Vor der Villa Flavia - die dunkelste Nacht des Jahres

  • Es gab Dinge, die waren dazu da, namenlosen Handlangern überlassen zu werden. Und es gab Dinge, die mußte ein Mann selbst tun.


    Aber mein Leibsklave verstand das nicht. Die ganze Zeit, während wir unterwegs waren, hat er schon versucht, mich wortreich von meinem Vorhaben abzubringen.
    "Halt endlich die Schnauze!" zischte ich ihn an. Ich war, in meiner erbärmlichen Verfassung, völlig erschöpft und ausser Atem allein davon, den Quirinalhügel zu besteigen. Darum lehnte ich mich, noch einige Häuser vor unserem Ziel, erst einmal an eine Mauer, und lockerte meine Paenula, atmete durch, solange bis es wieder einigermaßen ging. Ich war nervös, gereizt... zwar hatte ich mir vorhin noch ein bisschen Hanf reingezogen, aber beileibe nicht genug um hier und jetzt kaltblütig zu bleiben.
    Ravdushara – er trug den ganzen Kram – verharrte genauso nervös neben mir und ließ den Blick durch die nächtlichen Strassen des Quirinal schweifen. Ein nobles Pflaster, mit all den Villen, Tempeln, Gärten... Es ging schon auf Mitternacht zu, aber manche Häuser waren noch immer festlich hell erleuchtet, und hin hin und wieder zog ein Pulk von Saturnalien-Feierwütigen bei Fackelschein durch die Strassen. Sieh, selbst der Sterne Glanz / erstarb, der Mond wich, Mitternacht zog/ zwischen der Welt nun und uns den Schleier...

    http://img337.imageshack.us/img337/1619/ravdushara.jpg


    "Ich bin der einzige Sklave, unter all den Abertausenden in dieser großen Stadt, der heute Nacht arbeiten muß!" beklagte sich Ravdushara mit gedämpfter Stimme.
    "Warum?! Habe ich dir nichts stets treu gedient? All deine Geheimnisse hab ich bewahrt, all deine Launen habe ich klaglos ertragen, in brutale Kämpfe mit... mörderischen Wilden bin ich dir gefolgt, unter Lebensgefahr habe ich dafür gesorgt dass du es selbst in der Wüste noch bequem hast, und natürlich – aber damit will ich ja gar nicht erst anfangen! - habe ich dir zahllose Nächte versüßt, aber du, Serapio, du ziehst mich hier grausam und gefühllos in etwas hinein, was uns beide Kopf und Kragen kosten kann! Warum nur überlässt du nicht auch dies hier einem der Schmierfinken?! -
    Oh ja, ich weiß schon, es ist persönlich. Persönlich. - Aber wenn du es unbedingt selbst tun mußt, warum, oh bei Baal-Nessana, bei Al-lat und Manat der Erlauchten, warum lässt du dich nicht lieber von einem Rudel Leibwächter eskortieren, die nichts lieber tun, als andere totzuschlagen, anstelle von... mir friedliebendem, und für solcherlei rohe Abenteuer weitem zu hoch qualifizierten Nabatäer?!"

    "Weil ich den anderen, im Gegensatz zu dir, nicht so weit vertraue wie ich sie werfen kann, Tonto" erwiderte ich entnervt. "Und jetzt... hör endlich auf zu quatschen. Oder – geh! Geh nur. Dann tu ich es eben alleine."
    Das würde ja gut passen, wenn er mich jetzt auch noch im Stich ließe! Wie all die anderen! Ich starrte ihn herausfordernd an, aber in der Dunkelheit sah ich nur schemenhaft seine Gestalt, und schwach das Helle in seinen Augen.


    "Wenn du willst, dass ich gehe, dann mußt du mich schon freilassen." sagte er schließlich heldenmutig.
    "Das habe ich sowieso vor." antwortete ich leise... ein bisschen verwundert über diesen Mann, der mir schon so lange diente, und der dann doch wieder ein Buch mit sieben Siegeln war.
    Aber egal. Ravdushara war nebensächlich.
    Worum es hier wirklich ging, das war die Wahrheit. Die verletzende, schneidende, grausame Wahrheit, die ich ihm, den ich einmal rasend geliebt hatte, ihm, der mich und ganz Rom verraten hatte... auf die schonungsloseste nur mögliche Weise ins Gesicht schleudern würde.
    Ich sah die Straße hoch und runter. Kein Mensch war zu sehen. Die Sterne verbargen sich hinter schwarzem Gewölk. Ich zog die Kapuze meiner Paenula auf den Kopf, und griff unter den Mantel, rückte, eher um mich selbst durch diese Geste zu beruhigen, den Waffengurt mit meinem wieder und wieder geschärften Gladius zurecht.
    "Komm."


    Wir gingen die Strasse entlang, aufrecht und offen, bis wir die Villa Flavia erreichten, dort drückten wir uns in die tintenschwarzen Flecken vor der Mauer, die das Anwesen umgab. Allein der Gedanke, dass er hinter diesen Mauern, nach allem was er mir angetan hatte, glücklich, zufrieden und unbehelligt, und nach allem was er verbrochen hatte, doch noch immer wohlangesehen, erfolgreich, ein "Muster römischer Tugend", sein wunderbares Patrizierleben lebte... das ließ den heißen Zorn in mir aufsteigen, und brodeln, rotglühend wie Lava!!!
    Meine Hände bebten vor Rachedurst, als ich von Ravdushara den Pinsel entgegen nahm, und den Farbtopf, dann öffnete er die Blendlaterne einen kleinen Spalt, wobei er das Licht mit seinem Umhang abschirmte. Es fiel auf die Mauer – die eine ganz gewöhnliche Mauer unschuldiger Steine war, solide, aber nicht mal besonders hoch, nicht mal mit messerscharfen Eisenspitzen bewehrt, nur mit einem Streifen roten Mauerwerks oben als Abschluss.


