[Hortus Amafidii] Eine Einführung in die Lehre des Epikur

  • Mit ihrem Aufbegehren erhielt die Medica nun endlich eine durchaus ansprechende Begründung für die Negierung der Götter durch die Epikureer. Sie konnte durchaus einige Argumente nachvollziehen und für sich annehmen, aber längst nicht alle. Für Chrysogona war der menschliche Körper und sein wundersames Funktionieren ein eindeutig göttliches Zeichen. Nur die Götter konnten in der Lage sein, so etwas zu erschaffen. Und das traf nicht nur auf den Menschen zu, sondern auch auf Tiere, Pflanzen und ebenso die unbelebte Natur - somit alles was man als "die Welt" bezeichnete. Wer, wenn nicht die Götter, konnten so einen Schöpfungsakt vollbringen. Chrysogona begann ihre Sichtweise zum Besten zu geben.
    "Neben der Schöpfung der Welt und der Lebewesen, die in meinen Augen ein göttliches Werks sind - sein müssen (!) - ist das Wirken der Götter nicht nur im Schöpfungsakt ersichtlich, sondern eben auch im täglichen Leben. Ich muss die Götter nicht fürchten sondern nur akzeptieren, dass es eine Macht gibt, die jenseits dessen liegt, was wir Menschen mit der Vernunft erfassen können. Wie sonst sind Krankheit und unerwartete Heilung zu erklären? Es gibt eben Dinge zwischen Himmel und Erde, zwischen Olymp und Tartaros, die sich nicht durch menschliches Wirken oder die Kräfte der Physik erklären lassen. Dass die Götter nicht alles bestrafen oder neben jede Lust den Schmerz stellen, ist selbstverständlich. Man opfert ja auch nicht für alles und jedes, was man sich wünscht oder was man fürchtet im Tempel. Nicht selten jedoch erlebte ich auf Kos wundersame Heilungen nach den Opfern im Tempel und den inbrünstigen Gebeten der Kranken. Genauso wie Heilungen nach eine Nacht im Inkubationsschlaf, wo Asklepios den Heilungssuchenden im Traum erschien. Wie erklärst du dir das? Ist darin nicht mehr als deutlich das Wirken der Götter zu erkennen?"


    Sie legte wieder ihren Kopf ein wenig schief und sah den Lehrer mit durchdringendem Blick aus dunklen Augen an. Doch Chrysogona war noch nicht fertig.
    "Was das Schicksal angeht, sehe ich auch den Wunsch und das Wirken der Götter. Ich bin fest überzeugt, dass es mein Schicksal ist, zu heilen. Und wer sagt dir, dass du deine Profession aus eigenem Willen und Wunsch gewählt zu haben? Was ist denn das - der freie Wille? Wie frei kann der Wille sein? Sind wir nicht alle determiniert durch Eltern, Abstammung, Herkunft und Ausbildung? Wie frei war deine Entscheidung Philosoph zu werden? Haben nicht die Götter dich zum Kind deiner Eltern gemacht, die eben einen Sohn zum Studium schicken konnten, anstatt als Färber mit den Füßen im Urinbottich zu treten? Wärst du Philosoph geworden, wenn deine Eltern Sklaven gewesen wären? Wie frei ist der Mensch? Sind es nicht doch eher die göttliche Vorsehung die unser Schicksal bestimmt?"

  • "Ist es dieses Haus?"
    , fragte der junge Flavius furchtsam und ergriff den Arm seines Dieners Patrokolos ein wenig fester, als sie durch jene ihm gänzlich infamiliare Gasse wandelten, welche ihren Informationen zufolge die Heimstatt eines Philosophenzirkels beherbergte, der seit vielen Jahren der Lehre Epikurs war verpflichtet und stets eine offene Pforte für all jene darbot, die ein Interesse für jenen durchaus populären Antipoden der gestrengen Stoa hegten. Auch Manius Minor war in Alexandreia zu jener durchaus konzisen Lehre konvertiert, obschon Manius Maior ihm hatte geboten, sich der epikureischen Lebensweise ab- und der Vita activa zuzuwenden, was der Jüngling in Furcht um die Annehmlichkeiten seines aristokratischen Lebens äußerlich hatte akzeptiert, innerlich jedoch seitdem bitterlich bereute und lediglich im Konsum des Opiums zu ertränken vermochte. Als indessen eines Tages Patrokolos ihn hatte informiert, dass unweit der Villa Flavia Felix jener Kreis des Chairedemos existierte, hatte nach länglichem Zögern er beschieden, seinen immer drängenderen Durst nach dem Tetrapharmakon, welcher durch seinen beständigen Verrat an der Weisheit seines Heroen immer vehementer brannte, zu stillen, indem er zumindest es wagte, einmalig jenen präsumierten Garten Eden der Philosophie zu visitieren.
    "So weit ich weiß, ja. Aber es gibt nur eine Option, es herauszufinden."
    Ehe noch sein Herr zu intervenieren imstande war, klopfte der Sklave an die Pforte des Hauses.

  • Einer der beiden Haussklaven öffnete die Tür, als es mitten am Tag dort klopfte. Vor ihm standen ein dicker Römer, offensichtlich ein Senatorensohn, und sein Begleiter.
    "Ja bitte?"
    fragte er.

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Wieder hörte der Praetonier aufmerksam zu und legte sich interessiert den Zeigefinger an die Lippe. Dann setzte er zur Antwort an:
    "Nun, wirst du leugnen wollen, dass auf der anderen Seite ein Großteil der Kranken nie aus dem Inkubationsschlaf erwacht? Dass viele, die große Opfer darbringen, am Ende doch nicht geheilt werden, sondern kläglich sterben?
    Und überhaupt, warum sollten sich die Götter an Opfern und Gebeten freuen? Warum sollten sie Krankheit schicken und wozu Heilung? Welchen Nutzen sollten sie als unsterbliche, perfekte Wesen haben, eine Welt zu erschaffen?
    Mir fällt es schwer zu glauben, dass es unsterbliche Götter gibt, die seit Äonen leben, deren vermeintliches Handeln aber eher an die Launen eines Kleinkindes erinnern, der willkürlich hier Schaden anrichtet, dafür dort etwas Gutes tut."

