aber das war wohl normal bei solch einem hohen Posten. „Aber ich würde es als feige betrachten, die Abneigung gegen meinen Großonkel den Christianer unterzuschieben.“

  • Echte Pietas klang in den Worten der jungen Claudia, als sie ihrem Abscheu gegen die blasphemischen Schmierfinken Ausdruck verlieh. Ich nickte beifällig, mit ernster, ja staatstragender Miene.
    “Wenn nicht der Zorn der Götter...“ Die waren bekanntlich ja recht langmütig. “..dann soll sie zumindest die harte Hand des Gesetzes treffen!“ gab ich markig von mir.


    Nach dem kurzen Wortwechsel verabschiedeten wir uns, wobei ich der scharfsinnigen Claudia noch versprach, ihre Gens über neue Erkenntnisse auf dem laufenden zu halten. Unglücklicherweise gab es in der nächsten Zeit aber rein gar nichts zu berichten, denn obgleich meine Männer solide jedwede Spur verfolgten, und sich die Schuhnägel abliefen bei der Befragung sämtlicher Farbhändler, die ein Zinnoberrot im Angebot hatten ... verlief all dies vorerst im Sande, wurde dann überschattet von der nächsten, noch erschütternderen Blasphemie beim Wettstreit der Rhetoren. Doch das letzte Wort war noch nicht gesprochen! Die Garde hatte einen langen Atem und ein feingeknüpftes Netzwerk von bereitwilligen Denunz... will sagen: Informanten.

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    SODALIS FACTIO AURATA - FACTIO AURATA

    Klient - Decima Lucilla

  • Wenn Menecrates zurückblickte, lag eine lange Zeit der Krankheit hinter ihm. Er, der Zeit seines Lebens auf Gesundheit geachtet hatte, durchlebte über ein Jahr lang ein Martyrium an Schmerzen. Dabei fing alles harmlos an: Er stürzte und brach sich zweifach den Arm. Die Versorgung der Gliedmaße stellte kein großes Problem dar. Umso schwieriger gestaltete sich die Eindämmung der hinzukommenden Schmerzen, die mit Urgewalt über ihn hereinbrachen. Nicht einmal die Berührung einer Feder auf der Haut konnte er ertragen.


    Er ließ die verschiedensten Heilkünstler kommen, die ihm sämtlich zu Opium rieten. Menecrates winkte beharrlich und vermehrt gereizt ab. Was sollte es auch nützen, die Schmerzen weniger zu spüren, wenn sie rein gar nichts gegen die Ursache ausrichten konnten. Der Claudier besaß einen Dickschädel, schon immer, und so ging er seinen eigenen Weg, fernab der empfohlenen Interventionen. Er verweigerte jedes Medikament und verfolgte mit klaren Sinnen, wie seine Hand zu einem Monstrum anschwoll, sich bläulich verfärbte, beständig schwitzte und vor allem hochgradig berührungsempfindlich wurde. Polierter Marmor fühlte sich bei der Berührung wie Sandpapier an. Ungläubig strich der Claudier wieder und wieder über die glatte Fläche, aber sein Tastsinn sendete eine grob poröse Oberfläche an das Hirn.


    Als die Heilschienen abgenommen wurden, erkannte man die komplette Versteifung der gesamten Hand. Ein geringfügiges Kippeln zeugte vom Leben und wo Leben war, lohnte ein Kampf. Täglich bewegte der Claudier unter Anleitung und Schmerzen die versteiften Gelenke und als wäre diese Tortur nicht genug, folgte ein versteiftes Schultergelenk. Die Steifheit ließ ihn sich manchmal wie einen Greis und manchmal wie ein Kleinkind fühlen. Hilflosigkeit zu spüren, war eine Pein. Zu allem Überdruss stellten sich auch bei diesem Gelenk horrende Schmerzen ein. Menecrates konnte weder auf der betroffenen noch auf der gesunden Seite schlafen. Alleine, dass sein Arm irgendwo auflag, glich einer Qual.