    Ich tauchte den Pinsel in die Farbe, klatschte ihn auf die Mauer, und begann in großen, fetten, seine Schuld in alle Welt hinausschreienden Lettern zu schreiben:




    simoff: reserviert.... ;)

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  • Sukzessive senkte Gracchus' Kinn sich seiner Brust entgegen, während seine Lider schwerer und schwerer wurden, sein Oberkörper allmählich sich nach vorn neigte. Seit dem frühen Morgen wachte er bereits auf dem Schemel hinter der Porta, um seinen Saturnaliendienst zu verrichten, und einige weitere Stunden noch würde er ausharren müssen, doch die Eintönigkeit dieser Aufgabe war nicht eben dazu angetan, ihn auf dem unbequemen Sitzmöbel wach zu halten. Als sein Körper vornüber kippte, schreckte er auf, schreckte einen Augenblick zurück vor den Schatten, welche die Fackeln an den Wänden des Ganges in den Raum hinein warfen und tanzen ließen, ehedem er seine Augen weit öffnete und tief ein- und ausatmete. Er gähnte, rieb sich die Augen und rückte schicksalsergeben den pileus auf seinem Haupte zurecht, wünschte sich dabei nicht zum ersten Male an diesem Tage, dass die Saturnalienfeiern nur alsbald ihr Ende mochten finden. Die andauernde Fröhlichkeit der Menschen enervierte ihn, die ausgelassene Freude konsternierte ihn, denn der December barg für ihn nicht mehr als die schwere moralische Last seines vergangenen Handelns, welches Rom beinahe in den Untergang hatte getrieben - und um so mehr er das Ende der Saturnalien herbeisehnte, um so mehr fürchtete er gleichsam den daran anschließenden Tag - jenen verhängnisvollen neunten Tage vor den Kalenden des Ianuarius, welcher einige Jahre zuvor die Katastrophe hatte unausweichlich werden lassen.
    "Vermaledeite Saturnalien ..."
    , murmelte er verdrießlich vor sich hin, griff nach der Kanne mit heißem Würzwein, welche am Boden stand - seine Söhne hatten ihm diese vorbeigebracht, ehedem Minor seinen Bruder Titus zu Bett hatte gebracht, und ein Blick in das Gefäß offenbarte, dass es bereits mehr als zur Hälfte war geleert -, und goss in den daneben stehenden Becher ein. Der Wein war längst kalt, dass Gracchus nach einem Schluck und einem unwirschen Brummen den Becher wieder abstellte und stattdessen beschloss, einige Augenblicke vor die Türe zu treten und frische Luft zu atmen, um seine Gedanken zu klären. Als hätte er seit Tagen auf dem hölzernen Schemel verharrt, stemmte er sich ungelenk empor, ächzte leise und drückte seinen Rücken durch - nahm sich dabei fest vor, im folgenden Jahre Minor für den Dienst an der Porta zu verpflichten, allfällig Rom für die Zeit ausgelassener Freude gänzlich den Rücken zu kehren. Langsam schob er den Riegel der Porta beiseite und erfreute sich an dem Schwall kalter Luft, welcher sogleich in die Villa hineindrang als er die Türe öffnete. Tief einatmend trat Gracchus über die Schwelle des Hauses und genoss einen Augenblick lang die Dunkelheit, welche über dem Himmel lag. Den Weg von der Alta Semita her klang ein bekanntes Sklavenlied - derart krumm und schief intoniert, dass er es nicht einmal hätte erkannt, wäre es ihm bekannt gewesen -, zur Servianischen Mauer hin dagegen schien alles ruhig und da seine Augen noch immer an das Licht im Inneren des Hauses waren gewohnt, hätte Gracchus beinahe das Geschehen übersehen, welches an der flavischen Grundstücksmauer sich zutrug. Er wollte sich bereits wieder umwenden, als er des feinen Schimmers wurde gewahr, welcher dort den Weg entlang tanzte, so dass er seine Augen zusammen kniff, den Kopf ein wenig nach vorn schob als würde dieser digitus an geringerer Distanz ihm zu besserer Sicht verhelfen. Irgendjemand stand dort an der Mauer und da Gracchus nicht genau konnte erkennen, was dort geschah, vermutete er einen Unhold, welcher sich nach dem Konsum reichlichen Saturnalienweines dort erleichterte - an einer flavischen Mauer, an seiner Mauer! Rasch trat er in den Eingang des Hauses zurück und nahm eine Laterne auf, ehedem er wieder hinaus trat und sich laut bemerkbar machte.
    "Heda!"
    rief er dem vermeintlichen Schmutzfink entgegen und hielt die Laterne empor, was indes mehr dazu gereichte, dass sein eigenes Antlitz erleuchtet wurde, als dass er mehr konnte erkennen.
    "Halte ein und schere dich hin..fort, dies ist Privateigentum!"

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  • Das rauhe Mauerwerk trank die Farbe, Staub löste sich und verkrustete mir den Pinsel, es war ein gewaltiges Geschmiere. Mein Zorn ließ die Buchstaben roh und primitiv werden. Der schmale Lichtspalt der Blendlaterne zeigte mir immer nur das keine Stück der Mauer direkt vor mir, alles andere war verschluckt von kohlrabenschwarzer Finsternis. Meine Hände waren auch schon schwarz bekleckst, als ich den letzten zornigen Pinselstrich machte. (Ich war halt kein routinierter Wändebeschmierer. Es war unendliche Äonen her, dass ich in meiner Adoleszenz, zusammen mit den Freunden, die meine Mutter gar nicht gerne sah, um die Häuser von Tarraco gezogen und in dem berauschenden Bewußtsein, wie ungemein rebellisch wir doch waren, 'NEC DOMINUS, NEC SERVUS, NEC DEUS, NEC PATRIA!' an die Wände geschrieben hatte.....)
    Geschafft. Und nun? Enttäuschung! Es war nur ein Hauch von Befriedigung, seine Untaten hier so offen anzuprangern... nur ein Tropfen auf die heiße Lava...
    Ravdushara zupfte mich, zum Aufbruch mahnend, am Tunikaärmel, aber ich verharrte vor meiner Schrift an der Wand, entschlossen, sie noch drastischer zu machen. Auch hier eine falsche Schlange skizieren? Oder eine Hyäne? Aber die war mir zu schwer zu malen, nicht dass die Leute das Vieh am Ende noch fälschlicherweise für einen edlen Löwen hielten. Oder vielleicht ein Strichmännchen, welches das Wort 'Veritas' unter seinen mit Halbmond geschmückten Schuhen zertrat? Oder.... der Gedanke schlich sich wie Gift in meinen Kopf... was wenn ich ihn hier auch noch als Cinaedus denunzierte? Illustriert mit einem eindeutigen Bild? Würde das nicht am übelsten schmerzen?! Egal wie gekonnt er es dann vertuschen würde – etwas blieb immer hängen.