    Das waren die Zweifel, die wohl jedem vernunftbegabten Menschen aufkommen mussten, wenn er es wagte, die scheinbar göttlichen Ratschlüsse zu hinterfragen.
    "Epikurs Vorstellung der Götter erscheint mir da sehr viel plausibler, nämlich dass sie sich nicht mit unserem Schicksal bekümmern - als Unsterbliche sollten sie ja kaum darauf angewiesen sein, sich vom Rauch verbrannter Opfertiere zu ernähren. Das Geplapper unserer Gebete dürfte ein Wesen, das ganze Welten erschafft und Naturkatastrophen bewirkt, kaum mehr interessieren als das Zirpen der Grillen uns Menschen. Was sollte der armselige Mensch einem Gott zu bieten haben, dass er erhört wird?
    Anstatt sich also mit unserem Schicksal zu belasten, wäre es für solche Wesen doch sehr viel plausibler, sich weit von den Sorgen dieser Welt mit sich selbst zu befassen und in ewiger Glückseligkeit vor sich hinzuexistieren."

    Damit hatte er noch einmal die Theologie Epikurs wiederholt. Blieb die Frage nach dem Schicksal:
    "Ist es göttliche Vorsehung, wer unsere Eltern sind, wo wir studieren und wofür wir uns in jeder Situation entscheiden?
    Um diese Frage zu beantworten, muss ich mir zuerst eine andere stellen: Woran sollte ich das erkennen?
    Für diese Frage stellt sich aber wieder die grundsätzliche Frage, wie ich überhaupt Dinge erkennen kann, womit wir bei der Kanonik sind, die ich an den Anfang dieses Kurses gestellt hatte.


    Epikur rät uns, unsere Sinne zum Ausgangspunkt unserer Erkenntnis zu machen. Denn wenn wir unseren Sinnen nicht trauen können, dann gibt es keine sichere Grundlage der Erkenntnis und jede Philosophie wäre müßig - konkret also: Ich beobachte bei mir und anderen Menschen, dass sie ihr Handeln reflektieren können, dass sie Argumente sammeln, sie abwägen und danach Entscheidungen treffen. Natürlich sehe ich auch unvernünftige Menschen, die einfach irgendetwas tun - aber potentiell scheint jeder Mensch dazu in der Lage, sich vernünftig zu entscheiden. Das ist für mich Anlass, an die Freiheit menschlichen Handelns zu glauben.
    Natürlich könnte ich auch meinen Sinnen misstrauen, wie es die Skeptiker tun. Die Illusion rationalen Entscheidens könnte ein Trugspiel der Götter sein. Aber welche Anhaltspunkte habe ich dafür? Oder welche Anhaltspunkte dafür könnte es überhaupt geben, wenn ich nicht einmal meinen Sinnen trauen darf? Im Grunde wäre unter diesen Umständen alles Spekulation, sodass das vernünftige Nachdenken überflüssig wäre."

    Er zuckte mit den Schultern.
    "Das ist natürlich eine legitime Annahme, aber meines Erachtens keine sehr nützliche. Dasselbe gilt meines Erachtens aber auch für die von dir genannte Vorsehung: Denn welche Schlüsse ziehe ich aus der Annahme, es gäbe diese Vorsehung, wenn ich nicht vernünftigerweise erkennen kann, wofür ich vorgesehen bin? Immer für das, was ich gerade tue oder für richtig halte? Dann hätte sie keine Relevanz für mein Leben, denn dann könnte ich ja im Grunde nicht gegen meine Bestimmung verstoßen, da jede Handlung Teil dieser Vorsehung wäre. Ich könnte sie weder annehmen, noch ablehnen, noch mich sonst irgendwie zu ihr verhalten.
    Wenn aber die Möglichkeit besteht, seine Bestimmung zu verlassen, kann dies nur dann für mein Handeln relevant werden, wenn ich die sichere Erkenntnis gewinnen kann, was meine Bestimmung ist. Also frage ich dich: Woran erkenne ich sicher, was mein Schicksal ist?"

  • Zitat

    Original von Narrator Italiae
    Einer der beiden Haussklaven öffnete die Tür, als es mitten am Tag dort klopfte. Vor ihm standen ein dicker Römer, offensichtlich ein Senatorensohn, und sein Begleiter.
    "Ja bitte?"
    fragte er.


    Erschrocken blickte der junge Flavius in das Antlitz des Sklaven, beinahe als jener ihn bei dem infantilen Jux ertappt, willkürlich an Pforten zu klopfen, um sogleich sich zu verbergen und sich über den Zorn der genarrten Öffner zu amüsieren. Neuerlich ergriff Patrokolos die Initiative und erklärte:
    "Wir suchen Praetonius Chairedemos und seinen Philosophenzirkel. Wir haben Interesse, uns ihm anzuschließen."
    Jene Worte erschienen Manius Minor reichlich prätentiös, da doch der Wunsch, sich einem epikureischen Kreise anzuschließen, leichtlich war misszudeuten in der Hinsicht, sein Leben hinter sich zu lassen, um gänzlich dem freien Philosophieren sich zu widmen, was die beiden ja keineswegs im Sinne hatten. Indessen stellte sich die Frage, warum jene Option nicht zu ergreifen wäre, so sie sich darbot. Womöglich handelte es sich bei dem Praetonius um einen Mäzen, similär zu Dionysios in Alexandreia, welcher von seinem reichen Erbe seine Freunde und Jünger auszuhalten im Stande war. Zweifelsohne eine bessere Perspektive, als sein Leben einer Lüge zu widmen, sich Tag für Tag mit der Unlust politischer Aktivitäten zu torquieren, um lediglich insgeheim den wahrhaften Einsichten zu frönen.
    Der Jüngling richtete sich auf und ergriff allen Mut.
    "Ich bin Manius Flavius Gracchus Minor und dies ist mein Freund Patrokolos."
    Warum sollte er es nicht einfach wagen? Welche Konsequenzen fürchtete er, wessen mochte er verlustig gehen? Würde jene illustre Runde ihm nicht zusagen, würde er sich schlicht retirieren und sein tristen Leben weiter fristen.