    An einem milden Sommertag zog ein Tross, ausgehend von der claudischen Villa, in Richtung Mons Capitolum. Familienangehörige, Klienten, Freunde und Sklaven begleiteten Menecrates. Letztere trugen neben Opfergaben auch Votivgaben - Figuren in Form von Fingern, einem Hand- und Ellenbogengelenk sowie einer Schulter. Ziel der Gruppe war der Tempel der Claudii. Menecrates hatte eingesehen, seine Krankheit alleine zwar aushalten, aber nicht besiegen zu können. Er wollte die Götter, die Laren, Manen und Genii um Unterstützung bei der Genesung bitten.


    Allem Anschein nach wurden die Gaben auch angenommen und obwohl Menecrates nie die Zuversicht verloren hatte, fühlte er anschließend vermehrt Kraft. Zuerst ließen die Scherzen in der Hand nach - ganz sachte, in kleinen Schritten. Wenig später folgte die Schulter mit kleinsten Entlastungen.

    Wochen später und geschwächt durch die lange Zeit der Ruhe stürzte Menecrates jedoch im eigenen Garten. Wieder fiel er auf die einst gebrochene Hand, wenngleich den größten Schwung sein linkes Knie abfing, in dessen Folge er über Monate humpelte. Stark im Willen, wenn auch geschwächt im Körper, zog es Menecrates regelmäßig in den Tempel, zu gesellschaftlichen Anlässen und allen sonstigen Verpflichtungen. Nie würde sich ein Claudier freiwillig beugen. Nie würde er sich aufgeben.

    Wer auch immer Menecrates mit Krankheit geschlagen, ihn verflucht oder verwünscht hatte, derjenige gab eines Tages auf. Der Claudier kämpfte sich in kleinen Schritten, aber beharrlich ins Leben zurück.


    Am heutigen Tag wollte er die Votivgaben aus dem Tempel holen. Er würde sie einschmelzen lassen, musste nur noch einen talentierten Künstler und ein passendes Motiv finden. Zum Dank für die Hilfe bei der Genesung brachte er den Göttern, Manen, Laren und Genii neue Opfergaben mit.

  • Es war Gewissheit, die ihn durchströmte und seine Schritte langsamer werden ließ. Gleich einer wohligen Welle durchflutete Erkenntnis, Wissen und schließlich Gewissheit seinen Körper. Während er den näher rückenden Tempel seiner Ahnen anstarrte, stockte er und hielt schließlich an. Seine Begleiter - nicht gefasst auf den überraschenden Halt - traten vor und neben ihn, was unvermeidlich war, wollten sie ihren Herrn und Patron nicht von hinten rammen.

    Während Menecrates die Tempelmauern anstarrte, lag ihr Blick fragend auf dem Claudier. Alle schwiegen aus Respekt oder Unsicherheit. Nur eine junge Sklavin - recht unbedarft, aber mitfühlend - wisperte: "Dominus?"


    "Fastus!?"

    Sein Sekretär stand wie immer an seiner Seite. Die Stimme des Claudiers krächzte, als er fortfuhr. "Wann genau wurde unser Tempel entweiht? Und wann musste ich den Dienst in der Praefectura Urbis niederlegen?"

  • 'Verschiedene Jahre', resümierte Menecrates im Stillen, nachdem Faustus zwar nicht die konkreten Daten, aber den ungefähren Zeitraum benennen konnte. Der Claudier stand weiterhin stocksteif, nur seine Gedanken arbeiteten. Sein Blick verlor sich in der Ferne.

    Sein Empfinden stellte er allerdings nicht infrage: Die Schändung des claudischen Tempels musste eine Schwächung oder gar einen Rückzug der Götter und Geister nach sich gezogen haben, in dessen Folge Menecrates erkrankte. Einige seiner Verwandten litten ebenfalls an Krankheiten, zwei seiner Enkelkinder starben sogar. Der Blick des Familienoberhauptes, des Großvaters verdunkelte sich und sein Mund wurde zum Strich.