    Die Farbe tropfte vom Pinsel...und tropfte...
    Wenn ich Manius wirklich zugrunde richten wollte... und das wollte ich doch... denn nichts anderes hatte er verdient... oder?... warum sonst war ich hier?.... dann war es nur konsequent, auch noch dieses, von ihm so sorgsam gehütete Geheimnis aus der Tiefe ans Licht zu zerren... und es schonungslos dem Spott und der Häme der Welt preiszugeben.... Trotzdem war da irgendwo seltsamerweise noch immer so eine dumme sentimentale Hemmung, die mich daran hinderte, diesen Gedanken, mochte er noch so schlüssig sein, in die Tat umzusetzen. Und zwar ganz massiv daran hinderte. Wütend, jetzt nicht nur auf ihn, sondern zudem auch auf mich selbst, hob ich endlich doch wieder den Pinsel, um dann eben eine Giftschlange zu malen, eine Viper, die sich um die Worte herumwand...
    Ravdushara packte mich am Arm.
    "Dort an der Tür!" wisperte er. Ich zuckte zusammen, spähte angespannt dorthin, sah im ersten Augenblick nur Nacht – dann trat eine Gestalt mit einer Laterne hinaus aus der Porta.
    "Nichts wie weg!" drängte mein Begleiter. Aber ich stand wie zur Salzsäule erstarrt.
    ...schere dich hin..fort - Diese Stimme...! Waren ihre Worte soeben auch barsch und fremd gewesen... diese Stimme kannte ich!! Kannte sie so gut.... in ganz anderen Tonlagen... und wie hatte ich diese Stimme geliebt, und wie oft hatte ich mir vorgestellt, mich in diese Stimme, und in die wunderbaren Worte die sie zu mir sprach einzuhüllen, hineinzuhüllen, wie in den herrlichsten, wärmsten und schönsten Mantel der Welt. Auch die vertrauten Züge sah ich, im Licht seiner Laterne.


    Manius.


    "Manius." flüsterte ich tonlos. Und war so komplett überwältigt, dass ich in dem Augenblick nur die dumme Frage dachte: Was macht er an der Porta? Und: Ach so, Saturnalien.
    Dann erst setzte alles wieder ein. Der Zorn!! Ich entriss dem zurückweichenden Ravdushara die Blendlaterne, und öffnete den Schieber ganz, so dass das Licht für einen Moment voll auf die Mauer fiel, und meine Anklage klar und deutlich der Dunkelheit entriss.
    "Sieh es dir nur genau an!" brüllte ich ihn an. Die heiße tolle Wut trug mich wie auf einer gewaltigen, sich immer höher aufbäumenden, unaufhaltsamen Woge der Zerstörung.
    "Sieh es dir an, du Feigling, du verlogener Mörder, du erbärmlicher Heuchler!!"
    Das Licht tanzte auf und ab in meiner zornbebenden Hand, huschte über Zweige, strich wie ein Geist über Steine und das Pflaster entlang, als ich geradewegs auf ihn zuging.
    "Hast du geglaubt du kommst damit durch?! Hast du geglaubt, du kannst morden und lügen und alle und alles verraten, und dann einfach so zurückkehren in dein perfektes kleines Bilderbuch-Leben?!"
    Hastig wechselte ich die Laterne von der rechten in die linke Hand, warf die Paenula über die rechte Schulter.
    "Falsch gedacht, oh Aton, amatus meus!" fauchte ich, die Worte, die ich einst voll Sehnsucht gehaucht hatte, nurmehr in höhnischer Bitterkeit ausspuckend. Ich zog mein Gladius. Lautlos glitt es aus der Scheide.
    "Die Wahrheit kommt doch ans Licht! Und du, Manius, wirst bezahlen!!"

