Blonde Löckchen kringelten sich um das bleiche Gesicht, während Neriman sich über den dampfenden Kessel beugte und von einem kleinen Löffel kostete. Nachdenklich spürte sie den Gewürzen nach, auf der Suche, das fehlende zu finden. Es gab nicht viel davon in dieser kleinen Garküche und so waren die wenigen Gerichte ähnlich im Geschmack. Neriman störte das nicht, sie war nur hier, um Geld zu verdienen. Geld, das sie so dringend benötigte.
Aus Angst, Herodorus in die Hände zulaufen, und in der Hoffnung, wieder nach Hause zu kommen, war sie im Frühjahr aus der Stadt geflohen. Dort lagerten die Handelszüge, die kurz vor dem Aufbruch in ferne Länder waren. Neriman hatte gehofft, mit einer Gruppe reisen zu können, doch ohne Geld war niemand bereit, sie mitnehmen. Auch, dass sie die Sprache der Römer nicht verstand, war ein Hindernis, das kaum zu überwinden war, selbst, wenn man sprechen konnte.
Ein paar Tage versteckte sie sich vor den Toren der Stadt, stahl tagsüber vom Markt, was dringend nötig war und lag nachts lange wach. Schuld waren Hunger, Angst und Grübeleien darüber, eine Lösung zu finden. Irgendwann wurde ihr klar, sie musste das Geld aufbringen, im nächsten Frühjahr in einen der Handelszüge aufgenommen zu werden. Vielleicht fand sie mit Glück eine Gruppe, die sie nach Hause führen würde. Blieb nur die Frage, wie sie an Geld kommen könnte. Einen Glücksfall wie den, bei dem sie das Geldsäckchen "fand", würde es nicht mehr geben. Sie könnte arbeiten, doch da war noch die Gefahr, Herodorus Leuten in die Hände zu laufen.
Eines Abends beobachtete sie ein Mädchen, das sich auffällig unauffällig aus der Stadt schlich. Neriman folgte ihr. Es war eine kleine Sklavin, höchstens halb so alt wie sie selbst. Die beiden freundeten sich an. Neriman erfuhr, dass sie in einer Garküche lebte und arbeitete. Wenn es möglich war, erschlich sie sich etwas Zeit, wie am Tag ihrer ersten Begegnung. Als Neriman genug Vertrauen hatte und das Mädchen schließlich in ihr Schicksal einweihte, überlegte diese nicht lange. Sie nahm Neriman wortlos an der Hand und führte sie in das Haus, das die Küche beherbergte. Das kleine Zimmer, das sie bewohnte, teilte sie sich mit drei anderen Frauen. Alles Sklavinnen, die, wie sie später erfahren sollte, nicht nur ihren Dienst in der Küche tun mussten.
Das kleine Mädchen, ihr Name war Lala, erklärte ihren Gefährtinnen von Nerimans Schicksal und gemeinsam wussten sie Rat. Neriman musste sich verändern, dann konnte sie sich vorstellen und mit viel Glück durfte sie hier im Haus arbeiten und wohnen. Eine helfende Hand wurde immer gebraucht. So wurde das Haar blond gefärbt, das Gesicht gebleicht mit viel Puder. Von den wenigen Münzen, die sie für Notfälle zurückbehalten hatte, besorgten sie ihr frische Kleidung und schmuckvolle Haarnadeln, um ihr langes Haar zu bändigen. Unter einem schlichten Tuch, das ihr Haar zum Teil verdeckte, war sie kaum wiederzuerkennen. Als Neriman sich im Spiegel betrachtete, war sie sich vollkommen fremd, nur die grünen Augen und die dunklen langen Wimpern blieben unverändert.
Unbemerkt durch den Hinterausgang geschlichen, begab sie sich direkt zum Vordereingang wieder in das Haus. Und dort blieb sie auch. Von morgens bis abends stand sie seitdem in der Küche, immer in Angst vor Entdeckung, denn jeder, der hereinkam, konnte sie sehen. Es gab nur ein Hinterzimmer, doch dorthin würde sie niemals freiwillig gehen. Ab und an musste sie allerdings dort hinein, um die durchweg männlichen Gäste zu bedienen. Leicht fiel ihr das jedoch nicht.
Ihre einzige Freude in dieser Zeit war die Freundschaft zu Lala. Jede freie Minute verbrachten die beiden zusammen und waren auch dann nicht untätig. Neriman lernte von ihr die Sprache der Römer, was sich schwieriger darstellte als gedacht, denn Lala konnte weder schreiben noch lesen. Lala und Neriman fanden auch dafür eine Lösung, und so profitierten beide. Das kleine Mädchen ritzte wundervolle Zeichen in die Tafel und Neriman freute sich über die neuen Wörter, die ihr das Leben in dieser Umgebung sehr viel leichter machten.
Neriman würzte die Suppe, bis sie zufrieden mit dem Ergebnis war. Dann füllte sie ein paar Schöpfer in tiefe Teller und brachte sie den wartenden Gästen. Dass sie nicht sprechen konnte, störte nicht, es fiel auch nicht auf. Lächelnd nickte sie den jungen Männern zu, um ihnen einen guten Appetit zu wünschen. Dann ging sie wieder ihrer Arbeit nach.
Wer sich angesprochen fühlt, mir als Besitzer dieser Küche, bzw. als Mitarbeiter oder Gast selbiger, die Zeit zu vertreiben, ist herzlich eingeladen.