    Schon immer galt Menecrates als konservativ, vielleicht sogar als der Konservativste der gesamten Stadt. Lockte dies die Christen auf den Plan? Oder stellte die Schändung eine Retourkutsche für die von ihm geführte Ermittlungskommission zum Sklavenaufstand und die damit in Zusammenhang stehenden Hinrichtungen von Christen dar? Eine weitere Erklärung mochte auch seine Initiative beim Bau der ersten Station in der Subura sein, die einigen Kriminellen die Geschäfte verdarb - möglicherweise christlichen Kriminellen.

    Welcher Grund auch immer zutraf, Menecrates hatte sich fokussiert und niemand würde ihn von seiner Erkenntnis abbringen können.


    "Eins nach dem anderen", murmelte er. "Heute besänftige ich die Götter und Geister, morgen übergebe ich die Votivgaben. Ab übermorgen, bei den Göttern…" Er schnaufte wie ein Pferd und schritt mit größeren Bewegungen als bisher voraus. Seine Begleiter folgten ihm.

    Als er vor dem Tempel eintraf, beruhigte sich sein Blut. Er holte mehrmals tief Luft und ließ den Atem bewusst langsam hinausgleiten. Nichts zählte mehr außer ihm und den Göttern wie Geistern. Er musste sie besänftigen und wieder zum Schutz seiner Familie gewinnen. Sie stellten seinen Halt dar und darauf musste er sich verlassen können.

    Ein letztes langes Ausatmen, dann schlüpfte er aus den Calceus senatorius und trat ein.

  • Opferdiener standen bereit. Sie hatten das Feuer bereits entzündet, den Foculus positioniert und hielten die Opfergaben bereit. Sie allein würden Zeugen der verschiedenen Zwiegespräche werden, denn sowohl seine Begleiter als auch die seit geraumer Zeit im Tempel stationierten Sklaven schickte Menecrates hinaus. Stille herrschte; zuweilen knackte es und ein Funke flog. Je nachdem, wo Kohle entzündet wurde, entwickelte ihr Geruch eine unterschiedliche Intensität. Im Freien anders als hier und hier anders als am Hausaltar. Menecrates sog die Luft ein, um später den Unterschied zum verdampfenden Weihrauch vermehrt wahrnehmen zu können. Er zog sich die Toga zurecht, um das Haupt zu bedecken. Ein Nicken signalisierte den Opferhelfern, mit den ersten Gaben zu beginnen.


    "Vater Ianus, durch das Opfern des Weihrauches bete ich ein gutes Gebet, damit du mir und meinen Kindern, dem Haus und der Familie wieder günstig gestimmt bist." Weihrauch rieselte in den Foculus.

    "Iuppiter, durch das Opfern des Weihrauches bete ich ein gutes Gebet, damit du mir und meinen Kindern, dem Haus und der Familie wieder günstig gestimmt bist." Erneut kam Weihrauch auf den Foculus.

    Menecrates verfolgte den aufsteigenden Rauch, inhalierte den Duft, sann der Worte nach und winkte schließlich den Helfer mit dem Weingefäß heran.


    "Vater Ianus, wie ich durch das Opfern des Weihrauches ein gutes Gebet gebetet habe, möge dir für dieselbe Sache dieses Trankopfer angeboten werden." Es zischte, als der Wein auf die heiße Schale traf und der Duft im Raum änderte sich.

    "Iuppiter, sei geehrt durch diesen Weihrauch, sei geehrt durch diesen Wein." Kühler Wein floss nach und das Zischen wurde leiser.

    Ein kleiner Teil, das Voropfer, lag hinter ihm. Jetzt wollte Menecrates noch der Penaten gedenken, ihnen opfern und um deren Hilfe bitten. Er tauchte die Hände in bereitgehaltenes Wasser und reinigte sich gründlich. Dabei murmelte er: "Möge dieses Wasser alle Unreinheit von meinem Körper waschen wie das Verwandeln von Blei in Gold. Reinige den Verstand. Reinige das Fleisch. Reinige den Geist. So ist es."