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  • I-II


    Mit einem Male kam Bewegung in die Szenerie, der eine Mann teilte sich zu zweien, gleißendes Licht hüllte beide in einen Kokon, ein Brüllen durchriss die Nacht, dass Gracchus' Augen vor Furcht sich weiteten, er einen halben Schritt zurückwich, gänzlich überfordert mit dieser unerwarteten Situation. Er konnte nicht erkennen, was dort an der Mauer stand, war zu eingenommen von dem tobenden Manne, den er kannte, und doch nicht kannte.
    "Faustus ..."
    , entfleuchte ihm atemlos, zerrten und rissen die Emotionen an ihm, das überbordende Glück, seinen Geliebten am Leben zu sehen, die grenzenlose Furcht indes vor dem rasenden Furor, welcher ihm entgegen schlug, in Worten der Diskreditierung über ihm sich ergossen, als Affront indes an ihm mussten ob ihrer Wahrheit verpuffen. Mit offenem Munde, sprachlos, konsterniert, sein Herz rasend, starrte Gracchus auf Serapio, welcher sich ihm näherte, Wort um Wort ihm entgegen schlug, bis dass er endlich vor ihm stand in all seiner Pracht. Seine wunderschönen blaufarbenen Augen glühten vor Zorn, wie sie einst hatten vor Leidenschaft geglüht, und die Schatten der Nacht ließen seine Gesichtszüge ein wenig weicher erscheinen als sie es bei Tage vermutlich wären gewesen, konnten doch nicht überdecken, dass in diesem wunderschönenen Antlitz nurmehr Ingrimm für ihn zu finden war - und sofern nur der geringste Zweifel daran mochte bestehen, so stand doch das kalte Metall zwischen ihnen als Mahner der Wahrheit. Als wäre dies ein Ding aus einer gänzlich anderen Welt - und schlussendlich war es dies für ihn - blickte Gracchus auf das Gladius hinab, welches dazu gereichte, ihn in regelrechte Panik zu versetzen, dass die sublime Vibration seines Leibes sich ausweitete zu einem Zittern wie sonst nur das Laub einer Espe es vermochte zu tun, durch welche ein herbstlicher Strumwind hindurch fegte, dass er einen halben Schritt mehr noch zurückwich, ehedem er durch das kalte Mauerwerk des Hauses in seinem Rücken wurde gestoppt. Wenige Jahre zuvor noch hätte diese Szenerie - er allein in dunkelster Nacht, ein wütender Titan mit einem Gladius in der Hand, Schrecken und Entsetzen in all seinen Gliedern, die Wahrheit lauthals herausposaunt - dazu ausgereicht, dass er angesichts einer solchen Bedrohung in seiner Furcht alles hätte gestanden, alles und jedem die gänzliche Wahrheit von Beginn bis zum Ende berichtet, um sein Leben gebettelt, gewimmert, gejammert - doch Serapio war der einzige Mensch auf Erden, vor welchem er die Wahrheit, vor welchem er sich selbst musste weder verbergen, noch musste erklären, und dem unaufhaltsamen, scharfkantigen Geröll einer Lawine gleich rollte die Erkenntnis dieser längst verloren geglaubten Freiheit über ihn hinweg. Obgleich die Furcht vor dem Tode gewaltig in ihm war, ließ der Anblick der Waffe nurmehr Tränen in ihm emporsteigen, welche er vergeblich suchte zu unterdrücken. 'Ein Flavius heult nicht!' konnte er die barsche Stimme seine Vaters hören, die Hitze auf seiner Wange spüren, welche die Ohrfeigen dort hatten hinterlassen - doch allfällig war er ohnehin längst kein Flavius mehr, allfällig niemals ein solcher gewesen, und letztlich hatte dies alles wohl auch keine Bedeutung mehr. So presste er nur seine Kiefer aufeinander, suchte die nassen Tropfen hinfortzublinzeln, und seine Stimme zitterte gleich seinem Leibe als er sie schlussendlich - ein wenig larmoyant -, seinem Blicke gleich erhob.
    "Die Re'hnung … ist viel zu hoch, Faustus, als dass ich sie ... jemals noch könnte bezahlen."
    Als hätte er nicht selbst nach alledem längst den Wunsch in sich verspürt, still und klandestin aus dem Leben sich zu schleichen, die Flucht zu ergreifen wie stets - doch war er nicht fähig, diesen letzten Schritt zu gehen, war wie stets zu feige, seinem Leben ein Ende zu setzen aus Furcht vor dem Augenblick, wenn der Schmerz seinen Leib zerriss, aus Furcht vor dem Augenblick, da er würde erkennen müssen, dass alle Schuld, alle Pflicht auch nach dem Leben nicht von ihm würde weichen. Welcher Tod indes mochte willkommener sein als jener durch die Hand des Geliebten - selbst wenn dieser nicht mehr als Hass noch für ihn verspürte -, welches Ende ihrer Liebe mochte angemessener sein als der Tod? Ein kurzer Hauch von Wehmut zog die Straße entlang - bestärkt zweifelsohne von der trügerischen Schwermut des Saturnalienweines -, darüber, dass er sich nicht mehr von seinen Söhnen hatte verabschieden können - Minor nicht einmal noch hatte sagen können, wie stolz er auf ihn war, wie sehr er an seine Zukunft glaubte, Titus nicht von seinem Onkel Quintus hatte erzählen können, ihm nicht die Tiere in der schola bestiarum zeigen -, dass er nicht Antonia noch einmal hatte wiedergesehen - ihr versichern, dass alles ihm unendlich leid tat, dass sie die beste Gemahlin war, welche ein Mann sich nur konnte wünschen -, dass er nicht Marcus Arisitides noch einen letzten Brief hatte senden - ein letztes Glas Wein mit ihm trinken - können, dass er nicht Scato und Fusus noch eine Empfehlung hatte aufsetzen können, und allfällig sogar dass er nicht Sciurus hatte Dank sagen können. Doch letztlich war dies alles nun ohne Belang, letztlich galt nur die Wahrheit, und irgendwo am Grunde seines Verstandes registrierte Gracchus, dass die Tränen kein Rinnsal mehr waren, dass die Sturmflut unaufhaltsam über ihn hinwegrollte, dass er sein Schluchzen nicht länger konnte verbergen, dass die Jahre supprimierter Worte und Emotionen aus ihm herausbrachen ohne dass er dies konnte unterbinden. Und wozu? Es schien, als hätte er seit endlos langer Zeit nur auf diesen einen Augenblick gewartet, nur darauf, Faustus gegenüberzustehen. Endlich war die Wahrheit ausgesprochen, endlich musste er nicht mehr seine Worte abwägen, nicht mehr zurückhalten, verschleiern, vertuschen. Endlich konnte er für einen Augenblick zurückkehren zu dem, der er einst gewesen war.
    "Ich ... ich habe sie geliebt, die Wahrheit, … so wie ich dich geliebt habe, carbunculus meus, und … und wenn du gekommen bist, um zu be..enden, was ich nicht fähig bin zu beenden ..."
    Er blickte hinab auf das Gladius, welches einem verschwommenen Geiste glich, seine Stimme nurmehr ein Flüstern.
    "So beende es."
    Keine Sekunde glaubte Gracchus daran, dass Serapio würde zögern ihn in die Fluten des Styx zu befördern, hatte er doch die Glut der Leidenschaft erlebt, mit welcher er liebte, welche zweifelsohne gleich war der, mit welcher er hasste. Voller Furcht vor dem Tode schloss Gracchus die Augen, presste seine Lider fest aufeinander in Erwartung des gewaltigen Schmerzes, welcher die Klinge zweifelsohne würde evozieren. Sein Leib bebte, und seine Linke hielt noch immer den Haltegriff der Lampe umschlossen als wäre dies der letzte Rettungsanker, an welchem er sich konnte halten, so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Entgegen all den Erzählungen der Literatur, in welchen der Protagonist im Augenblicke des Todes sein gesamtes Leben noch einmal an sich vorüberziehen glaubte, sah Gracchus nur tiefe, schwarzfarbene Dunkelheit - doch allfällig war dies sein Leben gewesen: tiefe, schwarzfarbene Dunkelheit - und tatsächlich konnte er nicht sich entscheiden, ob er nun glücklich war, dies alles endlich hinter sich zu lassen, oder trotzallem voller Wehmut.

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  • Das Schicksal hatte mir einen Knochen hingeworfen. Manius stand vor mir. Da stand er. Allein. Rache. Endlich.
    Der Moment war gekommen, in dem ich ihm endlich das würde zurückzahlen können, was er mir angetan hatte. Eine schwärende Ewigkeit lang war ich der gewesen, der eingekerkert war und geschunden, hilflos ausgeliefert, verhöhnt und verlacht.
    Jetzt war ich der mit dem Schwert.


    Ich sah ihn zurückweichen, ich sah ihn zittern, ich sah seine Tränen... und es war nicht genug. Es war noch lange nicht genug.
    "Du pathetischer Mistkerl" flüsterte ich zornbebend, "du willst dich einfach davonstehlen, ja?"
    Zum ersten Mal verstand ich, verstand ich von Herzen, was Massa damit gemeint hatte, als er mir die mors voluntaria verächtlich gemacht hatte. "Mein Schwert ist viel zu gut für dich." Konsterniert ließ ich es sinken. Wenn ich ihm einen Gefallen damit tat, ihn ihns Jenseits zu befördern...
    "Elender... elender Feigling!" Blindwütig schleuderte ich statt dessen die Blendlaterne gegen die Wand neben ihm - sie polterte zu Boden, und auf dem Pflaster lief das Öl aus, bildete eine Lache, über die geisterhaft die roten Flammen huschten – und dann packte ich ihn an der Tunika, und knallte ihm die um den Schwertgriff geballte Faust ins Gesicht. Mittenrein in die verräterische Visage.
    "Die Wahrheit hast du geliebt?! Mich hast du geliebt?! Lügner, erbärmlicher Lügner, du kannst ja den Mund nicht öffnen ohne zu lügen. Verraten hast du mich, belogen hast du mich, das Reich ins Verderben gestürzt hast du, mit Lügen verpestet, du und deine Verschwörerkumpanen, benutzt hast du mich, und meinen Namen in den Schmutz getreten und... und ich...... ich liebesblöder Trottel... ich hab dir noch geglaubt... hab an dich geglaubt..."
    Doch wo war mit einem Mal der Zorn geblieben? Wo war die hitzige Wut, die mich getragen hatte, wo war die Kraft in meinen Armen, wo war der Klang meiner Stimme.... Tränen stiegen mir in die Augen, unendliche Trauer schnürte meine Kehle zusammen.
    "Bis du mich fallen gelassen hast..." flüsterte ich, "und im Kerker verrotten..." Tränen? Ich hatte nicht mehr geweint seitdem, die Tränen waren versiegt und ich hatte mich an die Taubheit gewöhnt... aber jetzt rannen sie mir über das Gesicht, und nahmen gar kein Ende. "Wir... wir hatten..." schluchzte ich, "etwas so ungeheuer schönes... aber du..." Meine Schultern zuckten haltlos. Ich rang nach Atem, schniefte und konnte gar nichts dagegen tun, der Strom der Tränen floß unaufhaltsam, ich heulte Rotz und Wasser, das Schluchzen drang abgehackt aus meiner Brust, und dazwischen kamen meine Worte gepresst, kaum noch zu verstehen: "Du hast... unsere Liebe verraten... für... deine beschissene Verschwörung. "