  • Zitat

    Original Praetonius Chairedemos "Nun, wirst du leugnen wollen, dass auf der anderen Seite ein Großteil der Kranken nie aus dem Inkubationsschlaf erwacht? Dass viele, die große Opfer darbringen, am Ende doch nicht geheilt werden, sondern kläglich sterben? Und überhaupt, warum sollten sich die Götter an Opfern und Gebeten freuen? Warum sollten sie Krankheit schicken und wozu Heilung? Welchen Nutzen sollten sie als unsterbliche, perfekte Wesen haben, eine Welt zu erschaffen? Mir fällt es schwer zu glauben, dass es unsterbliche Götter gibt, die seit Äonen leben, deren vermeintliches Handeln aber eher an die Launen eines Kleinkindes erinnern, der willkürlich hier Schaden anrichtet, dafür dort etwas Gutes tut."


    Entrüstet stützte die Medica die Hände in die Flanken. Was sollte heißen, sie wolle wohl nicht leugnen, dass einige Kranke nicht aus dem Inkubationsschlaf erwachten?
    "Für das Erwachen aus dem Inkubationsschlaf gilt dasselbe wie für das Erwachen aus dem Schlaf allgemein. Hypnos und Thanatos sind Zwillingsbrüder. Die Grenze zwischen Schlaf und Tod nur eine marginale. In meinen Augen wissen die Götter Opfergaben und Gebete durchaus zu schätzen, wenn du auch recht hast, dass nicht jeder der um Heilung fleht von den Göttern gehört wird. Doch weiß ich, was diese Menschen womöglich schon für verwerfliche Dinge gesagt und getan haben, so dass die Götter ihnen den Beistand verweigern?"


    Was Chairedemos weiter zu den Göttern sagte, grenzte an Blasphemie. Sie hütete sich weiter darauf einzugehen, denn sie wollte nicht wiederholen, was er verwerfliches von sich gab. Das Wirken der Götter mit den Launen eines Kleinkindes zu vergleichen - unerhört! Welche Hybris zu glauben, der Mensch sei in allen Entscheidungen Herr seines Schicksals! Ein göttliches Wesen war weit entfernt davon es als Last zu empfinden, wenn Sorgen und Nöte an es herangetragen wurden, es konnte sich mit Leichtigkeit um eigene Angelegenheiten kümmern und nebenbei die weltlichen Kleinigkeiten erledigen.


    Zitat

    "Ist es göttliche Vorsehung, wer unsere Eltern sind, wo wir studieren und wofür wir uns in jeder Situation entscheiden? Um diese Frage zu beantworten, muss ich mir zuerst eine andere stellen: Woran sollte ich das erkennen?
    Natürlich könnte ich auch meinen Sinnen misstrauen, wie es die Skeptiker tun. Die Illusion rationalen Entscheidens könnte ein Trugspiel der Götter sein. Aber welche Anhaltspunkte habe ich dafür? Oder welche Anhaltspunkte dafür könnte es überhaupt geben, wenn ich nicht einmal meinen Sinnen trauen darf? Im Grunde wäre unter diesen Umständen alles Spekulation, sodass das vernünftige Nachdenken überflüssig wäre.
    Dasselbe gilt meines Erachtens aber auch für die von dir genannte Vorsehung: Denn welche Schlüsse ziehe ich aus der Annahme, es gäbe diese Vorsehung, wenn ich nicht vernünftigerweise erkennen kann, wofür ich vorgesehen bin?
    Wenn aber die Möglichkeit besteht, seine Bestimmung zu verlassen, kann dies nur dann für mein Handeln relevant werden, wenn ich die sichere Erkenntnis gewinnen kann, was meine Bestimmung ist. Also frage ich dich: Woran erkenne ich sicher, was mein Schicksal ist?"


    Chrysogona misstraute durchaus dem Wahrheitsgehalt der Sinne. Schon oft hatte sie Patienten gesehen, die nicht mehr Herr ihrer Sinne waren, deren Sinne getrübt oder deren geistige Funktionen so verändert waren, dass sie in einer gänzlich anderen Wirklichkeit lebten. Wer konnte sagen, dass das was wir sehen oder denken auch die Wahrheit ist?
    "Mit Verlaub, werter Praetonius Chairedemos, die Sinne sind tatsächlich trügerisch und unser Geist auch. Nicht in jedem Fall sind die Sinne verlässliche Garanten für das Verständnis dessen, was wir als Realität oder Wirklichkeit - gar Wahrheit - bezeichnen. Ich habe oft erlebt, dass Menschen in einer gänzlich anderen Realität lebten. Wer will sagen, welche richtig ist und welche nicht? Wer ist die entscheidende Instanz für die Wahrnehmung und Wertung dessen was man wahrnimmt? Selbst unter uns gibt es womöglich welche, die deine Tunika für grün anstatt rot halten würden und Stein und Bein darauf schwören, dass es so ist. Woher nimmt Epikur die Gewissheit, dass ihm seine Sinne und sein Geist das Richtige und Wahrhaftige zeigen? Ist nicht auch er gefangen in seinem Körper und somit ist auch sein Denken ein Produkt dessen, was seine Sinne ihm suggerieren. Ist es nicht eher so, dass göttliche Wesen, die keinen Körper besitzen, eben nicht getäuscht werden können von ihren Sinnen und somit nur sie im Besitz der Wahrheit sein können?"