    Er berührte den Altar und holte einmal Luft.

    "Laren, weil es recht ist, im Tempel meiner Familie für dieses Fest zu opfern, um dieser Sache willen möget ihr geehrt werden durch dieses Festopfer.

    Manen, weil es recht ist, im Tempel meiner Familie für dieses Fest zu opfern, um dieser Sache willen möget ihr geehrt werden durch dieses Festopfer.

    Genii, weil es recht ist, im Tempel meiner Familie für dieses Fest zu opfern, um dieser Sache willen möget ihr geehrt werden durch dieses Festopfer."

    Während Blumen für die Laren, Milch für die Manen und Wein für die Genii dargebracht wurden, versprach Menecrates eine Wiedergutmachung und äußerte eine weitere Bitte.


    "Ihr Götter und Geister, ich habe seit dem Vorfall der Lästerung die Schandmale entfernen lassen, Wächter im Tempel stationiert und regelmäßig geopfert. Bitte sagt mir, was ich noch tun kann, um euch zu besänftigen. Ich möchte Buße tun, denn offensichtlich habe ich mir Versäumnisse vorzuwerfen. Wie anders erklären sich sonst die vielen schlimmen Krankheitsfälle in meiner Familie." Er hielt inne und überlegte kurz, bevor er fortfuhr: "Bitte gebt mir ein Zeichen, damit ich weiß, was ich noch gegen das Übel Christentum tun kann. Auf alle Fälle bitte ich euch, gewährt meiner Familie wieder Schutz. Wir alle brauchen euch."

  • Um ganz sicherzugehen, wollte Menecrates auch noch an Iuppiter Dapalis opfern - dem Iuppiter, der für das Heim zuständig war. Er musste unbedingt einen sicheren Raum um sich schaffen, um unversehrt zu bleiben und seine Familie zu schützen. Die Villa war sein Rückzugsort. Hier regenerierte er sich.

    Mit gleicher Inbrunst wie vorhin wiederholte Menecrates die Gebete und Bitten. Dabei spendete er wieder Wein und Weihrauch. Die Worte waren immer die gleichen, ob hier im Tempel, am Hausaltar oder in irgendeinem stillen Gebet. Eine besondere Bitte fügte er dieses Mal an:

    "Iuppiter Dapalis, bitte gib mir ein Zeichen und lass mich wissen, wenn ich dir eine besondere Freude bereiten kann. Mir ist nichts so teuer wie das Heil meiner Familie. Ich gebe alles darum. Ich selbst möchte auch unversehrt bleiben, damit ich mich um meine Familie kümmern kann. Gewähre und erhalte uns bitte diesen Ruheort, an dem wir Sicherheit finden."

    Ein letztes Mal rieselten Opfergaben in den Foculus. Menecrates wartete, bis der sich entwickelnde Rauch aufgestiegen war, dann löste er sich vom Altar. Um eine Spur zuversichtlicher als er den Tempel betreten hatte, verließ er ihn.


    Auf dem Vorplatz erwarteten ihn seine Begleiter. Sie hatten offensichtlich mit der Reinigung des Widders gewartet, weil die Länge der unblutigen Opferung schwer abzuschätzen war. Der Widder erhielt die Mola Salsa Reinigung, den Wein über den Kopf und spürte das Messer entlang seines Rückens. Die eigentliche Opferung, die Organschau und das anschließende Verbrennen großer Teile, um sich besonders gut mit Iuppiter zu stellen, verfolgte Menecrates auf das Genaueste, auch wenn er die Vorgänge schon unzählige Male miterlebt hatte. Er hoffte, einen Schritt in Richtung Besserung für seine Familie getan zu haben.


    Langsam löste sich die Menschenansammlung auf und machte sich auf den Heimweg. Irgendwann trennten sich ihre Wege. Freunde und Klienten strebten dem eigenen Heim zu, während Menecrates und seine Familie in die Villa Claudia zurückkehrten.

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