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    Klient - Decima Lucilla

  • Um ihn und in ihm war alles gänzlich anders als Gracchus den Tod sich stets hatte imaginiert - insbesondere jenen durch das kalte Metall des Gladius -, denn kein stechender Schmerz durchfuhr seinen Leib, keine grausame Kälte umfasste, keine Marter, Qual und Pein erwarteten ihn - und einen Augenblick befiel ihn entsetzliche Panik in der Erkenntnis, dass eben dies die Realität seines Todes war, dass eben schlichtweg nichts sich transformierte, da er gefangen war in dieser Dimension, verdammt dazu für alle Ewigkeiten als Larve über die Erde zu wandeln.
    Mein Schwert ist viel zu gut für dich.
    Es waren Serapios Worte, welche ihn erlösten, auf welche hin derangiert er seine Augen wieder öffnete, blinzelnd ob der Feuchtigkeit in seinen Augen. Er war nicht tot - und Gracchus wollte nicht bestimmen, was mehr ihn schmerzte, eben diese Tatsache oder die Wahrheit, welche in Form Faustus' Worten kaum weniger vexierend als die Klinge in sein Bewusstsein sich bohrte - dass er nicht einmal mehr den Tod durch ein römisches Gladius hatte verdient. Noch ehedem indes weitere Gedanken sich konnten in seinen Sinnen formulieren schleuderte Faustus seine Lampe an die Wand neben ihm und sogleich fluteten ob dieser brutalen Vehemenz, wiewohl der daraus entstehenden Fährnis wieder Furcht und Panik durch seinen Leib, welche Bruchteile eines Augenblickes später ihren Kulminationspunkt fanden in einem mehr als schmerzhaften Aufprall Serapios Faust auf die Knochen seiner Wange. Selten zuvor in seinem Leben hatte der Flavier einen solchen Schmerz verspürt, selten im Leben war er Teil, war er Ziel solcherlei roher Gewalt gewesen, und die Tränen, welche nun aus seinen Augen rannen waren Reaktion auf die Heftigkeit dieses Augenblickes. Bis auf einen erstickten Laut des Schmerzes war er nicht einmal mehr fähig zu einer Reaktion, konnte nurmehr aus einem tiefen Winkel seines Selbst perzipieren, die Tirade der Anklage Serapios über sich ergehen lassen, konnte allen Vorhaltungen ohnehin nur sich ergeben, da eine Entkräftung der Wahrheit kaum möglich war. Nur ein einziger Brocken seiner Integrität war letztlich noch übrig, welchen er verzweifelt suchte zu ergreifen.
    "Nein"
    , frondierte er leise.
    "Alle … alles … habe ich ver..raten, aber … aber nicht … unsere Liebe."
    Einige schreckliche Augenblicke suchte er sich zu entsinnen, doch er wusste nicht, ob dies tatsächlich die Wahrheit war, war sich nicht dessen sicher, was er alles mochte getan haben, traute nicht seiner Erinnerung, nicht seinen Gedanken.
    "Das … das wollte ich nie."
    Vor ihm zerbrachen Zorn und Ingrimm, zerfielen in endlose Enttäuschung, welche weitaus schlimmer war zu ertragen als aller Hass, wandelte der aggressive Soldat sich zu einem Veteran des Krieges - seines Krieges. Erst nun, im Schein des brennenden Öls auf Wand und Boden, sah Gracchus vollends, was dieser Krieg, was er aus Serapio hatte gemacht, zu was der einst strahlende Heroe verkommen war, wurde dessen sich bewusst wie absurd marginal seine eigene Pein sich gestaltete, wie lächerlich sein eigener Verlust war im Angesichte dessen, was Serapio hatte erdulden müssen, was Serapio hatte verloren. Langsam streckte Gracchus seine Hand, zögerte einen Augenblick als fürchtete er durch die geringste Berührung diesen fragilen Rest Mensch vor sich zu zerbrechen, allfällig den Traum der vor ihm stand, fasste schlussendlich jedoch Faustus' Schulter, trat - noch immer ein wenig unsicher - einen Schritt auf ihn zu, und zog, als endlich diese Distanz überwunden war, den einstigen Geliebten an sich, um einen Arm um ihn zu legen. Ein Schaudern überkam ihn, doch er hatte kein Recht darauf, diese Berührung zu genießen, so sehr es ihn auch danach dürstete.
    "Ich bin so froh, dass du am Leben bist!"
    hauchte er und sog den Augenblick in sich ein. Ein eigentümlich fremder Geruch umgab Serapio, sein Leib wirkte mager und knochig, ausgezehrt und schwach verglichen mit dem einstigen Helden, doch all dies war nur äußerer Schein und Gracchus wusste, wie wenig auf diesen Verlass war. In dieser faden, glanzlösen Hülle war Faustus verborgen, sein carbunculus, und er wusste, so sehr dieser Faustus ihn auch würde hassen, er würde nicht aufhören können, ihn zu lieben. Er hatte sein Herz und seine Seele berührt, hatte sein Leben verändert, hatte bewiesen, dass Liebe blind machte - war sein Herz doch derart von Faustus' Glanz überstrahlt gewesen, dass er gar sein Familie, gar sich selbst darüber hatte vergessen wollen -, er hatte seine Lippen geküsst, seinen Leib liebkost, hatte Träume und Bett mit ihm geteilt, hatte jedes Detail an ihm erforscht und war süchtig nach ihm geworden..
    "Ich habe dich nicht fallen lassen, … du ... du bist mir beständig durch die Finger geglitten ... bis dass du zuletzt gänzli'h abgängig warst."
    Zu einem anderen Zeitpunkt hätte dies allfällig ein Lächeln auf Gracchus' Lippen gespült, denn so war es oft zwischen ihnen gewesen, so oft hatten sie sich verpasst, so oft hatten sie ihre Nachrichten zu spät erhalten, so oft war Faustus auf einmal fort gewesen, unterwegs in klandestiner Mission der Prätorianer - doch in diesem Augenblicke war ihm nicht nach Lächeln zumute. Er hatte alles zerstört, daran bestand kein Zweifel, er wusste nicht einmal mehr, wie er dem hatte zustimmen können, wie er je an die Zukunft dessen hatte glauben können, was er hatte getan.
    "Ich … habe keine Re'htfertigung, keine Apologie und keine Ausrede. Ich … ich wollte dies alles nicht … nicht so, doch ... es ist auf irgendeine Weise geschehen, eins ums andere ... eins ums andere. Alles … alles ist mir durch die Finger geglitten und … und nichts kann ich halten."
    Mit mehr Ruhe als er selbst verspürte strich er über Faustus' Nacken.
    "Nur dich ..."
    , flüsterte er leise.
    "Lass mich dich auffangen ... und halten."