    Die Griechin liebte solche intellektuellen Streitgespräche. Wenn sie auch nie Epikureerin werden würde, so war die Philosophie doch eine ihrer liebsten Beschäftigungen. Das diskutieren über das, was die Welt im Innersten zusammenhält, war doch der Urgrund dessen, was den Menschen ausmachte. Deshalb setzte sie noch einen drauf.
    "Und was das Schicksal angeht: muss ich bei jeder Entscheidung wissen, was mein Schicksal ist? Muss ich es vorher erkennen? Wer sagt denn, dass mein Wissen um die Vorsehung für mein Leben relevant ist? Wenn es doch die Götter schon so gewirkt haben? Dann muss ich mich nur um ein moralisch einwandfreies Leben bemühen, um den Göttern zu gefallen, nicht aber um das, was die Götter in ihrer Weisheit mit mir vorhaben."

  • Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus Minor
    "Wir suchen Praetonius Chairedemos und seinen Philosophenzirkel. Wir haben Interesse, uns ihm anzuschließen."
    Jene Worte erschienen Manius Minor reichlich prätentiös, da doch der Wunsch, sich einem epikureischen Kreise anzuschließen, leichtlich war misszudeuten in der Hinsicht, sein Leben hinter sich zu lassen, um gänzlich dem freien Philosophieren sich zu widmen, was die beiden ja keineswegs im Sinne hatten. Indessen stellte sich die Frage, warum jene Option nicht zu ergreifen wäre, so sie sich darbot. Womöglich handelte es sich bei dem Praetonius um einen Mäzen, similär zu Dionysios in Alexandreia, welcher von seinem reichen Erbe seine Freunde und Jünger auszuhalten im Stande war. Zweifelsohne eine bessere Perspektive, als sein Leben einer Lüge zu widmen, sich Tag für Tag mit der Unlust politischer Aktivitäten zu torquieren, um lediglich insgeheim den wahrhaften Einsichten zu frönen.
    Der Jüngling richtete sich auf und ergriff allen Mut.
    "Ich bin Manius Flavius Gracchus Minor und dies ist mein Freund Patrokolos."
    Warum sollte er es nicht einfach wagen? Welche Konsequenzen fürchtete er, wessen mochte er verlustig gehen? Würde jene illustre Runde ihm nicht zusagen, würde er sich schlicht retirieren und sein tristen Leben weiter fristen.


    "Oh, dann tretet ein. Der Meister ist gerade mit seinen Schülern im Gespräch."
    antwortete der Sklave und bat sie herein. Dann führte er sie durch das kleine Haus in den Garten, wo Chairedemos gerade mit dem "Anfängerkurs" diskutierte. Nachdem Chrysogona ihr Argument ausgeführt hatte, schaltete er sich kurz ein:
    "Das sind Manius Flavius Gracchus Minor und Patrokolos."

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg "Wenn wir nicht wissen müssen oder können, was unser Schicksal ist - wozu sollten wir dann daran glauben? Wenn wir unserem Geist und unseren Sinnen nicht trauen, wozu dann philosophieren?"
    warf der Philosoph noch ein, ehe er den beiden Besuchern Aufmerksamkeit schenkte. Auch wenn er sich nicht für Politik interessierte, wusste er natürlich, was der Name Flavius bedeutete - wie schon im Fall des Prätorianertribuns und des iulischen Senators zeigte er aber keine besondere Ehrerbietung. Für ihn waren immerhin alle Menschen mehr oder minder gleich.
    "Was führt euch zu mir?"
    Um das Gespräch durch die unerwarteten Besucher nicht zu lange unterbrechen zu müssen - er war ja froh, dass die Diskussion nun endlich ein bisschen Fahrt aufgenommen hatte.
    "Wir diskutieren gerade über das Für und Wider der Götter, des Schicksals und die Vertrauenswürdigkeit unserer Sinne. Vielleicht habt ihr dazu ebenfalls eine Meinung?"
    Selbst wenn die beiden nicht gekommen waren, um Philosophie zu betreiben - obwohl es das nahe lag, wenn man einen Philosophenzirkel besuchte - war er gespannt, was sie dazu sagen würden. Bei einem Patrizier war die Meinung ja in der Regel relativ vorgegeben, aber vielleicht gab es hier ja eine Überraschung...

  • Die Erregung augmentierte sich von Schritt zu Schritt, während Manius Minor das beschauliche Häuslein durchschritt und final den Garten erreichte, wo bereits eine Schar an Jüngern sich um den Meister hatte versammelt. Obschon die gesamte Situation geradezu konträr sich zur ausgelassenen Stimmung des Hauses des Dionysios verhielt, erschien ihm die ruhige und gelehrte Atmosphäre durchaus attraktik. Auf einem Stein thronte das augenscheinliche Haupt des Zirkels, irritierenderweise keineswegs jenen lebensfrohen Wandel verkörpernd, welchen der junge Flavius als den epikureischen hatte erfahren, sondern vielmehr asketisch und in simple Gewänder gehüllt, was ihn geradezu als Inkarnation jenes Weisen ließ erscheinen, der Manius Minor nicht zu sein vermochte. Während der junge Flavius in grässlicher Dependenz von den irdischen Gütern gar hatte das Los eines närrischen Sklaven familiarer Traditionen hatte erwählt, erfreute der Praetonius erkenntlichermaßen sich an der reinen Philosophe und der gelehrten Disputation, welche er selbst für den Sohn eines Senatoren nur kurz interrumpierte.
    "Wie erwähnt ist mein Name Manius Flavius Gracchus Minor, Sohn des Consulars Manius Flavius Gracchus. Ich studierte bis vor kurzem am Museion zu Alexandreia die Philosophie des großen Epikur bei Aristobulos von Tyros. Zugleich schloss ich mich einem Philosophenzirkel an, weshalb ich nun auch hier in Rom die Philosophie nicht missen lassen möchte."
    , introduzierte sich der Jüngling ein wenig weitschweifig, um sogleich seine Intentionen wie philosophischen Qualifikationen zu offenbaren, obschon nun, da er in die Reihen blickte, die pseudogelehrten Disputationen in der Runde der Myrmidonen geradehin ridikulös erschienen, zumal neben Epimenides kaum einer der Disputanten zu sonderlich profunden Kommentaren war imstande gewesen.