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  • Oh die süßen Lügen...! Wie unendlich verlangte es mich danach, sie zu glauben... alles zu vergessen... einfach alles auslöschen und neubeginnen... erwachen und erkennen, dass sein ungeheurer Verrat nur ein böses Traumgespinst gewesen war... In seine Arme sinken wollte ich... unwissend sein und glücklich werden. -
    Nein, ich war ja bereits in seine Arme gesunken. Meine Beine waren zu flau, sein Griff zu fest. Schluchzend lehnte ich an ihm. Meine Stirn berührte seine Wange. Ich war zu schwach. Ohne Halt. Und sein Arm um mich, seine Hand an meinem Nacken, sie boten eine infame Vertrautheit, sie sprachen von dem, was wir einst gehabt hatten, und mein Körper erinnerte sich und sehnte sich... sehnte sich so schrecklich nach ihm.
    "Ausgerechnet...du..." schluchzte ich... "Manius..."
    Mein Kopf sank schwer an seine Schulter. Jämmerlich war das. Angesichts dessen, dass ich hergekommen war um mich zu rächen. Aber ich konnte nicht mehr. Ich konnte einfach nicht mehr.
    Mit überquellenden Augen sah ich verschwommen die Flammen auf der Öllache tanzen. Alles andere, alles ausserhalb unseres kleinen rotbeschienenen Flecks lag in tiefer Dunkelheit. Ich spürte wie er atmete, wie seine Brust sich hob und senkte. Endlich versiegten die Tränen.
    "Weißt du..." schniefte ich leise, "dass ich immer nur an dich gedacht habe... in der Dunkelheit... in dem Verlies... Ich habe... ich habe die Augen geschlossen und... wenn ich da auf der Pritsche lag... so dass meine Schulter die Wand berührte, dann... habe ich mir vorgestellt, es wäre deine Berührung... du wärst bei mir..."
    Ein Zittern ging über mich. Die Kälte des Gefängnisses hatte sich festgesetzt, in mir, in meinem Fleisch und meinem Gebein. Ich drängte mich gegen Manius, um an seiner Wärme teilzuhaben.
    "Immer an dich gedacht... ich hatte... eine Ewigkeit, um an dich zu denken... Und anfangs, da habe ich gedacht 'Manius wird mir helfen. Manius wird mich nicht im Stich lassen. Manius wird dafür sorgen, dass diese Qual bald vorüber ist."
    Meine Stimme war dünn, wie erstickt. Ich hob den Kopf und sah ihn glasig an. Ihn, der mich im Kerker hatte verrotten lassen.
    "Und die Zeit verging... und meine Schwester kam zu mir, und wir sagten uns gegenseitig 'Manius, ja, Manius, er wird uns beistehen'... und die Zeit verging... und dehnte sich zur Unendlichkeit... und zermalmte mich...und niemand kam zu mir, als die Keren, fett von eurem Krieg, die Keren die zwischen ihren blutigen Fängen die Fetzen der Gefallenen tragen... und ich habe an dich gedacht, und all deine Worte tauchten mir auf aus dem Vergangenen... und all deine Taten... und irgendwann... habe ich dann verstanden wie ungeheuerlich dein Betrug war. Ich wollte..." flüsterte ich, getrieben weitersprechend, tonlos, wie ein Irrsinniger "...sterben... aber nicht mal das ist mir gelungen... und ich habe mir dann etwas geschworen... was meinst du wohl... Manius, geliebter Manius..." Kalt und knochig streichelte ich seine Wange. Legte den Kopf schief und wiederholte eindringlich:
    "Was glaubst du wohl, was ich mir dort unten geschworen habe?"

  • Beinahe wünschte Gracchus sich, Serapio hätte nicht an ihn gedacht, hätte nicht ihn vermisst, ihn schlichtweg vergessen - es wäre alles so viel einfacher gewesen - zumindest für Faustus. Während dieser über die Dunkelheit sprach, die Ewigkeit, schloss Gracchus neuerlich die Augen, lag die Qual über seinem Antlitz.
    "Ich ... habe es versu'ht, Faustus ..."
    , wandte er zaghaft ein, entsann sich indes seiner eigenen Worte - keine Rechtfertigung, keine Apologie und keine Ausrede. Es entsprach schlichtweg der Wahrheit, dass er auch dies nicht hatte bewerkstelligen können, dass auch dies ihm entglitten war wie alles andere - von Anfang bis zum Ende. Hätte, könnte, müsste, sollte - es gab zu viele dieser Konjunktive in seinem Leben, zu viele Augenblicke, welche schlichtweg verstrichen ohne dass er daran teilhatte, zu viele Tempora, welche augenscheinlich nicht kompatibel waren zu seiner Realität. Trotz des Feuers erfasste auch ihn die Kälte, jene Kälte welche aus den Worten Faustus' strömte, jene Kälte welche er in Faustus' Blick konnte finden nachdem er die Augen wieder hatte geöffnet. Er fühlte sich leer, ausgehöhlt, exprimiert durch eine Gewalt, welche kein Erbarmen kannte mit der Nichtigkeit ihres Lebens.
    "Was auch immer es war"
    , entgegnete Gracchus tonlos.
    "Wenn du es mit Überzeugung hast geschworen, so musst du es voll..bringen. Denn hast du erst einen Schwur ge..brochen, wirst du dies nie wieder zurücknehmen können, wird ... die Wahrheit um dich schwinden und ... Lüge um Lüge dich umringen, eins ums andere, ... eins ums andere, ... und den Motten gleich, welche das Licht suchen, werden die Untergründigen sich um dich scharren, die dunklen Götter und rastlosen larvae, sie werden dem Moder des Eidbru'hes und der Lüge folgen, welcher dir anhaftet, dich überall finden, gleich wo du bist, in allen Schatten auf dich warten, in allen Winkeln und Ritzen, bis hinab in deinen Geist, bis tief in deine Träume, und sie werden allzeit wispern und raunen zu jedem Wort, welches du spri'hst, sie werden keifen und zetern zu jeder Entscheidung, werden lamentieren und klagen, torquieren und jagen, ihre kalten Klauen nach dir strecken, mit ihrem eisigen Hauch dich be..decken, bei Tage und bei Nacht, jeden Augenblick, jeden Herzschlag, eins ums andere dich tiefer und tiefer ziehen, in ihr Netz dich weben aus Lug und Trug, bis dass du selbst nicht mehr kannst differen..zieren zwischen dem, was tatsächlich geschehen ist, und dem, was du glaubst, dass geschehen ist."
    Er fasste Serapios Hand und hielt sie fest, sein Blick durchdringend.
    "Was auch immer es war, Faustus, du musst es tun."