    Auch Patrokolos ergriff das Wort:
    "Ich bin Patrokolos, der Diener"
    Mit sichtlicher Insekurität blickte der Sklave zu seinem Herrn, um sodann seine Relation zu ergänzen:
    "und Freund von Manius Flavius Gracchus Minor. Auch ich durfte in Alexandreia mit den Freunden meines Herrn diskutieren und interessiere mich ebenfalls für die Philosophie."


    Doch augenscheinlich war Chairedemos nicht gewillt, sich mit den Flüchtigkeiten von Namen und Professionen aufzuhalten, denn schon ging er in medias res und forderte seine neuen Schüler, als welche der junge Flavius sich mit der zweiten Frage verstand (so es sich nicht um eine Prüfung seiner philosophischen Kapazitäten handelte), zur Anteilnahme an der aktuellen Thematik auf. Fortunablerweise hatte Manius Minor indessen seinen Kurs zu Alexandreia nicht vergebens mit einer Diploma beendet, sodass er nicht ohne Stolz erwiderte:
    "Durchaus! Weder das Schicksal, noch alternative Interventionen der Unsterblichen in die Welt der Lebenden erscheinen mir konform mit der Lehre Epikurs. Hingegen will ich doch den Sinnen trauen, da sie doch den similären Zugang zur Welt repräsentieren, welchen wir besitzen."
    Hoffnungsvoll blickte er in die Runde der Philosophen in der Hoffnung, jene erste Prüfung mit Bravour bestanden zu haben. Ob der Nähe vermochte er die Antlitze der Schüler nicht zu identifizieren, doch ein Schreck durchfuhr ihn, als er zwischen ihnen eine Tunica Laticlava ausmachte, welche zweifelsohne dem Spross, respektive eher Manne aus senatorischem Hause zu attribuieren war.

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Ein Consularssöhnchen - das hatte Chairedemos nicht alle Tage (obwohl der Prätorianertribun, der nicht mehr kam, natürlich auch zumindest ein Consularsadoptivsohn gewesen war)! Aber solche Titel waren für den wahren Philosophen natürlich auch nur Schall und Rauch, sodass er knapp lächelte und sagte:
    "Es freut mich, dass ihr gewillt seid, mit uns zu philosophieren. Ich bin Praetonius Chairedemos und dies sind meine Schüler. Manche von ihnen sind schon länger bei mir, andere erst seit kurzem. Ihr dürft euch zu ihnen setzen."
    Damit waren die Neuen integriert - mussten sie nur noch etwas mehr verraten, was sie genau für Ansichten hatten. Er deutete auf die junge Medica und erklärte:
    "Plinia hier vertritt die Meinung, dass die Götter unser Leben bestimmen, wie sie im Asklepion anhand verschiedener Wunderheilungen bewiesen sehen will. Darüber hinaus verteidigt sie das Schicksal - ihr Schicksal, zur Ärztin berufen zu sein - , misstraut jedoch den Sinnen, die nur allzu viele Menschen täuschen."
    Er lächelte.
    "Ich denke, jeder von euch könnte zu einem dieser Themen Stellung beziehen. Das dürfte für den Anfang genügen."
    Er blickte zu den anderen Schülern.
    "Wobei natürlich jeder von euch ebenso etwas dazu sagen darf."

  • Noch immer blickte der junge Flavius auf den Latus clavus auf der Tunica des Iulius, welchen er zu identifizieren nicht imstande war, obschon er doch vor seiner Bildungsreise noch dessen Eheschließung höchstselbst hatte beigewohnt. In der Tat vermeinte er auch, die Silhouette und den Habitus bereits irgendwoher zu memorieren, doch wagte er nicht, Patrokolos in jener trauten Sphäre, in welcher kaum ein Flüstern den übrigen Studenten mochte entgehen, um seinen Rat zu bitten.


    Dessenungeachtet mühte sich der greise Magister, die Disputation seiner Jünger zu reanimieren und zugleich die Neuankömmlinge zu inkludieren, weshalb sogleich er bat, jene mögen als erste ihre Kenntnis kontribuieren, was sogleich die höchst unepikureische Ambitionen des jungen Flavius erweckte, seine rhetorische wie philosophische Exzellenz unter Beweis zu stellen.
    Mit einem furchtsamen Blick in Richtung des vermeintlichen Senators wagte er indessen nicht, sich des naheliegendsten der gestellten Themen anzunehmen und die Existenz der Götter zu kritisieren, weshalb schlussendlich er sich für ein Plädoyer zugunsten der Wahrhaftigkeit der aisthesis entschied:
    "Die aisthesis, die Wahrnehmungen unserer Sinne, bilden die Basis jeder Wahrheit, da independent von Vernunft und Irrtum sie die eidola, jene atomischen Konterfeie aller Marterie, aufnehmen. Erst der Verstand mag auf ihrer Basis irren, indem er diese irrtümlich zu prolepseis, den Vorbegriffen, klassifiziert. So mag ich eine wahre Wahrnehmung fälschlich interpretieren, doch bleibt die Wahrnehmung korrekt.
    Nähmen wir hingegen an, dass die Sinne selbst uns betrögen, so wäre keinerlei rationale Hypothese zu bilden, da jeder Begriff von Vernunft oder Wahrheit notwendig eine prolepsis darstellt, welche auf sinnlicher Wahrnehmung beruht. Zweifle ich jedoch an ihr, so muss ich ebenso an meinem Begriff zweifeln, womit jedwede Philosophie a priori ad absurdum wäre geführt."

    Erwartungsvoll blickte er hinauf zu der impressiven Gestalt des Praetonius in Erwartung einer Reaktion, dann hinüber zu jener augenscheinlichen Medica, welche in diesem Zirkel wohl die Advocata Diaboli repräsentierte.

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Chairedemos lächelte über die gestelzte Sprache des jungen Mannes. Dabei war die Erkenntnistheorie Epikurs an sich schon nicht ganz einfach - hier musste selbst er gut aufpassen, um zu verstehen, was er meinte!


    Er sah zu dem Sklaven.
    "Was ist mir dir?"
    Und wieder in die Runde der anderen.
    "Oder jemand anders? Oder möchtest du, Plinia, direkt etwas dazu sagen?"

    Sim-Off:

    Bitte einmal kurz Rückmeldung geben, ob ich demnächst den Test herumschicken kann!

  • Der Junge, der erst spät zu ihrem philosophischen Zirkel gestoßen war, meldete sich zu Wort. Chrysogona musste zweimal hinhören, um zu verstehen was er sagte. Bei Sophia, der göttlichen Weisheit, was hatte der pausbäckige junge Mann für eine eigentümliche Ausdrucksweise. Die Medica hob überrascht die Augenbrauen. Sie hasste es, wenn sich jemand so altklug darstellte, doch was er sagte, war klug. Sie wollte nicht erneut widersprechen, denn ihre Vorstellung der von den Göttern beherrschten Welt würde die Annahme der Richtigkeit der Sinneseindrück und der menschlichen Vernunft nicht ändern. Sie wartete deshalb neugierig auf die Antwort des Lehrers.


    Sim-Off:

    Test? Wegen mir gerne ;)

  • Mehr als ein Kopfschütteln brachte der Iulier kaum zustande, als er mit der Antwort des Praetoniers konfrontiert wurde. Denn in der Tat schien es ihm, als würde man ihn hier nicht richtig verstehen können oder aber nicht richtig verstehen wollen. So sprach der Praetonier von Macht und politischem Einfluss, wo Dives zuvor das Allgemeinwohl im Mittelpunkt gesehen hatte. Er sprach von der Rettung gleich der gesamten Welt, wo der Senator zuvor lediglich die Gesamtheit aller Patienten eines Arztes angeführt hatte. Und er sprach von exklusiven Feigen, die beim iulischen Quaestorier kurz zuvor noch wohl vergleichsweise alltägliche Äpfel gewesen waren.
    "Es geht um nichts, wie wahr. Der Arzt heilt manchen Kranken und rettet damit Leben. Der Politiker kümmert sich um das Allgemeinwohl, um die Gesellschaft. - Nur beim Epikureer geht es um... nichts.", kommentierte Dives voll Unverständnis dafür, wie der Praetonius dieses Nichts hier so herausheben konnte, als wäre es Etwas.


    "Eine überaus interessante These, welche du anführst, Praetonius. Die größte Lust wäre nur in völliger Unsicherheit zu finden.", ließ er sich auf der Zunge zergehen. "Dies weckt in mir das Bild eines kranken Mannes, der noch volle 10 Jahre überaus sicher bei verschiedenen Therapien im Tempel des Aesculapius leben könnte, der diesen sicheren Tempel jedoch in die völlige Unsicherheit verlässt, um noch ein letztes Mal den Schnee auf den Bergen in seinen Händen zu spüren.", erzählte der Senator und ließ eine kurze Pause, in der sich jeder Anwesende seinen eigenen Reim auf diese Kurzgeschichte bilden könnte.
    "Ich muss mich wohl entschuldigen, dass ich das Streben nach Sicherheit in getaner Weise angegriffen habe.", setzte er anschließend neu an. "In exakt der gleichen Weise jedoch möchte ich daran erinnern, dass es anfänglich - nach deinen eigenen Worten, Praetonius - durchaus im Sinne Epikurs war, das Für und Wider einer eigenen Familia individuell abzuwägen und eine Entscheidung so zu treffen, wie es individuell zur größten Lust führt. Nun auf einmal jedoch scheinst du es kategorisch auszuschließen, dass man jemals die größte Lust in der größten Unsicherheit finden könnte. Das erscheint mir - mit Verweis auf den kranken Mann, der das Aesculapium verlässt - nicht richtig. Denn warum sollte nicht auch er das Recht haben, für sich persönlich ganz individuell abzuwägen und zu entscheiden, welcher Weg - der lange sichere oder der kürzere unsichere - ihm die größte Lust bereitet?!", kritisierte Dives, während er sich den Gang ins Gebiet der Sexualität verkniff. Doch auch dort gab es bekanntlich solche, welche die größte Lust gerade ganz genau dort verspürten, wo die Unsicherheit - und die Gefahr, von anderen entdeckt und erwischt zu werden - am größten war. Der Iulier musste in der Folge kein Anhänger dieser Sichtweise sein, um zu erkennen, dass ein vollständiges Ignorieren derselben dennoch fehlerhaft sein musste.