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  • Er habe es "versucht" beteuerte er. Aber sicher. Er hatte es ebenso sehr "versucht" mir beizustehen, wie dieser wortgewandteste aller Lüger "die Wahrheit geliebt" hatte, und genauso wie der Giftmord an den Ulpiern "auf irgendeine Weise geschehen" war.
    So hübsche Worte. So widerliche Taten. Kalte Verachtung kroch in mir empor. Ich ließ meine Hand auf seiner Wange ruhen und betrachtete ihn mit böser Nüchternheit, als sähe ich ihn zum ersten Mal wirklich. Bar meiner Liebesverblendung betrachtete ich ihn einen grausigen Augenblick lang... wie ein Zerrbild... nackt... seiner schillernden Wortschleier und Fabuliergespinste beraubt. Auch nur ein intriganter Patrizier. Auch nur ein weiterer Verschwörer, der von seiner hohen Warte aus andere für sein Machtstreben in den Tod schickte. Bloß, dass er für seine Machenschaften ein wenig zu zart besaitet war. Bloß, dass sie ihm über das noble Haupt gewachsen waren.


    "Die Netze von Lug und Trug..." wiederholte ich leise, beklommen von dem Nachtmahr der mich aus seinen dunklen Worten lauernd anstarrte... und kämpfte dagegen, mich erneut in seinen Bann ziehen zu lassen. Sein Schrecken... war nicht der meine. Und Mitleid war das letzte, wirklich das allerletzte, was er verdient hatte.
    "...hast du allein gewebt! Du hast mich belogen, du hast mich verraten. Du belügst das ganze Reich, jeden Tag aufs neue! Die... Eumeniden... haben allen Grund der Welt, sich an deine Fersen zu heften!"
    Ruckartig machte ich meine Hand von seiner frei.
    "Ich habe mir geschworen, dass ich niemals wieder, hörst du Manius, dass ich NIE wieder auch nur ein EINZIGES Wort deiner honigsüßen Lügen glauben werde!" fauchte ich ihm ins Gesicht. "Verstehst du?! Spar dir das Gesäusel, lass die wohlfeilen, hohlen Worte, auf dich falle ich nicht mehr rein! - Du willst mich... mich auffangen, nach allem was du mir angetan hast?! Ausgerechnet du?" Ich lachte hysterisch auf, und verlangte, als wäre es ein absurder Scherz: "Ja, gut! Fang mich auf Manius! Du, und deine Kumpanen, ihr habt meinen Namen in den Schmutz getreten, also... Wasche meinen Namen rein! Stell dich auf die Rostra, stell dich vor den Senat, und sag endlich die Wahrheit. Sag ihnen allen wie es wirklich war!!"
    Höhnisch erwartete ich die wohlgeformten Ausflüchte, die nun zweifelsfrei folgen würden, und mit denen er sich selbst Lügen strafen mußte... doch zugleich hatte ich mich wiederum selbst in meinen Worten verstrickt, und die irrsinnige Wunschtraum-Vorstellung, er könne den Wahnsinn, den ich ihm da abverlangte tatsächlich tun, stahl sich wie eine falsche Schlage in meine Gedanken hinein...
    Und wenn es so wäre flüsterte sie, und spann heimlich, irgendwo in einem entlegenen Winkel meines Geistes idiotische Märchengeschichten: dann würden wir gemeinsam fliehen... alles hinter uns lassen... das geschehene vergessen... und irgendwo gemeinsam ganz neu anfangen... (seine Sonnenbarke besteigen... ferne Länder bereisen... und wenn sie nicht gestorben sind...)

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  • In einem leisen, desperaten Anflug von Protest öffnete Gracchus' Mund sich ein wenig, doch letztlich konnte seiner Kehle kein Laut entweichen, konnte kein Wort aus seinen Sinnen sich den Weg in Freiheit bahnen. Es konnte keinen Protest geben. Keine Dementi. Kein Veto. Er allein hatte dies Netz gewebt. Er. Allein. Er allein hatte diesen Pfad beschritten, hatte jede Entscheidung getroffen, jede Tat begangen, jedes Wort gesprochen oder verwehrt. Dies war sein Leben - es gab keine omnipotenten Götter, welche er konnte in die Verantwortung nehmen für die abstrusen Wendungen der Welt um ihn her, es gab kein unumstößliches Schicksal, welches er konnte in die Verantwortung nehmen für die widersinnigen Ereignisse in seinem Leben, und es gab auch keinen schlechten Literaten, welchen er konnte in die Verantwortung nehmen für den Bruch seines Charakters. Er allein, so wie er in diesem Augenblicke im lebhaften, überfüllten und laut feiernden Saturnalien-Rom stand - allein in der Dunkelheit seiner selbst.
    "Ich kann nicht"
    , flüsterte er leise und senkte den Blick in das Feuer zu seinen Füßen. Wenn dies im Feuer würde enden, würde er einzig alleine brennen, einzig, allein. Neuerlich bahnten Tränen sich ihren Weg, doch diesmalig biss Gracchus fest seine Kiefer aufeinander, sie in sich zu halten.
    "Ich kann nicht dich auffangen, indem ich jene, die mir ge..blieben sind, fallen lasse."
    Vermutlich würde man ihn ohnehin nur für wahnsinnig erklären, so wie sie es mit Domitianus schon einmal hatten getan - zweifelsohne mit Blick auf eben diesen -, im besten Falle ihn klandestin eliminieren und seine Familie bemitleiden, im schlimmsten Falle ihn seiner Ämter entheben, der Lächerlichkeit preisgeben und seine Familie schmähen.