    "So mag sich letztlich wohl in der Tat die Frage nach dem korrekten Maße stellen.", griff er schlussendlich das Ende der praetonischen Worte auf. "Und hier nun müsste ich wohl einmal mehr mit der Individualität antworten. Denn du hast dein individuelles Maß, das es zulässt, dass du diesen Philosophenzirkel hier leitest, dir den Gang in die Politik jedoch verbietet. Und ich habe mein individuelles Maß, nach welchem der Gang in die Politik mir mehr Lust als Unlust bereitet und die zu erwartende Unsicherheit wert ist.", stellte der Iulier fest. "Weder sollte es an mir sein, dich für dein recht sicherheitsbezogenes Maß zu verurteilen", fasste er sich erst an seine eigene Nase, "wie es umgekehrt jedoch auch nicht an dir ist, zu verurteilen, wie mein ganz persönliches Lustkalkül - solange es dich nicht einschränkt - aussieht.", beendete Dives diesen Punkt für sich, bevor er dem Diskurs über die Götter und das Schicksal nur eher schweigend beiwohnte. Denn es war wohl offenkundig, dass es hier keinen iulisch-praetonischen Konsens geben würde - weder unter dem Aspekt der Sicherheit noch unter dem Aspekt der Götter, über welche der Praetonier offenbar nicht allzu viel wusste. Andernfalls wohl würde er von ihnen gewiss nicht als perfekte Wesen sprechen. Diesen Anspruch schließlich hatte kein einziger Gott. Im Gegenteil waren sie sogar allesamt höchst fehlbar - von den zahlreichen Fehltritten des Iuppiter über die schier grenzenlose Eifersucht der Iuno bis hin zum wohl größten Streit dreier Göttinnen um den goldenen Erisapfel. Perfektion - gerade in den Augen eines Philosophen - sah wohl zweifellos anders aus!


    Dennoch erhob der Iulier am heutigen Tage nicht erneut das Wort. Es schien ihm eine vertane Mühe. Nicht zuletzt - und diese Worte klangen tatsächlich noch sehr lange bei ihm nach - ging es in diesem Zirkel schließlich um... nichts. Im Gegensatz dazu mochte eine Debatte im Senat auch einmal nicht den gewünschten Ausgang haben oder nicht zum erhofften Ergebnis führen. Am Ende jedoch, davon war der Senator überzeugt, stand allerdings stets mehr als nur... nichts. So schien es also an der Zeit, sich bald wieder mehr um den Senat zu kümmern und diesen Philosophenzirkel demnächst wieder zu verlassen.


    Sim-Off:

    In diesem Sinne bin auch ich also bereit. ;)



    CIVIS
    DECURIO - OSTIA
    INSTITOR - MARCUS IULIUS LICINUS
    VICARIUS DOMINI FACTIONIS - FACTIO VENETA

    ir-senator.png Iulia2.png

    CIVIS
    DECURIO - OSTIA
    INSTITOR - MARCUS IULIUS LICINUS
    IUS LIBERORUM
    VICARIUS DOMINI FACTIONIS - FACTIO VENETA

    Klient - Marcus Vinicius Hungaricus

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Chrysogona schwieg, weshalb Chairedemos annahm, dass sie aufgegeben hatte - oder sich nicht auf Epikurs vordergründig empörend unkonventionelle Schlüsse einlassen konnte. Aber so war es eben:
    "Die Individualität ist auch Epikur ein wichtiges Gut. Keineswegs erhebt seine Philosophie den Anspruch, die Uneinsichtigen unter seine Lehre zu zwingen und einen Staat nach seinen Regeln aufzurichten. Er nennt den Kern seiner Lehre das "Vierfache Heilmittel" - es soll dem Menschen zu einem guten Leben verhelfen, nicht mehr und nicht weniger.
    Seine Ratschläge bezüglich der Politik und dem Philosophieren im Freundeskreis dienen eben dem Ziel, Schmerz zu vermeiden und die Lust zu vergrößern. Alles, was er möchte, ist, uns eine langfristige Kalkulation dieser beiden Faktoren nahezulegen: Er - und ich ebenso - glauben, dass die Politik eine Versuchung ist, die zweifellos vielen Lust bereitet, die aber zugleich in unsäglichen Schmerz führt, wenn die Begierde nach Macht oder Ansehen in eine Abhängigkeit von diesen Gütern wird. Denn niemals werde ich vollständige Macht oder vollkommenes Ansehen erringen, stets werde ich fürchten müssen, wieder etwas zu verlieren, eine Wahlniederlage einstecken oder durch eine unbedachte Tat politischen Einfluss zu verlieren.
    Insofern erscheint mir das Philosophieren mit euch weniger riskant. Denn auch wenn ich zugebe, dass es mich freuen würde, wenn auch ihr auf Epikurs Weg gelangt, der Freude und Zufriedenheit verheißt, so hält sich der Schmerz, wenn ihr diesen Weg nicht erkennen könnt, in Grenzen. Denn Epikur hat uns keineswegs aufgegeben, alle Menschen zu seinen Jüngern zu machen - wozu auch? Am Ende ist jeder für sich selbst verantwortlich - für nicht weniger, aber auch nicht mehr.
    Ich darf philosophieren, du darfst politisieren, Plinia darf heilen und der kranke Mann entscheiden, ob er lieber auf Heilung hofft oder sein Leben nochmals genießt. Alles, was uns Epikur bieten kann und will, sind Lehren, die uns erleichtern, das Glück zu finden. Er will uns die Angst davor nehmen, von den Göttern gestraft zu werden, gegen vermeintliche Tugenden zu verstoßen oder sein Schicksal zu verpassen. Er will uns davor warnen, in die Abhängigkeit von vermeintlich lustbringenden Begierden zu geraten, die am Ende zu noch größerer Unlust führen. Er bietet uns dafür ein vernünftiges System, das mich und viele andere überzeugt - wenn ihr es aber vorzieht, den leeren Meinungen der Allgemeinheit zu folgen, dann kann und will ich niemanden aufhalten. Letztlich muss er selbst die Konsequenzen tragen."

    Der Praetonier fürchtete, dass seine Schüler nicht recht überzeugt worden waren. Aber wie er schon sagte - immerhin hatte er eine Perspektive aufgewiesen und in Zeiten der Krise würden sie vielleicht wieder darauf zurück kommen.