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  • ...... irrsinnige Wunschträume, weichliche Phantastereien, die natürlich sogleich hinweg gefegt wurden, als er, wie zu erwarten, wiederum die nächsten Ausflüchte vorbrachte, und seine süßen Worte sich wiederum als leere Lügen entpuppten.
    Schwätzer. Verächtlich stieß ich die Luft aus, trat einen zittrigen Schritt von ihm zurück, und noch einen, und sagte leise im Zurückweichen:
    "Und was werden sie wohl sagen, die deinen, wenn sie erfahren, was du getan hast? Wenn ich deine dreckigen Geheimnisse ans Licht ziehe... Du und deine Spießgesellen, ihr habt meinen Namen durch Lügen in den Schmutz getreten... aber um deinen Namen zu vernichten, Manius meus, dafür genügt es ja schon, ganz allein die Wahrheit kundzutun. Was werden sie sagen, die deinen, wenn die ganze Stadt davon erfährt, von eurem widerlichen Mordkomplott und - ach ja, nicht zu vergessen! - von deinen ganz persönlichen Vorlieben..." Meine Stimme war wie Gift, verströmte den schwärenden Eiter, der sich angesammelt hatte in der Zeit der Demütigungen und des Verrates.
    "Du hast gesagt, du könntest den Preis nicht bezahlen für das was du getan hast... Aber das wirst du. Wenn sich die ganze Stadt die Mäuler zerreißt über dich, Kaisermörder und Cinaedus, und alle es wissen, und deine Familie sich abwendet, und du... allein bist, ein Aussätziger, wahrlich allein... und die Keren kommen um ihre Klauen in deinen Geist zu schlagen... und du fällst..."


    Schon während ich es aussprach, wußte ich, dass ich es nicht tun würde. Dass meine Drohungen ebenso leer waren wie seine süßen Worte. Aber ich wollte die Furcht in seinen Augen sehen. Wollte, dass er das was er mir angetan hatte selbst erlitt – und sei es auch nur als der Vorstellung blasser Widerhall. Abrupt wandte ich mich ab, und ließ ihn allein, damit, und mit der Verwünschung auf der Wand, trat hinaus aus dem Feuerschein, kurzzeitig blind in der stockdunklen Nacht. Einfach nur weg strebte ich, auf Beinen die schwach waren wie labbriger Puls. Irgendwann stolperte ich in der Finsternis gegen eine Gebäudeecke und bemerkte erst da, dass ich noch immer die Hand um das Heft meines Gladius' gekrampft hatte. Ungelenk steckte ich es weg. Wischte mir mit einem Umhangzipfel Tränen und Rotz aus dem Gesicht. Ravdushara war es dann, der mich da aufspürte, und zurückbrachte in den Unterschlupf drüben in Trans Tiberim...


    Dieses war das übrigens einzige mal, dass ich eigenhändig römische Wände beschrieb. In Zukunft würde ich diese verantwortungsvolle Aufgabe wieder ganz den namenlosen Handlangern überlassen.

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  • Vor Angst erfüllt weiteten Gracchus' Augen sich als Serapio seine Drohungen sprach, davon ihn bloßzustellen, mit einer Leidenschaft, welche der Flavier in den angenehmeren Seiten des Decimus einst hatte kennen gelernt, deren Heftigkeit nun doch nurmehr Furcht in ihm evozierte. Einen Augenblick wollte er widersprechen - denn seine Familie würde nicht sich abwenden, er würde nicht alleine bleiben, im Gegenteil, sie würden mit ihm fallen, und dies - Antonia und seine Kinder diskreditiert zu wissen durch seine eigene Tat, seine Familie den Klauen der Larven ausgeliefert -, dies war weit bedrohlicher für Gracchus als der Verlust seiner eigenen Ehre. Doch es gab keine Gelegenheit, sich dem zur Wehr zu setzen, denn Serapio hatte bereits sich abgewandt, verschwand in der Dunkelheit ohne ein weiteres Wort.
    "Faustus, nein ..."
    , keuchte Gracchus und sank zitternd, mit dem Rücken zur Wand an eben dieser hinab. Die Zeit verrann, während Gracchus in die Flammen starrte und das grauenvolle Ende seiner Familie erblickte, die leeren, bleichen Augen seiner Gemahlin, welche noch auf dem fernen Totenbette nur einen Fluch noch würde für ihn auf den Lippen tragen, die dürren, ausgemergelten Leiber seiner Kinder, welche zu niederster Arbeit würden gezwungen sein nach dem tiefen Fall ihrer Familie, selbst seine fernen Anverwandten, welche tagtäglich nurmehr Spott und Häme wären ausgesetzt, dass Rom für sie nie wieder ein Zuhause konnte sein.

    ~~~

    Einige Zeit später kehrte ein Sklave - allfällig war es einer der Küchenjungen, welche die Speisen auftrugen, allfällig der Gärtner, Gracchus konnte es weder zu dieser späten Stunde, noch vermutlich zu jeder anderen Zeit mit Bestimmtheit sagen - zur Villa zurück und fand seinen Herrn neben der offenen Porta, zu Füßen noch immer einen Rest der Lampe am Boden brennend, vor. Obgleich es die Saturnalien waren so löschte er das Feuer, half seinem Herrn in das Haus hinein bis zu dessen Cubiculum - welches Gracchus allein zweifelsohne nicht mehr hätte gefunden -, und gehorchte auch dessen Befehl nach einem frischen Krug Wein.

    ~~~

    Am nächsten Tage schlief Gracchus weit in den Mittag hinein, doch das böse Erwachen ereilte ihn unbarmherzig. Die Kanne Wein auf seinem Nachttisch war leer, sein Kopf dröhnte und pochte in allen Tonlagen eines Trommelmarsches, dunkel glaubte er sich an einen jungen, nackten Leibe in seinem Bett zu entsinnen, doch den größten Schrecken barg die Erinnerung an Faustus' Erscheinen vor der Villa. Lange zerbrach er sich den Kopf darüber, ob dies tatsächlich geschehen war, ob dies nicht alles ein Traum - ein Albtraum - mochte gewesen sein, doch letztendlich wagte er nach einigen Tagen seinen Vilicus Sciurus nach den Schmierereien an der Wand zu befragen. Zweifelsohne war dies alles ein Albtraum, doch einer von jener Sorte, welche die Realität in sich barg - gleichwohl wusste Gracchus, dass er versuchen musste, Faustus aufzufangen ohne seine eigene Familie fallen zu lassen - gleich um welchen Preis.

    ~~~ finis ~~~

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