  • Noch ehe Patrokolos ebenfalls die Resultate seiner passiven Studien zu präsentieren vermochte, meldete der mysteriöse Senator sich zu Wort und kaum vernahm Manius Minor die Stimme, traf es ihn mit größter Klarität, dass es sich bei jener Person um Iulius Dives, den Inquisitor seiner Kandidaturrede musste handeln. Vor Schreck, von eben jenem inmitten eines epikureischen Zirkels angetroffen zu werden, entfärbte er sich aufs Neue und blickte furchtsam zu Boden, da er, die Haltung seines Vaters gegen die Lehre des Samiers extrapolierend, vermeinte, sich durch jene Gesellschaft gänzlich zu desavourieren und damit final den paternalen Zorn auf sich zu ziehen. Zumindest hatte er, wie es ihn durchfuhr, nicht gewagt, just in jener Präsenz und somit geradehin coram publico, die Existenz, respektive Wirksamkeit der Götter zu leugnen, sondern sich der relativ unkritischen Kanonik zugewandt.


    Patrokolos hingegen unterließ es trotz der iulischen Kontribution nicht, der Mahnung des Meisters Folge zu leisten und setzte seinerseits an:
    "Das Schicksal lehnt Epikur ab. Grundlage ist seine atomistische Lehre, nach der alles Existierende die zufällige Zusammensetzung von Atomen darstellt, sodass weder göttlicher Wille, noch Schicksal oder derartiges sich einmischen würde. Weiterhin gäbe es in der Lehre des Philosophen niemanden, der über die Zuteilung eines solchen Schicksales entscheiden könnte, da die Götter keinen Einfluss auf die Welt ausüben."
    Manius Minor blickte hinauf zu seinem Diener, welcher für seine Explikationen sich erhoben hatte. Inständig hoffte er, dass selbiger nunmehr nicht würde ansetzen, die Götter intensiver zu thematisieren, doch dankenswerterweise nahm er stattdessen neuerlich seinen Platz ein in Erwartung der weiteren Debatte.

  • Lucius Praetonius Chairedemos

    http://www.imperiumromanum.net…misc/ava_galerie/cato.jpg Der Tag war gekommen, an dem der Einführungskurs in die Philosophie Epikurs enden musste. Für Chairedemos war dies zwar kein sehr freudiger Tag - er liebte es mit anderen zu diskutieren, selbst wenn sie anderer Meinung waren als er selbst - aber irgendwann mussten seine Schüler selbst entscheiden, ob sie häufiger in seinen Garten kommen wollten oder nicht.


    "Liebe Gäste,
    heute ist es so weit: Ich habe euch alles Wesentliche über die Lehren Epikurs gelehrt und ihr habt die Dinge fleißig aufgenommen und über sie nachgedacht. Unser Einführungskurs endet deshalb mit diesem Tage und ich darf bekannt geben, dass die, die bis heute ausgeharrt haben - also Plinia Chrysogona und Marcus Iulius Dives - ihn erfolgreich absolviert haben.


    Für seinen besonderen Einsatz* möchte Marcus Iulius Dives ihm außerdem ein Empfehlungsschreiben unseres Zirkels mitgeben, um an geeigneter Stelle seine philosophische Bildung unter Beweis stellen zu können:"
    Er griff nach einem zusammengerollten Papyrus und öffnete es, um es dann mit einem Lächeln an den Senator weiterzureichen:


    IM KREISE DER JÜNGER DES EPIKUR IM HORTUS AMAFIDII UND UNTER ANLEITUNG DES LUCIUS PRAETONIUS CHAIREDEMOS ABSOLVIERTE


    Marcus Iulius Dives


    ERFOLGREICH DEN


    CURSUS DE PHILOSOPHIA EPICURI.




    IN ANERKENNUNG SEINER BEWIESENEN FÄHIGKEITEN UND LEISTUNGEN WIRD


    MARCUS IULIUS DIVES


    ZUDEM AUSGEZEICHNET MIT



    EINEM DIPLOMA.


    SCITUM PER SIGNUM:

    LUCIUS PRAETONIUS CHAIREDEMOS
    MAGISTER PHILOSOPHIAE



    "Von nun an werde ich nicht mehr von euch erwarten, mich hier zu besuchen - trotzdem wird hier jedem die Möglichkeit gegeben, seine Einsichten in die Philosophie Epikurs zu vertiefen. Offene Fragen werden hier stets in der gewohnten Offenheit diskutiert werden können, also zögert nicht!


    Ich weiß, dass mancher unter euch nicht zu der Einsicht gelangt ist, den Pfaden Epikurs zu folgen. Dennoch möchte ich euch ermahnen, zumindest einige Dinge für euer zukünftiges Leben zu beherzigen, die sich auf das vierfache Heilmittel unseres Meisters beziehen:
    Vermeidet es, anderen Schwierigkeiten zu bereiten und macht euch unabhängig von heftigen Gefühlsregungen!
    Fürchtet nichts - auch nicht den Tod!
    Verzweifelt nicht am Schmerz, sondern tröstet euch mit der Einsicht, dass kein Schmerz ewig währt!
    Fürchtet euch nicht!


    Und vor allem vergesst nicht den 27. Lehrsatz, der da heißt: Vor allem, was die Weisheit für die Glückseligkeit des ganzen Lebens bereitstellt, ist der Gewinn der Freundschaft das bei weitem Wichtigste.
    Hier werdet ihr auf jeden Fall alle Tage meines Lebens Freunde finden, die euch wohlgesonnen sind. Unsere Tür steht euch offen!"

    Der Praetonier war fast ein wenig emotional - über all die Zeit hatte er auch seine "Gastschüler" wirklich lieb gewonnen, selbst wenn sie nicht immer einer Meinung gewesen waren. Wie schade, dass er viele von ihnen wohl niemals wieder sehen würde...


    Sim-Off:

    * im SimOff-Test ;)

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